Christoph Fasel: Wie man schlank und zupackend schreibt
Diplomarbeit
1. UNIVERSITA’ DEGLI STUDI DI GENOVA
DIPARTIMENTO DI LINGUE E CULTURE MODERNE
Corso di Laurea in Lingue e Culture Moderne
Tesi di Laurea Triennale
Italienische Übersetzungen deutscher Volksmärchen im
Vergleich
Relatore: Prof.ssa Livia Tonelli
Candidata: Silvia Satriani
Anno Accademico 2014/2015
2. Selbstständigkeitserklärung
Ich versichere, die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst zu haben. Ich habe keine anderen als
die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt. Alle von mir für direkte und indirekte Zitate
benutzten Quellen sind nach den Regeln des wissenschaftlichen Zitierens angegeben. Mir ist
bekannt, dass beim Verstoß gegen diese Regeln eine positive Beurteilung der Arbeit nicht möglich
ist. Ich habe die Arbeit bzw. Teile davon weder im In- noch im Ausland zur Begutachtung als
Prüfungsarbeit vorgelegt.
Mir ist bekannt, dass die in der vorliegenden Arbeit Verwendung gefundenen Abbildungen der Zu-
stimmung zur Benützung durch die Rechteinhaber bedurft hätten. Aufgrund des zur Erstellung der
Arbeit vorgegebenen begrenzten zeitlichen Rahmens war mir jedoch eine Einholung dieser Rechte
nicht möglich. Da die vorliegende Arbeit weder publiziert noch sonst anderweitig kommerziell
genutzt wird, befand ich die Nennung der Urheber bzw. Rechteinhaber als ausreichend.
Wien, im Jänner 2016 Silvia Satriani
3. Danksagung
Für das Zustandekommen dieser Arbeit möchte ich Frau Prof. Livia Tonelli danken, die mir beim
Verfassen mit Ratschlägen und Verbesserungsvorschlägen zur Seite gestanden hat.
Mein besonderer herzlicher Dank gilt Herrn Univ.-Prof. Klaus Kaindl, der mir während meines
Aufenthalts an der Universität Mainz seine fachliche Kompetenz und seine wissenschaftliche
Erfahrung zur Verfügung gestellt hat.
Inoltre, vorrei esprimere sincera gratitudine ai miei genitori, Paola e Claudio, per il loro sostegno
economico e il loro costante supporto durante il mio percorso di studio e questo lavoro finale all
´estero. Intendo poi ringraziare Christoph, che ha fornito un aiuto essenziale con le sue correzioni e
il suo amore. Infine, desidero ringraziare con affetto mia sorella Giorgia, perché senza di lei e la sua
passione per la cultura germanofona non sarei qui dove sono a discutere il mio lavoro in lingua
tedesca.
5. 1
1. Einleitung
„Es war einmal...“: Bekanntlich fangen viele Märchen mit dieser rituellen Redewendung an, seit
jeher entführen daher diese Worte Jung und Alt in eine Zauberwelt.
Befasst man sich näher mit der Dichtungsgattung „Märchen“, stößt man auf folgende Fragen:
Stimmt es, dass durch den Übersetzungsprozess Inhalte der Märchen verloren gehen oder verändert
werden? Und: Was sind die größten Schwierigkeiten (sprachliche, literarische, stilistische usw.) bei
der Übersetzung von Märchen? Meine Arbeit versucht Antworten auf diese Fragen zu geben.
Das Ziel meiner Arbeit ist es nämlich, zwei verschiedene italienische Übersetzungen der
Volksmärchen „Rotkäppchen“ und „Aschenputtel“ der Brüder Grimm auf ihre Übersetzungsqualität
hin zu untersuchen. Als Orientierungslinie meiner Übersetzungsanalyse verwende ich einen
pädagogischen Ansatz.
Zunächst werde ich versuchen, einige Probleme die während des Übersetzungsprozesses entstehen,
überblicksmäßig darzulegen. Danach folgen einige biografische Informationen über die beiden
italienischen Übersetzer Antonio Gramsci und Clara Bovero. Anschließend werde ich meine
Aufmerksamkeit auf den inhaltlichen Aufbau der Märchentexte „Rotkäppchen“ und „Aschenputtel“
richten und ihre beiden Übersetzungen einer punktuellen Analyse unterziehen.
6. 2
2. Das Märchen
Bevor ich auf die pädagogische Funktion des Märchens näher eingehe, möchte ich kurz die
etymologische Herkunft des Terminus „Märchen“ unter die Lupe nehmen und einige Argumente
anführen, die eine wissenschaftliche Untersuchung der Textsorte „Märchen“ begründen.
2.1. Etymologie
Das deutsche Wort „Märchen“ bzw. „Märlein“ im Frühneuhochdeutschen (mhd. maerlîn) ist eine
Verkleinerungsform von „Mär“ (ahd. mârî, mhd. maere), das Kunde, Bericht, Erzählung oder
Gerücht bedeutet. Schon im germanischen Sprachgebrauch findet man das Adjektiv „man“ in der
Bedeutung von „groß“, „bedeutend“, „berühmt“ (vgl. Schulz 2009: 21). Die Charakteristika einer
„fabula incredibilis“ erhielt das Märchen erst im Zuge seiner Entwicklung (vlg. URL: Deacademic).
Das frühneuhochdeutsche Diminutiv „-lein“ änderte sich aber im Laufe der Geschichte zur
neuhochdeutschen Verkleinerungsform „-chen“, sodass die heutige Bezeichnung „Mär-chen“
entstand (vgl. URL: Wiktionary).
2.2. Übersicht über die Forschungsgeschichte
Es gibt verschiedene Gründe, die für eine wissenschaftliche Untersuchung der fantastischen
Traumwelt der Märchen sprechen. Am Beginn des wissenschaftlichen Interesses an Märchen –
insbesondere an Kinder- und Hausmärchen − stand die Frage, ob Märchen gemeinhin als eine der
volkstümlichen literarischen Gattungen gelten können, die historisch gesehen der Buchkultur
vorausgehen und das Alltagswissen in elementarer Gestaltung übermitteln. Für unsere Gesellschaft
sind Märchen ein wesentlicher Teil der Kultur und gehören sogar zum literarischen UNESCO
Weltkulturerbe (vgl. URL: UNESCO).
In der Literatur wird zwischen Volks- und Kunstmärchen unterschieden. Im Unterschied zum
Kunstmärchen ist bei Volksmärchen der Autor meistens unbekannt (vgl. Neuhaus 2005: 5). Dies
liegt in der vor allem zu Beginn größtenteils mündliche Überlieferung der Volksmärchen.
Doch Märchen sind keine bloße Idee aus vergangenen Tagen sondern zeichnen sich durch ihre
Aktualität aus. Einige Märchen sind gerade von Gegenwartsliteratur mit ironischer oder kritischer
Anspielung oder in Form von Parodien wieder aufgenommen worden. Manchmal wurden auch die
früheren Moralvorstellungen in den übertragenen Versionen aufgegriffen.
Da eine eindeutige Definition des Begriffs Märchen wegen ihrer zahlreichen und facettenreichen
Charakteristika schwer zu finden ist, werden hier zur Umreißung dieser Literaturgattung folgenden
Merkmale herangezogen:
• Raum und Zeitlosigkeit
• Handlungsstereotypen (Bewährung)
• Stereotypische Schauplätze (Schloss, Wald, etc.)
• Stereotypische Isolation des Märchenhelden
• Nebenfiguren (Funktionsträger)
7. 3
• Typisierte namenlose Personen (der König, die Prinzessin, etc.)
• Sprechende Namen (Aschenputtel, Rotkäppchen, etc.)
• Happy End
Aufgrund dieser Charakteristika, die es auszeichnen, gilt das Märchen in der wissenschaftlichen
Forschung als eigene volkstümliche literarische Gattung (vgl. Neuhaus, 2005: 3).
Darüber hinaus haben die Brüder Grimm betont, dass Märchen volkstümliche Gattungen sind, die
auch die Geschichte und den nationalen Geist eines Volkes wiederspiegeln (vgl. Cocchiara 1951:
13).
3. Die pädagogische Funktion des Märchens
Die deutschsprachigen Märchen, und insbesondere die Kinder- und Hausmärchen (KHM) der
Brüder Grimm, bekamen innerhalb der literaturwissenschaftlichen und unterrichtsdidaktischen
Reformdiskussion der siebziger Jahre, nachdem ihr Inhalt und ihre Sprache für die
Unterrichtspraxis überarbeitet worden war, eine neue Stellung (vgl. Cocchiara, 1951: 9). Während
man früher die Ansicht vertrat, die Hauptfunktion des Märchens bestehe in der Abbildung des
nationalen Geistes eines Volkes, werden Märchen heute als pädagogisches Instrument angesehen. In
der Tat spiegeln Märchen die allerersten Weltdarstellungen wieder, mit denen die Kinder
konfrontiert werden. Märchen sind unbestreitbar Wertvoll für die psychologische Entwicklung von
Kindern (vlg. URL: Elternwissen). Sogar Albert Einstein hat sich nach seiner Auswanderung in die
USA für die Bedeutung des Märchens ausgesprochen:
„Wenn du intelligente Kinder willst,
lies ihnen Märchen vor.
Wenn du noch intelligentere Kinder willst,
lies ihnen noch mehr Märchen vor.“ (vgl. URL: Denkreich)
In der ersten Kindheit formt das Kind seine Persönlichkeit und erfährt Konflikte, die es von nun an
selbst zu lösen hat.
Es ist unbestreitbar, dass Märchen voll von bedeutenden Symbolen sind, durch die sich eine
konstante Verbindung zum Alltag herstellen lässt (vgl. Spring 2001: 24). Der Held ist z.B.
logischerweise eines von den wichtigsten Symbolen: Er symbolisiert sowohl die Seele, die sich
während einer realen und psychologischen Reise verwandelt, als auch die Suche nach dem Selbst
und dem eigenen Lebenssinn (Vogler 2007: 167). Der zweite Aspekt der pädagogischen Funktion
neben der Bildung ist also die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit (Charakter, Wertesystem, ...).
Durch Märchen bekommen die Kindern Antworten auf grundlegende Fragestellungen, die sich in
reellen Situationen ergeben.
Märchen werden nicht als Betriebshandbuch fürs Leben der Kinder verstanden, sondern sie
vermitteln vielmehr durch ihre historisch-soziale Funktion und ihre elementare bildhafte Gestaltung
Alltagswissen.
8. 4
Märchen gelten aufgrund ihrer Kürze und Einfachheit, der linearen Erzählstruktur und des meist
glücklichen Endes - indem der Märchenheld belohnt und das Böse, sei es die Hexe, die Stiefmutter
oder andere bösartige Gestalten, bestraft wird - als eine besonders kindgerechte Gattung der
Literatur. Außerdem sind Märchen aufgrund ihres einfachen Gut-Böse-Denkens nicht nur leicht
nachvollziehbar, sondern bieten auch mögliche Lösungen an, welche die Kinder für ihr Alltagsleben
übernehmen können.
Ihre fantastischen Geschichten stellen eine alternative Welt dar und beinhalten einige Allegorien,
die sich in diversen Aspekten des realen Lebens wiederfinden.
Aus pädagogischer Sicht kann daher schlussfolgernd behauptet werden, dass Märchen für die
Entwicklung der Kinder sinnvoll und förderlich sind (vgl. Puurtinen 1995: 17).
Man kann also mit gutem Recht behaupten, dass Kinder Märchen brauchen. Dies ist simpel zu
erkennen, befasst man sich mit der Bemerkung Ulreichs, dass Märchen, durch konkrete Bilder
veranschaulicht, eine ursprüngliche Welterfahrung an Kinder vermitteln können. Ulreich zählt in
seiner Arbeit einige ausschlaggebende Strukturelemente des Märchens zur Stützung dieser
Behauptung auf:
• seine Bildhaftigkeit
• die Beweglichkeit und der Abwechslungsreichtum seiner Handlung
• seine magischen Bestandteile
• die Überdeutlichkeit seiner Archetypen
Diese Elemente kommen Kindern entgegen und unterstützen sie dabei, zwischenmenschliche
Erfahrungen bereits in ihrer der Fantasie zu durchleben (Ulreich 1983: 130).
3.1. Sind Märchen kindgerecht?
Obwohl einige positive Aspekte der Märchen anerkannt werden, lehnen andererseits manche
Pädagogen und Pädagoginnen Märchen ab, da sie als Mittel angesehen werden, um Kinder zu
Gehorsam, Anpassung, Weltfremdheit und Passivität zu erziehen. Somit haben Märchen stets
gleichermaßen auch Kritik erfahren. Denkt man beispielsweise an die Figur der kannibalischen
Hexe aus Hänsel und Gretel, erscheint spontan die Frage, inwiefern dies alles das kindgerecht ist.
Die Problematik an einer Szene dieser Art ist grundsätzlich nicht die Konfrontation der
Gedankenwelt des Kindes mit dem Tod an sich. Kannibalismus hebt diese Konfrontation auf die
nächste Ebene an, da hier nicht nur die Auslöschung eines lebenden Wesens thematisiert wird,
sondern zugleich ein brachialer Akt der Gewalt in den Mittelpunkt der Handlung rückt, sowie der
darauf folgende Verzehr des Lebewesens. Bruno Bettelheim, ein amerikanische Psychoanalytiker,
erstellte mit seinem berühmten Studium „Kinder brauchen Märchen“ von 1975 unter pädagogischen
Gesichtspunkten eine Analyse zum Thema Märchen. Er plädiert für verdrängte Könige und
Königinnen, Jäger und Holzhacker, Feen und Zwerge, Hexen, Zauberer, Riesen, Ungeheuer und
Stiefmütter. Des Weiteren sollten die guten und die bösen Tiere schleunigst wieder Einzug in die
Vorstellungswelt der Kinder halten. Alle diese Figuren sind in unserer Alltagswelt sehr oft
9. 5
gegenwärtig. Sie werden als Märchensymbole angesehen.
Bettelheim zufolge ist die Stiefmutter beispielsweise in den Märchen immer böse und soll die
dunkle Seite, die Schattenseite der Mutter darstellen (vgl. Bettelheim 1975: 183). In seinen Studien
stellt er zwei zentrale Thesen auf.
Die erste besagt, dass Kinder durch Märchen innere Konflikte, die sie im Laufe ihrer Entwicklung
durchleben, bereits vorab in ihrer Fantasie erfassen, ausleben und auch lösen können. (vgl.
Bettelheim 1975: 12).
Die zweite These besagt, dass die Todesstrafe, zu welcher der böse Gegenspieler im Märchen
verurteilt wird, nicht schädlich, sondern geradezu notwendig für die psychische Stabilität des
Kindes sei. Ihm zufolge projizieren die Kinder ihre inneren Ängste und Unsicherheiten auf die
negativen Charaktere der Märchen, die dann von den Kräften des Guten, mit denen sie sich
identifizieren können, bekämpft werden. Im Falle der kannibalischen Hexe wird zum Beispiel ihr
grausames Handeln vor Augen geführt, doch muss sie auch dafür büßen, wodurch wiederum
Gerechtigkeit hergestellt wird. Als weiteres Beispiel sollte hier auch die Stiefmutter angeführt
werden, welche im Märchen immer als Böse dargestellt wird. Der Meinung von Prof. Dr. Ruth
Klüger nach, sind Märchenstiefmütter ein Sinnbild für typische soziale Probleme in der Mutter-
Kind-Beziehung, wie beispielsweise der Angst von den eigenen Eltern verlassen zu werden. Diese
sollen ihrer Meinung nach somit die Schattenseiten der Mutter versinnbildlichen (vgl. URL: Uni-
Marburg).
Bettelheim bezog sich in erster Linie auf die Märchensammlung der Brüder Grimm mit dem Titel
Kinder- und Hausmärchen, die vor mittlerweile 200 Jahren zum ersten Mal veröffentlicht wurde,
was eine Reaktion auf die Kritik der Märcheninhalte war, die in den 70er Jahren von vielen Seiten
geübt wurde.
3.2. Märchen bauen Ängste ab und geben Hoffnung.
Märchen bieten Kindern für sie verständliche Lösungen und nehmen sie in ihren Ängsten und
inneren Konflikten ernst (vgl. Eggert/Garbe 2003: 106). Um Gefühle der Angst abzubauen, spielt
die Identifikation des Kindes mit einer Märchenfigur eine zentrale Rolle, beispielweise die
Identifikation mit dem Helden oder der Heldin. Durch diesen Prozess gewinnen die Kinder mehr
Mut und Selbstsicherheit. Sie können sich mit allen Märchenfiguren identifizieren, nicht nur mit
den Helden (stark, mutig, klug und großes Herz) sondern auch mit den Bösen.
Tabelle 1: Erklärung des Identifikationsprozesses für die primären Märchensymbole (vgl. URL: elternwissenb
)
Held oder Heldin das Kind
Prinz oder Prinzessin das Kind
König und Königin Eltern
böse Stiefmutter, Hexe, böser Wolf ungeliebte, gefährliche Seite von Eltern oder
anderen Erwachsenen
Wald Symbol des Unbewussten
Die Meinungen der Märchenforscher über das Thema der brutalen Szenen in Märchen gehen
10. 6
auseinander. Bereits Plato äußerte sich gegenüber Märchen überaus negativ. Er war überzeugt, dass
Märchen den Kindern schaden, da Märchen seiner Meinung nach im Wiederspruch zu den
Ansichten stehen, die ein Mensch im reiferen Alter haben sollte und daher definitiv nicht zur
Erziehung von Kindern gehören sollten (Plato, nach Röhrichl 1964: 123).
Der Neurologe Gerald Hüther hingegen bezeichnete Märchen als „Superdoping für Kinderhirne“,
da diese die Kinder still sitzen und aufmerksam werden lassen, gleichzeitig allerdings ihre Fantasie
anregen und ihren Sprachschatz erweitert (Stöcklin-Meier 2008: 28).
Brigitta Schieder vertritt ebenfalls die Ansicht, dass Märchen für die Kinde hilfreich sind, da die
negativen Charaktere nicht die Realität verkörpern, sondern Allegorien für all das sind, was auf
Kinder bedrohlich, angsteinflößend, oder erschreckend wirken (Schieder 2004: 12).
3.3. Die pädagogische Funktion von Kinder- und Hausmärchen.
Die Märchen der Gebrüder Grimm haben im 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle bei der
Kindererziehung gespielt. Jacob und Wilhelm Grimm sind die bekanntesten deutschen
Märchensammler. Nichtsdestotrotz sind Sie selbst nicht die Autoren dieser Märchen, sondern
lediglich die Herausgeber. Das Ziel der Veröffentlichung ihrer Kinder- und Hausmärchen (in der
Folge KHM genannt) war es, dem Volk eine Art pädagogischen Ratgeber zur Verfügung zu stellen,
aus dem die Rezipienten Morallehren ziehen können. Zum Beispiel sollten sie bewirken, dass die
bürgerlichen Kinder auch arme Mitglieder der Gesellschaft berücksichtigen und aufnehmen. Dies
sollte durch die Identifikation der Kinder mit den Märchenfiguren geschehen, denen die positiven
Eigenschaften eines Charakters viel wichtiger waren, als deren Rolle in der Gesellschaft. Des
Weiteren sollten die Geschichten vermitteln, dass der Aufstieg in der gesellschaftlichen Hierarchie
möglich ist, wenn man sein Leben nach positiven Werten und guten Handlungen ausrichtet.
Letzteres wird in Märchen fast als Voraussetzung gesehen, wie man zum Beispiel in der Todesszene
der Mutter von Aschenputtel erkennen kann. Diese bittet sie auf dem Sterbebett darum „fromm und
gut“ zu bleiben (vgl. Grimm, 1857: 7). Diese Bitte suggeriert, dass Aschenputtel belohnt werden
wird, wenn sie ein geradliniges, tugendhaftes Leben führt.
Märchen können zusätzlich auch als Integrationshilfe angesehen werden. Für Menschen aus
anderen Ländern können sie als sozialer und sogar sprachlicher Wegweiser dienen.
Die Gebrüder Grimm haben die Märchen auf eine Art und Weise umformuliert und
weiterentwickelt, dass sie zu einer „pädagogischen Erzählform“ wurden, die einen festen Platz im
Bildungskanon erhielten.
Die Brüder Grimm veröffentlichten nicht nur eine einzige Ausgabe ihrer Märchensammlung,
sondern entschieden sich bereits bei der 2. Auflage einige Teile zu löschen. Diese Löschung
beinhaltet eine wichtige pädagogische Rolle. Wenn man zum Beispiel die Auflage von 1812 mit
derer von 1857 vergleicht, so kann man in „Rotkäppchen“ folgenden Zusatz bei der Erstversion
finden:
„Es wird auch erzählt, dass einmal, als Rotkäppchen der alten Großmutter wieder Gebackenes
brachte, ein anderer Wolf ihm zugesprochen und es vom Wege habe ableiten wollen“ (vgl.
11. 7
Grimm J. und W., 1812: 7).
Rotkäppchen machte sich also wieder einmal auf den Weg und folgte dieses Mal dem Ratschlag der
Mutter, nicht vom rechten Weg abzuweichen. In der Originalversion symbolisiert die Ermahnung
die schützende Fürsorge der Mutter, ohne die, laut den Gebrüdern Grimm, das Kind verloren wäre.
Das Kind bleibt jedoch nicht nur durch den Ratschlag der Mutter auf dem rechten Weg, sondern
auch durch seine beim letzten Alleingang gewonnene Erfahrung. Durch die Löschung dieser
Passage wird jedoch suggeriert, dass der Ratschlag der Mutter alleinig ausschlaggebend für ein
gefahrloses Erreichen des Ziels ist.
4. Die Übersetzung des Volksmärchens
Ziel dieses Kapitels ist, einen Überblick der Forschung zur Übersetzung von Volkmärchen zu
bieten.
Wichtige Impulse für die Kinder und Jugendliteratur in der Übersetzungsforschung gingen von den
Translation Studies der 1970er Jahre aus. Zumindest gleichermaßen bedeutend ist das
Texttypenmodell von Katharina Reiß, sowohl für die Übersetzungswissenschaft im Allgemeinen,
als auch für die Übersetzung literarischer Werke für Kinder im Speziellen.
In ihrem Text zur „Übersetzung von Kinder- Jugendliteratur“ schreibt Reiß, dass drei Faktoren für
diese Art von Übersetzungen kennzeichnend sind:
a) Asymmetrie:
Als Asymmetrie des Übersetzungsprozesses versteht man, dass eine kommunikative
Distanz zwischen dem Autor, einem Erwachsenen, und dem Leser, bei Märchen
zumeist einem Kind, besteht. Der Übersetzer leistet seine Arbeit im Falle von
Märchen ebenso nicht für Erwachsene, sondern für Kinder.
b) Vermittlerinstanzen:
Im Zuge der Übersetzung passiert eine Geschichte verschiedene Vermittlerinstanzen,
die für eine entsprechende Kommunikation auf dem literarischen Markt
unumgänglich sind, da Kinder sich auf diesem noch nicht selbständig bewegen.
Diese üben auf den Übersetzter potentiell verschiedene Einflüsse aus, die zum
Beispiel durch religiöse Tabus oder ähnliche Dinge bedingt sind.
c) Adaption:
Mit dem Begriff Adaption wird darauf hingewiesen, dass gewisse Inhalte aufgrund
der kulturellen Abweichungen zwischen verschiedenen Völkern, ohne Erläuterung
oder Änderung des Inhaltes, missverstanden werden könnten. In Verbindung mit
Märchen adjustiert man den Zusammenhang einer Geschichte für gewöhnlich
zugunsten des Lesevergnügens des Kindes.
Da Märchen Lernen, Lehren und Erfahren ermöglichen ist es sehr wichtig und zugleich schwierig,
12. 8
gute Kontexte, Themen und Konzepte zu wählen.
Diese Schwierigkeiten sind sowohl in den Originalversionen der Märchen als auch in den
übersetzten Versionen derselben in der jeweiligen Fremdsprache zu finden. Es gibt viele spezifische
Schwierigkeiten und Besonderheiten bei der Übersetzung von Kinder- und Jugendliteratur, weshalb
die Übersetzung manchmal nur in leicht variierender Form, d.h. als Adaptation des Textes und des
Sujets möglich ist. Die Diskussion der Adaption nimmt in der Übersetzungstheorie einen großen
Stellenwert ein (vgl. Reiß 1982: 7-8). Speziell in der Kinderliteratur gibt es häufig Anpassungen,
durch den Grundgedanken bedingt, bestimmte Inhalte seien für Kinder nicht geeignet. Das
Dargestellte könnte womöglich Gewalt, Aggression und Angst bei Kindern hervorrufen.
Anhand dessen erkennt man, dass die Funktion des Übersetzers von Märchen gleichermaßen
wichtig wie jene des Schriftstellers ist, denn immerhin entscheidet der Übersetzer welche Aspekte
er übernimmt, weglässt oder ergänzt, wodurch die Botschaft einer Erzählung merklich verändert
werden kann. Wenn ein Übersetzer ein Märchen übersetzt, muss er sich vor allem eine Frage
stellen: Wer ist der Empfänger? (vgl. Oittinen 2005: 5) Tatsächlich muss man bedenken, dass jede
Übersetzung eine Bearbeitung eines an Kinder gerichteten Textes darstellt. Kinder, welche die
Märchen allein oder mit einem Erwachsen lesen, an Kinder, die sich mit den Märchen
auseinandersetzen.
4.1. Die Rolle der Kulturkompetenz
„Translators never translate words in isolation, but whole situations.
They bring to the translation their cultural heritage, their reading
experience, and, in the case of children’s books, their image of
childhood and their own child image. In so doing, they enter into a
dialogic relationship that ultimately involves readers, the author, the
illustrator, the translator, and the publisher. “(Oittinen 2000: 3)
Dieses Zitat besagt, dass sich die Beschäftigung mit Übersetzung nicht nur den Bereich der
Literatur- und Sprachwissenschaft betrifft, sondern auch kulturwissenschaftliche und ethnologische
Aspekte ins Blickfeld nimmt.
Märchen bieten sich vor allem für das Lesen mit einer Fokussierung auf tiefergehendes Verständnis
an, um dabei kulturspezifische Unterschiede zu erkennen (vgl. Vannerem/Snell-Hornby 1986: 189).
Der komparatistische Ansatz der interkulturellen Literaturwissenschaft legt den Schwerpunkt auf
den Vergleich deutschsprachiger Märchen mit Märchentraditionen aus verschiedenen
Herkunftsländern und fördert somit die Reflexion über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen
Kulturen (vgl. Mecklenburg 2009: 12).
Schon die Brüder Grimm wollten eine Bindung ihrer als universal verstandenen Märchen an
konkrete Regionen vermeiden und kaum auf eine Kulturidentität der Texte eingehen.
Vor allem können sich ethische und moralische Werte von einer Kultur zur anderen ändern.
Adaptieren oder nicht adaptieren, ist seit jeher die Frage, welche die kulturelle Entwicklung der
Märchen während ihrer ganzen Geschichte begleitet.
Die Adaption des kulturellen Kontextes betrifft verschiedene Aspekte, wie literarische Bezüge,
Fremdsprache, historischen Hintergrund, Flora, Fauna, Namen und andere spezifische und
13. 9
charakteristischen Merkmale der Kultur. Deutlicher sind die Unterschiede in volksmärchenartigen
Erzählungen nicht nur bei Pflanzen und Tierwelt sondern auch in Bezug auf das Verhältnis des
Menschen zur Natur, einer verschiedenen sozialen Struktur und zu religiösen Traditionen.
Die universalen Charakteristika werden dank der europäischen Märchenforschung sichtbar. Diese
Charakteristika werden vor allem durch den Vergleich kulturspezifischer Gemeinsamkeiten mit
Unterschieden der volkstümlichen Erzähltraditionen aus den jeweiligen Herkunftsländern der
fremdsprachigen Empfänger deutlich. Die Märchenkomposition folgt strengen Gesetzmäßigkeiten,
die bei der Übersetzung des Ausgangstextes (AT) auch noch im Zieltext (ZT) berücksichtigt und
wiedergefundenen werden müssen. Stilistischen Sprachebenen. Außerdem müssen im AT
vorhandene Archaismen im ZT ersetzt werden.
4.2. Stilistische Aspekte
Beim Übersetzen von Märchentexten muss der Übersetzer auf den Sprachstil achten, d.h. er muss
sich die Frage stellen, ob der Autor beispielweise die Hochsprache oder den Dialekt absichtlich
verwendet hat.
Man könnte auch sagen, dass der Grad der Kulturdifferenzen der unterschiedlichen Länder
gesondert analysiert werden muss (vgl. Rieken-Gerwing 1995: 92).
Volksmärchen zeichnen sich durch einen konkreten, einfachen Stil aus. Das bedeutet, dass sie
hauptsächlich aus mehreren aneinandergereihten Gliedsätzen bestehen. Es gibt eine geordnete Folge
von verschiedenen Ereignissen: die Erzählperspektive richtet sich immer nach dem Helden und es
werden nur die wichtigsten Protagonisten dargestellt. (Vgl.: Wikipedia). Um auf dem Literaturmarkt
mit der Übersetzung eines Märchens gleichermaßen Erfolg zu haben, sollte man versuchen, dessen
klaren und prägnanten Stil abzubilden. Das bedeutet, man sollte versuchen, auf einfache
Formulierungen zurückzugreifen, anstatt komplexe Wortgebilde einzusetzen (Puuritinen, 1995:
179). Wenn aber zum Beispiel ein deutscher Reim oder auch nur ein kleiner deutscher Kinderreim
im Original vorhanden ist, stellt das nicht einfache Probleme bei ihrer Übertragung in andere
Sprachen dar.
Vor allem Göte Klingberg hat sich in den 1970er und 1980er Jahren mit der Thematik der
Kulturspezifika auseinandergesetzt und die praxisnahe kinderliterarische Übersetzungsdiskussion
mitbestimmt. Von ihm stammen einige Vorschläge, um kultur- und sprachspezifischen Anspielungen
am besten zu übersetzen. Laut Klingberg kommt daher der Adaption des kulturellen Kontextes eine sehr
große Bedeutung zu. Er entwarf dazu die nachstehenden Vorschläge (vgl. Klingberg, 1986: 18):
• Hinzugefügte Erklärung: Der Übersetzer fügt eine kurze Erklärung innerhalb des
Zielsprachentextes hinzu, um dem Leser zu helfen.
• Umformulierung: Einige kulturspezifische Wörter werden nicht wortgetreu übersetzt, aber
sie werden mit anderen Formulierungen ausgedrückt.
• Erklärende Übersetzung: Der kulturspezifische Begriff wird nicht wörtlich übersetzt,
stattdessen wird jedoch seine Funktion oder Verwendung wiedergegeben.
• Einsatz eines äquivalenten Begriffes aus der Kultur der Zielsprache.
14. 10
• Einsatz eines ungefähren Begriffes aus der Kultur der Zielsprache.
• Vereinfachung: Einige kulturspezifische Wörter werden generalisiert.
• Streichung: Einige nur für die Ausgangskultur relevante Details werden nicht
wiedergegeben.
• Lokalisation: Der kulturelle Ort des Originals wird dem Zieltextleser manchmal
angenähert.
Der Übersetzer hat in semantischen Bereichen die Möglichkeit, auf einfachere Worte und
transparente syntaktische Konstruktionen zurückzugreifen (z.B. mittels Paraphrasen, Synthese und
Auslassung) (vgl. Bastin 2008: 3-4).
4.3. Sprachvergleich Deutsch-Italienisch
Im Folgenden werden die wichtigsten Merkmale, durch die sich das Italienische und das
Deutsche unterscheiden, kurz summarisch aufgezählt.
• Die Form des unbestimmten und des bestimmten Artikels im Italienischen richtet sich nach
dem Genus und dem Anfangslaut des darauf folgenden Nomens. Es gibt nur zwei Genera:
Maskulinum und Femininum.
Im Vergleich dazu weist das Deutsche wesentliche Unterschiede auf: es gibt drei Genera und
oft gibt es keine Übereinstimmung in der Zuweisung der Genera.
Aus diesem Grund ist es zum Beispiel verblüffend für Italiener, eine weibliche Person mit
neutralem Genus zu kennzeichnen (z.B. das Mädchen). 1
• Die Wortstellung ist im Italienischen freier als im Deutschen, wo in der Regel in
Deklarativsätzen das konjugierte Verb an zweiter Stelle steht.
• Das deutsche Präteritum entspricht im Italienischen sowohl dem Imperfetto als auch dem
Passato remoto.
In den zwei italienischen Übersetzungen, die in dieser Arbeit analysiert wurden, greifen die
Übersetzer auf zwei verschiedene Lösungen zurück: Gramsci verwendet lieber das
Imperfekt, während Bovero, das Präteritum lieber mit dem „Passato remoto“ wiedergibt.
Beide Verbformen drücken eine Aktion aus, die sich in der Vergangenheit abspielt, und sind
somit die gebräuchlichsten Verbformen, die in Märchen vorkommen.
• Italienisch ist eine Nullsubjekt-Sprache, d.h. das pronominale Subjekt muss nicht
obligatorisch verwendet werden.
• Im Italienischen gibt es keine Kasusformen, während das Deutsche vier Kasus unterscheidet,
die auch durch die Artikel wiedergegeben werden.
• Im Italienischen gibt es keine trennbaren Verben (z.B. etwas abbrechen – es bricht ab, etwas
eintauschen – er tauscht etwas ein etc.).
5. Ausgewählte Grimm‘sche Märchen und ihre Übersetzung
1
Siehe hierzu Kapitel 5.2.2
15. 11
Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm veröffentlichten ihre Sammlung von Volksmärchen dreimal
zwischen 1812 und 1858. Die Märchen der Gebrüder Grimm werden auch „Kinder- und
Hausmärchen“ genannt und mit „KHM“ abgekürzt. Diese Sammlung hat zwei zentrale Ziele:
Erstens, zu erziehen und zweitens, einen Text unter besonderer Berücksichtigung der deutschen
Sprachstruktur zu verfassen.
Die Gebrüder Grimm betrachteten nämlich ihre Sammlung als ein Erziehungsbuch (Kirkness A.,
Kühn P., Wiegand H., 1991: 1618), gleichzeitig aber verfolgten sie auch ein linguistisches Interesse.
Dieses bestand einerseits darin, in ihrem Werk die Vielfältigkeit der deutschen Dialekte abzubilden -
d.h. die Märchen wurden in der ursprünglichen dialektalen Varietät abgedruckt - andererseits aber
beabsichtigten sie – ganz im Sinne der nationalstaatlichen Bewegungen, die im 19. Jahrhundert sehr
stark waren – zur Bildung einer einheitlichen deutschen Sprache beizutragen. Jacob Grimm schrieb
dazu in seiner Akademie-Schrift Über den Ursprung der Sprache: „Die Sprache bildet Völker und
hält sie zusammen, ohne ein solches Band würden sie sich versprengen."(Grimm 1858: 30). Da
Deutschland sich aber erst 1871 seine Nationalstaatlichkeit erkämpfte (was eine wichtige
Voraussetzung für die Einführung und Durchsetzung einer einheitlichen Sprache gewesen wäre)
und zur damaligen Zeit das Land in mehrere Fürstentümer aufgeteilt war, fokussierten die Brüder
Grimm ihre Anstrengungen dahingehend, durch linguistische und philologische Forschungsansätze
eine gemeinsame nationale Literatur zu fördern.
Für diese Untersuchung wurden zwei Märchen aus dem Band „Kinder- und Hausmärchen
ausgewählt. Diese zwei Märchen wurden wiederum auf zwei spezifische Kriterien hin überprüft.
Das erste ist ein pädagogisches Kriterium, welches darauf abzielt, zu untersuchen, in welchen
Märchen eine drastische Darstellung von Gut und Böse vorhanden ist. Vor diesem Hintergrund gibt
es eine gewisse Polarisierung die zwischen einem totalen Sieg des Guten und einer totalen
Niederlage des Bösen zu finden ist2
. Fraglich ist ebenso, ob kleine Kinder nicht in Angst versetzt
werden, wenn der Wolf mit Wackersteinen im Bauch im Brunnen ersäuft und Aschenputtels
Stiefmutter in glühenden Schuhen tanzen muss, bis sie tot umfällt.
Das zweite Kriterium ist ein sprachliches: Dabei wird näher auf die sprachlichen Unterschiede in
den beiden übersetzten Versionen der Märchen eingegangen.
5.1. Die Übersetzer
Für die Übersetzungsanalyse wurden zwei Werke der folgenden italienischen Übersetzter
ausgewählt:
5.1.1. Antonio Gramsci
Antonio Gramsci war ein italienischer Politiker, Schriftsteller und Philosoph. Er wurde am
22. Januar 1891 in Ales, Sardinien geboren und starb mit 46 Jahren am 27. April 1937 in Rom. Er
hat, offenbar während der Gefängnishaft Märchen und Fabeln zusammengetragen, darunter einige
2
In ein - und demselben Märchen gibt es verschiedene Arten von Polarisierung. Durch die Polarisierung lernt das Kind
früh, Gut und Böse zu unterscheiden (vgl. URL: cdn.wehrfritz, 2010).
16. 12
Märchen der Gebrüder Grimm und Legenden aus Italien. In seiner Arbeit „I racconti die fratelli
Grimm. "Le traduzioni originali dai Quaderni del carcere“ hat er 24 Märchen übersetzt. Wie es dazu
kam, hat Gramsci in einem Brief an seine Schwester Teresina erläutert. In seinen Übersetzungen
schwankte er zwischen einer wortgetreuer Übertragung und dem Versuch, einzelne Passagen
umzuschreiben. Antonio Gramsci hat in seinem Werk nicht alle grimmschen Märchen übersetzt,
sondern ausschließlich diejenigen ausgewählt, die ein Happy End beinhalten. Der Zweck seines
Werkes ist zu zeigen, dass die Güte am Ende triumphiert. Antonio Gramsci wollte nicht nur die
Märchen der Grimms übersetzen sonder auch Teile davon verändern um eine optimale Erziehung
der Kinder zu ermöglichen. Tatsächlich machte er sich Sorgen darum, welche Message die Kinder
während der Lektüre verstehen würden. Gramsci glaubte, dass Kinder als politische Opfer
anzusehen sind. Aus diesem Grund wollte er durch seine Übersetzungen den Kindern die Bedeutung
von Freiheit und Gleichheit näherbringen (Borghese L. 2011: 7-31).
5.1.2. Clara Bovero
Die Arbeit der Übersetzerin Clara Bovero wurde mehrmals von verschiedenen Schriftstellern
kommentiert. Italo Calvino (vgl. Cocchiara 2013: 1519) verglich die Art und Weise, wie Clara
Bovero die Grimm’schen Märchen übersetzte, mit einer Form von Kunst. Clara Bovero ist eine
Übersetzerin, die die verschiedenen Register des einfachen Volkes unaufgefordert und deutlich
nutzt. Sie kann Märchen und Kinderreime solch einzigartiger Art und Weise übersetzen, dass der
Eindruck erweckt wird, die Geschichten seien in italienischer Sprache verfasst worden und nicht
vom Deutschen ins Italienische übertragen worden. Sogar Dialekte und Kinderreime überführt sie
ohne Probleme in die italienische Sprache.
Auch Giuseppe Cocchiara, ein italienischer Anthropologe, bestätigt im Vorwort des Buches Fiabe,
dass sich Clara Bovero, bei der Übersetzung der deutschen Märchen, der damit verbundenen
Schwierigkeiten bewusst war und durch dieses Wissen nicht nur die linguistischen Aspekte sondern
auch den Geist der Originalversion weitergeben konnte (vgl. Cocchiara 1951: 25)
5.2. Kommentar zu den Übersetzungen
5.2.1. Rotkäppchen
Zuerst werden die Hauptunterschiede zwischen dem deutschsprachigen Märchen „Rotkäppchen“
und den beiden italienische Übersetzungen „Cappuccetto Rosso“ analysiert.
• Gramsci hat in seiner Übersetzung eine besondere Wortwahl getroffen. Er hat manche
Begriffe, die umgangssprachlich geläufiger sind, verwendet und dadurch die Ausdrücke des
Originals ersetzt. Hierzu ein kurzes Beispiel:
„Té, Cappuccetto rosso, eccoti un pezzo di
focaccia.“
„Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück
Kuchen…“
17. 13
(Antonio Gramsci,Cappuccetto Rosso, 1935) (Grimm, Rotkäppchen, 1857)
„Té“ ist eine umgangssprachlich-dialektale Form von „tieni“, was so viel wie „Da hast du“
oder „Nimm´s“ bedeutet. „Komm“ hingegen gilt als allgemeiner Zuruf.
Das Wort „focaccia“ kann ins Deutsche am ehesten mit „Fladen“ übersetzt werden.
Man erkennt an diesen Beispielen deutlich, dass die ursprünglichen ausgangssprachlichen
Termini durch gebräuchlichere ersetzt wurden.
• Das Italienische kennt keine Adverb-Partikel-Unterscheidung wie das Deutsche. Stattdessen
erfolgt die Wiedergabe von Partikeln mit „Modalfunktion“ oder mit „Gliederungsfunktion“
mittels der Intonation (vgl. Helling 1983: 20):
„Cappuccetto Rosso guarda dunque i bei fiori“
(Antonio Gramschi, Cappuccetto Rosso, 1935)
„Rotkäppchen sieh einmal die schöne Blume“
(Grimm, Rotkäppchen, 1857)
Das deutsche Wort „einmal“ entspricht dem italienischen Adverb „una volta“. „Dunque“
hingegen heißt auf Deutsch „folglich“ oder „also“.
5.2.2. Aschenputtel
• In der italienischen Version von Clara Bovero wird die Rolle der Ehefrau durch die
Anfangsstellung hervorgehoben:
„La moglie di un ricco signore si ammalò...“
(Clara Bovero, Cenerentola,1951)
„Einem reichen Manne, dem wurde seine Frau
krank“
(Grimm, Aschenputtel, 1857)
• Wie bereits erwähnt, ist auch die Wortwahl sehr wichtig. Ein Wort kann verschiede
Zusatzbedeutungen ausdrücken. Ein gutes Beispiel ist das Wort „Capezzale“ (Clara Bovero,
Fiabe) statt „Ans Bett“, was eher dem deutschen Begriff Sterbebett übersetzt entspricht.
• Gramsci verändert die formelhaften Redewendungen, wobei diese Veränderung in erster
Linie aus stilistischen und kulturellen Gründen erfolgt.
„Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all
ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und
„O dolci colombe, o tortorelle, e voi tutti
uccellini del cielo, venite e aiutatemi a mondare
18. 14
helft mir lesen:
Die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen3
“
(Grimm, Aschenputtel, 1857)
le lenticchie,
la buona in cucina, le cattive nel salotto„
(Antonio Gramschi, Cenerentola,1935)
Der in der deutschen Fassung enthaltene Reim ist in der italienischen Übersetzung Gramscis
verständlicherweise nicht mehr vorhanden, da die auslautenden Silben der übersetzten Wörter in der
Zielsprache verschieden sind und sich nicht reimen. Dennoch schafft er eine groteske Passage:
anstatt die deutschen Wörter „Töpfchen“ und „Kröpfchen“ zu verwenden, entscheidet er sich für
„Küche“ und „Wohnzimmer“, so dass die Vögel nicht einmal die schlechten Linsen fressen dürfen,
sondern leer ausgehen. Damit deutet er indirekt an, dass die Arbeit in einem ökonomischen System
nur wenig bis gar nicht lohnend für die tätigen Arbeiter ist (vgl. Wörsdörfer, 2012).
• Es gibt eine kleine Ergänzung in Boveros Übersetzung:
„E pensava << Non ci riuscirà mai>>“ „Das wird sie niemals schaffen. “
Dadurch wird die unrealisierbare Aufgabe, die Aschenputtel tun sollte, stärker betont.
• Wie schon zuvor erwähnt, ist es für italienische Muttersprachler ungewöhnlich, dass eine
Frau bis zum Ende der Geschichte immer mit dem Genus Neutrum bezeichnet wird.
z.B. „Einziges Töchterlein, liebes Kind“ oder auch der Vater antwortet dem Prinz am Ende „Nein,
[…] nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines verbuttetes Aschenputtel da...“
Im Italienischen gibt es kein Neutrum, deshalb muss man das Femininum verwenden.
Durch diese Änderung wird Aschenputtel nicht mehr als ein Objekt (aus Sicht der Stiefmutter und
der Stiefschwestern) sondern als ein reales Mädchen präsentiert.
• Schöpferisch umdeutend verfahren Gramsci und Bovero bei der Übersetzung der
Verwandtschaftsbeziehung: Aschenputtels Peinigerinnen werden als „Stieftöchter“ im
väterlichen Haus bezeichnet, nicht jedoch als „Stiefschwestern“ des unglücklichen
Mädchens.
„ Er kaufte nun für die beiden Stiefschwestern
schöne Kleider...“
(Grimm, Aschenputtel, 1857)
„Egli comprò per le due figliastre bei vestiti“
(Antonio Gramschi,Cenerentola, 1935)
3
Kröpfchen steht für den Kropf von Vögeln. Clara Bovero übersetzt Kröpfchen mit “gozzino” (vgl. Bovero, 1951: 228)
19. 15
Durch diese Übersetzung gibt es keine direkte Beziehung mehr zwischen den Schwestern und
Aschenputtel, außer durch die Figur des Vaters.
• Auch die Modalverben werden von beiden Übersetzern unterschiedlich wiedergegeben:
„ Es trug sich zu, dass der Vater einmal in die
Messe ziehen wollte“
(Grimm, Aschenputtel, 1857)
„Accadde che una volta il padre dovesse andare alla
fiera“
(Antonio Gramschi,Cenerentola,1935)
„Una volta il padre, prima di andare alla fiera”
(Clara Bovero, Cenerentola, 1951)
Clara Bovero verzichtet gänzlich auf die Übertragung des Modalverbs.
In einer anderen Passage findet man dasselbe Problem bei der Übersetzung:
“ Questa stupida ochetta vuole stare con noi nel
salotto”
(Antonio Gramsci,Cenerentola, 1935)
“ Soll die dumme Gans bei uns in der Stube
sitzen?”
(Grimm, Aschenputel, 1857)
Hier wurde auch die Satzart verändert. Im Original kommt ein Interrogativsatz vor (in Wirklichkeit
handelt es sich um eine rhetorische Frage), in Gramscis Übersetzung finden wir dagegen einen
Affirmativsatz.
• Es gibt ein klares Beispiel einer ganzen Löschung:
„Egli comprò per le due figliastre bei vestiti, perle
e gemme..“
(Antonio Gramsci,Cenerentola,1935)
„Als er nach Haus kam, gab er den
Stieftöchtern, was sie sich gewünscht hatten..“
(Grimm, Aschenputtel, 1857)
Das zeigt, dass Kleider und Schmuck als Wunschobjekten von Gramsci abgelehnt werden. Der
einzige echte Wunsch wird formuliert, als Aschenputtel die Vögel um etwas bittet („und wenn es
einen Wunsch aussprach, so warf ihm das Vöglein herab, was es sich gewünscht hatte.“).
Möglicherweise hat Gramsci gemeint, dass Aschenputtel die einzige ist, die einen berechtigten
Wunsch hat (Borghese 2011: 16).
„Er wollte sehen, wem das schöne Mädchen
angehörte“
(Grimm, Aschenputtel, 1857)
„Voleva vedere di chi fosse figlia“
(Antonio Gramsci,Cenerentola,1935)
„Voleva vedere da dove venisse “
(Clara Bovero, Cenerentola, 1951)
Gramscis und Boveros Übersetzungen sind leicht unterschiedlich. Für Gramsci ist das väterliche
Haus für die Identität des „schönen Mädchens“ maßgebend, während in der Übersetzung Boveros
20. 16
des Aschenputtels familiäre Verhältnisse eine sekundäre Rolle spielen und der Prinz einfach wissen
möchte, woher Aschenputtel kommt.
„ Ging er damit zu dem Mann“
(Grimm, Aschenputtel,1857)
„Egli si recò dal padre di Cenerentola“
(Clara Bovero, Cenerentola, 1951)
Mit diesem Satz beginnt das Märchen. Der Vater von Aschenputtel hat keinen Namen und wird am
Anfang als „ einem reichen Manne“ bezeichnet. Clara Bovero zieht es vor, seine väterliche
Beziehung zu Aschenputtel hervorzuheben:
6. Konklusion
Das Ziel dieser Arbeit war es, zu verstehen, was die Rolle eines Übersetzers von Märchen ist und
worin seine Arbeit besteht. Vor allem war es wichtig, die Bedeutung und die Relevanz der Märchen
zu erklären, sowie auch die Wichtigkeit einer getreuen Übersetzung für die Kinder. Nach diesen
Beobachtungen wurden die Problemen und Lösungen der Übersetzung durch zwei Modelle
bestimmt. Die Untersuchung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die übersetzten Märchen
sind nicht immer getreue Abbilder der Märchen in der Ursprungssprache sondern können kulturelle,
stilistische und sprachliche Unterschiede aufweisen. In der Tat, haben die Unterschiede bei den zwei
ausgewählten übersetzen Märchen „Aschenputtel“ und „Rotkäppchen“ das Interesse von
zahlreichen Wissenschaftlern geweckt. Durch den Vergleich zwischen den deutschen Märchen und
ihren italienischen Übersetzungen ist es möglich festzustellen, dass die Übersetzungen nicht in
einem willkürlichen Gegensatz zur Originalversion stehen, vielmehr haben sie notgedrungen
manche Adaptationen (ob auf syntaktischem oder inhaltlichem Niveau) durchgeführt. Diese
Adaptationen sind durchaus nicht zu kritisieren, vielmehr muss man sie verstehen. Es ist
festzustellen, dass Märchen schwierig zu übersetzende Texte sind. Abgesehen davon lässt sich aber
auch demonstrieren, dass eine gute Übersetzung von Märchen möglich ist.
7. Bibliographie
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8. Anhang
8.1. Aschenputtel ( 1837)
Einem reichen Manne, dem wurde seine Frau krank, und als sie fühlte, daß ihr Ende herankam, rief sie ihr einziges Töchterlein zu
sich ans Bett und sprach: »Liebes Kind, bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen, und ich will vom Himmel
auf dich herabblicken und will um dich sein.« Darauf tat sie die Augen zu und verschied. Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zu dem
Grabe der Mutter und weinte und blieb fromm und gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein auf das Grab,
und als die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.
Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die schön und weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von
Herzen. Da ging eine schlimme Zeit für das arme Stiefkind an. »Soll die dumme Gans bei uns in der Stube sitzen!« sprachen sie.
»Wer Brot essen will, muß es verdienen: hinaus mit der Küchenmagd.« Sie nahmen ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen
grauen alten Kittel an und gaben ihm hölzerne Schuhe. »Seht einmal die stolze Prinzessin, wie sie geputzt ist!« riefen sie, lachten und
führten es in die Küche. Da mußte es von Morgen bis Abend schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehn, Wasser tragen, Feuer
anmachen, kochen und waschen. Obendrein taten ihm die Schwestern alles ersinnliche Herzeleid an, verspotteten es und schütteten
ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so daß es sitzen und sie wieder auslesen mußte. Abends, wenn es sich müde gearbeitet hatte,
kam es in kein Bett, sondern mußte sich neben den Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und schmutzig aussah,
nannten sie esAschenputtel.
Es trug sich zu, daß der Vater einmal in die Messe ziehen wollte, da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen mitbringen
sollte. »Schöne Kleider«, sagte die eine, »Perlen und Edelsteine« die zweite. »Aber du, Aschenputtel«, sprach er »was willst du
23. 19
haben?« »Vater, das erste Reis, das Euch auf Eurem Heimweg an den Hut stößt, das brecht für mich ab.« Er kaufte nun für die beiden
Stiefschwestern schöne Kleider, Perlen und Edelsteine, und auf dem Rückweg, als er durch einen grünen Busch ritt, streifte ihn ein
Haselreis und stieß ihm den Hut ab. Da brach er das Reis ab und nahm es mit. Als er nach Haus kam, gab er den Stieftöchtern, was
sie sich gewünscht hatten, und dem Aschenputtel gab er das Reis von dem Haselbusch. Aschenputtel dankte ihm, ging zu seiner
Mutter Grab und pflanzte das Reis darauf und weinte so sehr, daß die Tränen darauf niederfielen und es begossen. Es wuchs aber und
ward ein schöner Baum. Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter, weinte und betete, und allemal kam ein weißes Vöglein auf
den Baum, und wenn es einen Wunsch aussprach, so warf ihm das Vöglein herab, was es sich gewünscht hatte. Es begab sich aber,
daß der König ein Fest anstellte, das drei Tage dauern sollte und wozu alle schönen Jungfrauen im Lande eingeladen wurden, damit
sich sein Sohn eine Braut aussuchen möchte. Die zwei Stiefschwestern, als sie hörten, daß sie auch dabei erscheinen sollten, waren
guter Dinge, riefen Aschenputtel und sprachen: »Kämm uns die Haare, bürste uns die Schuhe und mache uns die Schnallen fest, wir
gehen zur Hochzeit, auf des Königs Schloß.« Aschenputtel gehorchte, weinte aber, weil es auch gern zum Tanz mitgegangen wäre,
und bat die Stiefmutter, sie möchte es ihm erlauben. »Du, Aschenputtel«, sprach sie, »bist voll Staub und Schmutz und willst zur
Hochzeit? Du hast keine Kleider und Schuhe und willst tanzen!« Als es aber mit Bitten anhielt, sprach sie endlich: »Da habe ich dir
eine Schüssel Linsen in die Asche geschüttet, wenn du die Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du mitgehen.«
Das Mädchen ging durch die Hintertüre nach dem Garten und rief: »Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter
dem Himmel, kommt und helft mir lesen,
die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen.«
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und
schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit den
Köpfchen und fingen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick, pick, pick, pick und lasen alle guten Körnlein
in die Schüssel. Kaum war eine Stunde herum, so waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da brachte das Mädchen die
Schüssel der Stiefmutter, freute sich und glaubte, es dürfte nun mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: »Nein, Aschenputtel, du
hast keine Kleider und kannst nicht tanzen: du wirst nur ausgelacht.« Als es nun weinte, sprach sie: »Wenn du mir zwei Schüsseln
voll Linsen in einer Stunde aus der Asche rein lesen kannst, so sollst du mitgehen«, und dachte: »Das kann es ja nimmermehr.« Als
sie die zwei Schüsseln Linsen in die Asche geschüttet hatte, ging das Mädchen durch die Hintertüre nach dem Garten und rief: »Ihr
zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,
die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen.«
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und
schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit ihren
Köpfchen und fingen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick, pick, pick, pick und lasen alle guten Körner in
die Schüsseln. Und eh eine halbe Stunde herum war, waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da trug das Mädchen die
Schüsseln zu der Stiefmutter, freute sich und glaubte, nun dürfte es mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: »Es hilft dir alles
nichts: du kommst nicht mit, denn du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen; wir müßten uns deiner schämen.« Darauf kehrte sie
ihm den Rücken zu und eilte mit ihren zwei stolzen Töchtern fort.
Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief:
»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich.«
Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln. In aller Eile zog es
das Kleid an und ging zur Hochzeit. Seine Schwestern aber und die Stiefmutter kannten es nicht und meinten, es müßte eine fremde
Königstochter sein, so schön sah es in dem goldenen Kleide aus. An Aschenputtel dachten sie gar nicht und dachten, es säße daheim
im Schmutz und suchte die Linsen aus der Asche. Der Königssohn kam ihm entgegen, nahm es bei der Hand und tanzte mit ihm. Er
24. 20
wollte auch mit sonst niemand tanzen, also daß er ihm die Hand nicht losließ, und wenn ein anderer kam, es aufzufordern, sprach er:
»Das ist meine Tänzerin.«
Es tanzte, bis es Abend war, da wollte es nach Haus gehen. Der Königssohn aber sprach: »Ich gehe mit und begleite dich«, denn er
wollte sehen, wem das schöne Mädchen angehörte. Sie entwischte ihm aber und sprang in das Taubenhaus. Nun wartete der
Königssohn, bis der Vater kam, und sagte ihm, das fremde Mädchen wär' in das Taubenhaus gesprungen. Der Alte dachte: »Sollte es
Aschenputtel sein«, und sie mußten ihm Axt und Hacken bringen, damit er das Taubenhaus entzweischlagen konnte; aber es war
niemand darin. Und als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche, und ein trübes
Öllämpchen brannte im Schornstein; denn Aschenputtel war geschwind aus dem Taubenhaus hinten herabgesprungen und war zu
dem Haselbäumchen gelaufen: da hatte es die schönen Kleider abgezogen und aufs Grab gelegt, und der Vogel hatte sie wieder
weggenommen, und dann hatte es sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche gesetzt.
Am andern Tag, als das Fest von neuem anhub und die Eltern und Stiefschwestern wieder fort waren, ging Aschenputtel zu dem
Haselbaum und sprach:
»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich
wirf Gold und Silber über mich.«
Da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab als am vorigen Tag. Und als es mit diesem Kleide auf der Hochzeit erschien,
erstaunte jedermann über seine Schönheit. Der Königssohn aber hatte gewartet, bis es kam, nahm es gleich bei der Hand und tanzte
nur allein mit ihm. Wenn die andern kamen und es aufforderten, sprach er: »Das ist meine Tänzerin.« Als es nun Abend war, wollte
es fort, und der Königssohn ging ihm nach und wollte sehen, in welches Haus es ging: aber es sprang ihm fort und in den Garten
hinter dem Haus. Darin stand ein schöner großer Baum, an dem die herrlichsten Birnen hingen, es kletterte so behend wie ein
Eichhörnchen zwischen die Äste, und der Königssohn wußte nicht, wo es hingekommen war. Er wartete aber, bis der Vater kam, und
sprach zu ihm: »Das fremde Mädchen ist mir entwischt, und ich glaube, es ist auf den Birnbaum gesprungen.« Der Vater dachte:
»Sollte es Aschenputtel sein«, ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um, aber es war niemand darauf. Und als sie in die Küche
kamen, lag Aschenputtel da in der Asche, wie sonst auch, denn es war auf der andern Seite vom Baum herabgesprungen, hatte dem
Vogel auf dem Haselbäumchen die schönen Kleider wieder gebracht und sein graues Kittelchen angezogen.
Am dritten Tag, als die Eltern und Schwestern fort waren, ging Aschenputtel wieder zu seiner Mutter Grab und sprach zu dem
Bäumchen:
»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich.«
Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so prächtig und glänzend, wie es noch keins gehabt hatte, und die Pantoffeln
waren ganz golden. Als es in dem Kleid zu der Hochzeit kam, wußten sie alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Der
Königssohn tanzte ganz allein mit ihm, und wenn es einer aufforderte, sprach er: »Das ist meine Tänzerin.«
Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort, und der Königssohn wollte es begleiten, aber es entsprang ihm so geschwind, daß
er nicht folgen konnte. Der Königssohn hatte aber eine List gebraucht und hatte die ganze Treppe mit Pech bestreichen lassen: da
war, als es hinabsprang, der linke Pantoffel des Mädchens hängengeblieben. Der Königssohn hob ihn auf, und er war klein und
zierlich und ganz golden. Am nächsten Morgen ging er damit zu dem Mann und sagte zu ihm: »Keine andere soll meine Gemahlin
werden als die, an deren Fuß dieser goldene Schuh paßt.« Da freuten sich die beiden Schwestern, denn sie hatten schöne Füße. Die
Älteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren, und die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen
Zehe nicht hineinkommen, und der Schuh war ihr zu klein, da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: »Hau die Zehe ab: wann
du Königin bist, so brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.« Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiß
den Schmerz und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Sie mußten aber an
dem Grabe vorbei, da saßen die zwei Täubchen auf dem Haselbäumchen und riefen:
»Rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck:
25. 21
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.«
Da blickte er auf ihren Fuß und sah, wie das Blut herausquoll. Er wendete sein Pferd um, brachte die falsche Braut wieder nach
Haus und sagte, das wäre nicht die rechte, die andere Schwester sollte den Schuh anziehen. Da ging diese in die Kammer und kam
mit den Zehen glücklich in den Schuh, aber die Ferse war zu groß. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: »Hau ein Stück
von der Ferse ab: wann du Königin bist, brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.« Das Mädchen hieb ein Stück von der Ferse ab,
zwängte den Fuß in den Schuh, verbiß den Schmerz und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und
ritt mit ihr fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, saßen die zwei Täubchen darauf und riefen:
»Rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck:
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.
Er blickte nieder auf ihren Fuß und sah, wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz rot heraufgestiegen
war. Da wendete er sein Pferd und brachte die falsche Braut wieder nach Haus. »Das ist auch nicht die rechte«, sprach er, »habt Ihr
keine andere Tochter?« »Nein«, sagte der Mann, »nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines verbuttetes Aschenputtel da:
das kann unmöglich die Braut sein.« Der Königssohn sprach, er sollte es heraufschicken, die Mutter aber antwortete: »Ach nein, das
ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.« Er wollte es aber durchaus haben, und Aschenputtel mußte gerufen werden.
Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, ging dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen Schuh
reichte. Dann setzte es sich auf einen Schemel, zog den Fuß aus dem schweren Holzschuh und steckte ihn in den Pantoffel, der war
wie angegossen. Und als es sich in die Höhe richtete und der König ihm ins Gesicht sah, so erkannte er das schöne Mädchen, das mit
ihm getanzt hatte, und rief: »Das ist die rechte Braut!« Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschraken und wurden bleich vor
Ärger: er aber nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, riefen die zwei
weißen Täubchen:
»Rucke di guck, rucke di guck,
kein Blut im Schuck:
der Schuck ist nicht zu klein,
die rechte Braut, die führt er heim.«
Und als sie das gerufen hatten, kamen sie beide herabgeflogen und setzten sich dem Aschenputtel auf die Schultern, eine rechts,
die andere links, und blieben da sitzen.
Als die Hochzeit mit dem Königssohn sollte gehalten werden, kamen die falschen Schwestern, wollten sich einschmeicheln und
teil an seinem Glück nehmen. Als die Brautleute nun zur Kirche gingen, war die Älteste zur rechten, die Jüngste zur linken Seite: da
pickten die Tauben einer jeden das eine Auge aus. Hernach, als sie herausgingen, war die Älteste zur linken und die Jüngste zur
rechten: da pickten die Tauben einer jeden das andere Auge aus. Und waren sie also für ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf
ihr Lebtag gestraft.
8.2. Rotkäppchen (1837)
Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter,
die wußte gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rotem Sammet, und
weil ihm das so wohl stand und es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen. Eines Tages sprach seine
Mutter zu ihm: »Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Großmutter
hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daran laben. Mach dich auf, bevor es heiß wird, und wenn du
hinauskommst, so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas, und die
Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiß nicht, guten Morgen zu sagen, und guck nicht erst in
alle Ecken herum.«
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»Ich will schon alles gut machen«, sagte Rotkäppchen zur Mutter und gab ihr die Hand darauf. Die Großmutter aber
wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf.
Rotkäppchen aber wußte nicht, was das für ein böses Tier war, und fürchtete sich nicht vor ihm. »Guten Tag,
Rotkäppchen«, sprach er. »Schönen Dank, Wolf.« »Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?« »Zur Großmutter.« »Was trägst du
unter der Schürze?« »Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke und schwache Großmutter
etwas zugut tun und sich damit stärken.« »Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?« »Noch eine gute Viertelstunde
weiter im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nußhecken, das wirst du ja wissen«,
sagte Rotkäppchen. Der Wolf dachte bei sich: »Das junge zarte Ding, das ist ein fetter Bissen, der wird noch besser
schmecken als die Alte: du mußt es listig anfangen, damit du beide erschnappst.« Da ging er ein Weilchen neben
Rotkäppchen her, dann sprach er: »Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die ringsumher stehen, warum guckst
du dich nicht um? Ich glaube, du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin, als wenn du
zur Schule gingst, und ist so lustig hausen in dem Wald.«
Rotkäppchen schlug die Augen auf, und als es sah, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten und alles
voll schöner Blumen stand, dachte es: »Wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird ihr auch Freude
machen; es ist so früh am Tag, daß ich doch zu rechter Zeit ankomme«, lief vom Wege ab in den Wald hinein und suchte
Blumen. Und wenn es eine gebrochen hatte, meinte es, weiter hinaus stände eine schönere, und lief darnach, und geriet
immer tiefer in den Wald hinein. Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem Haus der Großmutter und klopfte an die Türe.
»Wer ist draußen?« »Rotkäppchen, das bringt Kuchen und Wein, mach auf.« »Drück nur auf die Klinke«, rief die
Großmutter, »ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen. « Der Wolf drückte auf die Klinke, die Türe sprang auf, und er
ging, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann tat er ihre Kleider an, setzte
ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor.
Rotkäppchen aber war nach den Blumen herumgelaufen, und als es so viel zusammen hatte, daß es keine mehr tragen
konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich, daß die Türe
aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, daß es dachte: »Ei, du mein Gott, wie ängstlich
wird mir's heute zumut, und bin sonst so gerne bei der Großmutter!« Es rief »Guten Morgen«, bekam aber keine Antwort.
Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück: da lag die Großmutter und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt
und sah so wunderlich aus. »Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!« »Daß ich dich besser hören kann.« »Ei,
Großmutter, was hast du für große Augen!« »Daß ich dich besser sehen kann.« »Ei, Großmutter, was hast du für große
Hände« »Daß ich dich besser packen kann.« »Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!« »Daß ich
dich besser fressen kann.« Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme
Rotkäppchen.
Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an, überlaut zu schnarchen. Der
Jäger ging eben an dem Haus vorbei und dachte: »Wie die alte Frau schnarcht, du mußt doch sehen, ob ihr etwas fehlt.« Da
trat er in die Stube, und wie er vor das Bette kam, so sah er, daß der Wolf darin lag. »Finde ich dich hier, du alter Sünder«,
sagte er, »ich habe dich lange gesucht. « Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein, der Wolf könnte die
Großmutter gefressen haben und sie wäre noch zu retten: schoß nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem
schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rote Käppchen leuchten,
und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen heraus und rief: »Ach, wie war ich erschrocken, wie war's so dunkel in
dem Wolf seinem Leib!« Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen.
Rotkäppchen aber holte geschwind große Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib, und wie er aufwachte, wollte er
fortspringen, aber die Steine waren so schwer, daß er gleich niedersank und sich totfiel.
Da waren alle drei vergnügt; der Jäger zog dem Wolf den Pelz ab und ging damit heim, die Großmutter aß den Kuchen und
trank den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder, Rotkäppchen aber dachte: »Du willst dein
Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen, wenn dir's die Mutter verboten hat.
9. Riassunto
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Questo lavoro si prefigge lo scopo di dimostrare quali sono le difficoltà che un traduttore riscontra
confrontandosi con la traduzione di un testo per bambini e più precisamente di una fiaba. L
´obiettivo di questa ricerca viene perseguito prima attraverso una riflessione teorica ed in seguito
per mezzo di un´analisi comparata. Prima di tutto bisogna chiarire il concetto di “Märchen”: la
parola “Märchen” deriva dalla forma diminutiva del sostantivo medio-alto-tedesco Mär, che
significava originariamente notizia e annuncio. In seguito il significato subirà una variazione, con i
“Märchen” si designeranno brevi composizioni costituite da elementi stupefacenti e fantastici.
Alcuni tratti distintivi ci permettono chiaramente di distinguere i “Volksmärchen”, oggetto di quest
´analisi. Basti pensare al loro carattere indefinito di spazio e tempo o alle tematiche che si ripetono,
quasi fossero degli stereotipi, ne sono un esempio la solitudine dell´eroe a inizio della fiaba o all
´utilizzo di nomi parlanti (Cenerentola, Cappuccetto rosso etc.). Eppure oltre a questi tratti
fiabeschi, cosa hanno veramente i “Märchen” d´interessante? I “Märchen”, e in generale ogni testo
fiabesco scritto appositamente per un pubblico infantile, hanno una rilevante importanza culturale e
pedagogica. Bisogna tenere a mente che la pubertà è per l´uomo la fase di vita in cui si ci pongono
più domande, alle quali si può trovare una risposta attraverso la lettura di fiabe. Del resto la fantasia
è un´allegoria della realtà attraverso la quale vengono spiegati i diversi aspetti della vita. Einstein,
in una conferenza tenutasi nel 1932 in America, afferma che l´intelligenza di un bambino è
proporzionale al numero di fiabe che gli sono state lette. Proprio per l´importanza che le fiabe
hanno nella nostra società, il traduttore acquista un´ importanza pari a quella dell´autore. Uno dei
primi problemi con cui il traduttore deve scontrarsi è la scelta di contenuti da trasferire dalla
versione originale a quella tradotta, non sempre infatti si possono riportare tutti i contenuti di una
fiaba in un´altra lingua, o perché non adatti alla sfera culturale dei destinatari o perché non adatti a
un pubblico infantile (basti pensare ai contenuti delle prime versioni dei fratelli Grimm). Molti
studiosi hanno evidenziato il messaggio che potrebbe essere trasmesso al bambino; Bruno
Bettelheim, per esmpio, si chiede se la morte degli antagonisti debba essere in qualche modo vista
come una punizione per le loro cattive azioni. Emerge anche qui l´esigenza di avere una buona
traduzione. Il testo in lingua originale preso in considerazione per questa ricerca è “Kinder- und
Hausmärchen” dei fratelli Grimm nella sua quinta edizione. Come è ben noto, il lavoro dei fratelli
Grimm fu quello di raccogliere alcune favole che rispecchiassero la tradizione popolare tedesca al
fine di riportare in auge lo splendore della Germania e testimoniare la sua storia. I “Märchen”, vista
la grande varietà dello stile e dei contenuti, sono tutt´altro che facili da tradurre. I principali aspetti
sui quali il traduttore deve soffermarsi sono quello culturale, quello linguistico e lo stile. Spesso i
traduttori ricorrono ad adattamenti per rendere più familiari i contenuti nel testo. Katharina Reiße,
che si è occupata di traduzione di testi per bambini, ha elencato una serie di fattori che evidenziano i
problemi a cui il traduttore deve prestare la sua attenzione:
-) l´asimmetria
-) l´importanza dei mediatori
-) l´adattamento
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Il primo fattore riguarda la differenza d´età tra l´autore/traduttore e il piccolo lettore. Il secondo
fattore, da tenere in considerazione è la presenza di persone (tra le quali il traduttore) che devono
mediare per far comprendere al meglio la fiaba al bambino. Ultimo aspetto da tenere presente, è la
necessità di ricorrere ad adattamenti. Göte Klinberg risponde a queste esigenze proponendo un
insieme di soluzioni possibili, tra le quali l´adattamento risulta essere una delle migliori strategie di
traduzione. Per “adattamento”, s´intende non sola la modifica dei contenuti di un testo, ma anche
del suo contesto culturale. Del resto una traduzione ben riuscita non si basa sulla resa parola per
parola ma si focalizza sulla resa dell´intero concetto non sacrificando lo stile del testo originale.
Bisogna inoltre tenere a mente che il confronto linguistico di questo lavoro si basa su due lingue
tipo logicamente diverse e che quindi presentano differenze rilevanti tra di loro. A livello di sintassi
ad esempio, il tedesco presenta più rigore con il verbo delle proposizioni principali tendenzialmente
in seconda posizione e l´obbligo di utilizzare il soggetto pronominale. Altra considerazione
importante riguarda i generi: in italiano il genere neutro è assente, ciò vuol dire che un lettore
italiano si troverà confrontato con il genere neutro in parole che in italiano sono o maschili o
femminili (cfr. p.es. das Kind, das Mädchen) caratterizzati come neutri. L´opera dei fratelli Grimm
è un ottimo spunto per questo confronto linguistico, lo stesso Wilhelm Grimm afferma che è la
lingua ad educare e a tenere unito un popolo. Nella stesura di questa tesi sono state scelte per il
confronto due fiabe: “Aschenputtel” (in lingua italiana “Cenerentola”), e “Rotkäppchen” (in lingua
italiana “Cappuccetto rosso”). Queste due fiabe hanno una certa rilevanza per due motivi: da un
punto di vista pedagogico si tratta di due fiabe in cui il bene sconfigge completamente il male, e da
un punto di vista linguistico presentano interessanti differenze a livello di traduzione. Le traduzioni
italiane prese in considerazione sono quelle scritte da Antonio Gramsci nei “Quaderni del carcere” e
da Clara Bovero in “Fiabe”. Gramsci, politico e scrittore italiano, che si è dedicato anche alla
scrittura di leggende e fiabe, ha più volte affermato che i bambini sono vittime della politica e
perciò si rende necessaria una particolare accuratezza nella scelta delle favole che si vuole loro
leggere. Nelle ventiquattro favole tradotte nella versione gramsciana si nota una certa attenzione nel
tradurre la morale o il messaggio stesso della fiaba. Per quanto riguarda Clara Bovero, le sue
traduzioni sono molto interessanti da un punto di vista linguistico. Molti critici e scrittori, come
Italo Calvino, hanno paragonato i suoi lavori a delle vere e proprie opere d´arte. Notevole la sua
maestria nel riproporre nella versione tradotta i registri popolari in maniera tale da far sembrare al
lettore che quelle favole siano nate proprio in lingua italiana. Le differenze culturali e linguistiche
tra queste versioni hanno risvegliato l´interesse di filosofi, scrittori, antropologi e giornalisti.
Durante l´analisi vera e propria, troviamo delle scelte particolari, come ad esempio la scelta di
tradurre “Kuchen” con “Focaccia” e non piuttosto con “Torta” o comunque con un termine
designante qualche altro alimento da forno. Infatti, “Focaccia” è una parola frequente in area ligure
e toscana ma meno comune nel resto d´Italia. Va sottolineata inoltre la scelta di verbi che a volte
(come avviene nella traduzione del verbo “kommen” in Cappuccetto rosso con “tenere”) donano
una sfumatura stlistica diversa al significato. Entrambe queste modifiche si trovano nelle due
traduzioni italiane. Altri cambiamenti rilevanti sono quelli a livello culturale, come quello che
effettua Gramsci variando i versi originali della filastrocca magica di Cenerentola: Gramsci,
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riferendosi alla selezione delle lenticchie, invece di tradurre letteralmente “le buone nel pentolino”
e “le cattive nel gozzino” preferisce tradurre con “le buone nel salotto” e “le cattive in cucina”.
Compiendo questa scelta Gramsci rimanda alla sfera economica basata sull´agricoltura in Italia all
´inizio del ´900. Antonio Gramsci opta per non ricompensare gli uccellini che aiutano Cenerentola,
esprimendo così metaforicamente, la misera condizione di coloro che lavorano in questo sistema
economico. A questo punto, dopo la discussione di alcuni esempi utilizzabili nella traduzione di testi
per l´infanzia e dopo il confronto diretto tra fiabe appartenenti a due lingue e culture diverse, si può
arrivare a una conclusione. Riuscire a riportare i contenuti dei Märchen in maniera adeguata a un
giovane pubblico, non è un lavoro facile per il traduttore, ma è allo stesso tempo un lavoro che il
rispetto dello stile della versione originale e l´adattamento al contesto culturale del lettore rendono
possibile.