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4. WOCHE: SPURENSUCHE
Spurensuche
In der Archäologie wird zwischen Funden und Befunden unterschieden. Funde beschreiben
alle Gegenstände, die entweder vom Menschen hergestellt oder zumindest verwendet
wurden. Befunde hingegen sind alle Spuren, die im Boden auf menschliche Tätigkeiten
hinweisen.
Das Ziel der Archäologen ist es,alles über die Menschen zu vergangenen Zeiten zu erfahren.
Folglich arbeiten sie mit allem, was auf das Leben, Arbeiten und Sterben hinweist.
Das Spektrum erstreckt sich von Waffen und Knochen über Schmuck und Münzen bis hin zu
Gräbern, Häusern und Mauern. Nicht nur die Art der Funde und Befunde sind relevant, auch
die Herstellungsweise und Materialien geben Aufschluss über die Vergangenheit.
Fundstellengattungen
Je nach Fundstellengattung können unterschiedliche Rückschlüsse auf die Entwicklung der
Menschheit erfolgen. Bestattungen gewähren den Archäologen einerseits einen Einblick in
die Sitten und Gebräuche in Bezug auf das Sterben. Andererseits ist es unter
Berücksichtigung aller Aspekte möglich, Todesursache und -zeitpunkt, mögliche Krankheiten
und kriegerische Aktivitäten zu erkennen. Zudem kann auch die Sozialstruktur einer
Gesellschaft bei Betrachtung eines gesamten Gräberfeldes deutlich werden.
Im Siedlungswesen kann nicht nur Aufschluss über Art und Anzahl der Gebäude gegeben
werden. Die Funde und Befunde erlauben den Archäologen eine Interpretation der
damaligen Lebensumstände - sowohl in Bezug auf das Wohnen und Leben, als auch auf
soziale, wirtschaftliche, kulturelle und infrastrukturelle Aspekte.
Archäologie in Lübeck
Die Archäologie in Lübeck hat eine lange Tradition - nicht zuletzt, da das Gebiet des
Stadthügels vollständig als Grabungsschutzgebiet deklariert ist.
Insbesondere im 19. Jahrhundert begannen zahlreiche Bürger der Stadt, sich mit ihrer
Geschichte auseinander zu setzen. Wie bereits im zweiten Kapitel des HanseMOOCs
berichtet, fällt in diese Zeit unter anderem die erste eingehende Betrachtung Liubices, der
slawischen Vorgängersiedlung des heutigen Lübecks.
Wie in jedem Bereich gibt es auch bezüglich der Bodeneingriffe in Lübeck besondere
Vorschriften: Bei allen Eingriffen, die tiefer als eine Spatenlänge in das Erdreich eindringen,
müssen Archäologen anwesend sein.
Grabung im Gründungsviertel
Die Grabung im Gründungs- bzw. Kaufleuteviertel ist für die Lübecker Archäologen von
besonderer Bedeutung. Einerseits geht man davon aus, dass Lübeck 1143 an dieser Stelle,
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also zwischen St. Marien und dem ehemaligen Hafen gegründet wurde. Andererseits ist
durch die Größe der Grabung – sie umfasst 44 ehemalige Grundstücke –
eine entsprechende Ergebnisvielfalt zu erwarten.
Zu den Befunden zählen Haus- und Gebäudegrundrisse, die sowohl aus der Holz- als auch
aus der Steinbauphase stammen. Letztere ist noch heute im Lübecker Stadtkern an den seit
dem Mittelalter bestehenden Dielenhäusern zu erkennen. Zudem konnten viele Kloaken aus
Holz und Backstein weitere Aufschlüsse über das Bild des mittelalterlichen Alltags
ermöglichen.
Nach Abschluss der Grabung müssen nun die Ergebnisse ausgewertet werden. Nachdem
man davon ausgeht, dass eine parallele slawische Besiedlung auf dem Stadthügel und in
Liubice stattgefunden hat, ist es eventuell nun möglich, dies zu belegen.
Exkurs: Alt-Lübeck (Liubice)
Im Jahr 1843 erhielt der Pastor und damalige Vorsitzende des Vereins für Lübeckische
Geschichte, Karl Martin Joachim Klug,den Auftrag, das sog. „Steinlager“ in Liubice (Alt-
Lübeck) aufzudecken. Was er vorfand, konnte er als Kirchenfundament bestimmen.
Zwischen den Flüssen Schwartau und Trave befindet sich der ehemals slawische
Siedlungsort Alt Lübeck, an der strategisch günstig gelegenen Stelle mit direktem Zugang
zur Ostsee von den Abodriten gegründet.
Nachdem Fürst Gottschalk, der es als Aufgabe ansah, die Slawen zu christianisieren,
während eines Aufstands getötet wurde, ergriff dessen Sohn Heinrich die Macht. Im Laufe
der Zeit entwickelte sich die Siedlung immer weiter, sodass nicht nur die Burg Liubice,
erstmals von dem Chronisten Adam von Bremen erwähnt, zu dem Komplex gehörte. Es
schlossen sich ein Hafen, ein Kloster, eine Kirche sowie zwei Vorsiedlungen an. Die Kirche
geriet während mehrerer Ausgrabungen seit 1852 immer weiter in den Blickpunkt. Bekannt
ist bis heute, dass sie zunächst aus Holz errichtet wurde, später aus Stein. Bereits Pastor
Kluge, der die erste Ausgrabung unternahm, fand sieben Bestattungen innerhalb der
Kirchenmauern vor, die besonders reich ausgestattet waren. Die Funde aus Gold, darunter
Fingerringe, Stirnringe und Fibeln, gaben Anlass zu drei weiteren Ausgrabungen innerhalb
der folgenden 15 Jahre. Problematisch erweist sich hierbei, dass die Ergebnisse nicht
ausreichend dokumentiert wurden.
So sind heute lediglich ausführliche Beschreibungen vorhanden, während die Zeichnungen
kaum als ausreichend gelten können und Fotografien gar nicht vorhanden sind. Bei weiteren
Untersuchungen der Kirche, die ost-westlich ausgerichtet war und ein Innenmaß von 12 auf
7,5 Meter aufwies, wurden drei weitere Bestattungen entdeckt. Insgesamt wird deutlich, dass
die Männer, Frauen und Kinder fast alle innerhalb der Kirche bestattet und reich mit
Beigaben versehen wurden – was Rückschlüsse auf ihrensozialen Stand zulässt. Doch auch
wenn anhand von Schriftquellen und Bodenbefunden eine Rekonstruktion ermöglicht ist, so
ist diese nur im Ansatz durchführbar. Viele Fragen werden nach wie vor unbeantwortet
bleiben, wie etwa die nach dem exakten Aussehen der Kirche.