1. Strategie & innovation → Update Wissenschaft
Web 2.0 im Spiegel der
Marketing-Forschung
Autor: Dr. Markus Pfeiffer
Beitrag als das klassische „Interrupt
Weltweit produziert die Marketing-Wissenschaft and Repeat“-Prinzip der Werbung be-
laufend neue Erkenntnisse. Exklusiv für die Leser zeichnet. Im Internet können aber nur
die Marken Wert schaffen, die ziel-
der absatzwirtschaft screent Vivaldi Partners des- gruppenrelevante Werbeinhalte so in
halb regelmäßig die wichtigsten Publikationen und den Kontext der Mediennutzung integ-
rieren, dass sie einen echten Mehrwert
fasst die Ergebnisse zusammen. Das Thema zum für ihn generieren. Das gilt insbeson-
dere für die „Long tail“-Angebote. Hier
Auftakt: Marketing mit und in Social Communities. sieht Kim eines der größten Defizite
der Werbebranche und vor allem der
Während Schlagworte wie Web 2.0 lives.” Das bedeutet, ohne die vermeint- Agenturen: „Delivering value as part of
bei manchen Unternehmen bereits lich kleinen Nischenprodukte, aber an advertising strategy is not naturally
zum Standardrepertoire gehören und für Nutzer so relevanten Angebote des part of advertiser/agency DNA”. Das
man keine Cocktail-Party bestreiten „Long Tail“ kommt kein Marketer mehr heißt, die Lieferung eines Wertes als
kann, ohne über seinen Twitter-Feed aus, und nicht jedes Unternehmen, jede Teil einer Werbestrategie bildet nicht
zu berichten, hat der Rummel nun Marke wird vom Nutzer dieser Kanäle natürlicherweise auch einen Teil einer
auch die wissenschaftliche Gesellschaft willkommen geheißen. Kontextrele- Anzeigenkunden- beziehungsweise
erreicht. So widmete das renommierte vanz ist die zentrale Anforderung. Agentur-DNA. Ohne Zweifel eine starke
„Journal of Advertising Research“ erst Aussage, aber immerhin doch von ei-
kürzlich eine Sonderausgabe dem The- Fangen wir bei den Verbrauchern an: nem Marketingkollegen, der jedes Jahr
ma „Marketing in the Era of Long-Tail Das Web bietet ihnen Informations-, Budgets in dreistelliger Millionenhöhe
Media“. Inspiriert durch den 2007 er- Kommunikations- und Unterhaltungs- zu vergeben hat.
schienenen Bestseller „The Long Tail“ möglichkeiten, die zu veränderten Er-
des Wired-Magazin-Chefredakteurs wartungen, Einstellungen und Verhal- Werte für Konsumenten entstehen je-
Chris Anderson setzten sich rund ein tensweisen führen. Von Unternehmen doch nicht nur durch die dargebotenen
Dutzend Autoren mit Fragen des ver- und Marken wird heute jedoch mehr als Inhalte per sé, sondern auch dadurch,
änderten Mediennutzungsverhaltens nur Information erwartet. An die Stelle dass sie über die richtigen Kanäle trans-
und den Herausforderungen der „Brave der unidirektionalen Kommunikation portiert werden. Nicht jeder schaut das
New Media World“ für das Marketing an den Kunden tritt der Dialog mit dem gleiche Fernsehprogramm, besucht die
auseinander. Kunden, das Engagement, die Bezie- gleichen Websites oder schreibt in den
Die wichtigste Herausforderung bringt hung und letztlich der Versuch, einen gleichen Blogs. Ganz im Gegenteil: In
der heutige Chief Research Officer der Weg in den digitalen Alltag, den Le- der fragmentierten Medienlandschaft
Advertising Research Foundation, Joel benskontext der Menschen zu bahnen. des „Long tail“ gibt es viele tausend
Rubinson, in seiner Einführung auf den Jedoch sind die meisten Unternehmen Kanäle, die potenziell als Medium
Punkt: „The new marketing approach dieser Herausforderung noch immer relevant sein können. Diese Vielfalt
must be to integrate into both the head nicht gewachsen und hadern mit dem macht es nicht nur der Mediaplanung,
and tail of the media landscape in a way Abschied von dem, was der für das glo- sondern vor allem auch dem Cont-
that makes you a welcomed and contex- bale Digital Advertising bei Microsoft rolling des Kommunikationserfolges
tually relevant companion in people’s verantwortliche Stephen Kim in seinem immer schwerer. Letztlich existiert
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2. Kreative Werbung führt zu positiveren Kaufabsichten: Das gilt auch in Low-Invol-
vement-Situationen, wo sie Effekte über die Vermittlung von Emotionen entfaltet.
bis heute keine einheitliche Währung, müssen wir nicht darüber nachdenken, gloSSar:
die einen Vergleich der „klassischen“ wie wir uns besser auf den Wert für den The Long tail (englisch für „Der lange Schwanz“):
Dahinter steckt eine Theorie, die der Chefredakteur
Werbeinvestments mit den „digitalen“ einzelnen Nutzer konzentrieren kön-
des „Wired Magazine“ Chris Anderson 2004 vor-
Spendings ermöglichen würde. Zu viele nen und diesen messbar machen? stellte. Danach kann ein Anbieter im Internet durch
Faktoren, seien es schwer nachvollzieh- eine große Anzahl an Nischenprodukten Gewinn
bare Erhebungsmethoden, komplexe Auch in der klassischen Werbewelt machen. Dieser Effekt soll insbesondere für den
Musik- und Bücherverkauf zutreffen, wo selten
Kooperations- oder Barteringdeals und könnte die Subline „New and old at
verkaufte Titel in einem konventionellen Verkaufs-
nicht zuletzt eine Vielzahl unterschied- the same time” lauten: Kreativität in geschäft zu hohe Kosten verursachen würden. Der
licher Erfolgskriterien (Leads versus der Werbung. Obwohl sich über Kre- Name leitet sich von der Ähnlichkeit der Verkaufs-
Click throughs versus Direct Sales) ver- ativität natürlich vortreff lich streiten grafik mit einem langen Schwanz ab.
komplizieren das Thema zusätzlich. lässt, erscheint die Diskussion nicht
Interrupt and Repeat-Prinzip der Werbung (eng-
Scott McDonald, Senior Vice Presi- zuletzt vor dem Hintergrund der ewig lisch für „Unterbrechungs- und Wiederholungs“-
dent der Marktforschung im Condé aktuellen Frage nach der Qualität von Prinzip): Dieser Ansatz kommt in Werbung zum
Nast Verlag, empf iehlt, dass Unter- Werbeagenturen relevant. Ausdruck, die etwa Fernseh- oder Filmzuschauer
bei ihrer Beschäftigung unterbricht und ihre Auf-
nehmen mehr zu „hybriden Ansätzen“ Bei den Veröffentlichungen dazu ste-
merksamkeit auf das beworbene Produkt lenkt.
übergehen. Damit meint er Metho- hen ganz grundsätzliche Fragen im
den, bei denen klassische Medien wie Vordergrund. Die lauten zum Beispiel, Barteringdeal (englisch für „Tauschgeschäft“):
TV-Programme und Zeitschriften mit wann Werbung aus Sicht des Kunden Damit ist eine Vereinbarung eines Werbungtrei-
benden mit dem Sender gemeint, der seine
herkömmlichen Wahrscheinlichkeits- als kreativ gilt, welche Wirkung kre-
Werbung ausstrahlt, und derzufolge der Wer-
stichproben erfasst werden, während ative Werbung auf Konsumenten hat bungtreibende für Werbesendungen oder für die
„Long-tail“-Aktivitäten mit nicht-stich- und welche Effekte kreative Werbung Erwähnung seines Produkts oder seiner Firma mit
probenbasierten Methoden ermittelt für Werbende hat? Der ersten Frage Waren und Dienstleistungen bezahlt.
werden. Dazu zählen beispielsweise die nähern sich Douglas West und seine
Return on Advertising (englisch für „Investitions-
direkte Auswertung der Logfile-Daten Co-Autoren in ihrem Artikel aus dem rechnungsansatz“): Diese Budgetierung gibt darü-
von Internetseiten oder der Videoserver 2008 erschienenen „Journal of Adverti- ber Auskunft, wie viel Umsatz für die eingesetzten
von Kabelunternehmen. Hier muss also sing“, indem sie dazu die verschiedenen Marketing-Investitionen zu erwarten sind.
das Prinzip des „New and old at the Perspektiven von Werbetreibenden und
Involvement (englisch für „Stärke der Betroffen-
same time“ greifen. Beworbenen beleuchten. heit”): In der Marktforschung zielt die gängige
Einerseits liegt McDonald damit vom Das Ergebnis heißt, wen wundert es: Definition auf Produktinteresse und Produktre-
Prinzip her richtig, andererseits löst Beide Parteien haben gänzlich unter- levanz. Grundsätzlich wird davon ausgegangen,
dass ein Werbemittel potenziellen Kunden besser
dieses Vorgehen noch immer nicht das schiedliche Ansichten von dem, was
gefällt, wenn sie an einem beworbenen Produkt
eigentliche Problem, dass in der Effizi- in der Werbung als kreativ gilt. Neben beziehungsweise der beworbenen Dienstleistung
enzbetrachtung damit kaum sinnvolle dem häufig kritisierten Selbstzweck zur interessiert sind, und dass umgekehrt Desinteresse
Gegenüberstellungen möglich sind. Anerkennung in der Werbegemeinde auch nur wenig Gefallen auslöst.
Vielleicht muss sich das Marketing ist Kreativität für Praktiker primär
deshalb grundsätzlich vom Gedan- ein Mittel zur Erreichung der Ziele
ken einer quantitativen Messung des des Kunden. Damit ist nichts anderes
Kommunikationserfolges im Internet, als „Return on Advertising“ gemeint,
der noch dazu mit klassischen Medien gemessen an Bekanntheitsgrad, Image
vergleichbar ist, verabschieden. Oder oder Abverkaufszahlen. Kreativität für
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3. Strategie & innovation → Update Wissenschaft
»Der neue Marketingansatz muss
Sie zu einem willkommenen und
relevanten Begleiter im Leben
der Menschen machen.«
Joel Rubinson, Chief Research Officer der Advertising Research
den Zuschauer äußert sich dagegen vor wohl emotionale als auch kognitive stützt durch Originalität, unerwartete
allem in einer fesselnden Inszenierung Reaktionen beim Konsumenten aus- Effekte oder ungewöhnliche Bilder den
und einem Bezug zu ihren individuel- zulösen, und folgerten, dass sie je nach Auf bau von Spannung. Sie sorgt dafür,
len Bedürfnissen nach Unterhaltung, seinem „Involvement“ eher emotional dass Konsumenten die Werbung gerne
Einfühlsamkeit, schönen Bildern und oder kognitiv gestaltet werden sollte. wieder sehen möchten, was dann mit-
nicht zuletzt Humor. Doch genau bei Dies klingt zunächst nicht neu und telfristig zu positiveren Kaufabsichten
diesen Bedürfnissen liegt häufig die erinnert eher an Richard Petty and John führt. Klingt nach einem Plädoyer für
Kernfrage der Praxis: Verkauft denn Cacioppo’s „Elaboration Likelihood ein Höchstmaß an Kreativität. Doch
schöne Werbung auch? Model“, das bereits 1986 vorgestellt leider ist dem nicht so.
wurde. Es besagt: „Sind Deine Kunden Zu übertriebene Umsetzungen kon-
Den Zusammenhang zwischen Kreati- wenig involviert, sprich sie emotional terkarieren den gewünschten Effekt
vität und Werbewirkung untersuchten an. Ist ihr Involvement hoch, dann („diminishing returns of excessive
Xiaojing Yang und Robert E. Smith appelliere an ihren Gedankenapparat“. creativity“). Ab einer gewissen Krea-
in einem Artikel in der „Marketing Also doch nur alter Wein in neuen tivitätsschwelle nehmen die Effekte
Science“ genauer. Sie ermittelten vor Schläuchen? Nicht ganz. ab. Maß halten ist also gefragt. Zudem
allem, wann und wie die Kreativität Die Autoren weisen nach, dass als kre- sind die Effekte nicht unabhängig von
Einf luss auf die Verarbeitung von Wer- ativ wahrgenommene Werbung nicht den Marktbedingungen: Kreativität
bebotschaften nimmt und welche Ver- nur kurzfristig das Interesse weckt und ist grundsätzlich effektiver bei hoher
haltensreaktionen sie bei Konsumenten Emotionalität erzeugt, sondern auch zu Wettbewerbsintensität und in einem
auslöst. Dabei fanden sie heraus, dass einer intensiveren kognitiven Verarbei- sicheren Marktumfeld mit relativ ge-
kreative Werbung in der Lage ist, so- tung führt. Kreative Werbung unter- ringen Veränderungen. In wettbe-
werbsschwachen oder bei unsicheren
Marktbedingungen wirkt sie schnell
↘ übertrieben und unangemessen.
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten
Literatur: muss Werbung also zumindest so krea-
tiv sein, dass sie den Verbraucher dauer-
- Anderson, Chris: The Long Tail: Why the Future of Business is Selling Less of haft bei Laune hält und den Nutzen klar
More, Revised and Updated Edition, New York 2007 aufzeigt. Letztlich sollte sie das gleiche
- Hairong Li; Wenyu Dou; Guangping Wang; Nan Zhou: Journal of Advertising, Ziel verfolgen wie Joel Rubinson ein-
Winter 2008, Vol. 37 Issue 4, Seite 109-120 gangs postulierte: Die Marke zu einem
- Kim, Stephen J.: Journal of Advertising Research, Sep2008, Vol. 48 Issue 3, jederzeit willkommenen und für das
Seite 310-312 Leben der Menschen relevanten Partner
- McDonald, Scott: Journal of Advertising Research, Sep2008, Vol. 48 Issue 3, zu machen – on- und off line! ←
Seite 313-319
- West, Douglas C.; Kover, Arthur J.; Caruana, Albert: Journal of Advertising, Dr. MarkuS Pfeiffer
Winter 2008, Vol. 37 Issue 4, Seite 35-45 ist Managing Director bei Vivaldi Partners. Seine
- Yang, Xiaojing; Smith, Robert E.: Marketing Science, Articles in Advance Kernkompetenzen liegen in den Bereichen Brand
Management, Strategisches Marketing und Elec-
(published online ahead of print January 12, 2009), Seite 1-15
tronic Commerce.
4 absatzwirtschaft 7/2009