1. 1 Maderthaner (2008) Psychologie - Kapitel 10 „Soziale Prozesse“
Kapitel 10 - Soziale Prozesse (S. 331-373)
Fundamentaler Attributionsfehler – im Alltagsdenken wird oft davon ausgegangen, dass
menschliches Verhalten hauptsächlich von Einstellungen, Werthaltungen oder
Willensakten determiniert sei, wobei der Einfluss der physischen oder sozialen Situation
vernachlässigt wird (Begabung – Erklärung für gute Leistung, hohes ethisches Niveau –
Erklärung für selbstlose Hilfeleistungen, etc.).
Soziale Wahrnehmung
Die Auffälligkeit sozialer Informationen, ihre Bedeutung sowie ihre Reihenfolge
beeinflussen die soziale Wahrnehmung [Positionseffekt: die ersten Infos werden
langfristig und die letzten Infos kurzfristig besser gemerkt: Primacy-Effekt: stärkere
Beachtung anfangs erbrachter Leistungen; Recency-Effekt: stärkere Wirksamkeit der
letzten Informationsanteile].
Auffäligkeit lenkt die Aufmerksamkeit: auffäliger gekleidete Personen mehr in
Diskussionen beachtet, Halo-Effekt – Tendenz vom Vorliegen positiver Eigenschaften auf
weiter positive Eigenschaften zu schlißen. Implizite Persönlichkeitstheorien – subjektive
Annahmen über das gemeinsame Vorkommen von Personeneigenschaften; dadurch
werden z.B. die Assoziationsnähe zw. Personenmerkmalen erklärt (z.B. die Erwartung
eines gemeinsamen Auftretens von „herzlich“, „glücklich“ und „gutmütig“, siehe Halo-
Effekt).
Das Verhalten von Personen kann eher als situativ (durch Umweltbedingungen) oder
eher als dispositionell (durch Personeneigenschaften) bedingt angesehen werden.
Attributionstheorie von HAROLD KELLEY: wahrgenommenes Verhalten wird attribuiert: 1)
Konsensus – wie viele Personen stimmen mit der Aussage überein; 2) Distinktheit– auf
wie viele Objekte/Stimuli bezieht sich sie Aussage; 3) Konsistenz – zu wie vielen
Zeitpunkten wiederholt.
Sachattribution - Zurückführen von Folgen auf Merkmale eines Sachverhaltes [z.B.
„sachlich begründetes“ Feedback; Personenattribution – Zurückführen von Folgen auf
die Eigenschaften der kritisierenden Person [z.B. sehr hohes Anspurchsniveau]. Sachlich
begründet wenn: wiederholt [Konsistenz], von verschiedenen Personen [Konsensus]
möglichst spezifisch [Distinktheit] geäußert wird. Akteur-Beobachter-Verzerrung:
Personen, die aktiv in einen sozialen Prozess (Diskussion) eingebunden sind, erklären ihr
eigenes Verhalten eher durch Situationseinflüsse, wobei Beobachter den gleichen
Prozess durch Dispositionseinflüsse (Persönlichkeit, Einstellung) erklären.
Einstellungen
Einstellungen sind kognitive oder emotionale Bewertungsergebnisse für Objekte,
Personen, Tätigkeiten oder Situationen.
Stereotype - stark verallgemeinerte Meinungen über Gruppen von Menschen.
Vorurteile - ungerechtfertigte, gruppenbezogene Einstellungen. Reduktion von
Vorurteilen (Kontakthypothese von GORDON ALLPORT): 1) durch gleichen Status in der
2. 2 Maderthaner (2008) Psychologie - Kapitel 10 „Soziale Prozesse“
Gruppe; 2) durch dauerhafte persönliche Interaktionen; 3) durch gemeinsame Ziele
und notwendige Kooperation; 4) Unterstütztung durch Normen und Autoritäten.
Die kognitive Dissonanztheorie erklärt Verhaltens- und Einstellungsveränderungen durch
das menschliche Bedürfnis nach Konsonanz im kognitiven System. Wenn unvereinbare
Einstellungen (Rauchen ist gesundheitsschädlich) und Verhalten (Rauchen) auftreten,
entsteht eine unangenehme Spannung (Dissonanz), die umso größer ist, je wichtiger die
betreffenden Kognitionen und je auffallender die Widersprüche sind. Dieser
Spannungszustand soll aufgelöst werden: durch Veränderung der Einstellung (1) /des
Verhaltens (2); durch Hinzufügen weiterer kosonanter Kognitionen (3) / Beseitigung
dissonander Kognitionen (4).
Um einen bereits geleisteten Aufwand für ein Ziel subjektiv zu rechtfertigen, wird das Ziel
aufgewertet („effort-justification“), durch subjektive Aufwertung von Tätigkeiten,
Objekten oder Zielen, die mit viel Anstrengung/Aufwand verbunden sind.
Einstellungsänderung und sozialer Einfluss
Bumerang-Effekt – passiert beim Überschreiten vom Akzeptanzbereich für eine
Einstellungsveränderung (bei stabilen Meinungen ist der Akzeptanzbereich wesentlich
kleiner als bei instabilen), indem sich die ursprüngliche Meinung verfestigt bzw.
entwickelt sich sogar in die unerwünschte Richtung.
ELM (PETTY/CACCIOPO) charakterisiert den Prozess der Einstellungsänderung, wonach es 2
Wege der Informationsverarbeitung gibt: Zentrale Verarbeitung (bei Interesse) und
periphäre Verarbeitung (bei Sympathie, Rhetorik, etc.). Zentral verarbeitete
Einstellungänderungen sind beständiger, wobei die perphär verarbeitete – kurzzeitiger
und weniger verhaltensrelevant.
Je mehr man sich zu Gegenleistungen verpflichtet fühlt [Reziptozität], bereits
Zugeständnisse gemacht hat [Konsistenz] oder sich in seiner Meinung abgestützt sieht
[Konsensus], desto eher ändert man Einstellungen und Verhaltensweisen in die
gewünschte Richtung.
Personen, die sympathisch sind [Sympathie] oder als Autoritäten wahrgenommen
werden, haben größere Überzeugungsmacht; alles, was schwer erreichbar ist
[Knappheit], gewinnt an Attraktivität.
Door-in-the-face [Reziptozität]: Zuerst unrealistisch große Forderung, danach
„Zugeständnis“ – kleinere (eigentliche) Forderung. EXPERIMENT zur Betreuung jugendlicher
Delinquenten (2 Jahre betreuen; nachher: Begleiten beim Zoobesuch)
Foot-in-the-door [Commitment/Konsistenz]: kleineres Commitment, um danach ein
größeres leichter zu bekommen, EXPERIMENT mit Telefonat mit 156 kalifornischen
Hausfrauen und anschließende Haushaltsprodukten-Klassifizierung.
Autorität und Gehorsam
Situative und soziale Bedingungen haben oft stärkeren Einfluss auf Gehorsam als
Einstellungen und Werthaltungen. Gehorsam-mildernd: Nähe zum Opfer, ein geringer
Status der Autoritätspersonen sowie die Anwesenheit von nicht konformen Versuchs-
3. 3 Maderthaner (2008) Psychologie - Kapitel 10 „Soziale Prozesse“
/Autoritäts-personen Gehorsam-steigernd: Anonymität und (vermutete) Unsichtbarkeit
von Kontrolle.
Reaktanz bezeichnet den Widerstand gegen Freiheitseinengung, der Gegenreaktionen
im Einstellungs- und Verhaltensbereich bewirkt.
Soziale Beziehungen
Entzug sozialer Kontakte (soziale Deprivation) beeinträchtigt tiefgreifend die soziale und
emotionale Entwicklung des Menschen.
Einflussfaktoren für die Intensivierung persönlicher Beziehungen: 1) Physische Nähe – je
häufiger Personen einander begegnen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer
Bezihungsentwicklung, noch besser wenn mit positvier Stimmung begleitet; 2)
Sozialkategorien – Ähnlichkeit hinsichtlich der Herkunftsregion, der Beschäftigung oder
des Alters erzeugt ein Verbundenheitsgefühl; 3) Physische Attraktivität – attraktive
Menschen wirken allgemein anziehender und sympathischer, Halo-Effekt; 4)
Einstellungsähnlichkeit – je mehr Übereinstimmungen bez. Einstellungen, desto größer
die resultierende Anziehung; 5) Bedürfniskomplementarität – Verträglichkeit von
Bedürfnissen (vor allem bei fortgeschrittenen Beziehungen); 6) Kompetenz ist
anziehender als geringes Wissen bzw. geringe Leistungsfähigkeit; dem „kopetenten“
wird auch „Missgeschick“ vergeben, das macht ihn sogar „charmanter“; 7)
Selbstwertgefühl - wenn unsere Selbstwertschätzung von dem Partner gefördert wird,
finden wir das sehr attraktiv.
Hauptgründe für Beziehungsabbrücke in Partnerschaften: Tendenz zu Kritik an der
Person, nicht am Verhalten; Abwehr von Verantwortung bzw. Schuld; Verachtung
(Beleidigen, Sarkasmus); Abblocken (Schweigen, Zurückziehen). Frauen: geringe
Offenheit, zu wenig Autonomie, Mangel an Verteilungsgerechtigkeit. Männer: zu wenig
„Romantik“.
Kommunikation
Eine Nachricht enthält meist zumindest vier Arten von Informationen: Sach- und
Beziehungsaussagen, Selbstoffenbarungen und Appelle.
Feedback-Regeln: 1) Verbalisieren – Überwechseln von leicht missverstehbarer,
nonverbaler Kommunikation zu verbaler Stellungnahme; 2) Subjektivierren – dem
anderen die Subjektivität der eigenen Rückmeldung signalisieren: „Ich“ statt „Du...“,
„Man...“, etc.; 3) Semantisieren – Mitteilen des subjektiven Kontextes, d.h. des
gedanklichen und gefühlsmäßigen Hintergrunds der Aussage; 4) Konkretisieren –
Aktualisieren und Spezifizieren statt Pauschalieren; Bezugsnehmen auf das „Hier und
Jetzt“ und auf konkrete Verhaltensweisen, Aufzeigen der zeitlichen und situativen
Geltungsbeschränkungen der Aussage; 5) Pragmatisieren – durch abschließende
Äußerung einer Änderungsbitte, eines Verhaltenswunsches oder Lösungsvorschlages für
Gegenwart oder Zukunft.
Die Befolgung von Kommunikationsregeln kann in Konfliktsituationen unnötige
Missverständnisse vermeiden und den Informationsautausch optimieren helfen.
4. 4 Maderthaner (2008) Psychologie - Kapitel 10 „Soziale Prozesse“
Gruppenprozesse
Die Anwesenheit fremder Personen bewirkt eine erhöhte psychische Aktivierung, die
sich in der Regel bei einfachen Aufgaben positiv und bei komplexen Aufgaben negativ
auswirkt.
Soziale Nachlässigkeit („social loafing“) – die Reduktion von Motivation und Leistung
bei Zusammenarbeit in Gruppen. VOR ALLEM GEGEBEN, WENN: die Leistungen der anderen
als ohnehin hoch eingestuft sind; Aufgaben nicht als bedeutend erachtet werden; bei
unidentifizierbarer Einzelleistung. Ähnlich: Verantwortungsdiffusion - die Verminderung
des individuellen Verantwortungsgefühls durch Answesenheit mitverantwortlicher
Personen. AUSWIRKUNG DER VERANTWORTUNGSDIFFUSION: Bystander-Phänomen - Mord einer
Frau in NYC mit 38 Zeugen; Kommunikationsexperiment mit einem inszenierten Epilepsie-
Anfall – Schnelligkeit der Reaktion und Prozentanzahl der Helfenden variiert nach
Anzahl der Personen in der Gruppe (langsamer und weniger geholfen in größeren
Gruppen).
Mit Hilfeleistungen ist in Notsituationen am ehesten dann zu rechnen, wenn sich
einzelne Helfer angesprochen fühlen, wenn diese sich zur Hilfeleisutng in der Lage
sehen und wenn sie mehr Vorteile (Lob) als Nachteile erwarten.
Soziale Falle („social dilemma“/ „Almende-Klemme“) – entwickelt sich, wenn in einem
Lebensraum eine begrenzte Ressource (z.B. Erdöl) von einem Kollektiv ausgebeutet
wird. Jeder einzelne nimmt aus Furcht benachteligt zu werden so viel der kollektiven
Ressource, dass deren Bestand langfristig nicht mehr für alle gewährleistet ist.
AUSBEUTUNG LÄSST SICH REDUZIEREN WENN: die Gruppe klein ist; innerhalb der Gruppe
Kommunikation entsteht, wenn Standards für die Ressourcenaufteilung eingefüht
werden.
Als Ausrichtung des individuellen Verhaltens an die Gruppe (Konformität) wird durch
subjektive Unsicherheit, Beachtung durch die Gruppe, Zugehörigkeitswunsch,
Homogenität der Gruppe und durch kollektivistische Sozialstandards gesteigert.
Gruppendenken – eine kontraproduktive Einschränkung von Gruppen bei der
Entscheidungsfindung und deren Beharrungstendenz für einmal getroffene
Entscheidungen zu verteidigen. ENTSTEHT IN homogenen/kohärenten und isolierten
Gruppen mit direktiver/autoritätrer Führung, die unter Zeitdruck stehen und wo
Entscheidungsprozeduren fehlen. KONSEQUENZEN VON GRUPPENDENKEN: Vernachlässigung
der Kosten und Risiken getroffener Entscheidungen, Mangelnde Suche nach
Entscheidungsalternativen, allgemein eingeschränkte Informationssuche.
GEGENMAßNAHMEN: gegen geplannten Entscheidungen Einwände einbringen,
verschiedene Gruppen sollen die Problemlösung unabhängig bearbeiten;
Stellungnahmen von außenstehenden Experten.
Je mehr sich der Einzelne auf seine individuellen Einstellungen und Normen konzentriert,
desto geringer ist die Wirkung des Gruppendrucks. Gesteigerte Konformität ist im
Gegenteil zu beobachten, wenn: Unsicherheit und Inkompetenz dominieren; der Status
und die Attraktivität der Bezugsgruppe hoch eingestuft werden; Gruppe zumindest aus
3 Personen besteht, die anderen Mitglieder einig sind; in kolektivistischen Gesellschaften.