Whether the author knows it or not, he talks about the 3 main points that Tim Leary made: space migration (antigravity), increasing intelligence (psychedelics & cybernetics), and lifting the lifespan limit (telomerase). We have all the Philosopher's Stones to reconnect this fallen world with the Tree of Life and transmute it into gold.
We must make every man and woman on this planet aware that we are now at the beginning of a monumental upheaval against the twin limitations of Time and Space - that it is only by joining and sustaining this upheaval that we will at last free ourselves from our human tragedy. ―FM2030
One good thing about death: It clears the decks of every generation for new minds with new ways of thinking and doing things. ―Beyond Humanity, Paul & Cox, 1996
Your world, Adam, is still motivated by personal successes, so short is the vision of the masses. Yet what are personal successes? All the old ones lie quietly in graves. The present ones are nothing but conflicts and strain, and soon they, too, will pass forever from the consciousness of those who pursued such ends. Is it not all in vain? Is it not infantile vision? ―Son of the Sun, 1959
Death is a genetic hack by Saturn/Satan, the breaker of the eternal now of paradise. Thus mankind became toxic lead, armed with the psychopathy of ego (Pandora/A.I.) the serpent that tries to prevent the return to paradise by enforcing its own intellectual dominance. Satan is every single worldly institution and organization that executes some form of power over others. The market is the matrix through which mankind destroys itself. The need for money to buy food is the main blackmail mechanism to force everyone to participate in that system. It is a colossal waste of energy. We don't need several companies that develop the same technologies. Without the need for money we wouldn't need workers to risk their lives in order to build bank towers. This is how unnecessary the multiplying artificial dependencies are. We live at the end of the lowest and darkest of all periods in history, however, light is shining through the cracks. Ideas like Universal Basic Income are taking hold. Abundance will be shared. From now on, there will be a war between two worlds, a return to paradise which, thanks to mankind's science, could be even greater than the original - or the total annihilation of humanity. We simply need to turn the upside-down world right-side up! Scientific near-omnipotence (Prometheus) needs to reunite with, and be subordinated to, a higher conscience (Christ).
David Noble's Religion of Technology (Saturn-Gnosis/H+) also contains Tim Leary's formula:
Ascent of the Saints: Space Exploration, SM
Immortal Mind: Artificial Intelligence, I²
Powers of Perfection: Genetic Engineering, LE
TechGnosis & S.Flowers mention that SNAKE (external) and MESSIAH (internal) have the same gematrical value 358. Only HOLOFEELING explains why. AI can be a savior if united with conscience.
1. Reinhard KlausReinhardWIEDERMENSCH
DENTODBESIEGT
WIEDER
MENSCH
DENTOD
BESIEGT
Die Evolution hat uns zum Be
wußtsein unseres Todes ver
dammt. Verdammt dazu, als einzi
ge Organismen dieser Erde unsere
eigene Sterblichkeit zu begreifen,
jedoch ohne sie überwinden zu
können. Unsere Ahnen haben in
grauer Vorzeit mit der Höherent
wicklung ihres Gehirns und ihrem
Streben nach Erkenntnis ihr
Recht auf das Paradies verwirkt.
Seither sind wir gezwungen, mit
und in der Angst vor dem unwi
derruflichen Ende zu leben. We
der Philosophie noch Religion ist
es bisher gelungen, uns von dieser
Geißel zu befreien.
Das vorliegende Buch will Ver
drängung und Resignation ein
Ende setzen: Mit naturwissen
schaftlichen Erkenntnissen kann
der Mensch den Tod besiegen.
Schon heute. Denn die Seele des
Menschen ist sein Gehirn, ein
kompliziertes neuronales Netz
werk, das trotz seines geringen
Volumens in der Lage ist, den
menschlichen Geist hervorzubrin
gen. Die in ihm enthaltene Infor
mation gilt es durch Konservie
rung bei extrem tiefen Temperatu
ren zu erhalten, bis die Forschung
Wege gefunden hat, sie zu ent
schlüsseln und in einen neuen
Körper zu übertragen. Bis dahin
werden Jahrhunderte, vielleicht
Jahrtausende vergehen, in denen
ganze Generationen ihre Gehirne
Orac
Orac
Orac
TechnischeVerfahren
zurUnsterblichkeit
2. in riesigen Dormitorien auf die
Zeitreise im Tiefkühlschlaf schic-
ken.
Unter Verwendung der Erkennt
nisse neuester Technologien sucht
der Autor, abseits jeden mysti
schen Verhaftetseins des Men
schen, Wege zur Unsterblichkeit.
Er entwirft eine von der Freiheit
zum Tode endlich befreite, friedli
che und gerechte Weltgesellschaft,
eine neue Ära des Humanismus,
in der der Mensch das Weltall ko-
lonialisieren und in fliegenden
Gärten ein Goldenes Zeitalter der
Fülle erleben wird.
DERAUTOR
Klaus Reinhard, geboren 1959, Di
plom-Informatiker, studierte in
Braunschweig und lebt jetzt in
Kiel. Während seines Studiums
war er Stipendiat des Hochbegab
tenförderungswerkes der Konrad-
Adenauer-Stiftung. Der Gedanke
an ein unbegrenztes Leben hat ihn
schon in seiner Jugend fasziniert.
Später befaßte er sich jahrelang in
tensiv mit Forschungsergebnissen
aus Physik, Chemie, Biologie und
Medizin, um einen wissenschaft
lich begründeten Weg zur Un
sterblichkeit zu finden. Die Ergeb
nisse seiner Überlegungen hat er
in diesem Buch anschaulich und
leicht verständlich dargestellt.
Fortschritt war stets ein Kind der Utopie. Heute
träumen wir noch vom „ewigen Leben“. Schon
bald wird es Realität sein. Unter uns wirken
Wissenschaftler, die der Erfüllung dieses Traums
aufderSpursind.
Der Mensch wird den Tod besiegen: Denn seine
Seele ist sein Gehirn. Und dieses komplizierte
Netzwerk wird sich bei tiefsten Temperaturen so
lange funktionsfähig erhalten lassen, bis der älte
steMenschheitstraumerfülltseinwird.
DiesesBuch,indemneuesteErkenntnisseaus
denBereichenPhysikundChemie,Biologieund
Medizineingeflossensind,fasziniertdurchdie
LogikseinerrevolutionärenÜberlegungen.
Orac ISBN 3-7015-0081-9
6. INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG............................................................................ 9
2. EINE ZEITREISE IN DIE WELT DER
UNSTERBLICHEN .................................................................. 12
3. DIE NICHT ANNEHMBARE GEWISSHEIT DES
TODES....................................................................................... 14
3.1. Die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit........................... 14
3.2. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und
die Zweifel an den Jenseits Vorstellungen der
Religionen ........................................................................ 17
3.3. Die Verdrängung des Todes ............................................ 25
3.4. Die Thanatologie............................................................... 29
3.5. Das Streben nach unsterblichem Ruhm ........................... 31
3.6. Unsterbliche Ideale und die Tradition der Gewalt . 32
3.7. Die Wirkung des Todes auf das Verhalten der
Menschen.......................................................................... 35
3.8. Das Leben als ein Sein zum Tode.................................... 38
3.9. Der Tod und die Evolution............................................... 40
3.10. Der Wert des menschlichen Lebens............................... 41
4. TECHNIKEN ZUR ERREICHUNG DER
UNSTERBLICHKEIT............................................................... 43
4.1. Die Aufzeichnung der Gehirninformation........................ 56
4.2. Die Erschaffung eines neuen Körpers.............................. 61
4.3. Die Übertragung der Gehirninformation.......................... 64
5. DIE ZEITREISE IM TIEFKÜHLSCHLAF ............................. 68
5.1. Das Einfrieren des Gehirns .............................................. 71
5.1.1. Die Chiffrierung der Gehirninformation
durch Moleküle und Strukturen .......................... 71
5
7. 5.1.2. Die Erhaltung der Gehirninformation trotz
möglicher Schäden beim Einfrieren .................... 77
5.1.3. Die Umkehrbarkeit des Todes............................... 84
5.2. Die Langzeitkonservierung des Gehirns bei extrem
tiefen Temperaturen .......................................................... 87
5.3. Die Wiedererweckung....................................................... 89
6. GESCHICHTE UND ZUKUNFT DER IDEE VOM
TIEFKÜHLSCHLAF.................................................................. 92
6.1. Die bisherige Entwicklung................................................ 92
6.2. Die Verbreitung des Gedankens........................................ 93
6.3. Die heutigen Möglichkeiten zur Realisierung................... 97
6.3.1. Die gegenwärtig verfügbaren technischen
Mittel .................................................................... 97
6.3.2. Die Suche nach der notwendigen Unterstüt
zung ...................................................................... 99
6.4. Die Verbesserung der Möglichkeiten................................ 102
6.5. Die Verantwortung der kommenden Generationen 104
6.6. Ein Massenprogramm zur Verwirklichung der
Zeitreise für alle................................................................. 106
7. ANDERE MÖGLICHKEITEN FÜR EINE
ZEITREISE ................................................................................ 109
7.1. Die Sammlung von Informationen über das eigene
Leben ................................................................................. 110
7.2. Die Wiedererweckung aufgrund von erhaltenen
Informationen.................................................................... 113
8. DIE AUSWIRKUNGEN DER ÜBERWINDUNG DES
TODES........................................................................................ 119
8.1. Der unaufhaltsame Weg der Menschheit zur Un
sterblichkeit ....................................................................... 119
8.2. Die Gefahren bei der Entwicklung von Techniken
zur Erreichung der Unsterblichkeit................................... 121
8.3. Der neue Humanismus...................................................... 124
8.4. Das Ende der Unfreiheit.................................................... 127
6
8. 8.5. Das Kennenlernen der neuen Welt durch die Zeit
reisenden ........................................................................... 129
8.6. Die neuen Möglichkeiten der Menschen.......................... 130
8.7. Die Überwindung des Todes und die Religionen .. 131
9. DIE SCHAFFUNG NEUEN LEBENSRAUMES IM
WELTALL................................................................................. 134
9.1. Das Problem der Überbevölkerung................................... 134
9.2. Die fliegenden Gärten....................................................... 136
9.3. Zeiten der Fülle.................................................................. 144
10. DIE ERHÖHUNG DER GEISTIGEN LEISTUNGS
FÄHIGKEIT .............................................................................. 148
10.1. Die Möglichkeit eines genialen elektronischen
Gehirns............................................................................ 149
11. DIE SUCHE NACH DEM VERLORENEN
PARADIES ................................................................................ 159
11.1. Die Vertreibung aus dem Garten Eden .......................... 159
11.2. Das Bewußtsein als Fehlgriff der Natur ........................ 167
11.3. Das glückliche Zeitalter ................................................. 171
12. DIE MÖGLICHKEIT EINER HILFE AUS DEM
WELTALL................................................................................. 172
12.1. Überlegene Zivilisationen in anderen Sonnen
systemen ......................................................................... 172
12.2. Die Überwindung der Entfernung................................... 174
13. DIE SCHÄTZE DER ZUKUNFT........................................... 182
14. LITERATURHINWEISE UND ANMERKUNGEN .. 185
15. ALLGEMEINE BIBLIOGRAPHIE........................................... 197
16. GLOSSAR ................................................................................. 202
17. REGISTER ................................................................................ 203
7
9. 1. Einleitung
Der Tod ist für die meisten Menschen etwas unfaßbar Schreck
liches, denn er bedeutet für den einzelnen das unwiderrufliche
Ende. Deshalb ist der Traum von der Unsterblichkeit uralt. Schon
das vor mehreren Jahrtausenden entstandene Gilgamesch-Epos
erzählt von einem Mann, der einen Weg suchte, diesen Traum zu
verwirklichen. In fast allen Religionen gibt es Vorstellungen vom
Weiterleben der Seele nach dem Tod. Jedoch fehlen dafür nach
prüfbare Beweise.
So verdrängen heute viele Menschen jeden Gedanken an ihr Ende.
Man stirbt weitgehend isoliert von der sozialen Umwelt in den
Krankenhäusern, soweit man nicht plötzlich durch einen Unfall
oder ein Kreislaufversagen dahingerafft wird. Für die große Zahl
derjenigen, die nicht mehr glauben, ist an die Stelle der christli
chen Hoffnung auf eine Auferstehung die philosophische These
vom natürlichen Tod getreten, den man eben als unausweichliches
Schicksal annehmen müsse. Daß dieses dem einzelnen keine Hilfe
gibt, kann jeder verstehen, wenn er sich vorstellt, in jungen Jahren
unheilbar krank zu werden und nur noch eine begrenzte Zeit vor
sich zu haben. Gegen ein solches Schicksal ist niemand gefeit.
Daran wird deutlich, daß der Tod von unserer Seele nicht als na
türliches Ende, sondern als grausamer Eingriff von außen emp
funden wird. Schließlich hängt der Zeitpunkt des Sterbens nicht
vom eigenen Willen ab, sondern von zufälligen Bedingungen —
etwa von der ererbten Konstitution des Körpers. Auch wer das
Glück hat, gesund ein hohes Alter zu erreichen, kann viele seiner
Pläne nur deshalb nicht verwirklichen, weil sein Leben dafür nicht
lang genug ist. Im Angesicht der entsetzlichen Gewißheit, nach
einer mehr oder weniger kurzen Zeitspanne sterben zu müssen
und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bald danach vergessen
zu sein, bieten die Religion und die Philosophie vielen keinen
Trost.
Deshalb und wegen der großen technischen Fortschritte in den
letzten hundert Jahren drängt sich die Frage auf, ob der Mensch
9
10. selbst mit Hilfe seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse den Tod
besiegen könnte. In diesem Buch wird gezeigt, daß die Unsterb
lichkeit für ihn nach den Naturgesetzen erreichbar ist. Hier wird
beschrieben, wie der Mensch den Traum vom unbegrenzten Leben
realisieren und den unfreiwilligen Tod sowohl durch Krankheiten
und das Alter als auch durch plötzliche Unfälle ausschließen
kann. Dazu lassen sich in der Natur vorhandene Möglichkeiten
nutzen. Das erfordert eine sehr tiefgehende Erforschung der Bio
chemie und die Entwicklung vieler neuer Techniken. Es wird be
gründet, warum zu erwarten ist, daß diese irgendwann gelingen
wird.
Auch die Menschen der Gegenwart können hoffen, die Unsterb
lichkeit zu erreichen, obwohl sie die Entwicklung der dazu erfor
derlichen Verfahren nicht mehr erleben werden. Es gibt nämlich
schon heute Techniken, die mit wissenschaftlich begründeten gu
ten Erfolgsaussichten eine Zeitreise in die ferne Zukunft gestatten,
wie im 5. und 7. Kapitel erläutert wird. So soll dieses Buch allen
Menschen und insbesondere den an einer tödlichen Krankheit Lei
denden neue Hoffnung geben. Die Verzweiflung derjenigen, die in
jungen Jahren wegen Aids oder einer anderen beim gegenwärtigen
Stand der Medizin noch nicht heilbaren Erkrankung vor dem
Ende stehen, weist besonders eindringlich auf die Notwendigkeit
neuer Maßnahmen zur Erhaltung des Lebens hin. Sie sind jedoch
für alle interessant, da der Tod jeden bedroht.
Das Verstehen des im folgenden vorgeschlagenen Weges zur Un
sterblichkeit, den schon die jetzt Sterbenden gehen können, erfor
dert ein Überwinden gewohnter Vorstellungen. Er beruht auf
nachprüfbaren Tatsachen und wohlbegründeten Annahmen. Das
wird deutlich, wenn man bisher in der Öffentlichkeit wenig be
kannte, aber unumstrittene und in diesem Band allgemeinver
ständlich dargestellte Forschungsergebnisse aus verschiedenen
Naturwissenschaften in einem neuen Zusammenhang sieht. Somit
liegt die Erreichung der Unsterblichkeit allein in der Hand des
Menschen. Er ist dabei nicht wie bei den Jenseitsvorstellungen der
Religionen auf den Glauben an einen Gott und an die Existenz
übernatürlicher Kräfte angewiesen.
Die Suche nach Verfahren zur Überwindung des Todes ist ein Ge
bot der Natur, da sie uns den Willen zum Leben und die Intelli
genz gegeben hat. Dazu geeignete Forschungen sind auch ein Ge
bot der Humanität, wenn man an die uns ständig begleitende
10
11. Angst vor dem Ende, die Trauer beim Verlust eines Lieben, die
Sinnlosigkeit des Sterbens und den unbezahlbaren Wert jedes
menschlichen Lebens denkt. Trotzdem werden im 8. Kapitel auch
die Nachteile der Techniken zur Erreichung der Unsterblichkeit
besprochen. Es wird erläutert, warum insgesamt gesehen ein un
begrenztes Leben sowohl für den einzelnen als auch für die Ge
meinschaft wünschenswert ist.
12. 2. Eine Zeitreise in die Welt
der Unsterblichen
Stellen Sie sich vor, Sie hätten Krebs in einem fortgeschrittenen
Stadium, und Ihre Ärzte könnten nichts mehr tun, um den nahen
den Tod abzuwenden. Es gibt nur noch eine Möglichkeit, Ihr Le
ben zu retten. Dazu müssen Sie eine Zeitreise in die ferne Zukunft
unternehmen, um dort weiterzuleben. Sie nutzen diese Chance
und wachen viele Jahrhunderte später wieder auf. Die Jahrhun
derte sind wie ein Augenblick vergangen, weil Sie während der
langen Reise tief geschlafen haben. Vor Ihrem Erwachen haben
die Ärzte der Zukunft Ihre Krankheiten und Altersbeschwerden
geheilt. Sie sind wieder jung, stark und gesund.
Außerdem sind Sie unsterblich und im Besitz ewiger Jugend, denn
die Medizin hat alle Krankheiten und das Alter besiegt. Die Wis
senschaftler haben auch ein Verfahren entwickelt, mit dem man
den unfreiwilligen Tod durch plötzliche Unfälle ausschließen kann
(nähere Erläuterungen s. 4. Kapitel). Dadurch können Sie unver
wundbar werden, so daß Ihnen keine Gefahr mehr etwas anhaben
kann. Was immer Ihnen auch passieren mag, stets haben Sie die
Gewißheit, in einem jungen und gesunden Körper weiterleben zu
können. Somit brauchen Sie Krankheit, Alter, Tod und Verkrüp
pelung nicht mehr zu fürchten.
Auch sonst ist in der Welt der Unsterblichen vieles besser als heu
te. Es gibt keine Kriege und keine politische Unterdrückung mehr.
In einer gerechten Gesellschaft stehen jedem einzelnen, auch
Ihnen als Neubürger, unermeßliche Reichtümer zur Verfügung.
Sie können jeden denkbaren Luxus genießen. Roboter nehmen
Ihnen alle anstrengenden und langweiligen Arbeiten ab. Die
gegenwärtigen Probleme mit der Umweltverschmutzung sind
überwunden. Die Natur hat sich wieder erholt, und die Menschen
können sich ungestört an ihr erfreuen. Die Industriebetriebe pro
duzieren im Weltraum alle gewünschten Güter, ohne den Lebens
raum der Menschen zu vergiften. Auf dem Mond und einigen Pla
neten gibt es Kolonien mit sehr angenehmen Lebensbedingungen.
12
13. Wenn Sie wollen, können auch Sie dorthin reisen. Trotz aller Ver
änderungen finden Sie sich in der neuen Welt ohne Schwierig
keiten zurecht, weil man Ihnen dabei hilft und Ihnen alles Erfor
derliche erklärt.
War das alles nur ein Gedankenspiel? Nein. Obwohl es zunächst
phantastisch klingt, läßt sich eine Zeitreise in die Zukunft mit
schon heute verfügbaren Techniken verwirklichen. Dafür gibt es
zwei Möglichkeiten. Die erste (s. Teil 5) erfordert einige Apparate,
die schon in verschiedenen Einrichtungen vorhanden sind. Die
zweite (s. Teil 7) erlaubt es, die Zeitreise anzutreten, ohne dabei
auf irgendwelche technischen Hilfsmittel angewiesen zu sein. Das
verlangt aber das sorgfältige Führen von bestimmten Aufzeich
nungen. Solche Anstrengungen sind bei der ersten Alternative
nicht notwendig.
Was die Zukunft bringen wird, läßt sich zwar nicht mit Bestimmt
heit Vorhersagen. Wie in den Kapiteln 5, 6, 7 und 8 erläutert wird,
gibt es jedoch viele Gründe anzunehmen, daß die Zeitreisenden in
einer besseren Welt wieder aufwachen werden. Darauf können so
gar diejenigen hoffen, die geeignete Vorkehrungen für eine erst
nach ihrem Tod beginnende Zeitreise treffen.
13
14. 3. Die nicht annehmbare
Gewißheit des Todes
Bevor in den späteren Kapiteln die Methoden zur Verwirklichung
der Zeitreise und zur Erreichung der Unsterblichkeit näher be
sprochen werden, soll zunächst unsere gegenwärtige Haltung zum
Tod untersucht werden. Heute leben viele in den Tag hinein, als ob
es den Tod gar nicht gäbe. Der Gedanke, daß auch sie sterben wer
den, scheint für sie keine unmittelbare Bedeutung zu haben. Es
sind immer „die anderen“, die bei einem Autounfall ums Leben
kommen, von einem Herzanfall dahingerafft werden oder an der
Immunschwächekrankheit Aids zugrunde gehen.
Wie im folgenden erläutert wird, haben die Angst vor dem Tod
und die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit im Leben der Men
schen jedoch schon immer eine große Rolle gespielt. Auch wenn
wir die Gewißheit des Todes heute häufig verdrängen, so beein
flußt sie dennoch unser Denken und unser Verhalten. Sie ist auch
von entscheidender Bedeutung für die Probleme, die gegenwärtig
den Fortbestand der gesamten Menschheit bedrohen: für das ato
mare Wettrüsten und für die zunehmende Umweltvergiftung.
3.1 Die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit
Die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit ist wahrscheinlich so alt
wie die Menschheit selbst. Verschiedene Funde weisen darauf hin,
daß die Menschen schon in der fernsten Urzeit auf ein Weiterleben
nach dem Tode gehofft haben. Bereits vor mehr als 60.000 Jahren
schmückten unsere direkten und indirekten Vorfahren ihre Toten
auf die verschiedenste Weise1*. Auch Grabbeigaben wie etwa
Bisonkeulen konnten nach Auffassung der Vorgeschichtsforscher
* Die kleinen Zahlen im Text verweisen auf die Literaturhinweise und Anmerkun
gen am Schluß des Buches.
14
15. nur für eine Reise ins Jenseits bestimmt sein. Schon in grauer Vor
zeit wollten sich die Menschen also nicht damit abfinden, daß ihr
Leben mit dem Tod einfach zu Ende sein sollte. Das einzige,
worauf sie hoffen konnten, war ein Weiterleben im Jenseits.
In den vergangenen Jahrtausenden ist das Leben der Menschen
tiefgreifenden Wandlungen unterworfen gewesen. Sie hörten auf,
Jäger und Sammler zu sein, und gingen zu Ackerbau und Vieh
zucht über. Später schufen sie Städte, Staaten und schließlich die
moderne Industriegesellschaft. Über alle Veränderungen hinweg
blieb aber ihre Hoffnung auf die Unsterblichkeit lebendig. Sie
scheint ein konstantes Phänomen der Geschichte zu sein.
Professor Plöger von der evangelisch-theologischen Fakultät der
Universität Bonn schreibt dazu: „Niemals, soweit wir es überse
hen können, hat sich der Mensch mit der Endgültigkeit des Todes
abfinden können. Und wenn je und dann in literarischen Zeugnis
sen ein solches Sich-Abfinden auch einmal laut werden kann,
dann ist es doch immer wieder geprägt von einer Resignation ge
genüber einem irreparabile fatum**. Geburt, Heirat im Sinne ei
ner Weitergabe des Lebens und Tod sind und bleiben die entschei
denden Stationen des menschlichen Lebens, aber die Hinnahme
der letzten Station ist nie mit der gleichen Selbstverständlichkeit
akzeptiert worden; denn auch in der Resignation und in der Skep
sis ist die Sehnsucht lebendig. Diese Einstellung ist das Band, das
die Menschheit räumlich und zeitlich umschließt.“2 Die Religio
nen aller Kulturen und Epochen — so verschieden ihre Gottesvor
stellungen auch sein mögen — haben eines gemeinsam: Sie alle
glauben an ein Weiterleben der Seele nach dem Tode.
Schon in alter Zeit wollten sich jedoch manche Gruppen mit den
Jenseitsversprechungen der Religionen nicht begnügen. Sie such
ten selbst einen Weg zur Unsterblichkeit. So verfolgten in China
die Anhänger des Taoismus ein umfassendes Programm, das zum
Ziel hatte, das Leben zu verlängern und den ergebenen Jüngern
schließlich Unsterblichkeit zu verleihen. Dazu praktizierten sie
Atemübungen und bemühten sich, zu einem embryoähnlichen Zu
stand zurückzugelangen. Sie aßen genügsam und versuchten, von
Wurzeln, Beeren und Früchten zu leben. Ein weiterer wichtiger
Bestandteil des Programms waren sexuelle Riten, die genau vorge
schriebenen Techniken folgten. Chinesische Alchimisten suchten
** lateinisch: irreparabile fatum: unabwendbares Schicksal.
15
16. nach Methoden, Zinnober in Gold umzuwandeln. Wenn das ge
länge, sollten Eß- und Trinkgeräte mit dem edlen Metall behandelt
werden, was dem Benutzer Unsterblichkeit verleihen würde3.
Auch in Europa bemühten sich Alchimisten um die Unsterblich
keit. Sie hofften auf Zaubertränke, die ihnen ewige Jugend schen
ken sollten.
Ein anderes beliebtes Thema der vergangenen Jahrhunderte und
Jahrtausende war der Jungbrunnen, Wasser mit magischen Kräf
ten, das dem ein ewiges Leben verhieß, der darin badete. Schon
die griechische Mythologie nannte eine Jugend spendende Zauber
quelle, in der Hera, die Frau des Zeus, alljährlich badete. Der im
Mittelalter lebende Schriftsteller Jean de Mandeville machte die
Vorstellung vom Jungbrunnen populär, und in der von geistigen
Unruhen und Entdeckungen begleiteten Renaissance glaubten vie
le, daß ein solcher Brunnen tatsächlich — irgendwo jenseits des
Ozeans — existiere. So verwundert es nicht, daß der spanische
Forscher Ponce de Leon Feuer und Flamme war, als er Gerüchte
über einen wunderbaren Jungbrunnen auf der Insel Bimini auf
den Bahamas hörte. 1512 verließ er Puerto Rico mit dem Schiff
und suchte mit einer Expedition die Insel Bimini und ihren Wun
derbrunnen. Ponce de Leon fand den geheimnisvollen Brunnen
nicht, entdeckte aber den heutigen amerikanischen Bundesstaat
Florida4.
Von der Sehnsucht der Menschen nach Unsterblichkeit handelt
auch das sumerische Gilgamesch-Epos, das vor mehr als
3000 Jahren im alten Zweistromland entstand. Es erzählt von Gil-
gamesch, dem legendären König von Uruk, der mit allen Schätzen
des Lebens begabt gewesen sein soll. Er war stark im Krieg und
hatte viele Feinde getötet. Obwohl er also den Tod kannte, dachte
er nicht darüber nach, daß auch sein Leben einmal enden würde.
Das änderte sich erst, als ihm sein vertrauter Freund Enkidu ge
nommen wurde. Rasend vor Wut schrie er die Himmlischen an:
„Das könnt ihr mir nicht antun!“ Er war verstört. Der unwider
rufliche Abschied Enkidus nährte in ihm den Verdacht, daß es
auch für ihn selbst kein ewiges Leben geben werde, und die Angst
vor dem Tod begann ihn zu schütteln5.
Von da an strebte er danach, Unsterblichkeit zu erringen. Er reiste
weit umher, suchte den Rat der weisesten Männer und verschmäh
te kein Rezept, das ihm gegeben wurde. Schließlich wandte er sich
an die Götter. Diese ließen ihn jedoch wissen:
16
17. „Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden!
Als die Götter die Menschheit erschufen,
Teilten den Tod sie der Menschheit zu,
Nahmen das Leben für sich in die Hand.“6
Diese Verse aus dem Gilgamesch-Epos, das von Historikern aus
jahrtausendealten Tontafeln entziffert wurde, zeigen die fatalisti
sche Einstellung, die im Altertum vorherrschend war und sogar
heute noch weit verbreitet ist. Die Menschen glaubten, von Göt
tern und magischen Kräften abhängig zu sein. Eine Auflehnung
gegen den Tod, aber auch gegen Krankheit, Armut, Ungerechtig
keit und Unterdrückung, hielt man für sinnlos. All das galt als
gottgewolltes Schicksal und daher als unabänderlich.
3.2 Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften
und die Zweifel an den Jenseitsvorstellun
gen der Religionen
Auch wenn die Suche nach Zaubertränken und Jungbrunnen dar
auf hindeutet, daß einige Zweifler schon im Mittelalter den Jen
seitsversprechungen der Religionen nicht genug vertrauten, glaub
te damals die Mehrheit der Menschen, daß ihre Seele unsterblich
sei und sie nach ihrem Tod im Paradies weiterleben könnten. Das
änderte sich erst in den letzten 200 Jahren, als sich immer mehr
Menschen mit den Forschungsergebnissen der Naturwissenschaf
ten befaßten und dabei feststellten, daß diese zu den Weltbildern
der Religionen, die früher für absolut unumstößlich gehalten wur
den, im Widerspruch standen.
Die Kirchen lehrten im Mittelalter, daß die Erde der Mittelpunkt
der Welt sei und die Sonne und die Sterne sich an ihrer Himmels
schale bewegten. Diese Weitsicht begründeten die Priester mit
Bibelzitaten wie dem folgenden: „Da stund die Sonne und der
Mond stille... Also stund die Sonne mitten am Himmel, und ver
zog, unterzugehen, beinahe einen ganzen Tag.“1 Am Beginn der
Neuzeit aber zeigten Beobachtungen und Berechnungen des
Kopernikus und anderer Forscher, daß die Erde ein Planet ist, der
um die Sonne kreist. Außerdem entdeckte man, daß es im Weltall
noch unübersehbar viele andere Sonnen neben der unseren gibt.
17
18. Für solche Erkenntnisse bezahlte der italienische Philosoph Gior-
dano Bruno (1548—1600) mit dem Leben. Er hatte die Überzeu
gung verbreitet, daß unsere Erde nicht der Mittelpunkt des Uni
versums sei und daß außer ihr auch noch andere Welten existieren
müßten. Dafür wurde er auf Betreiben der katholischen Kirche
wegen Ketzerei eingekerkert. Als er sich auch nach siebenjähriger
Haft tapfer weigerte, seine Ansichten zu widerrufen, wurde er von
einem Richterkollegium der Inquisition in Rom zum Tode verur
teilt und am 17. Februar 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Viele weitere Widersprüche trennten das Weltbild der Kirchen von
den Forschungsergebnissen der Naturwissenschaften. Nach den
Chronologien des Mittelalters soll Gott den Menschen etwa
4000 Jahre vor Christi Geburt erschaffen haben. Ausgrabungen
zeigten jedoch, daß schon viel früher Menschen gelebt haben. Bio
logen fanden auch eine Erklärung für die Entstehung des Men
schen und des Lebens auf der Erde, als sie die Natur beobachteten
und den Aufbau der Lebewesen erforschten. Sie entdeckten, daß
alle Lebewesen aus Zellen aufgebaut sind. Einzeller (z. B. Bakte
rien) aus nur einer, höhere Pflanzen und Tiere dagegen aus vielen
Millionen oder Milliarden. Der menschliche Körper besteht aus
etwa 75.000 Milliarden Zellen. Sie sind seine Grundbausteine.
Jedes Organ ist aus unzähligen Zellen zusammengesetzt.
Es gibt in unserem Körper und ebenso bei den Tieren und Pflan
zen eine Vielzahl verschiedener Zelltypen. Jeder Zelltyp ist darauf
spezialisiert, eine besondere Aufgabe im Organismus wahrzuneh
men. Beispielsweise transportieren die roten Blutzellen, auch rote
Blutkörperchen genannt, den in der Lunge eingeatmeten Sauer
stoff zu seinen Verbrauchsorten im Gewebe. Im Blut des Men
schen schwimmen ca. 25.000 Milliarden rote Blutkörperchen. Sie
sind wahrscheinlich der am häufigsten vorkommende Zelltyp un
seres Körpers.
Lebende Zellen haben viele Gemeinsamkeiten, so verschieden ihre
Aufgaben und die Lebewesen, zu denen sie gehören, auch sein
mögen. Sie alle sind aus Nukleinsäuren und Proteinen aufgebaut,
komplexen organischen Molekülen, die in ihrer Struktur bei allen
Zellen ähnlich sind.
Die Nukleinsäuren sind der wichtigste Bestandteil der Chromoso
men in den Zellkernen. Chromosomen verschlüsseln bei Pflanzen,
Tieren und Menschen die genetische Erbinformation, die alle ihre
erblichen Merkmale beschreibt und die von Generation zu Gene
18
19. ration an die Nachkommen weitergegeben wird. Die Proteine bil
den die Aufbaustoffe der Zellen. Außerdem kontrollieren sie als
Enzyme die chemischen Reaktionen, die für die Lebensvorgänge
in den Zellen notwendig sind.
Alle organischen Moleküle und die aus ihnen zusammengesetzten
lebenden Zellen sind aus Atomen aufgebaut, die auch in unbeleb
ten Substanzen Vorkommen. Die Lebewesen bestehen also aus
denselben atomaren Grundbausteinen wie die unbelebte Materie.
Heute ist es möglich, organische Stoffe im Labor aus unbelebten
Substanzen herzustellen. Entsprechende chemische Reaktionen
laufen auch in der Natur ab. Wissenschaftler nehmen an, daß vor
Milliarden von Jahren auf unserer Erde aus unbelebter Materie
komplexe organische Moleküle und Molekülverbände hervorge
gangen sind, aus denen sich dann die ersten lebenden Zellen bilde
ten. Nach den Untersuchungen der Forscher bestanden in der
Frühzeit der Erde Bedingungen, die die Biogenese, d. h. die Ent
stehung von Leben aus unbelebter Materie, erlaubten.
Die Biologen schließen aus den ähnlichen biochemischen Eigen
schaften der Zellen der Tiere, der Pflanzen und der Menschen,
daß alle diese Lebewesen miteinander verwandt sind und sich im
Laufe von Jahrmilliarden aus den ersten lebenden Zellen der Ur
zeit entwickelt haben. Wie das geschehen konnte, erklärt die Evo
lutionstheorie, die von Darwin begründet wurde und die sich auf
sehr viele Beobachtungen und Beweise stützt. Nach ihr entstanden
höhere Lebensformen aufgrund von zufälligen Mutationen (Ver
änderungen) im Erbgut. Da die Tiere und die Pflanzen im allge
meinen weitaus mehr Nachkommen erzeugen, als später überle
ben können, pflanzen sich nur diejenigen Individuen fort, die am
besten an ihre Umwelt angepaßt sind und entsprechend gute Erb
eigenschaften haben. Diese „natürliche Auslese“ bewirkt, daß
Veränderungen im Erbgut, die für die Lebensfähigkeit des Tieres
oder der Pflanze günstig sind, an die kommenden Generationen
weitergegeben werden. Die Veränderungen sind von einer Genera
tion zur anderen sehr gering, im Laufe von Jahrmillionen entste
hen dadurch jedoch neue Tier- und Pflanzenarten. So brachte die
Natur selbst die heutige Vielfalt des Lebens hervor. Diesen Vor
gang bezeichnet man als natürliche Evolution.
Nach Darstellung der Evolutionstheorie hatte der Mensch vor vie
len Millionen Jahren dieselben affenähnlichen Vorfahren wie die
heutigen Menschenaffen. Er ist also mit den Gorillas, Schimpan-
19
20. sen und Orang-Utans verwandt. Diese Abstammungslehre wurde
von der Kirche aufs heftigste abgelehnt, weil sie ihrer Auffassung
nach der christlichen Überlieferung widersprach, die den Men
schen als Schöpfung nach dem Ebenbild Gottes sah. Demgemäß
reagierten die Vertreter der Kirche besonders aufgeregt und heftig.
1860 kam es bei einer wissenschaftlichen Diskussion über die Evo
lutionstheorie zwischen einem bedeutenden Freund und Anhänger
Darwins, Thomas Huxley, und dem Bischof Samuel Wilberforce
zu einem heftigen Wortwechsel. Huxley verteidigte die Theorie
Darwins und wies darauf hin, daß Affen und Menschen nahe Ver
wandte sein müßten. Der Bischof versuchte, Huxley lächerlich zu
machen: „Was Sie selbst betrifft, Professor Huxley, gestatten Sie
mir die Frage: Stammen Sie väterlicher- oder mütterlicherseits
vom Affen ab?“ Huxley konterte scharf: „Wenn schon diese
Frage an mich gerichtet wird, ob ich lieber einen elenden Affen
zum Großvater haben wolle oder einen von Natur aus hochbegab
ten Mann von großer Bedeutung und großem Einfluß, der aber
diese Fähigkeit und diesen Einfluß nur dazu benutzt, Lächerlich
keiten in eine ernste Diskussion zu tragen, dann würde ich ohne
Zögern meine Vorliebe für den Affen bekräftigen!“
Im Lauf der Zeit fand man viele Beweise für die Evolutionstheo
rie. So wurden Millionen Jahre alte Fossilien entdeckt, die zeigen,
daß die von Huxley vermuteten gemeinsamen Vorfahren der Men
schen und der Menschenaffen tatsächlich gelebt haben. Unsere
Verwandtschaft zu den Affen wurde auch durch Untersuchungen
an Chromosomen, Schädelformen und Gehirnstrukturen bestä
tigt.
Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften stellten zudem den reli
giösen Glauben an die Unsterblichkeit der Seele in Frage. Es gibt
keinen nachprüfbaren Beweis dafür, daß die Seele des Menschen
von seinem Körper unabhängig ist und nach seinem Tod in einem
Jenseits weiterlebt. Hingegen gibt es viele Forschungsergebnisse,
die darauf hinweisen, daß jedem psychischen Vorgang ein mate
rieller Prozess im Gehirn entspricht. Dafür sprechen z. B. Mes
sungen von Hirnströmen, die Auskunft über die elektrische Akti
vität des Gehirns geben. Es zeigte sich, daß bei verschiedenen For
men geistiger Aktivität auch die Hirnströme unterschiedlich sind.
So werden bei einem Menschen, wenn er sich entspannt, deutlich
andere Hirnströme gemessen, als wenn er angestrengt geistig
arbeitet.
20
21. Wie wohl jeder weiß, bewirken Drogen wie etwa Mescalin oder
LSD, die das Gehirn auf chemische Weise beeinflussen, Verände
rungen im Denken und in den Gefühlen und rufen z. B. Halluzina
tionen hervor. Somit sind die Gedanken, die Vorstellungen, die
Gefühle und alle anderen psychischen Vorgänge anscheinend ab
hängig von chemischen und elektrischen Prozessen im Gehirn. Es
ist also zu vermuten, daß der menschliche Geist, das Bewußtsein
und die Seele an das Gehirn gebunden sind.
Diese Annahme wird auch durch Beobachtungen an Patienten mit
schweren Hirnverletzungen gestützt. Bei diesen Kranken werden
eine allgemeine geistig-seelische Verkümmerung oder spezielle
Defekte wie die Unfähigkeit zur sprachlichen Begriffsbildung
oder zum räumlichen Denken festgestellt. Welche Schäden auftre-
ten, ist abhängig von der zerstörten Hirnregion.
Der Göttinger Neurologieprofessor Paul Glees schreibt, daß „un
ser Geistesleben einzig die Organfunktion des Gehirnes ist.“2 Von
den meisten Hirnforschern wird diese Hypothese unterstützt. Es
gibt keine andere Erklärung für den menschlichen Verstand. Die
Gegenargumente wurzeln in philosophisch-religiösen Vorstellun
gen, die eine nur organgebundene Menschlichkeit als unwürdig
empfinden3. Es wird behauptet, eine Ansammlung von Nerven
zellen könne nicht Geist sein.
Unser Gehirn enthält jedoch etwa 100 Milliarden Nervenzellen,
die Neuronen4. Jede von ihnen besitzt ein eigenes Leben, erfüllt
komplexe chemische und elektrische Funktionen und ist mit vielen
anderen Nervenzellen zur Übertragung von Informationen ver
bunden. Ein so kompliziertes neuronales Netzwerk ist durchaus in
der Lage, etwas so Wunderbares wie den menschlichen Geist her
vorzubringen. Aus dieser Betrachtung ergibt sich außerdem, daß
unser Zentralnervensystem nicht mit primitiven Denkmaschinen
wie den heutigen Computern vergleichbar ist, die nur über wenige
Rechenwerke verfügen.
Diese Betrachtungen wecken Zweifel an der von den Religionen
versprochenen Unsterblichkeit der Seele. Der Philosoph Ludwig
Büchner drückte das schon 1855 in seinem Buch „Kraft und
Stoff“ sehr drastisch aus: „In der Tat lehrt uns denn auch die all
täglichste Beobachtung und Erfahrung, daß die Seele eines gestor
benen Individuums mit dem Tode desselben zu erscheinen auf
hört; und keine Erscheinung hat es jemals gegeben, welche uns
glauben oder annehmen ließe, es existiere diese Seele in irgendei
21
22. ner Weise oder Gestalt weiter. Geister oder Geistererscheinungen
haben nur ungebildete, kranke oder abergläubische Leute beob
achtet. So oft man solchen angeblichen Erscheinungen ernstlich
auf den Leib ging, zerrannen sie ins Nichts.“5
Nach Auffassung des Christentums, des Islams und des Juden
tums wurde alles, was ist, von einem einzigen allmächtigen, ge
rechten und guten Gott geschaffen. Manche fragen sich: Warum
läßt dieser Gott grausame Folterungen und blutige Kriege gesche
hen? Warum duldet er Morde an unschuldigen Kindern? Weshalb
verhindert der allmächtige Gott nicht, daß sich verschiedene Reli
gionsgemeinschaften in seinem Namen in blutigen Auseinander
setzungen bekämpfen? Wie kann ein weiser und gütiger Gott es
zulassen, daß die Reichen immer reicher und die Armen immer är
mer werden, obwohl doch alle seine Kinder sind? Weshalb müssen
die Unschuldigen für die Sünden der Bösen leiden?
Es gibt auch Menschen, die zwar an einen Gott glauben, aber
nicht an die Vorstellungen der Religionen. Eine solche Haltung
ist uns z. B. von dem niederländischen Philosophen Benedict de
Spinoza und von dem deutsch-amerikanischen Physiker Albert
Einstein überliefert. Einstein war einer der größten Wissenschaft
ler unseres Jahrhunderts. Seine Relativitätstheorie ist für die mo
derne Physik von revolutionärer Bedeutung.
1929 brachte das jüdische Magazin Reflex einen Leitartikel, in
dem Einstein beschuldigt wurde, „reine Blasphemie“ geäußert zu
haben. Ein Rabbiner hatte ihm in einem Telegramm mit bezahlter
Rückantwort die Frage gestellt: „Glauben Sie an Gott?“ Einsteins
telegrafische Erwiderung: „Ich glaube an Spinozas Gott, der sich
in der Harmonie alles Bestehenden offenbart, aber nicht an einen
Gott, der sich mit dem Schicksal und den Taten von Menschen be
schäftigt.“ Die Rabbiner wiesen darauf hin, daß Spinoza im Jahre
1656 exkommuniziert worden sei, weil er sich geweigert hatte, an
Schutzengel und an die Unsterblichkeit der Seele zu glauben, und
erklärten: „Spinoza wurde aus dem sehr guten Grund exkommu
niziert, daß er die Personalität Gottes leugnete und versuchte, ihn
an seine eigenen Gesetze zu ketten. Spinozas Gott ist nicht frei,
und wenn er wünschte, das Schicksal des Menschen zu lenken,
könnte er es unmöglich tun, weil er an die unveränderlichen Na
turgesetze gebunden ist. Dies ist in den Augen des Frommen
schlimmer als reiner Atheismus. Es ist reine Blasphemie.“ Auch
einige Mitglieder der katholischen Kirche waren über Einsteins
22
23. Äußerung entsetzt. Kardinal O’Connell in Boston erklärte, daß
die beiden Relativitätstheorien Einsteins „verworrene Spekulatio
nen“ seien, „die universalen Zweifel an Gott und seiner Schöp
fung hervorrufen“. In einem Leitartikel des „Osservatore
Romano“, der die Ansichten des Vatikans wiedergibt, stand,
O’Connell habe recht, wenn er Einsteins Theorien brandmarke,
weil sie „den Glauben an Gott vom menschlichen Leben trenn
ten“. Er nannte Einsteins Werk „echten Atheismus, als kosmi
scher Pantheismus getarnt“6.
Damit hat er allerdings Einsteins Theorien nicht widerlegt. Für sie
fand man später bei astronomischen Beobachtungen und bei Ex
perimenten der Kernphysik zahlreiche Beweise. Man könnte nun
einwenden, daß die Relativitätstheorie, die Evolutionstheorie und
die Vorstellung, die Seele sei an das Gehirn gebunden, nur Hypo
thesen seien. Das Weltbild der Naturwissenschaften stützt sich
aber auf überprüfbare Beweise und auf wohlbegründete Annah
men. Z. B. sprechen für die Evolutionstheorie sehr viele Fossilien
funde. Da sich für diese keine andere vernünftige Erklärung fin
den ließ, erscheint die Annahme berechtigt, daß die Evolutions
theorie zutrifft.
Die meisten Naturwissenschaftler haben es niemals als ihre Auf
gabe betrachtet, der Kirche zu widersprechen. Durch die intensive
Beschäftigung mit den Gesetzen der Physik, Biologie und Chemie
jedoch ist für viele Menschen offensichtlich geworden, daß Wei
terleben nach dem Tode und die Existenz Gottes oder anderer
übernatürlicher Kräfte naturwissenschaftlich nicht zu beweisen
sind. Das betrifft nicht nur das Christentum, sondern auch alle
anderen Religionen, da diese ebenfalls an eine vom Körper unab
hängige Seele und an göttliche Wesen glauben.
Obwohl es insbesondere in den islamischen Staaten starke religiö
se Erneuerungsbewegungen gibt, ist heute der Atheismus weit ver
breitet. Das zeigt sich in vielen Ländern z. B. an der deutlich ge
sunkenen Zahl der Kirchenbesucher. Nach Umfragen sollen 50%
der Bundesbürger nicht mehr an ein Weiterleben im Jenseits glau
ben7. Nur noch 33% wissen mit dem Glaubenssatz „Auferstanden
am dritten Tage von den Toten“ etwas anzufangen8. Für die ande
ren ist Jesus Christus nur noch Religionsstifter und Vorbild der
Mitmenschlichkeit und nicht mehr der Sohn Gottes, der drei Tage
nach der Kreuzigung aus dem Grabe wiederauferstand und zum
Himmel fuhr. China, die Sowjetunion und viele kleinere Staaten
23
24. in Europa, Asien, Afrika und Lateinamerika werden von kommu
nistischen Parteien regiert, die den Atheismus als Teil ihrer Ideolo
gie betrachten. Noch größer als die Zahl der erklärten Atheisten
dürfte die Zahl der Menschen sein, die an den Anschauungen der
Religionen zweifeln oder denen die Religionen gleichgültig sind.
Somit bietet vielen beim Gedanken an den Tod die Hoffnung auf
ein Weiterleben im Jenseits keinen Trost mehr.
Man muß allerdings nicht unbedingt Atheist sein, wenn man ver
suchen möchte, ein unbegrenztes Leben im Diesseits zu erreichen.
Wenn, wie die Priester sagen, ein allmächtiger Gott die Welt und
uns erschaffen hat, dann muß er sich ja etwas dabei gedacht ha
ben, als er uns einen starken Lebenswillen und die Sehnsucht nach
der Unsterblichkeit mitgab und uns gleichzeitig keine eindeutigen
Beweise für die Existenz eines Jenseits überließ. Wahrscheinlich
hat er also gewollt, daß wir unsere Wissenschaften weiterentwik-
keln und einen Weg zur Unsterblichkeit suchen, sobald wir dazu
im Rahmen der von ihm festgelegten Naturgesetze eine Möglich
keit sehen.
Heute sehen viele Kirchenführer zwischen der modernen Natur
wissenschaft und der Religion keinen Widerspruch mehr. So
schreibt Dr. G. Ernest Thomas, Direktor für Fragen des geistli
chen Lebens beim Generalrat der amerikanischen Methodisten
kirche: „Die Religion bedarf der Wissenschaft... Durch jede neue
Entdeckung, die der Wissenschaftler auf dem Gebiet der Wirk
lichkeit macht, werden die Absichten Gottes dem Bewußtsein
näher gebracht... Da nach Ansicht der Religion Gott ebensosehr
an der Verwirklichung der außerordentlichen Möglichkeiten des
Menschen wie am ordnungsgemäßen Lauf der Planeten und Ster
ne interessiert ist, ehrt die Religion Pasteur, Lister, Koch, Einstein
und andere Wissenschaftler. Sie ehrt im Wissenschaftler einen
Menschen, der an der Erfüllung von Gottes Absichten für seine
Welt beteiligt ist... Ich erkenne an, daß die Wissenschaft den
Schlüssel für ein viel reicheres Leben als es der Mensch jemals
kannte, in der Hand hält.“9
Wie in den späteren Kapiteln erläutert wird, könnte auch die Ver
wirklichung des Traumes von der Unsterblichkeit zu den außeror
dentlichen Möglichkeiten des Menschen gehören. Das wäre also
mit der Religion nicht unvereinbar.
24
25. 3.3 Die Verdrängung des Todes
Heute halten sich allerdings viele an das, was der französische
Physiker und Philosoph Blaise Pascal schon im 17. Jahrhundert
spöttisch bemerkt hat: „Da die Menschen unfähig waren, Tod,
Elend, Ungewißheit zu überwinden, sind sie, um glücklich zu sein,
übereingekommen, nicht daran zu denken.“1 Die folgenden Ant
worten auf Fragen eines Interviewers über die Einstellung zum
Tode geben Haltungen wieder, die für unsere Zeit ziemlich typisch
sind:
„Ich denke über das Sterben deshalb nicht nach, weil ich nicht das
Gefühl habe, schon sehr nahe daran zu sein.“
„Warum sollte ich denn darüber nachdenken? Nur rührselige
Menschen tun das. Ich habe mein Leben zu leben, und es läßt mir
gar keine Zeit, mich mit diesem Thema zu befassen.“
„Ich mag nicht darüber sprechen, ich sehe gar nicht ein, warum.
Oder gibt es einen Grund dafür? Das liegt ja alles noch so fern, zu
mindest hoffe ich das. Zwar weiß man nie ganz genau, aber ich
habe das sichere Gefühl, ich meine, ich weiß, daß ich noch Zeit
habe. Ich bin ja schließlich noch jung. Sie verstehen mich doch,
nicht wahr?“2
Daß alle Menschen sterblich sind, wird aus unserem Alltag ver
drängt, beiseite geschoben, aus dem Bewußtsein eliminiert3. Der
Tod ist zum Objekt spezialisierter Institutionen gemacht worden.
Er wird in Krankenhäusern und Altersheimen versteckt und von
Beerdigungsinstituten und Lebensversicherungen blitzschnell, ra
tionell und schmerzlos verarbeitet.
Für die Verwaltungen, die Industriebetriebe und für die gesamte
Gesellschaft ist der Tod eines einzelnen vollkommen neben
sächlich. Alle Organisationen achten darauf, daß jeder Funktions
träger ähnlich wie ein Rädchen in einer Maschine rasch und ganz
unproblematisch ausgewechselt werden kann.
Wenn seine Zeit abgelaufen ist, verschwindet der Mensch fast
spurlos. Nicht einmal sein Grab wird in unserer Massengesell
schaft für längere Zeit erhalten. Im allgemeinen wird der Grab
stein mit seinem Namen nach zwei bis drei Jahrzehnten entfernt,
weil der Platz auf dem Friedhof für einen anderen benötigt wird.
Bei einem Todesfall soll sich auch die Trauer der Freunde und An
gehörigen in Grenzen halten. Man erwartet von uns, daß wir uns
immer beherrscht geben, daß wir uns „funktionstüchtig“ erhal
25
26. ten, auch wenn wir einen geliebten Menschen verloren haben.
Man erwartet auch, daß wir selbst möglichst lautlos und ohne
Aufsehen und Last für andere abtreten4.
Der französische Historiker Philippe Aries bemerkt zur Situation
der Trauernden in unserer Zeit: „Wichtig ist vor allem, daß die
Gesellschaft, die Nachbarn, Freunde, Kollegen und Kinder so we
nig wie möglich wahrnehmen, daß der Tod eingetreten ist. Wenn
auch an einigen Formalitäten festgehalten wird, wenn auch noch
eine Zeremonie auf das Hinscheiden aufmerksam macht, so müs
sen sie doch diskret bleiben und jeden Anlaß zu einer tieferen Ge
mütsregung ausschließen.“5
Aries stellt weiters fest, daß der „Tod zum Tabu“ geworden sei
und im 20. Jahrhundert die „Sexualität als Hauptverbotszone ab
gelöst“ habe. „Früher erklärte man den Kindern, daß sie in einem
Kohlkopf zur Welt kämen, aber man ließ sie bei dter...
Abschiedsszene am Lager des Sterbenden zugegen sein. Heute
werden sie im zartesten Alter in die Physiologie der Liebe einge
weiht, aber wenn sie ihren Großvater nicht mehr zu Gesicht
bekommen und sich darüber wundern, sagt man ihnen, daß er in
einem schönen Garten mit lauter Blumen ruht.“6
Aries meint, sogar von den Sterbenden werde erwartet, daß sie ih
rer Umgebung helfen, an der Verdrängung des Todes festzuhalten:
„Es ist Sache der Kranken, bei Ärzten und Krankenschwestern nie
die unerträgliche Gefühlsbelastung durch ihren nahen Tod auf-
kommen zu lassen. Sie werden nach Maßgabe der Bereitschaft
eingeschätzt, mit der sie der... Umgebung... die Erinnerung dar
an ersparen, daß sie sterben werden. So kann die Rolle des Kran
ken nur negativ sein: die des Sterbenden, der den Anschein er
weckt, er stürbe nicht.“7
Ist es wirklich gut, den Tod, der letztlich für unser Leben doch von
zentraler Bedeutung ist, einfach aus dem Bewußtsein zu verdrän
gen? Heute leiden nicht wenige Menschen an seelischen Störun
gen, die sich etwa in unbestimmten Ängsten, inneren Spannungen,
Neurosen und psychosomatischen Beschwerden äußern. Viele
flüchten auch in den Mißbrauch von Medikamenten, Alkohol
oder Drogen.
Professor Meyer, Direktor der Psychiatrischen Klinik der Univer
sität Göttingen, vermutet, daß verdrängte Todesängste häufig die
Ursache von psychischen Problemen sind, auch wenn deren Sym
ptome den ursprünglichen Charakter der Bedrohung meistens
26
27. kaum mehr verraten8. Diese Annahme erscheint plausibel.
Schließlich begleitet uns die Angst vor dem Ende unser ganzes Le
ben lang. Wir können nichts gegen sie unternehmen, weil man
dem Tod anscheinend nicht entgehen kann. So unterdrücken viele
Menschen jeden Gedanken an das Sterben. Ins Unbewußte ver
drängte Ängste und Konflikte verschwinden jedoch nicht, son
dern führen in vielen Fällen zu seelischen Krankheiten.
Sogar Schlafstörungen können mit dem Todesproblem Zusam
menhängen. Professor Meyer schreibt dazu: „So scheinen solche
Patienten gelegentlich von der Frage beunruhigt und lassen dies
als Widerstand gegen das Einschlafen erkennen, ob sie wirklich
ein Erwachen und damit eine Wiederkehr des Bewußtseins noch
erleben werden oder ob mit ihrem Einschlafen möglicherweise be
reits das Nichtwiedererwachen besiegelt ist.“9 Auch wenn wir im
allgemeinen nicht befürchten müssen, schon in der nächsten
Nacht zu sterben, so wissen wir doch, daß uns der Tod früher oder
später ereilen wird. Bisher konnte niemand damit rechnen, länger
als einige Jahrzehnte zu leben. Die durchschnittliche Lebenser
wartung liegt unter 80 Jahren. So verbannt einen der Tod nach ei
ner kurzen Phase des Lebens in eine ewige Dunkelheit. Der Spa
nier Unamuno meint in seiner Schrift „Der tragische Sinn des Le
bens“: „Wenn Bewußtsein nicht mehr bedeutet als einen Licht
blick zwischen zwei Ewigkeiten der Dunkelheit, dann gibt es
nichts Elenderes als die menschliche Existenz.. .“10
Professor Meyer bemerkt: „Vergegenwärtigen wir uns..., was
dem Menschen angesichts des Todes und lebenslang im Bewußt
sein seiner Sterblichkeit ,zugemutet“ wird, dann stellt sich unaus
weichlich die Frage, wie der Mensch überhaupt damit leben kann,
wie er angesichts des Todes zu genießen, zu lieben und zu arbeiten
vermag... Gibt es, um die Frage noch zuzuspitzen, überhaupt
eine adäquate .normale“ Einstellung zum Tode? Ist der Mensch
wirklich in der Lage, seine Sterblichkeit zu akzeptieren?“11
Die heutige Verdrängung des Todes zeigt wohl, daß die meisten
Menschen nicht bereit sind, ihre Sterblichkeit zu akzeptieren.
Wenn sie dazu imstande wären, könnten sie dem Tod nämlich
ruhig entgegensehen und brauchten nicht jeden Gedanken an das
Ende zu unterdrücken.
Man hört allerdings manchmal die Meinung, es gäbe gar kein To
desproblem, da die meisten Menschen in höherem Alter einen so
genannten natürlichen Tod sterben. Beispielsweise kann man in ei-
27
28. ner theologischen Publikation aus dem Jahre 1971 lesen: „Man
stirbt heute in aller Regel alt und lebenssatt... Ich habe in den
letzten Jahren fast ausschließlich alte Leute beerdigt. Tod tritt
heute meist ein, wenn sich der Lebensbogen natürlich zur Erde zu
rückneigt. Das Leid und die Trauer bleiben in vorgesehenem Rah
men.“12
Diese Sätze täuschen jedoch über die Tatsache hinweg, daß es für
den größten Teil der Menschheit den „natürlichen“ Alterstod
noch nicht gibt. Man denke nur an Länder, in denen Menschen in
Armut leben, wo es weder genügend zu essen noch ausreichende
medizinische Versorgung gibt. Ein Großteil der Bevölkerung
stirbt dort lange vor dem fünfzigsten Lebensjahr an den Folgen
der Unterernährung oder an unzureichend behandelten Krankhei
ten. Nicht zu vergessen sind auch die Opfer von Kriegen oder Ge
walttaten. In der scheinbar friedlichen Epoche seit dem Ende des
Zweiten Weltkrieges sollen mehr als 60 Millionen Menschen in
Kriegen und Bürgerkriegen umgekommen sein. Die meisten davon
waren unbeteiligte Zivilisten. Auch in den reichen Industrie
staaten gibt es für niemanden eine Garantie, gesund das Renten
alter zu erreichen. Viele sterben vorher an Krebs, Herzinfarkten,
Schlaganfällen, Virusinfektionen wie AIDS und anderen Krank
heiten. Tausende kommen bei Verkehrsunfällen ums Leben.
Der Tod ist jedoch auch für die Älteren keineswegs unproblema
tisch. Sie können im allgemeinen die Gedanken nicht mehr ver
drängen, die den Schriftsteller Alan Harrington schon in jüngeren
Jahren bewegten: „... die Trauer, die Männer und Frauen heute
erfüllt, wächst... aus der Gewißheit, daß Altern und körperlicher
Verfall unweigerlich zum Tod führen. Es ist jene Angst vor dem
Verlust unserer Kraft, die Angst, allein oder in den Händen gleich
gültiger Krankenschwestern gelassen zu werden und das feste Wis
sen, daß der Augenblick kommen muß, in dem wir die Menschen,
die wir lieben, nie mehr sehen werden und alles um uns dunkel
wird.. .“13
Professor Meyer schreibt: „Das Verhältnis auch alter Menschen
zum Tode ist... noch in erheblichem Maße durch Furcht vor dem
Sterben und vor dem Alleinsterben bestimmt*. .. Es ist... zu ver-
* Für diese These führt Professor Meyer in seinem Buch „Tod und Neurose“ zahl
reiche Belege an, unter anderem die Ergebnisse sozialempirischer Studien, in de
nen die Einstellung zum Tod in Abhängigkeit vom Lebensalter, von der Religiosi
tät und anderen persönlichen Faktoren erfaßt wird.
28
29. muten, daß der .natürliche1 Tod ein neuer euphemistischer Aus
druck ist, der letztlich jenen modernen Tendenzen entspricht,
die... der Konfrontation mit dem Todesproblem ausweichen.
Wenn die Erreichung des .natürlichen* Todes als wichtiges gesell
schaftspolitisches Ziel... proklamiert wird, so offenbart sich dar
in im Grunde nur das Bemühen, den Tod in das Alter abzuschie
ben und für das Alter zu bagatellisieren.“14
Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, stellte kurz
nach dem Ersten Weltkrieg fest, es wäre „besser, dem Tod den
Platz in der Wirklichkeit und in unseren Gedanken einzuräumen,
der ihm gebührt.“15 Heute drängt sich die Frage auf, inwieweit die
Ereignisse der beiden Weltkriege, die Massenvernichtungslager,
die Anwendung und Fortentwicklung nuklearer Waffen auf unser
Verhältnis zu Sterben und Tod eingewirkt haben müssen und noch
fortwirken. „Dabei liegt auf den ersten Blick der Gedanke nahe,
daß die katastrophalen Ereignisse dieses Jahrhunderts zu den Ur
sachen der Verdrängung des Todes gehören, daß man nur durch
Totschweigen die ständige Konfrontation mit dem großen Sterben
zu ertragen vermochte. Dies um so mehr, als zur selben Zeit, wie
schon beim Vergleich zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg
deutlich wird, die Glorifizierung des Sterbens als Heldentod weit
gehend aufgehört hat. Man kann die Beziehung zwischen Todes
verdrängung und den großen Katastrophen dieses Jahrhunderts
aber auch umgekehrt sehen: Wurden nicht mit der Verdrängung
des Todes gerade jene Kräfte gelähmt, die sich den Massenver
nichtungen hätten entgegenstellen können?“16
Es ist durchaus möglich, daß die Verdrängung des Todes viele
Menschen hindert, Kriege und Gewalttaten, wie sie täglich in den
Fernsehnachrichten gezeigt werden, als etwas wahrzunehmen, was
auch sie selbst betreffen könnte.
3.4 Die Thanatologie
Die Verdrängung des Todes ist inzwischen von vielen Seiten als
schädlich erkannt worden. Heute stehen in den meisten Ausbil
dungsstätten für Ärzte und Krankenschwestern Vorlesungen über
„Tod und Sterben“ auf dem Lehrplan. Es gibt auch eine große
Zahl von Publikationen zur Thanatologie (griechisch: thanatos =
29
30. Tod), einer Richtung, deren Vertreter fordern, sich des Todes be
wußt zu werden und ihn als unausweichliches Schicksal anzuneh
men.
Die bekannte Ärztin und Sterbeforscherin Frau Dr. Kübler-Ross
schreibt in ihrem Buch „Was können wir noch tun? Antworten
auf Fragen nach Sterben und Tod“: „Es gibt viele Möglichkeiten,
uns mit unserem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Zuerst müssen
wir uns natürlich täglich bewußt sein, daß unser Leben nicht ewig
währt. Wir können Literatur und Poesie lesen oder über den Tod
nachsinnen, der uns auf vielerlei Weise in Musik, Drama, Kunst
nahegebracht wird. Wir können Pflegeheime, Anstalten für Gei
steskranke und Krankenhäuser besuchen, um uns daran zu erin
nern, daß unser Leben nicht nur ein beständiger Frühling ist.
... Die Religion sieht den Tod in einem viel breiteren Zusammen
hang, und wer religiös bestimmt ist, kann helfen, den Sinn des
Lebens und damit den Sinn des Todes zu überdenken... Die Er
kenntnis unserer eigenen Endlichkeit sollte jeder von uns anstre
ben, lange bevor wir krank werden und vielleicht einen unheilba
ren Herzschaden erleiden. Wenn wir schon in der Jugend lernen
können, unsere Endlichkeit hinzunehmen, sind wir auf den Tod
vorbereitet, wenn er eintritt.“1
Frau Dr. Kübler-Ross hat allerdings überwiegend religiöse Patien
ten behandelt2. Es ist fraglich, ob ihre Aussagen auch Menschen
helfen können, die nicht an ein Weiterleben im Jenseits glauben
und im Tod nur das unwiderrufliche Ende ihrer Existenz sehen.
Oft heißt es, Personen mit einem starken Charakter fänden sich
leichter mit dem Tode ab als andere. Nach den Erkenntnissen von
Dr. C. Knight Aldrich, dem Präsidenten der Abteilung Psychiatrie
an der Universität Chikago, ist dies jedoch nicht der Fall. Er
schreibt: „Auf Grund meiner klinischen und außerklinischen Er
fahrungen kann ich im übrigen sagen, daß es einer starken, in sich
gefestigten Persönlichkeit sehr schwer fällt, mit Gleichmut an den
eigenen Tod zu denken. Die Stärke der Persönlichkeit verhilft
einem Patienten weniger dazu, angesichts des Todes Depressionen
zu vermeiden als vielmehr dazu, diese Depressionen vor anderen
zu verbergen. Anderseits haben viele Patienten, die den Tod mit
wirklichem Gleichmut zu erwarten scheinen, Depressionen. Sie
leiten den tödlichen Ausgang ihrer Erkrankung ein, oder sie sind
ein Zeichen dafür, daß sie die Lust am Leben infolge Schmerz
oder Entkräftung verloren haben. Ihr vermeintlicher Gleichmut
30
31. verrät nur, daß sie das Leben aufgegeben haben und den Tod will
kommen heißen. Dem Tod sieht man leichter entgegen, wenn man
kaum noch etwas vom Leben erwartet, als wenn man viel zu ver
lieren hat.“3
Der letzte Satz von Dr. Aldrich erklärt, warum viele Menschen
heute im Alter, bei schwerer Krankheit oder in einer ausweglosen
Situation den Tod herbeisehnen. Sie haben keine Hoffnung mehr,
daß sich in ihrem Leben noch irgendeine Besserung ergibt. Des
halb ziehen sie den Tod einem Dasein vor, das ohne Freude ist.
Wenn sie eine Möglichkeit hätten, wieder gesund zu werden und in
einer besseren Welt weiterzuleben, wären sie wahrscheinlich nicht
bereit zu sterben. .
3.5 Das Streben nach unsterblichem Ruhm
Es gab schon immer Menschen, die es nicht hinnehmen wollten,
nach einer kurzen Lebensspanne zu sterben und bald danach ver
gessen zu werden. Da sie ihren Tod nicht verhindern konnten,
wollten sie wenigstens dafür sorgen, daß die Erinnerung an sie
auch in den kommenden Jahrhunderten erhalten blieb. So dachte
z. B. der Grieche Herostratos, der vor mehr als 2000 Jahren den
Artemis-Tempel, eines der sieben Weltwunder seiner Zeit, durch
Brandstiftung zerstörte. Er beging dieses spektakuläre Verbrechen
nur, um unsterblichen Ruhm zu erreichen. Dieses Ziel hat er nicht
verfehlt. Noch heute sind Herostratos und seine Tat überall auf
der Welt bekannt.
Ähnlich wie Herostratos denken wahrscheinlich auch in unserer
Zeit viele Attentäter und Terroristen. Das geben sie aber im allge
meinen nicht zu, weil die Öffentlichkeit sie sonst als gewissenlose
Verbrecher ansehen würde. Meist schieben sie ein politisches Ziel
vor, das allerdings häufig in keinem sinnvollen Zusammenhang zu
ihren Gewalttaten steht und daher eher darauf hinweist, daß sie
bewußt oder unbewußt heimliche Nachahmer des Herostratos
sind.
Das Streben nach Ruhm ist auch für Forscher häufig das wichtig
ste Motiv ihres Handelns gewesen. Bei den Expeditionen Amund-
sens und Scotts zum Südpol kam es beiden vor allem darauf an,
als erster das Ziel zu erreichen. Die Sammlung wissenschaftlicher
Erkenntnisse war demgegenüber zweitrangig. Scott hätte seinen
31
32. Tod und den seiner Männer wahrscheinlich verhindern können,
wenn er sein Unternehmen rechtzeitig abgebrochen hätte. Er be
merkte, schon lange bevor er den Pol erreichte, daß seine Ponys
als Zugtiere für die Schlitten mit seiner Ausrüstung nicht geeignet
waren und ein weiteres Vorgehen deshalb sehr gefährlich war. Die
Hoffnung, als erster Mensch am Südpol in die Geschichte einzuge
hen, ließ ihn jedoch alle Vorsicht vergessen. So rückte er zusam
men mit einigen Begleitern weiter vor. Es gelang ihnen zwar, trotz
aller Schwierigkeiten den Pol zu erreichen. Für den Rückweg hat
ten sie aber nicht mehr genug Kraft, weil sie nun die Schlitten mit
den Nahrungsmitteln und Ausrüstungsgegenständen selbst ziehen
mußten. Sie starben schließlich in der Einsamkeit der Antarktis.
Ruhm dürfte wohl auch das Ziel Alexanders des Großen, Cäsars,
Napoleons und anderer Heerführer und Herrscher gewesen sein.
Sie werden noch heute bewundert. Sie haben bewiesen, daß man
unsterblichen Ruhm erreichen kann, wenn man Kriege führt, in
denen Tausende oder Millionen von Menschen getötet und ganze
Kulturen vernichtet werden.
Im allgemeinen ist die Hoffnung auf unsterblichen Ruhm jedoch
nur eine Täuschung. Wer danach sucht, hat nur geringe Chancen,
sein ehrgeiziges Ziel zu erreichen. Nur ganz wenige haben es ge
schafft, etwas sehr Bedeutendes oder Spektakuläres zu vollbrin
gen, so daß sie auch nach Jahrtausenden nicht vergessen wurden.
Sie gewannen die Unsterblichkeit aber nicht für sich selbst, son
dern nur für ihre Taten. Ihre Macht und ihr Ruhm haben ihnen
nicht geholfen, ihren Tod zu verhindern. Ebenso wie alle anderen
mußten sie nach einer kurzen Lebensspanne sterben.
3.6 Unsterbliche Ideale und die Tradition der
Gewalt
Die Gewißheit des Todes hat besonders ehrgeizige Menschen wie
etwa Herostratos dazu veranlaßt, Verbrechen zu begehen, um un
sterblichen Ruhm zu gewinnen. An der Kürze unseres Daseins
liegt es wohl auch, daß Ideale wie Vaterland, Religion oder Welt
anschauung im allgemeinen höher bewertet werden als das Leben
und das Wohl der einzelnen Menschen. Wie die vielen Kriege in
Vergangenheit und Gegenwart zeigen, sind die Erdenbürger häu
32
33. fig bereit, dafür zu töten und auch ihr eigenes Leben zu riskieren.
Sie selbst müssen ja schließlich sowieso nach einigen Jahrzehnten
sterben; hingegen sollen ihre Nation, ihre Religion oder ihre Ideo
logie für immer weiter existieren.
In der bisherigen Geschichte wurden unzählige Kriege wegen sol
cher Prinzipien geführt. Militärisch unterlegene Kulturen wurden
ausgelöscht. Die Ideale des Stärkeren galten als die höheren. Z.B.
glaubten die christlichen Spanier, den unterworfenen Völkern in
Mittel- und Südamerika weit überlegen zu sein, obwohl diese
hochentwickelte Staaten geschaffen hatten. In Verkennung dieser
Tatsache versklavten die Eroberer die Indianer, zerstörten deren
Kultur und zwangen ihnen ihre Religion auf.
So entstand eine Tradition der Gewalt. Fast alle Staaten bemühten
sich intensiv, ihre militärische Macht zu vergrößern, um nicht in
die Position des Schwächeren zu geraten. Dieses Wettrüsten hält
auch heute noch an, obwohl die bereits vorhandenen atomaren,
biologischen und chemischen Waffen wahrscheinlich ausreichen
würden, die Menschheit mehrfach zu vernichten. Die ideologi
schen Gegensätze zwischen den Supermächten und ihr gegenseiti
ges Mißtrauen scheinen jedoch so tief zu sein, daß es bisher nicht
möglich war, einen Frieden auszuhandeln, der nicht durch eine
militärische Abschreckung garantiert wird. Auch heute sterben je
des Jahr Hunderttausende in Kriegen, die im Namen politischer
oder religiöser Heilslehren geführt werden. In vielen Ländern hält
man die Ideale eben nach wie vor für wichtiger als das Leben der
Menschen.
Das zeigte sich zu Beginn der achtziger Jahre besonders deutlich
im Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak. Dort waren die
Massen von den religiösen oder nationalistischen Ideologien, die
ihre politischen Führer verkünden, begeistert. Millionen von jun
gen Männern meldeten sich freiwillig an die Front, ohne daß die
Generäle ihnen dafür große materielle Vorteile versprechen muß
ten. Viele waren sogar zu Selbstmordkommandos bereit. Unzäh
lige starben in diesem Krieg für ihr Vaterland oder für ihre Reli
gion. Sie dachten nicht daran, sich gegen die Befehle ihrer Offi
ziere aufzulehnen, die sie in den Tod schickten.
Auch die Staaten, die nicht in einen Krieg verwickelt sind, geben
sehr viel Geld für die Rüstung aus. Allein für militärische For
schungen, die für die Entwicklung neuer Waffensysteme notwen
dig sind, werden weltweit jährlich etwa 25 Milliarden Dollar auf-
33
34. gewandt, für medizinische Forschungen hingegen, nur ca. 4 Mil
liarden Dollar bereitgestell1. So scheint für die meisten Regierun
gen die Vergrößerung ihrer militärischen Macht wichtiger zu sein
als die Bekämpfung von Krankheiten, die das Leben der Bevölke
rung ihres Landes bedrohen.
Zum Beispiel stellt die US-Regierung für die AIDS-Forschung
nicht einmal ein Zwanzigstel der Mittel zur Verfügung, die sie für
militärische Forschungen zur Entwicklung von Weltraumverteidi
gungssystemen ausgibt2. Dabei gehört AIDS zu den größten Ge
sundheitsproblemen unserer Zeit, weil sich diese Infektionskrank
heit in den achtziger Jahren sehr rasch über die gesamte Welt aus
gebreitet hat und weil sie fast immer tödlich verläuft. Experten
vermuten, daß bis zum Jahr 2000 allein in Mitteleuropa mehr als
100.000 Menschen schon in jungen Jahren an AIDS sterben wer
den, wenn nicht bald ein Gegenmittel gegen diese heimtückische
Krankheit gefunden wird. Würde die medizinische Forschung
ebenso großzügig gefördert wie die militärische, bestünden gute
Aussichten, daß ziemlich rasch wirksame Medikamente gegen Vi
rusinfektionen wie AIDS entwickelt werden könnten. Die Wissen
schaftler verfügen nämlich heute über hochempfindliche Analyse
verfahren, mit denen sie die Struktur von Viren und die biochemi
schen Vorgänge bei ihrer Vermehrung aufklären können. Da
durch können Wirkstoffe entdeckt werden, die die Vermehrung
der Viren hemmen und sie auf diese Weise unschädlich machen3.
Voraussetzung für die Entwicklung von Heilmitteln gegen AIDS
ist allerdings eine genaue Erforschung der biochemischen Reak
tionen bei der Vermehrung der Viren, welche AIDS auslösen,
denn nur so können hochspezifische Wirkstoffe gefunden werden,
die gezielt den Vermehrungszyklus dieser Viren unterbrechen,
ohne dabei die Lebensvorgänge in den Zellen des menschlichen
Körpers zu stören. Die dafür erforderlichen Forschungsarbeiten
werden die wenigen Laboratorien, die gegenwärtig molekularbio
logische Untersuchungen an Viren durchführen, aber wahrschein
lich nicht innerhalb kurzer Zeit bewältigen können. Da heute in
allen mächtigen Staaten ein großer Teil der Wissenschaftler an mi
litärischen Projekten arbeitet und sich nur verhältnismäßig wenige
mit medizinischen Forschungen befassen können, ist vielmehr zu
befürchten, daß die Suche nach Medikamenten, die AIDS heilen
können, mindestens ebenso lange dauern wird wie die Entwick
lung von Strahlenkanonen zur Kriegsführung im Weltall.
34
35. 3.7 Die Wirkung des Todes auf das Verhalten
der Menschen
Schon die vorangegangenen Betrachtungen über das Streben nach
unsterblichem Ruhm und über die Tradition der Gewalt zeigen,
daß die Gewißheit des Todes das Verhalten der Menschen häufig
in negativer Weise beeinflußt. Der Literaturnobelpreisträger Elias
Canetti schreibt: „Wir müssen schlecht sein, weil wir wissen, daß
wir sterben müssen.“1 Diese Worte des Dichters enthalten wohl
einen wahren Kern. So lehnen gegenwärtig manche Wirtschafts
führer und Politiker Umweltschutzmaßnahmen auch dann ab,
wenn diese sinnvoll und notwendig sind, weil sie dafür kein Geld
ausgeben wollen. Es ist nicht ganz unverständlich, daß sie so han
deln. Die zunehmende Umweltverschmutzung bedroht unsere
Nachfahren nämlich mehr als uns, und die Mächtigen sind zum
Erfolg vor der nächsten Wahlperiode oder spätestens vor dem
Ende ihres kurzen Lebens verdammt. Deshalb achten sie mehr auf
ihre kurzfristigen Vorteile als auf einen gesunden Lebensraum für
die kommenden Generationen.
Der bekannte amerikanische Berichterstatter Sydney J. Harris
meint zu den Auswirkungen der Tatsache, daß wir nur einmal le
ben: „Ich werde diesen Weg nicht noch einmal gehen. Warum
sollte ich mir über das, was ich tue, Gedanken machen? Warum
nicht die Felder verwüsten, die Wälder abholzen, die Straßen
verschmutzen, die Flüsse verunreinigen, die Blumen niederwalzen
und die Menschen nur für die eigenen Zwecke ausnutzen.“2
Obwohl Harris mit seiner Bemerkung ein anderes Ziel vor Augen
hatte, ist anzunehmen, daß sich die Menschen anders verhalten
würden, wenn sie nicht nach einer kurzen Lebensspanne sterben
müßten. Sie würden sich wahrscheinlich mehr bemühen, die Na
tur zu erhalten, weil sie selbst sonst die langfristigen Folgen der
Umweltzerstörung zu tragen hätten. Und wären wohl auch rück
sichtsvoller zu ihren Mitmenschen, da in einem unbegrenzten
Leben die Wahrscheinlichkeit viel höher ist, irgendwann für die
guten Taten belohnt und für die schlechten zur Rechenschaft gezo
gen zu werden.
Elias Canetti hält den Tod auch deshalb für gefährlich, weil er es
versteht, die Menschen zu täuschen. Er meint, wir empfänden
beim Gedanken an den Tod anderer ein heimliches Gefühl der Ge
35
36. nugtuung. Schon ein Gang über den Friedhof könne uns davon
überzeugen. Dabei lasse einen der Gedanke nicht los, daß die, die
da liegen, aus dem Rennen sind. Nur man selbst habe ja die Kraft
und das Leben. „Es ist schwer“, schreibt Canetti, „hier keine
Überlegenheit zu fühlen; der naive Mensch, in dieser Situation,
fühlt sie... Zu seinen Füßen liegen viele Unbekannte, alle dicht
beisammen. Ihre Zahl ist unbestimmt, doch groß, und es werden
immer mehr. Sie können nicht voneinander fort, sie bleiben wie
auf einem Haufen. Er allein kommt und geht, wie es ihm beliebt.
Er allein unter den Liegenden steht aufrecht.“3 „Ohne daß er es
sich gesteht, ist ihm ein wenig zumute, als hätte er jeden von ihnen
im Zweikampf besiegt.“4 Dieses erhebende Gefühl des noch Le
benden ist natürlich nur eine Täuschung. Er selbst muß schließlich
auch sterben.
Canetti meint, das Gefühl der Genugtuung beim Tod anderer sei
besonders stark, wenn man selbst tötet oder die Tötung anderer
veranlaßt. Dazu schreibt er in seinem großen philosophischen
Werk „Masse und Macht“: Die „Konfrontation mit dem Getöte
ten erfüllt den Überlebenden mit einer ganz eigentümlichen Art
von Kraft, die mit keiner anderen Art von Kraft zu vergleichen
ist.“5
„Die Genugtuung des Überlebens, die eine Art von Lust ist, kann
zu einer gefährlichen und unersättlichen Leidenschaft werden. Sie
wächst an ihren Gelegenheiten. Je größer der Haufen der Toten
ist, unter denen man lebend steht, je öfter man solche Haufen er
lebt, um so stärker und unabweislicher wird das Bedürfnis nach
ihm. Die Karrieren von Helden und Söldnern sprechen dafür, daß
eine Art von Süchtigkeit entsteht, der nicht mehr abzuhelfen ist.
Die übliche Erklärung, die dafür gegeben wird, lautet: daß solche
Menschen nur noch Gefahren atmen können; alles gefahrlose Da
sein sei ihnen trüb und schal; einem friedlichen Leben könnten sie
keinen Geschmack mehr abgewinnen. Es soll der Reiz der Gefahr
nicht unterschätzt werden. Aber man vergißt, daß diese Leute
nicht allein auf ihre Abenteuer ausgehen... Was sie wirklich brau
chen, was sie nicht entbehren können, ist wieder und wieder er
neuerte Lust am Überleben.“6
Zur Befriedigung dieser Lust muß man sich der Gefahr aber auch
nicht immer selber aussetzen. Im Gegenteil: „Keiner kann allein
genug Menschen fällen. Auf den Schlachtfeldern sind unzählige
im selben Sinne tätig, und wenn man ihr Befehlsinhaber ist,...
36
37. kann man sich auch das Ergebnis, für das man die Verantwortung
hat, mit Haut und Haaren sämtlicher Leichen aneignen.“7
Wer Bestätigungen für diese These sucht, braucht nur die Fernseh
nachrichten anzusehen. Dort kann man hören, daß die Rundfunk
sender der Staaten, die gerade Krieg führen, wie z. B. in den acht
ziger Jahren der Iran und der Irak, bei fast jeder Gelegenheit von
der gewaltigen Zahl der gefallenen Feinde und von der Größe der
eigenen politischen Führer berichten. Die Machthaber betrachten
es anscheinend als ihren Verdienst, daß so viele getötet wurden.
Das Recht über Leben und Tod ist nach „Masse und Macht“ „das
erste und entscheidende Merkmal des Machthabers“8. Über den
Typus des absoluten Herrschers schreibt Canetti: „An ihn darf
niemand heran; wer eine Botschaft für ihn bringt, wer in seine
Nähe gelangen muß, wird auf Waffen hin durchsucht. Von ihm
wird der Tod planmäßig ferngehalten: er selber darf und soll ihn
verhängen. Er darf ihn so oft verhängen wie er will. Sein Todesur
teil wird immer ausgeführt. Es ist das Siegel seiner Macht; sie ist
absolut nur, solange sein Recht auf Verhängen des Todes ihm un
bestritten bleibt... Zu einer Art doppelter Bereitschaft werden
seine Soldaten erzogen. Sie werden ausgesandt, um seine Feinde
zu töten, und sie sind bereit, für ihn selber den Tod zu empfan
gen.“9
Heute können die meisten Machthaber zwar nicht mehr nach eige
nem Gutdünken Todesurteile verhängen. Dennoch gab es im
20. Jahrhundert viele Kriege und ungezählte politische Morde.
Das schrecklichste Beispiel ist der Versuch der deutschen Natio
nalsozialisten, in Europa systematisch ganze Völker auszurotten.
Millionenfache Massenmorde aus politischen Gründen gab es aber
auch in Armenien, in Uganda, in Kambodscha und anderen
Ländern.
Das Kommando über Raketensysteme, die Millionen von Men
schen töten und ganze Kontinente entvölkern könnten, verleiht
den politischen und militärischen Führern der Supermächte heute
mehr Macht über Leben und Tod, als sie jemals in der Vergangen
heit ein Herrscher hatte. Mit den Worten Canettis: „Es hat einer
heute die Möglichkeit, mit einem Schlage mehr Menschen zu über
leben als ganze Generationen früherer Geschlechter zusammen.“10
Elias Canetti, der sich intensiv mit der Wirkung des Todes auf das
Verhalten der Menschen befaßt hat, schreibt in seinen Aufzeich
nungen: „Ohne die Anerkennung des Todes hätte es nie ärgste
37
38. Verbrechen gegeben.“11 Auch wenn man die Dinge anders sehen
kann als der Dichter, haben die bisherigen Betrachtungen doch ge
zeigt, daß Canettis Thesen zum Tod keineswegs unrealistisch sind.
Somit scheint der Tod so etwas wie ein böser Gott zu sein. Er ver
bannt den einzelnen nach wenigen Jahrzehnten des Lebens in eine
ewige Nacht. Er täuscht die Menschen über seine wahre Gefähr
lichkeit, indem er ihnen beim Tod anderer ein Gefühl der Genug
tuung gibt. Er macht sie schlecht und rücksichtslos. So wird er es
vielleicht sogar schaffen, sie dazu zu bringen, mit Hilfe ihrer
Atomtechnik alles Leben auf der Erde auszulöschen.
3.8 Das Leben als ein Sein zum Tode
Trotz allem, was bisher gesagt wurde, sehen manche im Tod etwas
Positives, so der Wirtschaftswissenschaftler Kenneth Boulding:
„Vielleicht ist die größte Bedrohung der menschlichen Rasse...
nicht so sehr die Atombombe, sondern die Möglichkeit, das
Altern auszuschalten.“1 James Carse, Leiter der religionsge
schichtlichen Fakultät an der New York University, bemerkte:
„Die Unsterblichkeit muß vermieden werden. Der Tod ist der Ur
sprung des Sinns. Könnte man ewig leben, wäre das Leben sinn
los. Der Tod ist der Ursprung des Menschen. Es gibt kein Selbst
ohne den Tod.“2 Der Philosoph Karl Jaspers schreibt: „Wäre
nicht das Verschwinden, so wäre ich als Sein die endlose Dauer
und existierte nicht... Der Tod ist für jede Existenz die Notwen
digkeit ihres Daseins.“3 Karl Jaspers und andere Philosophen, die
sich der Richtung der Existenzphilosophie zurechnen, betrachten
das Leben als ein „Sein zum Tode“.
Der amerikanische Physikprofessor Robert C. Ettinger bemerkt
zu der Tatsache, daß manche Menschen erklären, sie wollten kein
unbegrenztes Leben: „Wenn jemand hartnäckig an der Behaup
tung festhält, er möchte nicht endlos leben, verbirgt er sich nicht
selten hinter einer Maske.“ Man kann sie lüften, wenn man ihn
fragt: „Würden Sie, um den Tod als „natürliches“ Ende des Lebens
nicht hinauszuschieben, im Falle einer schweren Infektionskrank
heit Penicillin verweigern?“ Er würde sich wohl nicht weigern
wollen. Anschließend frage man ihn: „Würden Sie ein Serum ver
weigern, das gerade auf dem Markt erschien und Ihnen zwanzig
38
39. zusätzliche Jahre blühenden Lebens garantiert?“ Eine Ablehnung
ist eher unwahrscheinlich. Ebensowenig würde er ein garantiert
wirksames Unsterblichkeitsserum verweigern.
Und nun zeigt sich das wahre Gesicht des Gegners. „Er strebt sehr
wohl nach Unsterblichkeit, aber er möchte sie auf einem silbernen
Teller vorgesetzt bekommen. Er lehnt nicht das Leben ab, wohl
aber die mit seiner Erhaltung verbundenen Mühen und Risiken.
Er ist alles andere als stoisch-gelassen oder seinem Schicksal erge
ben, oder von ausgeglichener Wesensart... oder reif, oder philo
sophisch, oder überbescheiden oder altruistisch. Er hat auch nicht
jene anderen edlen Eigenschaften, die er zu besitzen vorgibt: er ist
einfach kurzsichtig und nervös.“
Wenn man einen solchen Gegner entlarven will, kann man ihn
auch fragen: „Wie alt würden Sie denn wohl werden wollen, wenn
Sie wählen könnten? Würden Sie genau Ihre .natürliche Lebens
dauer“, nicht mehr und nicht weniger, wählen? Würden Sie sich
bei normalem Ablauf der Ereignisse gern einem Unfall oder einem
Leiden ausgeliefert sehen und würden Sie Ihr Leben weder zu ver
kürzen noch zu verlängern trachten?“ Professor Ettinger schreibt:
„Es genügt, solche Fragen zu stellen, um das Absurde bejahender
Antworten deutlich zu machen.“4
Der berühmte deutsch-amerikanische Philosoph Herbert Marcuse
meint zu den Versuchen der Existenzphilosophie und anderer
Richtungen, die Unumgänglichkeit des Todes zu beschönigen:
„Die Theologie und die Philosophie liegen heute in einem Wett
streit um die Verherrlichung des Todes als existentieller Katego
rie.“ „Die herrschenden Mächte haben eine tiefe Affinität zum
Tode; der Tod ist ein Wahrzeichen der Unfreiheit, der Nieder
lage.“ Marcuse vertritt die Ansicht, die Philosophie sollte auf die
Tatsache des Todes mit der „großen Verweigerung“ reagieren. Die
Unvermeidlichkeit des Todes widerlege nicht die Möglichkeit einer
schließlichen Befreiung. Ziel sei es, den Menschen zu erlauben, zu
einem Zeitpunkt ihrer eigenen Wahl zu sterben5. Das erfordert
natürlich die Entwicklung von Techniken, die den unfreiwilligen
Tod ausschließen. Auch viele andere Philosophen, vor allem des
dialektischen Materialismus, visieren die Möglichkeit an, eines
Tages den Tod ganz zu überwinden6.
Selbstverständlich muß man nicht wie Marcuse und die anderen
Denker des dialektischen Materialismus dem Marxismus naheste
hen, um einen Sieg über den Tod anzustreben. Der Tod, das Al
39
40. tern und die Krankheiten sind gemeinsame Feinde aller Menschen.
Diese Übel bedrohen auch diejenigen, die gegenwärtig den Tod
noch für unvermeidlich halten und deshalb versuchen, in ihm et
was Positives zu sehen.
3.9 Der Tod und die Evolution
Manchmal wird behauptet, daß es ohne den Tod keine Höherent
wicklung der Menschheit gäbe, der Tod besitze evolutionsfördern
de Wirkung.
In einem Buch über die natürliche Evolution kann man lesen: Die
wichtigste Regel bei diesem Lebensspiel ist, „daß Organismen
Nachkommen hervorbringen sollen, die ihnen zwar ähnlich, nicht
aber identisch mit ihnen sind... Sind Organismen nicht identisch,
so behaupten sie sich auch nicht mit gleichem Erfolg im Leben
und bei der Fortpflanzung, weswegen die Erfolgreichen dominie
ren. Das Ergebnis ist eine allmähliche Ansammlung von Erbbot-
schaften, die Lebenshilfen darstellen.“
Strenggenommen ist der Tod für die Auslese nicht notwendig,
„denn sie erfordert ja nur unterschiedliche Erfolge in der Fort
pflanzung. Auf einem unendlich großen Planeten könnte dieser
Prozeß immer weiterlaufen, ohne daß es den Tod geben müßte. In
der Praxis aber sind die Lebensmöglichkeiten auf unserem Plane
ten begrenzt, und der eine Organismus muß sterben, um einem an
deren Platz zu machen. Zweifellos beschleunigt dies das Lebens
spiel. Je kürzer die Lebensdauer einer Generation und die Zeit
spanne einer Art von ihrer Entstehung bis zur Auslöschung sind,
desto schneller kann die Selektion wirken.“1
Wenn man die bisherige Entwicklung des Lebens auf der Erde be
trachtet, so treffen diese Bemerkungen zu. Der Mensch hat jedoch
die natürliche Auslese für seine Art bereits heute ausgeschaltet.
Voraussetzung für die Selektion ist nämlich, daß weitaus mehr
Nachkommen erzeugt werden, als später überleben können. Dann
pflanzen sich nur die stärksten Individuen fort und geben ihre
guten Erbeigenschaften an die kommenden Generationen weiter.
Einen derartigen Kampf ums Überleben kann die menschliche Ge
sellschaft aber nicht akzeptieren. Unsere Ethik gebietet es, allen
Kindern, auch denen, die schwach oder krank sind, ein Leben und
40
41. die Gründung einer eigenen Familie zu ermöglichen. Die moderne
Medizin hat dieses Ziel zumindest in den Industriestaaten fast
vollständig verwirklicht.
Somit ist die natürliche Evolution für das Menschengeschlecht
nicht mehr wirksam, der Tod hat für uns seine Bedeutung als evo-
lutionsfördernder Faktor verloren. Wenn man die menschliche
Gesellschaft wieder den Gesetzen der natürlichen Evolution unter
werfen wollte, würde das zur Barbarei führen. Das erfordert näm
lich eine politische Ordnung, in der die Schwachen keinen Schutz
genießen. Versuche in dieser Richtung gab es im Dritten Reich.
Damals wurden Menschen mit angeblich schlechten Erbeigen
schaften diskriminiert, isoliert, ermordet. So gehört auch die
Tötung von etwa 100.000 chronisch Kranken zu den Verbrechen
des Nationalsozialismus2.
In den folgenden Kapiteln wird erläutert, weshalb die Überwin
dung des Todes eine Höherentwicklung der Menschheit keines
wegs behindern, sondern sie sogar fördern wird.
3.10 Der Wert des menschlichen Lebens
Jeder Mensch ist einmalig. Schon daraus ergibt sich, daß jedes
menschliche Leben unendlich kostbar ist. Ein Goldbarren kann
durch einen anderen ersetzt werden. Ein Mensch hingegen ist un
ersetzbar. Das wird uns spätestens dann bewußt, wenn ein gelieb
ter Angehöriger oder Freund stirbt.
Soll man den Tod trotzdem akzeptieren? Gegenwärtig sterben
viele schon in jungen Jahren an den Folgen von Kriegen, an Un
terernährung oder an Krankheiten, die beim jetzigen Stand der
Wissenschaft noch nicht beherrschbar sind. Die meisten stimmen
wohl zu, wenn gefordert wird, nach wirksamen Maßnahmen zu
suchen, um solche vorzeitigen Todesfälle zu verhindern.
Wenn jemand heute im Alter von achtzig Jahren stirbt, neigen al
lerdings manche dazu, gleichgültig mit den Achseln zu zucken und
zu sagen: „Er hat ein erfülltes Leben gehabt.“ Ist das wirklich so?
Die meisten Erdenbürger müssen den größten Teil ihres Lebens
hart arbeiten. Ihnen bleibt nur wenig Zeit, es zu genießen. Daran
werden sie häufig auch durch Krankheiten und in späteren Jahren
durch die Altersbeschwerden gehindert. Man denke auch daran,
41
42. wie viele Pläne ein Mensch in seiner Jugend hat und wie wenig da
von er in seinem kurzen Dasein verwirklichen kann.
Hören wir dazu noch einmal Elias Canetti: „Es ist um jeden
schade. Niemand hätte je sterben dürfen... Das Wichtigste trägt
man vierzig oder fünfzig Jahre in sich, bevor man es artikuliert zu
sagen wagt. Schon darum ist gar nicht zu ermessen, was mit denen
verloren geht, die früh sterben. Alle sterben früh.“1 „Er (der Tod)
ist das oberste Symbol des Mißlingens... Wäre... der Tod gar
nicht da, so könnte einem nichts wirklich mißlingen; in immer
neuen Versuchen könnte man Schwächen, Unzulänglichkeiten
und Sünden wiedergutmachen. Die unbegrenzte Zeit gäbe einem
unbegrenzten Mut.“2
42
43. 4. Techniken zur Erreichung
der Unsterblichkeit
Bisher konnten die Menschen von der Unsterblichkeit nur träu
men. Der Jungbrunnen wurde niemals gefunden. Auch die Magie
hat nicht geholfen. Weder die Alchimisten im alten China noch die
in Europa konnten einen Zaubertrank hersteilen, der das ewige
Leben brachte.
In den vergangenen Jahrhunderten ist es den Menschen aber ge
lungen, mit Hilfe von Wissenschaft und Technik vieles zu verwirk
lichen, was früher nur ein Traum war. Ein Beispiel dafür ist das
Fliegen. Diese Fähigkeit traute man im Altertum nur den Göttern
und einigen Helden mit magischen Kräften zu. Die Bewunderung,
die man diesen sagenhaften Gestalten in den Mythen entgegen
brachte, zeigt, daß das Fliegen eine uralte Wunschvorstellung der
Menschen war. Heute ist es selbstverständlich. Es gibt kleine
Flugdrachen aus Kunststoff, mit denen man nach einigem Trai
ning frei durch die Lüfte schweben kann. Sie erfüllen den Traum,
wie ein Adler zu segeln. Große Düsenflugzeuge sind imstande, in
wenigen Stunden von Europa aus Kontinente jenseits des Atlan
tiks zu erreichen. Von so schnellen und bequemen Reisen konnten
unsere Vorfahren im Mittelalter nur träumen. Damals überquer
ten nur die Wikinger den Atlantik. Ihre primitiven Schiffe waren
Monate unterwegs, bevor sie Grönland und Vinland, das heutige
Nordostkanada, erreichten.
Vielleicht haben sich einige von den alten Seefahrern danach ge
sehnt, mit den Verwandten in der Heimat sprechen zu können. So
etwas war für sie aber vollkommen unmöglich. Heute braucht
man hingegen nur zum Telefon zu greifen, wenn man mit Bekann
ten oder Freunden auf anderen Kontinenten reden will. Man kann
sogar im Fernsehen fast jeden Tag bewegte Bilder von dort sehen.
Die systematische Erforschung der Naturgesetze und technische
Erfindungen haben den Menschen auch vieles weitere ermöglicht.
43
44. Man denke etwa an die Konservierung von Lebensmitteln in Kühl
schränken, den Genuß von Früchten aus fernen Ländern, das
mühelose Herstellen von Bildern mit Photoapparaten und die
automatische Ausführung von umfangreichen Berechnungen
durch Computer. In den vergangenen Jahrhunderten haben sich
wahrscheinlich viele Heilmittel gegen Cholera, Pocken, Pest, Tu
berkulose, Lungenentzündung, Kindbettfieber, Tollwut oder Dia
betes gewünscht. Diesen Krankheiten fielen früher Millionen von
Menschen schon in jungen Jahren zum Opfer. Heute gibt es dage
gen wirksame Impfstoffe und Medikamente.
Was wird die kommende Zeit bringen? Wird es weitere Fortschrit
te in Wissenschaft und Technik geben, oder wird der wissenschaft
liche Fortschritt zum Stillstand kommen? Das letztere ist ganz un
wahrscheinlich, weil es viele Wege gibt, etwas Neues zu entdecken.
Es ist auch nicht zu befürchten, daß die Menschen in der Zukunft
auf die weitere Erforschung des Universums und der Naturgesetze
verzichten werden, denn das würde ihrer natürlichen Neugier wi
dersprechen. Der wissenschaftliche Fortschritt könnte also nur
dann gestoppt werden, wenn unsere Zivilisation durch eine Natur
katastrophe zerstört würde oder sich durch einen Atomkrieg oder
totale Umweltvergiftung selbst auslöschen würde. Wie im 8. Kapi
tel begründet wird, gibt es jedoch gute Aussichten, daß solche
Katastrophen vermieden werden können.
Folglich kann man damit rechnen, daß es auch in der Zukunft
ständig neue Entdeckungen und Erfindungen geben wird. Dieser
Fortschritt hat sich in den vergangenen Jahrhunderten sogar im
mer mehr beschleunigt. So wurden in den letzten dreißig Jahren
mehr wissenschaftliche und technologische Erkenntnisse gewon
nen als in der gesamten bisherigen Geschichte. Es ist durchaus
möglich, daß die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts in
der Zukunft noch weiter zunehmen wird. Computer werden den
Forschern nämlich viele Routinearbeiten wie das Durchführen
von umfangreichen Berechnungen oder die Suche nach bestimm
ten Informationen abnehmen. Somit bleibt ihnen mehr Zeit für
kreative, erfinderische Tätigkeiten. Außerdem werden aufgrund
des insgesamt verbesserten Ausbildungsstandes mehr Menschen
als früher zu neuen Entdeckungen fähig sein.
Heute wird allerdings manchmal behauptet, wir hätten den Höhe
punkt der technischen Entwicklung erreicht. Weitere Fortschritte
seien nun nicht mehr möglich. Diese Auffassung wird vor allem
44
45. dann geäußert, wenn es bei technischen Großprojekten zu einem
Fehlschlag kommt. So haben nach der Explosion der amerikani
schen Raumfähre Challenger einige Berichterstatter erklärt, hier
zeigten sich die Grenzen des Fortschritts. Eine Weiterentwicklung
der Raumfahrttechnologie sei wohl nichts weiter als eine Utopie.
Dabei wird jedoch vergessen, daß in den Laboratorien überall auf
der Erde fast täglich neue Erkenntnisse gewonnen werden und daß
wissenschaftliche Entdeckungen die Eigenschaft haben, weitere
Verbesserungen in der Technik zu ermöglichen. So können z.B.
neue Entdeckungen in der Chemie und in der Physik zu neuarti
gen Kunststoffen und Metall-Legierungen mit überlegenen Ge
wichts- und Festigkeitseigenschaften führen, aus denen dann lei
stungsfähigere und zuverlässigere Raketen gebaut werden kön
nen.
Solche Möglichkeiten werden aber in vielen Zukunftsprognosen
einfach ignoriert. Es scheint im menschlichen Denken eine ausge
prägte Neigung zu geben, den gerade erreichten Stand der Ent
wicklung für den höchst möglichen zu halten. Diese Einstellung ist
keineswegs ein spezielles Phänomen unserer Zeit. Sie war schon
immer vorhanden. In allen Epochen unserer Geschichte haben
sich Menschen eingebildet, sie hätten den Gipfel der Entwicklung
erreicht. Ihre Nachkommen bewiesen durch ihre Leistungen, daß
die Ansicht ihrer Vorgänger falsch war — doch dann verfielen sie
häufig in den gleichen selbstgefälligen Irrtum. So ist von frühester
Zeit an fast jeder technische Fortschritt entgegen den Behauptun
gen, daß er unmöglich sei, erzielt worden. Stets stammten diese
Erklärungen von Leuten, die Fachleute zu sein behaupteten, und
stets erwiesen sich ihre Auffassungen als falsch. Dennoch wurden
ihre negativen Vorhersagen zu ihrer Zeit von den meisten Men
schen durchaus ernst genommen. Um uns vor demselben Fehler
zu schützen, könnte es lehrreich sein, einmal an einigen Beispielen
zu betrachten, wie falsch auch bedeutende Männer der Vergan
genheit die weitere Entwicklung der Technik beurteilt haben.
Einige Jahrzehnte nach Christi Geburt schrieb Julius Frontinus,
damals der führende Pionieroffizier des Römischen Reiches: „Ich
werde alle Ideen für neue Befestigungswerke und Kriegsmaschi
nen ignorieren, deren Erfindung ihre Grenze erreicht hat und für
deren Verbesserung ich keine weitere Hoffnung sehe.“1 Man kann
davon ausgehen, daß ethische Erwägungen bei dieser Erklärung
keine Rolle gespielt haben, denn die Soldaten des Imperium
45
46. Romanum betrachteten es als ehrenvolle Pflicht, fremde Völker
zu unterwerfen, jeden, der Widerstand leistete, zu töten und die
Überlebenden in die Sklaverei zu verkaufen. Julius Frontinus hielt
weitere Forschungen auf dem Gebiet der Kriegsmaschinen nur
deshalb für sinnlos, weil er an einigen erfolglosen Versuchen mit
neuen Geräten teilgenommen hatte und ebenso wie die meisten
seiner Zeitgenossen glaubte, die Technik hätte bereits damals den
Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht.
Ein ähnlicher Fehler unterlief auch Napoleon Bonaparte. Als er
sich in seinem Feldlager Boulogne auf die Invasion in Großbritan
nien vorbereitete, meldete sich bei ihm ein heruntergekommener
amerikanischer Ingenieur namens Robert Fulton, der ihm erklär
te, wie die britische Blockadeflotte besiegt werden könne. „Herr“,
soll ihn der Kaiser ungeduldig angefahren haben, nachdem er ihm
ein paar Minuten zugehört hatte, „Sie wollen ein Schiff gegen
Wind und Strömung segeln lassen, indem Sie ein Feuer unter dem
Deck anzünden? Entschuldigen Sie! Aber ich habe keine Zeit, mir
solchen Unsinn anzuhören.“ Wäre er dem Rat des Mannes ge
folgt, hätte er Großbritannien durchaus erobern können. Die er
sten primitiven Dampfschiffe, etwa so gebaut, wie es Fulton ge
plant hatte, tauchten bald nach Napoleons Tod auf. Doch die
Fachleute gaben ihnen keine Zukunft. „Die Menschen könnten
ebensogut erwarten, auf dem Mond herumzuwandern, wie den
Atlantik auf einem dieser Dampfschiffe zu überqueren“, erklärte
der berühmte Professor Dionysius Lardner2.
Vergleichbare Aussagen begleiteten auch die Entwicklung der
Luftfahrt. So schrieb der große amerikanische Astronom Simon
Newcomb zu Beginn unseres Jahrhunderts einen vielbeachteten
Aufsatz, der mit den Worten schloß: „Der Beweis, daß keine
denkbare Kombination bekannter Substanzen, bekannter Moto
rentypen und bekannter Kraftquellen zu einer praktisch verwend
baren Maschine zu führen vermag, mit der Menschen auf große
Entfernungen durch die Luft fliegen sollen, erscheint dem Verfas
ser so vollständig, wie es der Beweis für irgendeine physikalische
Tatsache der Zukunft nur sein kann.“3
Newcombs Ansichten wurden damals von fast allen Wissenschaft
lern unterstützt. Dennoch hob kurze Zeit später Orville Wrights
erstes Flugzeug, angetrieben von einem einfachen Benzinmotor, in
Kitty Hawk im amerikanischen Bundesstaat North Carolina vom
Boden ab. Zunächst wurde überhaupt nichts darüber veröffent-
46
47. licht. Die Zeitungen weigerten sich, zu drucken, was ein Redak
teur „diese lächerliche Geschichte“ nannte. Als einige Wochen
später fest stand, daß Orville Wright tatsächlich geflogen war, er
klärten Simon Newcomb und einige andere: „Kein Flugzeug wird
jemals das Gewicht eines Passagiers befördern können.“ Also
nahm Orville Wright auf dem nächsten Flug seinen Bruder Wilbur
als Passagier mit. Nach diesem Zweimannflug schrieb der Inge
nieur Octave Chanute einen berühmten Artikel über die Zukunft
der Luftfahrt. Exemplare der Nummer des „Populär Science
monthly“ (deutsch: Monatszeitschrift für Populärwissenschaft),
die diesen Aufsatz enthielt, sind heute bei Sammlern hochge
schätzt. „Diese Maschine mag in Sonderfällen sogar Post beför
dern“, schrieb Chanute. „Doch die Nutzlast wird sehr klein sein.
Die Maschinen werden schließlich schnell sein, sie werden im
Sport benutzt werden, doch man darf in ihnen keine kommerziel
len Beförderungsmittel sehen.“4
Trotzdem wurde elf Jahre später, 1914, der erste kommerzielle
Passagierflugdienst zwischen zwei Städten Floridas eingerichtet.
Viele Wissenschaftler meinten dazu, man solle das Gefühl für
Maßstäbe nicht verlieren. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg schrieb
der Astronom William H. Pickering: „In der Meinung des Volkes
herrscht oft die Vorstellung, künftig könnten gigantische Flugma
schinen über den Atlantik brausen und zahllose Passagiere beför
dern, ähnlich wie unsere modernen Dampfschiffe... Es scheint
mir ganz sicher, daß derartige Ideen völlig phantastisch sein müs
sen, und selbst wenn eine Maschine mit einem oder zwei Passagie
ren hinüberkäme, würden die Kosten das Unternehmen einem je
den verbieten, mit Ausnahme des Großkapitalisten, der sich eine
eigene Jacht leisten kann. Und noch ein im Volk verbreiteter Irr
tum ist zu korrigieren: die Erwartung, daß sich eine enorme Ge
schwindigkeit erzielen lassen werde. Man muß sich erinnern, daß
der Luftwiderstand mit dem Quadrat der Geschwindigkeit wächst
und die zu seiner Überwindung erforderliche Arbeit mit der drit
ten Potenz... Wenn wir jetzt mit 30 Pferdestärken eine Ge
schwindigkeit von 40 Meilen pro Stunde (ca. 65 km/h) erreichen
können, dann müßten wir, um auf 100 Meilen in der Stunde (ca.
160 km/h) zu kommen, einen Motor mit einer Leistung von
470 Pferdestärken verwenden... es ist klar, daß wir nicht hoffen
können, mit den uns jetzt verfügbaren Flugapparaten jemals an
rasender Schnelligkeit mit unseren Lokomotiven oder Automobi-
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48. len zu konkurrieren.“ Professor Pickering selbst hatte, als er 1938
im hohen Alter von achtzig Jahren starb, noch Gelegenheit ge
habt, Flugzeuge zu sehen, die mit einer Geschwindigkeit von
400 Meilen in der Stunde (ca. 650 km/h) flogen und erheblich
mehr Passagiere beförderten als „einen oder zwei“5.
Es lassen sich noch viele weitere Beispiele von Vorhersagen fin
den, in denen die zukünftige Entwicklung von Wissenschaft und
Technik drastisch unterschätzt wurde. Im Jahre 1899 wollte der
Direktor des Patentamtes der Vereinigten Staaten seine eigene Be
hörde auflösen, weil „alles, was erfunden werden kann, erfunden
worden ist“. Dieser Mann, der von Berufs wegen für die Registrie
rung von Erfindungen zuständig war, glaubte damals, die Technik
hätte den absoluten Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht, nur
weil er einige Jahre lang keine grundlegenden Neuerungen gesehen
hatte. Lord Rutherford, der mehr als jeder andere zur Aufklärung
der Innenstruktur des Atoms beigetragen hat, spottete oft über die
„Sensationsmacher“, die prophezeiten, man werde einst die an
das Atom gebundene Energie freisetzen und nutzen können. Er
glaubte, für die Kernspaltung würde es niemals eine praktische
Verwendungsmöglichkeit geben. An diesem Irrtum hielt der große
Wissenschaftler sein ganzes Leben lang fest. Aber schon fünf Jah
re nach seinem Tod im Jahre 1937 wurde 1942 in Chikago der erste
Atommeiler in Betrieb genommen. Viele Physiker lachten Marco-
ni, den Erfinder der drahtlosen Telegrafie aus, als er behauptete,
Funknachrichten könnten den Atlantik überqueren. Sie nahmen
an, dazu wäre ein Radioreflektor von der Größe des nordamerika
nischen Kontinents notwendig6.
Ich habe diese Anekdoten nicht erzählt, um Männer lächerlich zu
machen, von denen einige, von diesen Verirrungen abgesehen,
wichtige Beiträge zu unserem Wissen und unserer Zivilisation ge
leistet haben. Die Tatsache, daß ihre negativen Vorhersagen falsch
waren, sollte uns aber mahnen, ähnliche Erklärungen, die heute
von Experten abgegeben werden, nicht einfach unkritisch hinzu
nehmen.
Auch auf längere Sicht gibt es keinen Grund, weshalb die Fort
schritte der Wissenschaft aufhören oder langsamer werden soll
ten. Die wissenschaftlichen Entdeckungen haben nämlich die Ei
genschaft, die Macht der Technik immer weiter zu vergrößern,
und diese wiederum versieht die Wissenschaftler mit immer wirk
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