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Grußwort Dr. Heiko Geue zur Fachtagung
#NetzohneHass – Hass im Netz entgegen treten
am 29. Juni 2017
im Tagungswerk Berlin
Lieber Thomas Krüger,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Die Digitalisierung gibt es noch gar nicht so lange. Aber sie zeigt deutlich, dass sie eine
Basisinnovation ist, die unser ganzes Leben verändert.
Seit der industriellen Revolution gab es vor der Digitalisierung vier Basisinnovationen: Die
Einführung von Dampfmaschinen, zuallererst in der Textilindustrie, die Eisenbahn, dann
Elektrizität und schließlich die Erfindung des Verbrennungsmotors. Und vor der industriellen
Revolution gab es eigentlich nur den Buchdruck, der einen allumfassenden Wandel auslöste.
Basisinnovationen verändern nicht nur einzelne Branchen sondern ganze Volkswirtschaften.
Sie verändern die internationale Arbeitsteilung, das Berufsleben, die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie, wie wir uns informieren, wie wir denken, woran wir glauben und was wir tun.
Die Digitalisierung ist die fünfte Basisinnovation. Gerade auch im täglichen Leben von
Kindern und Jugendlichen spielen das Internet und soziale Netzwerke eine zentrale Rolle.
Inzwischen werden die ersten Kinder zu Jugendlichen, die den Unterschied zwischen On- und
Offline gar nicht mehr verstehen. 95 % aller Jugendlichen und die Hälfte aller Kinder
verfügen inzwischen über eigene Smartphones und sind damit „always on“.
Sie kommunizieren mit WhatsApp, schauen Videos bei YouTube und lassen ihre Freunde mit
Snapchat und Instagram an ihrem Leben teilhaben. Das sind die sozialen Dienste heute, wie
werden sie wohl morgen heißen?
Wir befinden uns inmitten eines rasanten Wandels. In solchen Zeiten, ist es schwieriger als
sonst, sich zu orientieren und abzusehen, wie sich die Zukunft entwickelt.
Noch vor wenigen Jahren standen die Verheißungen der Digitalisierung im Vordergrund.
Zuallererst wurde erwartet, dass das Internet das größte Demokratisierungsinstrument in
der Geschichte der Menschheit sein könnte. Der arabische Frühling wäre ohne Smartphones
und Internet ebenso wenig möglich gewesen, wie eine neue mediale Öffentlichkeit in
autokratischen Staaten wie China oder Russland. Diktatoren auf der ganzen Welt zitterten,
wie lange ihre Macht noch halten würde.
Gleichzeitig wurde erhofft, dass die Digitalisierung das schärfste Wettbewerbsinstrument
aller Zeiten werden könnte. Kleine, freche, innovative Anbieter könnten überall auf der Welt
den großen, mächtigen Konzernen den Kampf ansagen. Die Dinosaurier würden aussterben
und kleineren, konsequent kundenorientiert auftretenden Wettbewerbern Platz machen
müssen. Das hat leider nicht stattgefunden. Im Gegenteil haben globale Konzerne die
Digitalisierung längst als Instrument der Ausweitung von Märkten und der Abwehr
unliebsamer Konkurrenz entdeckt.
In Deutschland wird seit geraumer Zeit von privater Seite versucht, mit Abgeordneten-Watch
die Politik transparenter zu machen. Leider entsteht daraus nicht automatisch mehr
Vertrauen. Im Gegenteil ist das Netz geprägt durch Misstrauen und Verschwörungstheorien.
Das hat nicht zuletzt mit den Problemen zu tun, die sich unerwartet im Rahmen der
Fortentwicklung der Digitalisierung aufgetan haben.
Zum einen dem Problem, dass durch die Anonymisierung des Netzes ungeahnt viele Nutzer
zu einer Verrohung des Austauschs beitragen. Von Kommentaren, die jegliche Kinderstube
vermissen lassen bis hin zu Mobbing und Hate-Speech gibt es alles in erschreckendem
Ausmaß – viel mehr als ausgewogene, abwägende und differenzierte Beiträge. Das Netz gibt
Vielen leider inzwischen so viel Sicherheit, dass sie sogar mit ihren Klarnamen andere
Menschen beleidigen, massiv einschüchtern und bedrohen. In Kommentaren werden
menschenverachtende Parolen oft unverhohlen geäußert. Jeden Tag werden mittlerweile
Grenzen der Mitmenschlichkeit und des Rechts überschritten.
Hinzu kommt das weitere Problem der medialen Echokammern, die sich im Zuge der
Digitalisierung gebildet haben. Immer mehr Menschen informieren sich über soziale Dienste,
die über ihre Algorithmen in der Auswertung der bisherigen Bewegungen der Nutzer im Netz
vorauswählen, welche Informationen die Kunden besonders interessieren. Wenn dann auch
noch die so genannten „Freunde“ im Netz immer wieder die eigene Meinung bestätigen,
sind diese Echokammer regelrechte Brutkammern für Verschwörungstheorien und „Fake
News“.
In der Folge schaukeln sich oftmals Debatten hoch. Nutzer überbieten sich in der Drastik
ihrer Äußerungen. So entsteht der Eindruck, Hass und Hetze seien gesellschaftlich
anerkannt. Hassreden haben Einzug in die digitale Welt und damit in unser aller Leben
gehalten.
Lassen Sie mich eine Zahl nennen:
Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen aus
dem Jahr 2016 waren bereits 77 % der 14- bis 59-Jährigen in Deutschland mit Hate Speech
konfrontiert. Wer einmal selbst davon betroffen war, weiß, wie demütigend und verletzend
sich solche Äußerungen anfühlen und wie groß die Ohnmacht ist.
Hassreden, digitales Mobbing, Verschwörungstheorien und Fake News bedrohen ein
Grundprinzip unserer Demokratie: den fairen Meinungsaustausch.
Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut unserer Demokratie. Meinungsfreiheit bedeutet,
einander mit Respekt zu begegnen und mit Respekt zu diskutieren. Meinungsfreiheit heißt
nicht, das Recht zu haben, andere zu beleidigen, zu hetzen, zu bedrohen.
Deswegen darf unsere wehrhafte Demokratie Hass und Hetze nicht tolerieren.
Menschenrechte gelten offline und online. Extremistische und menschenverachtende
Akteure und Gruppierungen, wie etwa Rechtsextreme oder islamistische Extremisten,
nutzen das Netz immer professioneller zur Ansprache von Jugendlichen. Dabei nutzen Sie
den Umstand aus, dass Jugendliche auf der Suche nach Identität, Anschluss und
Zugehörigkeit sind.
Wenn Hass und Hetze die Jugend prägen, muss uns das allen große Sorgen bereiten. Noch
gefährlicher wird es, wenn aus Hassfantasien echte Gewalt wird.
Wir stehen deswegen vor der Herausforderung, Kinder und Jugendliche vor Hass und Hetze
im Netz zu schützen und ihnen dabei Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie
menschenverachtenden Parolen entschieden entgegen treten können.
Wir tun das neben dem verstärkten Druck auf die sozialen Dienstleister:
 Die Bundeszentrale für politische Bildung mit ihren Angeboten für die politische
Bildung und der engen Vernetzung mit unserem Programm „Demokratie leben!“.
 Aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sensibilisieren
wir Kinder und Jugendliche über die Jugendmedienförderung für
demokratiefeindliche Bewegungen im Netz und befähigen sie frühzeitig für einen
reflektierten Umgang mit Hassrede.
 Wir entwickeln die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien für das digitale
Zeitalter weiter, um den Schutz für Kinder und Jugendliche auch im Netz zu
verbessern.
 Und wir fördern im Rahmen unseres Demokratieförder- und
Extremismuspräventionsprogramms „Demokratie leben!“ das Engagement für unsere
tolerante, aber auch wehrhafte Demokratie und für die offene Gesellschaft im Netz.
Dabei sind wir auch bereit, förderpolitisch neue Wege zu gehen und mit neuen
Partnern zusammen zu arbeiten.
Was wir als Staat gegen Hasskriminalität tun können, wurde jüngst am 20. Juni 2017 zum
Anlass des Aktionstages gegen Hasspostings deutlich: Bundesweit wurden an diesem Tag
Durchsuchungen und Vernehmungen durchgeführt, um gegen strafbare Inhalte im Netz
vorzugehen und so ein entschlossenes und konsequentes Zeichen zu setzen - ganz gleich, ob
die dahinter stehenden Taten links, rechts oder anders motiviert waren.
Meine Damen und Herren,
es kommt wieder darauf an.
Es kommt darauf an,
 dass wir uns engagieren,
 dass wir planungssichere Strukturen schaffen,
 dass wir argumentieren und
 für unsere Überzeugungen einstehen.
Friedlich, aber entschieden. On- und Offline. Die Zeiten sind wieder so.
Ich wünsche Ihnen in den nächsten zwei Tagen einen produktiven Austausch über das
bedrückende Phänomen von Hass und Verschwörungstheorien im Netz und hoffe, dass Sie
die Strategien der Gegenrede gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in den
sozialen Netzwerken weiter entwickeln können.
Vielen Dank!

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  • 1. Grußwort Dr. Heiko Geue zur Fachtagung #NetzohneHass – Hass im Netz entgegen treten am 29. Juni 2017 im Tagungswerk Berlin Lieber Thomas Krüger, Meine sehr geehrten Damen und Herren, Die Digitalisierung gibt es noch gar nicht so lange. Aber sie zeigt deutlich, dass sie eine Basisinnovation ist, die unser ganzes Leben verändert. Seit der industriellen Revolution gab es vor der Digitalisierung vier Basisinnovationen: Die Einführung von Dampfmaschinen, zuallererst in der Textilindustrie, die Eisenbahn, dann Elektrizität und schließlich die Erfindung des Verbrennungsmotors. Und vor der industriellen Revolution gab es eigentlich nur den Buchdruck, der einen allumfassenden Wandel auslöste. Basisinnovationen verändern nicht nur einzelne Branchen sondern ganze Volkswirtschaften. Sie verändern die internationale Arbeitsteilung, das Berufsleben, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wie wir uns informieren, wie wir denken, woran wir glauben und was wir tun. Die Digitalisierung ist die fünfte Basisinnovation. Gerade auch im täglichen Leben von Kindern und Jugendlichen spielen das Internet und soziale Netzwerke eine zentrale Rolle. Inzwischen werden die ersten Kinder zu Jugendlichen, die den Unterschied zwischen On- und Offline gar nicht mehr verstehen. 95 % aller Jugendlichen und die Hälfte aller Kinder verfügen inzwischen über eigene Smartphones und sind damit „always on“. Sie kommunizieren mit WhatsApp, schauen Videos bei YouTube und lassen ihre Freunde mit Snapchat und Instagram an ihrem Leben teilhaben. Das sind die sozialen Dienste heute, wie werden sie wohl morgen heißen? Wir befinden uns inmitten eines rasanten Wandels. In solchen Zeiten, ist es schwieriger als sonst, sich zu orientieren und abzusehen, wie sich die Zukunft entwickelt. Noch vor wenigen Jahren standen die Verheißungen der Digitalisierung im Vordergrund. Zuallererst wurde erwartet, dass das Internet das größte Demokratisierungsinstrument in der Geschichte der Menschheit sein könnte. Der arabische Frühling wäre ohne Smartphones und Internet ebenso wenig möglich gewesen, wie eine neue mediale Öffentlichkeit in autokratischen Staaten wie China oder Russland. Diktatoren auf der ganzen Welt zitterten, wie lange ihre Macht noch halten würde.
  • 2. Gleichzeitig wurde erhofft, dass die Digitalisierung das schärfste Wettbewerbsinstrument aller Zeiten werden könnte. Kleine, freche, innovative Anbieter könnten überall auf der Welt den großen, mächtigen Konzernen den Kampf ansagen. Die Dinosaurier würden aussterben und kleineren, konsequent kundenorientiert auftretenden Wettbewerbern Platz machen müssen. Das hat leider nicht stattgefunden. Im Gegenteil haben globale Konzerne die Digitalisierung längst als Instrument der Ausweitung von Märkten und der Abwehr unliebsamer Konkurrenz entdeckt. In Deutschland wird seit geraumer Zeit von privater Seite versucht, mit Abgeordneten-Watch die Politik transparenter zu machen. Leider entsteht daraus nicht automatisch mehr Vertrauen. Im Gegenteil ist das Netz geprägt durch Misstrauen und Verschwörungstheorien. Das hat nicht zuletzt mit den Problemen zu tun, die sich unerwartet im Rahmen der Fortentwicklung der Digitalisierung aufgetan haben. Zum einen dem Problem, dass durch die Anonymisierung des Netzes ungeahnt viele Nutzer zu einer Verrohung des Austauschs beitragen. Von Kommentaren, die jegliche Kinderstube vermissen lassen bis hin zu Mobbing und Hate-Speech gibt es alles in erschreckendem Ausmaß – viel mehr als ausgewogene, abwägende und differenzierte Beiträge. Das Netz gibt Vielen leider inzwischen so viel Sicherheit, dass sie sogar mit ihren Klarnamen andere Menschen beleidigen, massiv einschüchtern und bedrohen. In Kommentaren werden menschenverachtende Parolen oft unverhohlen geäußert. Jeden Tag werden mittlerweile Grenzen der Mitmenschlichkeit und des Rechts überschritten. Hinzu kommt das weitere Problem der medialen Echokammern, die sich im Zuge der Digitalisierung gebildet haben. Immer mehr Menschen informieren sich über soziale Dienste, die über ihre Algorithmen in der Auswertung der bisherigen Bewegungen der Nutzer im Netz vorauswählen, welche Informationen die Kunden besonders interessieren. Wenn dann auch noch die so genannten „Freunde“ im Netz immer wieder die eigene Meinung bestätigen, sind diese Echokammer regelrechte Brutkammern für Verschwörungstheorien und „Fake News“. In der Folge schaukeln sich oftmals Debatten hoch. Nutzer überbieten sich in der Drastik ihrer Äußerungen. So entsteht der Eindruck, Hass und Hetze seien gesellschaftlich anerkannt. Hassreden haben Einzug in die digitale Welt und damit in unser aller Leben gehalten. Lassen Sie mich eine Zahl nennen: Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2016 waren bereits 77 % der 14- bis 59-Jährigen in Deutschland mit Hate Speech konfrontiert. Wer einmal selbst davon betroffen war, weiß, wie demütigend und verletzend sich solche Äußerungen anfühlen und wie groß die Ohnmacht ist.
  • 3. Hassreden, digitales Mobbing, Verschwörungstheorien und Fake News bedrohen ein Grundprinzip unserer Demokratie: den fairen Meinungsaustausch. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut unserer Demokratie. Meinungsfreiheit bedeutet, einander mit Respekt zu begegnen und mit Respekt zu diskutieren. Meinungsfreiheit heißt nicht, das Recht zu haben, andere zu beleidigen, zu hetzen, zu bedrohen. Deswegen darf unsere wehrhafte Demokratie Hass und Hetze nicht tolerieren. Menschenrechte gelten offline und online. Extremistische und menschenverachtende Akteure und Gruppierungen, wie etwa Rechtsextreme oder islamistische Extremisten, nutzen das Netz immer professioneller zur Ansprache von Jugendlichen. Dabei nutzen Sie den Umstand aus, dass Jugendliche auf der Suche nach Identität, Anschluss und Zugehörigkeit sind. Wenn Hass und Hetze die Jugend prägen, muss uns das allen große Sorgen bereiten. Noch gefährlicher wird es, wenn aus Hassfantasien echte Gewalt wird. Wir stehen deswegen vor der Herausforderung, Kinder und Jugendliche vor Hass und Hetze im Netz zu schützen und ihnen dabei Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie menschenverachtenden Parolen entschieden entgegen treten können. Wir tun das neben dem verstärkten Druck auf die sozialen Dienstleister:  Die Bundeszentrale für politische Bildung mit ihren Angeboten für die politische Bildung und der engen Vernetzung mit unserem Programm „Demokratie leben!“.  Aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sensibilisieren wir Kinder und Jugendliche über die Jugendmedienförderung für demokratiefeindliche Bewegungen im Netz und befähigen sie frühzeitig für einen reflektierten Umgang mit Hassrede.  Wir entwickeln die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien für das digitale Zeitalter weiter, um den Schutz für Kinder und Jugendliche auch im Netz zu verbessern.  Und wir fördern im Rahmen unseres Demokratieförder- und Extremismuspräventionsprogramms „Demokratie leben!“ das Engagement für unsere tolerante, aber auch wehrhafte Demokratie und für die offene Gesellschaft im Netz. Dabei sind wir auch bereit, förderpolitisch neue Wege zu gehen und mit neuen Partnern zusammen zu arbeiten. Was wir als Staat gegen Hasskriminalität tun können, wurde jüngst am 20. Juni 2017 zum Anlass des Aktionstages gegen Hasspostings deutlich: Bundesweit wurden an diesem Tag Durchsuchungen und Vernehmungen durchgeführt, um gegen strafbare Inhalte im Netz vorzugehen und so ein entschlossenes und konsequentes Zeichen zu setzen - ganz gleich, ob die dahinter stehenden Taten links, rechts oder anders motiviert waren.
  • 4. Meine Damen und Herren, es kommt wieder darauf an. Es kommt darauf an,  dass wir uns engagieren,  dass wir planungssichere Strukturen schaffen,  dass wir argumentieren und  für unsere Überzeugungen einstehen. Friedlich, aber entschieden. On- und Offline. Die Zeiten sind wieder so. Ich wünsche Ihnen in den nächsten zwei Tagen einen produktiven Austausch über das bedrückende Phänomen von Hass und Verschwörungstheorien im Netz und hoffe, dass Sie die Strategien der Gegenrede gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in den sozialen Netzwerken weiter entwickeln können. Vielen Dank!