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BusinessVillage
LERNEN
Michael Kühl-Lenjer
mit
LERNEN
mit
HIRN
Neurodidaktische Impulse für
eine gehirngerechte Aus- und
Weiterbildung
L
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BusinessVillage
Lernen
mit Hirn
Michael Kühl-Lenjer
Neurodidaktische Impulse
für eine gehirngerechte
Aus- und Weiterbildung
Michael Kühl-Lenjer
Lernen mit Hirn
Neurodidaktische Impulse für Ihre gehirngerechte Aus- und Fortbildung
1. Auflage 2022
© BusinessVillage GmbH, Göttingen
Bestellnummern
ISBN 978-3-86980-632-7 (Druckausgabe)
ISBN 978-3-86980-633-4 (E-Book, PDF)
ISBN 978-3-86980-634-1 (E-Book, EPUB)
Direktbezug unter www.BusinessVillage.de/bl/1142
Bezugs- und Verlagsanschrift
BusinessVillage GmbH
Reinhäuser Landstraße 22
37083 Göttingen
Telefon:	 +49 (0)5 51 20 99-1 00
Fax:	 +49 (0)5 51 20 99-1 05
E-Mail:	info@businessvillage.de
Web:	www.businessvillage.de
Layout und Satz | Sabine Kempke
Illustration Umschlag | freepik – de.freepik.com
Autorenfoto | PicturePeople GmbH & Co. KG
Illustrationen in Buch und Playbox | Peter Butschkow
Druck und Bindung | www.booksfactory.de
Copyrightvermerk
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages
unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Alle in diesem Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden von dem Autor nach
bestem Wissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Er
übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen
im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und
daher von jedermann benutzt werden dürfen.
Inhalt
Über den Autor ............................................................................. 7
Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte ........ 9
1.	Zum Start: Einleitung ............................................................... 17
2.	Gehirn .................................................................................... 29
Das Gehirn – das zentrale Steuerungssystem................................... 40
Energiesparen beginnt im Kopf..................................................... 41
So gelangen Neurowissenschaftler zu ihren Erkenntnissen................. 42
Können wir unbewusst lernen?..................................................... 45
Der Hochleistungsfilter im Kopf.................................................... 46
Arbeitsteilung im Gehirn............................................................. 47
Wo im Gehirn wird Sprache verarbeitet?.......................................... 50
Spieglein, Spieglein im Gehirn...................................................... 53
Die Kraft der Emotionen ............................................................ 54
Gedächtnis: So werden Informationen gespeichert........................... 59
Embodiment – Körper und Geist im Netzwerkverbund........................ 62
Die Prognosemaschine in unserem Kopf ......................................... 67
3.	Lernen.................................................................................... 73
So lernt das Gehirn .................................................................... 74
Das kannst du vergessen … erinnern ............................................. 76
Gute Nacht! Lerne gut! ............................................................... 81
Neuroplastizität: lernen, anpassen, verändern ................................ 89
Der Mustererkennungsdienst ....................................................... 91
Lernen heißt verändern.............................................................. 94
Lernen heißt verstehen............................................................... 99
Langfristige Verankerung.......................................................... 102
Wie lange muss ein Gehirn lernen, damit ein langfristiger
Lerneffekt entsteht?................................................................. 103
Digitales Lernen...................................................................... 106
Emotionen – Herzschrittmacher für Training und Lernen.................. 119
Vier Positionen zum Thema Neurodidaktik..................................... 122
Was macht das Gehirn, wenn es nichts tut?.................................... 125
Kreativität – vom Geistesblitz getroffen........................................ 128
Neugier beflügelt die Kreativität................................................. 132
Die zwölf Lehr-Lern-Prinzipien der Neurodidaktik und
was sie für Ihre Lehrpraxis bedeuten............................................ 137
4.	 Lehrpraxis............................................................................ 145
Pauken, Büffeln, Lernen? Klassische Lerntechniken........................ 146
Die Persönlichkeit des Lehrenden................................................ 151
Wie die Lernumgebung wahrgenommen wird................................. 155
Der erste Eindruck zählt............................................................ 160
Der Lernstoff – Weniger ist mehr!................................................ 161
Mach mal Pause! ..................................................................... 164
Sprache ist die Kleidung der Gedanken – Die Sprache des Trainers...... 166
Emotional intelligent kommunizieren........................................... 169
Kopfkino aktivieren – mit Wirksprache kommunizieren .................... 172
Der Punktstrahler der Aufmerksamkeit ......................................... 175
Wer verstehen will, muss zuhören................................................ 181
Multitasking – geistige Schmalkost.............................................. 185
Lachen ist eine Erfrischungskur für Körper und Geist....................... 188
Motivation und Belohnung......................................................... 194
Bewegendes Lernen ................................................................. 201
So gelangt Wissen in den Kopf.................................................... 204
Wir verwenden Regeln, ohne diese zu kennen ................................ 207
Nun aber ran an die geistigen Leckerbissen! ................................. 210
Schreiben Sie sich schlau!.......................................................... 216
Mumpitz im Trainingsraum......................................................... 217
7-38-55-Formel von Albert Mehrabian ......................................... 219
»Tritt frisch auf! Tu‘s Maul auf! Hör‘ bald auf!«............................... 220
Schalten Sie mit Bildern, Metaphern und Geschichten
den Lernturbo im Gehirn an!...................................................... 226
Was Hänschen lernt, lernt Hans allemal!....................................... 233
Gemeinschaft macht klug – Lernen in Gruppen............................... 237
Glaubenssätze, innere Schweinehunde und andere Lernbarrieren...... 242
Feedback: Alles gut oder was? .................................................... 245
Anhang .................................................................................... 255
Über den Autor | 7
Über den Autor
Michael Kühl-Lenjer ist heute Businesstrainer mit
Schwerpunkt Neuroselling und Neurodidaktik.
Er gibt Impulsvorträge, Webinare und Präsenztrai-
nings und unterstützt Unternehmen dabei, Ver-
triebsaktivitäten und Weiterbildungsmaßnahmen
gehirngerecht zu gestalten. Die aktuellen Befunde
der Gehirnforschung liefern wertvolle Ansätze, die
bisherige Lehrpraxis zu überdenken und neue Er-
kenntnisse in den Trainingsalltag einzubinden.
Zu seinen Kunden zählen Vertriebsmitarbeiter, Personalentwickler, Weiter-
bildungsinstitute, Dozenten, Lehrer, Trainer sowie Personen, welche Bil-
dungsaktivitäten konzipieren und planen.
Michael Kühl-Lenjer hat sich eine breite Wissensbasis geschaffen. Er studierte
Biologie und Germanistik, war als Gymnasiallehrer tätig und blickt auf erfolg-
reiche Jahre als Sales Director sowie als Head of Training and Development
zurück. Als aktives Mitglied in der Akademie für neurowissenschaftliches Bil-
dungsmanagement hat er umfangreiche Kontakte zu Neurowissenschaftlern
und Hirnforschern.
Kontakt:
mkl@kuehl-lenjer-training.de
www.kuehl-lenjer-training.de
8 | Downloadangebot
Die digitale Playbox,
das Downloadangebot
des Verlages zum Buch
Suchen, stöbern, entdecken: In der digitalen Playbox finden Sie neuro-
didaktische Anregungen für Ihre Seminare, Live-Online-Trainings und
Workshops. Es erwarten Sie vertiefende Artikel, ein neurodidaktischer
Methodenkoffer, Links zu Videos einiger Neurowissenschaftler, Links zu
methodisch-didaktischen Informationen, ein neurobiologisches Glossar,
das Gedicht »Unsere Nerven«, Beispiele für Geschichten, Metaphern und
Vorträge, Antworten zu der Frage »Wie halte ich eine Rede«, Informatio-
nen zum »Wirkfaktor Sprache«, Tipps zur Rhetorik und vieles mehr.
1.	 Weiterführende neurobiologische Artikel
2.	 Dreiunddreißig praxisorientierte Übungen zur Arbeitsweise unseres
Gehirns
3.	 Neurodidaktische Kartenbox
4.	 Nobelpreise für neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse
5.	 Webinare
6.	 Wirkfaktor Sprache
7.	 Eine Rede halten
8.	 Metaphern – Redewendungen
9.	 Geschichten und Anekdoten
10.	 Irrtümer und Mythen im Trainingsraum
11.	 Lyrik: »Unsere Nerven«
12.	 Von Trojanern, Schweinehunden und anderen Lernbarrieren
13.	 Neurobiologisches Glossar
14.	 Video-Links
15.	 Leseprobe des Buches »Feedback« von Chris Wolf und Heinz Jiranek
Vorwort: Wie ich als Lehrer die
Neurodidaktik für mich entdeckte
10 | Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte
Lernen und Lehren, so kann ich rückblickend erkennen, sind der rote Faden
in meinem Leben. Das war so nicht geplant, hat sich aber ergeben. Und daran
hat auch meine Schulzeit nichts verändert, die nicht immer rosig war. Mein
Berufsziel war Lehrer, dort konnte ich meine Neigungen verwirklichen. Heute
bin ich Kommunikationstrainer.
Als Referendar in einem Gymnasium hatte ich erstmalig Kontakt mit Schü-
lern. Ich unternahm meine ersten, noch holprigen Gehversuche als Lehren-
der. Vieles kam mir bekannt vor. Es roch überall nach Linoleum. Und wenn die
Schulklingel schrill ertönte und das Pausenende besiegelte, eilten die Leh-
rer mit Büchern, Heften und Unterlagen in die Klassenräume. Hinter ihnen
knallte die Tür ins Schloss, nun herrschte Ruhe, der Unterricht ging los. Und
in dieser Schule hatte ich auch ein unglaubliches Glück. Ich betreute zwei
neunte Klassen parallel. Das war eine unerwartete Gelegenheit, unterschied-
liche Konzepte auszuprobieren! Thema war »Die Entwicklung der Insekten«,
was für mich bis heute zu den faszinierendsten »Erfindungen« der Evolution
zählt. Ein Individuum, das mehrmals im Leben in eine komplett andere Ge-
stalt wechselt, einfach toll! Ei, Larve, Puppe, Imago, das ist einmalig. Die
eine Klasse unterrichtete ich materialorientiert, also mit Tafel, Karten, Bü-
chern, Abbildungen. Die andere Gruppe lernte anhand lebendiger Naturob-
jekte. Ich brachte Insekteneier, Raupen, Larven, Maden, Puppen sowie Falter,
Fliegen und Käfer in den Schulungsraum mit. Ich wollte untersuchen, ob der
lehrmittelorientierte Unterricht oder der Kontakt mit den lebenden Tieren
lernwirksamer ist. Ein Abschlusstest gab Auskunft. Meine Frage an Sie, lieber
Leser: Welche Lerngruppe hatte im abschließenden Test die Nase vorn? Nahe-
zu jeder, dem ich diese Frage stellte, antwortete: »Natürlich die Klasse mit
den lebenden Tieren.« Falls auch Sie diese Meinung vertreten, sie ist falsch.
Und das hat einen Grund. Lehrmittel werden so gestaltet, dass sie das, was
wichtig ist, besonders hervorheben. Wenn eine Raupe über das Salatblatt
kriecht, sich eine goldglänzende Puppe kopfüber an die Unterseite eines
Brennnesselblattes heftet oder eklige Maden aus den Fliegeneiern schlüp-
fen, erkennt man nicht alle Details, auf die es bei der Entwicklung der In-
sekten ankommt. Die Klasse, die mit Unterrichtsmaterialien geschult wurde,
Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte | 11
erwies sich also fachlich als überlegen. In dem Test hatte ich auch gefragt,
inwiefern der Unterricht Spaß gemacht hat. Die Schulung mit Naturobjekten
erhielt uneingeschränkte Bestnoten. Ein Jahr später, die Schüler waren nun
in der zehnten Klasse, wiederholte ich den Test von damals. Ergebnis: Beide
Lerngruppen konnten sich an vieles nicht mehr erinnern und die fachlichen
Kenntnisse waren vergleichbar. Aber eines haben die Schüler, welchen Gele-
genheit geboten wurde, die verschiedenen Stadien der Entwicklung lebender
Insekten kennengelernt zu haben, mit Sicherheit nicht vergessen: Der Spaß,
die freudige Überraschung und die Begeisterung an den Naturerlebnissen.
Einige Schüler hatten sich zu Hause sogar kleine Käfige gebaut und dort
Schmetterlinge »gezüchtet«. Das stand nicht im Lehrplan.
Mit diesem Unterrichtsvergleich war der Grundstein für mein hohes Interes-
se an Didaktik und Methodik gelegt. Möglicherweise wäre auch dieses Buch
nicht geschrieben worden, wenn ich die hier geschilderten Erfahrungen
nicht gemacht hätte. Die Erinnerungen sind bis heute wach geblieben. Sie
sind unvergesslich in meinem Gehirn verankert.
Also noch ein Buch über Neurodidaktik? Aber ja! Es gibt viele Bücher zum
Thema, denn Lehren und Lernen sind komplexer als ein Lehrbuch über das
Gehirn. Daher erhebe ich auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit und will
nicht eine einzig gültige Wahrheit verkünden. Die gibt es ohnehin nicht.
Einen Generalschlüssel für das Lernen suchen wir meist vergeblich. Unter-
schiedliche Betrachtungsweisen hingegen können dazu beitragen, das bes-
ser zu verstehen, was unser Gehirn von dem ersten bis zum letzten Atemzug
tut, nämlich lernen.
Wenn Sie dieses Buch lesen, um etwas mehr über die Arbeitsweise unseres Ge-
hirns zu begreifen, verändert sich bereits Ihr Denkorgan, ob Sie es wollen oder
nicht. Synapsen werden gebildet, andere verstärkt, manche sogar abgebaut.
Dieses neuroplastische Prinzip gilt nicht nur für das Lesen dieses Buches, son-
dern für alle Reize, die durch unsere Sinne in den Kopf gelangen.
12 | Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte
Und der überwiegende Teil unserer Wahrnehmungen ist uns noch nicht ein-
mal bewusst. Glauben Sie daher, dass wir selbst entscheiden können, was
unser Hirn lernt? Falls ja, leider daneben! Der größte Teil dessen, was in
unser Oberstübchen dringt, geschieht unbewusst.
Schon aus diesem Grunde ist es schwierig, einen Königsweg für das Lernen
zu versprechen. Gelingende Neurodidaktik stellt daher Fragen und so stellt
auch dieses Buch viele Fragen: Wie gelangen Informationen ins Gehirn? Wo
wird Wissen gespeichert? Wie werden Lerninhalte dauerhaft verankert? Was
hemmt das Lernen? Welche Irrtümer über unser Oberstübchen sind im Um-
lauf? Die Wissenschaft liefert dicke Bündel an Antworten, die ich für Sie auf-
gegriffen habe. Im Mittelpunkt stelle ich immer die praktische Anwendung.
Was können Lehrer, Trainer und Dozenten tun, um gehirngerecht zu lehren?
Nach vielen Betrachtungen über die Funktionsweise unseres Denkorgans fin-
den Sie dazu zusammenfassende Praxistipps: Was heißt das für die Weiter-
bildung?
Einiges von dem, was Sie in diesem Buch lesen, wird Ihnen bekannt vor-
kommen, und das ist auch gut so. Denn eine Verknüpfung der
frischen Informationen mit bereits Bekanntem festigt das
vorhandene Wissen. Aus diesem Grund sind auch Wiederho-
lungen absichtlich im Text belassen. Dass unser Hirn bestrebt
ist, Energie zu sparen, gehört zum Beispiel dazu. Immer wie-
der begegnen uns Sparaktionen, die auf den ersten Blick über-
raschend, unerklärlich oder sogar fehlerhaft erscheinen. Erst die
nähere Betrachtung zeigt, wie sinnvoll die Natur hierbei vorgeht.
Neun von zehn Lehrern, so eine Umfrage aus dem Jahr 2012, glaubten be-
reits vor etwa zehn Jahren, dass das Wissen um das Hirn für die Entwicklung
ihrer Lernangebote wichtig bis sehr wichtig sei.1
Demzufolge beschäftigen
sich viele Weiterbildner nicht erst seit gestern mit neurodidaktischen Lern-
konzepten. Neurodidaktik zeigt allerdings keine »So-geht‘s-Tools«, es wer-
den auch keine »todsicheren« Lösungen angeboten, die »in sieben Schritten
Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte | 13
zum Erfolg« führen. Das klappt nie, und auf einen »Wow-Effekt« können Sie
lange warten. Da wurde und wird gerne hirnrissige Magerkost angeboten. Die
Neurowissenschaften sind von derartigen leeren Versprechungen aber weit
entfernt. Mein Anliegen ist, den Lesern neurowissenschaftlich gesichertes
Terrain zu erschließen und ein Arbeiten auf dieser Basis zu ermöglichen.
Jedes Lernen verändert die neuronalen Strukturen, baut neue Synapsen auf
und verstärkt oder löst bestehende Verknüpfungen. In jeder Sekunde gelan-
gen Millionen von Reizen in unser Gehirn, der größte Teil von ihnen verläuft
unbewusst. Sie können also auch Dinge lernen, die Ihnen erst später bewusst
werden. Das klingt ein wenig danach, als ob ich Sie überzeugen möchte,
wie hervorragend unser Oberstübchen funktioniert. Das ist nicht der Fall.
Unser Hirn, auf das wir so stolz sind, zeigt auch viele Schwachstellen. Wir
vergessen viel, können schlecht Rechenaufgaben abschätzen, verfälschen
unsere Erinnerungen und sind saumiserabel darin, Zahlen, Daten und Fakten
zu behalten. Doch wie so oft im Leben kommt es auf die Perspektive an. Die
Denkfehler, Irrtümer und Fehlschlüsse, die sich unter unserer Schädeldecke
abspielen, sind kein Irrweg der menschlichen Entwicklung, sondern durchaus
eine besondere Stärke unseres Gehirns. Es ist keine Denkschwäche, sondern
eine Anpassung an Umweltbedingungen. Dieses Buch wird Ihnen zeigen, wie
und warum unser Hirn genau so arbeitet. Das ist spannend. Freuen Sie sich
darauf besser zu erkennen, wozu die 86 Milliarden Nervenzellen fähig sind
und wie formbar das Ding ist, das unser Denken und Handeln steuert.
Jeder Trainer und jeder Lehrende wird seine didaktisch-methodischen Ent-
scheidungen auch danach treffen, inwiefern sie effektiv und effizient sind.
Effektiv ist eine Maßnahme, wenn sie zum gewünschten Ergebnis führt, effi-
zient ist eine Maßnahme, wenn das geplante Ergebnis oder Ziel mit möglichst
geringem Aufwand erreicht wird.
Die Neurodidaktik ermöglicht daher, Lehrenden ihre Trainingskompetenz zu
erweitern. Hinter dem Begriff Neurodidaktik verbirgt sich ein extrem wert-
voller Ansatz, der einerseits Bewährtes bestätigt, andererseits alte pädago-
14 | Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte
gische »Weisheiten« infrage stellt und Lehren und Lernen in einem neuen
Licht erscheinen lässt. Und dieser Erkenntnisprozess ist noch lange nicht ab-
geschlossen.
Wir leben in einer Zeit der schnellen Erregung, in der Ablenkungsangebo-
te um unsere Aufmerksamkeit buhlen und ein umfassender Wandel das Be-
stehende bedroht. Schneller, weiter, höher bildet für viele Zeitgenossen die
Basis ihrer Entscheidungen. Vielfach wird als Wunsch an die Weiterbildner
herangetragen, dass die Trainings- und Ausbildungszeiten kürzer und Effekte
beständiger sein mögen. Doch unser Gehirn hat sich seit etwa dreihundert-
tausend Jahren kaum verändert. Von daher dürften die Sehnsüchte nach
einem einfachen, schnellen und nachhaltigen Weg zum Lernergebnis nicht so
leicht erreichbar sein. Doch wie wäre es mit den besten Wegen des Lernens,
die unser Gehirn bewältigen kann?
Ziel des Buches ist, zu zeigen, wie Sie mit neurobiologischen Grundlagen Ihre
Lehrpraxis erweitern, bisherige Trainingspraktiken überdenken und didakti-
sche Entscheidungen gehirngerechter treffen können.
Interessiert? Dann blättern Sie um, der beste Zeitpunkt ist immer jetzt.
Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte | 15
So nutzen Sie dieses Buch
Dieses Buch bietet sich Ihnen als ein praktischer Einstieg in die Neurodidak-
tik an. Vielseitig, aktuell und auf der Höhe der Zeit zeigt es die vielfältigen
Wege zu einem Lernen und Lehren mit Hirn auf.
Im ersten Kapitel dieses Buches unternehmen wir einen Kurztrip durch die
Windungen unseres Hirns. Wer das Organ des Geistes verstehen möchte,
kommt ohne einen Blick auf dessen Grundbestandteile sowie die für das Ler-
nen bedeutsamen Gehirnregionen nicht aus. Das bildet die Grundlage für Ihre
Lehrpraxis. Das zweite Kapitel hingegen konzentriert sich auf den Lernpro-
zess als solchen. Hier erfahren Sie, welche Funktionen und Überraschungen
unser Gehirn für das Lernen bereithält und welche Konsequenzen gegeben
sind, um erfolgreich zu lehren.
Im dritten Kapitel tauchen wir in die Lehrpraxis ein. Schritt für Schritt be-
trachten wir grundlegende Elemente gehirngerechten Lehrens und Lernens.
Immer, wenn es für Ihre Lehrpraxis angebracht erscheint, finden Sie den Hin-
weis: »Was heißt das für die Weiterbildung«.
Das Buch ist aber nicht nur ein Buch, sondern ein Buch, das um eine digitale
Playbox ergänzt wird. Am Anfang des Buches erhalten Sie eine Übersicht über
die zum Zeitpunkt der Drucklegung verfügbaren digitalen Zusatzangebote. In
der digitalen Playbox finden Sie ein trainingserprobtes Sortiment an Übun-
gen für Ihre methodischen Interventionen sowie vertiefende, ergänzende
und weiterführende Artikel.
In meinen Workshops und Seminaren habe ich häufig gehört, dass es den Teil-
nehmern weniger auf neurowissenschaftliche Details, sondern mehr auf de-
ren Auswirkungen auf ihre Lehrpraxis ankommt. Insofern habe ich, wo immer
möglich, auf biochemischen Tiefgang verzichtet und den Fokus auf die Arbeit
des Trainers gerichtet. Wer sich für neurophysiologische Details interessiert,
kann zahlreiche empfehlenswerte Lehrbücher in der Literaturliste entdecken.
16 | Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte
Um die Lesbarkeit zu erhöhen, habe ich bei Substantiven und Pronomen die
männliche Form verwendet. Selbstverständlich sind immer beide Geschlech-
ter gemeint.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und Freude bei Ihrer gehirngerechten Trai-
ningspraxis!
Michael Kühl-Lenjer
1.
Zum Start: Einleitung
18 | Zum Start: Einleitung
Die Neurowissenschaften erleben seit Jahren einen ungebrochenen und kräf-
tigen Aufschwung. Bekannt sind inzwischen diverse Hirnstrukturen. Wir ver-
stehen Arbeitsweise und Funktionen zahlreicher Gehirnbereiche, wir können
diagnostizieren, welche Regionen aktuell aktiv sind und wir wissen, wie be-
stimmte Hirnareale die eintreffenden Sinnesreize verarbeiten. Was weiter-
hin im Nebel der Unwissenheit schlummert, ist die Frage, wie verschiedene
Gehirnteile kooperieren und wie sie unser Denken, Fühlen und Handeln be-
stimmen. Es gibt allerdings ernste wissenschaftliche Bemühungen, die Ge-
samtheit aller Verknüpfungen zwischen den Neuronen zu erfassen und zu
kartieren. Damit beschäftigt sich die Konnektomik. Jeff Lichtmann von der
Harvard Universität hat sich zur Aufgabe gesetzt, den kompletten Schalt-
plan des menschlichen Gehirns zu entschlüsseln. Auf die Frage, ob ihm diese
Mammutaufgabe gelingen wird, war seine Antwort kurz und knapp: »nein!«
Er arbeitet trotzdem weiter daran.
Erst mithilfe dieses Ansatzes wären wir in der Lage, alle grundlegenden
Eigenschaften des Gehirns zu verstehen. Davon sind wir aber noch meilen-
weit entfernt! Allein der Schaltplan eines Mäusehirns würde zwei Exabyte
an Speicherplatz beanspruchen, wie die Zeitschrift »Gehirn & Geist« im Juni
2021 schreibt. Das wären zwei Milliarden Gigabyte. Alle Bücher, welche je-
mals geschrieben wurden, benötigten etwa einhunderttausend Gigabyte
Speichervolumen, also etwa 0,005 Prozent eines Mäusekonnektoms. Und
wie viel Speicherkapazität würde ein Schaltplan für das menschliche Gehirn
beanspruchen? Die Antwort auf diese Frage übertrifft jegliche Vorstellungs-
kraft.
Durch eine fortschreitende Entwicklung präziser Hirn-Scanner sind immer
detailgenauere Einblicke in unser Gehirn möglich geworden. So ist das Inter-
esse am menschlichen Denkorgan in den vergangenen Jahren deutlich ange-
stiegen. Wer Mitte des Jahres 2021 den Begriff »Gehirn« googelt, erhält mehr
als achtzehn Millionen Ergebnisse. Und wenn man die Zeichen der Zeit richtig
deutet, hat sich die Gehirnforschung mittlerweile zu einer beachtenswerten
interdisziplinären Leitwissenschaft entwickelt!
Zum Start: Einleitung | 19
Die Hirnforschung hatte ihr Augenmerk ursprünglich vor allem auf Krank-
heiten im Gehirn gerichtet, das gilt auch aktuell noch. Die Weiterbildung,
Pädagogik und Didaktik kümmerte sich hingegen vorwiegend darum, Lern-
schwächen auszugleichen. Heutzutage sind die Neurowissenschaftler in der
Lage, mithilfe von bildgebenden Verfahren neuronale Aktivitäten sichtbar zu
machen und somit die Arbeitsweise unseres obersten Organs zu ergründen.
Die Erkenntnisse schlagen sich inzwischen auch in der Lehrtätigkeit nieder.
Dazu sind zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen zu koordinieren, denn
nicht nur eine Wissensdisziplin, sondern alle gleichermaßen haben dazu bei-
getragen, unser Gehirn besser zu verstehen und lösungsorientierte Prozesse
zu präsentieren.
Seit dem Jahr 2013 arbeiten die USA an einem milliardenschweren For-
schungsprojekt mit Namen »Brain Activity Map«, das sich zum Ziel gesetzt
hat, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns zu entschlüsseln. Auch
in Europa tut sich auf diesem Gebiet etwas. Die Europäische Gemeinschaft
pumpt Milliarden Euro in das »Human Brain Project«, mit dem die Funktion
des menschlichen Gehirns simuliert und so verschiedene Zweige der Wissen-
schaft revolutioniert werden sollen. Bei beiden Forschungsvorhaben geht
es schwerpunktmäßig darum, neurologische Krankheiten wie Depressionen,
Alzheimer oder Parkinson zu bekämpfen, denn diese Erkrankungen gehen
einher mit Veränderungen im Gehirn. Allerdings verfolgen diese Mammutpro-
jekte auch das Ziel, das menschliche Verhalten auf der Ebene der Neuronen
und ihrer Vernetzung zu entschlüsseln. Bereits jetzt setzen sich die Initia-
toren eingehend mit gesellschaftlichen, rechtlichen und ethischen Aus-
wirkungen der wissenschaftlichen Errungenschaften auseinander, und man
erwartet weitreichende Auswirkungen auch auf die Bildung!
Mittlerweile haben sich die in den letzten Jahren angestiegenen Veröffent-
lichungen über die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns im Wirtschaftsge-
schehen niederschlagen. Und wer die aktuellen Angebote studiert, entdeckt:
Neurothemen sind allgegenwärtig!
20 | Zum Start: Einleitung
Da ist beispielsweise die Rede von »Neuro Associative Selling«. Das ist eine
Methode, welche die neuropsychologischen Erkenntnisse verkaufsstrate-
gisch nutzen soll. Wir lesen, dass Neuromarketing die Verkaufserfolge stei-
gert, Pädagogen raten, mit »Neurodidaktik« das Lernen zu erleichtern, und
unsere Sprache ist um einige Worte reicher: Neuroleadership, Neurolingu-
istik, Neurorhetorik, Neurobiologie, Neuropsychologie, Neuromarketing,
Neuroökonomie, Neurowissenschaft. Der Begriff »Neurologie« geht zurück
auf Thomas Willis (1621–1675), ein englischer Arzt, der als Begründer der
Anatomie des Nervensystems gilt.
In den verfügbaren Referenten- und Seminardatenbanken präsentieren zahl-
reiche Referenten Wissenswertes zur Gehirnforschung oder sie bieten neuro-
didaktische Workshops an. Ein Großteil der Trainingsanbieter hat in seine
Programme »Neurothemen« aufgenommen. Kein Wunder, denn das Interesse
daran, sich mit gehirngerechtem Verhalten zu beschäftigen, wächst! Zwar
tauchen – wie so häufig, wenn eine neue Richtung eingeschlagen wird oder
sich neue Perspektiven eröffnen – Trittbrettfahrer mit gemäßigter Kompe-
tenz und geringer Fachkenntnis auf, die großspurig versprechen, den so-
genannten Kaufknopf beim Kunden gefunden oder die letzten Geheimnisse
des Lernens entschlüsselt zu haben. Bei derartigen Offerten ist Skepsis an-
gebracht! Doch viele Weiterbildner sind engagiert und wissensdurstig dabei,
sich nicht mit im Internet angelesenen Halbwissen zu begnügen, sondern
fundierte Quellen anzuzapfen, die ihre Lehrpraxis wirklich erweitern. Die
Neurowissenschaften laden dazu ein, gewohnte Denkweisen infrage zu stel-
len, Altbewährtes mit veränderter Perspektive zu betrachten und Neues zu
wagen. Die neurobiologischen Befunde regen an, die Konzepte, die Präsen-
tationen und die Vermittlung gehirngerecht zu verändern.
»Unsere Erkenntnisse und Schlussfolgerungen über das Gehirn und seine
Funktionen«, so der Hirnforscher Professor Dr. Manfred Spitzer, »fußen auf
wissenschaftlichen Studien, Analysen und statistisch abgesicherten Unter-
suchungen, die in Büchern und Zeitschriftenbeiträgen veröffentlicht wurden.
Man sollte meinen, dass ihnen das eine ultimative Autorität verleiht. Leider
Zum Start: Einleitung | 21
eine schöne Illusion. Denn die Wissenschaft ist immer auch der gegenwärti-
ge Stand unseres Nicht-Wissens. Dies trifft auf die Gehirnforschung genauso
zu wie auf jede andere Wissenschaft.« Die Ansicht ist weit verbreitet, dass
wir in den letzten zwanzig Jahren im Bereich der Hirnforschung ungefähr so
viel an neuen Erkenntnissen gewonnen haben wie in den zweitausend Jahren
davor. Ich vermute aber, dass es sich hier sogar noch um eine Untertreibung
handelt.
Ganze Generationen sind mit Weisheiten aufgewachsen wie »was Hänschen
nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr« Die aktuelle Hirnforschung hat dieses
Dogma vom Sockel gestoßen. Denn es ist nachgewiesen, dass das mensch-
liche Gehirn im Verlaufe seines gesamten Lebens das Potenzial der Selbst-
erneuerung und Reorganisation besitzt. Das Stichwort lautet lebenslanges
Lernen. Das Gehirn lernt nicht nur, wenn dessen Besitzer eine Schule oder
Weiterbildungsinstitution betritt. Das Gehirn kann gar nicht anders, als sich
Neues anzueignen, selbst im Schlaf gibt es keine lernfreie Phase. Wer bis-
her für lebenslanges Lernen eingetreten ist, wurde bestätigt. Heute ist es
Common Sense, dass das Lernen nicht auf Schule, Universität oder anderen
Ausbildungsstätten beschränkt ist. Wir leben in einer globalisierten Welt, in
der Fachwissen rasch veraltet und die Wirtschaft einem internationalen Wett-
bewerb um Wissen ausgesetzt ist. Viele Experten vertreten die Ansicht, dass
wir in einer VUCA-Welt leben. VUCA ist ein Akronym, das sich auf »volatility«
(Volatilität), »uncertainty« (Unsicherheit), »complexity« (Komplexität) und
»ambiguity« (Mehrdeutigkeit) bezieht.
Dass Trainer ihre Teilnehmer über möglichst viele Sinne ansprechen sollten
und somit der Lernerfolg gesteigert wird, gehört zu den bekannten Grund-
regeln des Lehrens. Die spannende Frage ist allerdings nicht, was wir bereits
über das Lernen des Gehirns wissen, sondern ob diese Kenntnis in der Lehr-
praxis angewendet wird. Wir wissen, dass das Prinzip der dualen Codierung
(Dual Code Theory), wonach Lernstoff, der zugleich in Wort und Bild präsen-
tiert wird, besser behalten wird als reiner Text. Doch – gestützt durch unzäh-
lige, auch eigene Erfahrungen – wird diese Erkenntnis im Arbeitsalltag massiv
22 | Zum Start: Einleitung
missachtet. Das erleben wir täglich bei PowerPoint-Präsentationen, in die
schwer verständliche, unvollständige Begriffsabfolgen hinter zahlreichen
Bulletpoints aufgereiht sind. Zu allem Überfluss werden auch noch Excel-
Tabellen in die Charts hineingefügt. Die Worte des Referenten werden zwar
zweikanalig für Auge und Ohr vermittelt, allerdings häufig mit unterschied-
lichen Inhalten und unterschiedlicher Geschwindigkeit für die einzelnen Sin-
ne. Das sorgt für grandiose Verwirrung, denn wir können nicht gleichzeitig
zuhören und lesen. Für unser neugieriges, wissensdurstiges Hirn ist das Gift.
Es schaltet ab und die Zuhörer kämpfen mit Müdigkeitsattacken. Wer bei Folie
15 die Augen geschlossen hat und erst bei Folie 68 (von 120) wieder auf-
wacht, weiß, er hat einiges verpasst. Diese Präsentationsweise ist so effektiv
wie der Versuch, mit einer Luftpumpe die Windrichtung zu verändern.
Auch die weitere altbekannte Grundregel, dass Angst und Druck das Lernen
behindern, hat die Neurobiologie bestätigt und ist vielen Lernenden und
Lehrenden längst bekannt – manche haben diese Erkenntnis allerdings miss-
achtet.
Wir können nicht nicht fühlen, dafür sorgt das limbische System als maß-
gebliche Schaltstelle für Lernen und Gedächtnis. Dieses Gefühlszentrum ist
verantwortlich, die Bedeutung von Sinneswahrnehmungen und Gedächtnis-
inhalten zu prägen (wichtig oder unwichtig, wünschenswert oder nicht wün-
schenswert, angenehm oder unangenehm). Das limbische System streut also,
wie Professor Manfred Spitzer in seinem Buch »Hirngespinste« schreibt, »das
emotionale Salz in die Suppe der Wahrnehmungen«.
Die zentralen Schaltstationen in unserem Oberstübchen sind der Hippocam-
pus, durch den Gedächtnisinhalte ins Langzeitgedächtnis befördert werden,
und die Amygdala, die hirneigene Alarmanlage, welche in bedrohlichen Situ-
ationen aktiviert wird. Seit 1997 kennen wir zudem den Nucleus accumbens,
die »Frohnatur der Hirnkerne«, ein »Lernturbo« zur positiven Verstärkung
von Lernprozessen, der eine zentrale Rolle im Belohnungssystem spielt, so
Hirnforscher Spitzer.

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  • 2. BusinessVillage Lernen mit Hirn Michael Kühl-Lenjer Neurodidaktische Impulse für eine gehirngerechte Aus- und Weiterbildung
  • 3. Michael Kühl-Lenjer Lernen mit Hirn Neurodidaktische Impulse für Ihre gehirngerechte Aus- und Fortbildung 1. Auflage 2022 © BusinessVillage GmbH, Göttingen Bestellnummern ISBN 978-3-86980-632-7 (Druckausgabe) ISBN 978-3-86980-633-4 (E-Book, PDF) ISBN 978-3-86980-634-1 (E-Book, EPUB) Direktbezug unter www.BusinessVillage.de/bl/1142 Bezugs- und Verlagsanschrift BusinessVillage GmbH Reinhäuser Landstraße 22 37083 Göttingen Telefon: +49 (0)5 51 20 99-1 00 Fax: +49 (0)5 51 20 99-1 05 E-Mail: info@businessvillage.de Web: www.businessvillage.de Layout und Satz | Sabine Kempke Illustration Umschlag | freepik – de.freepik.com Autorenfoto | PicturePeople GmbH & Co. KG Illustrationen in Buch und Playbox | Peter Butschkow Druck und Bindung | www.booksfactory.de Copyrightvermerk Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle in diesem Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden von dem Autor nach bestem Wissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Er übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.
  • 4. Inhalt Über den Autor ............................................................................. 7 Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte ........ 9 1. Zum Start: Einleitung ............................................................... 17 2. Gehirn .................................................................................... 29 Das Gehirn – das zentrale Steuerungssystem................................... 40 Energiesparen beginnt im Kopf..................................................... 41 So gelangen Neurowissenschaftler zu ihren Erkenntnissen................. 42 Können wir unbewusst lernen?..................................................... 45 Der Hochleistungsfilter im Kopf.................................................... 46 Arbeitsteilung im Gehirn............................................................. 47 Wo im Gehirn wird Sprache verarbeitet?.......................................... 50 Spieglein, Spieglein im Gehirn...................................................... 53 Die Kraft der Emotionen ............................................................ 54 Gedächtnis: So werden Informationen gespeichert........................... 59 Embodiment – Körper und Geist im Netzwerkverbund........................ 62 Die Prognosemaschine in unserem Kopf ......................................... 67 3. Lernen.................................................................................... 73 So lernt das Gehirn .................................................................... 74 Das kannst du vergessen … erinnern ............................................. 76 Gute Nacht! Lerne gut! ............................................................... 81 Neuroplastizität: lernen, anpassen, verändern ................................ 89 Der Mustererkennungsdienst ....................................................... 91 Lernen heißt verändern.............................................................. 94 Lernen heißt verstehen............................................................... 99 Langfristige Verankerung.......................................................... 102 Wie lange muss ein Gehirn lernen, damit ein langfristiger Lerneffekt entsteht?................................................................. 103 Digitales Lernen...................................................................... 106 Emotionen – Herzschrittmacher für Training und Lernen.................. 119 Vier Positionen zum Thema Neurodidaktik..................................... 122
  • 5. Was macht das Gehirn, wenn es nichts tut?.................................... 125 Kreativität – vom Geistesblitz getroffen........................................ 128 Neugier beflügelt die Kreativität................................................. 132 Die zwölf Lehr-Lern-Prinzipien der Neurodidaktik und was sie für Ihre Lehrpraxis bedeuten............................................ 137 4. Lehrpraxis............................................................................ 145 Pauken, Büffeln, Lernen? Klassische Lerntechniken........................ 146 Die Persönlichkeit des Lehrenden................................................ 151 Wie die Lernumgebung wahrgenommen wird................................. 155 Der erste Eindruck zählt............................................................ 160 Der Lernstoff – Weniger ist mehr!................................................ 161 Mach mal Pause! ..................................................................... 164 Sprache ist die Kleidung der Gedanken – Die Sprache des Trainers...... 166 Emotional intelligent kommunizieren........................................... 169 Kopfkino aktivieren – mit Wirksprache kommunizieren .................... 172 Der Punktstrahler der Aufmerksamkeit ......................................... 175 Wer verstehen will, muss zuhören................................................ 181 Multitasking – geistige Schmalkost.............................................. 185 Lachen ist eine Erfrischungskur für Körper und Geist....................... 188 Motivation und Belohnung......................................................... 194 Bewegendes Lernen ................................................................. 201 So gelangt Wissen in den Kopf.................................................... 204 Wir verwenden Regeln, ohne diese zu kennen ................................ 207 Nun aber ran an die geistigen Leckerbissen! ................................. 210 Schreiben Sie sich schlau!.......................................................... 216 Mumpitz im Trainingsraum......................................................... 217 7-38-55-Formel von Albert Mehrabian ......................................... 219 »Tritt frisch auf! Tu‘s Maul auf! Hör‘ bald auf!«............................... 220 Schalten Sie mit Bildern, Metaphern und Geschichten den Lernturbo im Gehirn an!...................................................... 226 Was Hänschen lernt, lernt Hans allemal!....................................... 233 Gemeinschaft macht klug – Lernen in Gruppen............................... 237 Glaubenssätze, innere Schweinehunde und andere Lernbarrieren...... 242 Feedback: Alles gut oder was? .................................................... 245 Anhang .................................................................................... 255
  • 6. Über den Autor | 7 Über den Autor Michael Kühl-Lenjer ist heute Businesstrainer mit Schwerpunkt Neuroselling und Neurodidaktik. Er gibt Impulsvorträge, Webinare und Präsenztrai- nings und unterstützt Unternehmen dabei, Ver- triebsaktivitäten und Weiterbildungsmaßnahmen gehirngerecht zu gestalten. Die aktuellen Befunde der Gehirnforschung liefern wertvolle Ansätze, die bisherige Lehrpraxis zu überdenken und neue Er- kenntnisse in den Trainingsalltag einzubinden. Zu seinen Kunden zählen Vertriebsmitarbeiter, Personalentwickler, Weiter- bildungsinstitute, Dozenten, Lehrer, Trainer sowie Personen, welche Bil- dungsaktivitäten konzipieren und planen. Michael Kühl-Lenjer hat sich eine breite Wissensbasis geschaffen. Er studierte Biologie und Germanistik, war als Gymnasiallehrer tätig und blickt auf erfolg- reiche Jahre als Sales Director sowie als Head of Training and Development zurück. Als aktives Mitglied in der Akademie für neurowissenschaftliches Bil- dungsmanagement hat er umfangreiche Kontakte zu Neurowissenschaftlern und Hirnforschern. Kontakt: mkl@kuehl-lenjer-training.de www.kuehl-lenjer-training.de
  • 7. 8 | Downloadangebot Die digitale Playbox, das Downloadangebot des Verlages zum Buch Suchen, stöbern, entdecken: In der digitalen Playbox finden Sie neuro- didaktische Anregungen für Ihre Seminare, Live-Online-Trainings und Workshops. Es erwarten Sie vertiefende Artikel, ein neurodidaktischer Methodenkoffer, Links zu Videos einiger Neurowissenschaftler, Links zu methodisch-didaktischen Informationen, ein neurobiologisches Glossar, das Gedicht »Unsere Nerven«, Beispiele für Geschichten, Metaphern und Vorträge, Antworten zu der Frage »Wie halte ich eine Rede«, Informatio- nen zum »Wirkfaktor Sprache«, Tipps zur Rhetorik und vieles mehr. 1. Weiterführende neurobiologische Artikel 2. Dreiunddreißig praxisorientierte Übungen zur Arbeitsweise unseres Gehirns 3. Neurodidaktische Kartenbox 4. Nobelpreise für neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse 5. Webinare 6. Wirkfaktor Sprache 7. Eine Rede halten 8. Metaphern – Redewendungen 9. Geschichten und Anekdoten 10. Irrtümer und Mythen im Trainingsraum 11. Lyrik: »Unsere Nerven« 12. Von Trojanern, Schweinehunden und anderen Lernbarrieren 13. Neurobiologisches Glossar 14. Video-Links 15. Leseprobe des Buches »Feedback« von Chris Wolf und Heinz Jiranek
  • 8. Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte
  • 9. 10 | Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte Lernen und Lehren, so kann ich rückblickend erkennen, sind der rote Faden in meinem Leben. Das war so nicht geplant, hat sich aber ergeben. Und daran hat auch meine Schulzeit nichts verändert, die nicht immer rosig war. Mein Berufsziel war Lehrer, dort konnte ich meine Neigungen verwirklichen. Heute bin ich Kommunikationstrainer. Als Referendar in einem Gymnasium hatte ich erstmalig Kontakt mit Schü- lern. Ich unternahm meine ersten, noch holprigen Gehversuche als Lehren- der. Vieles kam mir bekannt vor. Es roch überall nach Linoleum. Und wenn die Schulklingel schrill ertönte und das Pausenende besiegelte, eilten die Leh- rer mit Büchern, Heften und Unterlagen in die Klassenräume. Hinter ihnen knallte die Tür ins Schloss, nun herrschte Ruhe, der Unterricht ging los. Und in dieser Schule hatte ich auch ein unglaubliches Glück. Ich betreute zwei neunte Klassen parallel. Das war eine unerwartete Gelegenheit, unterschied- liche Konzepte auszuprobieren! Thema war »Die Entwicklung der Insekten«, was für mich bis heute zu den faszinierendsten »Erfindungen« der Evolution zählt. Ein Individuum, das mehrmals im Leben in eine komplett andere Ge- stalt wechselt, einfach toll! Ei, Larve, Puppe, Imago, das ist einmalig. Die eine Klasse unterrichtete ich materialorientiert, also mit Tafel, Karten, Bü- chern, Abbildungen. Die andere Gruppe lernte anhand lebendiger Naturob- jekte. Ich brachte Insekteneier, Raupen, Larven, Maden, Puppen sowie Falter, Fliegen und Käfer in den Schulungsraum mit. Ich wollte untersuchen, ob der lehrmittelorientierte Unterricht oder der Kontakt mit den lebenden Tieren lernwirksamer ist. Ein Abschlusstest gab Auskunft. Meine Frage an Sie, lieber Leser: Welche Lerngruppe hatte im abschließenden Test die Nase vorn? Nahe- zu jeder, dem ich diese Frage stellte, antwortete: »Natürlich die Klasse mit den lebenden Tieren.« Falls auch Sie diese Meinung vertreten, sie ist falsch. Und das hat einen Grund. Lehrmittel werden so gestaltet, dass sie das, was wichtig ist, besonders hervorheben. Wenn eine Raupe über das Salatblatt kriecht, sich eine goldglänzende Puppe kopfüber an die Unterseite eines Brennnesselblattes heftet oder eklige Maden aus den Fliegeneiern schlüp- fen, erkennt man nicht alle Details, auf die es bei der Entwicklung der In- sekten ankommt. Die Klasse, die mit Unterrichtsmaterialien geschult wurde,
  • 10. Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte | 11 erwies sich also fachlich als überlegen. In dem Test hatte ich auch gefragt, inwiefern der Unterricht Spaß gemacht hat. Die Schulung mit Naturobjekten erhielt uneingeschränkte Bestnoten. Ein Jahr später, die Schüler waren nun in der zehnten Klasse, wiederholte ich den Test von damals. Ergebnis: Beide Lerngruppen konnten sich an vieles nicht mehr erinnern und die fachlichen Kenntnisse waren vergleichbar. Aber eines haben die Schüler, welchen Gele- genheit geboten wurde, die verschiedenen Stadien der Entwicklung lebender Insekten kennengelernt zu haben, mit Sicherheit nicht vergessen: Der Spaß, die freudige Überraschung und die Begeisterung an den Naturerlebnissen. Einige Schüler hatten sich zu Hause sogar kleine Käfige gebaut und dort Schmetterlinge »gezüchtet«. Das stand nicht im Lehrplan. Mit diesem Unterrichtsvergleich war der Grundstein für mein hohes Interes- se an Didaktik und Methodik gelegt. Möglicherweise wäre auch dieses Buch nicht geschrieben worden, wenn ich die hier geschilderten Erfahrungen nicht gemacht hätte. Die Erinnerungen sind bis heute wach geblieben. Sie sind unvergesslich in meinem Gehirn verankert. Also noch ein Buch über Neurodidaktik? Aber ja! Es gibt viele Bücher zum Thema, denn Lehren und Lernen sind komplexer als ein Lehrbuch über das Gehirn. Daher erhebe ich auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit und will nicht eine einzig gültige Wahrheit verkünden. Die gibt es ohnehin nicht. Einen Generalschlüssel für das Lernen suchen wir meist vergeblich. Unter- schiedliche Betrachtungsweisen hingegen können dazu beitragen, das bes- ser zu verstehen, was unser Gehirn von dem ersten bis zum letzten Atemzug tut, nämlich lernen. Wenn Sie dieses Buch lesen, um etwas mehr über die Arbeitsweise unseres Ge- hirns zu begreifen, verändert sich bereits Ihr Denkorgan, ob Sie es wollen oder nicht. Synapsen werden gebildet, andere verstärkt, manche sogar abgebaut. Dieses neuroplastische Prinzip gilt nicht nur für das Lesen dieses Buches, son- dern für alle Reize, die durch unsere Sinne in den Kopf gelangen.
  • 11. 12 | Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte Und der überwiegende Teil unserer Wahrnehmungen ist uns noch nicht ein- mal bewusst. Glauben Sie daher, dass wir selbst entscheiden können, was unser Hirn lernt? Falls ja, leider daneben! Der größte Teil dessen, was in unser Oberstübchen dringt, geschieht unbewusst. Schon aus diesem Grunde ist es schwierig, einen Königsweg für das Lernen zu versprechen. Gelingende Neurodidaktik stellt daher Fragen und so stellt auch dieses Buch viele Fragen: Wie gelangen Informationen ins Gehirn? Wo wird Wissen gespeichert? Wie werden Lerninhalte dauerhaft verankert? Was hemmt das Lernen? Welche Irrtümer über unser Oberstübchen sind im Um- lauf? Die Wissenschaft liefert dicke Bündel an Antworten, die ich für Sie auf- gegriffen habe. Im Mittelpunkt stelle ich immer die praktische Anwendung. Was können Lehrer, Trainer und Dozenten tun, um gehirngerecht zu lehren? Nach vielen Betrachtungen über die Funktionsweise unseres Denkorgans fin- den Sie dazu zusammenfassende Praxistipps: Was heißt das für die Weiter- bildung? Einiges von dem, was Sie in diesem Buch lesen, wird Ihnen bekannt vor- kommen, und das ist auch gut so. Denn eine Verknüpfung der frischen Informationen mit bereits Bekanntem festigt das vorhandene Wissen. Aus diesem Grund sind auch Wiederho- lungen absichtlich im Text belassen. Dass unser Hirn bestrebt ist, Energie zu sparen, gehört zum Beispiel dazu. Immer wie- der begegnen uns Sparaktionen, die auf den ersten Blick über- raschend, unerklärlich oder sogar fehlerhaft erscheinen. Erst die nähere Betrachtung zeigt, wie sinnvoll die Natur hierbei vorgeht. Neun von zehn Lehrern, so eine Umfrage aus dem Jahr 2012, glaubten be- reits vor etwa zehn Jahren, dass das Wissen um das Hirn für die Entwicklung ihrer Lernangebote wichtig bis sehr wichtig sei.1 Demzufolge beschäftigen sich viele Weiterbildner nicht erst seit gestern mit neurodidaktischen Lern- konzepten. Neurodidaktik zeigt allerdings keine »So-geht‘s-Tools«, es wer- den auch keine »todsicheren« Lösungen angeboten, die »in sieben Schritten
  • 12. Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte | 13 zum Erfolg« führen. Das klappt nie, und auf einen »Wow-Effekt« können Sie lange warten. Da wurde und wird gerne hirnrissige Magerkost angeboten. Die Neurowissenschaften sind von derartigen leeren Versprechungen aber weit entfernt. Mein Anliegen ist, den Lesern neurowissenschaftlich gesichertes Terrain zu erschließen und ein Arbeiten auf dieser Basis zu ermöglichen. Jedes Lernen verändert die neuronalen Strukturen, baut neue Synapsen auf und verstärkt oder löst bestehende Verknüpfungen. In jeder Sekunde gelan- gen Millionen von Reizen in unser Gehirn, der größte Teil von ihnen verläuft unbewusst. Sie können also auch Dinge lernen, die Ihnen erst später bewusst werden. Das klingt ein wenig danach, als ob ich Sie überzeugen möchte, wie hervorragend unser Oberstübchen funktioniert. Das ist nicht der Fall. Unser Hirn, auf das wir so stolz sind, zeigt auch viele Schwachstellen. Wir vergessen viel, können schlecht Rechenaufgaben abschätzen, verfälschen unsere Erinnerungen und sind saumiserabel darin, Zahlen, Daten und Fakten zu behalten. Doch wie so oft im Leben kommt es auf die Perspektive an. Die Denkfehler, Irrtümer und Fehlschlüsse, die sich unter unserer Schädeldecke abspielen, sind kein Irrweg der menschlichen Entwicklung, sondern durchaus eine besondere Stärke unseres Gehirns. Es ist keine Denkschwäche, sondern eine Anpassung an Umweltbedingungen. Dieses Buch wird Ihnen zeigen, wie und warum unser Hirn genau so arbeitet. Das ist spannend. Freuen Sie sich darauf besser zu erkennen, wozu die 86 Milliarden Nervenzellen fähig sind und wie formbar das Ding ist, das unser Denken und Handeln steuert. Jeder Trainer und jeder Lehrende wird seine didaktisch-methodischen Ent- scheidungen auch danach treffen, inwiefern sie effektiv und effizient sind. Effektiv ist eine Maßnahme, wenn sie zum gewünschten Ergebnis führt, effi- zient ist eine Maßnahme, wenn das geplante Ergebnis oder Ziel mit möglichst geringem Aufwand erreicht wird. Die Neurodidaktik ermöglicht daher, Lehrenden ihre Trainingskompetenz zu erweitern. Hinter dem Begriff Neurodidaktik verbirgt sich ein extrem wert- voller Ansatz, der einerseits Bewährtes bestätigt, andererseits alte pädago-
  • 13. 14 | Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte gische »Weisheiten« infrage stellt und Lehren und Lernen in einem neuen Licht erscheinen lässt. Und dieser Erkenntnisprozess ist noch lange nicht ab- geschlossen. Wir leben in einer Zeit der schnellen Erregung, in der Ablenkungsangebo- te um unsere Aufmerksamkeit buhlen und ein umfassender Wandel das Be- stehende bedroht. Schneller, weiter, höher bildet für viele Zeitgenossen die Basis ihrer Entscheidungen. Vielfach wird als Wunsch an die Weiterbildner herangetragen, dass die Trainings- und Ausbildungszeiten kürzer und Effekte beständiger sein mögen. Doch unser Gehirn hat sich seit etwa dreihundert- tausend Jahren kaum verändert. Von daher dürften die Sehnsüchte nach einem einfachen, schnellen und nachhaltigen Weg zum Lernergebnis nicht so leicht erreichbar sein. Doch wie wäre es mit den besten Wegen des Lernens, die unser Gehirn bewältigen kann? Ziel des Buches ist, zu zeigen, wie Sie mit neurobiologischen Grundlagen Ihre Lehrpraxis erweitern, bisherige Trainingspraktiken überdenken und didakti- sche Entscheidungen gehirngerechter treffen können. Interessiert? Dann blättern Sie um, der beste Zeitpunkt ist immer jetzt.
  • 14. Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte | 15 So nutzen Sie dieses Buch Dieses Buch bietet sich Ihnen als ein praktischer Einstieg in die Neurodidak- tik an. Vielseitig, aktuell und auf der Höhe der Zeit zeigt es die vielfältigen Wege zu einem Lernen und Lehren mit Hirn auf. Im ersten Kapitel dieses Buches unternehmen wir einen Kurztrip durch die Windungen unseres Hirns. Wer das Organ des Geistes verstehen möchte, kommt ohne einen Blick auf dessen Grundbestandteile sowie die für das Ler- nen bedeutsamen Gehirnregionen nicht aus. Das bildet die Grundlage für Ihre Lehrpraxis. Das zweite Kapitel hingegen konzentriert sich auf den Lernpro- zess als solchen. Hier erfahren Sie, welche Funktionen und Überraschungen unser Gehirn für das Lernen bereithält und welche Konsequenzen gegeben sind, um erfolgreich zu lehren. Im dritten Kapitel tauchen wir in die Lehrpraxis ein. Schritt für Schritt be- trachten wir grundlegende Elemente gehirngerechten Lehrens und Lernens. Immer, wenn es für Ihre Lehrpraxis angebracht erscheint, finden Sie den Hin- weis: »Was heißt das für die Weiterbildung«. Das Buch ist aber nicht nur ein Buch, sondern ein Buch, das um eine digitale Playbox ergänzt wird. Am Anfang des Buches erhalten Sie eine Übersicht über die zum Zeitpunkt der Drucklegung verfügbaren digitalen Zusatzangebote. In der digitalen Playbox finden Sie ein trainingserprobtes Sortiment an Übun- gen für Ihre methodischen Interventionen sowie vertiefende, ergänzende und weiterführende Artikel. In meinen Workshops und Seminaren habe ich häufig gehört, dass es den Teil- nehmern weniger auf neurowissenschaftliche Details, sondern mehr auf de- ren Auswirkungen auf ihre Lehrpraxis ankommt. Insofern habe ich, wo immer möglich, auf biochemischen Tiefgang verzichtet und den Fokus auf die Arbeit des Trainers gerichtet. Wer sich für neurophysiologische Details interessiert, kann zahlreiche empfehlenswerte Lehrbücher in der Literaturliste entdecken.
  • 15. 16 | Vorwort: Wie ich als Lehrer die Neurodidaktik für mich entdeckte Um die Lesbarkeit zu erhöhen, habe ich bei Substantiven und Pronomen die männliche Form verwendet. Selbstverständlich sind immer beide Geschlech- ter gemeint. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und Freude bei Ihrer gehirngerechten Trai- ningspraxis! Michael Kühl-Lenjer
  • 17. 18 | Zum Start: Einleitung Die Neurowissenschaften erleben seit Jahren einen ungebrochenen und kräf- tigen Aufschwung. Bekannt sind inzwischen diverse Hirnstrukturen. Wir ver- stehen Arbeitsweise und Funktionen zahlreicher Gehirnbereiche, wir können diagnostizieren, welche Regionen aktuell aktiv sind und wir wissen, wie be- stimmte Hirnareale die eintreffenden Sinnesreize verarbeiten. Was weiter- hin im Nebel der Unwissenheit schlummert, ist die Frage, wie verschiedene Gehirnteile kooperieren und wie sie unser Denken, Fühlen und Handeln be- stimmen. Es gibt allerdings ernste wissenschaftliche Bemühungen, die Ge- samtheit aller Verknüpfungen zwischen den Neuronen zu erfassen und zu kartieren. Damit beschäftigt sich die Konnektomik. Jeff Lichtmann von der Harvard Universität hat sich zur Aufgabe gesetzt, den kompletten Schalt- plan des menschlichen Gehirns zu entschlüsseln. Auf die Frage, ob ihm diese Mammutaufgabe gelingen wird, war seine Antwort kurz und knapp: »nein!« Er arbeitet trotzdem weiter daran. Erst mithilfe dieses Ansatzes wären wir in der Lage, alle grundlegenden Eigenschaften des Gehirns zu verstehen. Davon sind wir aber noch meilen- weit entfernt! Allein der Schaltplan eines Mäusehirns würde zwei Exabyte an Speicherplatz beanspruchen, wie die Zeitschrift »Gehirn & Geist« im Juni 2021 schreibt. Das wären zwei Milliarden Gigabyte. Alle Bücher, welche je- mals geschrieben wurden, benötigten etwa einhunderttausend Gigabyte Speichervolumen, also etwa 0,005 Prozent eines Mäusekonnektoms. Und wie viel Speicherkapazität würde ein Schaltplan für das menschliche Gehirn beanspruchen? Die Antwort auf diese Frage übertrifft jegliche Vorstellungs- kraft. Durch eine fortschreitende Entwicklung präziser Hirn-Scanner sind immer detailgenauere Einblicke in unser Gehirn möglich geworden. So ist das Inter- esse am menschlichen Denkorgan in den vergangenen Jahren deutlich ange- stiegen. Wer Mitte des Jahres 2021 den Begriff »Gehirn« googelt, erhält mehr als achtzehn Millionen Ergebnisse. Und wenn man die Zeichen der Zeit richtig deutet, hat sich die Gehirnforschung mittlerweile zu einer beachtenswerten interdisziplinären Leitwissenschaft entwickelt!
  • 18. Zum Start: Einleitung | 19 Die Hirnforschung hatte ihr Augenmerk ursprünglich vor allem auf Krank- heiten im Gehirn gerichtet, das gilt auch aktuell noch. Die Weiterbildung, Pädagogik und Didaktik kümmerte sich hingegen vorwiegend darum, Lern- schwächen auszugleichen. Heutzutage sind die Neurowissenschaftler in der Lage, mithilfe von bildgebenden Verfahren neuronale Aktivitäten sichtbar zu machen und somit die Arbeitsweise unseres obersten Organs zu ergründen. Die Erkenntnisse schlagen sich inzwischen auch in der Lehrtätigkeit nieder. Dazu sind zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen zu koordinieren, denn nicht nur eine Wissensdisziplin, sondern alle gleichermaßen haben dazu bei- getragen, unser Gehirn besser zu verstehen und lösungsorientierte Prozesse zu präsentieren. Seit dem Jahr 2013 arbeiten die USA an einem milliardenschweren For- schungsprojekt mit Namen »Brain Activity Map«, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns zu entschlüsseln. Auch in Europa tut sich auf diesem Gebiet etwas. Die Europäische Gemeinschaft pumpt Milliarden Euro in das »Human Brain Project«, mit dem die Funktion des menschlichen Gehirns simuliert und so verschiedene Zweige der Wissen- schaft revolutioniert werden sollen. Bei beiden Forschungsvorhaben geht es schwerpunktmäßig darum, neurologische Krankheiten wie Depressionen, Alzheimer oder Parkinson zu bekämpfen, denn diese Erkrankungen gehen einher mit Veränderungen im Gehirn. Allerdings verfolgen diese Mammutpro- jekte auch das Ziel, das menschliche Verhalten auf der Ebene der Neuronen und ihrer Vernetzung zu entschlüsseln. Bereits jetzt setzen sich die Initia- toren eingehend mit gesellschaftlichen, rechtlichen und ethischen Aus- wirkungen der wissenschaftlichen Errungenschaften auseinander, und man erwartet weitreichende Auswirkungen auch auf die Bildung! Mittlerweile haben sich die in den letzten Jahren angestiegenen Veröffent- lichungen über die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns im Wirtschaftsge- schehen niederschlagen. Und wer die aktuellen Angebote studiert, entdeckt: Neurothemen sind allgegenwärtig!
  • 19. 20 | Zum Start: Einleitung Da ist beispielsweise die Rede von »Neuro Associative Selling«. Das ist eine Methode, welche die neuropsychologischen Erkenntnisse verkaufsstrate- gisch nutzen soll. Wir lesen, dass Neuromarketing die Verkaufserfolge stei- gert, Pädagogen raten, mit »Neurodidaktik« das Lernen zu erleichtern, und unsere Sprache ist um einige Worte reicher: Neuroleadership, Neurolingu- istik, Neurorhetorik, Neurobiologie, Neuropsychologie, Neuromarketing, Neuroökonomie, Neurowissenschaft. Der Begriff »Neurologie« geht zurück auf Thomas Willis (1621–1675), ein englischer Arzt, der als Begründer der Anatomie des Nervensystems gilt. In den verfügbaren Referenten- und Seminardatenbanken präsentieren zahl- reiche Referenten Wissenswertes zur Gehirnforschung oder sie bieten neuro- didaktische Workshops an. Ein Großteil der Trainingsanbieter hat in seine Programme »Neurothemen« aufgenommen. Kein Wunder, denn das Interesse daran, sich mit gehirngerechtem Verhalten zu beschäftigen, wächst! Zwar tauchen – wie so häufig, wenn eine neue Richtung eingeschlagen wird oder sich neue Perspektiven eröffnen – Trittbrettfahrer mit gemäßigter Kompe- tenz und geringer Fachkenntnis auf, die großspurig versprechen, den so- genannten Kaufknopf beim Kunden gefunden oder die letzten Geheimnisse des Lernens entschlüsselt zu haben. Bei derartigen Offerten ist Skepsis an- gebracht! Doch viele Weiterbildner sind engagiert und wissensdurstig dabei, sich nicht mit im Internet angelesenen Halbwissen zu begnügen, sondern fundierte Quellen anzuzapfen, die ihre Lehrpraxis wirklich erweitern. Die Neurowissenschaften laden dazu ein, gewohnte Denkweisen infrage zu stel- len, Altbewährtes mit veränderter Perspektive zu betrachten und Neues zu wagen. Die neurobiologischen Befunde regen an, die Konzepte, die Präsen- tationen und die Vermittlung gehirngerecht zu verändern. »Unsere Erkenntnisse und Schlussfolgerungen über das Gehirn und seine Funktionen«, so der Hirnforscher Professor Dr. Manfred Spitzer, »fußen auf wissenschaftlichen Studien, Analysen und statistisch abgesicherten Unter- suchungen, die in Büchern und Zeitschriftenbeiträgen veröffentlicht wurden. Man sollte meinen, dass ihnen das eine ultimative Autorität verleiht. Leider
  • 20. Zum Start: Einleitung | 21 eine schöne Illusion. Denn die Wissenschaft ist immer auch der gegenwärti- ge Stand unseres Nicht-Wissens. Dies trifft auf die Gehirnforschung genauso zu wie auf jede andere Wissenschaft.« Die Ansicht ist weit verbreitet, dass wir in den letzten zwanzig Jahren im Bereich der Hirnforschung ungefähr so viel an neuen Erkenntnissen gewonnen haben wie in den zweitausend Jahren davor. Ich vermute aber, dass es sich hier sogar noch um eine Untertreibung handelt. Ganze Generationen sind mit Weisheiten aufgewachsen wie »was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr« Die aktuelle Hirnforschung hat dieses Dogma vom Sockel gestoßen. Denn es ist nachgewiesen, dass das mensch- liche Gehirn im Verlaufe seines gesamten Lebens das Potenzial der Selbst- erneuerung und Reorganisation besitzt. Das Stichwort lautet lebenslanges Lernen. Das Gehirn lernt nicht nur, wenn dessen Besitzer eine Schule oder Weiterbildungsinstitution betritt. Das Gehirn kann gar nicht anders, als sich Neues anzueignen, selbst im Schlaf gibt es keine lernfreie Phase. Wer bis- her für lebenslanges Lernen eingetreten ist, wurde bestätigt. Heute ist es Common Sense, dass das Lernen nicht auf Schule, Universität oder anderen Ausbildungsstätten beschränkt ist. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der Fachwissen rasch veraltet und die Wirtschaft einem internationalen Wett- bewerb um Wissen ausgesetzt ist. Viele Experten vertreten die Ansicht, dass wir in einer VUCA-Welt leben. VUCA ist ein Akronym, das sich auf »volatility« (Volatilität), »uncertainty« (Unsicherheit), »complexity« (Komplexität) und »ambiguity« (Mehrdeutigkeit) bezieht. Dass Trainer ihre Teilnehmer über möglichst viele Sinne ansprechen sollten und somit der Lernerfolg gesteigert wird, gehört zu den bekannten Grund- regeln des Lehrens. Die spannende Frage ist allerdings nicht, was wir bereits über das Lernen des Gehirns wissen, sondern ob diese Kenntnis in der Lehr- praxis angewendet wird. Wir wissen, dass das Prinzip der dualen Codierung (Dual Code Theory), wonach Lernstoff, der zugleich in Wort und Bild präsen- tiert wird, besser behalten wird als reiner Text. Doch – gestützt durch unzäh- lige, auch eigene Erfahrungen – wird diese Erkenntnis im Arbeitsalltag massiv
  • 21. 22 | Zum Start: Einleitung missachtet. Das erleben wir täglich bei PowerPoint-Präsentationen, in die schwer verständliche, unvollständige Begriffsabfolgen hinter zahlreichen Bulletpoints aufgereiht sind. Zu allem Überfluss werden auch noch Excel- Tabellen in die Charts hineingefügt. Die Worte des Referenten werden zwar zweikanalig für Auge und Ohr vermittelt, allerdings häufig mit unterschied- lichen Inhalten und unterschiedlicher Geschwindigkeit für die einzelnen Sin- ne. Das sorgt für grandiose Verwirrung, denn wir können nicht gleichzeitig zuhören und lesen. Für unser neugieriges, wissensdurstiges Hirn ist das Gift. Es schaltet ab und die Zuhörer kämpfen mit Müdigkeitsattacken. Wer bei Folie 15 die Augen geschlossen hat und erst bei Folie 68 (von 120) wieder auf- wacht, weiß, er hat einiges verpasst. Diese Präsentationsweise ist so effektiv wie der Versuch, mit einer Luftpumpe die Windrichtung zu verändern. Auch die weitere altbekannte Grundregel, dass Angst und Druck das Lernen behindern, hat die Neurobiologie bestätigt und ist vielen Lernenden und Lehrenden längst bekannt – manche haben diese Erkenntnis allerdings miss- achtet. Wir können nicht nicht fühlen, dafür sorgt das limbische System als maß- gebliche Schaltstelle für Lernen und Gedächtnis. Dieses Gefühlszentrum ist verantwortlich, die Bedeutung von Sinneswahrnehmungen und Gedächtnis- inhalten zu prägen (wichtig oder unwichtig, wünschenswert oder nicht wün- schenswert, angenehm oder unangenehm). Das limbische System streut also, wie Professor Manfred Spitzer in seinem Buch »Hirngespinste« schreibt, »das emotionale Salz in die Suppe der Wahrnehmungen«. Die zentralen Schaltstationen in unserem Oberstübchen sind der Hippocam- pus, durch den Gedächtnisinhalte ins Langzeitgedächtnis befördert werden, und die Amygdala, die hirneigene Alarmanlage, welche in bedrohlichen Situ- ationen aktiviert wird. Seit 1997 kennen wir zudem den Nucleus accumbens, die »Frohnatur der Hirnkerne«, ein »Lernturbo« zur positiven Verstärkung von Lernprozessen, der eine zentrale Rolle im Belohnungssystem spielt, so Hirnforscher Spitzer.