1. August 20132
ferien · reisen
Ein kostenloser kulturell-historischer Rundgang
Zwei Zürcher Stadtquartiere
In internationalen Studien platziert sich die Stadt Zürich bezüglich Le-
bensqualität immer wieder auf einem der Spitzenränge. So befindet sie
sich zusammen mit Auckland im «Quality of Living Survey 2012» von
Mercer nur gerade hinter Wien auf Platz zwei. Dieser Index berücksich-
tigt unterschiedlichste Faktoren, die beispielsweise politische, ökono-
mische oder kulturelle Aspekte abdecken.
Die Stadt Zürich weist eine besondere Stärke
als Finanzplatz auf. Dabei wird oft vergessen,
dass der Finanzplatz nicht nur die beiden glo-
bal tätigen Grossbanken umfasst, sondern,
dass auch kleinere Regional- und Privatban-
ken sowie international aktive Versicherungs-
konzerne einen Beitrag an die Wertschöp-
fung leisten. Letztere finden sich in Zürich
konzentriert am General-Guisan- und am
Mythenquai im Quartier Enge entlang des
Zürichsees. Von dort soll ein kleiner Rund-
gang entlang des Sees in Richtung Wollisho-
fen unternommen werden, der über den Ent-
lisberg und am Rande des Friedhofs Manegg
in das Stadtzentrum zurückführt.
«Swiss Re Next» wird Raum für doppelt so
viele Arbeitsplätze schaffen wie der bisherige
Bau, nämlich deren 800 gegenüber 400 zuvor.
Alfred Escher
Interessanterweise ist die Strasse hinter den
beiden Hauptsitzen der Versicherungs-Ge-
sellschaften nach dem Gründer einer Bank
benannt: Alfred Escher war ein Zeitgenosse
Bürklis und verfügte damals wie kein an-
derer über politischen und wirtschaftlichen
Einfluss in der Schweiz. Die Schweizerische
Kreditanstalt SKA – die heutige Credit Suisse
– wurde 1856 durch Escher gegründet, womit
der Grundstein für Zürichs Entwicklung zum
führenden Schweizer Finanzplatz und Wirt-
schaftszentrum gelegt wurde. Heute schnei-
det Zürich in internationalen Studien über die
Stärke von Finanzplätzen stets sehr gut ab
und liegt gegenwärtig im Ranking des «Glo-
bal Financial Center Index» auf Platz 5 von 79
untersuchten Finanzplätzen. Nur gerade Lon-
don, New York sowie Hong Kong und Singa-
pur übertreffen diese Schweizer Metropole.
Hotelfachschule
Die Alfred-Escher-Strasse führt in Richtung
Wollishofen direkt zum Eingang in die Park-
anlage der Belvoirpark Hotelfachschule, die
2014 einen Neubau eröffnen wird. In diesem
Tramstation Rentenanstalt
Die Seeanlage Mythenquai wurde Ende des
19. Jahrhunderts unter Leitung des damali-
gen Zürcher Stadtingenieurs Arnold Bürkli
erschaffen. An diesem Quai befindet sich
der Hauptsitz der Zürich Versicherungs-Ge-
sellschaft sowie auch derjenige der Swiss Re
mit dem Namen «Mythenschloss». Die Finanz-
krise im Jahr 2008 hat die Versicherungsunter-
nehmen global weniger berührt als die Ban-
keninstitute. Der wirtschaftliche Erfolg kann
gegenwärtig daran erkannt werden, dass
gleich neben dem Hauptsitz der Swiss Re
ein neues Bürogebäude in Entstehung ist:
«Landwirtschaftliche Eindrücke vor städtischer Kulisse»
Das Kinderhaus Entlisberg dient als Begeg-
nungsort für Familien mit Kleinkindern
2. August 2013 3
ferien · reisen
Park befindet sich zugleich auch das Belvoir-
park Restaurant, das in der ehemaligen Villa
Escher untergebracht ist. Ein Blick auf die
Strassentafel einer an den Park angrenzenden
Nebenstrasse fördert einen weiteren bekann-
ten Zürcher des 19. Jahrhunderts zu Tage: Kein
Bankier, kein Politiker, sondern ein Dichter –
der aus einer Zürcher Patrizierfamilie stam-
mende Conrad Ferdinand Meyer. Die Benen-
nung dieser Nebenstrasse nach Meyer hängt
damit zusammen, dass sie in Richtung Wollis-
hofen und somit auch Kilchberg liegt, wo der
Schweizer Dichter des Realismus 1898 starb.
Strandbad und Landiwiese
Der Strandbad-Weg führt zurück an das linke
Ufer des Zürichsees, genau genommen zum
Strandbad Mythenquai. Von dort sind es nur
wenige Minuten bis zur Landiwiese, wo dieses
Jahr aufgrund der Arbeiten am neuen Säch-
silüüteplatz ausnahmsweise der Circus Knie
gastiert. Die Landiwiese ist von Tradition her
Zürichs Ausstellungs- und Kulturwiese und
Teil der letzten Auffüllung am linken Seeufer.
Sie wurde 1939 für die Schweizer Landesaus-
stellung «Landi» auf die heutige Grösse aus-
gebaut. 1958 fand die «Saffa», die schweizeri-
sche Ausstellung für Frauenarbeit, statt – die
gleichnamige kleine Insel, die über ein Brück-
lein erreichbar ist, wurde damit den Schweizer
Frauen gewidmet. Landiwiese und Saffa-Insel
liegen bereits im Stadtzürcher Quartier Wollis-
hofen, dessen Eingemeindung 1893 erfolgte.
Fabrik und Villen
Direkt am See befindet sich die bekannte
Rote Fabrik, ein ehemaliges Fabrikareal,
das seit den 1980er Jahren als Kultur- und
Freizeitzentrum genutzt wird. Nur ein paar
Schritte danach grenzen zwei Heimatstil-
Villen an das Seeufer: die Villa Mooser und
die Villa Werdmüller. Beide Gebäude wur-
den anfangs des 20. Jahrhunderts errichtet
und unterliegen dem Denkmalschutz. Kurz
vor der Stadtgrenze zur Gemeinde Kilchberg
zweigt die Widmerstrasse ab, die in den hö-
her gelegenen Teil Wollishofens führt. Ein
stattliches Haus und insbesondere die mar-
kante Gedenktafel an der Fassade fallen auf:
Im Hause «Zur Erdbrust» wohnte während fast
30 Jahren Hans Kaspar Landolt, Stadtzürcher
Bürgermeister in den Jahren 1762 bis 1778.
Baugenossenschaft
Der weiter oben gelegene Owen-Weg führt
zu einem Gebäude mit der Aufschrift «Allge-
meine Baugenossenschaft Zürich, Wohnkolo-
nie Entlisberg, 1928 – 1932». Es weist auf die
Wohnsiedlung im Hangbereich des Entlisbergs
hin, deren ursprüngliche Bausubstanz auf die
Gründerzeit zurückgeht – eine umfassende
Sanierung fand zu Beginn dieses Jahrhunderts
statt. Robert Owen war ein britischer Frühso-
zialist und setzte sich bereits in seinen jungen
Jahren für humanere Lebens- und Arbeitsbe-
dingungen ein. Ausfluss seiner Arbeiten war
auch die Entwicklung mehrerer theoretischer
Modelle des gemeinschaftlichen Zusammenle-
bens und praktischer Siedlungsprojekte.
Friedhof Manegg
Der nahe gelegene Friedhof Manegg entstand
Ende des 19. Jahrhunderts als Folge der Ein-
gemeindung und Bevölkerungszunahme. Er
ist geprägt vom landschaftlichen Charakter
einer englischen Gartenanlage und ist mit
einem elegant geschwungenen Wegenetz ver-
sehen. Zahlreiche Grabstätten prominenter
Verstorbener lassen sich ausfindig machen,
darunter auch diejenige des Staatsmanns Al-
fred Escher. Von der westlichen Seite des
Friedhofs beim Dunkelhölzli ist auf einige
hundert Meter die Ein- und Ausfahrt in den
rund 4,4 km langen Üetlibergtunnel nach res-
pektive von Zug zu erkennen. Er wurde 2009
nach einer Bauzeit von rund acht Jahren er-
öffnet und kostete über 1 Mrd. Franken.
Richard Wagner
Oberhalb der Autobahn an der Brunau befin-
det sich das Restaurant Muggenbühl, ein im
17. Jahrhundert erbauter Landgasthof. Es lässt
sich hier wunderbar verweilen, gerade auch,
weil die Muggen (Mücken) aus dem ehemali-
gen Sumpfgebiet nicht mehr stechen. Die Stadt
Zürich verfügt über ihre Lage im Wasserschloss
Europas über unzählige Brunnen, weshalb der
bis anhin kostenlose Weg erfrischt in Richtung
Zürich-Enge fortgesetzt werden kann. Dieser
führt wieder in das 19. Jahrhundert: In einem
der schönsten Parks der Stadt Zürich, dem Rie-
terpark, liegt die 1857 erbaute Villa Wesen-
donck – das heutige Museum Rietberg. Der
Seidenhändler Otto Wesendonck und seine
Frau Mathilde unterhielten als Förderer und
Freunde eine Beziehung zu Richard Wagner
und stellten dem Komponisten die nahe ge-
legene Villa Schönberg zur Verfügung. In sei-
nem «Asyl auf dem Grünen Hügel» vollendete
dieser die Urschrift von «Tristan und Isolde».
Die Aufmerksamkeit der musik- und theater-
interessierten Öffentlichkeit dürfte gerade in
diesem Jahr in besonderer Weise auf Richard
Wagner liegen. Anlass hierzu geben sowohl
der 200. Geburtstag als auch der 130. Todes-
tag des gebürtigen Leipzigers.
Vielfältiges Zürich
Vergleichende internationale Studien zur Er-
mittlung der Lebensqualität untersuchen sehr
oft den Aspekt der Lebenskosten. Diese sind
in Zürich unbestritten hoch, aber Erlebnisse
und Unterhaltung lassen sich auch ausserhalb
des Marktes erfahren. Sowohl der Schwei-
zer Kapitalist Escher als auch der britische
Sozialist Owen haben in Zürich Spuren hin-
terlassen – und Richard Wagner sowie Con-
rad Ferdinand Meyer haben künstlerisch ge-
wirkt. Kostenlose Erkenntnisse, getrieben von
Neugierde und Beweglichkeit. Wo soll die
nächste Reise hingehen? In ein anderes Zür-
cher Stadtquartier oder in eine andere Top-
Destination des Mercer-Indexes?
Daniel Schmuki
Bilder:DanielSchmuki
Die Rote Fabrik bietet bunte Kunst
Oberhalb des Belvoirparks thront die präch-
tige Villa Escher