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Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Dr. Uwe Krüger
Autorisieren
Presseworkshop der
Bochumer Stadt- und Studierendenzeitung (:bsz)
4.-5. Oktober 2013
Kontrollwahn oder berechtigte Absicherung
Foto:ddp/MichaelKappeler
Seite 2
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
„Die Fragen gehören mir, die Antworten Ihnen“:
In Deutschland eine übliche Spielregel
Interviewpartner Interviewer
Vorteile Absicherung gegen Fehler
und Missverständnisse
Er muss nicht jedes Wort auf
die Goldwaage legen, kann
spontaner und authentischer
sein.
Absicherung gegen Fehler und
Missverständnisse
Interview bekommt Dokument-
charakter: Nach Veröffentlichung
kann der Partner nicht behaupten,
das hätte er so nicht gesagt
entspannte Gesprächsatmosphäre
Nachteile authentische, spannende
Aussagen abseits des Politsprechs
können wieder gestrichen werden
Seite 3
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Historische Genese
 1949: erste Autorisierung eines Interviews durch Nachrichtenmagazin
„U.S. News & World Report“ (Gespräche des Herausgebers David
Lawrence mit Eliten)
 1958 erhob der SPIEGEL die Autorisierung zum Prinzip des „SPIEGEL-
Gesprächs“
 Hintergrund:
(1) Transfer von gesprochener zu verschriftlichter Sprache ist komplex,
Interviews werden sprachlich geglättet und gekürzt, im Vordergrund
steht Lesbarkeit, nicht Worttreue
(2) durch Autorisierung wird das Interview zum zitierfähigen Dokument
der Zeitgeschichte und kann nicht dementiert werden
Seite 4
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Aktueller Zustand
 Autorisierungspraxis hat sich eingebürgert, aber:
 „Die gute Sache wurde von den Gesprächspartnern pervertiert“
(Arno Weyand vom Deutschen Presserat)
 Bascha Mika (taz) nannte Missbrauch der Autorisierungspraxis
„Betrug am Anspruch einer freien Presse, Betrug am
journalistischen Selbstverständnis, Betrug am Leser“ (2003)
Seite 5
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Rechtlicher und ethischer Rahmen
 Urheberrechtlich sind Autorisierungen sinnvoll, da der Interviewpartner
Miturheber ist (sofern von Werkcharakter/Schöpfungsakt gesprochen
werden kann
 Pressekodex des deutschen Presserats, Richtlinie 2.4: „Ein
Wortlautinterview ist auf jeden Fall journalistisch korrekt, wenn es das
Gesagte richtig wiedergibt.“ (seit 1.1.2007)
 Vorher hieß es, „ein Interview ist auf jeden Fall journalistisch korrekt,
wenn es vom Interviewten oder dessen Beauftragten autorisiert wurde“,
die Veröffentlichung eines nicht autorisierten Interviews war lediglich
„unter besonderem Zeitdruck“ korrekt
 mit der Änderung wollte der Presserat dem „Autorisierungswahn“
entgegentreten
Seite 6
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
In den meisten westlichen Ländern ist
Autorisierung unüblich
 In USA, Großbritannien, Spanien oder Niederlande weitgehend
unbekannt
 Autorisierungsländer: Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich,
Italien
 Deutsche Unternehmenschefs wollen fast alle autorisieren. „Aber wenn
Sie dann einen Jeffrey Immelt (CEO von General Electric) interviewen
und den fragen, ob er das Interview noch mal gegenlesen will, guckt
der Sie nur verdutzt an.“ (Handelsblatt-Redakteur Christoph Hardt in
Buhre 2008)
 Allerdings werden auch in den USA Quellen zunehmend begehrlich:
„(…) I observed a growing trend in my own country of government and
business leaders demanding to approve quotes in return for interview
access“ (Prof. Peter Laufer, University of Oregon, 2013)
Seite 7
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Strategien für Journalisten (I)
Vor dem Interview: Klare Bedingungen setzen
 Vor Interview dem Partner klarmachen, wozu Autorisierung da ist:
Nicht zum Sinn-Verändern und Aussagen-Zurücknehmen, sondern
zum Vermeiden von Fehlern und Missverständnissen durch die
sprachliche Bearbeitung. Der Partner soll trotz Autorisierung nur das
sagen, was er auch veröffentlicht sehen will!
 Angemessene Frist setzen und ankündigen: Ist die Frist verstrichen,
gilt das Interview als freigegeben. Zwischen Frist und
Redaktionsschluss sollte Spielraum zum Nachverhandeln sein. Bei
absehbaren Problemen (berüchtigter Interviewpartner) Ersatztext für
die Seite bereithalten
Seite 8
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Strategien für Journalisten (II)
Bei Vorlage des Interviews: Vorsichtig sein
 Den reinen Interviewtext – ohne Überschrift, Vorspann,
Bildunterschriften – zur Autorisierung faxen oder als PDF-Datei mailen.
„Gemailte Worddokumente sind eine Einladung zum Herumdoktern!“
(Thiele 2009b)
 Etwas mehr Text (ca. 10 bis 20 Prozent) als nötig zur Autorisierung
geben, das „schafft Manövriermasse“ (Thiele 2009b)
Seite 9
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Strategien für Journalisten (III)
Nach dem Streichkonzert: Verhandeln…
 Nicht jeden Änderungswunsch hinnehmen (Argumente: „Es ist ein
Wortlautinterview“, „Das habe ich auf dem Tonband“, „Das hätten Sie
sich vorher überlegen müssen“)
 Wenn durch Kürzungen etwas unverständlich wird: Änderungen oder
neue Fragen hineinverhandeln  Sie sind den Lesern verpflichtet
(Argumente: „Dieses Fremdwort verstehen die Leser nicht“, „Hier steigt
der Leser aus“, „Hier ist der Anschluss zur nächsten Frage jetzt
unverständlich“, „Nach Ihrer Änderung bleibt meine Frage nun
unbeantwortet, daher nochmal die Frage…“)
 Wenn das nicht hilft: Mit weiteren Eskalationsstufen drohen, nämlich…
Seite 10
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Strategien für Journalisten (IV)
…oder bestrafen
 Interview mit Streichungen/Schwärzungen drucken á la taz
(Interviews mit Olaf Scholz am 28.11.2003 und Philipp Rösler am
10.9.2013) und Financial Times Deutschland (Interviews mit Edmund
Stoiber und Ulla Schmidt am 28.11.2003)
 über die Autorisierungs-Allüren des Interviewpartners berichten
(„Oliver Kahn: Die Angst des Torwarts“ ZEIT vom 12.4.2006,
„Protokoll: Der Versuch, Katja Riemann zu interviewen“, WELT vom
4.3.2007)
 Nichtveröffentlichung (etwa jedes 10. Spiegel-Gespräch wurde
nicht gedruckt, weil es langweilig geworden war, laut Haller 2008)
Seite 11
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Quellen (I)
Buhre, Jakob (2008): Inszenierte Interviews. In: Message, Heft 1, S. 48-49
Haller, Michael (2001): Das Interview. Ein Handbuch für Journalisten. 3.,
überarbeitete Auflage. Konstanz: UVK
Haller, Michael (2008): Wer fährt mit wem Schlitten? In: Message, 1, S. 49
Kessler, Lauren (2013): Kessler erwidert Laufer: Journalisten sind Interviewten
Autorisierungen schuldig. derStandard.at vom 8. Mai,
http://derstandard.at/1363710002150/Kessler-erwidert-Laufer-Journalisten-sind-
Interviewten-Autorisierungen-schuldig?_blogGroup=1
Laufer, Peter (2013): Warum man Interview-Autorisierungen ablehnen sollte -
eine US-Perspektive. derStandard.at vom 2. Mai,
http://derstandard.at/1363709674805/Warum-man-die-Autorisierung-von-
Interviews-ablehnen-sollte-US-amerikanische-Perspektive
Seite 12
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Quellen (II)
Sundermeyer, Olaf (2008): Interview-Autorisierung: Im Kontrollwahn. In:
Journalist, Heft 7, http://www.journalist.de/ratgeber/handwerk-beruf/tipps-
fuer-den-berufsalltag/im-kontrollwahn-interview-autorisierung.html
Thiele, Christian (2009a): Interviews führen. Konstanz: UVK
Thiele, Christian (2009b): Das große Streichkonzert. In: Medium Magazin,
Heft 10/11, http://www.mediummagazin.de/archiv/2009-2/10_11/das-grosse-
streichkonzert/
Waterstraat, Swantje (2008): Wenn Gefragte zensieren. In: Message, Heft 1,
S. 44-45
Waterstraat, Swantje (2007): Die Autorisierung politischer Presseinterviews.
Spielregel zwischen Politik und Presse. Saarbrücken: VDM
Seite 13
Dr. Uwe Krüger: Autorisieren
Kontakt
Dr. Uwe Krüger (Dipl.-Journ.)
Universität Leipzig
Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft
Abteilung Journalistik
Burgstr. 21
04109 Leipzig
Telefon: 0341/97-35756
Fax: 0341/97-35799
E-Mail: uwe.krueger@uni-leipzig.de

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Autorisieren - Kontrollwahn oder berechtigte Absicherung

  • 1. Seite 1 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Dr. Uwe Krüger Autorisieren Presseworkshop der Bochumer Stadt- und Studierendenzeitung (:bsz) 4.-5. Oktober 2013 Kontrollwahn oder berechtigte Absicherung Foto:ddp/MichaelKappeler
  • 2. Seite 2 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren „Die Fragen gehören mir, die Antworten Ihnen“: In Deutschland eine übliche Spielregel Interviewpartner Interviewer Vorteile Absicherung gegen Fehler und Missverständnisse Er muss nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, kann spontaner und authentischer sein. Absicherung gegen Fehler und Missverständnisse Interview bekommt Dokument- charakter: Nach Veröffentlichung kann der Partner nicht behaupten, das hätte er so nicht gesagt entspannte Gesprächsatmosphäre Nachteile authentische, spannende Aussagen abseits des Politsprechs können wieder gestrichen werden
  • 3. Seite 3 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Historische Genese  1949: erste Autorisierung eines Interviews durch Nachrichtenmagazin „U.S. News & World Report“ (Gespräche des Herausgebers David Lawrence mit Eliten)  1958 erhob der SPIEGEL die Autorisierung zum Prinzip des „SPIEGEL- Gesprächs“  Hintergrund: (1) Transfer von gesprochener zu verschriftlichter Sprache ist komplex, Interviews werden sprachlich geglättet und gekürzt, im Vordergrund steht Lesbarkeit, nicht Worttreue (2) durch Autorisierung wird das Interview zum zitierfähigen Dokument der Zeitgeschichte und kann nicht dementiert werden
  • 4. Seite 4 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Aktueller Zustand  Autorisierungspraxis hat sich eingebürgert, aber:  „Die gute Sache wurde von den Gesprächspartnern pervertiert“ (Arno Weyand vom Deutschen Presserat)  Bascha Mika (taz) nannte Missbrauch der Autorisierungspraxis „Betrug am Anspruch einer freien Presse, Betrug am journalistischen Selbstverständnis, Betrug am Leser“ (2003)
  • 5. Seite 5 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Rechtlicher und ethischer Rahmen  Urheberrechtlich sind Autorisierungen sinnvoll, da der Interviewpartner Miturheber ist (sofern von Werkcharakter/Schöpfungsakt gesprochen werden kann  Pressekodex des deutschen Presserats, Richtlinie 2.4: „Ein Wortlautinterview ist auf jeden Fall journalistisch korrekt, wenn es das Gesagte richtig wiedergibt.“ (seit 1.1.2007)  Vorher hieß es, „ein Interview ist auf jeden Fall journalistisch korrekt, wenn es vom Interviewten oder dessen Beauftragten autorisiert wurde“, die Veröffentlichung eines nicht autorisierten Interviews war lediglich „unter besonderem Zeitdruck“ korrekt  mit der Änderung wollte der Presserat dem „Autorisierungswahn“ entgegentreten
  • 6. Seite 6 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren In den meisten westlichen Ländern ist Autorisierung unüblich  In USA, Großbritannien, Spanien oder Niederlande weitgehend unbekannt  Autorisierungsländer: Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien  Deutsche Unternehmenschefs wollen fast alle autorisieren. „Aber wenn Sie dann einen Jeffrey Immelt (CEO von General Electric) interviewen und den fragen, ob er das Interview noch mal gegenlesen will, guckt der Sie nur verdutzt an.“ (Handelsblatt-Redakteur Christoph Hardt in Buhre 2008)  Allerdings werden auch in den USA Quellen zunehmend begehrlich: „(…) I observed a growing trend in my own country of government and business leaders demanding to approve quotes in return for interview access“ (Prof. Peter Laufer, University of Oregon, 2013)
  • 7. Seite 7 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Strategien für Journalisten (I) Vor dem Interview: Klare Bedingungen setzen  Vor Interview dem Partner klarmachen, wozu Autorisierung da ist: Nicht zum Sinn-Verändern und Aussagen-Zurücknehmen, sondern zum Vermeiden von Fehlern und Missverständnissen durch die sprachliche Bearbeitung. Der Partner soll trotz Autorisierung nur das sagen, was er auch veröffentlicht sehen will!  Angemessene Frist setzen und ankündigen: Ist die Frist verstrichen, gilt das Interview als freigegeben. Zwischen Frist und Redaktionsschluss sollte Spielraum zum Nachverhandeln sein. Bei absehbaren Problemen (berüchtigter Interviewpartner) Ersatztext für die Seite bereithalten
  • 8. Seite 8 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Strategien für Journalisten (II) Bei Vorlage des Interviews: Vorsichtig sein  Den reinen Interviewtext – ohne Überschrift, Vorspann, Bildunterschriften – zur Autorisierung faxen oder als PDF-Datei mailen. „Gemailte Worddokumente sind eine Einladung zum Herumdoktern!“ (Thiele 2009b)  Etwas mehr Text (ca. 10 bis 20 Prozent) als nötig zur Autorisierung geben, das „schafft Manövriermasse“ (Thiele 2009b)
  • 9. Seite 9 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Strategien für Journalisten (III) Nach dem Streichkonzert: Verhandeln…  Nicht jeden Änderungswunsch hinnehmen (Argumente: „Es ist ein Wortlautinterview“, „Das habe ich auf dem Tonband“, „Das hätten Sie sich vorher überlegen müssen“)  Wenn durch Kürzungen etwas unverständlich wird: Änderungen oder neue Fragen hineinverhandeln  Sie sind den Lesern verpflichtet (Argumente: „Dieses Fremdwort verstehen die Leser nicht“, „Hier steigt der Leser aus“, „Hier ist der Anschluss zur nächsten Frage jetzt unverständlich“, „Nach Ihrer Änderung bleibt meine Frage nun unbeantwortet, daher nochmal die Frage…“)  Wenn das nicht hilft: Mit weiteren Eskalationsstufen drohen, nämlich…
  • 10. Seite 10 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Strategien für Journalisten (IV) …oder bestrafen  Interview mit Streichungen/Schwärzungen drucken á la taz (Interviews mit Olaf Scholz am 28.11.2003 und Philipp Rösler am 10.9.2013) und Financial Times Deutschland (Interviews mit Edmund Stoiber und Ulla Schmidt am 28.11.2003)  über die Autorisierungs-Allüren des Interviewpartners berichten („Oliver Kahn: Die Angst des Torwarts“ ZEIT vom 12.4.2006, „Protokoll: Der Versuch, Katja Riemann zu interviewen“, WELT vom 4.3.2007)  Nichtveröffentlichung (etwa jedes 10. Spiegel-Gespräch wurde nicht gedruckt, weil es langweilig geworden war, laut Haller 2008)
  • 11. Seite 11 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Quellen (I) Buhre, Jakob (2008): Inszenierte Interviews. In: Message, Heft 1, S. 48-49 Haller, Michael (2001): Das Interview. Ein Handbuch für Journalisten. 3., überarbeitete Auflage. Konstanz: UVK Haller, Michael (2008): Wer fährt mit wem Schlitten? In: Message, 1, S. 49 Kessler, Lauren (2013): Kessler erwidert Laufer: Journalisten sind Interviewten Autorisierungen schuldig. derStandard.at vom 8. Mai, http://derstandard.at/1363710002150/Kessler-erwidert-Laufer-Journalisten-sind- Interviewten-Autorisierungen-schuldig?_blogGroup=1 Laufer, Peter (2013): Warum man Interview-Autorisierungen ablehnen sollte - eine US-Perspektive. derStandard.at vom 2. Mai, http://derstandard.at/1363709674805/Warum-man-die-Autorisierung-von- Interviews-ablehnen-sollte-US-amerikanische-Perspektive
  • 12. Seite 12 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Quellen (II) Sundermeyer, Olaf (2008): Interview-Autorisierung: Im Kontrollwahn. In: Journalist, Heft 7, http://www.journalist.de/ratgeber/handwerk-beruf/tipps- fuer-den-berufsalltag/im-kontrollwahn-interview-autorisierung.html Thiele, Christian (2009a): Interviews führen. Konstanz: UVK Thiele, Christian (2009b): Das große Streichkonzert. In: Medium Magazin, Heft 10/11, http://www.mediummagazin.de/archiv/2009-2/10_11/das-grosse- streichkonzert/ Waterstraat, Swantje (2008): Wenn Gefragte zensieren. In: Message, Heft 1, S. 44-45 Waterstraat, Swantje (2007): Die Autorisierung politischer Presseinterviews. Spielregel zwischen Politik und Presse. Saarbrücken: VDM
  • 13. Seite 13 Dr. Uwe Krüger: Autorisieren Kontakt Dr. Uwe Krüger (Dipl.-Journ.) Universität Leipzig Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft Abteilung Journalistik Burgstr. 21 04109 Leipzig Telefon: 0341/97-35756 Fax: 0341/97-35799 E-Mail: uwe.krueger@uni-leipzig.de