1. Holger Balderhaar | Julia Busche | Marcus Lemke | Rüdiger Reyhn
Potenzialanalyse Seniorenwirtschaft
Regionalökonomische Impulse für Stadt und
Landkreis Göttingen durch ältere Menschen
Beschäftigungspakt für Ältere im Gefördert und unterstützt durch das
Eine Studie im Rahmen des Beschäftigungspaktes „50plus - Erfahrung zählt!“ im Landkreis Göttingen
2. Herausgeber
Regionalverband Südniedersachsen e.V.
Barfüßerstraße 1, 37073 Göttingen
info@regionalverband.de
0551-5472810
www.regionalverband.de
in Kooperation mit dem
Volkswirtschaftlichen Institut für Mittelstand und Handwerk an der
Universität Göttingen (ifh)
Im auftrag von
www.50plus-goettingen.de
Göttingen, September 2006
3. Holger Balderhaar
Kilian Bizer
Julia Busche
Gerd Cassing
Wolf-Ekkehard Hesse
Karsten Hiege
Ullrich Kornhardt
Marcus Lemke
Steffen Reißig
Rüdiger Reyhn
Potenzialanalyse Seniorenwirtschaft
Regionalökonomische Impulse für Stadt und Landkreis Göttingen
durch ältere Menschen
4. InhaltsverzeIchnIs
1 Zusammenfassung 7
2 Einführung und Aufgabenstellung 11
Vorbemerkungen 11
Das Modellprojekt “50plus – Erfahrung zählt!“ 15
Methodisches Vorgehen 16
3 Demographischer Wandel 18
Analyse und Prognose 18
Situation auf dem Arbeitsmarkt 22
Anpassungsleistungen der Kommunen 23
4 SeniorInnen in der Gesellschaft 26
Altersbilder und Altersbegriffe 26
Armut im Alter 32
Seniorenarbeit 34
Interessenvertretung in den Parteien 39
Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) 41
Überregionale Beispiele 42
5 Initiativen für SeniorInnen 45
Altenbericht und Stellungnahme zum Altenbericht 46
Landesinitiative Seniorenwirtschaft in NRW 47
Landesinitiative Seniorenwirtschaft Niedersachsen 48
Förderung des Ehrenamtes in Niedersachsen 50
Exkurs: Mehrgenerationenhäuser 52
6 Seniorenwirtschaft 54
Begriffsbestimmung 54
Kaufkraft von Senioren 55
Senioren-marketing 58
Einfach für alle: Universal Design 67
Exkurs: Seniorenwirtschaft in Japan 68
Exkurs: Demographischer Wandel in China 69
4
5. 7 Gestaltungsfelder der Seniorenwirtschaft 71
Wohnen 71
Situation im Landkreis Göttingen (ifh) 107
Handel 125
Gesundheitswirtschaft, ambulante Pflege und Sport 141
Finanzdienstleistungen 163
Neue Medien und Telekommunikation 166
Tourismus 173
Mobilität im Alltag 179
Seniorenbildung 182
8 Perspektiven der Seniorenwirtschaft 184
9 Qualifizierung und Beratung 186
Qualifizierung für den ersten Arbeitsmarkt 186
Existenzgründungsberatung 190
10 Handlungsempfehlungen 192
Kommunen als Impulsgeber 192
Handwerk und Wohnen 196
Handel 199
Ambulante Pflege 202
Tourismus und Mobilität 203
Neue Medien und Telekommunikation 205
Finanzdienst-leistungen 205
Die nächsten Schritte 206
Literatur 208
Internetlinks 214
Abbildungsverzeichnis 219
ANHANG
Pflegesätze der Altenhilfeeinrichtungen im Landkreis Göttingen 221
Pflegesätze der Altenhilfeeinrichtungen in der Stadt Göttingen 224
Adressen der Alten- und Pflegeeinrichtungen in der
Stadt Göttingen 226
Adressen der Alten- und Pflegeheime im Bereich des
Landkreises Göttingen 227
5
6. Zwei sarkastische Definitionsversuche
A) Gerontologie ist eine zunehmend erfolgreich benützte
Strategie jüngerer Menschen, schon in jungen Jahren an
der demographischen Alterung zu verdienen. Die Geron-
tologInnen sind deshalb existentiell daran interessiert, dass
niemand vorzeitig wegstirbt und den Alten die Probleme nicht
ausgehen.
B) Gerontologie ist eine kluge Strategie von Berufsfachleuten,
sich durch die Beschäftigung mit hochbetagten Menschen
auch noch mit 50 jung zu fühlen, was Personen, die sich mit
Jugendfragen befassen, eindeutig schwieriger fällt.
François Höpflinger
1 François Höpflinger ist Titularprofessor für Soziologie an der Universität Zürich. Er beschäftigt sich vor
allem mit Fragen zur Bevölkerungssoziologie.
6
7. 1 zusammenfassung
Entwicklung und Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen für
ältere KundInnen sind geeignet, Perspektiven für die wirtschaftliche Ent-
wicklung der Stadt und des Landkreises Göttingen und darüber hinaus
für die gesamte Region Südniedersachsen zu eröffnen. Seniorinnen und
Senioren verfügen über eine hohe Kaufkraft. Der Anteil dieser Altersgruppe
an der Gesamtbevölkerung ist in den vergangenen Jahren gestiegen – er
wird auch weiter an Bedeutung gewinnen.
Überlappt wird diese Entwicklung jedoch durch regionale Struktur- und
Wachstumsprobleme, die sich unter anderem in deutlich geringeren
Durchschnittseinkommen gegenüber prosperierenden Regionen Nord-
west-Niedersachsens, z. B. dem Landkreis Leer, manifestieren.
Die Wirtschaft in Stadt und Landkreis Göttingen wird sich der neuen
Möglichkeiten, die sich aus dem demographischen Wandel ergeben,
zunehmend bewusst. Bei der Entwicklung von Produkten und Dienstlei-
stungen berücksichtigen viele Unternehmen die erhöhte Bedeutung der
SeniorInnen auf den regionalen und überregionalen Märkten.
Trotz vielfältiger punktueller Bemühungen in Stadt und Landkreis Göttingen
mangelt es jedoch in vielen Gestaltungsfeldern der Seniorenwirtschaft
noch immer an ausreichender Anpassungsflexibilität der Anbieter. Das
gilt sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor. Viele Facetten des
demographischen Wandels werden in der aktuellen Geschäftspraxis und
der strategischen Unternehmensausrichtung nur unzureichend berücksich-
tigt. Um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Standort sichern
und entwickeln zu können, ist es deshalb erforderlich, den Gruppen der
Älteren als Leistungserbringer und Leistungsbezieher eine noch höhere
Aufmerksamkeit zu schenken, als dies bislang erfolgt ist.
Die in der vorliegenden Potenzialanalyse aufgezeigten Handlungsansät-
ze sollten deshalb konkretisiert und auf eine Umsetzung weiter geprüft
werden. Ein in Nordrhein-Westfalen entwickeltes Ignoranz-Szenario zeigt
die Konsequenzen für den Fall auf, dass die erforderlichen Anpassungs-
leistungen nicht erbracht werden.
In Gestaltungsfeldern wie der ambulanten Pflege und dem seniorenge-
rechten Wohnen bestehen – das zeigt die vorliegende Studie – unmittelbar
neue Beschäftigungspotenziale. Beim Vorliegen persönlicher und fach-
licher Eignung können in Sektoren wie diesen auch ältere Erwerbslose auf
den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden – wenn auch möglicherweise
nur im Rahmen prekärer Arbeitsverhältnisse. In den meisten anderen
Gestaltungsfeldern dürften die Wirkungen aber eher mittelbar sein.
2 Hiege, Karsten; Hesse, Wolf-Ekkehard (2006): “Regionalanalyse des Landkreises Göttingen – Basisdaten
zu älteren Beschäftigten und Erwerbslosen“ (Regionalverband Südniedersachsen e.V.)
3 Circel, Michael; Hilbert, Josef; Schalk, Christa (2004): “Produkte und Dienstleistungen für mehr Le-
bensqualität im Alter“, Institut für Arbeit und Technik, Gelsenkirchen, S. 103
7
8. Die wichtigsten Perspektiven der Seniorenwirtschaft in Stadt und Landkreis
Göttingen liegen also primär in der Wirtschafts- und Strukturpolitik und
weniger in der Beschäftigungspolitik. Damit stützt die vorliegende Studie
eine wesentliche These, die bei der Bildung des Beschäftigungspaktes für
Ältere im Landkreis Göttingen im Juli 2005 formuliert wurde.
Nicht bestätigt werden kann jedoch, dass sich durch eine Nutzung der
Möglichkeiten der Seniorenwirtschaft älteren Erwerbslosen in größerem
Umfang neue Beschäftigungsfelder eröffnen. Das gilt insbesondere
angesichts der in der Regionalanalyse nachgewiesenen Bedeutung der
Langzeitarbeitslosigkeit älterer Erwerbsfähiger im Landkreis Göttingen.
Zu einer ähnlichen Bewertung kam Mitte September 2006 auch der Präsi-
dent des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg
Braun. Er erklärte, die Initiative des Bundes werde kaum dazu beitragen,
dass nennenswert viele ältere Erwerbslose in den Arbeitsmarkt integriert
werden könnten. Brauns Einschätzung: Die Qualifizierung von Arbeitslosen
wird nach wie vor vernachlässigt.
Trotz positiver Grundstimmung bei Wirtschaft und Verbrauchern im
Spätsommer 2006 fehlt es den Betrieben an Anreizen, ältere Arbeitslose
einzustellen. Ob die neuen beschäftigungspolitischen Ansätze der Landes-
und der Bundesregierung die Perspektiven für Ältere verbessern, lässt
sich derzeit nicht abschätzen. Beim Abbau von Personal trennen sich
viele Unternehmen nach wie vor eher von Älteren – die Volkswagen AG
beispielsweise beim geplanten Personalabbau an mehreren Standorten in
Niedersachsen und Nordhessen, ebenso gilt dies bei dem Einzelfall des
Vorstandsvorsitzenden der BMW AG, der im Juli 2006 mit sechzig Jahren
in den Ruhestand ging, obwohl er gern weitergearbeitet hätte.
Der Sachverständigenkommission für den fünften Bericht zur Lage der
älteren Generation in der Bundesrepublik ist zuzustimmen, wenn sie
feststellt, dass alle Maßnahmen zur Erhöhung der Beschäftigungsquote
Älterer letztlich nur greifen werden, wenn die Wirtschaft kräftig wächst
und eine steigende Arbeitskräftenachfrage die Betriebe motiviert, auch
Ältere einzustellen.
Die vorliegende Studie will zum Abbau von Vorurteilen hinsichtlich der
Qualifikation, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit von Älteren
beitragen. Sie nimmt dabei unmittelbar Bezug auf das letzte der drei
vordringlichen Aktionsfelder der Bundesregierung. Nachdrücklich plä-
dieren die Autoren dafür, die Seniorenwirtschaft in Stadt und Landkreis
Göttingen unter dem Blickwinkel ihrer Lupenfunktion zu betrachten. Was
für ältere Menschen gut und richtig ist, nützt in aller Regel auch Jüngeren.
Umgekehrt gilt das nicht.
Angesichts der Heterogenität der 50plus-Generationen wird darauf ver-
zichtet, altersspezifische Angebotssegmentierungen vorzunehmen. So
wird weder geraten, dem Beispiel Großräschens zu folgen und ein Seni-
orenkaufhaus zu installieren, noch wird der Erarbeitung eines regionalen
Qualitätssiegels „seniorengerecht“ das Wort geredet.
4 Bundesministerium für Familie, Senioren, Familie und Jugend (2005): „Potenziale des Alters in Wirt-
schaft und Gesellschaft. – Der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Generationen“, Berlin.
8
9. Zusammenfassung
Die Handlungsempfehlungen dienen vielmehr dazu, den Standort Land-
kreis Göttingen generationengerechter und damit zukunftsfähiger zu
machen. Deshalb können sie auch als Elemente regionaler Bevölkerungs-
politik angesehen werden: Wenn sich Wirtschaft und Gesellschaft stärker
generationen- und damit altengerecht orientieren, tragen sie dazu bei,
Abwanderungen zu verhindern und Anreize für Zuwanderung zu schaffen.
Generationengerechtigkeit in Sektoren wie Handel, Handwerk und Touris-
mus wird damit zu einem Merkmal der Standortqualität.
Bevölkerungspolitik umfasst in diesem Sinne nicht nur überregionale
Arbeitsplatzwanderungen, sondern auch Alten- und Ausbildungswande-
rungen. Eine der Handlungsempfehlungen besteht darin, die Elterngene-
ration von Berufstätigen zu einem Umzug in den Landkreis Göttingen zu
motivieren, u. a. mit dem Argument, nahe bei den Enkelkindern sein und
sie betreuen zu können. Möglicherweise kann Älteren damit sogar ein
Anreiz gegeben werden, auch die dritte Lebensphase in Deutschland zu
verleben und auf einen Umzug ins Ausland zu verzichten.
Wenn es gelingt, die Bevölkerungsentwicklung im Landkreis Göttingen
positiver zu gestalten, wird dies auch nicht ohne Folgen für die Beschäfti-
gung Älterer bleiben. Anders formuliert: Das oben genannte Wirtschafts-
wachstum innerhalb des Landkreises Göttingen kann nur erreicht werden,
wenn Stadt- und Landkreis ihre Bevölkerungsentwicklung mindestens
stabilisieren.
Die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen beispielsweise zur Bildung
von seniorenorientierten Anbieter-Gemeinschaften im Handwerk wirkt
beschäftigungsstabilisierend. Im Idealfall gelingt es, Aufträge aus anderen
Regionen zu akquirieren. Neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen
auch im Tourismus durch eine stärkere Generationenorientierung der
Angebote.
Die ambulanten Pflegedienste im Landkreis rechnen selbst mit tief
greifenden Strukturveränderungen im Zuge der erwarteten Veränderung
der Pflegeversicherung. Viele Studien gehen davon aus, dass in den
vergangenen Jahren bereits zahlreiche Arbeitsplätze durch das Altern
der Gesellschaft entstanden sind. Sie für den Landkreis Göttingen zu
quantifizieren war im Rahmen der vorliegenden Studie weder gefordert
noch möglich. Deshalb lassen sich auch keine seriösen Aussagen darüber
machen, welche Beschäftigungswirkungen ohnehin durch die Alterung im
Landkreis Göttingen entstehen, und erst recht lässt sich nicht abschätzen,
welche Folgerungen die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen nach
sich ziehen würden.
In der Gastronomie, bei leichten Pflegetätigkeiten, in der Arbeitnehmerü-
berlassung und in Dorfläden können also neue Arbeitsplätze entstehen.
Der Teilnahmebeitrag des Landkreises Göttingen am Ideenwettbewerb
des Bundes ging davon aus, dass zusätzliche Angebote für SeniorInnen
auch von SeniorInnen erbracht werden können. Dieser Grundannahme
kann nur bedingt zugestimmt werden. Zwar bestätigt der Einzelhandel,
dass Auswahl und Einsatz von Personal kundenorientiert erfolgen müssen.
Auch seniorengerechte Angebote im Bereich der Finanzdienstleistungen
können von älteren Beratern seriös dargestellt werden. Insgesamt aber
9
10. bedingen seniorenorientierte Angebote nicht unmittelbar eine Beschäf-
tigung von Personen, die das 50. Lebensjahr überschritten haben. Bei
Pflegedienstleistungen, die eine hohe körperliche Fitness voraussetzen,
ist zweifelhaft, ob Ältere diesen Anforderungen entsprechen. Auch bei
der Gründung von Existenzen haben Ältere immer noch mehr Probleme zu
überwinden als Jüngere – insbesondere gilt das bei der Finanzierung.
Dass die Bedürfnisse Älterer gute Wachstums- und Beschäftigungsper-
spektiven für solche Betriebe und Branchen eröffnen, die Produkte und
Dienstleistungen für mehr Lebensqualität im Alter (Seniorenwirtschaft)
liefern, zeigt sich bundesweit in der Vielzahl von Projekten der letzten
Jahre. Vielfach kommen Impulse aus den Unternehmen selbst, häufig
jedoch gehen sie auf kommunale Initiativen zurück.
10
11. 2 eInführung und
aufgabenstellung
Der Titel der vorliegenden Untersuchung “Potenzialanalyse: Regional- vorbemerkungen
ökonomische Impulse für Stadt und Landkreis Göttingen durch ältere
Menschen“ im Rahmen des Projektes “50plus – Erfahrung zählt!“ mar-
kiert einen hohen Anspruch. Er leitet sich ab aus dem Ideenwettbewerb
“Regionale Beschäftigungspakte für Ältere“ des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Arbeit (BMWA) aus dem Juni 2005. Nach dieser These führt
die steigende Nachfrage Älterer nach seniorengerechten Produkten und
Dienstleistungen auch zu Beschäftigungseffekten von Erwerbsfähigen,
die das 50. Lebensjahr überschritten haben. Mit dem zunehmenden
Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung im Landkreis Göttingen und
den Beschäftigungsproblemen Älterer verbindet die Studie damit zwei
zentrale gesellschaftliche Herausforderungen, vor denen der Landkreis
und darüber hinaus die gesamte Region Göttingen in Zusammenhang
mit dem demographischen Wandel stehen.
Die Autoren gehen davon aus, dass es sich hier um einen Prozess han-
delt, der weit über die neue EU-Förderperiode 2007–2013 hinausreicht.
Der Prozess ist nicht im Detail vorhersehbar und erst recht nicht planbar.
Viele Entwicklungslinien vollziehen sich auf den Märkten mit der ihnen
eigenen Entwicklungsdynamik und -logik. Um die bestehenden Beschäf-
tigungspotenziale ausschöpfen zu können, gilt es, die gesellschaftlichen
Teilsysteme in ihrer Wirkungsweise zu erkennen. Insofern kann die Studie
zwar wesentliche Gestaltungsfelder untersuchen, nicht aber den Anspruch
erheben, alle relevanten Aspekte der Seniorenwirtschaft zu analysieren.
Gerade die Erhöhung der Erwerbsquote der mehr als 55 Jahre Alten bietet
noch viele Ansatzpunkte. Modellrechnungen zeigen, dass es 21,4 Milli-
arden Euro oder ein Prozent Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt bringt,
wenn man ein Viertel der heute nicht erwerbstätigen über 55-Jährigen in
Beschäftigung bringt. Dazu reiche es sogar, wenn diese MitarbeiterInnen
nur 50 Prozent der durchschnittlichen Produktivität erreichten.
Bei der Bearbeitung ging es darum, den nur auf dem ersten Blick ein-
deutigen Begriff der Seniorenwirtschaft zielgerichtet zu definieren und
die Handlungsansätze zu ordnen. Bei der Recherche zeigte sich, dass
so gut wie alle Gesprächs- und Interviewpartner im Untersuchungsraum
ein hohes Maß an Interesse und Neugier am Thema Seniorenwirtschaft
zeigten. Die meisten von ihnen bestätigten, dass es auf diesem Feld er-
heblichen Handlungsbedarf und damit große Entwicklungschancen gibt.
Die wenigsten von ihnen haben sich nach eigenen Aussagen bislang
systematisch mit der Fragestellung befasst. So gehörte die Bitte um In-
formation über die Ergebnisse der Studie zu den Standardbemerkungen
bei Abschluss der ExpertInnen-Gespräche.
5 http://www.50plus-goettingen.de
6 Ursula Staudinger, Professorin an der International University in Bremen, FAZ 19. September 2006,
S. 19
11
12. Bei der Diskussion um generationengerechtes Wirtschaften hat Deutsch-
land im internationalen Vergleich einen erheblichen Nachholbedarf.
Insbesondere Japan ist uns voraus. Innerhalb Deutschlands wird Nordr-
hein-Westfalen eine Vorreiterrolle attestiert – zumindest was den Stand
der wissenschaftlichen Arbeit angeht. Deshalb widmet die vorliegende
Studie diesen Ansätzen eigene Kapitel.
Die Niedersächsische Landesregierung startete Anfang Mai 2006 – von
der Öffentlichkeit und auch den Verantwortlichen in den Kommunen im
Landkreis Göttingen weitgehend unbeachtet – die „Landesinitiative für
generationengerechte Produkte und Dienstleistungen“. Mit dem Nieder-
sächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
verabredete der Regionalverband Südniedersachsen eine enge Koopera-
tion, die sich – wie im Folgenden dargestellt – in einem ersten Schritt in
der gemeinsamen Ausrichtung von Veranstaltungen manifestiert.
Die Vorlage der Potenzialanalyse markiert den Auftakt zu einem öffent-
lichen Diskurs, der die bisherige Diskussion über die Auswirkungen des
demographischen Wandels in der Region fortführt und um neue Aspekte
ergänzt. Mit dem Auftraggeber abgestimmt wurde der Vorschlag, nach
Vorlage der Studie Ende 2006/Anfang 2007 jeweils mit Partnern vertie-
fende Veranstaltungen zu verschiedenen Schwerpunkten zu geben. Dies
geschieht zum einen in der Absicht, für Praktiker besonders wichtige
Einzelaspekte näher zu beleuchten, andererseits wird damit der Prozess-
charakter der Aufgabenstellung unterstrichen.
Die Initiative „50plus – Erfahrung zählt!“ sieht sich darüber hinaus als
wesentlicher Bestandteil der europäischen Beschäftigungsstrategie, der
„Lissabon-Strategie“. Sie umfasst sämtliche Maßnahmen zur wirtschaft-
lichen, sozialen und ökologischen Erneuerung der EU. Im März 2000 hatte
der Europäische Rat auf seiner Tagung in Lissabon diese auf zehn Jahre
angelegte Strategie angenommen, mit deren Hilfe sich die EU bis 2010
zur weltweit dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsregion
entwickeln soll. Im Sinne dieser Strategie treibt eine starke Wirtschaft die
Schaffung von Arbeitsplätzen voran und fördert soziale und ökologische
Maßnahmen, welche wiederum eine nachhaltige Entwicklung und sozialen
Zusammenhalt gewährleisten.
Die vorliegende Studie stellt kein Konzept zur Umsetzung der Senioren-
wirtschaft im Landkreis Göttingen dar. Sie untersucht vielmehr Auswir-
kungen des demographischen Wandels auf den Landkreis Göttingen,
analysiert den Bedarf von SeniorInnen auf Teilmärkten und leitet daraus
Empfehlungen für Einzelmaßnahmen ab. Wie im Folgenden dargestellt
wird, kommt den Kommunen dabei eine wichtige Funktion als Impuls-
geber zu.
Unter Seniorenwirtschaft werden nach dem Teilnahmebeitrag des Land-
kreises Göttingen am Ideenwettbewerb des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Arbeit aus dem Juli 2005 die Entwicklung und Vermarktung
von Produkten und Dienstleistungen für ältere Kundinnen und Kunden
12
13. Einführung und
Aufgabenstellung
verstanden. Danach ist die Seniorenwirtschaft geeignet, neue Perspek-
tiven für die wirtschaftliche Entwicklung des Landkreises Göttingen zu
eröffnen.
Untersuchungsgebiet ist der Landkreis Göttingen mit der Stadt Göttingen
als Oberzentrum und den Mittelzentren Duderstadt und Hann. Münden.
Berücksichtigt wurden die bestehenden Verflechtungen des Landkreises
Göttingen innerhalb Südniedersachsens. Für eine sachgerechte Analyse
und Einschätzung der Region Göttingen wurden Vergleichsanalysen und
-daten des Bundes, der Länder, Regionen und Gemeinden sowie der EU he-
rangezogen. Dazu gehören die Ergebnisse der Regionalanalyse im Rahmen
des Projektes “50plus – Erfahrung zählt!“, also Arbeitsmarkt-, Branchen-,
Konjunktur- und Strukturdaten. Durch Vergleiche mit dem Bundes- und
Landesdurchschnitt sowie der Entwicklung in vergleichbaren Regionen
wird der Entwicklungsprozess im Untersuchungsraum analysiert.
Angesichts der finanziellen Restriktionen, unter denen Bund, Länder und
Kommunen leiden, können neue Beschäftigungsmöglichkeiten für über
50-jährige Menschen im öffentlichen Sektor – wenn überhaupt – nur in
äußerst geringem Umfang entstehen. Der Fokus der Untersuchungen lag
deshalb im Sektor der privaten Anbieter.
Da nach dem o. g. Teilnahmebeitrag das Aufzeigen von Entwicklungsmög-
lichkeiten auf Anbieterseite zu den wichtigsten Aufgaben gehört, zählen
die Leistungsanbieter in der Seniorenwirtschaft zu den wesentlichen Ziel-
gruppen. In der Untersuchung wurde viel Wert auf die unterschiedlichen
Aspekte des Seniorenmarketings gelegt. Diese Erkenntnisse können sich
Investoren und Anbieter generationengerechter Produkte und Dienstlei-
stungen nutzbar machen.
Erklärtes Ziel ist es, dass private Anbieter, zu denen auch Einrichtungen
der Weiterbildung zählen, diese Hinweise zur Grundlage eigener Initia-
tiven (wie Businessplänen) machen und ihr Portfolio modifizieren. Ein
Automatismus, demzufolge diese neuen Angebote auch neue Beschäf-
tigungsmöglichkeiten für Menschen ab 50 schaffen, existiert nicht. Die
Ergebnisse bieten jedoch die Grundlage für seniorengerechtes Marketing
und Produktgestaltung in bestehenden Unternehmen des Landkreises
sowie bei Existenzgründern.
Die vorliegende Studie richtet sich außerdem an die kommunalpolitisch
Verantwortlichen in Stadt und Landkreis Göttingen sowie den kreisange-
hörigen Städten, Gemeinden und Samtgemeinden. Darüber hinaus wer-
den Hinweise gegeben für die Positionierung des Landkreises Göttingen
sowie der anderen Partner im Regionalverband Südniedersachsen im
Rahmen der Ende Mai 2006 in Wolfsburg gestarteten „Landesinitiative
Seniorenwirtschaft“. Zu den Zielgruppen zählen also auch Landes- und
Bundespolitik.
7 Die in diesem Zusammenhang erforderliche Diskussion über Altersbilder und Altersbegriffe erfolgt im
Kapitel „Altersbilder und Altersbegriffe“.
13
14. Die aus dem o. g. Teilnahmebeitrag im Sommer 2005 abgeleitete The-
menstellung der Studie ist breit angelegt. Sie umfasst viele Bereiche
wirtschaftlicher und sozialer Tätigkeiten im Landkreis Göttingen. Bei den
Analysen hat sich gezeigt, dass diese Aufgabe äußerst umfassend ist.
Die Autoren haben sich deshalb auf elf Gestaltungsfelder konzentriert und
dafür konkrete Ansatzpunkte für Anpassungsmaßnahmen analysiert. Zu
den Voraussetzungen für die Umsetzung zählen jedoch in den meisten
Fällen weitergehende Marktanalysen und Machbarkeitsstudien.
Nur einen kurzen Überblick geben die Autoren über die unterschiedlichen
Facetten der für die Seniorenwirtschaft so wichtigen Gesundheitswirt-
schaft. Da sich hier am ehesten Beschäftigungsmöglichkeiten für Ältere
abzeichnen, konzentrieren sie sich auf die ambulante Pflege, deren Be-
deutung in den nächsten Jahren zunehmen dürfte.
Die Beschäftigungsmöglichkeiten für Ältere unter dem Aspekt des demo-
graphischen Wandels und ihre Bedeutung als Konsumenten und Produ-
zenten werden ausführlich dargestellt. Dabei besitzt die Frage nach den
Perspektiven für die wirtschaftliche Entwicklung in Stadt und Landkreis
Göttingen durch die Entwicklung und den Absatz spezieller Produkte und
Dienstleistungen für Ältere einen hohen Stellenwert. Untersucht werden
Erkenntnisse über erfolgreiche Konzepte der Senioren. Dabei wurde
anhand mehrerer Handlungsvorschläge überprüft, ob und inwieweit sich
diese Konzepte im Landkreis Göttingen umsetzen lassen, ob Anpassungs-
bedarf besteht und wie die Umsetzung erfolgen kann.
An der Bearbeitung der Potenzialanalyse waren zahlreiche Institutionen
beteiligt. Zu danken ist insbesondere dem Ministerium für Soziales, Frauen,
Familie und Gesundheit des Landes Niedersachsen, dem Volkswirtschaft-
lichen Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen
(das für die Bearbeitung von Kapitel „Handwerk im demographischen
Wandel“ verantwortlich zeichnet), dem Institut für Sozialpädagogik und
Soziologie der Lebensalter der Universität Kassel, der Handwerkskammer
Hildesheim-Südniedersachsen, Kreishandwerkerschaft Südniedersachsen,
der AOK-Geschäftsstelle Göttingen, der Wolfsburg AG und dem Senioren-
büro der Stadt Braunschweig. Intensiv war auch die Kooperation mit den
anderen Akteuren des Projektes „50plus – Erfahrung zählt!“, insbesondere
mit der Stadt Göttingen und dem Landkreis Göttingen.
Von besonderer Bedeutung bei Vorbereitung und Durchführung der Se-
nioren-Workshops war die Unterstützung des Kolping-Familienferienzen-
trums Duderstadt, des Ortsvereins Hann. Münden des Kreisverbandes
Göttingen der Arbeiterwohlfahrt (AWO), des Kreisverbandes Göttingen der
Senioren-Union, der Arbeitsgemeinschaft 60plus des SPD-Unterbezirks
Göttingen, der Freien Altenarbeit Göttingen sowie der Seniorenbeiräte der
Stadt Göttingen und der Samtgemeinde Dransfeld sowie des Landesse-
niorenrates Niedersachsen.
8 Beispielsweise hängt die Umsetzbarkeit des Vorschlags “Seniorenkaufhaus“ von zahlreichen Faktoren
(und insbesondere von den handelnden Personen) ab, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung
nicht analysiert werden konnten.
14
15. Einführung und
Aufgabenstellung
Zu danken ist zudem der Wirtschaftsförderung Region Göttingen (WRG)
GmbH, dem Stadtmarketing Duderstadt, der Wirtschaftsförderung und
Erschließungsgesellschaft Hann. Münden, Göttingen Tourismus e.V., der
Gesellschaft für Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung der Stadt
Göttingen (GWG GmbH), dem Center-Management des Kauf Parks Göttin-
gen, der Heimat GmbH (Hann. Münden), der Larsen-Frels Gewerbe- und
Industrie-Immobilien GmbH und dem Haus-, Wohnungs- und Grundeigen-
tümerverein Duderstadt e.V.
Großer Dank gilt auch den zahlreichen Gesprächspartnern, die hier nicht
namentlich genannt sind, für ihre wertvollen Hinweise und Vorschläge.
Der Landkreis Göttingen hat sich im Juli 2005 unter dem Motto “50plus Das moDellprojekt
– Erfahrung zählt!“ am Ideenwettbewerb des Bundesministeriums für “50plus – erfaHrung
Arbeit und Soziales beteiligt. Das Projekt wurde Anfang September 2005 zäHlt!“
als eines von insgesamt 62 regionalen Modellvorhaben im Rahmen des
Programms “Perspektive 50plus – Beschäftigungspakte für Ältere in den
Regionen“ ausgewählt.
Die vorliegende Potenzialanalyse ist Bestandteil von vier wissenschaft-
lichen Untersuchungen, die der Regionalverband Südniedersachsen e.
V. in Kooperation mit dem Verein für prospektive Entwicklungen (ZOOM
e. V.) sowie weiteren Partnern als Grundlage der geplanten Umsetzungs-
maßnahmen erstellt hat. In einer “Betriebsstudie” wird die Situation
älterer Beschäftigter in den Unternehmen der Region und deren alters-
bezogene Personalpolitik analysiert. Während die Regionalanalyse die
Beschäftigungssituation Erwerbsfähiger im Landkreis Göttingen darstellt,
identifiziert die Potenzialanalyse Defizite im bisherigen Angebot an Pro-
dukten und Dienstleistungen mit Älteren als Zielgruppe. Sie versucht da-
mit, Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen ab 50plus
aufzuzeigen.
Abbildung 1: Verbindungen der drei
Studien untereinander
(Geumann/Regionalverband Südnie-
dersachsen)
15
16. In einer vierten Studie zu Best-Practice-Ansätzen in anderen europäischen
Ländern werden die entwickelten erfolgreichen Ansätze einer regionalisier-
ten Beschäftigungsförderung für ältere Menschen zusammengetragen,
um diese für die Region nutzbar zu machen. In allen Untersuchungen wer-
den die Kategorien Alter, Geschlecht und Migration/Herkunft analysiert.
Die Potenzialanalyse knüpft direkt an vorliegende Untersuchungen zur
demographischen Entwicklung sowie zur Wirtschafts- und Arbeitsmark-
tentwicklung des Landkreises Göttingen an. Diese wurden in jüngerer
Vergangenheit mehrfach untersucht – so durch das Institut für Regionalfor-
schung (IfR) an der Universität Göttingen, das Niedersächsische Institut für
Wirtschaftsforschung (NIW) und den Regionalverband Südniedersachsen
e. V. NIW und IfR haben im Auftrag des Regionalverbands im Juni 2000 auf
der Grundlage einer Stärken-Schwächen-Analyse ein regionales Entwick-
lungskonzept (REK) für die Arbeitsmarktregion Göttingen/Northeim vorge-
legt. Darüber hinaus hat das IfR im Rahmen der Studie „Südniedersachsen
– Kompetenzregion oder Problemregion“ wichtige Erkenntnisse über die
Situation im Landkreis Göttingen geliefert (2003).
Als Bestandteile des Modellvorhabens der Raumordnung (MoRo) „Infra-
struktur und demographischer Wandel“ hat der Regionalverband in den
Jahren 2004 bis 2006 Beiträge zur demographischen Entwicklung der
Region geleistet. Im Auftrag des Landkreises Göttingen hat der Regional-
verband am 17. Juni 2005 eine Arbeitstagung zum Thema „Der demogra-
phische Wandel – Herausforderung im Landkreis Göttingen“ ausgerichtet.
Im Rahmen der Workshops wurde insbesondere die Notwendigkeit der
Qualifizierung von Erwerbsfähigen (lebenslanges Lernen) deutlich.
metHoDIscHes Zur Bearbeitung der o. g. Aufgabenstellung liegen für den Landkreis
vorgeHen Göttingen nur wenige empirische Daten vor. Es war deshalb erforderlich,
Zahlen von der Bundes- und Landesebene auf Stadt und Landkreis zu
projizieren und dabei eigene Berechnungen anzustellen. Im Wesentlichen
wurde die Potenzialanalyse im Jahr 2006 auf der Basis unterschiedlicher
methodischer Ansätze erarbeitet.
Jeweils sechs- bis achtstündige Umfragen wurden im Fachmarkt-
zentrum Grone (30. Mai), in den Innenstädten Göttingen (13. Juni),
Duderstadt (27. Juni) und Hann. Münden (22. Juni), im Einkaufszen-
trum Ebergötzen (2. Juni). Zu den Ergebnissen zählen 250 ausgefüllte
Fragebögen zu den Themen Wohnen im Alter, Einkaufen, Nutzung
neuer Medien.
Gespräche mit den Bürgermeisterinnen der Flecken Bovenden und
Adelebsen und den Bürgermeistern der kreisangehörigen Gemeinden
bzw. deren Beauftragten.
Gespräche mit der Stadtverwaltung Göttingen und Kreisverwaltung
Göttingen.
16
17. Einführung und
Aufgabenstellung
Die narrativen Gesprächsrunden mit zwei bis 22 Teilnehmern, die sich
im Vorfeld bereits kannten, wurden extern moderiert. Sie wurden mit
den jeweiligen Mitveranstaltern vorbereitet und begannen mit Kurz-
statements von zwei Personen. Die Ergebnisse aus den Gesprächsrun-
den stellen Beurteilungen aus der Perspektive der Betroffenen dar und
ergänzen die empirischen und theoretischen Ausführungen. Die Zitate
werfen unterschiedliche und assoziative Schlaglichter auf einzelne
Themenkomplexe der Seniorenwirtschaft und sind nicht repräsentativ.
Möglicherweise unterschätzen einige der GesprächsteilnehmerInnen
den Erkenntnisstand der Verantwortlichen in den Unternehmen. Be-
kannt ist, dass auch viele Personal- und Unternehmensberater die
Situation anders einschätzen als die zitierten SeniorInnen aus dem
Landkreis Göttingen. Den Wert der Gesprächsrunden bringt folgendes
Zitat auf den Punkt: „Ich freue mich, dass endlich einmal jemand uns
ältere Leute fragt.“
Sieben von WIDserve (Gleichen) moderierte, jeweils rund dreistündige
narrative Gesprächsrunden mit Seniorinnen und Senioren (22. Mai in
Göttingen: Freie Altenarbeit, Alten-WG am Goldgraben; 1. Juni und 30.
August in Rosdorf: Kreisverband Göttingen der Senioren-Union; 21.
Juni in Hann. Münden: Ortsverein Hann. Münden des Kreisverbandes
Göttingen der Arbeiterwohlfahrt (AWO), 30. Juni: Stadt Dransfeld, Se-
niorenbeirat der Samtgemeinde Dransfeld; 18. Juli: in Hann. Münden:
Arbeitsgemeinschaft 60plus des SPD-Unterbezirks Göttingen; 28. Juli
in Duderstadt: Familienferienzentrum am Pferdeberg),
Situationsanalyse durch einen Seniorenscout in den Innenstädten von
Göttingen und Duderstadt
schriftliche Befragung von Vermietern in Duderstadt
schriftliche Befragung aller Pflegedienste in Stadt und Landkreis Göt-
tingen
Akteurinterviews zu spezifischen Gestaltungsfeldern der Senioren-
wirtschaft
Literaturrecherche/Internetrecherche
Besuche von Fachkongressen in Bonn, Bremen, Hannover und Wolfs-
burg durch die Autoren der Studie.
9 Zitat aus Seniorenrunde AWO Hann. Münden am 21. Mai 2006.
17
18. 3 demographIscher Wandel
Die Bedeutung der Seniorenwirtschaft für die Regionalentwicklung ergibt
sich aus dem demographischen Wandel, der in Südniedersachsen bereits
weit fortgeschritten ist und Anpassungsleistungen von Wirtschaft und
Gesellschaft erfordert. Dass die Einschätzungen über die Auswirkungen
des demographischen Wandels durchaus differieren, zeigte sich u. a. an
einem Streitgespräch zwischen Herwig Birg und Albrecht Müller.0
analyse unD Nach der aktuellen Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Lan
prognose desamtes Niedersachsen wird die Einwohnerzahl im Landkreis Göttingen
von heute gut .000 auf knapp .000 im Jahr 00 zurückgehen. Das
entspricht einem Minus von , Prozent.
Insgesamt am davon im Alter von … bis … Jahren
Jahresende 0 - 14 15 - 29 30 - 49 50 - 64 65 und älter
00 264.285 14,2% 20,5% 31,6% 17,0% 16,7%
Abbildung 2: Bevölkerungsent- 00 260.478 12,8% 21,7% 29,3% 18,2% 18,1%
wicklung im Landkreis Göttingen
(Quelle: NLS-Online, 00 252.668 12,4% 19,4% 26,4% 23,0% 18,8%
Berechnungen ifh Göttingen)
Damit einher geht eine deutliche Verschiebung im Altersaufbau. Grund
hierfür sind hauptsächlich die niedrige Geburtenrate, die schon seit langem
nicht mehr das für eine langfristige Bestandserhaltung notwendige Niveau
erreicht, sowie eine kontinuierlich ansteigende Lebenserwartung.
Angesichts der engen Verflechtungen innerhalb der Region Göttingen
und der Tatsache, dass der demographische Wandel in den Landkreisen
Northeim und Osterode am Harz besonders ausgeprägt ist, sind kurze Aus-
führungen über die Gesamtregion erforderlich. Die Einwohnerzahl dieser
aus den Landkreisen Göttingen, Northeim und Osterode a. H. bestehenden
Region wird nach der Prognose des Niedersächsischen Landesamtes für
Statistik von 2004 bis 2020 um neun Prozent abnehmen. Dabei wird es
zu erheblichen Verschiebungen der Bevölkerungsanteile zwischen den
Teilräumen und zwischen den Altersgruppen kommen. Dies wirkt sich auf
die Nachfrage nach Arbeitsplätzen, Wohnungen und Infrastruktur aus:
Der Anteil der Personen im Alter von 45 und mehr Jahren steigt von 44,4
Prozent auf 52,1 Prozent. Während bisher der größere Teil der Regions-
bevölkerung unter 45 Jahre alt war, so wird im Jahre 2020 der größere
Teil über 45 Jahre alt sein.
10 FAZ vom 28. August 2006, S. 32 u. 33. Bis zu seiner Emeritierung 2004 lehrte Birg, der als Demograph
weltweit bekannt ist, an der Universität Bielefeld. Er erregte mit seiner These Aufsehen, Deutschland
steuere auf einen jahrzehntelangen Niedergang zu. Albrecht Müller, Leiter der Planungsabteilung im Kanz-
leramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt und Autor des Bestsellers „Die Reformlüge“ behauptet:
Das Land kann die Herausforderung meistern.
11 Vgl. Abbildung 2
18
19. Demographischer Wandel
Der Anteil des Landkreises Göttingen an der Regionsbevölkerung steigt
von 53,3 Prozent auf 56,0 Prozent. Damit findet eine weitere relative Kon-
zentration der Einwohner im Untersuchungsraum statt.
Abbildung 3: Verschiebung
der Altersanteile in der Region
Südniedersachsen
Die Alterung setzt sich aus unterschiedlichen Trends in den einzelnen
Altersgruppen zusammen:
Die Zahl der Kinder (0–14 Jahre) geht in der Region um nahezu ein
Viertel zurück. Dabei unterscheidet sich die Stadt Göttingen mit leichten
Zuwachserwartungen deutlich vom umgebenden ländlichen Raum mit
Rückgängen bis zu einem Drittel.
Die Altersgruppe der Heranwachsenden (15–24 Jahre) nimmt in Stadt
und Landkreis Göttingen um ca. 20 Prozent ab.
Die Zahl der jüngeren Erwerbstätigen (25–34 Jahre) wird in Stadt und
Landkreis Göttingen noch etwas ansteigen, in den Landkreisen Nort-
heim und Osterode jedoch stärker sinken.
Besonders gravierend wird sich die Altersgruppe der 35–44-Jährigen
verkleinern um fast ein Viertel im Landkreis Göttingen (ohne Stadt), um
gut ein Drittel in der Stadt Göttingen und sogar um nahezu die Hälfte
in den Landkreisen Northeim und Osterode am Harz.
Die Generation der 45–54-Jährigen geht in der Region um ca. sechs
Prozent zurück, am stärksten in der Stadt Göttingen mit 15,5 Prozent.
Im übrigen Landkreis Göttingen ist dagegen mit einem Zuwachs von
5,5 Prozent zu rechnen.
Im Mittel um ein Viertel anwachsen wird die Altersgruppe der älteren
Erwerbsfähigen (55–64 Jahre). Der Zuwachs schwankt zwischen 5
Prozent im Landkreis Osterode und 38 Prozent in der Stadt Göttingen
bzw. 34 Prozent im Landkreis Göttingen (ohne Stadt).
19
20. Die Zahl der jüngeren Senioren (65–74 Jahre) nimmt in der Region leicht
ab (3,8 Prozent). Hierbei stehen einem leichten Zuwachs in der Stadt
Göttingen (3,7 Prozent) geringe Verluste von 1,7 Prozent im Landkreis
Göttingen (ohne Stadt) und etwas stärkere Verluste in den anderen
Landkreisen gegenüber.
Die Generation der Hochaltrigen (75 Jahre und älter) nimmt in der
Region Göttingen um 14 Prozent zu – mit nur geringen Unterschieden
in den einzelnen Kreisen.
Abbildung 4: Bevölke- Zu deutlichen Unterschieden wird es in der regionalen Verteilung der
rungsentwicklung in der Alterskohorten kommen. Dies wird beim Vergleich der Landkreise nach
Region Göttingen 2004- ihren siedlungsstrukturellen Merkmalen deutlich. Der Landkreis Göttingen
2020 (Prozent) gilt aufgrund seiner höheren Einwohnerdichte als „verdichteter Kreis“, die
nach Alter und Kreisen Landkreise Northeim und Osterode am Harz als “ländliche Kreise“. Wäh-
rend im “verdichteten“ Landkreis Göttingen im Jahre 2020 die Jüngeren
(unter 45-Jährige) noch die Mehrzahl bilden (52,4 Prozent), wird in den
„ländlichen“ Kreisen Northeim und Osterode a. H. diese Alterskohorte
zur Minderheit (42,1 Prozent). Umgekehrt wird sich der Anteil der Älteren
(über 45-Jährige) verhalten: im Landkreis Göttingen 2020 der kleinere, in
den Nachbarkreisen der größere Teil. Trotz dieses Trends wird im Progno-
sezeitraum der verdichtete Kreis in Zukunft den größeren Teil der Älteren
(51,1 Prozent ) übernehmen. Das liegt an den Änderungsraten für die ältere
Generation, die im Landkreis Göttingen mit 11,4 Prozent deutlich höher
ausfällt als in den Landkreisen Northeim und Osterode (2,2 Prozent).
12 Vgl. Abbildung 5
13 Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2002): “Aktuelle Daten zur Entwicklung der Städte,
Kreise und Gemeinden“
20
21. Demographischer Wandel
Alterskohorten Verdichteter Kreis Ländliche Kreise Region Göttingen
(Landkreis Göttingen) (Landkreis Northeim und
Landkreis Osterode am
Harz)
2004 2020 2004 2020 2004 2020
Unter 45 Anzahl 156.383 132.445 119.326 83.779 275.709 216.224
Alters-Anteil 59,2 52,4 51,5 42,1 55,6 47,9
Reg.-Anteil 56,7 61,3 43,3 38,7 100,0 100,0
Veränd. -15,3 -29,8 -21,6
Über 45 Anzahl 107.902 120.223 112.500 115.018 220.402 235.241
Alters-Anteil 40,8 47,6 48,5 57,9 44,4 52,1
Reg.-Anteil 49,0 51,1 51,0 48,9 100,0 100,0
Veränd. 11,4 2,2 6,7
Zusammen Anzahl 264.285 252.668 231.826 198.797 496.111 451.465
Alters-Anteil 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0
Reg.-Anteil 53,3 56,0 46,7 44,0 100,0 100,0
Abbildung 5: Entwicklung der
Alterskohorten nach Raum-
Veränd. -4,4 -14,2 -9,0
typen (Quelle: NLS-Online)
Interessant ist auch eine Darstellung der Entwicklung der Zahl der Men-
schen bis 50 Jahre und über 50 Jahre. Aus der folgenden Abbildung wird
ersichtlich, dass die jüngeren Altersgruppen bis 50 Jahre bis zum Jahr 2020
im Landkreis Göttingen anteilsmäßig abnehmen, während die Altersgrup-
pen ab 50 Jahre deutliche Zuwächse erfahren. Besonders auffällig ist der
relativ starke Rückgang bei den 30- bis 49-Jährigen in diesem Zeitraum (von
31,6 Prozent auf 26,4 Prozent) und umgekehrt die starke Zunahme bei den
50- bis 64-Jährigen um 6 Prozentpunkte (von 17 Prozent auf 23 Prozent).
Abbildung 6: Entwicklung des Alters-
aufbaus der Bevölkerung im Landkreis
Göttingen NLS-Online;
Berechnungen ifh Göttingen
Die altersmäßige Zusammensetzung der Erwerbspersonen entwickelt
sich noch ausgeprägter als die der Bevölkerung. Unter Berücksichti-
gung der derzeitigen altersspezifischen Erwerbsquoten lässt sich eine
Projektion des künftigen Altersaufbaus des Erwerbspersonenpotenzials
ableiten (vgl. Abbildung 7). Legt man die Personen im Alter von 15 bis
64 Jahren als beschäftigungsrelevant zugrunde, so zeigt sich, dass der
demographische Wandel deutliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
in der Region haben wird.
14 In der Projektion des Erwerbspersonenpotenzials sind gleichbleibende altersspezifische Erwerbs-
quoten bis zum Jahr 2020 unterstellt.
21
22. 2004 2020
Anzahl Anteil Anzahl Anteil Veränderung
15 - 34 47070 36,1% 45589 37,8% 1,6%
Altersgruppe 35 - 54 69825 53,6% 56985 47,2% -6,4%
Abbildung 7: Prognose des
55 - 64 13345 10,2% 18083 15,0% 4,7%
Erwerbspersonenpotenzials
im Landkreis Göttingen gesamt 130240 100,0% 120657 100,0%
Quelle: NLS; Berechnungen
Cassing
Zum einen fällt der zahlenmäßige Rückgang bei den Erwerbspersonen
bis 2020 mit 7,4 Prozent erheblich höher aus als der allgemeine Bevölke-
rungsrückgang im Landkreis Göttingen. Damit stehen der Wirtschaft ins-
gesamt weniger Arbeits- bzw. Nachwuchskräfte zur Verfügung, wodurch
der Wettbewerb der Unternehmen um qualifizierte Facharbeitskräfte
zunehmen wird. Dadurch wächst die Gefahr, dass es in Teilbereichen der
Wirtschaft zu einem Fachkräftemangel und in der Folge zu Produktions-
engpässen kommt.
Zum anderen ergeben sich bis 2020 Verschiebungen in der altersmäßigen
Zusammensetzung des Erwerbspersonenpotenzials im Landkreis Göt-
tingen. Der Anteil der mittleren Altersgruppe bei den Erwerbspersonen
sinkt von 53,6 Prozent auf 47,2 Prozent, während die älteren Erwerbsper-
sonen ab 55 Jahre anteilsmäßig drastisch zulegen (von 10,2 Prozent auf
15 Prozent).
sItuatIon auf Dem In der Fachdiskussion über die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Stadt
arbeItsmarkt und Landkreis Göttingen und in der Bundesrepublik Deutschland insge-
samt ist eine deutliche Segmentierung zu beobachten. Das Projekt „50plus
– Erfahrung zählt“ macht deutlich, dass neben Frauen, Ostdeutschen,
Langzeitarbeitslosen und MigrantInnen auch die über 50-Jährigen eine
Zielgruppe sind, deren Zugangsmöglichkeit auf den ersten Arbeitsmarkt
durch staatliche Förderung unterstützt werden soll. Diese Förderpolitik
wird von einigen Arbeitsmarktexperten kritisiert. Für immer kleinere
Gruppen würden immer speziellere Instrumente definiert.
Kritiker argumentieren damit, dass durch den Abbau von Kündigungs-
schutzes und Alterszuschlägen in Tarifverträgen eine nachhaltigere
Wirkung entfaltet werden könnte. Durch die Einführung Intelligenterer
Zeitkonten sowie altersgerechte Arbeitsplätze, Betriebsabläufe und Entloh-
nungsbedingungen könnten auch die Tarifparteien für mehr Beschäftigung
Älterer sorgen. Insgesamt müssten die Anreize abgebaut werden, Ältere
aufs Abstellgleis zu schieben.
15 Vgl. Abbildung 7
16 Hiege, Karsten; Hesse, Wolf-Ekkehard (2006): “Regionalanalyse des Landkreises Göttingen“
17 Fickinger, Nico: “Auf dem Abstellgleis“, FAZ vom 6. September 2006, S. 15
22
23. Demographischer Wandel
In den vergangenen Jahren ist bei den Verantwortlichen in den Städten und anpassungsleI-
Gemeinden eine Sensibilisierung für die Bedeutung des Themas demo- stungen Der
graphischer Wandel eingetreten. Das wurde u. a. deutlich während eines kommunen
Bürgermeistertreffens des Städte- und Gemeindebundes im Landkreis
Göttingen Ende Juni 2006 in Duderstadt. Die Diskussionen bezogen sich
auch auf die Beteiligung des Regionalverbandes am Modellvorhaben der
Raumordnung (MoRo) „Infrastruktur und demographischer Wandel“.
Bei Kommunalbefragungen im Juni und Juli 2006 im Rahmen von “50plus
– Erfahrung zählt!“ bezeichneten zehn der elf kreisangehörigen Gemein-
den den demographischen Wandel als wichtiges Thema. So verwies der
Flecken Bovenden darauf, dass bereits Anfang der 90er-Jahre Arbeits-
kreise zu den Bereichen Kultur und Freizeit von Senioren und Wohnen
im Alter eingerichtet worden seien. Aus den damaligen Diskussionen
entstand die Wohnanlage Korbhof, in der Betreutes Wohnen durch die
AWO angeboten wird. Außerdem ist dort eine generationenübergreifen-
de Begegnungsstätte angesiedelt. Die Bürgermeisterin führt den hohen
Anteil an Senioren in ihrer Gemeinde auch auf diese Aktivitäten zurück.
Durch die Nähe zu Göttingen und die Attraktivität der Wohngebiete ist es
Bovenden in den vergangenen Jahren gelungen, aus anderen Regionen
Senioren anzuwerben, die in der Nähe ihrer Kinder und Großkinder woh-
nen wollen. Der Flecken Bovenden verfolgt bei der Siedlungsentwicklung
eine Doppelstrategie. Neben die Sanierung vorhandenen Wohnraums
unter Berücksichtigung von Senioren- und Behinderteninteressen tritt die
Ausweisung neuen Baulandes für jüngere Familien. Beispielsweise im
Neubaugebiet Am Junkernberg soll auch das Mehr-Generationen-Wohnen
ermöglicht werden. Inzwischen ist auch eine hochwertige Pflegeeinrich-
tung mit 78 Betten entstanden. Von der Volksheimstätte werden weitere
48 Wohnungen “Am Teiche“ vermietet.
Die Stadt Duderstadt verfolgt ein Konzept der Anpassung an den demo-
graphischen Wandel z. B. dadurch, dass sie das Bauen in den Ortsker-
nen propagiert. Das gilt auch für die Ortsteile an der Peripherie. In den
vergangenen Jahren wurden bereits zwei Kindergärten im Rahmen von
Zusammenlegungen geschlossen.
In Hann. Münden wurden Betreuungseinrichtungen erweitert. Von einem
Gesamtkonzept zur Anpassung an den demographischen Wandel spricht
die Verwaltungsleitung allerdings ebenso wenig wie die Samtgemeinde
Dransfeld. In Dransfeld ist eine Fülle von Initiativen tätig, so z. B. das
Internetcafé im Jugendheim. Dort findet seit 1993 jährlich in der Stadt-
18 Dieses Thema wurde erstmals ausdrücklich während eines Workshops am 24. Oktober 2003 in
Stadtoldendorf von den Hauptverwaltungsbeamten und weiteren Fachleuten aus den Verwaltungen
erörtert. Die Veranstaltung im Landkreis Holzminden war ausgerichtet worden vom Niedersächsischen
Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (ML) sowie dem
Regionalverband Südniedersachsen. Moderiert und vorbereitet wurde sie vom Institut für Entwicklungs-
planung und Strukturforschung GmbH (ies) an der Universität Hannover.
19 In Kooperation mit verschiedenen Partnern hat der Regionalverband im Anschluss an diese Veranstaltung
das Thema weiterbearbeitet, so etwa im Rahmen der Modellprojekte in Gleichen, Hardegsen, Holzminden
und Bad Sachsa/Walkenried. Eine im Rahmen des MoRo konzipierte Wanderausstellung wurde im Jahre
2006 u. a. im Kreishaus Göttingen sowie in den Rathäusern in Adelebsen und in Ebergötzen gezeigt.
Aktiv beteiligt hat sich der Regionalverband Südniedersachsen auch an der Konzipierung der Bündnisse
für Familie innerhalb des Landkreises Göttingen.
23
24. halle ein Seniorennachmittag statt, der von bis zu 400 Seniorinnen und
Senioren besucht wird. Kleinere Veranstaltungen dieser Art gibt es z. B.
auch in Niemetal.
Der Flecken Adelebsen hat erkannt, dass er zu den ersten Gemeinden
im Landkreis gehört, in denen schon jetzt ein deutlicher Bevölkerungs-
rückgang erfolgt. Die Bürgermeisterin setzt auf die Anwerbung jüngerer
Familien und verweist auf die Bedeutung der im Juli 2005 erfolgten
Ausstellung „Demographischer Wandel“ des Regionalverbandes. Sie sei
maßgeblich gewesen bei der Gründung des Adelebser Bündnisses für
Familie. Ausgehend vom Bündnis für Familie und in Zusammenarbeit mit
der Gemeindeverwaltung und dem Diakonischen Pflegedienst wurde
im Frühjahr 2006 ein Antrag auf ein Mehrgenerationenhaus beim Land
gestellt. Seit Anfang 2006 finden regelmäßige Eltern-Kind- und Vater-Kind-
Treffen statt, zu denen auch Bewohnerinnen des betreuten Wohnens des
Alma-Luisen-Stifts eingeladen werden. Darüber hinaus gibt es Projekte
der Begegnung zwischen der Albert-Schweitzer-Schule und den Kinder-
gärten des Ortes.
Die Gemeinde Gleichen setzt nach einem Ratsbeschluss und der Vorberei-
tung im Rahmen des Modellvorhabens der Raumordnung des Regionalver-
bandes ein auf mehrere Jahre angelegtes Anpassungskonzept zum Betrieb
der Kindergärten um. Vergleichbare Maßnahmen sollen in den nächsten
Jahren auch für die Grundschulen erfolgen. Ein aus Lehrern, Politikern und
Fachleuten gebildeter Arbeitskreis soll Kriterien für die vermutlich erforder-
liche Schließung von zwei Grundschulen im Gemeindegebiet erarbeiten.
Dabei soll auch der Aspekt der Vermarktung bzw. Umnutzung bisheriger
Grundschulgebäude berücksichtigt werden. Zu den konkreten Ergebnissen
des Mitte 2005 gegründeten Bündnisses für Familie zählt die Einrichtung
eines Linientaxis, dessen Betrieb u. a. mit Arztpraxen abgestimmt wurde.
Außerdem erfolgte eine altersübergreifende Kinderbetreuung. In Gleichen
hat sich ein Seniorentanz etabliert, der vom DRK organisiert wird.
Auch die Gemeinde Friedland sieht sich vor gravierenden Veränderungen
in der Grundschulstruktur und will das Angebot von Ganztagsschulen prü-
fen. Bei den politisch Verantwortlichen hat das Thema demographischer
Wandel nach Einschätzung des Bürgermeisters eine hohe Bedeutung
erlangt, allerdings meint er, dass es noch nicht Thema von „Geburtstags-
runden“ sei. Die Gemeinde organisiert regelmäßig Erzählcafés, die von
der Gleichstellungsbeauftragten der Gemeinde moderiert werden und zu
denen jeweils 20 bis 50 Personen kommen. Mit Gemeindeunterstützung
finden z. B. über den Kulturring Chorabende statt. Ausgerichtet wurden
zudem Veranstaltungen zu den Themen „Erben und Vererben“, Demenz
und Patientenverfügungen. In Gieboldehausen unterstützt die Samtge-
meindeverwaltung einen Mittagstisch, der sich zweimal im Monat speziell
an Senioren richtet.
24
25. Demographischer Wandel
Eher zurückhaltend äußert sich auch der Bürgermeister der Gemeinde
Rosdorf. Der demographische Wandel als wichtiges Thema sei von den
Politikern erkannt worden, es sei allerdings bei vielen BürgerInnen noch
nicht recht angekommen. Die Gründung des lokalen Bündnisses für Fa-
milie wird in Rosdorf als Ansatz gesehen, BürgerInnen aktiv zum Thema
demographischer Wandel einzubinden. Lediglich die Verwaltungsspitze
der Samtgemeinde Gieboldehausen erklärt, der demographische Wandel
sei für die Samtgemeinde noch kein spezifisches Thema, das gelte auch
für den Rat.
Mehrere Gemeinden, so der Flecken Bovenden, die Samtgemeinde Drans-
feld und Radolfshausen sowie die Gemeinde Rosdorf und Friedland haben
beim Geografischen Institut der Universität Göttingen gemeindebezogene
Bevölkerungsprognosen in Auftrag gegeben.
25
26. 4 senIorInnen In der
gesellschaft
Keine Seniorengeneration konnte im Leben so viel erleben wie die heutige.
Viele alte Menschen sind aktiv und unternehmungslustig, sie gestalten
ihr Leben ereignisreich. Wissenschaft, Medizin und Technik erlauben es,
körperliche Fitness, Potenz, Wissen und Selbstbewusstsein bis weit ins
hohe Alter zu erhalten. Die heutigen Senioren wollen möglichst lange ihre
Gesundheit und Vitalität bewahren, ihre Selbstständigkeit erhalten, aktiv
am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, lust- und leistungsfähig bleiben,
aktiv und passiv genießen, auch im Alter mit Zukunftsperspektiven leben
und ihre mögliche Pflegebedürftigkeit unter humanen Bedingungen er-
leben.
Ein Indiz für die immer jünger werdenden Senioren ist der Wandel in den
Wertvorstellungen: Traditionelle Werte wie Sparsamkeit, Bescheidenheit
und Genügsamkeit verlieren bei den „nachwachsenden“ Senioren an Be-
deutung, und Werte wie Toleranz, Aufgeschlossenheit und Unabhängigkeit
werden wichtiger. Viele Menschen, die aus dem Berufsleben ausscheiden,
wollen am gesellschaftlichen Leben teilhaben.
Diese wachsenden Potenziale der Älteren können nach Einschätzung von
Prof. Dr. Clemens Geißler von der Deutschen Gesellschaft zur Förderung
der Forschung im Alter als Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung
gesehen werden. Dabei bezieht sich Geißler hauptsächlich auf die Gruppe
der SeniorInnen in der nachberuflichen Phase. Die schlummernden Po-
tenziale der Senioren dürften nicht unbeachtet bleiben. Vielmehr wohne
dem demographischen Wandel eine Chance inne. Statt die älteren Men-
schen als Objekte zu behandeln, müsse man sie als für die Gesellschaft
verantwortlich handelnde Subjekte in den Blick rücken. Neben einem
reichen Schatz an Erfahrungswissen verfüge die Gruppe der Senioren
über ein hohes marktbezogenes Nachfragepotenzial. „Dem Wandel der
Altersstruktur entsprechend nimmt die Bedeutung der Älteren als (regi-
onale) Nachfragemacht zu.“ Die Nachfrage nach Gütern und insbeson-
dere nach Dienstleistungen habe erhebliche positive Auslastungs- und
Arbeitsmarkteffekte. „Regional- und Stadtmarketing, das diese Effekte
nicht gebührend beachtet, ist in Gefahr, ähnliche Fehler zu machen wie die
Werbewirtschaft, die, auf Jüngere fixiert (‘Jugendwahn’), vor den Älteren
und dem Alter eher ‘Angst’ zu haben scheint.“
altersbIlDer unD Altern ist als ein kontinuierlicher Prozess in der Entwicklung des Menschen
altersbegrIffe zu verstehen. Er findet in jeder Lebensphase statt: durch Veränderung
der physiologisch-biologischen Gegebenheiten, der Werthaltungen und
Einstellungen sich selbst und der Umwelt gegenüber sowie durch die
äußerliche Stellung des Einzelnen in seinem Lebensraum. Die einzelnen
Phasen dieser Entwicklung werden durch Faktoren wie durch gesundheit-
liche Einbußen beeinflusst.
1 Geißler, Clemens (2003): “Für einen Perspektivenwechsel: Die Potenziale des Alters als Triebkräfte
gesellschaftlicher Entwicklung“. In: Raumforschung und Raumordnung. Heft 5/2003, 61. Jahrgang, S.
395–403
2 Ebd., S. 398
3 Ebd., S. 398
26
27. SeniorInnen in der
Gesellschaft
Aufgrund der uneinheitlichen Entwicklung lassen sich nur schwer eindeu-
tige Altersbegriffe bzw. Altersbilder formulieren. Bei der Beschreibung von
Alterungsprozessen schwingt unbewusst oder bewusst eine normative
Altersgrenze mit. Der individuelle Lebenslauf wird häufig in Lebensphasen
unterteilt, die einen Höhepunkt und eine Abnahme oder einen Abbau be-
inhalten. Die Bewertung dieser Vorgänge manifestiert sich in den Alters-
begriffen und -bildern. Diese unterliegen einem deutlichen gesellschaft-
lichen Wandel. Insbesondere in den letzten 30 Jahren haben sich tradierte
Altersbilder und dadurch auch die Altersbegriffe stark verändert.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird als Senior bezeichnet, wer die
“Altersgrenze“ erreicht und seine Berufstätigkeit beendet hat. Als das
Deutsche Reich unter Bismarck am Ende des 19. Jahrhunderts die Alters-
versorgung einrichtete, wurde die Altersgrenze auf 70 Jahre festgelegt.
Das entsprechende Altersbild eines zufriedenstellenden Lebensabends
bestand darin, von den Nachkommen versorgt und gepflegt zu werden,
nicht mehr arbeiten zu müssen, passiv, als Zuschauer, in den Genuss von
sozialen Aktivitäten zu gelangen.
Dieses Altersbild hat sich heute radikal geändert. Während der Bearbei-
tung der Studie traten in Hannover die Rolling Stones mit dem 63-jährigen
Leadsänger Mick Jagger auf, am selben Tag war eine 53-jährige Ärztin
aus Nikolausberg über 5000 Meter schnellste Frau beim Altstadtlauf in
Göttingen. Mit sieben Weltmeister- und sechs Europameistertiteln scheut
ein 63-jähriger Sportdozent der Universität Göttingen keine sportliche
Konkurrenz von Studenten, die 40 Jahre jünger sind als er.
Für viele ältere Menschen ist der Seniorenbegriff also nicht mehr passend.
Die Gesprächsrunden im Landkreis Göttingen bestätigten dies: Eine ca.
60 Jahre alte Frau erlebte es als stigmatisierend, als Seniorin bezeichnet
zu werden. Sie würde gerne als Jungseniorin angesprochen werden. Hier
müsse ein Umdenken stattfinden. In einem anderen Gespräch wurde
betont, dass das Wort “alt“ in unserer Gesellschaft immer noch negativ
besetzt sei. Der Begriff „junge Menschen“ sei gesetzlich definiert, nicht
aber der Begriff „Senior“. „Es wird immer nur von Alten gesprochen oder
von Grufties. Da kommt man gar nicht gegen an. Eigentlich müssten wir
die Jüngeren öfter zur Rede stellen und etwas gegen die Diskriminierung
tun. Der Jugendwahn ist doch eigentlich ungebrochen.“
Aufgrund verschiedener Formen von Vorruhestandsregelungen, Frühver-
rentung und Altersteilzeit beenden heute viele Menschen ihre Berufstä-
tigkeit mit 55 oder 58 Jahren. Statistisch haben sie dann noch etwa ein
Drittel ihres Lebens vor sich. Durch die Verlängerung des Ruhestandes,
4 Damals erreichten nur zwei Prozent der Bevölkerung dieses Lebensalter. Die durchschnittliche
Lebenserwartung betrug 45 Jahre. Die Altersgrenze wurde erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg auf 65
Jahre reduziert.
5 Ob dies von den Betroffenen auch so zufriedenstellend erlebt wurde (und wird), sei dahingestellt.
6 Gesprächsrunde am 30. Juni 2006 mit dem Seniorenbeirat Dransfeld
7 In Schweden gibt es speziell für den Bereich der Seniorenwirtschaft im direkten Vergleich zu deut-
schen Verhältnissen einige Unterschiede. Als Erstes fällt auf, dass Ältere und Altern in der sehr egalitären
schwedischen Gesellschaft weniger negativ belegt sind. Durch die “schwedische Reichsorganisation
der Rentner“ (Pensionärernas Riksorganisation, PRO) verfügen die Senioren über eine starke Lobby und
einen mit einer Gewerkschaft vergleichbaren Einfluss.
8 Gesprächsrunde am 1. Juni 2006 in Rosdorf
27
28. eine Erhöhung der durchschnittlichen Lebensdauer und die besseren Akti-
vitätsressourcen hat sich aus einer ehemals passiv durchlebten “Restzeit“
eine eigenständige Lebensphase entwickelt.
Anfang September 2006 beschäftigte sich eine Tagung der Evangelischen
Akademie Hofgeismar mit der „Kunst des Alterns“. Der Wiener Soziologe
Professor Dr. Anton Amann forderte einen sachgemäßen Diskurs über
das Altern. Die gegenwärtige Diskussion verlaufe „verquer“, so seine
These. Auf der einen Seite werde das Alter hochgejubelt und behauptet,
die Alten verfügten über große Kaufkraft und könnten neue Lebensstile
verwirklichen, auf der anderen Seite würden die Alten als Bürde und Last
bezeichnet, für die Gesellschaft, für den Staat und für sich selbst. Die
Tagung selbst befasste sich intensiv mit der Frage, wie Ältere für ehren-
amtliche Tätigkeit gewonnen werden können.
Die Studie von PriceWaterhouse Cooper (PWC) differenziert diese These
und weist darauf hin, dass in der bisherigen Unternehmenspraxis häufig
Umsetzungsfehler bei der Ansprache Älterer auftreten, wie z. B. der
„Seniorenteller-Effekt“ (Unterschätzung) oder der „Silver-Surfer-Effekt“
(Überschätzung der Zielgruppe).
Nicht nur WissenschaftlerInnen bemühen sich um eine Beschreibung
dieser neuen Lebensphase,0 auch im Marketing wird in den letzten Jahren
verstärkt diese neue Zielgruppe in den Blick genommen. Die neue Kon-
sumentengruppe wird mit den unterschiedlichen Begriffen umschrieben:
die „Jungen-Alten“, die „Jungsenioren“, „Best Age 50plus“, „Silvergene-
ration“, „Silversurfer“, „Silver Consumer“, „Golden Oldies“, „Generation
Gold“, „Best Ager“, „Master Consumer“, „Woopies“ oder gar „Selpies“
– um nur einige Beschreibungsversuche zu nennen. Die Vielfalt dieser
phantasievollen Begriffsschöpfungen symbolisiert die Unsicherheit der
Anbieter gegenüber den Nachfragergruppen.
Da es keine überzeugende Alternative gibt und der Seniorenbegriff durch-
aus auch mit Respekt und Anerkennung geprägt ist, wird vorgeschlagen,
diese Bezeichnung konsequent und selbstbewusst zu benutzen und auf
verschämte Umschreibungen zu verzichten.
In der mehrere Jahrzehnte umfassenden Altersspanne des Seniorenlebens
sind unterschiedliche Generationen mit unterschiedlichem zeitgeschicht-
lichen Hintergrund, Sozialisationen, Konsum- und Technikerfahrungen
vertreten. Dieser Trend der Differenzierung der Altersgruppe geht mit einer
Differenzierung der Lebensstile einher: Die jetzigen Alten zeichnen sich
durch unterschiedliche Lebensstile auch innerhalb der Generation aus, die
sich zukünftig noch weiter ausdifferenzieren werden. Von der Gruppe der
Senioren zu sprechen ist daher unangemessen, es ist eine sehr heterogen
zusammengesetzte Gruppe, die sich mindestens so stark untergliedern
lässt, wie es von der Jugendkultur her bekannt ist.
9 PWC-Studie: “Generation 55+, Chancen für Handel und Konsumgüterindustrie“, S. 19
10 Die Gerontologie beschäftigt sich als Wissenschaft vom Altern u. a. mit dem Altersbegriff und der
Definition von Altersstilen. Derzeit werden 150 bis 180 Altersstile identifiziert.
11 Abkürzung für “well-off old people“, für gut situierte alte Menschen
12 Kurzform von “second life people“, für Menschen im zweiten Lebensalter
28
29. SeniorInnen in der
Gesellschaft
Auftragsgemäß befasste sich die Studie mit den Altersgruppen der über
50-Jährigen. Diese Zielgruppendefinition impliziert eine Reihe von Frage-
stellungen. Ob wirtschafts- oder beschäftigungspolitische Maßnahmen
auf Zielgruppen ausgerichtet werden sollten, die nach dem Alter definiert
werden, ist ebenso zweifelhaft wie die Frage, ob sich die Vermittelbarkeit
eines 55-Jährigen gravierend von der einer 49-Jährigen unterscheidet und
ob nicht vielmehr die Frage nach der Qualifikation bzw. der Dauer der
Arbeitslosigkeit relevanter als das Geburtsdatum ist. Nicht das Alter ist
also bestimmender Faktor für die Lebensperspektive, sondern Aspekte
wie Integration, Mobilität, körperliche und geistige Fitness. Mithilfe einer
Clusteranalyse des Frankfurter Marktforschungsinstituts T.E.A.M. wur-
den auf Basis von 200 ausführlichen explorativen Interviews mit 50- bis
90-jährigen Verbrauchern sechs verschiedene Seniorentypen identifiziert,
die sich in ihren Einstellungen und in ihrem Konsumverhalten voneinander
unterscheiden.
Abbildung 8: Senio-
rentypen bei den über
50-Jährigen
Die anspruchsvollen Konsumfreudigen (Typ 1) kommen unter den Senioren
mit am häufigsten vor: Sie haben Spaß am Aussuchen und Einkaufen und
geben auch entsprechend Geld aus. Sie sind finanziell gut situiert und
haben hohe Qualitätsansprüche.
Die wertkonservativen Genießer (Typ 2) sind traditionsverbundene Seni-
oren, die nach einem langen Arbeitsleben endlich ihren Alltag genießen
wollen. Beim Einkauf und Konsum legen sie auch Wert auf Qualität; sind
aber grundsätzlich eher sparsam und der Ansicht, dass preiswerte Pro-
dukte heute meist genau so gut sind wie teure.
Die ausgabebereiten Innovatoren (Typ 3) lieben die Abwechslung, sind
Neuem gegenüber aufgeschlossen und probieren gern neue Produkte
aus. Auch sie legen großen Wert auf Qualität; sie geben dafür lieber
etwas mehr Geld aus.
13 Team für effiziente angewandte Marktpsychologie (2004): “Die unterschätzte Generation“. Frank-
furt
29
30. Die sparsamen Zurückgezogenen (Typ 4) entsprechen am ehesten dem
traditionellen Vorstellungsbild alternder Senioren, sind inzwischen aber
die kleinste Personengruppe. Sie stehen Neuem eher ablehnend gegen-
über, sind grundsätzlich sehr sparsam und kaufen generell preiswerte
Produkte.
Die risikoscheuen Traditionalisten (Typ 5) sind die konservativsten unter
den Senioren. Sie sind sehr sicherheitsbewusst, kaufen lieber altbewährte
Produkte und sind dabei sehr markentreu.
Die erlebnishungrigen Aktiven (Typ 6) sind sehr unternehmungslustig,
fühlen sich jung und fit und lieben die Abwechslung. Beim Einkauf sind sie
aber sehr wählerisch und achten auf ein angemessenes Preis-Leistungs-
Verhältnis.
Diese Seniorentypen verdeutlichen, dass die Generation der heute über
50-Jährigen, also der zukünftigen Seniorengeneration, differenziert be-
trachtet werden muss. Diese Erkenntnis, dass es sich hierbei um eine
attraktive Zielgruppe handelt, setzt sich gerade unter Marketingfachleuten
immer mehr durch. Die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen bestimmt das
Konsumverhalten. Besonders die Typen 1, 3 und 6 sind für das Senioren-
marketing interessant. Sie machen zusammen 55 Prozent aus.
Diese Vielschichtigkeit in den verwandten Begriffen zeigt, dass sich ein
durchgehender gesellschaftlicher Konsens nicht herstellen lässt. Erst
recht finden sich alle der so gruppierten Personen nicht komplett in den
Begriffen wieder. Wer Impulse für die Seniorenwirtschaft benennen will,
kann aber auf eine Definition von Begriffen nicht verzichten. Die Autoren
der Studie unterscheiden bei den über 50-Jährigen zwischen den Produ-
zenten sowie den Konsumenten von Produkten und Dienstleistungen.
Zu der letztgenannten Kategorie gehören auch die über 50-Jährigen in
ihren verschiedenen Funktionen innerhalb der Gesellschaft. Auf dem
Arbeitsmarkt sind die über 50-Jährigen Zielgruppen mit besonderen
altersspezifischen Risiken. Im Bereich des Konsums unterscheiden die
Autoren folgende Zielgruppen:
Die “Jungsenioren“ (etwa 60–70 Jahre) sind körperlich und geistig aktiv.
Das Teilnahmebedürfnis ist groß, wichtig sind für sie v. a. Freizeit- und Bil-
dungsangebote, soziale Kontakte und bürgerschaftliches Engagement.
“Senioren“ (etwa 70–80 Jahre) können im Allgemeinen selbstständig
ihren Lebensalltag bewältigen, jedoch aufgrund teilweise reduzierter
körperlicher Leistungsfähigkeit weniger aktiv auftreten und sind u. U. mit
längeren Krankheitsphasen konfrontiert. Die Pflegefallwahrscheinlichkeit
liegt allerdings noch unter fünf Prozent.
In der Gruppe der “Hochbetagten“ (über 80 Jahre) sinkt die Beteiligung am
gesellschaftlichem Leben, die Pflegefallwahrscheinlichkeit steigt leicht an.
Gerade bei Älteren, deren Ehepartner gestorben sind, nimmt das Problem
der Vereinsamung zu. In dieser Altersgruppe gewinnt die Pflegeeignung
30
31. SeniorInnen in der
Gesellschaft
der Wohnung im Zusammenhang mit aufsuchender Betreuung an Bedeu-
tung, ebenso die ambulante und die stationäre Pflege. Jedoch sind auch
unter den Hochbetagten 80 Prozent nicht pflegebedürftig.
Inzwischen befassen sich auch Messeveranstalter gezielt mit den
Bedürfnissen von SeniorInnen. So richten Euroforum The Conference
Company und „seniorenmarkt.de“ am 15. und 16. November 2006 den
„Zukunftsmarkt 70plus“ aus. Dargestellt werden gute Praxisbeispiele aus
verschiedenen Branchen wie Finanzdienstleistungen, Handels- und Pro-
duktkonzepte, Verpflegungs- und Managementkonzepte für SeniorInnen
und Wohnformen.
Abbildung 9: Idee der Seni-
orenwirtschaft (Geumann/
Regionalverband)
Exkurs: Soziodemographische Einteilung der Zielgruppen
In der Literatur herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Zielgrup-
pendefinition allein über das Alter nicht ausreicht und dass das biologische
Alter des Menschen wenig über individuelle Präferenzen aussagt. In
Ergänzung zu den angesprochenen Differenzierungsversuchen stellt das
vom Heidelberger Sinus-Institut entwickelte Modell des Sinus-Milieus eine
recht exakte Konsumprofilierung dar. Nach der Definition des Instituts fas-
sen soziale Milieus Menschen zusammen, die sich in Lebensauffassung
und Lebensweise ähneln, die also so etwas wie subkulturelle Einheiten
innerhalb der Gesellschaft bilden. Es erfolgt eine Einteilung nach Wer-
teorientierungen und Lebenszielen, nach Einstellung zu Arbeit, Freizeit
und Konsum, zu Familie und Partnerschaft, nach Zukunftsperspektiven,
politischen Grundüberzeugungen und Lebensstilen. Die Abgrenzungen
markieren keine scharfen Grenzen, vielmehr gibt es fließende Übergänge,
Zwischenformen und Überschneidungen.
14 Steffens et al. (2004), S. 9
15 http://www.euroforum.de/p1100528
31
32. Abbildung 10: Sinus-Milieus
Quelle: Grey Global Group
Die oben genannte Darstellung hat die Grey Global Group in einer wei-
tergehenden Studie auf die über 50-Jährigen bezogen. Danach sind in
der Sinus A23 Gruppe („Traditionsverwurzelte“) 87 Prozent über 50 Jahre
alt. Bei den „Modern Performers“ sind dagegen nur knapp neun Prozent
über 50 Jahre.
Diese differenzierte Darstellung wird im Folgenden nicht weiter genutzt.
Bei der Analyse der möglichen Beschäftigungseffekte der Senioren-
wirtschaft spielt sie nur eine untergeordnete Rolle. Sie wurde dennoch
erwähnt, weil sie ein wichtiges Instrument im Marketing ist und bei der
Entwicklung neuer Produkte und Entwicklungen relevant sein kann.
armut Im alter Obwohl es sich bei der derzeitigen Seniorengeneration um die reichste
handeln dürfte, die es je gegeben hat, gibt es auch in Deutschland zahl-
reiche Ältere, die als arm zu bezeichnen sind. Es besteht die Gefahr, dass
deren Zahl künftig steigen wird und die Schere zwischen Arm und Reich
weiter auseinandergeht. Wer sich mit Seniorenwirtschaft befasst, kann
diesen Aspekt nicht ignorieren.
Nach einer Definition der Europäischen Union ist arm, wem weniger als 60
Prozent des Durchschnittseinkommens pro Monat zur Verfügung steht. In
Deutschland liegt diese Grenze nach dem aktuellen Armutsbericht bei 938
Euro. Auch für den Begriff des Existenzminimums gibt es unterschiedliche
Einschätzungen. Berechnungen des Arbeitslosengeldes II orientieren sich
an dem soziokulturellen Existenzminimum. Es liegt für Alleinstehende
bei 7.356 Euro jährlich. Deutlich höher liegt mit knapp 1.000 Euro das
pfändungsfreie Existenzminimum.
16 Michael, Grey (2003): Berechnung Grey Strategic Planning.
32
33. SeniorInnen in der
Gesellschaft
Nach dem SGB XII haben Personen ab dem 65. Lebensjahr Anspruch auf
Grundsicherung, wenn der Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln
bestritten werden kann. Nicht alle Anspruchsberechtigten kennen diese
Rechtslage. Andererseits gibt es viele, die ihre Rechte zwar kennen, sie
aber nicht wahrnehmen, weil sie sich scheuen, der Allgemeinheit zur
Last zu fallen.
Während bislang viele NeurentnerInnen und Pensionäre über eine
durchgängige Erwerbsbiographie verfügen, haben viele der künftigen
Renten- und Pensionsbezieher geringere Ansprüche z. B. gegenüber
den Rentenkassen. Vielfach wird nicht mehr durchgängig gearbeitet, die
Berufstätigkeit wird vielmehr in prekären Arbeitsverhältnissen ausgeübt.
Dazu gehören Teilzeitarbeitsverhältnisse, Tätigkeiten auf Honorarbasis und
(projektorientierte) befristete Tätigkeit. Altersarmut, insbesondere unter
alleinstehenden Frauen, existiert nach wie vor, doch das Verarmungsrisi-
ko hat sich bei älteren Menschen gegenüber den 60er- und 70er-Jahren
stark verringert.
Ein weiterer Aspekt ist der Beschluss der Bundesregierung, schrittweise
die Rente mit 67 einzuführen. Künftige wirtschaftliche Probleme älterer
Personen dürften also multifaktoriell bedingt sein. Wer in der Erwerbs-
biographie erhebliche Lücken aufweist, verfügt in der Regel auch über
weniger sozialen Rückhalt. Personen, die durchgehend berufstätig sind
oder aber freiwillig nicht arbeiten, leben in vielen Fällen gesundheitsbe-
wusster und sind weniger anfällig für Drogenprobleme. In der soziolo-
gischen Forschung werden auch Zusammenhänge zwischen einem hohen
Bildungsgrad und der Fähigkeit zu perspektivischer Lebensplanung her-
gestellt. Faktoren wie diese tragen dazu bei, das Armutsrisiko im Alter zu
erhöhen. Sie erschweren zudem die Bemühungen auch von Kommunen,
ältere Personen aus der Einsamkeit zu holen und in das gesellschaftliche
Leben zu integrieren.
Viele der heute angebotenen Produkte und Dienstleistungen für Senio-
rInnen sind noch immer teuer und ähneln Luxusartikeln. Die Senioren-
wirtschaft steht vor der Aufgabe, preiswerte und gleichwohl qualitativ
hochwertige Produkte zu erschwinglichen Preisen anzubieten.
Nach Einschätzung der Verantwortlichen der Stadt- und Gemeindever-
waltungen im Landkreis Göttingen ist die Armut im Alter bislang noch
kein zentrales Thema. Ökonomische Probleme Älterer sind danach zwar
vorhanden, können aber noch nicht pauschal als Armut qualifiziert wer-
den. Zudem sind die Probleme meist nicht offen erkennbar. Betroffene
schildern die Probleme, wenn überhaupt, eher verschämt. Viele derjeni-
gen, die jetzt im Rentenalter sind, haben Kriegs- und Nachkriegszeiten
kennengelernt und sind es gewohnt, bescheiden und sparsam zu leben.
Vielfach herrschen, gerade auf dem Land, intakte Familienverhältnisse
mit gegenseitiger materieller Unterstützung vor. Bei der Erbringung von
Dienstleistungen, z. B. im Handwerk, spielt die gegenseitige Unterstützung
eine große Rolle.
17 Prof. Dr. Fred Karl, FB Sozialwesen der Universität Kassel, am 7. Juli 2006 in Kassel
33
34. Nach Ansicht der Kommunen besteht aber die Gefahr, dass sich die wirt-
schaftliche Situation Älterer in den nächsten Jahren verschlechtert. Die
Ankündigung der Bundesregierung, dass in den nächsten Jahren deutliche
Rentenanpassungen nicht zu erwarten sind, ist dabei nur ein Faktor. Eine
zunehmende Bedeutung dürfte zudem die Tatsache erlangen, dass durch
den Bevölkerungsrückgang gerade in der Fläche die Mieten und damit für
Hauseigentümer die Einnahmemöglichkeiten sinken. Der demographische
Wandel wird auch auf die Immobilienpreise durchschlagen und damit den
Verkauf von Eigentum erschweren.
Weitere Aspekte sind das zunehmende Auseinanderfallen von Familien und
die Singularisierung der Gesellschaft. Der Bürgermeister der Gemeinde
Friedland beobachtet, dass manche Ältere bei der Bewirtschaftung ihrer
Häuser überfordert sind. In den Häusern dieser Gemeinde wie auch in an-
deren Teilen des Kreisgebiets besteht bei vielen Immobilien in Privatbesitz
erheblicher Sanierungs- und Modernisierungsbedarf. Wenn mittelfristig
die Einkommen Älterer zurückgehen, steigen tendenziell die Ausgaben
der Sozialhilfeträger.
Deutlich wird also, dass die erwarteten Impulse, die die Seniorenwirt-
schaft für die Regionalentwicklung auslöst, relativiert und in Anbetracht
der zunehmenden wirtschaftlichen Probleme vieler SeniorInnen bewertet
werden müssen.
senIorenarbeIt Seniorenarbeit wird in vielfältigen gesellschaftlichen Bereichen geleistet:
von Wohlfahrtsverbänden oder Gewerkschaften bis hin zum Kleingarten-
verein und Ehemaligentreffen von Unternehmen. Im Folgenden wird ein
Überblick mit Schwerpunkt auf die kommunalen Aktivitäten gegeben.
Kreisangehörige Städte und Gemeinden
Im Rahmen von Kommunalbefragungen im Juni und Juli 2006 gaben für
die Seniorenarbeit sechs der elf kreisangehörigen Kommunen klare Zustän-
digkeiten in Fachämtern bzw. Fachbereichen an. In Friedland und Gleichen
liegt die Zuständigkeit bei der Gleichstellungsbeauftragten, in Adelebsen,
Staufenberg und Rosdorf beim Bürgermeister bzw. der Bürgermeisterin.
Mit Ausnahme der Stadt Hann. Münden halten alle Verwaltungsspitzen
Seniorenfragen für ein Querschnittsthema.
Die spezifisch auf SeniorInnen zugeschnittenen Angebote der Stadt- und
Gemeindeverwaltungen im Landkreis Göttingen – mit Ausnahme der Stadt
Göttingen – orientieren sich eher am klassischen Altersbild. Wenngleich
Veranstaltungen wie Kaffeenachmittage wichtige Foren der Begegnung
und des Austauschs von SeniorInnen sind und für die Veranstalter häufig
viel Aufwand und Mühe bedeuten, zeugen sie weder von besonderer
Kreativität noch berücksichtigen sie, dass viele SeniorInnen über diese
Veranstaltungen hinaus vielfältige Interessen haben, von denen zumindest
einige auch von den Kommunen aufgegriffen werden könnten.
34
35. SeniorInnen in der
Gesellschaft
Bereits im Oktober 1993 hat die Gemeinde Rosdorf damit begonnen, das
Konzept des Erzählcafés als Zeitzeugenprojekt und Mehrgenerationendi-
alog umzusetzen. Jeden letzten Freitag im Monat findet dort ein Mehrge-
nerationendialog mit den vielfältigsten Themen statt. Das Erzählcafé hat
auch das Rosdorfer Kochbuch herausgegeben und zeichnet verantwortlich
für diverse andere Bildungsveranstaltungen. Das Erzählcafé ist Mitglied
im lokalen Bündnis für Familie. Außerdem hat die Gemeinde Rosdorf ein
Internetcafé eingerichtet, das auf die Interessen von SeniorInnen ausge-
richtet ist. Jeder Ortsrat veranstaltet einmal jährlich eine Seniorenausfahrt
und eine Seniorenweihnachtsfeier. Monatliche Kaffeenachmittage finden
in fast allen Ortschaften statt. SeniorInnen treffen sich auf privater Basis
sowie in Vereinen und Verbänden, in Kirchen und Gewerkschaften sowie
in vielfältigen anderen Zusammenhängen wie etwa den Freiwilligen Feu-
erwehren.
Festzuhalten bleibt jedoch, dass es immer schwieriger wird, bestehende
Angebote aufrechtzuerhalten. Es fehlt vielfach noch immer an der Bereit-
schaft zu ehrenamtlicher Tätigkeit. Viele ehrenamtlich tätige SeniorInnen
werden in immer neue Arbeitszusammenhänge eingebunden und sind
damit vielfach überfordert.
Spezielle, von den Kommunen unterstützte Netzwerke für SeniorInnen
sind eher die Ausnahme. In Bovenden gehört dazu die erweiterte Nach-
barschaftshilfe der AWO.
Ende September 2006 fand die „Seniorenmesse Bovenden“ statt – eine
Premiere für den Flecken. Genutzt wurde die Veranstaltung von 30
Dienstleistern und Organisationen aus den Bereichen Reisen, Finanzen,
Gesundheit, Vorsorge, Sport, Sicherheit, Betreuung, Versorgung, Be-
ruf und Freizeit. Zielsetzung war es, über das traditionelle kommunale
Angebot „gemeinsames Kaffeetrinken“ hinaus die unterschiedlichen
Ansprüche und Bedürfnisse von SeniorInnen darzustellen. In der neuen
Kommunalwahlperiode ab dem 1. November 2006 sollen die wichtigsten
der im Bürgerhaus vermittelten Impulse aufgegriffen und die Arbeit des
Seniorenbeirats erweitert werden. Bei den Referaten ging es z. B. um
strukturelle Änderungen in der Altersvorsorge, gesunde Ernährung im
Alter, Prävention und Rehabilitation am Wohnort, Erhaltung von Gesund-
heit und Aktivität, Wohnformen im Alter und besondere medizinische
Dienstleistungen für Diabetiker.
In Dransfeld wird die Initiative „Atempause“ unterstützt, in der Betreiber
von Pflegediensten und Mitglieder des Seniorenbeirats sowie Einzelper-
sonen mit dem Ziel kooperieren, niedrigschwellige Betreuungsangebote
anzubieten. Konkrete Planungen: LaienhelferInnen besuchen SeniorInnen,
gehen mit ihnen spazieren, lesen ihnen etwas vor, klönen mit ihnen, hören
gemeinsam Musik oder singen und basteln. Eine Fördergruppe soll sich
künftig zweimal im Monat treffen und SeniorInnen einladen, gemeinsam
kreativ zu werden. Ein Kreis von Helfern soll in einem 40-stündigen Lehr-
gang auf diese Arbeit vorbereitet werden. Die Initiative „Atempause“ ist
eingebunden in das Projekt „Niedrigschwellige Betreuungsangebote“, wie
es bereits von der Sozialstation Göttingen-Ost als Modellvorhaben von der
Landesregierung zusammen mit den Pflegekassen gefördert wird.
35
36. In Friedland wurde der Biete-Hole-Austausch eingerichtet. Angelegt wurde
eine Kartei, in der Hilfsangebote wie etwa Einkaufshilfe und Gartenarbeit
mit der entsprechenden Nachfrage zusammengeführt wird. In Radolfshau-
sen wird derzeit versucht, die Initiativen in einzelnen Mitgliedsgemeinden
zur Organisation von Reisen für SeniorInnen aufeinander abzustimmen.
Als besonders wichtiges Netzwerk innerhalb des Landkreises gilt die
Nachbarschaftshilfe Friedland-Rosdorf.
Adelebsen setzt z. B. im Rahmen des Bündnisses für Familie auf interge-
nerative Zusammenarbeit. Begonnen wurden Initiativen wie Erzählcafé
und regelmäßige Frühstückstreffen. Die Vorträge, zu denen eingeladen
wird, sind meist generationenübergreifend ausgerichtet und behandeln
vorwiegend medizinische Themen wie etwa die Gesundheitsprophylaxe.
Von Oktober bis Dezember 2005 fand in Adelebsen einmal wöchentlich
ein Kurs des Gleichstellungsbüros für Frauen mit einem kombinierten
Bewegungs- und Ernährungsangebot sowie der Anleitung für Entspan-
nungsübungen statt. Wiederholungen sind für Oktober 2006 geplant.
Vorgesehen ist ein Kurs zum Thema Wechseljahre. In Zusammenarbeit mit
den Landfrauen sollen spezielle Angebote für Seniorinnen wie Vorträge,
Führungen, Lesungen, Musik und Ausflüge gestaltet werden. Aufgebaut
werden Netzwerke zwischen dem Adelebser Bündnis für Familie und
bestehenden Senioren- und Seniorinnengruppen. Zentrales Angebot der
Stadt Hann. Münden ist die Seniorenbegegnungsstätte, die die Arbei-
terwohlfahrt mit Unterstützung der Stadt am Tanzwerder betreibt. Die
Samtgemeinde Radolfshausen vergibt – mit den Einwohnerzahlen als
Schlüssel – Mittel an die Seniorenarbeit der Mitgliedsgemeinden.
Ergänzt werden die Angebote der Kommunen im Landkreis Göttingen
durch die Arbeit von Seniorenbeiräten, -beauftragten und -obleuten. Sie
erschöpft sich allerdings in den meisten Kommunen in der Vorbereitung
von Weihnachts- und Adventsfeiern, Kaffeenachmittagen und Ausflügen.
Beispielsweise in Gieboldehausen kümmern sich die Seniorenobleute der
Mitgliedsgemeinden um Fachvorträge, z. B. zur Abfassung von Testamen-
ten. Außerdem erfolgen Besichtigungen von Altenheimen.
Gesamteindruck: Die Organisation von Veranstaltungen bezieht sich meist
auf Gemeinde- bzw. Ortsteilebene. In manchen Fällen ist es schwierig, für
Veranstaltungen und gemeinsame Reisen ausreichend Teilnehmer zu fin-
den. In der Gemeinde Rosdorf nehmen Mitglieder der Seniorenvertretung
an allen Fachausschusssitzungen mit beratender Stimme teil. Informati-
onsveranstaltungen zur Patientenverfügung wurden bereits vor längerer
Zeit, einmal auch in Kooperation mit der Gleichstellungsbeauftragten,
durchgeführt und stießen auf breite Resonanz.
Landkreis Göttingen
Mit Beschlussfassung vom 10. Mai 2006 hat der Kreistag die Kreisver-
waltung aufgefordert, eine Publikation herauszugeben, die neben der
allgemeinen Präsentation vorhandener Einrichtungen auch Ideen für bür-
gerschaftliches Engagement und aktive Freizeitgestaltung beinhaltet. Nach
einem Kreistagsbeschluss vom 19. Juli 2006 will der Landkreis Göttingen
einen runden Tisch “Senioren“ einrichten.
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