1. FAU-Proseminar: Die Copernicanische Wende – Ein Motiv zur Entstehung der
neuzeitlichen Naturwissenschaft, 4. Sitzung, Do 10.11.11, Pierre Leich
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Nicolaus Copernicus – der puristische Erneuerer
In Nicolai Copernici de hypothesibus motuum coelestium a se constitutis commen-
tariolus gibt Copernicus eine Skizze seiner Vorstellungen. Nach einer Würdigung der
homozentrischen Theorie von Eudoxos und Kallippos sowie der Epizykeltheorie
kritisiert er die ausgleichenden Kreise von Ptolemäus.
Bevor sich Copernicus an seine Aufgabe macht, nennt er sieben Grundsätze, auch
Axiome, die zugestanden werden müssten:
Erster Satz
Für alle Himmelskreise oder Sphären gibt es nicht nur einen Mittelpunkt.
Zweiter Satz
Der Erdmittelpunkt ist nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern nur der der Schwere und
des Mondbahnkreises.
Dritter Satz
Alle Bahnen umgeben die Sonne, als stünde sie in aller Mitte, und daher liegt der
Mittelpunkt der Welt in Sonnennähe.
Vierter Satz
Das Verhältnis der Entfernung Sonne–Erde zur Höhe des Fixsternhimmels ist kleiner
als das vom Erdhalbmesser zur Sonnenentfernung, so daß diese gegenüber der Höhe
des Fixsternhimmels unmerklich ist.
Fünfter Satz
Alles, was an Bewegung am Fixsternhimmel sichtbar wird, ist nicht von sich aus so,
sondern von der Erde aus gesehen. Die Erde also dreht sich mit den ihr anliegenden
Elementen in täglicher Bewegung einmal ganz um ihre unveränderlichen Pole. Dabei
bleibt der Fixsternhimmel unbeweglich als äußerster Himmel.
Sechster Satz
Alles, was uns bei der Sonne an Bewegungen sichtbar wird, entsteht nicht durch sie
selbst, sondern durch die Erde und unseren Bahnkreis, mit dem wir uns um die Sonne
drehen wie jeder andere Planet. Und so wird die Erde von mehrfachen Bewegungen
dahin getragen.
Siebenter Satz
Was bei den Wandelsternen als Rückgang und Vorrücken erscheint, ist nicht von sich
aus so, sondern von der Erde aus gesehen. Ihre Bewegung also allein genügt für so
viele verschiedenartige Erscheinungen am Himmel.
Mit diesen Voraussetzungen nun will ich kurz zu zeigen versuchen, wie gut die
Gleichförmigkeit der Bewegungen gewahrt werden kann.1
1 Nikolaus Kopernikus. Erster Entwurf seines Weltsystems, hg. von Fritz Roßmann, München 1948,
S. 10f.
2. Durch den Übergang zum Heliozentrismus kann Copernicus eine Reihe von
ptolemäischen Regeln aus einer Ursache heraus beschreiben.
Wir finden also unter dieser Reihung bewundernswertes Ebenmaß der Welt und festes
Band der Eintracht zwischen Bewegung und Größe der Kreise, wie es auf andere
Weise gefunden werden nicht kann. Hier nämlich darf der sorgfältige Beobachter sein
Augenmerk darauf richten, warum bei Jupiter Vor- und Rücklauf größer erscheinen als
beim Saturn und kleiner als bei Mars, und wieder größer bei Venus als bei Merkur; und
dass solche Hin-und-her-Bewegung häufiger erscheint bei Saturn als bei Jupiter, noch
seltener bei Mars und Venus als bei Merkur […] Das alles geht aus einer und
derselben Ursache hervor; die liegt in der Bewegung der Erde.2
2 Nicolaus Copernicus, Über die Umläufe der Himmelskreise, 1. Buch, Kap. 10; zitiert nach der
Ausgabe von Hans Günter Zekl, Nicolaus Copernicus: Das neue Weltbild, Hamburg 1990, S. 137ff.