2. Ingolf Derkow Skifahren
Es war das erste Mal für Derkow Ingolf, dass er Ski fahren würde. Ski fahren! In den
vielen Jahren seines Lebens war er noch nie Ski fahren gewesen. Dafür gab es mehrere
Gründe: Zum einen mochte er keinen Schnee. Das war Tatsache Nummer Eins.
Tatsache Nummer Zwei war, dass er nicht gerne hinfiel. Es gab auch eine Tatsache
Nummer drei, doch die würde er niemals preisgeben. Nicht einmal vor seinen Freunden.
Erst recht nicht vor seinen Freunden! Nein, das würde sein kleines Geheimnis bleiben.
Die Skihütte in Österreich war schon gebucht, samt Skilehrer und allem drum und dran.
Es gab nur noch eine Hürde zu überwinden: Einer der Freunde hatte Angst davor in ein
Flugzeug zu steigen und damit zu fliegen. Angst vor einem Flugzeug! Dabei war die
Chance, dass ein Flugzeug abstürzte wesentlich geringer als ein Autounfall. Aber egal
wie oft man versuchte es ihm zu erklären - man scheiterte. Und genauso oft war Ingolf
Derkow daran gescheitert seinen Freunden zu erklären, warum er nicht Skifahren
wollte. Nun ja, eigentlich war das Wollen das kleinste Problem. Das größere Problem
dabei war, dass er sich nicht lächerlich machen wollte. Immerhin war er nicht der
Einzige unter ihnen, der diesen Sport noch nie ausgeübt hatte. Daran würde er sich
klammern, dass er nicht als Einziger auf der Piste wie der letzte Anfänger aussehen
würde.
Zusammen mit seinen Freunden hatten sie sich letztendlich dazu entschlossen, dass sie
mit dem Zug fahren würden. Die Reise würde zwar etwas dauern - vor allem viel länger
als ein simpler Flug - doch sie hatten sich schon ganz viele Dinge überlegt, damit die
Zugfahrt schneller für sie vorbeigehen würde, wie zum Beispiel ein Kartenspiel und
viele andere Dinge, die im Handgepäck nicht viel Platz einnehmen würden.
Je mehr seiner Freunde versuchten, Ingolf Derkow den Skiurlaub schmackhaft zu
machen, indem sie ihm alte Skifotos zeigten oder Videos, die von ihnen gedreht wurden,
desto mehr entwickelte sich sein Interesse daran, was er ihnen jedoch überhaupt nicht
zeigen wollte.
Stattdessen versuchten sie weiterhin sein Interesse zu wecken, indem sie unaufhörlich
über den Skisport redeten. Und wenn man unaufhörlich sagte, dann meinte man es auch
so. Sogar beim Einkaufen fanden sie etwas, was sich mit Ski gut in Verbindung bringen
würde. Entweder das, oder sie suchten sich irgendeine Verbindung. Wie sonst könnte
man bei einer Wassermelone sofort auf Ski kommen? Das schafften nur seine Freunde.
Er wusste zwar, dass es lieb gemeint war, doch um ehrlich zu sein nervte es ihn, dass
nur noch über Ski gesprochen wurde. Über nichts anderes wurde mehr gesprochen und
je näher der Tag der Abreise rückte, desto mehr wurde darüber geredet, auch wenn
Derkow Ingolf das für unmöglich gehalten hatte.
Als der Tag kam, an dem sie nach Österreich auf die Piste fahren würden, musste er sich
selbst eingestehen, dass er doch etwas nervös war. Irgendwie freute er sich darauf. Er
hatte zwar nie die große Sehnsucht verspürt Skifahren zu lernen, aber jetzt, wo er dazu
gezwungen – ja beinahe genötigt – wurde, konnte er es kaum noch erwarten, dass sie
ihren Zielort endlich erreichten. Er wollte wissen, ob seine Freunde Recht hatten. Ob es
wirklich so viel Spaß machte, wie sie ihm seit Wochen vorschwärmten oder ob er nun
zu hohe Erwartungen daran hatte.
Die Zugfahrt verging wirklich beinahe wie im Fluge. Dadurch, dass jeder von ihnen
jeweils ein anderes Spiel mitgenommen und er auch noch ein Buch eingepackt hatte,
waren sie viel schneller in Österreich angekommen, als er es sich vorgestellt hatte. In
3. seiner Vorstellung hatte er nach ein paar Runden keine Lust mehr auf ein Kartenspiel
gehabt und auch sein Buch wäre nicht das gewesen, was er sich erhofft hatte. Ingolf
Derkow hatte es sich viel schlimmer vorgestellt, als es eigentlich war und genau
dieselbe Hoffnung hegte er auch für das Skifahren.
Der verschneite Anblick, der sich ihnen bot, war unglaublich. Bisher hatte Ingolf
Derkow eine tiefe Abneigung gegen Schnee empfunden. Er hasste es, wenn die Straßen
glatt und verschneit waren und der Verkehr dadurch immer wieder aufs Neue ins
Stocken geriet. Als ob die Menschen in ihrem ganzen Leben noch nie bei verschneiten
Straßen Auto gefahren wären. Außerdem mochte er es nicht, wenn der ganze Schnee an
seinen Füßen klebte, seine Socken nass wurden und er das Gefühl hatte, dass seine Füße
jeden Moment einfrieren würden. Noch weniger mochte er es, wenn der Schnee sich zu
Matsch bildete und nur noch mehr Dreck auf den Straßen und an seinem Auto
hinterließ. Auch seine Schuhe musste er immer jeden Tag putzen. Dem Matsch konnte
man einfach nicht entfliehen, egal wie sehr man sich auch bemühte.
Doch an diesem Ort war es anders. Hier waren keine Autos. Hier wollte man den
Schnee. Hier war er notwendig dafür, dass man überhaupt erst Skifahren konnte. Und es
war einfach unbeschreiblich, wie abertausende Tonnen Schnee sich auf der ganzen
Landschaft ausgebreitet hatten. Es hatte etwas Magisches. Etwas, das nicht aus dieser
Welt kommen konnte.
Das Dach der Skihütte war komplett eingeschneit. Wahrscheinlich war die Dicke der
Schneedecke größer als die des Daches selber, allerdings waren diese Dächer mit großer
Sicherheit so angefertigt, dass diese durch die Schneemasse keinen Schaden erleiden
würden.
Bei diesem Anblick konnte es Ingolf Derkow wirklich nicht mehr erwarten, auf die
Piste zu gehen. Sein Hass auf Schnee war in dem Moment verflogen, als er die
verschneite Landschaft gesehen hatte und er fragte sich, wie seine erste Skistunde wohl
verlaufen würde.
Da die Gruppe früh in Österreich und an der Skihütte angekommen war, hatten sie am
selben Tag noch ihren ersten Skiunterricht. Selbst diejenigen, die schon öfter auf der
Piste waren, würden mit den beiden Skianfängern die ersten Skistunden gemeinsam
verbringen. So, wie es sich für gute Freunde gehörte, schließlich waren sie als Gruppe
angereist und wollten auch gemeinsam ihren Spaß haben.
Die Skier waren für Derkow Ingolf ungewohnt. Er hatte sie sich nicht so lang
vorgestellt und nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten hatte er schnell den Dreh
raus, wie er sich damit auf einer horizontalen Ebene fortbewegen konnte.
Zuerst führte ihnen der Skilehrer die grundlegenden Haltungen und Bewegungen vor.
Ohne diese Kenntnisse und Trockenübungen würden sie vorher nicht auf die Piste
gehen dürfen, dafür war es viel zu gefährlich. Jeder von ihnen machte mit und das
Wichtigste war, dass jeder von ihnen seinen Spaß hatte. Ingolf Derkow war schon
immer ein Talent darin gewesen, neue Sachen schnell zu erlernen, so auch die trockenen
Skiübungen. Er hoffte nur, dass diese sich auch leicht auf die Piste übertragen lassen
würden.
Es dauerte eine Weile, bis sein Skilehrer sein Einverständnis gab, dass sie nun richtig
loslegen konnten. Seine Freunde – diejenigen, die schon öfter im Skiurlaub waren –
fuhren zuerst, damit die anderen beiden einen Eindruck davon gewinnen konnten, wie
es ging.
4. Ingolf Derkows Körper fing an zu kribbeln. So sehr er sich auch die ganze Zeit dagegen
gewehrt hatte: Er wollte endlich runter auf die Piste, seinen Spaß haben und das
anwenden, was er bisher gelernt hatte.
Seine ersten Versuche waren etwas wackelig, doch für einen Anfänger hielt er sich
wirklich gut. Manch einer würde behaupten, er wäre ein Naturtalent. Andere würden es
als Glück bezeichnen. Ingolf Derkow empfand es als spaßig und es war ihm ehrlich
gesagt egal warum er es konnte – Anfängerglück hin oder her.
Gerade dann, als er diesen Gedanken in seinem Kopf geformt hatte, merkte er, wie er
strauchelte. Er versuchte wieder die Kontrolle zu erlangen, versuchte sich an das zu
erinnern, was der Skilehrer ihm vor wenigen Minuten noch beigebracht hatte, was er tun
sollte, wenn er in diese Situation kam und ließ sich zum Hang hin einfach fallen. Nach
einem kurzen Schock fing Ingolf Derkow plötzlich an zu lachen. Er lachte so sehr, dass
schon sein Bauch anfing zu schmerzen, doch er konnte damit einfach nicht aufhören.
Es hatte Spaß gemacht. Sehr viel Spaß sogar! Und das Hinfallen tat überhaupt nicht
weh. Ganz im Gegenteil. Es war sehr weich, damit hätte Derkow Ingolf nun wirklich
nicht gerechnet. Doch vor allem überraschte es ihn, dass seine Freunde die ganze Zeit
über Recht behalten hatten. Sie kannten ihn eben doch viel besser, als er sich selbst. Sie
wussten, dass er sich amüsieren würde, noch bevor er sich mit dem Gedanken überhaupt
erst hatte anfreunden können.
Es war nicht das letzte Mal an diesem Tag, dass Derkow Ingolf sich im Schnee fallen
ließ. Manchmal tat er es sogar extra, weil es für ihn einfach ein unglaubliches Gefühl
war im weichen Schnee zu landen und dass die beiden Sachen, welche für ihn vorher
gegen den Skiurlaub gesprochen hatten, ausgerechnet die zwei Dinge waren, die ihn am
meisten amüsierten.
Dieser Skiurlaub war der Beste seines Lebens und es würde ganz gewiss nicht der letzte
Urlaub sein, den er dort verbringen würde.
Ingolf Derkow Bergwandern
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