Buchbesprechung: Oliver Schlaudt erklärt in seinem Buch
"Wirtschaft im Kontext: Einführung in die Philosophie der Wirtschaftswissenschaften in Zeiten des Umbruchs",
Nr. 1/2024 - Mittelstandsfinanzierung + Nachhaltigkeit
Ein philosoph zu den grenzen des wachstums
1. Buchbesprechung: Ein Philosoph zu den Grenzen des Wachsums
Norbert Haering - norberthaering.de
Wo liegen die Grenzen des Wachstums? Der Philosoph Oliver Schlaudt erklärt in seinem Buch
"Wirtschaft im Kontext: Einführung in die Philosophie der Wirtschaftswissenschaften in Zeiten
des Umbruchs", warum Ökonomen sich mit dieser Frage sehr schwertun. Sie haben nicht die
passende Sprache, und die Sprache der Naturwissenschaften beherrschen sie nicht gut genug.
Es ist 44 Jahre her, dass der Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" veröffentlichte.
Seither gab es Aktualisierungen, die alle vor dem drohenden Kollaps wegen Übernutzung
natürlicher Ressourcen warnten. Doch zum Konflikt zwischen unendlichen
Wachstumserwartungen und endlicher Welt haben die etablierten Ökonomen bisher wenig
beigetragen. Die Auseinandersetzung darüber findet eher am Rande oder jenseits des
Mainstreams statt.
Je grundsätzlicher das Problem, desto eher sind die Spezialisten für die großen Themen
hilfreich. Deshalb ist es gut, dass der Heidelberger Philosoph Oliver Schlaudt eine "Einführung
in die Philosophie der Wirtschaftswissenschaften in Zeiten des Umbruchs" (Untertitel) vorgelegt
hat. Der Titel "Wirtschaft im Kontext"richtet den Fokus auf die Schnittmengen der Wirtschaft mit
anderen Systemen, dem gesellschaftlichen Umfeld und der natürlichen Umwelt.
Schlaudt erklärt schlüssig, warum Ökonomen sich so schwertun, Konflikte zwischen
Wirtschaftsprozess und ökologischer Nachhaltigkeit zu analysieren. Die Norm ist nämlich für
Ökonomen, die Individuen und ihre Präferenzen ins Zentrum zu stellen. Der Wirtschaftsprozess
wird zudem in Anlehnung an die Mechanik als unabhängiger und umkehrbarer Prozess ohne
Grenzen modelliert. Das steht in Widerspruch zu physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie der
wachsenden Entropie. Diese besagt, dass Schadstoffe, die in der Umwelt verteilt, oder
Rohstoffe, die verbrannt wurden, nur mit viel Energieeinsatz zurückgeholt werden können.
Umweltschäden der Produktion werden von Ökonomen als negative Folgen für unbeteiligte
Dritte behandelt. Diese sind in Geld zu bewerten und auf die Preise aufzuschlagen. Das stößt
an Grenzen, wenn der Schaden darin besteht, dass das Ökosystem mit einer unbekannten
Wahrscheinlichkeit zu einem unbekannten Termin kollabiert. Zwei Varianten, die gegenseitige
Abhängigkeit von Ökonomie und Umwelt zu betrachten, stellt Schlaudt gegenüber.
Möglichkeit 1: Die Sprache der Ökonomen reformieren
Da ist einmal die Möglichkeit, in der Sprache der traditionellen Ökonomik zu bleiben und der
gesamten Umwelt Werte und Preise zuzuweisen. Wenn das möglich wäre, ließe sich der
Wachstumsbegriff so modernisieren, dass der Gegensatz von Wachstum und Ökologie
verschwände. Das Umweltvermögen könnte bewertet und jede Wertminderung vom
Produktionswert abgezogen werden. Dann leisteten viele Produktionsaktivitäten nach neuer
Messung einen negativen Wachstumsbeitrag. Weniger zu produzieren würde das Wachstum
steigern. "Unser Planet wird bedroht vom falschen Glauben in ein falsch definiertes Wachstum",
drückt das der niederländische Ökonom und Vorreiter der Degrowth-Bewegung Roefie Hueting
aus. Dessen international stark rezipierte Berechnungen lassen wenig Zweifel daran, dass
beträchtlicher materieller Verzicht nötig wäre, wollte man Nachhaltigkeit erreichen. Auch
Schlaudt stellt fest, dass das Wirtschaftswachstum bisher vor allem durch eine immer
intensivere Nutzung natürlicher, meist erschöpflicher Energieressourcen befeuert wurde. Würde
1 / 2
Phoca PDF
2. Buchbesprechung: Ein Philosoph zu den Grenzen des Wachsums
Norbert Haering - norberthaering.de
diese Nutzung als Kosten zum Abzug gebracht, wäre das richtig gemessene Wachstum viel
geringer und viel Produktion würde sich nicht mehr lohnen.
Schlaudt hat kleinere Einwände gegen den Ansatz, die Ökologie durch Veränderung der
Wachstumsbegriffs in die ökonomische Analyse einzubeziehen. Er übersieht jedoch einen
grundlegenden Einwand. Es gibt nicht den Durchschnittshaushalt mit seinen
Durchschnittspräferenzen, den man zur Grundlage einer quasi-objektiven Bewertung des
Umweltvermögens machen könnte. Die Fokussierung der Analyse auf die Präferenzen der
Individuen verlangt, deren theoretische Zahlungsbereitschaft für Umweltgüter zugrunde zu
legen. Doch wenn etwa, wie es prognostiziert ist, große Teile Bangladeschs aufgrund der
Erderwärmung im Meer versinken, und viele Millionen sehr arme Bangladescher dadurch ihre
Lebensgrundlage verlieren, so ist der Schaden nach dieser Sichtweise eng begrenzt. Denn
Menschen die von der Hand in den Mund leben, haben nur eine sehr geringe Zahlungsfähigkeit
und damit Zahlungsbereitschaft, egal wofür.
Je größer die Ungleichverteilung der Einkommen zwischen denjenigen, die von den negativen
ökologischen Folgen betroffen sind, und den Reicheren, die weniger betroffen sind, desto
weniger lohnt sich aus dieser Perspektive nachhaltigeres Wirtschaften. Falls die weniger
Betroffenen überproportionales politisches Gewicht haben, erklärt das vielleicht, warum
Versuche, das Verschmutzungsproblem über handelbare Zertifikate zu lösen, bisher regelmäßig
die Verschmutzungskosten sehr niedrig angesetzt haben.
Möglichkeit 2: Die Sprache der Physik nutzen
Die alternative Möglichkeit, den Dualismus von Wirtschaft und Umwelt zu überwinden, besteht
darin, auch die Wirtschaft mit dem physikalisch-naturwissenschaftlichen Vokabular zu
analysieren, mit dem das ökologische Gesamtsystem beschrieben wird. Der Wirtschaftsprozess
ist dann ein Organismus, der mit seiner Umwelt Stoff und Energie austauscht.
In dieser Sprache würde der bisherige Gleichlauf von Wirtschaftskraft und Energie-Input direkt
deutlich. Die Möglichkeit einer Auflösung des Widerspruchs von endlosem Wachstum und
endlicher Welt bietet auch diese Herangehensweise. Denn die Erde ist kein abgeschlossenes
System. Sie empfängt laufend konzentrierte, nutzbare Energie von der Sonne. Somit spricht
nicht grundsätzlich etwas dagegen, in immer weiter wachsendem Umfang Energie für
Produktionsprozesse zu nutzen. Wenn laufend Energie zugeführt wird, kann sich die
Menschheit gegen das Gesetz der zunehmenden Entropie stemmen und Ressourcen nach
Nutzung wieder in eine nutzbare Form bringen.
Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)
2 / 2
Phoca PDF