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STANDPUNKT
24 FEBRUAR 2015 | SCHWEIZER VERSICHERUNG
K
ein Botox für eine altehrwürdige
Dame. Die Rede ist hier vom Bun-
desgesetz über den Versiche-
rungsvertrag (VVG) von 1908, das
indieJahregekommenistundmit
der rasanten Entwicklung des Versicherungs-
marktesschonlängstnichtmehrSchritthalten
kann. Selbst mit den bisherigen Teilrevisionen
konnte es nicht genügend verjüngt werden.
Die Idee einer Totalrevision obsiegte deshalb
aus guten Gründen. Indessen erwies sich de-
ren Durchführung als äusserst schwierig, ge-
mäss offiziellem Eingeständnis von Bundesrä-
tin Widmer-Schlumpf geradezu als
Leidensgeschichte–ineinererstenRundegip-
felnd in der Rückweisung der Gesetzesvorlage
durch das Parlament an den Bundesrat.
Die Gesetzesmühlen drehen sich seither
wieder, was die Schweizerische Vereinigung
der Insurance und Risk Manager (SIRM) zum
Anlass nahm, den Neustart der VVG-Revision
an ihrem Forum anfangs November in Pfäffi-
konalsGeneralthemaauszuleuchtenundaus-
zudiskutieren. Dies mit aktiver Beteiligung der
Vertreter der Bundesbehörden und der Part-
ner des Industrieversicherungsmarktes. Aus
SIRM-Sicht bedarf es im Einklang mit einer in-
tern durchgeführten Umfrage noch etlicher
Verbesserungen für das Ziel einer wirklichen
Totalrevision. Hier die wichtigsten Punkte:
•DieSystematikdesGesetzesistbesserauszu-
richten auf die Integration der bewährten
Usanzen zwischen Versicherern und Gross-
unternehmen (B2B-Bereich) einerseits und
die Privilegierung des Konsumentenschut-
zes für das breite Publikum andererseits.
•Die vorgesehene Lösung mit den Kategorien
zwingende, halbzwingende und dispositive
Gesetzesartikel ist kritisch darauf zu hinter-
fragen, ob sie unter den Anforderungen von
Gesetzestransparenz und Praktikabilität so
aufrechterhalten werden kann.
•Die Frage ist zu vertiefen, ob ein Haftpflicht-
versicherungsobligatoriumundeinautoma-
tisches Rückgriffsrecht auch in besserer
Berücksichtigung der Rechtsschutzinteres-
sen der Unternehmen geregelt werden kön-
nen und ob sie wirklich im Gesetz über den
Versicherungsvertrag oder nicht eher – wie
bis anhin – in Spezialgesetzen Platz finden
sollen.
• Ganz allgemein sollte das VVG von Regeln
freigehalten werden, die in keinem genui-
nen Zusammenhang mit dem Versiche-
rungsvertrag stehen; der neue Gesetzesent-
wurf sollte nicht wieder derart überladen
werden, dass letztlich seine politische Ak-
zeptanz ernstlich gefährdet wird wie bei-
spielsweisedieArtikelbetreffendMakler,die
ja bereits im Versicherungsaufsichtsgesetz
näher geregelt sind.
• Ein schlankes Gesetz sollte Prinzipien for-
mulieren und sich nicht in ausufernden De-
tailregeln verlieren. Als leuchtendes Ideal
stichtauchhierdasschweizerischeZGBher-
vor. Dies umso mehr, als die heutige Versi-
cherungspraxis bereits von umfassenden,
bewährtenNormengestaltetwird(Stichwort
Allgemeine Versicherungsbedingungen),
die rechtlich weitgehend unbestritten sind.
An der Tagung wurden diese Punkte vom
SIRM-ReferentenLorenzStampflimitEngage-
ment und einer Prise Humor vorgetragen,
wobei er sie ausdrücklich als Empfehlungen
für die Neubelebung der VVG-Revision ver-
standen wissen wollte. Nicht zuletzt auch
als anregende Nadelstiche an die Adresse
der Rechtssetzungsbehörden. Es bleibt zu hof-
fen, dass die mit substanziellen Argumenten
geäusserten Empfehlungen nicht wie leider
auch schon als ungehörte Rufe in der Wüste
verhallen werden.
Gastautorin
Sabrina Hartusch
Kein Botox
für alte DameUm das Ziel einer nachhaltigen VVG-Totalrevision zu erreichen, bedarf es
einiger grundlegender Verbesserungen. Kosmetik allein genügt nicht.
In unserer Rubrik «Standpunkt» setzen sich alternierend Persönlichkeiten mit der Assekuranz auseinander. Es sind dies:
Sabrina Hartusch, Präsidentin Vereinigung der Schweizer Insurance- und Risk-Manager SIRM (über Bedürfnisse von Geschäftskunden).
Urs Berger, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV (zu Privatversicherungen und Politik).
Dr. Jérôme Cosandey, Projektleiter beim Think-Tank Avenir Suisse (zu Sozialversicherungen).
Professor Dr. Martin Eling, Institut für Versicherungswirtschaft IVW der Universität St. Gallen (zu Versicherungsmanagement).
Professor Dr. Hato Schmeiser, Institut für Versicherungswirtschaft IVW der Universität St. Gallen (zu Risikomanagement).
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  • 1. STANDPUNKT 24 FEBRUAR 2015 | SCHWEIZER VERSICHERUNG K ein Botox für eine altehrwürdige Dame. Die Rede ist hier vom Bun- desgesetz über den Versiche- rungsvertrag (VVG) von 1908, das indieJahregekommenistundmit der rasanten Entwicklung des Versicherungs- marktesschonlängstnichtmehrSchritthalten kann. Selbst mit den bisherigen Teilrevisionen konnte es nicht genügend verjüngt werden. Die Idee einer Totalrevision obsiegte deshalb aus guten Gründen. Indessen erwies sich de- ren Durchführung als äusserst schwierig, ge- mäss offiziellem Eingeständnis von Bundesrä- tin Widmer-Schlumpf geradezu als Leidensgeschichte–ineinererstenRundegip- felnd in der Rückweisung der Gesetzesvorlage durch das Parlament an den Bundesrat. Die Gesetzesmühlen drehen sich seither wieder, was die Schweizerische Vereinigung der Insurance und Risk Manager (SIRM) zum Anlass nahm, den Neustart der VVG-Revision an ihrem Forum anfangs November in Pfäffi- konalsGeneralthemaauszuleuchtenundaus- zudiskutieren. Dies mit aktiver Beteiligung der Vertreter der Bundesbehörden und der Part- ner des Industrieversicherungsmarktes. Aus SIRM-Sicht bedarf es im Einklang mit einer in- tern durchgeführten Umfrage noch etlicher Verbesserungen für das Ziel einer wirklichen Totalrevision. Hier die wichtigsten Punkte: •DieSystematikdesGesetzesistbesserauszu- richten auf die Integration der bewährten Usanzen zwischen Versicherern und Gross- unternehmen (B2B-Bereich) einerseits und die Privilegierung des Konsumentenschut- zes für das breite Publikum andererseits. •Die vorgesehene Lösung mit den Kategorien zwingende, halbzwingende und dispositive Gesetzesartikel ist kritisch darauf zu hinter- fragen, ob sie unter den Anforderungen von Gesetzestransparenz und Praktikabilität so aufrechterhalten werden kann. •Die Frage ist zu vertiefen, ob ein Haftpflicht- versicherungsobligatoriumundeinautoma- tisches Rückgriffsrecht auch in besserer Berücksichtigung der Rechtsschutzinteres- sen der Unternehmen geregelt werden kön- nen und ob sie wirklich im Gesetz über den Versicherungsvertrag oder nicht eher – wie bis anhin – in Spezialgesetzen Platz finden sollen. • Ganz allgemein sollte das VVG von Regeln freigehalten werden, die in keinem genui- nen Zusammenhang mit dem Versiche- rungsvertrag stehen; der neue Gesetzesent- wurf sollte nicht wieder derart überladen werden, dass letztlich seine politische Ak- zeptanz ernstlich gefährdet wird wie bei- spielsweisedieArtikelbetreffendMakler,die ja bereits im Versicherungsaufsichtsgesetz näher geregelt sind. • Ein schlankes Gesetz sollte Prinzipien for- mulieren und sich nicht in ausufernden De- tailregeln verlieren. Als leuchtendes Ideal stichtauchhierdasschweizerischeZGBher- vor. Dies umso mehr, als die heutige Versi- cherungspraxis bereits von umfassenden, bewährtenNormengestaltetwird(Stichwort Allgemeine Versicherungsbedingungen), die rechtlich weitgehend unbestritten sind. An der Tagung wurden diese Punkte vom SIRM-ReferentenLorenzStampflimitEngage- ment und einer Prise Humor vorgetragen, wobei er sie ausdrücklich als Empfehlungen für die Neubelebung der VVG-Revision ver- standen wissen wollte. Nicht zuletzt auch als anregende Nadelstiche an die Adresse der Rechtssetzungsbehörden. Es bleibt zu hof- fen, dass die mit substanziellen Argumenten geäusserten Empfehlungen nicht wie leider auch schon als ungehörte Rufe in der Wüste verhallen werden. Gastautorin Sabrina Hartusch Kein Botox für alte DameUm das Ziel einer nachhaltigen VVG-Totalrevision zu erreichen, bedarf es einiger grundlegender Verbesserungen. Kosmetik allein genügt nicht. In unserer Rubrik «Standpunkt» setzen sich alternierend Persönlichkeiten mit der Assekuranz auseinander. Es sind dies: Sabrina Hartusch, Präsidentin Vereinigung der Schweizer Insurance- und Risk-Manager SIRM (über Bedürfnisse von Geschäftskunden). Urs Berger, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV (zu Privatversicherungen und Politik). Dr. Jérôme Cosandey, Projektleiter beim Think-Tank Avenir Suisse (zu Sozialversicherungen). Professor Dr. Martin Eling, Institut für Versicherungswirtschaft IVW der Universität St. Gallen (zu Versicherungsmanagement). Professor Dr. Hato Schmeiser, Institut für Versicherungswirtschaft IVW der Universität St. Gallen (zu Risikomanagement). DIE KOMMENTATOREN