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Thema: „Die aktuelle Feminismusdebatte in Ägypten“ 
Dem Fachbereich 
Fremdsprachliche Philologien 
der Philipps-Universität Marburg 
als Magisterarbeit 
im Fachgebiet Islamwissenschaft 
vorgelegt von Patrick Bareiter 
aus Stuttgart 
Marburg im April 
2013
Inhaltsverzeichnis 
Inhaltsverzeichnis 
Inhaltsverzeichnis .........................................................................................................II 
Tabellenverzeichnis ......................................................................................................II 
Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................II 
1. Einleitung und Fragestellung ......................................................................................1 
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten......................................................................4 
2.1 Die Frau im Koran................................................................................................4 
2.2 Rechtliche Stellung des Islam in Ägypten.............................................................8 
2.3 Überblick von den Anfängen bis heute .................................................................9 
3. Theoretische Grundlagen..........................................................................................21 
3.1 Definition Feminismus und verschiedene Strömungen........................................21 
3.2 Feminismusverständnis von Judith Butler...........................................................28 
3.3 Der homo sociologicus .......................................................................................31 
3.4 Konflikttheorie nach Dahrendorf ........................................................................36 
4. Aktueller Forschungsstand zum Forschungsthema....................................................45 
5. Zwischenfazit und Operationalisierung.....................................................................52 
5.1 Zwischenfazit .....................................................................................................52 
5.2 Operationalisierung ............................................................................................53 
6. Kurzer Überblick über die aktuelle feministische islamistische Bewegung ...............59 
6.1. Islamistischer Feminismus und verschiedene Strömungen .................................59 
6.2 Neuinterpretation des Korans durch islamistische Aktivistinnen .........................63 
7. Thesen......................................................................................................................67 
7.1 Die unterschiedliche Rollenbilder säkularer und islamistischer Feministinnen und 
deren Auswirkung auf die Konvergenz der Frauenbewegung....................................67 
7.1.1 Aktuelle Geschlechterrollen in Ägypten und das weibliche Rollenbild der 
islamistischen Feministinnen................................................................................67 
7.1.2 Das Rollenbild der säkularen Feministinnen ................................................75 
7.1.3 Gemeinsamkeiten islamistischer und säkularer Feministinnen......................78 
II
Inhaltsverzeichnis 
7.1.4 Gescheiterte Zusammenarbeit der beiden feministischen Strömungen anhand 
eines Beispieles ....................................................................................................80 
7.1.5 Auswirkungen der unterschiedlichen Rollenbilder auf die Konvergenz der 
Frauenbewegung in Ägypten ................................................................................82 
7.1.6 Einfluss der unterschiedlichen Ziele und deren Herleitung auf die Konvergenz 
der beiden feministischen Strömungen .................................................................85 
7.1.7 Thesenfazit ..................................................................................................87 
7.2 Die Herausforderung traditioneller Rollenbilder als eine der Hauptursachen für 
antifeministische Tendenzen in Ägypten ..................................................................88 
7.2.1 Die ägyptische Sozial- und Gesellschaftsstruktur .........................................88 
7.2.2 Staat, Patriarchat und der Kampf der säkularen Feministinnen um 
Gleichberechtigung ..............................................................................................91 
7.2.3 Einordnung des Konflikts nach Dahrendorf .................................................93 
7.2.4 Thesenfazit ..................................................................................................94 
7.3 Die Weigerung des ägyptischen Staates und großer Teile der Bevölkerung 
feministische Forderungen anzuerkennen .................................................................95 
7.3.1 Verweigerung der Anerkennung feministischer Forderungen.......................95 
7.3.2 Aktuelle Lage der Frau in Ägypten im Jahr 2012 .........................................96 
7.3.3 Thesenfazit ..................................................................................................99 
7.4 Die positive Rolle feministische Graswurzelbewegungen in Ägypten ...............100 
7.4.1 Die Moscheebewegung..............................................................................101 
7.4.2 Konvergenz der ägyptischen Frauenbewegung auf dem Niveau der 
Graswurzelbewegungen......................................................................................103 
7.4.3 Thesenfazit ................................................................................................106 
7.5 Säkulare Feministinnen, Anhängerinnen des Mubarak-Regimes und Agenten des 
Westens?................................................................................................................107 
7.5.1 Säkulare Feministinnen und das Mubarak Regime .....................................108 
7.5.2 Säkulare Feministinnen und die westliche Frauenrechtsagenda ..................112 
7.5.3 Thesenfazit ................................................................................................117 
8. Fazit .......................................................................................................................118 
III
Inhaltsverzeichnis 
8.1 Zusammenfassung der Thesen und Ergebnisse..................................................118 
8.2 Abschließende Erkenntnisse .............................................................................124 
Literaturverzeichnis ...................................................................................................126 
IV
Tabellenverzeichnis 
Tabellenverzeichnis 
Tabelle 1 Rollenerwartungen und Sanktionen nach Dahrendorf........................................33 
Tabelle 2 Konfliktformen nach Dahrendorf......................................................................37 
II
Abkürzungsverzeichnis 
Abkürzungsverzeichnis 
AWSA: Arab Women’s Solidarity Association 
CEDAW: Convention on the Elimination of all forms of Discrimination against 
II 
Women 
CSO: Civil Society Organization 
ECWR: Egyptian Center for Women’s Rights 
EFU: Egyptian Feminist Union 
MENA: Middle East and North Africa 
MWA: Muslims Women’s Association 
Nazra: Nazra for Feminist Studies 
NGO: Non Governmental Organization 
PVO: Privat Voluntary Organization 
UN: United Nations 
USAID: United States Agency for International Development
1. Einleitung und Fragestellung 
1. Einleitung und Fragestellung 
Ägypten ist durch den sogenannten Arabische Frühling und durch die Ereignisse auf dem 
Tahrir-Platz, die letztendlich zum Sturz des Mubarak Regimes führten in letzter Zeit 
verstärkt in den Fokus der Medien gerückt. Gerade auch die Frauen spielten in diesen 
Ereignissen eine vitale Rolle. In diese Arbeit wird erörtert, inwieweit die Rolle der Frau 
und der Feminismus in Ägypten sowohl vor als auch nach der Revolution vom Januar 2011 
debattiert werden. Die Revolution selber und die Rolle der Frauen darin steht dabei nicht 
im Fokus der Untersuchung hat aber Einfluss auf die Wahrnehmung der Frauenbewegung 
in Ägypten, da die Revolution eine Zäsur in der jüngeren ägyptischen Geschichte darstellt. 
Der ägyptische Staat bietet sich aus verschiedenen Gründen für eine Analyse der 
Frauenbewegung an. Zum einen hat Ägypten im Vergleich zu vielen anderen Staaten der 
Arabischen Welt eine lange Geschichte der Frauenbewegung vorzuweisen, die bereits 
Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Zum anderen bieten sich durch die jüngsten 
Ereignisse in der Revolution und vor allem auch danach die Möglichkeit die aktuelle 
Feminismusdiskussion in einer spannenden Zeit des politischen Umbruchs aufzuzeigen. 
Des Weiteren ist von Interesse ob die Frauen von dem Regminewechsel an dem sie aktiv 
beteiligt waren profitieren können oder nicht. 
Laut dem Gender Gap Report von 2012 1, befindet sich Ägypten auf Platz 126 von 135 
Ländern und damit am Ende des Feldes. In allen untersuchten Bereichen, außer der 
Gesundheit und Lebenserwartung, wie politische Partizipation, Bildung sowie 
ökonomische Teilhabe und Möglichkeiten zeigen sich in Ägypten deutliche 
Geschlechterunterschiede ohne dass in den letzten Jahren weder absolut noch relativ im 
Vergleich zu den anderen untersuchten Ländern eine deutliche Verbesserung eingetreten 
ist. Es stellt sich die Frage inwiefern die Frauenbewegung in Ägypten die 
Geschlechterungleichheit thematisiert und welche Konzepte innerhalb der 
Frauenbewegung verfolgt werden um die Geschlechterungleichheit zu bekämpfen. Auch 
für die deutsche politikwissenschaftliche Diskussion ist eine Auseinandersetzung mit dem 
ägyptischen Feminismus interessant. Nicht zuletzt, weil auch hier die Aktivitäten der 
Frauen in der ägyptischen Revolution medial begleitet wurden. Für eine wissenschaftliche 
Einschätzung der Rolle und Bedeutung der Frauenbewegung im Transformationsprozess 
der ägyptischen Gesellschaft ist jedoch eine theoretisch-analytische Perspektive auf das 
Thema notwendig. 
1 World Economic Forum (Hrsg.): The Global Gender Gap Report 2012. Genf 2012. 
1
1. Einleitung und Fragestellung 
In dieser Arbeit wird analytisch-deskriptiv beschrieben, wie die aktuelle 
Feminismusdebatte in Ägypten abläuft. Auf der Mikroebene wird die Beziehung zwischen 
den Polen der säkularen und der islamistischen Frauenbewegung in Ägypten beschrieben 
und analysiert werden. Auf der Makroebene der Konflikt zwischen der feministischen 
Bewegung insgesamt mit dem ägyptischen Regime und der ägyptischen Gesellschaft. 
Die Fragestellung lautet: 
Inwiefern behindern die verschiedenen Rollenbilder der säkularen und islamistischen 
Feministinnen in Ägypten eine Konvergenz der beiden Strömungen? 
Als Analyseinstrument wird sowohl die Konflikttheorie Dahrendorfs als auch das dieser 
Theorie zu Grunde liegende Modell des homo sociologicus angewandt. Anhand dieser 
Analyseinstrumente können die Konflikte und die Art ihrer Austragung erklärt werden. 
Folgende Leitfragen führen im Laufe der Arbeit zur Beantwortung der Fragestellung. 
· Wie gestaltet sich die aktuelle Feminismusdiskussion sowohl innerhalb der 
feministischen Bewegung als auch zwischen der feministischen Bewegung und dem 
ägyptischen Regime und anhand welcher Konfliktlinien verlaufen sie? 
· Was sind die Unterschiede in den Rollenbildern und wie behindern diese eine 
Zusammenarbeit säkularer und islamistischer Feministinnen? 
· Wie wirken sich die unterschiedlichen Rollenbilder auf das Verhältnis der beiden 
feministischen Strömungen zu Staat und Gesellschaft aus? 
· Welche weiteren Faktoren haben Auswirkungen auf die Feminismusdebatte in 
2 
Ägypten? 
In Kapitel 4. Aktueller Forschungsstand zum Forschungsthema wird gezeigt, dass ein 
Forschungsdesiderat zu dieser Thematik besteht. Die Ergebnisse der Arbeit werden einen 
Beitrag zum besseren Verständnis der aktuellen ägyptischen Frauenbewegung und deren 
Besonderheiten liefern und somit ermöglichen gesellschaftliche und politische Vorgänge in 
Ägypten besser zu verstehen. Bisher ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der 
ägyptischen Frauenbewegung noch nicht zufriedenstellend. Vor allem die Beziehungen, 
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschieden Strömungen innerhalb der 
Frauenbewegung wurde bisher nicht eingehender untersucht. Im deutschsprachigen Raum 
kursiert viel populärwissenschaftliche Literatur zur Frauenfrage in der 
arabisch/islamischen Welt deren Interesse meist um das Kopftuch kreist und die 
Vielschichtigkeit der Formen feministischen Aktivismus verkennt. Wie diese Arbeit jedoch 
zeigen wird gibt es in Ägypten sowohl im islamistischen als auch im säkularen Lager eine
1. Einleitung und Fragestellung 
Vielzahl unterschiedlicher frauenrechtlerischer Organisationen welche die Zivilgesellschaft 
formen und bereichern. 
Es wird folgendermaßen vorgegangen: Zuerst wird die historische Entwicklung des 
Feminismus in Ägypten dargestellt, da ohne Kenntnisse über die Geschichte des 
Feminismus in Ägypten die aktuellen Vorgänge nicht zu verstehen sind. Das Phänomen 
des islamistischen Feminismus erhält ein eigenes Kapitel, da diese Art des Feminismus 
sich vom westlich geprägten allgemeinen Feminismusverständnis deutlich unterscheidet. 
Im Theorieteil wird der Begriff des Feminismus definiert und verschiedene Strömungen, 
sofern sie in den Kontext dieser Arbeit passen, vorgestellt. Judith Butler wird dabei 
gesondert behandelt, da ihr Ansatz fruchtbare Anknüpfungspunkte sowohl zu Dahrendorf 
als auch für die ägyptische Feminismusdebatte bietet. Danach folgen der homo 
sociologicus und die Konflikttheorie Dahrendorfs und es wird dargelegt inwiefern diese 
dem Erkenntnisgewinn dienen und wie sie genutzt werden Aus den Kapiteln 1 bis 5 
werden Thesen entwickelt und im Hauptteil der Arbeit mit den ausgewählten 
Analyseinstrumenten überprüft. Es wird eine Hauptthese und diese Hauptthese 
unterstützende Thesen geben. 
Die Analyse der aktuellen Feminismusdebatte beschränkt sich auf die islamistische und 
säkulare Frauenbewegung. Religiöse Minderheiten wie die Kopten und andere werden 
aufgrund ihrer geringen Anzahl als nicht relevant für die Analyse der aktuellen Debatte 
betrachtet. Deren Angehörige können jedoch durchaus in der säkularen Frauenbewegung 
vertreten sein. 
Als Quellen dienen in erster Linie Monographien und Artikel in Fachzeitschriften zu den 
Forschungsfeldern Naher und Mittlerer Osten, Feminismus und Gender, 
Politikwissenschaft sowie Recht. Sofern nötig werden ebenfalls Onlineartikel sowie 
Homepages genutzt um auf aktuellste Entwicklungen eingehen zu können und um 
Eigendarstellungen feministischer Gruppierungen in Ägypten aufzuzeigen. Die 
entwickelten Thesen werden im Hauptteil nacheinander überprüft. Die gewonnen 
Erkenntnisse werden im Abschlussteil der Arbeit zusammengefasst und präsentiert. Die 
Argumentation stützt sich vorrangig auf Sekundärliteratur. Ebenso werden Begriffe und 
Definitionen aus der bestehenden Literatur entnommen. 
Arabische Eigennamen werden einheitlich so in die Arbeit aufgenommen wie sie in der 
Literatur auftauchen. Auf korrekte Umschrift wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit 
verzichtet, da die Arbeit einen politikwissenschaftlichen Charakter hat und an eine 
politikwissenschaftliche Leserschaft gerichtet ist, der die Umschrift nicht geläufig ist. 
Ebenso werden arabische Begriffe; wie Koran und Scharia, die allgemein geläufig sind in 
der eingedeutschten Form verwendet. 
3
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
2.1 Die Frau im Koran 
Die islamische Religion und damit natürlich auch der Koran spielen im größten Teil der 
ägyptischen Gesellschaft bis heute eine zentrale Rolle. Deshalb wird in diesem Kapitel auf 
die Rolle der Frau im Koran eingegangen. Es stellt sich die Frage: Wie wird die Frau im 
Koran charakterisiert und wie ist die Stellung der Frau dem Mann gegenüber? Dabei 
werden nicht alle Suren, welche sich mit der Frau befassen, behandelt, sondern diejenigen 
welche für die feministische Debatte am wichtigsten sind beziehungsweise kontrovers 
diskutiert werden. Später wird die Rolle und Stellung der Frau im Koran der heutigen 
rechtlichen Stellung der Frauen in Ägypten gegenübergestellt. 
Dabei kann man die entsprechenden Suren nach verschiedenen Themengebieten gliedern: 
Rolle der Frauen in der Umma, also der islamischen Gesellschaft. Rechtliche Stellung der 
Frau vor Gericht und beim Erb- und Zivilrecht. Vorschriften und Hinweise zur 
Glaubensausübung und bei allgemeinen Moralfragen. 
Als Grundlage dient die Koranübersetzung von Rudi Paret 2, da sie bemüht ist eine 
möglichst korrekte Übersetzung im historischen Kontext anzubieten. 
Der Koran stellt nicht die einzige Quelle in der islamischen Rechtssprechung dar. Neben 
ihm gibt es als weitere Quellen noch Sunna und Hadithe, Praktiken und Aussagen des 
Propheten Mohammads. Als tertiäre Quelle fungiert der i ǧmā‘, Konsens der Gelehrten. 
Dabei ist der Koran aufgrund seiner göttlichen Offenbarung die belastbarste Quelle in der 
islamischen Rechtssprechung, wobei ungefähr zehn Prozent der Suren menschliches 
Verhalten festlegen. Der Großteil davon bezieht sich auf Fragen der Glaubensausübung 
und lediglich ein geringer Teil regelt zwischenmenschliche und gesellschaftliche 
Beziehungen. Hinzu kommt, dass die islamische Rechtsprechung bis in jüngste Zeit kein 
kodiertes Recht darstellte, sondern immer wieder neu interpretiert wurde, auch mit 
bestimmten Intentionen der Interpreten. Deshalb gibt es auch keine einheitliche Version 
des göttlichen Rechts der Scharia. 3 Die vier anerkannten sunnitischen Rechtsschulen und 
die eine anerkannte schiitische Rechtsschule, deren normative Auslegungen der Scharia bis 
heute prägend sind, entwickelten sich erst etwa 150 Jahre nach dem Tod Muhammads. 
2 Vgl. Paret, Rudi: Der Koran. Stuttgart 2004. 
3 Tucker, Judith E. Women, Family, and Gender in Islamic Law. Cambridge und New York 2008. S. 11-15. 
4
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
Andere Rechtsschulen konnten sich dagegen nicht durchsetzen und sind in Vergessenheit 
geraten.4 
Für diese Arbeit ist in erster Linie wichtig, inwieweit der Koran die Gleichberechtigung 
von Mann und Frau postuliert, beziehungsweise welche sozialen Rollen er ihnen jeweils 
zuweist. Darüber gehen die Meinungen verschiedener Autoren und Autorinnen jedoch 
auseinander. Viele muslimische Autoren und Autorinnen vertreten die Meinung, der Islam 
sei die einzige Religion welche Mann und Frau gleichberechtigt. Dabei verweisen sie auf 
Suren in denen Männer und Frauen als gleich angesehen werden, meist im Zusammenhang 
von religiösen Pflichten und bei der Schöpfung der Menschen. Christine Schirrmacher 
weißt ihrerseits aber darauf hin, dass auch in der Religionsausübung Frauen aufgrund ihres 
Geschlechts und den biologischen Unterschieden eingeschränkt werden. Zusätzlich gibt es 
viele Überlieferungen des Propheten, in denen die Frau als dem Mann unterlegen und 
minderwertig bezeichnet wird. 5 
Raga` El-Nimr6 ist anderer Meinung und führt als Argument auch die untergeordnete und 
marginalisierte Rolle der Frauen in der vorislamischen Zeit in Arabien an. Allerdings 
vertritt die Autorin auch die Meinung, dass es zwischen Frauen und Männern natürliche 
Unterschiede gibt. Wobei sie ebenfalls zu bedenken gibt, dass die Quellenlage über diese 
Zeit aufgrund mangelnder schriftlicher Zeugnisse dürftig ist. Die Verkündungen des 
Propheten Muhammads waren durchaus emanzipatorisch und revolutionär, da er die 
Gleichheit aller Menschen verkündete. Mit aus diesem Grund fand er seine ersten 
Anhänger oft in unterprivilegierten Schichten, so zum Beispiel bei Sklaven und Frauen. 7 
In der koranischen Schöpfungsgeschichte wird beschrieben, wie Mann und Frau aus einem 
Wesen, nämlich Adam, gleichsam erschaffen wurden und nicht wie in der christlichen 
Schöpfungsgeschichte Eva erst aus der Rippe Adams entstand. Diese Tatsache wird in 
mehreren Suren erwähnt, zum Beispiel in den Suren 39,6; 49,13; 2,1, dies ist also ein 
entscheidender Punkt.8 
4 Schirrmacher, Christine: Frauen unter der Scharia. In: Schirrmacher, Christine und Ursula Spuler- 
Stegemann: Frauen und die Scharia. Die Menschenrechte im Islam. München 2006. S.13-218. S. 35f. 
5 Ebd. a. a. O. S. 78-81. 
6 Nimr El, Raga`: Women in Islamic Law. In: Yamani, Mai (Hrsg.): Feminism and Islam. Legal and Literary 
Perspectives. Reading 1996. S. 87-102. 
7 Nimr El, Raga`: Women in Islamic Law. In: Yamani, Mai (Hrsg.): Feminism and Islam. Legal and Literary 
Perspectives. Reading 1996. S. 87ff. 
8 Vgl. Paret a. a. O. 2004. 
5
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
In den Suren 33,35; 40,40; 16,97 und anderen werden muslimische Männer und Frauen in 
ihren Taten und Handlungen genau gleich beschrieben und erhalten beide von Gott im 
Jenseits den gleichen Lohn für ihr gottesfürchtiges Leben.9 
Bei Rechtsfragen, die das Weltliche betreffen, besonders in Erb- und Scheidungsfragen, 
gibt es jedoch Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Hier sind Frauen den Männern 
nicht gleichgestellt. So ist der Erbteil weiblicher Nachkommen geringer festgesetzt als der 
männlicher. Weibliche Kinder erhalten nur den halben Erbanteil dessen, was männlichen 
Nachkommen zusteht, Sure 4,11. Wenn ein Ehepartner stirbt, würde der Ehemann 
ebenfalls doppelt so viele erben, wie die Ehefrau beim Tod des Gatten. Sure 4,12. 10 Dabei 
stellt sich die Frage, ob diese diskriminierenden Regelungen eine Verbesserung der Lage 
der Frau im Vergleich zur vor-koranischen Zeit brachten. Viele Hinweise, auch im Koran 
16, 58-61 deuten zumindest darauf hin. Und auch in der Antike wurden Frauen als 
minderwertiger angesehen. Allerdings gibt es auch Hinweise darauf, dass erst durch den 
Koran ein streng partriarchales System auf der arabischen Halbinsel eingeführt wurde. 
Ebenso übernahm Muhammad Sitten und Gebräuche besiegter Stämme. 11 Bisher ist also 
nicht genau geklärt wie die rechtliche und soziale Lage der Frau in vorkoranischer Zeit in 
Arabien war. Für die Frauen einiger Stämme dürfte sie sich durch den Koran verbessert 
haben, für andere verschlechtert. 
El-Sadaawi12 zeichnet ebenfalls ein differenziertes Bild der prä-islamischen Zeit auf der 
arabischen Halbinsel. Zum einen gab es laut ihr sehr viele weibliche Gottheiten, was auf 
eine höhere Stellung der Frau im Allgemeinen hinweist, zum anderen gab es auch viele 
matriarchale Strukturen, vor allem in den nomadischen Stämmen. Deren Frauen waren in 
der Regel sozial wesentlich besser gestellt als Stadtbewohnerinnen, was auch in der 
unterschiedlichen Lebensführung begründet ist. Sogar weibliche Vielehe war möglich und 
in wirtschaftlichen Belangen waren Frauen und Männer gleichgestellt. In der Anfangszeit 
des Islams konnten die Frauen ihre starke Position dann auch weitgehend behaupten, wenn 
auch im Ehe- und Scheidungsrecht des Korans 13 nun verbindliche Regelungen, zum Teil 
zu ihren Ungunsten, geschaffen wurden. Laut el-Sadaawi vertrat der Prophet Muhammad 
eine wesentlich liberalere Einstellung den Frauen gegenüber als seine Zeitgenossen und 
9 Ebd. a.a. O. 
10 Ebd. a. a. O. 
11 Ahmed, Leila: Women and Gender in Islam. Historical Roots of a Modern Debate. New Haven und 
London 1992. S. 35-44. 
12 Saadawi, Nawal El-: The Nawal El Saadawi Reader. London und New York 1997. 
13 Ebd. 1997. S. 74-77. 
6
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
Nachfolger. Unter seinen Nachfolgern, bereits bei den ersten vier rechtgeleiteten Kalifen, 
begann dann aber die Marginalisierung der Frauen im Islam und der Koran wurde mehr 
und mehr dahingegen interpretiert, dass den Männern eine vorrangige Stellung eingeräumt 
wurde.14 
Daneben gibt es Suren, die eindeutig formulieren, dass der Mann über der Frau steht und er 
Verfügungsgewalt über sie besitzt. In Sure 2, 228 heißt es, Frauen und Männer haben sich 
einander gegenüber dieselben Verpflichtungen. Dabei stehen die Männer jedoch bei allem 
eine Stufe über ihnen. Sure 4, 34 wird dabei noch deutlicher. In dieser steht, dass Männer 
über den Frauen stehen, da Gott die Männer ausgezeichnet habe. Ebenfalls ist es den 
Männern erlaubt ihre Frauen zu züchtigen. Diese Sure ist besonders umstritten, da einige 
islamische Gelehrte daraus ableiten, Männer stehen grundsätzlich in allen Dingen über den 
Frauen, auch wenn die Sure die sogenannte „qiwama“, die männliche Führerschaft, nur auf 
das Verhältnis der Geschlechter in der Ehe bezog. 15 
Das Bild welches der Koran von der Frau vermittelt, ist nicht ganze einheitlich und 
teilweise widersprüchlich, wie dieses Kapitel gezeigt hat. Dies ist teilweise der Tatsache 
geschuldet, dass der Koran erst nach und nach offenbart wurde und einige Suren sich auf 
akute Probleme beziehungsweise Fragestellungen an den Propheten beziehen. 16 Insgesamt 
ist die Frau im Koran besser gestellt, als es in den tatsächlichen islamischen Gesellschaften 
dann der Fall war. Dies liegt zum einen an der männlichen Deutungshoheit über den 
Koran, zum anderen an den Hadithen, in denen viele Aussprüche überliefert wurden, die 
die Frauen herabwürdigen. Nicht alle dieser Hadithe sind jedoch wirklich belastbar. 
Dennoch konnten sich die konservativen islamischen Denker mit ihrer Interpretation der 
Rechtsquelle durchsetzen, da diese im Interesse der Herrscher war. 17 All dies führte zur 
Marginalisierung und Benachteiligung der Frauen in der islamischen Rechtssprechung bis 
heute.18 Hinzu kommt die Problematik sogenannter progressiver Muslime, die sich für die 
volle Gleichberechtigung der Geschlechter in islamischen Gesellschaften aussprechen. Sie 
werden in einer Art Zweifrontenkrieg zwischen Orientalismus und Kolonialismus 
aufgerieben. Wobei der Orientalismus oft dem Kolonialismus die Argumente für eine 
Intervention in den muslimischen Gesellschaften aufgrund der angeblichen islamischen 
14 Sadaawi a. a. O. 2005. S. 51-54. 
15 Stowasser, Barbara F.: Women and Citizenship in the Qur`an. In: El-Azhary Sonbol, Amira (Hrsg.): 
Women, the Family. And Divorce Laws in Islamic History. Syracuse 1996. S. 23-38. S. 32f. 
16 Sadaawi, El- a. a. O. 1997. S. 79. 
17 Stowasser a. a. O. 1996. S. 34ff. 
18 Schirrmacher a. a. O. 2006. S. 215f. 
7
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
Unterdrückung der Frauen an die Hand gibt. So kämpfen sie zum einen gegen den 
orientalistischen und kolonialen Diskurs, der die westliche Dominanz mit dem Kampf 
gegen die vorgebliche muslimische Unterdrückung der Frau begründet. Zum anderen 
gegen hierarchische und frauenfeindliche Interpretationen des Korans in vielen 
traditionellen muslimischen Gesellschaften. 19 Das wird auch ein Grund dafür sein, dass 
Fortschritte im Geschlechterverhältnis in islamischen Gesellschaften nur langsam erzielt 
werden. 
2.2 Rechtliche Stellung des Islam in Ägypten 
Laut ägyptischer Verfassung ist der Islam in Ägypten Staatsreligion und die Prinzipien der 
Scharia sind eine Hauptquelle der Rechtssprechung. Das heißt aber nicht, dass Gesetze und 
die Arbeitsweise der Judikative aus der islamischen Scharia direkt hergeleitet werden. 
Gerichte und Rechtssprechung sind seit 1956 säkular. Eine Ausnahme bildet das 
Personenstandsrecht, welches für die Muslime nach wie vor an Bestimmungen der Scharia 
angelehnt ist. Alle anderen Gesetze sollen dennoch laut Verfassung ebenfalls mit den 
Prinzipien der Scharia übereinstimmen, zumindest nicht im klaren Widerspruch dazu 
stehen. Dadurch entsteht eine etwas eigentümliche Situation. Recht und Rechtssprechung 
sind eigentlich säkular, werden aber religiös legitimiert. Dies ist auch der tiefen 
Verankerung des Islam in der ägyptischen Bevölkerung und dem großen Einfluss 
islamistischer Gruppen wie den Muslimbrüdern geschuldet. 20 
Seit den 1970er Jahren gibt es in Ägypten immer wieder Forderungen der Islamisten der 
Scharia wieder mehr Geltung zu verschaffen, beziehungsweise sie wieder einzuführen. 
Teilweise wurden diese Forderungen auch von Gelehrten der religiös gemäßigten al-Azhar 
Universität aufgegriffen. Dem Staat war jedoch nie an einer wirklichen Einführung 
gelegen, da die Konsequenzen unabsehbar gewesen wären. Ebenso stellen sich die 
säkularen Kräfte gegen diese Forderungen. Es muss dabei aber beachtet werden, dass die 
Forderung nach Einführung der Scharia auch immer Ausdruck der Kritik an den 
herrschenden politischen Zuständen und dem Regime beinhaltet. 21 
19 Fadel, Mohammad: Is Historicism a Viable Strategy for Islamic Law Reform? The Case of “Never Shall a 
Folk Prosper Who Have Appointed a Woman to Rule Them”. In: Powers, David S. (Hrsg.): Islamic Law and 
Society. Jahrgang 18. Ausgabe 2. Leiden 2011. S. 132. 
20 Flores, Alexander: Ägypten. In: Ende, Werner und Udo Steinbach (Hrsg.) Der Islam in der Gegenwart. 
Bonn 2005. S. 477-489. S. 479f. 
21 Ebd. a. a. O. 2005. S. 481-483. 
8
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
Im Dezember 2012 wurde gab es ein Referendum für eine neue ägyptische Verfassung 
Ägypten. Es ist bisher noch nicht genau abzusehen in welcher endgültigen Form sie 
Gültigkeit erlangt. Das umstrittene Verfassungsreferendum und dessen positives Ergebnis 
für die neue Verfassung verursachte eine heftige Debatte innerhalb Ägyptens zwischen den 
verschiedenen politischen Lagern.22 
Mit der bisherigen Verfassung klaffen Verfassungsprinzipien und ägyptische Wirklichkeit 
weit auseinander. Zum einen trägt sie noch deutlich sozialistische Züge aus der Ära 
Nassers, zum anderen werden die islamisch religiösen Grundlagen der Gesellschaft betont. 
Hinzu kommt, dass Mubarak die 1981 verhängten Notstandsgesetze nutzte um jegliche 
Opposition zu bekämpfen. Ägypten ist somit ein präsidentielles Regierungssystem, in dem 
der Präsident als Staatsoberhaupt weitreichende Befugnisse bei nahezu keinerlei 
Kontrollinstanzen ihm gegenüber hat.23 
2.3 Überblick von den Anfängen bis heute 
Um die aktuelle Feminismusdebatte in Ägypten analysieren und verstehen zu können ist es 
unerlässlich den Verlauf der feministischen Debatte von den Anfängen bis heute in 
Grundzügen zu kennen. Die generellen feministischen Grundlagen werden in Kapitel 3.1 
Definition Feminismus und verschiedene Strömungen und das Feminismusverständnis von 
Judith Butler in Kapitel 3.2 Feminismusverständnis von Judith Butler dargestellt. 
Die Geschichte des Feminismus in Ägypten lässt sich grob in folgende Phasen unterteilen. 
Die erste Phase ab dem Ende des 19. Jahrhunderts in der sich eine Art „feministisches“ 
Bewusstsein entwickelte. Der Höhepunkt wurde bis zum Jahr 1923 erreicht, dem Jahr der 
formalen ägyptischen Unabhängigkeit von Groß-Britannien. Beim Kampf um diese 
Unabhängigkeit hatte sich die Frauenbewegung stark engagiert. In der nächsten Phase ab 
1923 entstanden viele feministische Organisationen die selbstbewusst für ihre politischen 
Ziele einstanden und auch international tätig waren. Diese Phase endete 1952 mit der 
Revolution der Freien Offiziere unter Nasser. Unter ihm begann die Phase des sogenannten 
Staatsfeminismus. Unabhängige Frauenorganisationen spielten von nun an fast keine Rolle 
mehr. Erst nach dem Nasserismus in den 1970er Jahren konnte sich die Frauenbewegung 
22 Egypt Independent: Egypt's constitution passes with 63.8 percent approval rate. 25.12.2012. Zugang unter: 
http://www.egyptindependent.com/news/egypt-s-constitution-passes-638-percent-approval-rate. Aufruf am 
01.04.2013. 
23 Büttner, Friedemann und Amr Hamzawy: Ägypten. In: Weiss, Walter (Hrsg.): Die Arabischen Staaten. 
Geschichte, Politik, Religion, Gesellschaft, Wirtschaft. Heidelberg 2007. S. 9-31. S. 17-20. 
9
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
neu formieren, allerdings prägten ab den 1980er Jahren zunehmend die Islamisten die 
öffentliche Debatte. 
So etwas wie ein „feministisches“ Bewusstsein entwickelte sich in Ägypten ab etwa Mitte 
des 19. Jahrhunderts unter der Herrschaft Muhammad ‘Alis. Er strebte die Unabhängigkeit 
vom Osmanischen Reich, dem Ägypten damals zumindest formell angehörte, an und 
öffnete Ägypten den europäischen Märkten und Ideen gegenüber. Mit seiner Herrschaft 
trat Ägypten in den Modernismus ein. Unter ihm wurden etliche Infrastrukturprojekte 
angestoßen, Schulen gegründet und das Rechtssystem reformiert. Dieses allerdings zum 
Nachteil der Frauen, denen von nun an Grundbesitz und die Einnahmen daraus untersagt 
waren beziehungsweise erschwert wurden. Der Weg in die Moderne veränderte die 
bisherige Wirtschaftsstruktur stark und Ägypten entwickelte sich zum Exporteur von 
Rohstoffen, in erster Linie Baumwolle, und zum Importeur von Fertigprodukten. Die 
heimischen Industrien und Manufakturen waren mit der britischen nicht konkurrenzfähig. 
Ebenfalls fielen der Beginn der Lohnarbeit und eine verstärkte Landflucht in diese 
Periode.2425 
Die oben angesprochene „feministische“ Bewusstwerdung äußerte sich in einer Reihe von 
journalistischen Beiträgen in verschieden Zeitungen, die hauptsächlich von Frauen der 
Oberklasse und der oberen Mittelklasse geschrieben wurden. Diese Frauen hatten oft eine 
Ausbildung durch europäische Lehrerinnen erhalten und waren durch diese beeinflusst 
worden. Zudem trafen sie sich nach europäischen Vorbild in sogenannten Salons zum 
Gedankenaustausch.26 
Margot Badran sieht ihn Qasim Amins Werk Tahrir al-mar’a (Die Befreiung der Frau)27, 
veröffentlicht 1899, den Durchbruch in der feministischen Debatte in Ägypten. Laut 
Badran fasste er den aufgesplitterten Diskurs zusammen und gilt somit auch als „Vater des 
ägyptischen Feminismus“. Er richtete sich in seinem Buch jedoch in erster Linie an die 
ägyptischen Männer, denen er aufgrund ihrer Rückständigkeit die Schuld an der 
24 Badran, Margot: Feminists, Islam, and Nation. Gender and the Making of Modern Egypt. Princeton 1995. 
S. 4-7. 
25 Vgl. Ahmed a. a. O. 1992. S 127-134. 
26 Badran, Margot: Independent Women. More Than a Century of Feminism in Egypt. In: Tucker, Judith E.: 
Arab Women. Old Boundaries, New Frontiers. Washington DC 1993. S. 129-148. S. 132f. 
27 Vgl. Amin, Qasim: The Liberation of Women and The New Woman. Two Documents in the History of 
Egyptian Feminism. Kairo 2005. 
10
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
Unterentwicklung der Ägyptischen Gesellschaft gab. Er forderte Frauenbildung und 
weitgehende soziale Gleichstellung der Frau. 28 
Ein Jahr später veröffentlichte er das Buch al-mar’a al-jadida (Die neue Frau)29 als 
Antwort auf die zahlreichen Kritiken auf sein erstes Buch. Das zweite Buch war noch 
pro-westlicher als das erste, in dem er deutlich von islamischen Modernisten, wie zum 
Beispiel Muhammad Abduh oder Rashid Rida, beeinflusst war. Auch in diesem Werk 
forderte er Frauenbildung und sprach sich dazu noch deutlicher gegen den Schleier und für 
eine Teilhabe der Frauen am öffentlichen Leben aus. 30 
Leila Ahmed hingegen steht Qasim Amin äußerst kritisch gegenüber. Sie sieht in der 
Argumentation Amins eine Übernahme der kolonialen Sicht der Briten auf die Ägypter. 
Amin gehe es nicht um die Befreiung der Frau, sondern um die Übernahme britischer 
Werte und Kultur, in der die Frau ebenfalls unterdrückt ist. Eine kritische Reflexion der 
britischen Kultur und Gesellschaftsordnung fände bei Amin nicht statt. Vielmehr sei der 
von ihm geforderte „Feminismus“ die Übernahme kolonialistischer Argumente zur 
Legitimation der britischen Herrschaft in Ägypten, in dem alles Britische modern und gut 
ist, alles Ägyptische das Schlechte verkörpere. Eines der Hauptargumente Amins bildet die 
angebliche Rückständigkeit der ägyptischen Männer, anhand derer die Unterdrückung der 
Frauen festgemacht wird. Besonderes Augenmerk richtet er, genau wie die Kolonialisten 
und christlichen Missionare, dabei auf den Schleier, der als Symbol der 
Frauenunterdrückung und Rückständigkeit der ägyptisch-muslimischen Gesellschaft 
herhalten müsse. Im Endeffekt fordere Amin, wenn auch möglicherweise unbewusst, die 
Ersetzung der muslimischen patriarchalen Dominanz durch die westliche männliche 
Dominanz, so Ahmed. Immerhin entstand durch die kritische Rezeption Amins Werke eine 
Diskussion über die Rolle der Frau in Ägypten. Ahmed spricht ihm jedoch ab der „Vater 
des ägyptischen Feminismus“ sein, sie nennt ihn dagegen einen „Sohn Cromers“, dem 
Generalkonsul Ägyptens zur Zeit Amins. Ägypten war 1882 endgültig britische Kolonie 
geworden.31 Zudem gibt es starke Hinweise, dass Teile seines Buches von anderen Autoren 
28 Badran, Margot: Feminism in Islam. Secular and Religious Convergences. Oxford 2009. S. 55ff. 
29 Vgl. Amin a. a. O. 2005. 
30 Stowasser, Barbara F.: Women´s Issues in Modern Islamic Thought. In: Tucker, Judith E: (Hrsg.): Arab 
Women. Old Boundaries, New Frontiers. Washington DC 1993. S. 3-28. S 10f. 
31 Ahmed a. a. O. 1992. S. 155-165. 
11
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
wie Muhammad Abduh und Ahmad Lutfi al-Sayyid verfasst wurden, ohne dass dies 
kenntlich gemacht worden wäre. 32 
El-Sadaawi wiederum bewertet Qassim Amins Werke positiv, sieht aber in Ahmed Fares` 
Buch „One leg Crossed Over the Other“ von 1855 das erste ägyptische Werk, welches sich 
mit der Emanzipation der Frauen beschäftigt. Die Ideen Amins waren damit Teil einer 
allmählichen Entwicklung, die ihre Fortsetzung bei vielen Autorinnen und Autoren fand. 
Im Gegensatz zu der Einschätzung von Leila Ahmed ist el-Sadaawi der Meinung Qassims 
Argumentation sei strikt an den Islam und nicht an westliche Ideen gebunden. 33 Beide 
Autorinnen widersprechen sich damit deutlich in der Einschätzung der Bedeutung Amins 
für die ägyptische Frauenbewegung. 
Interessanterweise beginnt das Erwachen eines weiblichen oder „feministischen“ 
Bewusstseins in Ägypten ungefähr mit dem Beginn der Kolonialisierung durch die Briten. 
Diese benutzten die Behauptung, die islamische Gesellschaft würde im Gegensatz zur 
westlichen beziehungsweise viktorianischen, die Frau unterdrücken, für ihre Zwecke. Das 
heißt, um die Überlegenheit der eigenen Kultur zu beweisen und als Legitimation für die 
Kolonialisierung Ägyptens zu benutzen. Die Unterdrückung der ägyptischen Frau könne 
durch die Übernahme der westlichen Kultur überwunden werden. Der Schleier verkörperte 
darin das Symbol der überholten und rückständigen Lebensweise der Ägypter schlechthin. 
Westliche Feministinnen übernahmen die verfälschten und politisch gesteuerten 
Behauptungen in Bezug auf die islamische Gesellschaft und den Kampf gegen den 
Schleier. Das Modell in dem der Islam den Unterdrücker der Frau verkörpert und der 
Westen den Befreier, hat ebenfalls seit dieser Zeit, auch bei westlichen Feministinnen, 
Bestand. Auch die Schleierdebatte dauert bis heute an. Gerade dadurch untergräbt der 
Feminismus seine Glaubwürdigkeit in den islamischen Ländern, da er sich zum 
willfährigen Vehikel des Kolonialismus gemacht hat, was den feministischen Diskurs in 
der arabisch-islamischen Welt bis heute prägt. Dadurch rückt der Kampf um die 
Frauenbefreiung in die Nähe eines Kampfs der Kulturen. Ein Kulturkampf hat jedoch, im 
Gegensatz zum Kampf um Gleichberechtigung, keine Berechtigung, so Leila Ahmed. Es 
sei richtig, dass die ägyptischen Frauen unterdrückt waren und bis heute sind, das gilt 
jedoch auch für die Frauen in beinahe allen Kulturen gleichermaßen. Insbesondere für das 
viktorianische Groß-Britannien der vorletzten Jahrhundertwende. 34 
32 Badran a. a. O. 1995. S. 18. 
33 Saadawi, Nawal El-: The Hidden Face of Eve. Women in the Arab World. London und New York 2007. S. 
253ff. 
34 Ahmed a. a. O. 1992. S. 165-168. 
12
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
Die Autorin Cathlyn Mariscotti35 macht ebenfalls auf die verzerrte Wahrnehmung der 
ägyptischen Frauen durch westliche Feministinnen, aber auch Wissenschaftler und 
Wissenschaftlerinnen aufmerksam, die bis heute andauert. Sie kritisiert die 
„Orientalisierung“ der Ägypterinnen und sagt, dass sie als Abgrenzungs- und 
Projektionsfläche missbraucht werden. Sie sind alles das, was die westlichen Frauen nicht 
sein wollen. Nämlich unterdrückt, nicht gleichberechtigt und marginalisiert. Zusätzlich 
stellt sie fest, dass vorrangig die Lage von Frauen der Ober- und Mittelschicht analysiert 
wird, die der unteren Schichten, welche aber die Mehrheit darstellen, dabei nur wenig 
Beachtung findet. Dies hängt laut ihr mit dem bourgeoisen Feminismus des späten 19. und 
frühen 20. Jahrhunderts zusammen, in dem sich Feministinnen nur mit den Frauen ihrer 
Klasse beschäftigten und den Kontakt zu den unteren Klassen mieden. 36 
Zu Anfang des 20.Jahrhunderts traten in Ägypten immer mehr weibliche feministische 
Autorinnen in Erscheinung, unter ihnen prominente Vertreterinnen wie Hifni Nāsif 37, 
Zaynab Fawwāz38 und Huda Shaarawi 39 die eine größere Öffentlichkeit erreichten. 
Zeitgleich nahmen die anti-britischen Strömungen und die Forderung nach nationaler 
Unabhängigkeit zu. Dabei kam es zu teilweise harten Gegenmaßnahmen der britischen 
Besatzungsmacht, die oft mehrere ägyptische Todesopfer forderten. Im Streben nach 
Unabhängigkeit, besonders in der nationalen Revolution nach dem Ende des Ersten 
Weltkrieges von 1919 bis 1922, wurden die weiblichen Aktivistinnen von verschieden 
Parteien, auch den Islamisten, hofiert und gingen mit ihnen temporäre Allianzen ein, 
obwohl ihre Ziele nur teilweise deckungsgleich waren. Feminismus und die Frauenfrage 
wurden wieder einmal für ein anderes Ziel instrumentalisiert, diesmal für die nationale 
Unabhängigkeit Ägyptens. Die speziellen Belange der Frauen mussten bei den „höheren“ 
Zielen hinten anstehen, ein Muster das sich in der ägyptischen Geschichte bis heute immer 
wieder findet.40 
35 Mariscotti, Cathlyn: Gender and Class in the Egyptian Women´s Movement, 1925-1939. Syracuse 2008. 
36 Mariscotti a. a. O.2008. S. 3-6. 
37 Hifnī Nāşif. Malik: Über die ägyptische Frauenfrage. Aufsätze von Melek Hifnī Nâcif. Konstantinopel 
1926. 
38 Vgl. Bräckelmann, Susanne: „Wir sind die Hälfte der Welt!“ Zaynab Fawwāz (1860-1914) und Malak 
Hifnī Nāsif (1886-1918)-zwei Publizistinnen der frühen ägyptischen Frauenbewegung. Würzburg 2004. 
39 Vgl. Lanfranchi, Sania Sharawi. Herausgegeben von King, John Keith: Casting off the Veil. The Life of 
Huda Shaarawi. Egypt´s First Feminist. London und New York 2012. 
40 Badran, Margot: Feminism in Islam. Secular and Religious Convergences. Oxford 2009. S. 21ff. 
13
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
Dennoch waren die Jahre von 1900 bis 1923 vitale Jahre für die ägyptische 
Frauenbewegung und ihr Anliegen wurde in der Öffentlichkeit diskutiert. Dadurch trauten 
sich auch mehr Frauen den Schleier abzulegen, etliche Frauenorganisationen wurden 
gegründet und die Frauenbewegung erreichte einen höheren Organisationsgrad als je 
zuvor. Zusätzlich beteiligten sich Frauen nahezu aller Schichten in unterschiedlicher Form 
am Kampf gegen die britische Besatzung. Trotz der Beteiligung von Frauen aus den 
unteren Schichten, wurde der feministische Diskurs weiterhin durch Aktivistinnen und 
Aktivisten aus den höheren Schichten bestimmt und orientierte sich dabei am westlichen 
liberalen Vorbild.41 
Badran sieht im Jahr 1923 eine Zäsur in der Geschichte des ägyptischen Feminismus. Ab 
Mitte des 19.Jahrhunderts war ein weiblich-feministisches Bewusstsein entstanden welches 
sich aber mehr in der öffentlichen als in der privaten Sphäre niederschlug. 1923, ein Jahr 
nach der formellen aber eingeschränkten Unabhängigkeit von Groß-Britannien, entstanden 
zahlreiche feministische Organisation, wie die Egyptian Feminist Union (EFU), und die 
Aktivistinnen begannen sich nun auch öffentlich als Feministinnen zu bezeichnen. Diese 
zweite Phase des ägyptischen Feminismus wird wiederum in mehrere Phasen unterteilt. 
Eine radikal liberale Phase von 1920 bis in die 1940er Jahren. Populistischer Feminismus 
ab Ende der 1940er bis in die 1950er Jahre, welche dann stark vom Nasserismus geprägt 
waren. Den sexuellen Feminismus der 1960er und 1970er Jahre sowie den wieder 
erstarkten Feminismus der 1980er. 42 Diese Phasen werden im weiteren Verlauf des 
Kapitels übersichtsartig dargestellt. 
Der Grund für das veränderte Auftreten der feministischen Aktivistinnen ist vor allem in 
der ägyptischen Verfassung von 1923 begründet. Darin wird den Frauen das Wahlrecht, 
trotz ihres aktiven und letztendlich erfolgreichen Kampfes gegen die Besatzung und für die 
nationale Unabhängigkeit an der Seite der Männer und innerhalb der Parteien, 
verweigert.43 Dadurch gerieten die Feministinnen aus den elitären Schichten in eine 
Zwickmühle. Zum einen waren sie enttäuscht dass die feministische Agenda keinen 
Eingang in die säkularen Gesetze gefunden hatte, zum anderen profitierten sie nach wie 
vor von ihrer Zugehörigkeit zur hegemonialen sozialen Klasse. So stehen sie einerseits 
über den Frauen niedrigerer Klassen, was ihre soziale Lage und ihren Einfluss auf die 
politischen Entscheidungen betrifft, zum anderen waren sie rechtlich genau so schlecht 
gestellt wie diese, da für sie nach wie vor das traditionelle islamische Familienrecht galt. 
14 
41 Ahmed a. a. O. 1992. S. 169-175. 
42 Badran a. a. O. 2009. S. 118. 
43 Ahmed a. a. O. 1992. S. 176f.
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
Dennoch waren sie durch ihre finanzielle Lage privilegiert und hatten ungleich mehr 
Lebenschancen und Optionen als die Frauen der unteren Schichten, die bei Weitem die 
Mehrheit der weiblichen Bevölkerung darstellten. Wie bereits oben angesprochen waren es 
die Frauen der Oberschicht, welche den feministischen Diskurs und das Agendasetting 
beherrschten, den Frauen der Unterschicht mangelte es dazu an Bildung und 
Artikulationsmöglichkeiten.44 
Da den Aktivistinnen direkte aktive Teilnahme an der Politik durch das fehlende 
Wahlrecht nicht möglich war, gründeten sie, wie bereits angesprochen, Frauenvereine und 
Organisationen, gaben Zeitungen heraus, organisierten Veranstaltung und bemühten sich 
um Bildungs- und Gesundheitsprojekte. Dabei gab es immer wieder personelle 
Überschneidungen, Abspaltungen und Neugründung quer durch das politische und 
religiöse Spektrum. Dies hielt bis zur Revolution der sogenannten Freien Offiziere, unter 
ihnen Nasser, 1952 an. Nachdem dieser seine Macht im Revolutionäre Kommandorat bis 
1954 konsolidiert hatte, wurde nach und nach jegliche Opposition ausgeschaltet. Die 
feministischen Gruppen wurden ebenfalls entweder aufgelöst oder unter Führung des 
Kommandorates im Sinne des Nasserismus, oft unter anderem Namen und personeller 
Leitung, weitergeführt. Der Nasserismus sollte in seinem sozialistischen Selbstverständnis 
allen Ägyptern, also auch den Frauen, Fortschritt bringen. So wurde 1956 schließlich das 
Frauenwahlrecht, welches seit über 30 Jahren von den Aktivistinnen gefordert wurde, 
eingeführt. Auch erhielten sie unbeschränkten Zugang zu den Universitäten, was zu einem 
deutlichen Anstieg der Anzahl weiblicher Studentinnen führte. Das alte 
Personenstandsrecht, welches Frauen benachteiligte, blieb jedoch unangetastet. Frauen 
hatten nun zwar die vollen politischen Rechte, das patriarchale System hatte in der 
Gesellschaft dennoch fast unverändert Bestand. Nasser konnte und wollte dies nicht 
antasten.45 Der fortdauernden Kampf feministischer Aktivistinnen und Organisationen 
gegen das patriarchale System beschränkte sich dabei nicht nur auf Ägypten, wenn auch 
dieser vorrangig war und als nationalistischer Kampf gegen die teilweise immer noch 
bestehende Besatzung verstanden wurde, sondern sie beteiligten sich auch an 
internationalen Frauenkongressen und an internationalen Frauenorganisationen. Das 
Verhältnis zwischen den arabischen und westlichen Feministinnen blieb aber stets 
gespannt und durch den Kolonialismus belastet. Arabische Feministinnen wurden von 
ihren internationalen Schwestern von oben herab behandelt und galten als unemanzipiert 
im Vergleich zu ihrem westlichen Pendant. Dies verstärkte sich durch die Gründung Israels 
15 
44 Mariscotti a. a. O. 2008. S. 38f. 
45 Badran a. a. O. 2009. S. 125-129.
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
1948 und der daraus entstehenden Palästinenserfrage nach dem Zweiten Weltkrieg, so dass 
die arabischen Aktivistinnen sich mehr auf einen pan-arabischen Feminismus verlagerten, 
da die westlichen Feministinnen unreflektiert die Position des neuen israelischen Staates 
vertraten. Ab diesem Zeitpunkt konzentrierten sich die Aktivistinnen auf Projekte im 
arabischen Raum.46 
Mit der Revolution im Jahr 1952 endete die Phase des radikalen Feminismus in Ägypten 
und die Phase des populistischen beziehungsweise staatlich gesteuerten Feminismus 
begann. Dieser brachte den Frauen zwar einige Fortschritte wie das Wahlrecht, bessere 
Bildungsmöglichkeiten und mehr Zugangschancen zum Arbeitsmarkt auf der einen Seite, 
zeichnete sich aber auch durch das Verbot aller unabhängigen Frauenorganisationen aus. 
Daran wird ersichtlich, dass die Frauenförderung in erster Linie dem nasseristischen 
Regime zu Gute kommen sollte. Engagierte Frauenrechtlerinnen waren somit gezwungen 
sich entweder den staatlichen Vorgaben anzupassen oder ihre Arbeit im Verborgenen 
fortzusetzen, was viele auch taten. Die vom Staat vorzuweisenden Erfolge weckten bei 
vielen Aktivistinnen jedoch auch Hoffungen auf eine bessere Zukunft. Rechtlich änderte 
sich in dieser Zeit, wie bereits erwähnt, bis 1962 wenig. 1962 wurden in der Nationalen 
Charta der pan-arabische Charakter Ägyptens und die Forderung nach sozioökonomischer 
Entwicklung hervorgehoben. Gleichzeitig wurde die Gleichberechtigung von Männern und 
Frauen postuliert und die Rolle der Frau als konstruktiv und wichtig für die Entwicklung 
beschrieben. Ein erster zögerlicher staatlicher Versuch die Macht des Patriarchats zu 
brechen. Gleichzeitig garantierte der Staat Chancengleichheit für alle Ägypter, diese 
Chancengleichheit gab es in der Realität jedoch nicht. 47 
Insgesamt blieb der staatliche Feminismus halbherzig. Profiteurinnen waren vor allem 
Frauen der urbanen gebildeten Mittelschicht, für die weibliche Landbevölkerung hingegen 
änderte sich nur wenig an ihren harten Lebensbedingungen. Aber auch die gebildeten 
urbanen Frauen waren von Führungspositionen in Politik und Wirtschaft, bis auf wenige 
Ausnahmen, die propagandistisch ausgeschlachtet wurden, faktisch ausgeschlossen. Frauen 
waren in ihren Karrieren den Männern immer untergeordnet, ebenso waren deutliche 
Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern bei gleicher Arbeitsleistung normal. 
Generell bestand in dieser Zeit eine dualistische Einstellung zu den Geschlechtern, dem 
Maskulinen wurde Führungskraft und Autorität zugesprochen, das Weibliche wurde als 
dessen Gegenteil konstruiert und als dem Maskulinen untergeordnet betrachtet. Dies war 
16 
46 Badran a. a. O. 1995. S. 108ff. 
47 Badran a. a. O. 2009. S. 32-38.
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
zwar nicht offizielle Politik des Regimes, wurde aber durch dessen patriarchale 
Führungsstrukturen deutlich und spiegelte sich auch in der Gesellschaft wider. 48 
Dennoch kann Ägypten für die Zeit des Arabischen Sozialismus unter Nasser und seinen 
Nachfolgern auf vielen anderen Bereichen Erfolge in der Modernisierung des Staates, 
insbesondere bei der Bildung vorweisen, auch wenn viele Ziele bis heute nicht erreicht 
sind. So besuchten 1952 gerade einmal 45 Prozent der Kinder die Grundschule, 1967 
waren es bereits 80 Prozent. An den Universitäten kamen 1953 auf eine Studentin 13,2 
Studenten. 1967 lag diese Rate nur noch bei 1,8. Dies schlug sich auch auf dem 
Arbeitsmarkt nieder. Beim Kampf gegen das Analphabetentum scheiterte Ägypten 
dagegen. 1976 waren immer noch 43 Prozent der männlichen und 71 Prozent der 
weiblichen Bevölkerung Analphabeten. Bei der Analphabetenrate bestand weiterhin ein 
deutlicher Unterschied bei den Geschlechtern. Es wurde also nicht erreicht diesen 
Gender-Gap, vor allem bei der Bildung und der politischen Teilhabe, zu schließen. 49 
Der Schleier, an dem sich etliche Debatten zwischen Traditionalisten und Modernisten 
während der britische Besatzung Ägyptens von 1882 bis 1954 entzündet hatten (siehe 
oben) verschwand in der Ära Nassers nahezu vollständig aus der Öffentlichkeit. Auch weil 
Nasser erfolgreich den Einfluss der islamistischen Muslimbrüder, welche für ihn eine der 
gefährlichsten Oppositionsgruppen darstellte, durch rigides Vorgehen zurückdrängen 
konnte. Hinzu kam, dass viele Frauen von seinen sozialistischen Bildungsprogrammen, der 
zunehmenden Teilhabe an der Lohnarbeit, der politischen Gleichstellung und der 
weitgehenden Gleichberechtigung profitierten. Erst mit der, als arabische Katastrophe 
empfundenen, Niederlage im Sechs-Tage-Kriege gegen Israel 1967 sollte sich das wieder 
ändern. Diese Niederlage demaskierte quasi das Regime mit all seinen Schwächen, machte 
Korruption und politische Unfähigkeit der politischen Führung deutlich und stärkte 
dadurch die religiösen und islamistischen Kräfte. Unter Nassers Nachfolger Sadat und 
dessen Politik verstärkte sich dieser Trend noch weiter. 50 
Anwar Sadat, der Nachfolger Nassers, brach mit dem nasseristischen Sozialismus und 
betrieb seine Politik der Öffnung, auch „Politik der offenen Tür“ genannt. Dabei öffnete er 
48 Hatem, Mervat F.: Secularist and Islamist Discourses on Modernity in Egypt and the Evolution of the 
Postcolonial Nation-State. In: Haddad, Yvonne Yazbeck und John L. Esposito (Hrsg.): Islam, Gender, and 
Social Change. New York u. a. 1998. S. 85-99. S. 87ff. 
49 Ahmed a. a. O. 1992. S. 210f. 
50 Fathi-Rizk, Nazli: The veil. Religious and historical foundations of the modern political discourse. In: 
Sadiqi, Fatima und Moha Ennaji (Hrsg.): Women in the Middle East and North Africa. Agents of Change. 
London und New York 2011. S. 15-35 S. 17-21. 
17
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
der westlichen Wirtschaft die Märkte Ägyptens bedingungslos, was zu einer Schwemme 
westlicher Produkte und Handelsketten führte. Gleichzeitig reichte er den religiösen 
Kräften wie den Muslimbrüdern die Hand und lockerte die unter Nasser herrschenden 
Restriktionen. Die Islamisten wussten die neue Lage auszunutzen und bauten ihren 
gesellschaftlichen Einfluss massiv aus, so dass Sadat später nicht mehr in der Lage war die 
islamistischen Kräfte so zu kontrollieren, wie er es zu Anfang erhofft hatte. Der 
gesellschaftliche Einfluss der Muslimbrüder erstreckte sich dabei auch auf die Frauen und 
die sichtbare Religiosität in der Öffentlichkeit nahm wieder zu. Sadats Ehefrau Jihan 
hingegen drängte im Hintergrund auf die weitere Verbesserung der Lage der Frauen. In der 
neuen Verfassung von 1971 schlug sich dies dann in der Passage nieder, in welcher die 
Diskriminierung auf Grund des Geschlechts als unzulässig bezeichnet wurde. 51 In diese 
Zeit fällt auch der Beginn der Geschlechterdebatte in Ägypten oder die Zeit des sexuellen 
Feminismus wie ihn Badran bezeichnet. Vorreiterin war hier Nawal el-Saadawi. Saadawi 
prangerte in ihren Werken nicht nur die weibliche Genitalverstümmelung an, sondern 
machte die sexuelle Dominanz der Männer über die Frauen in allen sozialen Schichten 
deutlich.52 
Die Regierungszeit Sadats und die feministische Debatte zu dieser Zeit bewegten sich 
generell im Spannungsfeld zwischen den wachsenden westlichen Kultur- und 
Wirtschaftseinflüssen, dem Wiedererstarken der islamistischen Kräfte, dem Kampf um den 
Körper der Frau sowie der Forderung nach einem säkularen Personenstandsrecht. 5354 
In den 1980er Jahren trat der Feminismus in Ägypten wieder verstärkt in die 
Öffentlichkeit. Erneut war es Saadawi die eine neue feministische Gruppe, die Arab 
Women`s Solidarity Association (AWSA)55, gründete. Ebenso entstanden andere Gruppen, 
welche genau wie AWSA ebenfalls Zeitschriften herausgaben. Zwei Gruppen von 
Aktivistinnen lassen sich unterscheiden. Zum einen junge Frauen die in der 
Studentenbewegung aktiv waren, zum anderen Frauen in ihren 40er und 50er Jahren, 
welche sich innerhalb bestimmter Projekte engagierten. Daneben existierten noch weitere 
informelle unregistrierte Gruppierungen. Die Motivation sich für Frauenrechte einzusetzen 
51 Badran a. a. O. 2009. S. 39ff. 
52 Ebd. a. a. O. 2009. S. 130ff. 
53 Haddad, Yvonne Yazbeck: Islam and Gender: Dilemmas in the Changing World. In: Haddad, Yvonne 
Yazbeck und Esposito, John L. (Hrsg.): Islam, Gender, and Social Change. New York u. a. 1998. S. 3-2. S. 
7f. 
54 Ahmed a. a. O. 1992. S. 214. 
55 Vgl. www.awsa.net. Aufruf am 30.03.2013 
18
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
war weit gestreut. Sie reichte von der Friedensbewegung, zum Beispiel gegen den 
israelischen Einmarsch in den Libanon 1982, bis zu Organisationen die für bessere 
Arbeitsbedingungen für Frauen kämpften und die Einhaltung der garantierten Rechte 
forderten. Das Klima den Feministinnen gegenüber war eher abweisend bis feindlich, 
sowohl von islamistischer als auch von staatlicher Seite aus. 56 
Gleichzeitig nahm in den 1980er Jahren die Verschleierung in Ägypten massiv zu, was 
verschiedene Ursachen und Gründe hatte. Anfang der 1980er war in Ägypten ein stiller 
Wandel zu einem neuen Lebensstil im Gange. Dies äußerte sich auch in einer bei den 
Frauen durch den Schleier nach außen hin getragenen sichtbaren Religiosität. Wobei sich 
zeigte, dass verschleierte Frauen nicht unbedingt gläubiger waren als unverschleierte, viel 
mehr hatten sie ein etwas anderes Verständnis von Religiosität. Ein weiterer Grund war die 
weit verbreitete Tatsache, dass unverschleierte Frauen in der Öffentlichkeit sehr oft 
sexueller Belästigung ausgesetzt waren, da sie als unmoralisch und „leicht zu haben“ 
galten. Der Schleier diente somit auch dem Schutz vor zudringlichen Männern oder wurde 
von den Ehemännern eingefordert, die sich um ihre Ehefrauen sorgten. Die Motivation den 
Schleier anzulegen änderte sich langsam im Laufe des Jahrzehnts. Zu Anfang war es eher 
eine freiwillige Entscheidung der Frauen den Schleier zu tragen, eine Art 
Modeerscheinung. Wie in dieser Arbeit bereits erwähnt, war die Verschleierung in 
Ägypten in den letzten 150 Jahren einem ständigen Wechsel unterworfen. Zu Ende des 
Jahrzehnts wurde der Einfluss der Islamisten, insbesondere der der Muslimbrüder, jedoch 
immer deutlicher. Diese setzten den Schleier in der Öffentlichkeit wieder durch. 57 
Die Islamisten machten sich dabei die finanzielle und gesellschaftliche Lage der Frauen zu 
nutze und boten Serviceleistungen wie beispielsweise kostenlose Bustransporte nur für 
Frauen zur Universität an. Diese Serviceleistungen standen allerdings nur Frauen in 
„islamischer“ Kleidung zur Verfügung. Zudem wurde „islamische“ Kleidung, wie der 
bodenlange Mantel und der Schleier, kostenlos oder für sehr wenig Geld verteilt. Für die 
Islamisten war das Wiederauftauchen des Schleiers auch öffentlich sichtbares Zeichen für 
die Stärke ihrer Bewegung. Dementsprechend viele Anstrengungen unternahmen sie für 
die Verbreitung des Schleiers. Generell wuchs ihr Einfluss in Gesellschaft und Staat. Somit 
wuchs auch der islamistische Einfluss in der Politik und dadurch insbesondere in den 
Schulen, so dass bereits viele junge Mädchen den Schleier anlegten. Auffällig ist, dass 
56 Badran a. a. O. 2009. S. 132ff. 
57 Ahmed, Leila: A Quiet Revolution. The Veil´s Resurgence, from the Middle East to America. New Haven 
und London 2011. S. 117-130. 
19
2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 
besonders jüngere gebildete Frauen verstärkt den Schleier trugen, ältere Frauen lehnten 
dies häufig ab, da sie lange dafür gekämpft hatten den Schleier ablegen zu können. 58 
Die Meinungen über die Beurteilung der Geschichte des Feminismus in Ägypten gehen 
auseinander. Margot Badran zeichnet in ihren Untersuchungen, die auch für dieses Kapitel 
verwendet wurden, ein recht positives Bild eines eigenständigen ägyptischen Feminismus 
über Klassengrenzen hinweg. 59 Leila Ahmed dagegen ist wesentlich kritischer und spricht 
zumeist von einem elitären, von westlichen Ideen geprägten, Feminismus in Ägypten. 60 
Festzuhalten bleibt der ereignisreiche, wechselhafte und teilweise erfolgreiche, teilweise 
gescheiterte Kampf der ägyptischen Frauen um ihre Rechte und ihren gleichberechtigten 
Platz in der Gesellschaft. 
Dabei müssen sich die Belange der Frauen bis heute denen der Männer, der Nation und der 
staatlichen Entwicklung unterordnen. Zudem zeigen sich die ägyptischen Männer resistent 
gegen die Neudefinierungen von Geschlecht und Geschlechterrollen und verweigern den 
Frauen damit die Gleichberechtigung. Zwar eroberten die Frauen besonders nach 1952 den 
öffentlichen Raum, in der Arbeitswelt, zumindest in der Lohnarbeit und bei der politischen 
Repräsentation sind sie dennoch deutlich unterrepräsentiert. Die Sphäre der Frau bleibt 
nach wie vor der Haushalt und die Kindererziehung. Durch diese sozialen Normen 
eingeschränkt, bleibt den Frauen oft nur gewerbliche Kleinarbeit von zu Hause aus, da sie 
in anderen Bereichen nicht akzeptiert werden und dort oft Opfer männlicher Attacken 
werden. Die Unterstützung der politischen Parteien für mehr Partizipation ist ebenfalls 
entweder äußerst dürftig oder überhaupt nicht vorhanden. 61 
Insgesamt verläuft die Geschichte des Feminismus in Ägypten typisch für ein 
kolonialisiertes Land der Dritten Welt. Chong-Sook Kang und Ilse Lenz 62 beschreiben 
folgenden Verlauf: 
Durch das gewaltsame Eintreten in die Weltwirtschaft und die industriekapitalistische 
Entwicklung durch den Kolonialismus wird die bisherige Wirtschafts- und Sozialstruktur 
58 Ebd. a. a. O. 2011. S. 131-141. 
59 Vgl. Badran a. a. O. 2009 und a. a. O. 1995. 
60 Vgl. Ahmed a. a. O. 1992. 
61 Ragheb Awad, Hoda: The legal status of women in Egypt. Reform and social inertia. In: Sadiqi, Fatima 
und Moha Ennaji: Women in the Middle East and North Africa. Agents of Change. London und New York 
2011. S. 129-146. S. 138ff. 
62 Kang, Chong-Sook und Ilse Lenz: „Wenn die Hennen krähen…“. Frauenbewegungen in Korea. Münster 
1992. 
20
3. Theoretische Grundlagen 
erschüttert. Dabei bilden sich politische Bewegungen von Frauenbewegten, die gegen die 
ungleichen Bildungschancen und die Selbstprivilegierung der Männer durch Kodifizierung 
patriarchalischer Traditionen in modernem Recht kämpften. Diese Bewegungen formieren 
sich dann im frühen 20. Jahrhundert zu antikolonialen und demokratischen Bewegungen. 
Im Zuge der Neuen Sozialen Bewegungen bilden sich ab den 1960er Jahren dann 
breitgefächerte Frauenbewegungen mit unterschiedlichen Forderungen nach Machtbildung, 
gegen misogyne Gewalt und gegen sexuelle Unterdrückung. Diese Phase trat durch den 
Staatsfeminismus unter Nasser in Ägypten erst nach dessen Tod in den 1970er Jahren ein. 
Lenz sieht in der Frauenbewegung eine Antwort auf die Krisen der Modernisierung, die je 
nach Kultur und Angehörigkeit zu Zentrum oder Peripherie des kapitalistischen 
Weltsystems, unterschiedlich wahrgenommen und bekämpft werden. Die Frauen der 
Dritten Welt übernehmen deshalb nur bestimmte westliche Feminismuskonzepte und 
ergänzen diese mit eigenen um neue Synthesen zu schaffen. Frauen der Dritten Welt 
bekämpfen dabei nicht nur das Patriarchat und die Armut sondern ungleiche internationale 
Macht- und Handelsbeziehungen.63 
Es gibt in der Geschichte des ägyptischen Feminismus Parallelen zur Geschichte des 
westlichen Feminismus, aber auch viele Eigenheiten, welche der Kultur und der 
islamischen Religion geschuldet sind. Wie die sich aktuelle Feminismusdebatte in Ägypten 
gestaltete wird in Kapitel 7 Thesen dargestellt. 
3. Theoretische Grundlagen 
3.1 Definition Feminismus und verschiedene Strömungen 
Wie in der Einleitung und Fragestellung erläutert, soll im Hauptteil die aktuelle 
Feminismusdiskussion in Ägypten dargestellt werden. Dafür muss erst definiert werden, 
was in dieser Arbeit unter Feminismus verstanden wird. Dafür wird eine Übersicht über die 
verschiedenen Denkrichtungen und historischen Etappen gegeben, die sich zum großen 
Teil auch in der Historie des Feminismus in Ägypten wiederfinden. Zudem werden einige 
Definitionen angeführt und dargestellt, welche Feminismusdefinition in dieser Arbeit 
verwendet wird. In Kapitel 3.2 Feminismusverständnis von Judith Butler wird das Modell 
Judith Butler etwas näher erläutert. Die Geschichte der Frauenbewegung in Ägypten wird 
in einem eigenen Kapitel behandelt (siehe Kapitel 2.1 Überblick von den Anfängen bis 
heute). 
21 
63 Ebd. a. a. O. 1992. S. 16f.
3. Theoretische Grundlagen 
Über den zeitlichen Beginn der Frauenbewegung beziehungsweise des Feminismus gehen 
die Meinungen auseinander. Hodgson-Wright 64 zählt bereits englische Schriften aus dem 
16. Jahrhundert, die sich mit dem Patriarchat beschäftigen zu den Anfängen der 
Frauenbewegung.65 
Für Barbara Holland-Cunz beginnt der moderne Feminismus mit der Französischen 
Revolution von 1789. Besonders hebt sie hierbei der Beitrag von Olympe de Gouges und 
ihre „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ 66 vor, in dem sie die volle 
Gleichberechtigung von Mann und Frau fordert. Diesen revolutionären Anspruch musste 
sie im Jahr 1793 mit dem Tod auf dem Schafott bezahlen. 67 Zur gleichen Zeit verfasste 
Mary Wollstonecraft ein ebenso bahnbrechendes Werk, das „Plädoyer für die Rechte der 
Frau“68, in dem sie in scharfen Worten Gleichberechtigung einfordert und männliche 
Despotie verurteilt.69 Von diesem Zeitpunkt an kann man auf jeden Fall vom beginn der 
Frauenbewegung sprechen. 
Die Historie des Feminismus lässt sich in drei Phasen einteilen. In die sogenannte „erste“ 
und „zweite Welle“ des Feminismus und den Postfeminismus, der auch als die „dritte“ 
Welle des Feminismus bezeichnet wird. Die Genderdebatte stellt ein eigenes Feld 
innerhalb des Feminismus dar. 
Die erste Welle des Feminismus im angloamerikanischen Raum begann, wie oben 
erwähnt, mit dem Werk von Wollstonecraft. Sie und andere Aktivisten und Aktivistinnen 
forderten in erster Linie gleiche Bildungschancen, Gleichheit vor dem Recht und 
Beteiligung am Arbeitsmarkt. Die Forderung nach dem Wahlrecht kam zumeist erst Ende 
des 19. Jahrhunderts auf und fand Anfang des 20. Jahrhundert in Groß-Britannien in der 
Suffragettenbewegung ,die das weibliche Wahlrecht forderte, ihren Höhepunkt. Diese 
wurde vom Ersten Weltkrieg gestoppt. Jedoch waren Frauen durch den Krieg auf der 
anderen Seite stärker ins Arbeitsleben eingebunden als zuvor. Das Wahlrecht erhielten die 
64 Hodgson-Wright, Stephanie: Early Feminism. In: Gamble, Sarah (Hrsg.): The Routledge Companion to 
Feminism and Postfeminism. London und New York 2001. S. 3-15. 
65 Ebd. a. a. O. 2001. S. 3ff. 
66 Vgl. Burmeister, Karl Heinz: Olympe de Gouges, die Rechte der Frau. 1791. Bern 1999. 
67 Holland-Cunz, Barbara: Die alte neue Frauenfrage. Frankfurt 2003. S. 24f. 
68 Vgl. Wollstonecraft, Mary: Ein Plädoyer für die Rechte der Frau. Weimar 1999. 
69 Holland-Cunz. a. a. O. 2003. S. 18f. 
22
3. Theoretische Grundlagen 
Frauen Groß-Britanniens 1918, in manchen Staaten der USA, so zum Beispiel in Utah und 
Wyoming, bereits 1869/70. 70 
Trägerinnen der Bewegungen waren vor allem Frauen der Mittelklasse, deren Forderungen 
sich meist auf ein enges Feld beschränkten. Solidarität mit Frauen anderer Schichten oder 
gar Kulturkreise war praktisch nicht vorhanden. Trotzdem gewann die Frauenbewegung 
mehr und mehr an Kraft und Schwung, so dass im 20. Jahrhundert einige Erfolge erzielt 
wurden, wenn auch von einer vollen Gleichberechtigung keinerlei Rede sein kann. 71 Die 
bereits angesprochene mangelnde Solidarität mit anderen Frauen verkehrt sich teilweise 
sogar ins Gegenteil. Im Kolonialismus wurden Frauen zu Mittäterinnen, indem sie sich als 
Teil der westlichen Hegemonie beteiligten und diesen oft auch befürworteten, anstatt sich 
mit den ebenfalls Unterdrückten zu solidarisieren. Westliche Feministinnen nahmen an, 
dass das System der patriarchalen Unterdrückung universell sei und übersahen wie der 
Kolonialismus neue Formen der Unterdrückung schaffte ohne die alten 
Unterdrückungsmechanismen der indigenen Gesellschaften zu beenden. 72 
Ähnlich schreibt Holland-Cunz. Sie attestiert den Aktivisten und Aktivistinnen der ersten 
Welle ebenfalls mangelnde Solidarität und Egozentrismus, sowie eine verzerrte 
Wahrnehmung des Unterdrückungsverhältnisses. Ursprünglicher Grund für das entstehen 
der modernen Frauenbewegung ist das nicht eingelöste Versprechen der Gleichheit, 
welches in der Französischen Revolution gegeben wurde. Die drei Schlagworte Freiheit, 
Gleichheit und Brüderlichkeit galten offensichtlich nur für männliche Angehörige der 
Bürgerschaft.73 Weiterhin war die erste Phase des Feminismus, besonders in Deutschland, 
geprägt von Flügelkämpfen zwischen bürgerlichen und sozialistischen Aktivistinnen und 
Aktivisten sowie zwischen radikalen Forderungen nach einem totalen Umbruch und 
Reformbewegungen. Die Wechselbeziehung zwischen reformistischen und radikalen 
Forderungen kann aber auch als fruchtbar angesehen werden. Reformen schufen teilweise 
erst die Vorraussetzungen für radikalere Forderungen. Die Befürworterinnen eines totalen 
Umbruchs hatten das große Ganze, nämlich die volle Gleichberechtigung der Frau im 
Blick, verkannten aber möglicherweise die Grenzen ihres Handlungsspielraumes. Die 
70 Vgl Sanders, Valerie : First Wave Feminism. In: Gamble, Sarah (Hrsg.): The Routledge Companion to 
Feminism and Postfeminism. London und New York 2001. S. 16-28. S. 16-27 
71 Ebd. a. a. O. 2001. S. 27f. 
72 Thürmer-Roth, Christina: Mittäterschaft von Frauen. In: Becker, Ruth und Beate Kortendiek (Hrsg.): 
Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie. Wiesbaden 2010. S. 88-93. S. 
90f. 
73 Holland-Cunz a. a. O. 2003. S. 40-43. 
23
3. Theoretische Grundlagen 
Reformerinnen hingegen liefen Gefahr das Endziel, volle Gleichberechtigung der 
Geschlechter in allen Lebensbereichen, aus den Augen zu verlieren. Ein weiteres 
Konfliktfeld war die Frage, ob man mit den Unterdrückern, den Männern, 
zusammenarbeiten soll, oder ob das Erreichen der Ziele nur im Geschlechterkampf ohne 
deren Inkorporierung möglich ist. Holland-Cunz legt nahe, dass nur die Zusammenarbeit 
von Radikalen und Gemäßigten zum Erfolg führen kann. 74 
Die zweite Welle der Frauenbewegung beginnt um 1963 mit Betty Friedans Buch „The 
Feminine Mystique“75, in dem sie die für die Selbstbefreiung der Frau plädiert und zum 
Kampf gegen antifeministische Strömungen aufruft. Dieses Buch stellt insofern einen 
Wendepunkt dar, da jetzt nicht mehr Gleichberechtigung sondern Freiheit gefordert wird. 
Zudem wird nun auch die Unterdrückung des weiblichen Körpers und nicht nur der Frau in 
ihrer sozialen Rolle erkannt..76 
Nach dem politischen Zusammenbruch des Ostblocks geraten die Nord-Süd-Konflikte 
wieder vermehrt in den Fokus. Der Wegfall der bipolaren Blöcke sorgt für eine verstärkte 
Internationalisierung der Frauenpolitik, auch im Rahmen von UN-Konferenzen, welche 
zum Teil zu nationalen Verbesserungen der Lage der Frauen führen. Daneben finden 
postmoderne Theorien, wie zum Beispiel die Debatte um Geschlecht („sex“ und „gender“), 
Eingang in den innerfeministischen Diskurs (siehe Kapitel 3.2 Feminismusverständnis von 
Judith Butler).77 
Auch finden vor allem durch den „Schwarzen Feminismus“ aus den Vereinigten Staaten 
anti-rassistische und transformative Theorien Eingang in die Diskussion. Darin wir nicht 
an Kritik am weißen Mittelstandsfeminismus gespart, welcher nach wie vor die nötige 
Solidarität mit Angehörigen anderer als der eigenen Bevölkerungsgruppe vermissen ließ. 
Ebenso werden alle Herrschaftsverhältnisse in die feministische Analyse aufgenommen 
und bereichern dadurch die Debatte nachhaltig. Somit pluralisiert sich die sogenannte 
„Neue Frauenbewegung“ der zweiten Welle und sorgt, zumindest teilweise, dafür, dass die 
Frauenbewegung sich wieder verstärkt gegen die Macht des Patriarchats stemmt, mit dem 
sich einige Feministinnen bereits, durch Teilerfolg besänftigt, arrangiert hatten. 78 
74 Ebd. a. a. O. 2003. S. 76-81. 
75 Vgl. Friedan, Betty: The Feminine Mystique. New York 1983. 
76 Holland-Cunz. a. a. O. 2003. S.139-143. 
77 Ebd. a. a. O. 2003. S. 155f. 
78 Ebd. a. a. O. 2003. S 157-161. 
24
3. Theoretische Grundlagen 
In den Vereinigten Staaten kamen, wie oben angesprochen, die meisten Impulse aus der 
„Schwarzen Frauenbewegung“, jedoch spielte die Geschlechterdebatte und die soziale 
Konstruktion zunehmend eine größere Rolle. Angestoßen wurde die Geschlechterdebatte 
vor allem auch durch radikale, homosexuelle Feministinnen. In Groß-Britannien verliefen 
die Konfliktlinien vor allem entlang der verschiedenen Klassen. 79 
Postfeminismus, auch die dritte Welle des Feminismus genannt, ist ein schwammiger und 
schwer zu fassender Begriff, der in den 1980er Jahren in den Medien aufkam. Er drückte 
die Meinung aus, dass der Feminismus beziehungsweise dessen Begriffskategorien von 
Opfer, Unterdrücker und ähnlichem überholt sind. Der Begriff Postfeminismus hängt 
ebenfalls mit dem Postmodernismus und mit Dekonstruktionalismus, siehe Judith Butler, 
zusammen. Andere feministische Autorinnen tendieren eher dazu im sogenannten 
Postfeminismus eine dritte Welle des Feminismus zu sehen, der sich einer veränderten und 
globalisierten Welt angepasst hat und in dem erkannt wurde, dass nicht alle Frauen 
weltweit unter denselben Unterdrückungsmechanismen leiden. Die Diskussion und Kritik 
an der Verwendung der bisher verwendeten Begriffe und Kategorien, ebenfalls siehe 
Butler, wird von ihnen begrüßt. Die feministische Debatte hat mit dem Postfeminismus 
eine neue Facette hinzugewonnen. 80 
Wie im vorherigen Absatz erwähnt werden Postfeminismus, Postmoderne und 
Poststrukturalismus oft in einem Atemzug genannt. Dabei wird jedoch nicht immer genau 
zwischen den einzeln Begriffen unterschieden. Ebenso ist man sich nicht einig, ob 
postmoderne Denkweisen der feministischen Sache dienlich sind oder nicht. 81 
Es gibt drei Grundgedanken postmodernen Denkens. Erstens die Kritik an einer 
universalistischen Deutung von Geschichte und Gesellschaft, in der scheinbar neutrale 
Normen und Werte dafür sorgen, dass Unterdrückung und Ausgrenzung von Minderheiten 
weiter fortbestehen. Das Leitbild einer idealtypischen weißen, heterosexuellen 
Männlichkeit, das alle anderen Gruppen marginalisiert, wird ebenso kritisiert. Hier ergeben 
sich auch Anknüpfungspunkte für den Feminismus. Zweitens die Kritik an der 
abendländischen Kategorie des universellen Subjekts (siehe unten Kapitel 3.2 
Feminismusverständnis von Judith Butler). In der Postmoderne werden Subjekte immer 
79 Thornham, Sue: Second Wave Feminism. In: Gamble, Sarah (Hrsg.): The Routledge Companion to 
Feminism and Postfeminism. London und New York 2001. S. 29-42. S 29-38. 
80 Gamble, Sarah: Postfeminism. In: Gamble, Sarah (Hrsg.): The Routledge Companion to Feminism and 
Postfeminism. London und New York 2001. S. 43-54. S. 43-54. 
81 Villa, Paula-Irene: Poststrukturalismus. In: Becker, Ruth und Beate Kortendiek (Hrsg.): Handbuch Frauen-und 
Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie. Wiesbaden 2010. S. 269-273. S. 269. 
25
3. Theoretische Grundlagen 
kontext- uns situationsbezogen definiert. Die dritte These ist, dass es keinen Ort außerhalb 
von bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen gibt. 82 
Der postrukturalistische Ansatz ist dadurch gekennzeichnet, dass er Sprache und 
symbolische Ordnung als den Ort sieht, in dem Wirklichkeit konstituiert wird. Sprache 
erzeugt erst die Wirklichkeit und ist nicht Abbild derselben. Damit ist alles, auch die 
materielle Umwelt, diskursiv konstituiert. Sprache ist auch der Ort in dem Herrschafts- und 
Machtverhältnisse bekämpft werden können. Besonders Butler vertritt diesen Ansatz, auch 
wenn sie oft als Postmodernistin bezeichnet wird. Laut Butler werden auch Feministinnen 
durch den Diskurs konstituiert, den sie eigentlich überwinden wollen. 83 
Holland-Cunz zieht ein ähnliches Fazit zur aktuellen Situation der feministischen 
Bestrebungen. Zwar sind seit Entstehung der Frauenbewegung Erfolge zu verzeichnen, es 
kann aber keine Rede davon sein, dass die Kernpunkte der feministischen Forderungen 
erfüllt sind. Bei diesen Kernpunkten handelt es sich um das Recht auf politische Teilhabe, 
die Chance zu ökonomischer Unabhängigkeit, das Recht auf Bildung und ein 
selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt. Holland-Cunz vertritt die These dass diese Ziele erst 
Mitte des 21. Jahrtausends erreicht sein werden, wenn man die Geschwindigkeit der 
bisherigen Entwicklung in Richtung Geschlechtergleichheit zu Grunde legt. 84 Demnach 
kann noch lange nicht die Rede von Postfeminismus sein. 
Die Autorin Sylvia Walby85 attestiert dem Feminismus ebenfalls alles andere als nicht 
mehr existent oder überholt zu sein, nämlich im Gegenteil eine Erfolgsgeschichte, die sich 
in den letzten Jahren neue Felder durch Inklusion erschlossen hat. Feministisch sind für sie 
dabei all diejenigen Personen, Organisationen, Firmen und Projekte die sich für 
feministische Ziele wie volle Gleichberechtigung und Freiheit in der Lebensführung 
einsetzen. Dabei ist es unerheblich ob sie sich selbst als feministisch bezeichnen oder 
nicht. Durch die Stigmatisierung des Begriffes „Feminismus“ wird dieser oft vermieden. 86 
Dies wurde auch im Kapitel über den ägyptischen Feminismus gezeigt (siehe Kapitel 2.4 
Islamistischer Feminismus in Ägypten) 
Feministische Bestrebungen gibt es auf allen Ebenen, von Programmen der Vereinten 
Nationen bis hin zu kleinen Graswurzelbewegungen, in staatlichen Strukturen, in der 
82 Ebd. a. a. O. 2010. S. 270f. 
83 Ebd. a. a. O. 2010. S. 271f. 
84 Holland-Cunz a. a. O. 2003. S. 247f und 254. 
85 Walby, Sylvia: The Future of Feminism. Cambridge 2011. 
86 Walby a. a. O. 2011. S. 1-5. 
26
3. Theoretische Grundlagen 
Zivilgesellschaft und auch in der Wirtschaft. Dabei steht wiederum nicht das Label 
„Feminismus“ im Vordergrund, sondern das tatsächliche Handeln für Frauenrechte und 
Geschlechtergleichheit.87 Feministische Projekte sind dabei mit anderen Projekten und 
Zielen, wie zum Beispiel dem Umweltschutz, auf komplexe Weise verwoben und 
interagieren miteinander. Die Beziehungen unterliegen einem ständigen zeitlichen und 
räumlichen Wechsel, in dem sich auch Koalitionen und Partnerschaften ändern können. 88 
Hennessy89 bietet folgende Definition für Feminismus an. Feminismus ist ein Ensemble 
von Debatten, kritischen Erkenntnissen und Sozialen Bewegungen, welches das 
patriarchale Geschlechterverhältnis, das alle Menschen beschädigt, begreifen, analysieren 
und verändern will. Feministische Theorie und soziale Bewegung wurde erst durch die 
kapitalistische Arbeitsorganisation möglich, welche Frauen bei aller Ausbeutung, mehr 
soziale Mobilität bei gleichzeitigen Gleichheitsversprechen des modernen Staates 
ermöglichte. Dadurch entstanden feministisches Bewusstsein, Widerstand und 
feministische Reformbewegungen. Der sogenannte westeuropäische und 
nordamerikanische „liberale“ Feminismus vertrat und vertritt dabei einen allgemeinen 
Geltungsanspruch für alle Frauen weltweit, dem er nicht gerecht wird. Auch deshalb 
besitzt der Feminismus weder ein monolithisches Wissen noch einen monolithischen 
Standpunkt. Vielmehr umfasst der Feminismus in seiner Gesamtheit eine große Bandbreite 
an Ausdrucks- und Erscheinungsformen. 90 
In dieser Arbeit wird das Feminismusverständnis von Sylvia Walby übernommen. Ihre 
Definition lässt genug Raum für alle Ausprägungen des Feminismus in Ägypten. Viele 
Aktivistinnen meiden in Ägypten den Begriff des Feminismus, verfolgen aber dennoch 
dessen Ziele. Das heißt im weiteren Verlauf der Arbeit werden diejenigen Organisationen, 
Neue Soziale Bewegungen, Parteien und Verbände als der feministischen Bewegung 
zugeordnet, die im weiteren Sinne feministische Ziele verfolgen. Ein feministisches 
Selbstverständnis der Gruppierungen ist dabei nicht unbedingt nötig. Ein rein liberales, 
westliches Feminismuskonzept kann in Ägypten mit seinen Besonderheiten keine 
Anwendung finden. 
87 Ebd. a. a. O. 2011. S. 26f. 
88 Ebd. a. a. O. 2011. S. 146. 
89 Hennessy, Rosemary: Feminismus. In: Haug, Frigga (Hrsg.): Historisch-kritisches Wörterbuch des 
Feminismus. Band 1 Abtreibung bis Hexe. Hamburg 2003. S. 155-179. 
90 Hennessy a. a. O. 2003. S.157f. 
27
3. Theoretische Grundlagen 
3.2 Feminismusverständnis von Judith Butler 
In diesem Kapitel wird das Konzept von Judith Butler vorgestellt, von dem angenommen 
wird, dass sich ihr Verständnis von Feminismus fruchtbar für das Forschungsergebnis 
erweist, da sich ihre Ansichten mit dem Modell des homo sociologicus verknüpfen lassen. 
Folgende Ausführungen orientieren sich an Becker-Schmidt und Knapp. 
Feministische Theorienbildung bewegt sich ab der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts 
bis heute zumeist im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse und 
politischer Praxis, wobei es aufgrund der unterschiedlichen Historie zu vielen 
unterschiedlichen Theorietraditionen kam. Auch sind die Erfahrungen, welche Frauen 
weltweit machen, nicht miteinander vergleichbar, so dass die Geschlechterfrage immer im 
jeweiligen Kontext gesehen werden muss. Die Grundbegriffe werden immer wieder neu 
und kritisch hinterfragt, besonders auch von Judith Butler, und neu definiert. Deutlich zu 
sehen ist dies zum Beispiel an der Debatte um „sex and gender“. 
Was die feministischen Theorien, der Plural ist hier bewusst gewählt, eint, ist das 
Festhalten an einer kritischen Perspektive in der Analyse der Geschlechterverhältnisse. 91 
Judith Butler definiert Feminismus so: „Feminism is about the social transformation of 
gender relations.“92 
Butler beginnt ihr Buch Gender Trouble 93 mit der Kritik an der scheinbar vorgegeben 
Kategorie „Frau(en)“ (in Folge meist: Frauen) und der daran geknüpften Identität. Sie 
macht dabei darauf aufmerksam, dass der Kampf um die Akzeptanz der Frauen als Subjekt 
und deren volle politische Repräsentation bereits die sprachliche Unterdrückung und 
Normsetzung der Herrschenden akzeptiert, da dabei die Kriterien zur Definition eines 
Subjektes durch die Herrschenden festgelegt werden. Der Kampf um Gleichberechtigung 
in diesem Sinne greift also zu kurz. Vielmehr muss begriffen werden, wie Frauen als 
Subjekt des Feminismus durch die herrschenden Machtstrukturen hervorgebracht werden. 
Das heißt die Frauen müssen erst bestimmte Bedingungen erfüllen um Subjekt zu sein, um 
dann voll Repräsentation durch das politische System verlangen zu können. 94 
91 Becker-Schmidt, Regina und Gudrun-Axeli Knapp: Feministische Theorien zur Einführung. Hamburg 
2011. S. 7-13. 
92Zitat Butler, Judith: Undoing Gender. New York und London 2004. S. 204. 
93 Butler, Judith: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. New York und London 2010. 
94 Ebd. a. a. O. 2010. S. 2ff. 
28
3. Theoretische Grundlagen 
Zudem lehnt sie die Annahme ab, der Begriff „Frau“ bezeichne eine gemeinsame Identität. 
Die reine Geschlechtsidentität stellt nicht alles erschöpfend dar, was ein weibliches 
Individuum ausmacht. Zumal die Geschlechtsidentität in den verschiedenen 
geschichtlichen Kontexten unterschiedlich gebildet wird und von ethnischen, regionalen, 
klassenspezifischen und anderen Modalitäten abhängig ist. Der Feminismus habe somit 
keine universale Grundlage. Genauso wenig gibt es eine einzigartige Form der 
Frauenunterdrückung, welche in männlich, hegemonialen Strukturen zu finden ist. Dabei 
spricht sie berechtigterweise die lange vorherrschende Beschränkung der Theorienbildung 
auf den westlich, christlichen Kulturkreis, in dessen Rahmen die Konstruktion des 
„Orients“ im Rahmen des Kolonialismus stattfand. Damit machten sich westliche 
Feministinnen teilweise mitschuldig an der Kolonialisierung und deren Begründung. 95 
96.Daran anknüpfend verweißt sie auf den strittigen Begriff der Menschenrechte, der in der 
westlichen Welt definiert wurde. Dabei gibt es weltweit in den verschieden Kulturen 
bereits unterschiedliche Definition davon was überhaupt menschlich ist, und was die 
essentiellen Bedürfnisse eines Menschen sind. Zudem unterliegen diese Definitionen 
einem historischen und kulturellen Wandel.97 Ebenso geht sie kurz auf den skeptischen 
Blick des Westens auf die arabisch-islamische Welt ein. 98Auf den Punkt des 
Kolonialismus wurde in Kapitel 2.3 Überblick von den Anfängen bis heute näher 
eingegangen. 
Zusammengefasst fordert Butler die Abschaffung des Subjekts „Frau(en)“, weil darin ihrer 
Meinung nach die ungleichen Geschlechterbeziehungen in einer Gesellschaft zementiert 
werden. Deshalb fordert sie einen Feminismus ohne die vorausgesetzte Kategorie „Frau“ 
zu entwickeln.99 Inwieweit dies in Ägypten ebenfalls eine Rolle spielt, muss noch geklärt 
werden. Jedoch bietet ihr Ansatz interessant Perspektiven zur Frage des 
Rollenverständnisses und der Rollenbegriffe im Bezug zum Geschlecht in der ägyptischen 
Gesellschaft. 
Butler vertritt die Meinung, dass nicht erst die Geschlechtsidentität durch kulturelle 
Interpretation geschaffen wird, sondern das Geschlecht an sich bereits konstruiert ist. So 
etwas wie ein „natürliches“, durch Biologie vorgegebenes, vor-diskursives Geschlecht gibt 
29 
95 Ebd. a. a. O. 2010. S. 4f. 
96 Vgl. Butler a. a. O. 2004. S. 229. 
97 Ebd. a. a. O. 2004. S. 222f. 
98 Ebd. a. a. O. 2004. S. 230f. 
99 Butler a. a. O. 2010. S. 8.
3. Theoretische Grundlagen 
es laut ihr nicht. Die Verbannung des Geschlechts in die vor-diskursive Sphäre ist bereits 
Ausdruck des bestehenden Machtverhältnisses und kulturellen Denkweisen. 100 Diese 
radikale Dekonstruktion des anatomischen Geschlechtskörpers auf normativ-soziale 
Produktion der Geschlechterdifferenzen führt zu heftigen Kontroversen. Ihre Behauptung 
Natur sei Ergebnis und nicht Grundlage von Kultur, ist für viele schwer annehmbar. Butler 
will damit das Geschlecht vom Körper lösen und die Binarität der Geschlechter und die 
vorherrschenden Norm der Heterosexualität auflösen. So kann man das Geschlecht auch 
nicht an rein anatomischen Geschlechtsmerkmalen festmachen, sondern es ist stets das 
konstruierte „soziales Geschlecht“.101 Besonders auch in Koran und Sunna wird an vielen 
Stellen auf die Unterschiede von Mann und Frau verwiesen, was in der Definition der 
Geschlechter und deren Identitäten in den muslimischen Gesellschaften eine entscheidende 
Rolle spielt (siehe Kapitel 2.1 Die Frau im Koran). 
Die Bildung des Subjekts wird bei Butler erst durch die Unterwerfung unter die 
Herrschenden möglich. Somit hängt die eigene Existenz von der Existenz einer 
herrschenden Gruppe ab, da nur diese Subjekte anerkennen kann. 102 Um weiterhin als 
Subjekt zu bestehen ist man gezwungen die gesellschaftlichen Normen zu wiederholen, 
durch die man hervorgebracht wurde. Wenn diese Normen nicht richtig wiederholt werden, 
erleidet das Subjekt Sanktionen, die auch die Existenz bedrohen können. 103 Hier gibt es 
durchaus Parallelen zu Dahrendorfs homo sociologicus (siehe unten Kapitel 3.3 Der homo 
sociologicus). So kann Macht durch Gesellschaft und Subjekt mit sozialer Rolle ersetzt 
werden. Erfüllt der Träger einer sozialen Rolle die an ihn gestellten Rollenanforderungen 
nicht, ist er Sanktionen ausgesetzt. Je nach Art der Rolle und der daran geknüpften 
Erwartung durch die Gesellschaft können diese Sanktionen derart drastisch ausfallen, dass 
der Träger der sozialen Rolle aufhört zu existieren. Entweder durch Ausschluss aus der 
Gesellschaft, laut Dahrendorf kann der homo sociologicus nur innerhalb einer Gesellschaft 
existieren, oder gar durch physische Vernichtung. 
Die Theorie Butlers bietet neue Ansätze bestehende, besonders patriarchale, 
Machtverhältnisse aufzubrechen und zu beenden. In der ägyptischen Gesellschaft mit ihrer 
starren Rollenverteilung und klaren Zuschreibung was Frauen und das Weibliche 
ausmacht, wäre die von Butler geforderte Dekonstruktion der Binarität der Geschlechter 
und die Feststellung, dass das Geschlecht stets sozial strukturiert ist geeignet durch ihre 
100 Ebd. a. a. O. 2010. S. 10. 
101 Bublitz, Hannelore: Judith Butler zur Einführung. Hamburg 2002. S. 56ff. 
102 Butler, Judith: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt 2001. S. 7f. 
103 Ebd. a. a. O. 2011. S. 32. 
30
3. Theoretische Grundlagen 
Radikalität entscheidende Impulse zur Verbesserung der Situation der Frau in Ägypten zu 
geben. Wie gezeigt werden wird, findet ein Großteil der feministischen Debatte in Ägypten 
in einem zu eng gesteckten Rahmen statt um wirkliche Durchbrüche zu erzielen. 104 
3.3 Der homo sociologicus 
Wie bereits in der Einleitung angekündigt, soll das Rollenverständnis der säkularen und 
islamistischen Feministinnen und dessen Auswirkung auf die aktuelle Feminismusdebatte 
in Ägypten konflikttheoretisch nach dem Modell von Dahrendorf untersucht werden. Dazu 
ist es unerlässlich den homo sociologicus 105, sowohl als Grundlage der Konflikttheorie als 
auch zur Definition sozialer Rollen und sozialer Positionen, vorzustellen. Die Definition 
und die Funktion der sozialen Rollen und Positionen nach Dahrendorf sowie die Funktion 
des homo sociologicus im Gesellschaftsmodell von Dahrendorf bilden die theoretischen 
Grundlagen der Arbeit. In Kapitel 5.2 Operationalisierung werden die ersten Erkenntnisse 
welche in Kapitel 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten und Kapitel 4. Aktueller 
Forschungsstand zum Forschungsthema mit Hilfe der gewählten Theorie gewonnen 
wurden kurz zusammengefasst. 
Ralf Dahrendorf entwickelte sein Modell des homo sociologicus bereits im Jahre 1958 auf 
der Suche nach einer Elementarkategorie für die soziologische Analyse sozialen Handelns. 
Für ihn war dabei die Kategorie der sozialen Rolle zentral, die zu dieser Zeit, besonders im 
deutschsprachigen Raum, nur unzureichend definiert war. Es handelte sich dabei um ein 
Essay ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Trotzdem bildet es die Grundlage für die spätere 
Entwicklung seiner Konflikttheorie. 106 
Dahrendorf wollte „die Elemente soziologischer Analyse im Schnittbereich der beiden 
Tatsachen des Einzelnen und der Gesellschaft […]“ suchen. 107 An diesem Schnittpunkt 
zwischen der Gesellschaft und dem Einzelnen verortet er den homo sociologicus als Träger 
sozial vorgeformter Rollen. Dabei ist der Einzelne Träger seiner sozialen Rollen, aber 
diese Rollen sind zugleich die ärgerlichen Tatsachen der Gesellschaft. Das heißt, nur durch 
104 Saba Mahmood verweist in ihrem Buch „Politics of Piety“ ebenfalls auf die Theorie Butlers und nutzt 
diese zur Analyse der so genannten „Mosche-Bewegung“ in Ägypten. Mahmood, Saba: Politics of Piety. The 
Islamic Revival and the Feminist Subject. Princeton 2005. 
105 Dahrendorf, Ralf: Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der sozialen 
Rolle. Opladen 1977 
106 Vgl. Dahrendorf a. a. O. 1977. S. 5f. 
107 Zitat Dahrendorf, Ralf: Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der 
sozialen Rolle. Opladen 1977. S.18. 
31
3. Theoretische Grundlagen 
das Ausfüllen sozialer Rollen kann der Mensch Teil der Gesellschaft sein, ist dadurch aber 
auch einem ständigen Erwartungsdruck durch die Gesellschaft ausgesetzt, die von ihm die 
Erfüllung seiner Rollen verlangt und dies durch Sanktionierungen durchsetzt. 108 
Wie Dahrendorf die „soziale Rolle“ und die noch folgende „soziale Position“ definiert, 
wird nun dargestellt. Ebenso was er unter den „ärgerlichen Tatsachen der Gesellschaft“ 
versteht.109 
Vor dem Begriff der Rolle führt Dahrendorf den der „sozialen Position“ ein. Jeder Mensch 
besetzt demnach viele verschiedene soziale Positionen, die sich teilweise überschneiden 
aber nie deckungsgleich sind. In diesen Positionen steht der Mensch in Beziehungen mit 
anderen Menschen, in einem sogenannten Positionsfeld sozialer Beziehungen. Je 
komplexer die Gesellschaft, desto mehr Positionen muss der Einzelne einnehmen. 110 
Innerhalb der Positionen unterscheidet er zwischen erworbenen und zugeschrieben 
Positionen. Besonders bei den zugeschrieben Positionen bleibt dem Einzelnen nahezu 
keine Wahl, er ist gezwungen sie auszufüllen. Als Beispiel wird hier unter anderem das 
Geschlecht angeführt, für die Fragestellung dieser Arbeit nicht uninteressant. Bei 
erworbenen Positionen hat der Einzelne eine gewisse Entscheidungsgewalt. Allerdings 
können zugeschrieben Positionen auch zu erworben werden und umgekehrt, auch ist eine 
Unterscheidung nicht immer ohne Weiteres möglich. 111 Interessant ist die Frage, ob die 
Frauen in Ägypten in der Lage sind Rollen zu übernehmen die bisher alleine Männern 
zugeschrieben waren und ob es ihnen ebenfalls möglich ist Rollenzuschreibungen aufgrund 
ihres Geschlechts abzulegen und somit mehr Freiheit in der Lebensführung zu gewinnen. 
Aus diesen sozialen Positionen ergeben sich bestimmte Erwartungshaltungen der 
Gesellschaft an die Träger dieser Positionen. Somit gehört zu jeder Position eine soziale 
Rolle, die der Einzelne gewissermaßen zu spielen hat, um den Erwartungen der 
Gesellschaft gerecht zu werden. Durch das Paar von Positionen und Rollen werden die 
beiden Tatsachen des Einzelnen und der Gesellschaft vermittelt, der wird Mensch zum 
homo sociologicus. Damit ist er ein Element soziologischer Analyse und kann erforscht 
werden. Laut Dahrendorf ist die Rolle dabei der wichtigere Teil, da die Rolle die Art der 
Beziehung zwischen Trägern von Positionen beschreibt. Die Position bezeichnet lediglich 
einen Ort in den Bezugsfeldern zwischen den Personen. An die Träger sozialer Rollen 
32 
108 Ebd. a. a. O.1977. S. 20. 
109 Dahrendorf a. a. O. 1977. S. 36 
110 Ebd. a. a. O. 1977. S.30. 
111 Ebd. a. a. O. 1977. S. 54f.
3. Theoretische Grundlagen 
richtet die Gesellschaft eine Vielzahl an Erwartungen. 112 Dies ist ein weiterer zentraler 
Punkt für das Verständnis von Gesellschaften, da an diese Erwartungshaltung bestimmte 
Sanktionen bei Nichterfüllung gebunden sind. 
Die Rollen untergliedern sich wiederum in verschieden Rollensegmente, je nach dem von 
wem Erwartungen an diese Rolle gerichtet werden. Somit ist jede Rolle ein Komplex von 
Erwartungshaltungen.113 
Laut Dahrendorf gibt es drei verschieden Arten der Erwartungen. Muss-, Kann- und Soll- 
Erwartungen. Muss-Erwartungen bilden den harten Kern der sozialen Rolle. Sie sind 
ausdrücklich formuliert und ziehen bei Nichterfüllung die ernsthaftesten negativen 
Sanktionen nach sich. Positives Feedback gibt es dabei nicht. 
Soll-Erwartungen sind in ihrer Verbindlichkeit unter den Muss-Erwartungen angesiedelt. 
Bei Nichterfüllung werden auch sie negativ sanktioniert, bei Erfüllung gibt es jedoch auch 
Empathie und es ergeben sich möglicherweise Vorteile für die Person. 
Kann-Erwartungen werden vor allem positiv sanktioniert, wenn sie regelmäßig erfüllt 
werden. Bei nicht Erfüllung drohen zumeist Geringschätzung der Mitmenschen, jedoch 
keine schwerwiegenden Sanktionen. 114 
Art der Erwartung Positive Sanktion Negative Sanktion 
Muss-Erwartung Keine Gerichtliche Bestrafung 
Soll-Erwartung (Sympathie) Sozialer Ausschluss 
Kann-Erwartung Schätzung (Antipathie) 
Tabelle 1 Rollenerwartungen und Sanktionen nach Dahrendorf 115 
All diese Verbindlichkeiten und Notwendigkeiten die auf den Einzelnen zukommen, 
gepaart mit den möglichen und tatsächlichen Sanktionen bei Nichterfüllung der 
Rollenerwartung, bezeichnet Dahrendorf als „ärgerliche Tatsache der Gesellschaft“. 
Soziale Rollen sind ein Zwang, der auf den Einzelnen ausgeübt wird und in allen 
Gesellschaften vorherrscht. Dabei ist nicht immer klar, ob diese gesellschaftlichen Fesseln 
33 
112 Ebd. a. a. O. 1977. S. 32f. 
113 Ebd. a. a. O. 1977. S. 33. 
114 Ebd. a. a. O. 1977. S. 37ff. 
115 Nach Dahrendorf a. a. O. 1977. S. 39.
3. Theoretische Grundlagen 
den Menschen nur einengen, oder ihm dadurch auch eine Struktur und Halt im Leben 
geben.116 
Durch Positionszuordnung und Rollenverinnerlichung durch den gesellschaftlichen Zwang, 
sichern die Gesellschaften ihre Ordnung. Eine wichtige Rolle spielt hierbei das 
institutionelle Erziehungssystem. Jedoch haben auch nicht staatliche Stellen einen großen 
Einfluss. So zum Beispiel Familie und Kirche. Beim Prozess der „Sozialisierung“ wird der 
Mensch entpersönlicht und vergesellschaftet. Dabei werden große Teile der individuellen 
Freiheit aufgehoben und der Kontrolle durch die Allgemeinheit unterstellt. Der 
homo sociologicus ist damit den Gesetzen der Gesellschaft ausgeliefert und erfüllt seine 
Rolle für diese Gesellschaft, der er angehört. 117 
Die Rollenerwartungen und Rollendefinitionen die an bestimmte soziale Positionen 
geknüpft sind unterliegen einem stetigen Wandel. Stimmen Rollen und tatsächliches 
Verhalten nicht überein, entstehen Konflikte anhand derer sich die Richtung zukünftiger 
Entwicklungen möglicherweise bestimmen lässt. Besonders wichtig ist hierbei die 
Untersuchung von Konflikten innerhalb von Rollen. Die Ermittlung von 
Erwartungskonflikten ist damit nach zentraler Bestandteil der Konflikttheorie. 118 Dieser 
Ansatz wird auch für den Erkenntnisgewinn dieser Arbeit fruchtbar sein. 
Wie an nahezu allen Definitionen und Theorien in den Sozialwissenschaften gibt es auch 
am homo sociologicus Dahrendorfs, zum Teil berechtigte, Kritik. Einige Kritikpunkte 
spricht er auch selbst in seinem Werk an. 
So ist der homo sociologicus nur ein Teilaspekt des Menschen, es ist derjenige Teil des 
Menschen, der quasi als Schauspieler auf der Bühne der Gesellschaft agiert. Der ganze 
Mensch mit allen seinen Facetten ist damit freilich nicht zu fassen. 119 Zumal der 
homo sociologicus in gewisser Weis erfunden wurde, um bestimmte Probleme der 
Soziologie zu lösen.120 Somit ist er, wenn man so will mehr oder weniger ein willkürliches 
Konstrukt. 
34 
116 Ebd. a. a. O. 1977. S.36. 
117 Ebd. a. a. O. 1977. S. 56ff. 
118 Ebd. a. a. O. 1977. S. 76f. 
119 Ebd. a. a. O. 1977. S. 53. 
120 Ebd. a. a. O. 1977. S. 20.
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Die aktuelle Feminismusdebatte in Ägypten

  • 1. Thema: „Die aktuelle Feminismusdebatte in Ägypten“ Dem Fachbereich Fremdsprachliche Philologien der Philipps-Universität Marburg als Magisterarbeit im Fachgebiet Islamwissenschaft vorgelegt von Patrick Bareiter aus Stuttgart Marburg im April 2013
  • 2. Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis .........................................................................................................II Tabellenverzeichnis ......................................................................................................II Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................II 1. Einleitung und Fragestellung ......................................................................................1 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten......................................................................4 2.1 Die Frau im Koran................................................................................................4 2.2 Rechtliche Stellung des Islam in Ägypten.............................................................8 2.3 Überblick von den Anfängen bis heute .................................................................9 3. Theoretische Grundlagen..........................................................................................21 3.1 Definition Feminismus und verschiedene Strömungen........................................21 3.2 Feminismusverständnis von Judith Butler...........................................................28 3.3 Der homo sociologicus .......................................................................................31 3.4 Konflikttheorie nach Dahrendorf ........................................................................36 4. Aktueller Forschungsstand zum Forschungsthema....................................................45 5. Zwischenfazit und Operationalisierung.....................................................................52 5.1 Zwischenfazit .....................................................................................................52 5.2 Operationalisierung ............................................................................................53 6. Kurzer Überblick über die aktuelle feministische islamistische Bewegung ...............59 6.1. Islamistischer Feminismus und verschiedene Strömungen .................................59 6.2 Neuinterpretation des Korans durch islamistische Aktivistinnen .........................63 7. Thesen......................................................................................................................67 7.1 Die unterschiedliche Rollenbilder säkularer und islamistischer Feministinnen und deren Auswirkung auf die Konvergenz der Frauenbewegung....................................67 7.1.1 Aktuelle Geschlechterrollen in Ägypten und das weibliche Rollenbild der islamistischen Feministinnen................................................................................67 7.1.2 Das Rollenbild der säkularen Feministinnen ................................................75 7.1.3 Gemeinsamkeiten islamistischer und säkularer Feministinnen......................78 II
  • 3. Inhaltsverzeichnis 7.1.4 Gescheiterte Zusammenarbeit der beiden feministischen Strömungen anhand eines Beispieles ....................................................................................................80 7.1.5 Auswirkungen der unterschiedlichen Rollenbilder auf die Konvergenz der Frauenbewegung in Ägypten ................................................................................82 7.1.6 Einfluss der unterschiedlichen Ziele und deren Herleitung auf die Konvergenz der beiden feministischen Strömungen .................................................................85 7.1.7 Thesenfazit ..................................................................................................87 7.2 Die Herausforderung traditioneller Rollenbilder als eine der Hauptursachen für antifeministische Tendenzen in Ägypten ..................................................................88 7.2.1 Die ägyptische Sozial- und Gesellschaftsstruktur .........................................88 7.2.2 Staat, Patriarchat und der Kampf der säkularen Feministinnen um Gleichberechtigung ..............................................................................................91 7.2.3 Einordnung des Konflikts nach Dahrendorf .................................................93 7.2.4 Thesenfazit ..................................................................................................94 7.3 Die Weigerung des ägyptischen Staates und großer Teile der Bevölkerung feministische Forderungen anzuerkennen .................................................................95 7.3.1 Verweigerung der Anerkennung feministischer Forderungen.......................95 7.3.2 Aktuelle Lage der Frau in Ägypten im Jahr 2012 .........................................96 7.3.3 Thesenfazit ..................................................................................................99 7.4 Die positive Rolle feministische Graswurzelbewegungen in Ägypten ...............100 7.4.1 Die Moscheebewegung..............................................................................101 7.4.2 Konvergenz der ägyptischen Frauenbewegung auf dem Niveau der Graswurzelbewegungen......................................................................................103 7.4.3 Thesenfazit ................................................................................................106 7.5 Säkulare Feministinnen, Anhängerinnen des Mubarak-Regimes und Agenten des Westens?................................................................................................................107 7.5.1 Säkulare Feministinnen und das Mubarak Regime .....................................108 7.5.2 Säkulare Feministinnen und die westliche Frauenrechtsagenda ..................112 7.5.3 Thesenfazit ................................................................................................117 8. Fazit .......................................................................................................................118 III
  • 4. Inhaltsverzeichnis 8.1 Zusammenfassung der Thesen und Ergebnisse..................................................118 8.2 Abschließende Erkenntnisse .............................................................................124 Literaturverzeichnis ...................................................................................................126 IV
  • 5. Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tabelle 1 Rollenerwartungen und Sanktionen nach Dahrendorf........................................33 Tabelle 2 Konfliktformen nach Dahrendorf......................................................................37 II
  • 6. Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis AWSA: Arab Women’s Solidarity Association CEDAW: Convention on the Elimination of all forms of Discrimination against II Women CSO: Civil Society Organization ECWR: Egyptian Center for Women’s Rights EFU: Egyptian Feminist Union MENA: Middle East and North Africa MWA: Muslims Women’s Association Nazra: Nazra for Feminist Studies NGO: Non Governmental Organization PVO: Privat Voluntary Organization UN: United Nations USAID: United States Agency for International Development
  • 7. 1. Einleitung und Fragestellung 1. Einleitung und Fragestellung Ägypten ist durch den sogenannten Arabische Frühling und durch die Ereignisse auf dem Tahrir-Platz, die letztendlich zum Sturz des Mubarak Regimes führten in letzter Zeit verstärkt in den Fokus der Medien gerückt. Gerade auch die Frauen spielten in diesen Ereignissen eine vitale Rolle. In diese Arbeit wird erörtert, inwieweit die Rolle der Frau und der Feminismus in Ägypten sowohl vor als auch nach der Revolution vom Januar 2011 debattiert werden. Die Revolution selber und die Rolle der Frauen darin steht dabei nicht im Fokus der Untersuchung hat aber Einfluss auf die Wahrnehmung der Frauenbewegung in Ägypten, da die Revolution eine Zäsur in der jüngeren ägyptischen Geschichte darstellt. Der ägyptische Staat bietet sich aus verschiedenen Gründen für eine Analyse der Frauenbewegung an. Zum einen hat Ägypten im Vergleich zu vielen anderen Staaten der Arabischen Welt eine lange Geschichte der Frauenbewegung vorzuweisen, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Zum anderen bieten sich durch die jüngsten Ereignisse in der Revolution und vor allem auch danach die Möglichkeit die aktuelle Feminismusdiskussion in einer spannenden Zeit des politischen Umbruchs aufzuzeigen. Des Weiteren ist von Interesse ob die Frauen von dem Regminewechsel an dem sie aktiv beteiligt waren profitieren können oder nicht. Laut dem Gender Gap Report von 2012 1, befindet sich Ägypten auf Platz 126 von 135 Ländern und damit am Ende des Feldes. In allen untersuchten Bereichen, außer der Gesundheit und Lebenserwartung, wie politische Partizipation, Bildung sowie ökonomische Teilhabe und Möglichkeiten zeigen sich in Ägypten deutliche Geschlechterunterschiede ohne dass in den letzten Jahren weder absolut noch relativ im Vergleich zu den anderen untersuchten Ländern eine deutliche Verbesserung eingetreten ist. Es stellt sich die Frage inwiefern die Frauenbewegung in Ägypten die Geschlechterungleichheit thematisiert und welche Konzepte innerhalb der Frauenbewegung verfolgt werden um die Geschlechterungleichheit zu bekämpfen. Auch für die deutsche politikwissenschaftliche Diskussion ist eine Auseinandersetzung mit dem ägyptischen Feminismus interessant. Nicht zuletzt, weil auch hier die Aktivitäten der Frauen in der ägyptischen Revolution medial begleitet wurden. Für eine wissenschaftliche Einschätzung der Rolle und Bedeutung der Frauenbewegung im Transformationsprozess der ägyptischen Gesellschaft ist jedoch eine theoretisch-analytische Perspektive auf das Thema notwendig. 1 World Economic Forum (Hrsg.): The Global Gender Gap Report 2012. Genf 2012. 1
  • 8. 1. Einleitung und Fragestellung In dieser Arbeit wird analytisch-deskriptiv beschrieben, wie die aktuelle Feminismusdebatte in Ägypten abläuft. Auf der Mikroebene wird die Beziehung zwischen den Polen der säkularen und der islamistischen Frauenbewegung in Ägypten beschrieben und analysiert werden. Auf der Makroebene der Konflikt zwischen der feministischen Bewegung insgesamt mit dem ägyptischen Regime und der ägyptischen Gesellschaft. Die Fragestellung lautet: Inwiefern behindern die verschiedenen Rollenbilder der säkularen und islamistischen Feministinnen in Ägypten eine Konvergenz der beiden Strömungen? Als Analyseinstrument wird sowohl die Konflikttheorie Dahrendorfs als auch das dieser Theorie zu Grunde liegende Modell des homo sociologicus angewandt. Anhand dieser Analyseinstrumente können die Konflikte und die Art ihrer Austragung erklärt werden. Folgende Leitfragen führen im Laufe der Arbeit zur Beantwortung der Fragestellung. · Wie gestaltet sich die aktuelle Feminismusdiskussion sowohl innerhalb der feministischen Bewegung als auch zwischen der feministischen Bewegung und dem ägyptischen Regime und anhand welcher Konfliktlinien verlaufen sie? · Was sind die Unterschiede in den Rollenbildern und wie behindern diese eine Zusammenarbeit säkularer und islamistischer Feministinnen? · Wie wirken sich die unterschiedlichen Rollenbilder auf das Verhältnis der beiden feministischen Strömungen zu Staat und Gesellschaft aus? · Welche weiteren Faktoren haben Auswirkungen auf die Feminismusdebatte in 2 Ägypten? In Kapitel 4. Aktueller Forschungsstand zum Forschungsthema wird gezeigt, dass ein Forschungsdesiderat zu dieser Thematik besteht. Die Ergebnisse der Arbeit werden einen Beitrag zum besseren Verständnis der aktuellen ägyptischen Frauenbewegung und deren Besonderheiten liefern und somit ermöglichen gesellschaftliche und politische Vorgänge in Ägypten besser zu verstehen. Bisher ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der ägyptischen Frauenbewegung noch nicht zufriedenstellend. Vor allem die Beziehungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschieden Strömungen innerhalb der Frauenbewegung wurde bisher nicht eingehender untersucht. Im deutschsprachigen Raum kursiert viel populärwissenschaftliche Literatur zur Frauenfrage in der arabisch/islamischen Welt deren Interesse meist um das Kopftuch kreist und die Vielschichtigkeit der Formen feministischen Aktivismus verkennt. Wie diese Arbeit jedoch zeigen wird gibt es in Ägypten sowohl im islamistischen als auch im säkularen Lager eine
  • 9. 1. Einleitung und Fragestellung Vielzahl unterschiedlicher frauenrechtlerischer Organisationen welche die Zivilgesellschaft formen und bereichern. Es wird folgendermaßen vorgegangen: Zuerst wird die historische Entwicklung des Feminismus in Ägypten dargestellt, da ohne Kenntnisse über die Geschichte des Feminismus in Ägypten die aktuellen Vorgänge nicht zu verstehen sind. Das Phänomen des islamistischen Feminismus erhält ein eigenes Kapitel, da diese Art des Feminismus sich vom westlich geprägten allgemeinen Feminismusverständnis deutlich unterscheidet. Im Theorieteil wird der Begriff des Feminismus definiert und verschiedene Strömungen, sofern sie in den Kontext dieser Arbeit passen, vorgestellt. Judith Butler wird dabei gesondert behandelt, da ihr Ansatz fruchtbare Anknüpfungspunkte sowohl zu Dahrendorf als auch für die ägyptische Feminismusdebatte bietet. Danach folgen der homo sociologicus und die Konflikttheorie Dahrendorfs und es wird dargelegt inwiefern diese dem Erkenntnisgewinn dienen und wie sie genutzt werden Aus den Kapiteln 1 bis 5 werden Thesen entwickelt und im Hauptteil der Arbeit mit den ausgewählten Analyseinstrumenten überprüft. Es wird eine Hauptthese und diese Hauptthese unterstützende Thesen geben. Die Analyse der aktuellen Feminismusdebatte beschränkt sich auf die islamistische und säkulare Frauenbewegung. Religiöse Minderheiten wie die Kopten und andere werden aufgrund ihrer geringen Anzahl als nicht relevant für die Analyse der aktuellen Debatte betrachtet. Deren Angehörige können jedoch durchaus in der säkularen Frauenbewegung vertreten sein. Als Quellen dienen in erster Linie Monographien und Artikel in Fachzeitschriften zu den Forschungsfeldern Naher und Mittlerer Osten, Feminismus und Gender, Politikwissenschaft sowie Recht. Sofern nötig werden ebenfalls Onlineartikel sowie Homepages genutzt um auf aktuellste Entwicklungen eingehen zu können und um Eigendarstellungen feministischer Gruppierungen in Ägypten aufzuzeigen. Die entwickelten Thesen werden im Hauptteil nacheinander überprüft. Die gewonnen Erkenntnisse werden im Abschlussteil der Arbeit zusammengefasst und präsentiert. Die Argumentation stützt sich vorrangig auf Sekundärliteratur. Ebenso werden Begriffe und Definitionen aus der bestehenden Literatur entnommen. Arabische Eigennamen werden einheitlich so in die Arbeit aufgenommen wie sie in der Literatur auftauchen. Auf korrekte Umschrift wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichtet, da die Arbeit einen politikwissenschaftlichen Charakter hat und an eine politikwissenschaftliche Leserschaft gerichtet ist, der die Umschrift nicht geläufig ist. Ebenso werden arabische Begriffe; wie Koran und Scharia, die allgemein geläufig sind in der eingedeutschten Form verwendet. 3
  • 10. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 2.1 Die Frau im Koran Die islamische Religion und damit natürlich auch der Koran spielen im größten Teil der ägyptischen Gesellschaft bis heute eine zentrale Rolle. Deshalb wird in diesem Kapitel auf die Rolle der Frau im Koran eingegangen. Es stellt sich die Frage: Wie wird die Frau im Koran charakterisiert und wie ist die Stellung der Frau dem Mann gegenüber? Dabei werden nicht alle Suren, welche sich mit der Frau befassen, behandelt, sondern diejenigen welche für die feministische Debatte am wichtigsten sind beziehungsweise kontrovers diskutiert werden. Später wird die Rolle und Stellung der Frau im Koran der heutigen rechtlichen Stellung der Frauen in Ägypten gegenübergestellt. Dabei kann man die entsprechenden Suren nach verschiedenen Themengebieten gliedern: Rolle der Frauen in der Umma, also der islamischen Gesellschaft. Rechtliche Stellung der Frau vor Gericht und beim Erb- und Zivilrecht. Vorschriften und Hinweise zur Glaubensausübung und bei allgemeinen Moralfragen. Als Grundlage dient die Koranübersetzung von Rudi Paret 2, da sie bemüht ist eine möglichst korrekte Übersetzung im historischen Kontext anzubieten. Der Koran stellt nicht die einzige Quelle in der islamischen Rechtssprechung dar. Neben ihm gibt es als weitere Quellen noch Sunna und Hadithe, Praktiken und Aussagen des Propheten Mohammads. Als tertiäre Quelle fungiert der i ǧmā‘, Konsens der Gelehrten. Dabei ist der Koran aufgrund seiner göttlichen Offenbarung die belastbarste Quelle in der islamischen Rechtssprechung, wobei ungefähr zehn Prozent der Suren menschliches Verhalten festlegen. Der Großteil davon bezieht sich auf Fragen der Glaubensausübung und lediglich ein geringer Teil regelt zwischenmenschliche und gesellschaftliche Beziehungen. Hinzu kommt, dass die islamische Rechtsprechung bis in jüngste Zeit kein kodiertes Recht darstellte, sondern immer wieder neu interpretiert wurde, auch mit bestimmten Intentionen der Interpreten. Deshalb gibt es auch keine einheitliche Version des göttlichen Rechts der Scharia. 3 Die vier anerkannten sunnitischen Rechtsschulen und die eine anerkannte schiitische Rechtsschule, deren normative Auslegungen der Scharia bis heute prägend sind, entwickelten sich erst etwa 150 Jahre nach dem Tod Muhammads. 2 Vgl. Paret, Rudi: Der Koran. Stuttgart 2004. 3 Tucker, Judith E. Women, Family, and Gender in Islamic Law. Cambridge und New York 2008. S. 11-15. 4
  • 11. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten Andere Rechtsschulen konnten sich dagegen nicht durchsetzen und sind in Vergessenheit geraten.4 Für diese Arbeit ist in erster Linie wichtig, inwieweit der Koran die Gleichberechtigung von Mann und Frau postuliert, beziehungsweise welche sozialen Rollen er ihnen jeweils zuweist. Darüber gehen die Meinungen verschiedener Autoren und Autorinnen jedoch auseinander. Viele muslimische Autoren und Autorinnen vertreten die Meinung, der Islam sei die einzige Religion welche Mann und Frau gleichberechtigt. Dabei verweisen sie auf Suren in denen Männer und Frauen als gleich angesehen werden, meist im Zusammenhang von religiösen Pflichten und bei der Schöpfung der Menschen. Christine Schirrmacher weißt ihrerseits aber darauf hin, dass auch in der Religionsausübung Frauen aufgrund ihres Geschlechts und den biologischen Unterschieden eingeschränkt werden. Zusätzlich gibt es viele Überlieferungen des Propheten, in denen die Frau als dem Mann unterlegen und minderwertig bezeichnet wird. 5 Raga` El-Nimr6 ist anderer Meinung und führt als Argument auch die untergeordnete und marginalisierte Rolle der Frauen in der vorislamischen Zeit in Arabien an. Allerdings vertritt die Autorin auch die Meinung, dass es zwischen Frauen und Männern natürliche Unterschiede gibt. Wobei sie ebenfalls zu bedenken gibt, dass die Quellenlage über diese Zeit aufgrund mangelnder schriftlicher Zeugnisse dürftig ist. Die Verkündungen des Propheten Muhammads waren durchaus emanzipatorisch und revolutionär, da er die Gleichheit aller Menschen verkündete. Mit aus diesem Grund fand er seine ersten Anhänger oft in unterprivilegierten Schichten, so zum Beispiel bei Sklaven und Frauen. 7 In der koranischen Schöpfungsgeschichte wird beschrieben, wie Mann und Frau aus einem Wesen, nämlich Adam, gleichsam erschaffen wurden und nicht wie in der christlichen Schöpfungsgeschichte Eva erst aus der Rippe Adams entstand. Diese Tatsache wird in mehreren Suren erwähnt, zum Beispiel in den Suren 39,6; 49,13; 2,1, dies ist also ein entscheidender Punkt.8 4 Schirrmacher, Christine: Frauen unter der Scharia. In: Schirrmacher, Christine und Ursula Spuler- Stegemann: Frauen und die Scharia. Die Menschenrechte im Islam. München 2006. S.13-218. S. 35f. 5 Ebd. a. a. O. S. 78-81. 6 Nimr El, Raga`: Women in Islamic Law. In: Yamani, Mai (Hrsg.): Feminism and Islam. Legal and Literary Perspectives. Reading 1996. S. 87-102. 7 Nimr El, Raga`: Women in Islamic Law. In: Yamani, Mai (Hrsg.): Feminism and Islam. Legal and Literary Perspectives. Reading 1996. S. 87ff. 8 Vgl. Paret a. a. O. 2004. 5
  • 12. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten In den Suren 33,35; 40,40; 16,97 und anderen werden muslimische Männer und Frauen in ihren Taten und Handlungen genau gleich beschrieben und erhalten beide von Gott im Jenseits den gleichen Lohn für ihr gottesfürchtiges Leben.9 Bei Rechtsfragen, die das Weltliche betreffen, besonders in Erb- und Scheidungsfragen, gibt es jedoch Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Hier sind Frauen den Männern nicht gleichgestellt. So ist der Erbteil weiblicher Nachkommen geringer festgesetzt als der männlicher. Weibliche Kinder erhalten nur den halben Erbanteil dessen, was männlichen Nachkommen zusteht, Sure 4,11. Wenn ein Ehepartner stirbt, würde der Ehemann ebenfalls doppelt so viele erben, wie die Ehefrau beim Tod des Gatten. Sure 4,12. 10 Dabei stellt sich die Frage, ob diese diskriminierenden Regelungen eine Verbesserung der Lage der Frau im Vergleich zur vor-koranischen Zeit brachten. Viele Hinweise, auch im Koran 16, 58-61 deuten zumindest darauf hin. Und auch in der Antike wurden Frauen als minderwertiger angesehen. Allerdings gibt es auch Hinweise darauf, dass erst durch den Koran ein streng partriarchales System auf der arabischen Halbinsel eingeführt wurde. Ebenso übernahm Muhammad Sitten und Gebräuche besiegter Stämme. 11 Bisher ist also nicht genau geklärt wie die rechtliche und soziale Lage der Frau in vorkoranischer Zeit in Arabien war. Für die Frauen einiger Stämme dürfte sie sich durch den Koran verbessert haben, für andere verschlechtert. El-Sadaawi12 zeichnet ebenfalls ein differenziertes Bild der prä-islamischen Zeit auf der arabischen Halbinsel. Zum einen gab es laut ihr sehr viele weibliche Gottheiten, was auf eine höhere Stellung der Frau im Allgemeinen hinweist, zum anderen gab es auch viele matriarchale Strukturen, vor allem in den nomadischen Stämmen. Deren Frauen waren in der Regel sozial wesentlich besser gestellt als Stadtbewohnerinnen, was auch in der unterschiedlichen Lebensführung begründet ist. Sogar weibliche Vielehe war möglich und in wirtschaftlichen Belangen waren Frauen und Männer gleichgestellt. In der Anfangszeit des Islams konnten die Frauen ihre starke Position dann auch weitgehend behaupten, wenn auch im Ehe- und Scheidungsrecht des Korans 13 nun verbindliche Regelungen, zum Teil zu ihren Ungunsten, geschaffen wurden. Laut el-Sadaawi vertrat der Prophet Muhammad eine wesentlich liberalere Einstellung den Frauen gegenüber als seine Zeitgenossen und 9 Ebd. a.a. O. 10 Ebd. a. a. O. 11 Ahmed, Leila: Women and Gender in Islam. Historical Roots of a Modern Debate. New Haven und London 1992. S. 35-44. 12 Saadawi, Nawal El-: The Nawal El Saadawi Reader. London und New York 1997. 13 Ebd. 1997. S. 74-77. 6
  • 13. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten Nachfolger. Unter seinen Nachfolgern, bereits bei den ersten vier rechtgeleiteten Kalifen, begann dann aber die Marginalisierung der Frauen im Islam und der Koran wurde mehr und mehr dahingegen interpretiert, dass den Männern eine vorrangige Stellung eingeräumt wurde.14 Daneben gibt es Suren, die eindeutig formulieren, dass der Mann über der Frau steht und er Verfügungsgewalt über sie besitzt. In Sure 2, 228 heißt es, Frauen und Männer haben sich einander gegenüber dieselben Verpflichtungen. Dabei stehen die Männer jedoch bei allem eine Stufe über ihnen. Sure 4, 34 wird dabei noch deutlicher. In dieser steht, dass Männer über den Frauen stehen, da Gott die Männer ausgezeichnet habe. Ebenfalls ist es den Männern erlaubt ihre Frauen zu züchtigen. Diese Sure ist besonders umstritten, da einige islamische Gelehrte daraus ableiten, Männer stehen grundsätzlich in allen Dingen über den Frauen, auch wenn die Sure die sogenannte „qiwama“, die männliche Führerschaft, nur auf das Verhältnis der Geschlechter in der Ehe bezog. 15 Das Bild welches der Koran von der Frau vermittelt, ist nicht ganze einheitlich und teilweise widersprüchlich, wie dieses Kapitel gezeigt hat. Dies ist teilweise der Tatsache geschuldet, dass der Koran erst nach und nach offenbart wurde und einige Suren sich auf akute Probleme beziehungsweise Fragestellungen an den Propheten beziehen. 16 Insgesamt ist die Frau im Koran besser gestellt, als es in den tatsächlichen islamischen Gesellschaften dann der Fall war. Dies liegt zum einen an der männlichen Deutungshoheit über den Koran, zum anderen an den Hadithen, in denen viele Aussprüche überliefert wurden, die die Frauen herabwürdigen. Nicht alle dieser Hadithe sind jedoch wirklich belastbar. Dennoch konnten sich die konservativen islamischen Denker mit ihrer Interpretation der Rechtsquelle durchsetzen, da diese im Interesse der Herrscher war. 17 All dies führte zur Marginalisierung und Benachteiligung der Frauen in der islamischen Rechtssprechung bis heute.18 Hinzu kommt die Problematik sogenannter progressiver Muslime, die sich für die volle Gleichberechtigung der Geschlechter in islamischen Gesellschaften aussprechen. Sie werden in einer Art Zweifrontenkrieg zwischen Orientalismus und Kolonialismus aufgerieben. Wobei der Orientalismus oft dem Kolonialismus die Argumente für eine Intervention in den muslimischen Gesellschaften aufgrund der angeblichen islamischen 14 Sadaawi a. a. O. 2005. S. 51-54. 15 Stowasser, Barbara F.: Women and Citizenship in the Qur`an. In: El-Azhary Sonbol, Amira (Hrsg.): Women, the Family. And Divorce Laws in Islamic History. Syracuse 1996. S. 23-38. S. 32f. 16 Sadaawi, El- a. a. O. 1997. S. 79. 17 Stowasser a. a. O. 1996. S. 34ff. 18 Schirrmacher a. a. O. 2006. S. 215f. 7
  • 14. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten Unterdrückung der Frauen an die Hand gibt. So kämpfen sie zum einen gegen den orientalistischen und kolonialen Diskurs, der die westliche Dominanz mit dem Kampf gegen die vorgebliche muslimische Unterdrückung der Frau begründet. Zum anderen gegen hierarchische und frauenfeindliche Interpretationen des Korans in vielen traditionellen muslimischen Gesellschaften. 19 Das wird auch ein Grund dafür sein, dass Fortschritte im Geschlechterverhältnis in islamischen Gesellschaften nur langsam erzielt werden. 2.2 Rechtliche Stellung des Islam in Ägypten Laut ägyptischer Verfassung ist der Islam in Ägypten Staatsreligion und die Prinzipien der Scharia sind eine Hauptquelle der Rechtssprechung. Das heißt aber nicht, dass Gesetze und die Arbeitsweise der Judikative aus der islamischen Scharia direkt hergeleitet werden. Gerichte und Rechtssprechung sind seit 1956 säkular. Eine Ausnahme bildet das Personenstandsrecht, welches für die Muslime nach wie vor an Bestimmungen der Scharia angelehnt ist. Alle anderen Gesetze sollen dennoch laut Verfassung ebenfalls mit den Prinzipien der Scharia übereinstimmen, zumindest nicht im klaren Widerspruch dazu stehen. Dadurch entsteht eine etwas eigentümliche Situation. Recht und Rechtssprechung sind eigentlich säkular, werden aber religiös legitimiert. Dies ist auch der tiefen Verankerung des Islam in der ägyptischen Bevölkerung und dem großen Einfluss islamistischer Gruppen wie den Muslimbrüdern geschuldet. 20 Seit den 1970er Jahren gibt es in Ägypten immer wieder Forderungen der Islamisten der Scharia wieder mehr Geltung zu verschaffen, beziehungsweise sie wieder einzuführen. Teilweise wurden diese Forderungen auch von Gelehrten der religiös gemäßigten al-Azhar Universität aufgegriffen. Dem Staat war jedoch nie an einer wirklichen Einführung gelegen, da die Konsequenzen unabsehbar gewesen wären. Ebenso stellen sich die säkularen Kräfte gegen diese Forderungen. Es muss dabei aber beachtet werden, dass die Forderung nach Einführung der Scharia auch immer Ausdruck der Kritik an den herrschenden politischen Zuständen und dem Regime beinhaltet. 21 19 Fadel, Mohammad: Is Historicism a Viable Strategy for Islamic Law Reform? The Case of “Never Shall a Folk Prosper Who Have Appointed a Woman to Rule Them”. In: Powers, David S. (Hrsg.): Islamic Law and Society. Jahrgang 18. Ausgabe 2. Leiden 2011. S. 132. 20 Flores, Alexander: Ägypten. In: Ende, Werner und Udo Steinbach (Hrsg.) Der Islam in der Gegenwart. Bonn 2005. S. 477-489. S. 479f. 21 Ebd. a. a. O. 2005. S. 481-483. 8
  • 15. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten Im Dezember 2012 wurde gab es ein Referendum für eine neue ägyptische Verfassung Ägypten. Es ist bisher noch nicht genau abzusehen in welcher endgültigen Form sie Gültigkeit erlangt. Das umstrittene Verfassungsreferendum und dessen positives Ergebnis für die neue Verfassung verursachte eine heftige Debatte innerhalb Ägyptens zwischen den verschiedenen politischen Lagern.22 Mit der bisherigen Verfassung klaffen Verfassungsprinzipien und ägyptische Wirklichkeit weit auseinander. Zum einen trägt sie noch deutlich sozialistische Züge aus der Ära Nassers, zum anderen werden die islamisch religiösen Grundlagen der Gesellschaft betont. Hinzu kommt, dass Mubarak die 1981 verhängten Notstandsgesetze nutzte um jegliche Opposition zu bekämpfen. Ägypten ist somit ein präsidentielles Regierungssystem, in dem der Präsident als Staatsoberhaupt weitreichende Befugnisse bei nahezu keinerlei Kontrollinstanzen ihm gegenüber hat.23 2.3 Überblick von den Anfängen bis heute Um die aktuelle Feminismusdebatte in Ägypten analysieren und verstehen zu können ist es unerlässlich den Verlauf der feministischen Debatte von den Anfängen bis heute in Grundzügen zu kennen. Die generellen feministischen Grundlagen werden in Kapitel 3.1 Definition Feminismus und verschiedene Strömungen und das Feminismusverständnis von Judith Butler in Kapitel 3.2 Feminismusverständnis von Judith Butler dargestellt. Die Geschichte des Feminismus in Ägypten lässt sich grob in folgende Phasen unterteilen. Die erste Phase ab dem Ende des 19. Jahrhunderts in der sich eine Art „feministisches“ Bewusstsein entwickelte. Der Höhepunkt wurde bis zum Jahr 1923 erreicht, dem Jahr der formalen ägyptischen Unabhängigkeit von Groß-Britannien. Beim Kampf um diese Unabhängigkeit hatte sich die Frauenbewegung stark engagiert. In der nächsten Phase ab 1923 entstanden viele feministische Organisationen die selbstbewusst für ihre politischen Ziele einstanden und auch international tätig waren. Diese Phase endete 1952 mit der Revolution der Freien Offiziere unter Nasser. Unter ihm begann die Phase des sogenannten Staatsfeminismus. Unabhängige Frauenorganisationen spielten von nun an fast keine Rolle mehr. Erst nach dem Nasserismus in den 1970er Jahren konnte sich die Frauenbewegung 22 Egypt Independent: Egypt's constitution passes with 63.8 percent approval rate. 25.12.2012. Zugang unter: http://www.egyptindependent.com/news/egypt-s-constitution-passes-638-percent-approval-rate. Aufruf am 01.04.2013. 23 Büttner, Friedemann und Amr Hamzawy: Ägypten. In: Weiss, Walter (Hrsg.): Die Arabischen Staaten. Geschichte, Politik, Religion, Gesellschaft, Wirtschaft. Heidelberg 2007. S. 9-31. S. 17-20. 9
  • 16. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten neu formieren, allerdings prägten ab den 1980er Jahren zunehmend die Islamisten die öffentliche Debatte. So etwas wie ein „feministisches“ Bewusstsein entwickelte sich in Ägypten ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts unter der Herrschaft Muhammad ‘Alis. Er strebte die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich, dem Ägypten damals zumindest formell angehörte, an und öffnete Ägypten den europäischen Märkten und Ideen gegenüber. Mit seiner Herrschaft trat Ägypten in den Modernismus ein. Unter ihm wurden etliche Infrastrukturprojekte angestoßen, Schulen gegründet und das Rechtssystem reformiert. Dieses allerdings zum Nachteil der Frauen, denen von nun an Grundbesitz und die Einnahmen daraus untersagt waren beziehungsweise erschwert wurden. Der Weg in die Moderne veränderte die bisherige Wirtschaftsstruktur stark und Ägypten entwickelte sich zum Exporteur von Rohstoffen, in erster Linie Baumwolle, und zum Importeur von Fertigprodukten. Die heimischen Industrien und Manufakturen waren mit der britischen nicht konkurrenzfähig. Ebenfalls fielen der Beginn der Lohnarbeit und eine verstärkte Landflucht in diese Periode.2425 Die oben angesprochene „feministische“ Bewusstwerdung äußerte sich in einer Reihe von journalistischen Beiträgen in verschieden Zeitungen, die hauptsächlich von Frauen der Oberklasse und der oberen Mittelklasse geschrieben wurden. Diese Frauen hatten oft eine Ausbildung durch europäische Lehrerinnen erhalten und waren durch diese beeinflusst worden. Zudem trafen sie sich nach europäischen Vorbild in sogenannten Salons zum Gedankenaustausch.26 Margot Badran sieht ihn Qasim Amins Werk Tahrir al-mar’a (Die Befreiung der Frau)27, veröffentlicht 1899, den Durchbruch in der feministischen Debatte in Ägypten. Laut Badran fasste er den aufgesplitterten Diskurs zusammen und gilt somit auch als „Vater des ägyptischen Feminismus“. Er richtete sich in seinem Buch jedoch in erster Linie an die ägyptischen Männer, denen er aufgrund ihrer Rückständigkeit die Schuld an der 24 Badran, Margot: Feminists, Islam, and Nation. Gender and the Making of Modern Egypt. Princeton 1995. S. 4-7. 25 Vgl. Ahmed a. a. O. 1992. S 127-134. 26 Badran, Margot: Independent Women. More Than a Century of Feminism in Egypt. In: Tucker, Judith E.: Arab Women. Old Boundaries, New Frontiers. Washington DC 1993. S. 129-148. S. 132f. 27 Vgl. Amin, Qasim: The Liberation of Women and The New Woman. Two Documents in the History of Egyptian Feminism. Kairo 2005. 10
  • 17. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten Unterentwicklung der Ägyptischen Gesellschaft gab. Er forderte Frauenbildung und weitgehende soziale Gleichstellung der Frau. 28 Ein Jahr später veröffentlichte er das Buch al-mar’a al-jadida (Die neue Frau)29 als Antwort auf die zahlreichen Kritiken auf sein erstes Buch. Das zweite Buch war noch pro-westlicher als das erste, in dem er deutlich von islamischen Modernisten, wie zum Beispiel Muhammad Abduh oder Rashid Rida, beeinflusst war. Auch in diesem Werk forderte er Frauenbildung und sprach sich dazu noch deutlicher gegen den Schleier und für eine Teilhabe der Frauen am öffentlichen Leben aus. 30 Leila Ahmed hingegen steht Qasim Amin äußerst kritisch gegenüber. Sie sieht in der Argumentation Amins eine Übernahme der kolonialen Sicht der Briten auf die Ägypter. Amin gehe es nicht um die Befreiung der Frau, sondern um die Übernahme britischer Werte und Kultur, in der die Frau ebenfalls unterdrückt ist. Eine kritische Reflexion der britischen Kultur und Gesellschaftsordnung fände bei Amin nicht statt. Vielmehr sei der von ihm geforderte „Feminismus“ die Übernahme kolonialistischer Argumente zur Legitimation der britischen Herrschaft in Ägypten, in dem alles Britische modern und gut ist, alles Ägyptische das Schlechte verkörpere. Eines der Hauptargumente Amins bildet die angebliche Rückständigkeit der ägyptischen Männer, anhand derer die Unterdrückung der Frauen festgemacht wird. Besonderes Augenmerk richtet er, genau wie die Kolonialisten und christlichen Missionare, dabei auf den Schleier, der als Symbol der Frauenunterdrückung und Rückständigkeit der ägyptisch-muslimischen Gesellschaft herhalten müsse. Im Endeffekt fordere Amin, wenn auch möglicherweise unbewusst, die Ersetzung der muslimischen patriarchalen Dominanz durch die westliche männliche Dominanz, so Ahmed. Immerhin entstand durch die kritische Rezeption Amins Werke eine Diskussion über die Rolle der Frau in Ägypten. Ahmed spricht ihm jedoch ab der „Vater des ägyptischen Feminismus“ sein, sie nennt ihn dagegen einen „Sohn Cromers“, dem Generalkonsul Ägyptens zur Zeit Amins. Ägypten war 1882 endgültig britische Kolonie geworden.31 Zudem gibt es starke Hinweise, dass Teile seines Buches von anderen Autoren 28 Badran, Margot: Feminism in Islam. Secular and Religious Convergences. Oxford 2009. S. 55ff. 29 Vgl. Amin a. a. O. 2005. 30 Stowasser, Barbara F.: Women´s Issues in Modern Islamic Thought. In: Tucker, Judith E: (Hrsg.): Arab Women. Old Boundaries, New Frontiers. Washington DC 1993. S. 3-28. S 10f. 31 Ahmed a. a. O. 1992. S. 155-165. 11
  • 18. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten wie Muhammad Abduh und Ahmad Lutfi al-Sayyid verfasst wurden, ohne dass dies kenntlich gemacht worden wäre. 32 El-Sadaawi wiederum bewertet Qassim Amins Werke positiv, sieht aber in Ahmed Fares` Buch „One leg Crossed Over the Other“ von 1855 das erste ägyptische Werk, welches sich mit der Emanzipation der Frauen beschäftigt. Die Ideen Amins waren damit Teil einer allmählichen Entwicklung, die ihre Fortsetzung bei vielen Autorinnen und Autoren fand. Im Gegensatz zu der Einschätzung von Leila Ahmed ist el-Sadaawi der Meinung Qassims Argumentation sei strikt an den Islam und nicht an westliche Ideen gebunden. 33 Beide Autorinnen widersprechen sich damit deutlich in der Einschätzung der Bedeutung Amins für die ägyptische Frauenbewegung. Interessanterweise beginnt das Erwachen eines weiblichen oder „feministischen“ Bewusstseins in Ägypten ungefähr mit dem Beginn der Kolonialisierung durch die Briten. Diese benutzten die Behauptung, die islamische Gesellschaft würde im Gegensatz zur westlichen beziehungsweise viktorianischen, die Frau unterdrücken, für ihre Zwecke. Das heißt, um die Überlegenheit der eigenen Kultur zu beweisen und als Legitimation für die Kolonialisierung Ägyptens zu benutzen. Die Unterdrückung der ägyptischen Frau könne durch die Übernahme der westlichen Kultur überwunden werden. Der Schleier verkörperte darin das Symbol der überholten und rückständigen Lebensweise der Ägypter schlechthin. Westliche Feministinnen übernahmen die verfälschten und politisch gesteuerten Behauptungen in Bezug auf die islamische Gesellschaft und den Kampf gegen den Schleier. Das Modell in dem der Islam den Unterdrücker der Frau verkörpert und der Westen den Befreier, hat ebenfalls seit dieser Zeit, auch bei westlichen Feministinnen, Bestand. Auch die Schleierdebatte dauert bis heute an. Gerade dadurch untergräbt der Feminismus seine Glaubwürdigkeit in den islamischen Ländern, da er sich zum willfährigen Vehikel des Kolonialismus gemacht hat, was den feministischen Diskurs in der arabisch-islamischen Welt bis heute prägt. Dadurch rückt der Kampf um die Frauenbefreiung in die Nähe eines Kampfs der Kulturen. Ein Kulturkampf hat jedoch, im Gegensatz zum Kampf um Gleichberechtigung, keine Berechtigung, so Leila Ahmed. Es sei richtig, dass die ägyptischen Frauen unterdrückt waren und bis heute sind, das gilt jedoch auch für die Frauen in beinahe allen Kulturen gleichermaßen. Insbesondere für das viktorianische Groß-Britannien der vorletzten Jahrhundertwende. 34 32 Badran a. a. O. 1995. S. 18. 33 Saadawi, Nawal El-: The Hidden Face of Eve. Women in the Arab World. London und New York 2007. S. 253ff. 34 Ahmed a. a. O. 1992. S. 165-168. 12
  • 19. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten Die Autorin Cathlyn Mariscotti35 macht ebenfalls auf die verzerrte Wahrnehmung der ägyptischen Frauen durch westliche Feministinnen, aber auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aufmerksam, die bis heute andauert. Sie kritisiert die „Orientalisierung“ der Ägypterinnen und sagt, dass sie als Abgrenzungs- und Projektionsfläche missbraucht werden. Sie sind alles das, was die westlichen Frauen nicht sein wollen. Nämlich unterdrückt, nicht gleichberechtigt und marginalisiert. Zusätzlich stellt sie fest, dass vorrangig die Lage von Frauen der Ober- und Mittelschicht analysiert wird, die der unteren Schichten, welche aber die Mehrheit darstellen, dabei nur wenig Beachtung findet. Dies hängt laut ihr mit dem bourgeoisen Feminismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zusammen, in dem sich Feministinnen nur mit den Frauen ihrer Klasse beschäftigten und den Kontakt zu den unteren Klassen mieden. 36 Zu Anfang des 20.Jahrhunderts traten in Ägypten immer mehr weibliche feministische Autorinnen in Erscheinung, unter ihnen prominente Vertreterinnen wie Hifni Nāsif 37, Zaynab Fawwāz38 und Huda Shaarawi 39 die eine größere Öffentlichkeit erreichten. Zeitgleich nahmen die anti-britischen Strömungen und die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit zu. Dabei kam es zu teilweise harten Gegenmaßnahmen der britischen Besatzungsmacht, die oft mehrere ägyptische Todesopfer forderten. Im Streben nach Unabhängigkeit, besonders in der nationalen Revolution nach dem Ende des Ersten Weltkrieges von 1919 bis 1922, wurden die weiblichen Aktivistinnen von verschieden Parteien, auch den Islamisten, hofiert und gingen mit ihnen temporäre Allianzen ein, obwohl ihre Ziele nur teilweise deckungsgleich waren. Feminismus und die Frauenfrage wurden wieder einmal für ein anderes Ziel instrumentalisiert, diesmal für die nationale Unabhängigkeit Ägyptens. Die speziellen Belange der Frauen mussten bei den „höheren“ Zielen hinten anstehen, ein Muster das sich in der ägyptischen Geschichte bis heute immer wieder findet.40 35 Mariscotti, Cathlyn: Gender and Class in the Egyptian Women´s Movement, 1925-1939. Syracuse 2008. 36 Mariscotti a. a. O.2008. S. 3-6. 37 Hifnī Nāşif. Malik: Über die ägyptische Frauenfrage. Aufsätze von Melek Hifnī Nâcif. Konstantinopel 1926. 38 Vgl. Bräckelmann, Susanne: „Wir sind die Hälfte der Welt!“ Zaynab Fawwāz (1860-1914) und Malak Hifnī Nāsif (1886-1918)-zwei Publizistinnen der frühen ägyptischen Frauenbewegung. Würzburg 2004. 39 Vgl. Lanfranchi, Sania Sharawi. Herausgegeben von King, John Keith: Casting off the Veil. The Life of Huda Shaarawi. Egypt´s First Feminist. London und New York 2012. 40 Badran, Margot: Feminism in Islam. Secular and Religious Convergences. Oxford 2009. S. 21ff. 13
  • 20. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten Dennoch waren die Jahre von 1900 bis 1923 vitale Jahre für die ägyptische Frauenbewegung und ihr Anliegen wurde in der Öffentlichkeit diskutiert. Dadurch trauten sich auch mehr Frauen den Schleier abzulegen, etliche Frauenorganisationen wurden gegründet und die Frauenbewegung erreichte einen höheren Organisationsgrad als je zuvor. Zusätzlich beteiligten sich Frauen nahezu aller Schichten in unterschiedlicher Form am Kampf gegen die britische Besatzung. Trotz der Beteiligung von Frauen aus den unteren Schichten, wurde der feministische Diskurs weiterhin durch Aktivistinnen und Aktivisten aus den höheren Schichten bestimmt und orientierte sich dabei am westlichen liberalen Vorbild.41 Badran sieht im Jahr 1923 eine Zäsur in der Geschichte des ägyptischen Feminismus. Ab Mitte des 19.Jahrhunderts war ein weiblich-feministisches Bewusstsein entstanden welches sich aber mehr in der öffentlichen als in der privaten Sphäre niederschlug. 1923, ein Jahr nach der formellen aber eingeschränkten Unabhängigkeit von Groß-Britannien, entstanden zahlreiche feministische Organisation, wie die Egyptian Feminist Union (EFU), und die Aktivistinnen begannen sich nun auch öffentlich als Feministinnen zu bezeichnen. Diese zweite Phase des ägyptischen Feminismus wird wiederum in mehrere Phasen unterteilt. Eine radikal liberale Phase von 1920 bis in die 1940er Jahren. Populistischer Feminismus ab Ende der 1940er bis in die 1950er Jahre, welche dann stark vom Nasserismus geprägt waren. Den sexuellen Feminismus der 1960er und 1970er Jahre sowie den wieder erstarkten Feminismus der 1980er. 42 Diese Phasen werden im weiteren Verlauf des Kapitels übersichtsartig dargestellt. Der Grund für das veränderte Auftreten der feministischen Aktivistinnen ist vor allem in der ägyptischen Verfassung von 1923 begründet. Darin wird den Frauen das Wahlrecht, trotz ihres aktiven und letztendlich erfolgreichen Kampfes gegen die Besatzung und für die nationale Unabhängigkeit an der Seite der Männer und innerhalb der Parteien, verweigert.43 Dadurch gerieten die Feministinnen aus den elitären Schichten in eine Zwickmühle. Zum einen waren sie enttäuscht dass die feministische Agenda keinen Eingang in die säkularen Gesetze gefunden hatte, zum anderen profitierten sie nach wie vor von ihrer Zugehörigkeit zur hegemonialen sozialen Klasse. So stehen sie einerseits über den Frauen niedrigerer Klassen, was ihre soziale Lage und ihren Einfluss auf die politischen Entscheidungen betrifft, zum anderen waren sie rechtlich genau so schlecht gestellt wie diese, da für sie nach wie vor das traditionelle islamische Familienrecht galt. 14 41 Ahmed a. a. O. 1992. S. 169-175. 42 Badran a. a. O. 2009. S. 118. 43 Ahmed a. a. O. 1992. S. 176f.
  • 21. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten Dennoch waren sie durch ihre finanzielle Lage privilegiert und hatten ungleich mehr Lebenschancen und Optionen als die Frauen der unteren Schichten, die bei Weitem die Mehrheit der weiblichen Bevölkerung darstellten. Wie bereits oben angesprochen waren es die Frauen der Oberschicht, welche den feministischen Diskurs und das Agendasetting beherrschten, den Frauen der Unterschicht mangelte es dazu an Bildung und Artikulationsmöglichkeiten.44 Da den Aktivistinnen direkte aktive Teilnahme an der Politik durch das fehlende Wahlrecht nicht möglich war, gründeten sie, wie bereits angesprochen, Frauenvereine und Organisationen, gaben Zeitungen heraus, organisierten Veranstaltung und bemühten sich um Bildungs- und Gesundheitsprojekte. Dabei gab es immer wieder personelle Überschneidungen, Abspaltungen und Neugründung quer durch das politische und religiöse Spektrum. Dies hielt bis zur Revolution der sogenannten Freien Offiziere, unter ihnen Nasser, 1952 an. Nachdem dieser seine Macht im Revolutionäre Kommandorat bis 1954 konsolidiert hatte, wurde nach und nach jegliche Opposition ausgeschaltet. Die feministischen Gruppen wurden ebenfalls entweder aufgelöst oder unter Führung des Kommandorates im Sinne des Nasserismus, oft unter anderem Namen und personeller Leitung, weitergeführt. Der Nasserismus sollte in seinem sozialistischen Selbstverständnis allen Ägyptern, also auch den Frauen, Fortschritt bringen. So wurde 1956 schließlich das Frauenwahlrecht, welches seit über 30 Jahren von den Aktivistinnen gefordert wurde, eingeführt. Auch erhielten sie unbeschränkten Zugang zu den Universitäten, was zu einem deutlichen Anstieg der Anzahl weiblicher Studentinnen führte. Das alte Personenstandsrecht, welches Frauen benachteiligte, blieb jedoch unangetastet. Frauen hatten nun zwar die vollen politischen Rechte, das patriarchale System hatte in der Gesellschaft dennoch fast unverändert Bestand. Nasser konnte und wollte dies nicht antasten.45 Der fortdauernden Kampf feministischer Aktivistinnen und Organisationen gegen das patriarchale System beschränkte sich dabei nicht nur auf Ägypten, wenn auch dieser vorrangig war und als nationalistischer Kampf gegen die teilweise immer noch bestehende Besatzung verstanden wurde, sondern sie beteiligten sich auch an internationalen Frauenkongressen und an internationalen Frauenorganisationen. Das Verhältnis zwischen den arabischen und westlichen Feministinnen blieb aber stets gespannt und durch den Kolonialismus belastet. Arabische Feministinnen wurden von ihren internationalen Schwestern von oben herab behandelt und galten als unemanzipiert im Vergleich zu ihrem westlichen Pendant. Dies verstärkte sich durch die Gründung Israels 15 44 Mariscotti a. a. O. 2008. S. 38f. 45 Badran a. a. O. 2009. S. 125-129.
  • 22. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten 1948 und der daraus entstehenden Palästinenserfrage nach dem Zweiten Weltkrieg, so dass die arabischen Aktivistinnen sich mehr auf einen pan-arabischen Feminismus verlagerten, da die westlichen Feministinnen unreflektiert die Position des neuen israelischen Staates vertraten. Ab diesem Zeitpunkt konzentrierten sich die Aktivistinnen auf Projekte im arabischen Raum.46 Mit der Revolution im Jahr 1952 endete die Phase des radikalen Feminismus in Ägypten und die Phase des populistischen beziehungsweise staatlich gesteuerten Feminismus begann. Dieser brachte den Frauen zwar einige Fortschritte wie das Wahlrecht, bessere Bildungsmöglichkeiten und mehr Zugangschancen zum Arbeitsmarkt auf der einen Seite, zeichnete sich aber auch durch das Verbot aller unabhängigen Frauenorganisationen aus. Daran wird ersichtlich, dass die Frauenförderung in erster Linie dem nasseristischen Regime zu Gute kommen sollte. Engagierte Frauenrechtlerinnen waren somit gezwungen sich entweder den staatlichen Vorgaben anzupassen oder ihre Arbeit im Verborgenen fortzusetzen, was viele auch taten. Die vom Staat vorzuweisenden Erfolge weckten bei vielen Aktivistinnen jedoch auch Hoffungen auf eine bessere Zukunft. Rechtlich änderte sich in dieser Zeit, wie bereits erwähnt, bis 1962 wenig. 1962 wurden in der Nationalen Charta der pan-arabische Charakter Ägyptens und die Forderung nach sozioökonomischer Entwicklung hervorgehoben. Gleichzeitig wurde die Gleichberechtigung von Männern und Frauen postuliert und die Rolle der Frau als konstruktiv und wichtig für die Entwicklung beschrieben. Ein erster zögerlicher staatlicher Versuch die Macht des Patriarchats zu brechen. Gleichzeitig garantierte der Staat Chancengleichheit für alle Ägypter, diese Chancengleichheit gab es in der Realität jedoch nicht. 47 Insgesamt blieb der staatliche Feminismus halbherzig. Profiteurinnen waren vor allem Frauen der urbanen gebildeten Mittelschicht, für die weibliche Landbevölkerung hingegen änderte sich nur wenig an ihren harten Lebensbedingungen. Aber auch die gebildeten urbanen Frauen waren von Führungspositionen in Politik und Wirtschaft, bis auf wenige Ausnahmen, die propagandistisch ausgeschlachtet wurden, faktisch ausgeschlossen. Frauen waren in ihren Karrieren den Männern immer untergeordnet, ebenso waren deutliche Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern bei gleicher Arbeitsleistung normal. Generell bestand in dieser Zeit eine dualistische Einstellung zu den Geschlechtern, dem Maskulinen wurde Führungskraft und Autorität zugesprochen, das Weibliche wurde als dessen Gegenteil konstruiert und als dem Maskulinen untergeordnet betrachtet. Dies war 16 46 Badran a. a. O. 1995. S. 108ff. 47 Badran a. a. O. 2009. S. 32-38.
  • 23. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten zwar nicht offizielle Politik des Regimes, wurde aber durch dessen patriarchale Führungsstrukturen deutlich und spiegelte sich auch in der Gesellschaft wider. 48 Dennoch kann Ägypten für die Zeit des Arabischen Sozialismus unter Nasser und seinen Nachfolgern auf vielen anderen Bereichen Erfolge in der Modernisierung des Staates, insbesondere bei der Bildung vorweisen, auch wenn viele Ziele bis heute nicht erreicht sind. So besuchten 1952 gerade einmal 45 Prozent der Kinder die Grundschule, 1967 waren es bereits 80 Prozent. An den Universitäten kamen 1953 auf eine Studentin 13,2 Studenten. 1967 lag diese Rate nur noch bei 1,8. Dies schlug sich auch auf dem Arbeitsmarkt nieder. Beim Kampf gegen das Analphabetentum scheiterte Ägypten dagegen. 1976 waren immer noch 43 Prozent der männlichen und 71 Prozent der weiblichen Bevölkerung Analphabeten. Bei der Analphabetenrate bestand weiterhin ein deutlicher Unterschied bei den Geschlechtern. Es wurde also nicht erreicht diesen Gender-Gap, vor allem bei der Bildung und der politischen Teilhabe, zu schließen. 49 Der Schleier, an dem sich etliche Debatten zwischen Traditionalisten und Modernisten während der britische Besatzung Ägyptens von 1882 bis 1954 entzündet hatten (siehe oben) verschwand in der Ära Nassers nahezu vollständig aus der Öffentlichkeit. Auch weil Nasser erfolgreich den Einfluss der islamistischen Muslimbrüder, welche für ihn eine der gefährlichsten Oppositionsgruppen darstellte, durch rigides Vorgehen zurückdrängen konnte. Hinzu kam, dass viele Frauen von seinen sozialistischen Bildungsprogrammen, der zunehmenden Teilhabe an der Lohnarbeit, der politischen Gleichstellung und der weitgehenden Gleichberechtigung profitierten. Erst mit der, als arabische Katastrophe empfundenen, Niederlage im Sechs-Tage-Kriege gegen Israel 1967 sollte sich das wieder ändern. Diese Niederlage demaskierte quasi das Regime mit all seinen Schwächen, machte Korruption und politische Unfähigkeit der politischen Führung deutlich und stärkte dadurch die religiösen und islamistischen Kräfte. Unter Nassers Nachfolger Sadat und dessen Politik verstärkte sich dieser Trend noch weiter. 50 Anwar Sadat, der Nachfolger Nassers, brach mit dem nasseristischen Sozialismus und betrieb seine Politik der Öffnung, auch „Politik der offenen Tür“ genannt. Dabei öffnete er 48 Hatem, Mervat F.: Secularist and Islamist Discourses on Modernity in Egypt and the Evolution of the Postcolonial Nation-State. In: Haddad, Yvonne Yazbeck und John L. Esposito (Hrsg.): Islam, Gender, and Social Change. New York u. a. 1998. S. 85-99. S. 87ff. 49 Ahmed a. a. O. 1992. S. 210f. 50 Fathi-Rizk, Nazli: The veil. Religious and historical foundations of the modern political discourse. In: Sadiqi, Fatima und Moha Ennaji (Hrsg.): Women in the Middle East and North Africa. Agents of Change. London und New York 2011. S. 15-35 S. 17-21. 17
  • 24. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten der westlichen Wirtschaft die Märkte Ägyptens bedingungslos, was zu einer Schwemme westlicher Produkte und Handelsketten führte. Gleichzeitig reichte er den religiösen Kräften wie den Muslimbrüdern die Hand und lockerte die unter Nasser herrschenden Restriktionen. Die Islamisten wussten die neue Lage auszunutzen und bauten ihren gesellschaftlichen Einfluss massiv aus, so dass Sadat später nicht mehr in der Lage war die islamistischen Kräfte so zu kontrollieren, wie er es zu Anfang erhofft hatte. Der gesellschaftliche Einfluss der Muslimbrüder erstreckte sich dabei auch auf die Frauen und die sichtbare Religiosität in der Öffentlichkeit nahm wieder zu. Sadats Ehefrau Jihan hingegen drängte im Hintergrund auf die weitere Verbesserung der Lage der Frauen. In der neuen Verfassung von 1971 schlug sich dies dann in der Passage nieder, in welcher die Diskriminierung auf Grund des Geschlechts als unzulässig bezeichnet wurde. 51 In diese Zeit fällt auch der Beginn der Geschlechterdebatte in Ägypten oder die Zeit des sexuellen Feminismus wie ihn Badran bezeichnet. Vorreiterin war hier Nawal el-Saadawi. Saadawi prangerte in ihren Werken nicht nur die weibliche Genitalverstümmelung an, sondern machte die sexuelle Dominanz der Männer über die Frauen in allen sozialen Schichten deutlich.52 Die Regierungszeit Sadats und die feministische Debatte zu dieser Zeit bewegten sich generell im Spannungsfeld zwischen den wachsenden westlichen Kultur- und Wirtschaftseinflüssen, dem Wiedererstarken der islamistischen Kräfte, dem Kampf um den Körper der Frau sowie der Forderung nach einem säkularen Personenstandsrecht. 5354 In den 1980er Jahren trat der Feminismus in Ägypten wieder verstärkt in die Öffentlichkeit. Erneut war es Saadawi die eine neue feministische Gruppe, die Arab Women`s Solidarity Association (AWSA)55, gründete. Ebenso entstanden andere Gruppen, welche genau wie AWSA ebenfalls Zeitschriften herausgaben. Zwei Gruppen von Aktivistinnen lassen sich unterscheiden. Zum einen junge Frauen die in der Studentenbewegung aktiv waren, zum anderen Frauen in ihren 40er und 50er Jahren, welche sich innerhalb bestimmter Projekte engagierten. Daneben existierten noch weitere informelle unregistrierte Gruppierungen. Die Motivation sich für Frauenrechte einzusetzen 51 Badran a. a. O. 2009. S. 39ff. 52 Ebd. a. a. O. 2009. S. 130ff. 53 Haddad, Yvonne Yazbeck: Islam and Gender: Dilemmas in the Changing World. In: Haddad, Yvonne Yazbeck und Esposito, John L. (Hrsg.): Islam, Gender, and Social Change. New York u. a. 1998. S. 3-2. S. 7f. 54 Ahmed a. a. O. 1992. S. 214. 55 Vgl. www.awsa.net. Aufruf am 30.03.2013 18
  • 25. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten war weit gestreut. Sie reichte von der Friedensbewegung, zum Beispiel gegen den israelischen Einmarsch in den Libanon 1982, bis zu Organisationen die für bessere Arbeitsbedingungen für Frauen kämpften und die Einhaltung der garantierten Rechte forderten. Das Klima den Feministinnen gegenüber war eher abweisend bis feindlich, sowohl von islamistischer als auch von staatlicher Seite aus. 56 Gleichzeitig nahm in den 1980er Jahren die Verschleierung in Ägypten massiv zu, was verschiedene Ursachen und Gründe hatte. Anfang der 1980er war in Ägypten ein stiller Wandel zu einem neuen Lebensstil im Gange. Dies äußerte sich auch in einer bei den Frauen durch den Schleier nach außen hin getragenen sichtbaren Religiosität. Wobei sich zeigte, dass verschleierte Frauen nicht unbedingt gläubiger waren als unverschleierte, viel mehr hatten sie ein etwas anderes Verständnis von Religiosität. Ein weiterer Grund war die weit verbreitete Tatsache, dass unverschleierte Frauen in der Öffentlichkeit sehr oft sexueller Belästigung ausgesetzt waren, da sie als unmoralisch und „leicht zu haben“ galten. Der Schleier diente somit auch dem Schutz vor zudringlichen Männern oder wurde von den Ehemännern eingefordert, die sich um ihre Ehefrauen sorgten. Die Motivation den Schleier anzulegen änderte sich langsam im Laufe des Jahrzehnts. Zu Anfang war es eher eine freiwillige Entscheidung der Frauen den Schleier zu tragen, eine Art Modeerscheinung. Wie in dieser Arbeit bereits erwähnt, war die Verschleierung in Ägypten in den letzten 150 Jahren einem ständigen Wechsel unterworfen. Zu Ende des Jahrzehnts wurde der Einfluss der Islamisten, insbesondere der der Muslimbrüder, jedoch immer deutlicher. Diese setzten den Schleier in der Öffentlichkeit wieder durch. 57 Die Islamisten machten sich dabei die finanzielle und gesellschaftliche Lage der Frauen zu nutze und boten Serviceleistungen wie beispielsweise kostenlose Bustransporte nur für Frauen zur Universität an. Diese Serviceleistungen standen allerdings nur Frauen in „islamischer“ Kleidung zur Verfügung. Zudem wurde „islamische“ Kleidung, wie der bodenlange Mantel und der Schleier, kostenlos oder für sehr wenig Geld verteilt. Für die Islamisten war das Wiederauftauchen des Schleiers auch öffentlich sichtbares Zeichen für die Stärke ihrer Bewegung. Dementsprechend viele Anstrengungen unternahmen sie für die Verbreitung des Schleiers. Generell wuchs ihr Einfluss in Gesellschaft und Staat. Somit wuchs auch der islamistische Einfluss in der Politik und dadurch insbesondere in den Schulen, so dass bereits viele junge Mädchen den Schleier anlegten. Auffällig ist, dass 56 Badran a. a. O. 2009. S. 132ff. 57 Ahmed, Leila: A Quiet Revolution. The Veil´s Resurgence, from the Middle East to America. New Haven und London 2011. S. 117-130. 19
  • 26. 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten besonders jüngere gebildete Frauen verstärkt den Schleier trugen, ältere Frauen lehnten dies häufig ab, da sie lange dafür gekämpft hatten den Schleier ablegen zu können. 58 Die Meinungen über die Beurteilung der Geschichte des Feminismus in Ägypten gehen auseinander. Margot Badran zeichnet in ihren Untersuchungen, die auch für dieses Kapitel verwendet wurden, ein recht positives Bild eines eigenständigen ägyptischen Feminismus über Klassengrenzen hinweg. 59 Leila Ahmed dagegen ist wesentlich kritischer und spricht zumeist von einem elitären, von westlichen Ideen geprägten, Feminismus in Ägypten. 60 Festzuhalten bleibt der ereignisreiche, wechselhafte und teilweise erfolgreiche, teilweise gescheiterte Kampf der ägyptischen Frauen um ihre Rechte und ihren gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft. Dabei müssen sich die Belange der Frauen bis heute denen der Männer, der Nation und der staatlichen Entwicklung unterordnen. Zudem zeigen sich die ägyptischen Männer resistent gegen die Neudefinierungen von Geschlecht und Geschlechterrollen und verweigern den Frauen damit die Gleichberechtigung. Zwar eroberten die Frauen besonders nach 1952 den öffentlichen Raum, in der Arbeitswelt, zumindest in der Lohnarbeit und bei der politischen Repräsentation sind sie dennoch deutlich unterrepräsentiert. Die Sphäre der Frau bleibt nach wie vor der Haushalt und die Kindererziehung. Durch diese sozialen Normen eingeschränkt, bleibt den Frauen oft nur gewerbliche Kleinarbeit von zu Hause aus, da sie in anderen Bereichen nicht akzeptiert werden und dort oft Opfer männlicher Attacken werden. Die Unterstützung der politischen Parteien für mehr Partizipation ist ebenfalls entweder äußerst dürftig oder überhaupt nicht vorhanden. 61 Insgesamt verläuft die Geschichte des Feminismus in Ägypten typisch für ein kolonialisiertes Land der Dritten Welt. Chong-Sook Kang und Ilse Lenz 62 beschreiben folgenden Verlauf: Durch das gewaltsame Eintreten in die Weltwirtschaft und die industriekapitalistische Entwicklung durch den Kolonialismus wird die bisherige Wirtschafts- und Sozialstruktur 58 Ebd. a. a. O. 2011. S. 131-141. 59 Vgl. Badran a. a. O. 2009 und a. a. O. 1995. 60 Vgl. Ahmed a. a. O. 1992. 61 Ragheb Awad, Hoda: The legal status of women in Egypt. Reform and social inertia. In: Sadiqi, Fatima und Moha Ennaji: Women in the Middle East and North Africa. Agents of Change. London und New York 2011. S. 129-146. S. 138ff. 62 Kang, Chong-Sook und Ilse Lenz: „Wenn die Hennen krähen…“. Frauenbewegungen in Korea. Münster 1992. 20
  • 27. 3. Theoretische Grundlagen erschüttert. Dabei bilden sich politische Bewegungen von Frauenbewegten, die gegen die ungleichen Bildungschancen und die Selbstprivilegierung der Männer durch Kodifizierung patriarchalischer Traditionen in modernem Recht kämpften. Diese Bewegungen formieren sich dann im frühen 20. Jahrhundert zu antikolonialen und demokratischen Bewegungen. Im Zuge der Neuen Sozialen Bewegungen bilden sich ab den 1960er Jahren dann breitgefächerte Frauenbewegungen mit unterschiedlichen Forderungen nach Machtbildung, gegen misogyne Gewalt und gegen sexuelle Unterdrückung. Diese Phase trat durch den Staatsfeminismus unter Nasser in Ägypten erst nach dessen Tod in den 1970er Jahren ein. Lenz sieht in der Frauenbewegung eine Antwort auf die Krisen der Modernisierung, die je nach Kultur und Angehörigkeit zu Zentrum oder Peripherie des kapitalistischen Weltsystems, unterschiedlich wahrgenommen und bekämpft werden. Die Frauen der Dritten Welt übernehmen deshalb nur bestimmte westliche Feminismuskonzepte und ergänzen diese mit eigenen um neue Synthesen zu schaffen. Frauen der Dritten Welt bekämpfen dabei nicht nur das Patriarchat und die Armut sondern ungleiche internationale Macht- und Handelsbeziehungen.63 Es gibt in der Geschichte des ägyptischen Feminismus Parallelen zur Geschichte des westlichen Feminismus, aber auch viele Eigenheiten, welche der Kultur und der islamischen Religion geschuldet sind. Wie die sich aktuelle Feminismusdebatte in Ägypten gestaltete wird in Kapitel 7 Thesen dargestellt. 3. Theoretische Grundlagen 3.1 Definition Feminismus und verschiedene Strömungen Wie in der Einleitung und Fragestellung erläutert, soll im Hauptteil die aktuelle Feminismusdiskussion in Ägypten dargestellt werden. Dafür muss erst definiert werden, was in dieser Arbeit unter Feminismus verstanden wird. Dafür wird eine Übersicht über die verschiedenen Denkrichtungen und historischen Etappen gegeben, die sich zum großen Teil auch in der Historie des Feminismus in Ägypten wiederfinden. Zudem werden einige Definitionen angeführt und dargestellt, welche Feminismusdefinition in dieser Arbeit verwendet wird. In Kapitel 3.2 Feminismusverständnis von Judith Butler wird das Modell Judith Butler etwas näher erläutert. Die Geschichte der Frauenbewegung in Ägypten wird in einem eigenen Kapitel behandelt (siehe Kapitel 2.1 Überblick von den Anfängen bis heute). 21 63 Ebd. a. a. O. 1992. S. 16f.
  • 28. 3. Theoretische Grundlagen Über den zeitlichen Beginn der Frauenbewegung beziehungsweise des Feminismus gehen die Meinungen auseinander. Hodgson-Wright 64 zählt bereits englische Schriften aus dem 16. Jahrhundert, die sich mit dem Patriarchat beschäftigen zu den Anfängen der Frauenbewegung.65 Für Barbara Holland-Cunz beginnt der moderne Feminismus mit der Französischen Revolution von 1789. Besonders hebt sie hierbei der Beitrag von Olympe de Gouges und ihre „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ 66 vor, in dem sie die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau fordert. Diesen revolutionären Anspruch musste sie im Jahr 1793 mit dem Tod auf dem Schafott bezahlen. 67 Zur gleichen Zeit verfasste Mary Wollstonecraft ein ebenso bahnbrechendes Werk, das „Plädoyer für die Rechte der Frau“68, in dem sie in scharfen Worten Gleichberechtigung einfordert und männliche Despotie verurteilt.69 Von diesem Zeitpunkt an kann man auf jeden Fall vom beginn der Frauenbewegung sprechen. Die Historie des Feminismus lässt sich in drei Phasen einteilen. In die sogenannte „erste“ und „zweite Welle“ des Feminismus und den Postfeminismus, der auch als die „dritte“ Welle des Feminismus bezeichnet wird. Die Genderdebatte stellt ein eigenes Feld innerhalb des Feminismus dar. Die erste Welle des Feminismus im angloamerikanischen Raum begann, wie oben erwähnt, mit dem Werk von Wollstonecraft. Sie und andere Aktivisten und Aktivistinnen forderten in erster Linie gleiche Bildungschancen, Gleichheit vor dem Recht und Beteiligung am Arbeitsmarkt. Die Forderung nach dem Wahlrecht kam zumeist erst Ende des 19. Jahrhunderts auf und fand Anfang des 20. Jahrhundert in Groß-Britannien in der Suffragettenbewegung ,die das weibliche Wahlrecht forderte, ihren Höhepunkt. Diese wurde vom Ersten Weltkrieg gestoppt. Jedoch waren Frauen durch den Krieg auf der anderen Seite stärker ins Arbeitsleben eingebunden als zuvor. Das Wahlrecht erhielten die 64 Hodgson-Wright, Stephanie: Early Feminism. In: Gamble, Sarah (Hrsg.): The Routledge Companion to Feminism and Postfeminism. London und New York 2001. S. 3-15. 65 Ebd. a. a. O. 2001. S. 3ff. 66 Vgl. Burmeister, Karl Heinz: Olympe de Gouges, die Rechte der Frau. 1791. Bern 1999. 67 Holland-Cunz, Barbara: Die alte neue Frauenfrage. Frankfurt 2003. S. 24f. 68 Vgl. Wollstonecraft, Mary: Ein Plädoyer für die Rechte der Frau. Weimar 1999. 69 Holland-Cunz. a. a. O. 2003. S. 18f. 22
  • 29. 3. Theoretische Grundlagen Frauen Groß-Britanniens 1918, in manchen Staaten der USA, so zum Beispiel in Utah und Wyoming, bereits 1869/70. 70 Trägerinnen der Bewegungen waren vor allem Frauen der Mittelklasse, deren Forderungen sich meist auf ein enges Feld beschränkten. Solidarität mit Frauen anderer Schichten oder gar Kulturkreise war praktisch nicht vorhanden. Trotzdem gewann die Frauenbewegung mehr und mehr an Kraft und Schwung, so dass im 20. Jahrhundert einige Erfolge erzielt wurden, wenn auch von einer vollen Gleichberechtigung keinerlei Rede sein kann. 71 Die bereits angesprochene mangelnde Solidarität mit anderen Frauen verkehrt sich teilweise sogar ins Gegenteil. Im Kolonialismus wurden Frauen zu Mittäterinnen, indem sie sich als Teil der westlichen Hegemonie beteiligten und diesen oft auch befürworteten, anstatt sich mit den ebenfalls Unterdrückten zu solidarisieren. Westliche Feministinnen nahmen an, dass das System der patriarchalen Unterdrückung universell sei und übersahen wie der Kolonialismus neue Formen der Unterdrückung schaffte ohne die alten Unterdrückungsmechanismen der indigenen Gesellschaften zu beenden. 72 Ähnlich schreibt Holland-Cunz. Sie attestiert den Aktivisten und Aktivistinnen der ersten Welle ebenfalls mangelnde Solidarität und Egozentrismus, sowie eine verzerrte Wahrnehmung des Unterdrückungsverhältnisses. Ursprünglicher Grund für das entstehen der modernen Frauenbewegung ist das nicht eingelöste Versprechen der Gleichheit, welches in der Französischen Revolution gegeben wurde. Die drei Schlagworte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit galten offensichtlich nur für männliche Angehörige der Bürgerschaft.73 Weiterhin war die erste Phase des Feminismus, besonders in Deutschland, geprägt von Flügelkämpfen zwischen bürgerlichen und sozialistischen Aktivistinnen und Aktivisten sowie zwischen radikalen Forderungen nach einem totalen Umbruch und Reformbewegungen. Die Wechselbeziehung zwischen reformistischen und radikalen Forderungen kann aber auch als fruchtbar angesehen werden. Reformen schufen teilweise erst die Vorraussetzungen für radikalere Forderungen. Die Befürworterinnen eines totalen Umbruchs hatten das große Ganze, nämlich die volle Gleichberechtigung der Frau im Blick, verkannten aber möglicherweise die Grenzen ihres Handlungsspielraumes. Die 70 Vgl Sanders, Valerie : First Wave Feminism. In: Gamble, Sarah (Hrsg.): The Routledge Companion to Feminism and Postfeminism. London und New York 2001. S. 16-28. S. 16-27 71 Ebd. a. a. O. 2001. S. 27f. 72 Thürmer-Roth, Christina: Mittäterschaft von Frauen. In: Becker, Ruth und Beate Kortendiek (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie. Wiesbaden 2010. S. 88-93. S. 90f. 73 Holland-Cunz a. a. O. 2003. S. 40-43. 23
  • 30. 3. Theoretische Grundlagen Reformerinnen hingegen liefen Gefahr das Endziel, volle Gleichberechtigung der Geschlechter in allen Lebensbereichen, aus den Augen zu verlieren. Ein weiteres Konfliktfeld war die Frage, ob man mit den Unterdrückern, den Männern, zusammenarbeiten soll, oder ob das Erreichen der Ziele nur im Geschlechterkampf ohne deren Inkorporierung möglich ist. Holland-Cunz legt nahe, dass nur die Zusammenarbeit von Radikalen und Gemäßigten zum Erfolg führen kann. 74 Die zweite Welle der Frauenbewegung beginnt um 1963 mit Betty Friedans Buch „The Feminine Mystique“75, in dem sie die für die Selbstbefreiung der Frau plädiert und zum Kampf gegen antifeministische Strömungen aufruft. Dieses Buch stellt insofern einen Wendepunkt dar, da jetzt nicht mehr Gleichberechtigung sondern Freiheit gefordert wird. Zudem wird nun auch die Unterdrückung des weiblichen Körpers und nicht nur der Frau in ihrer sozialen Rolle erkannt..76 Nach dem politischen Zusammenbruch des Ostblocks geraten die Nord-Süd-Konflikte wieder vermehrt in den Fokus. Der Wegfall der bipolaren Blöcke sorgt für eine verstärkte Internationalisierung der Frauenpolitik, auch im Rahmen von UN-Konferenzen, welche zum Teil zu nationalen Verbesserungen der Lage der Frauen führen. Daneben finden postmoderne Theorien, wie zum Beispiel die Debatte um Geschlecht („sex“ und „gender“), Eingang in den innerfeministischen Diskurs (siehe Kapitel 3.2 Feminismusverständnis von Judith Butler).77 Auch finden vor allem durch den „Schwarzen Feminismus“ aus den Vereinigten Staaten anti-rassistische und transformative Theorien Eingang in die Diskussion. Darin wir nicht an Kritik am weißen Mittelstandsfeminismus gespart, welcher nach wie vor die nötige Solidarität mit Angehörigen anderer als der eigenen Bevölkerungsgruppe vermissen ließ. Ebenso werden alle Herrschaftsverhältnisse in die feministische Analyse aufgenommen und bereichern dadurch die Debatte nachhaltig. Somit pluralisiert sich die sogenannte „Neue Frauenbewegung“ der zweiten Welle und sorgt, zumindest teilweise, dafür, dass die Frauenbewegung sich wieder verstärkt gegen die Macht des Patriarchats stemmt, mit dem sich einige Feministinnen bereits, durch Teilerfolg besänftigt, arrangiert hatten. 78 74 Ebd. a. a. O. 2003. S. 76-81. 75 Vgl. Friedan, Betty: The Feminine Mystique. New York 1983. 76 Holland-Cunz. a. a. O. 2003. S.139-143. 77 Ebd. a. a. O. 2003. S. 155f. 78 Ebd. a. a. O. 2003. S 157-161. 24
  • 31. 3. Theoretische Grundlagen In den Vereinigten Staaten kamen, wie oben angesprochen, die meisten Impulse aus der „Schwarzen Frauenbewegung“, jedoch spielte die Geschlechterdebatte und die soziale Konstruktion zunehmend eine größere Rolle. Angestoßen wurde die Geschlechterdebatte vor allem auch durch radikale, homosexuelle Feministinnen. In Groß-Britannien verliefen die Konfliktlinien vor allem entlang der verschiedenen Klassen. 79 Postfeminismus, auch die dritte Welle des Feminismus genannt, ist ein schwammiger und schwer zu fassender Begriff, der in den 1980er Jahren in den Medien aufkam. Er drückte die Meinung aus, dass der Feminismus beziehungsweise dessen Begriffskategorien von Opfer, Unterdrücker und ähnlichem überholt sind. Der Begriff Postfeminismus hängt ebenfalls mit dem Postmodernismus und mit Dekonstruktionalismus, siehe Judith Butler, zusammen. Andere feministische Autorinnen tendieren eher dazu im sogenannten Postfeminismus eine dritte Welle des Feminismus zu sehen, der sich einer veränderten und globalisierten Welt angepasst hat und in dem erkannt wurde, dass nicht alle Frauen weltweit unter denselben Unterdrückungsmechanismen leiden. Die Diskussion und Kritik an der Verwendung der bisher verwendeten Begriffe und Kategorien, ebenfalls siehe Butler, wird von ihnen begrüßt. Die feministische Debatte hat mit dem Postfeminismus eine neue Facette hinzugewonnen. 80 Wie im vorherigen Absatz erwähnt werden Postfeminismus, Postmoderne und Poststrukturalismus oft in einem Atemzug genannt. Dabei wird jedoch nicht immer genau zwischen den einzeln Begriffen unterschieden. Ebenso ist man sich nicht einig, ob postmoderne Denkweisen der feministischen Sache dienlich sind oder nicht. 81 Es gibt drei Grundgedanken postmodernen Denkens. Erstens die Kritik an einer universalistischen Deutung von Geschichte und Gesellschaft, in der scheinbar neutrale Normen und Werte dafür sorgen, dass Unterdrückung und Ausgrenzung von Minderheiten weiter fortbestehen. Das Leitbild einer idealtypischen weißen, heterosexuellen Männlichkeit, das alle anderen Gruppen marginalisiert, wird ebenso kritisiert. Hier ergeben sich auch Anknüpfungspunkte für den Feminismus. Zweitens die Kritik an der abendländischen Kategorie des universellen Subjekts (siehe unten Kapitel 3.2 Feminismusverständnis von Judith Butler). In der Postmoderne werden Subjekte immer 79 Thornham, Sue: Second Wave Feminism. In: Gamble, Sarah (Hrsg.): The Routledge Companion to Feminism and Postfeminism. London und New York 2001. S. 29-42. S 29-38. 80 Gamble, Sarah: Postfeminism. In: Gamble, Sarah (Hrsg.): The Routledge Companion to Feminism and Postfeminism. London und New York 2001. S. 43-54. S. 43-54. 81 Villa, Paula-Irene: Poststrukturalismus. In: Becker, Ruth und Beate Kortendiek (Hrsg.): Handbuch Frauen-und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie. Wiesbaden 2010. S. 269-273. S. 269. 25
  • 32. 3. Theoretische Grundlagen kontext- uns situationsbezogen definiert. Die dritte These ist, dass es keinen Ort außerhalb von bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen gibt. 82 Der postrukturalistische Ansatz ist dadurch gekennzeichnet, dass er Sprache und symbolische Ordnung als den Ort sieht, in dem Wirklichkeit konstituiert wird. Sprache erzeugt erst die Wirklichkeit und ist nicht Abbild derselben. Damit ist alles, auch die materielle Umwelt, diskursiv konstituiert. Sprache ist auch der Ort in dem Herrschafts- und Machtverhältnisse bekämpft werden können. Besonders Butler vertritt diesen Ansatz, auch wenn sie oft als Postmodernistin bezeichnet wird. Laut Butler werden auch Feministinnen durch den Diskurs konstituiert, den sie eigentlich überwinden wollen. 83 Holland-Cunz zieht ein ähnliches Fazit zur aktuellen Situation der feministischen Bestrebungen. Zwar sind seit Entstehung der Frauenbewegung Erfolge zu verzeichnen, es kann aber keine Rede davon sein, dass die Kernpunkte der feministischen Forderungen erfüllt sind. Bei diesen Kernpunkten handelt es sich um das Recht auf politische Teilhabe, die Chance zu ökonomischer Unabhängigkeit, das Recht auf Bildung und ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt. Holland-Cunz vertritt die These dass diese Ziele erst Mitte des 21. Jahrtausends erreicht sein werden, wenn man die Geschwindigkeit der bisherigen Entwicklung in Richtung Geschlechtergleichheit zu Grunde legt. 84 Demnach kann noch lange nicht die Rede von Postfeminismus sein. Die Autorin Sylvia Walby85 attestiert dem Feminismus ebenfalls alles andere als nicht mehr existent oder überholt zu sein, nämlich im Gegenteil eine Erfolgsgeschichte, die sich in den letzten Jahren neue Felder durch Inklusion erschlossen hat. Feministisch sind für sie dabei all diejenigen Personen, Organisationen, Firmen und Projekte die sich für feministische Ziele wie volle Gleichberechtigung und Freiheit in der Lebensführung einsetzen. Dabei ist es unerheblich ob sie sich selbst als feministisch bezeichnen oder nicht. Durch die Stigmatisierung des Begriffes „Feminismus“ wird dieser oft vermieden. 86 Dies wurde auch im Kapitel über den ägyptischen Feminismus gezeigt (siehe Kapitel 2.4 Islamistischer Feminismus in Ägypten) Feministische Bestrebungen gibt es auf allen Ebenen, von Programmen der Vereinten Nationen bis hin zu kleinen Graswurzelbewegungen, in staatlichen Strukturen, in der 82 Ebd. a. a. O. 2010. S. 270f. 83 Ebd. a. a. O. 2010. S. 271f. 84 Holland-Cunz a. a. O. 2003. S. 247f und 254. 85 Walby, Sylvia: The Future of Feminism. Cambridge 2011. 86 Walby a. a. O. 2011. S. 1-5. 26
  • 33. 3. Theoretische Grundlagen Zivilgesellschaft und auch in der Wirtschaft. Dabei steht wiederum nicht das Label „Feminismus“ im Vordergrund, sondern das tatsächliche Handeln für Frauenrechte und Geschlechtergleichheit.87 Feministische Projekte sind dabei mit anderen Projekten und Zielen, wie zum Beispiel dem Umweltschutz, auf komplexe Weise verwoben und interagieren miteinander. Die Beziehungen unterliegen einem ständigen zeitlichen und räumlichen Wechsel, in dem sich auch Koalitionen und Partnerschaften ändern können. 88 Hennessy89 bietet folgende Definition für Feminismus an. Feminismus ist ein Ensemble von Debatten, kritischen Erkenntnissen und Sozialen Bewegungen, welches das patriarchale Geschlechterverhältnis, das alle Menschen beschädigt, begreifen, analysieren und verändern will. Feministische Theorie und soziale Bewegung wurde erst durch die kapitalistische Arbeitsorganisation möglich, welche Frauen bei aller Ausbeutung, mehr soziale Mobilität bei gleichzeitigen Gleichheitsversprechen des modernen Staates ermöglichte. Dadurch entstanden feministisches Bewusstsein, Widerstand und feministische Reformbewegungen. Der sogenannte westeuropäische und nordamerikanische „liberale“ Feminismus vertrat und vertritt dabei einen allgemeinen Geltungsanspruch für alle Frauen weltweit, dem er nicht gerecht wird. Auch deshalb besitzt der Feminismus weder ein monolithisches Wissen noch einen monolithischen Standpunkt. Vielmehr umfasst der Feminismus in seiner Gesamtheit eine große Bandbreite an Ausdrucks- und Erscheinungsformen. 90 In dieser Arbeit wird das Feminismusverständnis von Sylvia Walby übernommen. Ihre Definition lässt genug Raum für alle Ausprägungen des Feminismus in Ägypten. Viele Aktivistinnen meiden in Ägypten den Begriff des Feminismus, verfolgen aber dennoch dessen Ziele. Das heißt im weiteren Verlauf der Arbeit werden diejenigen Organisationen, Neue Soziale Bewegungen, Parteien und Verbände als der feministischen Bewegung zugeordnet, die im weiteren Sinne feministische Ziele verfolgen. Ein feministisches Selbstverständnis der Gruppierungen ist dabei nicht unbedingt nötig. Ein rein liberales, westliches Feminismuskonzept kann in Ägypten mit seinen Besonderheiten keine Anwendung finden. 87 Ebd. a. a. O. 2011. S. 26f. 88 Ebd. a. a. O. 2011. S. 146. 89 Hennessy, Rosemary: Feminismus. In: Haug, Frigga (Hrsg.): Historisch-kritisches Wörterbuch des Feminismus. Band 1 Abtreibung bis Hexe. Hamburg 2003. S. 155-179. 90 Hennessy a. a. O. 2003. S.157f. 27
  • 34. 3. Theoretische Grundlagen 3.2 Feminismusverständnis von Judith Butler In diesem Kapitel wird das Konzept von Judith Butler vorgestellt, von dem angenommen wird, dass sich ihr Verständnis von Feminismus fruchtbar für das Forschungsergebnis erweist, da sich ihre Ansichten mit dem Modell des homo sociologicus verknüpfen lassen. Folgende Ausführungen orientieren sich an Becker-Schmidt und Knapp. Feministische Theorienbildung bewegt sich ab der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts bis heute zumeist im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse und politischer Praxis, wobei es aufgrund der unterschiedlichen Historie zu vielen unterschiedlichen Theorietraditionen kam. Auch sind die Erfahrungen, welche Frauen weltweit machen, nicht miteinander vergleichbar, so dass die Geschlechterfrage immer im jeweiligen Kontext gesehen werden muss. Die Grundbegriffe werden immer wieder neu und kritisch hinterfragt, besonders auch von Judith Butler, und neu definiert. Deutlich zu sehen ist dies zum Beispiel an der Debatte um „sex and gender“. Was die feministischen Theorien, der Plural ist hier bewusst gewählt, eint, ist das Festhalten an einer kritischen Perspektive in der Analyse der Geschlechterverhältnisse. 91 Judith Butler definiert Feminismus so: „Feminism is about the social transformation of gender relations.“92 Butler beginnt ihr Buch Gender Trouble 93 mit der Kritik an der scheinbar vorgegeben Kategorie „Frau(en)“ (in Folge meist: Frauen) und der daran geknüpften Identität. Sie macht dabei darauf aufmerksam, dass der Kampf um die Akzeptanz der Frauen als Subjekt und deren volle politische Repräsentation bereits die sprachliche Unterdrückung und Normsetzung der Herrschenden akzeptiert, da dabei die Kriterien zur Definition eines Subjektes durch die Herrschenden festgelegt werden. Der Kampf um Gleichberechtigung in diesem Sinne greift also zu kurz. Vielmehr muss begriffen werden, wie Frauen als Subjekt des Feminismus durch die herrschenden Machtstrukturen hervorgebracht werden. Das heißt die Frauen müssen erst bestimmte Bedingungen erfüllen um Subjekt zu sein, um dann voll Repräsentation durch das politische System verlangen zu können. 94 91 Becker-Schmidt, Regina und Gudrun-Axeli Knapp: Feministische Theorien zur Einführung. Hamburg 2011. S. 7-13. 92Zitat Butler, Judith: Undoing Gender. New York und London 2004. S. 204. 93 Butler, Judith: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. New York und London 2010. 94 Ebd. a. a. O. 2010. S. 2ff. 28
  • 35. 3. Theoretische Grundlagen Zudem lehnt sie die Annahme ab, der Begriff „Frau“ bezeichne eine gemeinsame Identität. Die reine Geschlechtsidentität stellt nicht alles erschöpfend dar, was ein weibliches Individuum ausmacht. Zumal die Geschlechtsidentität in den verschiedenen geschichtlichen Kontexten unterschiedlich gebildet wird und von ethnischen, regionalen, klassenspezifischen und anderen Modalitäten abhängig ist. Der Feminismus habe somit keine universale Grundlage. Genauso wenig gibt es eine einzigartige Form der Frauenunterdrückung, welche in männlich, hegemonialen Strukturen zu finden ist. Dabei spricht sie berechtigterweise die lange vorherrschende Beschränkung der Theorienbildung auf den westlich, christlichen Kulturkreis, in dessen Rahmen die Konstruktion des „Orients“ im Rahmen des Kolonialismus stattfand. Damit machten sich westliche Feministinnen teilweise mitschuldig an der Kolonialisierung und deren Begründung. 95 96.Daran anknüpfend verweißt sie auf den strittigen Begriff der Menschenrechte, der in der westlichen Welt definiert wurde. Dabei gibt es weltweit in den verschieden Kulturen bereits unterschiedliche Definition davon was überhaupt menschlich ist, und was die essentiellen Bedürfnisse eines Menschen sind. Zudem unterliegen diese Definitionen einem historischen und kulturellen Wandel.97 Ebenso geht sie kurz auf den skeptischen Blick des Westens auf die arabisch-islamische Welt ein. 98Auf den Punkt des Kolonialismus wurde in Kapitel 2.3 Überblick von den Anfängen bis heute näher eingegangen. Zusammengefasst fordert Butler die Abschaffung des Subjekts „Frau(en)“, weil darin ihrer Meinung nach die ungleichen Geschlechterbeziehungen in einer Gesellschaft zementiert werden. Deshalb fordert sie einen Feminismus ohne die vorausgesetzte Kategorie „Frau“ zu entwickeln.99 Inwieweit dies in Ägypten ebenfalls eine Rolle spielt, muss noch geklärt werden. Jedoch bietet ihr Ansatz interessant Perspektiven zur Frage des Rollenverständnisses und der Rollenbegriffe im Bezug zum Geschlecht in der ägyptischen Gesellschaft. Butler vertritt die Meinung, dass nicht erst die Geschlechtsidentität durch kulturelle Interpretation geschaffen wird, sondern das Geschlecht an sich bereits konstruiert ist. So etwas wie ein „natürliches“, durch Biologie vorgegebenes, vor-diskursives Geschlecht gibt 29 95 Ebd. a. a. O. 2010. S. 4f. 96 Vgl. Butler a. a. O. 2004. S. 229. 97 Ebd. a. a. O. 2004. S. 222f. 98 Ebd. a. a. O. 2004. S. 230f. 99 Butler a. a. O. 2010. S. 8.
  • 36. 3. Theoretische Grundlagen es laut ihr nicht. Die Verbannung des Geschlechts in die vor-diskursive Sphäre ist bereits Ausdruck des bestehenden Machtverhältnisses und kulturellen Denkweisen. 100 Diese radikale Dekonstruktion des anatomischen Geschlechtskörpers auf normativ-soziale Produktion der Geschlechterdifferenzen führt zu heftigen Kontroversen. Ihre Behauptung Natur sei Ergebnis und nicht Grundlage von Kultur, ist für viele schwer annehmbar. Butler will damit das Geschlecht vom Körper lösen und die Binarität der Geschlechter und die vorherrschenden Norm der Heterosexualität auflösen. So kann man das Geschlecht auch nicht an rein anatomischen Geschlechtsmerkmalen festmachen, sondern es ist stets das konstruierte „soziales Geschlecht“.101 Besonders auch in Koran und Sunna wird an vielen Stellen auf die Unterschiede von Mann und Frau verwiesen, was in der Definition der Geschlechter und deren Identitäten in den muslimischen Gesellschaften eine entscheidende Rolle spielt (siehe Kapitel 2.1 Die Frau im Koran). Die Bildung des Subjekts wird bei Butler erst durch die Unterwerfung unter die Herrschenden möglich. Somit hängt die eigene Existenz von der Existenz einer herrschenden Gruppe ab, da nur diese Subjekte anerkennen kann. 102 Um weiterhin als Subjekt zu bestehen ist man gezwungen die gesellschaftlichen Normen zu wiederholen, durch die man hervorgebracht wurde. Wenn diese Normen nicht richtig wiederholt werden, erleidet das Subjekt Sanktionen, die auch die Existenz bedrohen können. 103 Hier gibt es durchaus Parallelen zu Dahrendorfs homo sociologicus (siehe unten Kapitel 3.3 Der homo sociologicus). So kann Macht durch Gesellschaft und Subjekt mit sozialer Rolle ersetzt werden. Erfüllt der Träger einer sozialen Rolle die an ihn gestellten Rollenanforderungen nicht, ist er Sanktionen ausgesetzt. Je nach Art der Rolle und der daran geknüpften Erwartung durch die Gesellschaft können diese Sanktionen derart drastisch ausfallen, dass der Träger der sozialen Rolle aufhört zu existieren. Entweder durch Ausschluss aus der Gesellschaft, laut Dahrendorf kann der homo sociologicus nur innerhalb einer Gesellschaft existieren, oder gar durch physische Vernichtung. Die Theorie Butlers bietet neue Ansätze bestehende, besonders patriarchale, Machtverhältnisse aufzubrechen und zu beenden. In der ägyptischen Gesellschaft mit ihrer starren Rollenverteilung und klaren Zuschreibung was Frauen und das Weibliche ausmacht, wäre die von Butler geforderte Dekonstruktion der Binarität der Geschlechter und die Feststellung, dass das Geschlecht stets sozial strukturiert ist geeignet durch ihre 100 Ebd. a. a. O. 2010. S. 10. 101 Bublitz, Hannelore: Judith Butler zur Einführung. Hamburg 2002. S. 56ff. 102 Butler, Judith: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt 2001. S. 7f. 103 Ebd. a. a. O. 2011. S. 32. 30
  • 37. 3. Theoretische Grundlagen Radikalität entscheidende Impulse zur Verbesserung der Situation der Frau in Ägypten zu geben. Wie gezeigt werden wird, findet ein Großteil der feministischen Debatte in Ägypten in einem zu eng gesteckten Rahmen statt um wirkliche Durchbrüche zu erzielen. 104 3.3 Der homo sociologicus Wie bereits in der Einleitung angekündigt, soll das Rollenverständnis der säkularen und islamistischen Feministinnen und dessen Auswirkung auf die aktuelle Feminismusdebatte in Ägypten konflikttheoretisch nach dem Modell von Dahrendorf untersucht werden. Dazu ist es unerlässlich den homo sociologicus 105, sowohl als Grundlage der Konflikttheorie als auch zur Definition sozialer Rollen und sozialer Positionen, vorzustellen. Die Definition und die Funktion der sozialen Rollen und Positionen nach Dahrendorf sowie die Funktion des homo sociologicus im Gesellschaftsmodell von Dahrendorf bilden die theoretischen Grundlagen der Arbeit. In Kapitel 5.2 Operationalisierung werden die ersten Erkenntnisse welche in Kapitel 2. Geschichte des Feminismus in Ägypten und Kapitel 4. Aktueller Forschungsstand zum Forschungsthema mit Hilfe der gewählten Theorie gewonnen wurden kurz zusammengefasst. Ralf Dahrendorf entwickelte sein Modell des homo sociologicus bereits im Jahre 1958 auf der Suche nach einer Elementarkategorie für die soziologische Analyse sozialen Handelns. Für ihn war dabei die Kategorie der sozialen Rolle zentral, die zu dieser Zeit, besonders im deutschsprachigen Raum, nur unzureichend definiert war. Es handelte sich dabei um ein Essay ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Trotzdem bildet es die Grundlage für die spätere Entwicklung seiner Konflikttheorie. 106 Dahrendorf wollte „die Elemente soziologischer Analyse im Schnittbereich der beiden Tatsachen des Einzelnen und der Gesellschaft […]“ suchen. 107 An diesem Schnittpunkt zwischen der Gesellschaft und dem Einzelnen verortet er den homo sociologicus als Träger sozial vorgeformter Rollen. Dabei ist der Einzelne Träger seiner sozialen Rollen, aber diese Rollen sind zugleich die ärgerlichen Tatsachen der Gesellschaft. Das heißt, nur durch 104 Saba Mahmood verweist in ihrem Buch „Politics of Piety“ ebenfalls auf die Theorie Butlers und nutzt diese zur Analyse der so genannten „Mosche-Bewegung“ in Ägypten. Mahmood, Saba: Politics of Piety. The Islamic Revival and the Feminist Subject. Princeton 2005. 105 Dahrendorf, Ralf: Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der sozialen Rolle. Opladen 1977 106 Vgl. Dahrendorf a. a. O. 1977. S. 5f. 107 Zitat Dahrendorf, Ralf: Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der sozialen Rolle. Opladen 1977. S.18. 31
  • 38. 3. Theoretische Grundlagen das Ausfüllen sozialer Rollen kann der Mensch Teil der Gesellschaft sein, ist dadurch aber auch einem ständigen Erwartungsdruck durch die Gesellschaft ausgesetzt, die von ihm die Erfüllung seiner Rollen verlangt und dies durch Sanktionierungen durchsetzt. 108 Wie Dahrendorf die „soziale Rolle“ und die noch folgende „soziale Position“ definiert, wird nun dargestellt. Ebenso was er unter den „ärgerlichen Tatsachen der Gesellschaft“ versteht.109 Vor dem Begriff der Rolle führt Dahrendorf den der „sozialen Position“ ein. Jeder Mensch besetzt demnach viele verschiedene soziale Positionen, die sich teilweise überschneiden aber nie deckungsgleich sind. In diesen Positionen steht der Mensch in Beziehungen mit anderen Menschen, in einem sogenannten Positionsfeld sozialer Beziehungen. Je komplexer die Gesellschaft, desto mehr Positionen muss der Einzelne einnehmen. 110 Innerhalb der Positionen unterscheidet er zwischen erworbenen und zugeschrieben Positionen. Besonders bei den zugeschrieben Positionen bleibt dem Einzelnen nahezu keine Wahl, er ist gezwungen sie auszufüllen. Als Beispiel wird hier unter anderem das Geschlecht angeführt, für die Fragestellung dieser Arbeit nicht uninteressant. Bei erworbenen Positionen hat der Einzelne eine gewisse Entscheidungsgewalt. Allerdings können zugeschrieben Positionen auch zu erworben werden und umgekehrt, auch ist eine Unterscheidung nicht immer ohne Weiteres möglich. 111 Interessant ist die Frage, ob die Frauen in Ägypten in der Lage sind Rollen zu übernehmen die bisher alleine Männern zugeschrieben waren und ob es ihnen ebenfalls möglich ist Rollenzuschreibungen aufgrund ihres Geschlechts abzulegen und somit mehr Freiheit in der Lebensführung zu gewinnen. Aus diesen sozialen Positionen ergeben sich bestimmte Erwartungshaltungen der Gesellschaft an die Träger dieser Positionen. Somit gehört zu jeder Position eine soziale Rolle, die der Einzelne gewissermaßen zu spielen hat, um den Erwartungen der Gesellschaft gerecht zu werden. Durch das Paar von Positionen und Rollen werden die beiden Tatsachen des Einzelnen und der Gesellschaft vermittelt, der wird Mensch zum homo sociologicus. Damit ist er ein Element soziologischer Analyse und kann erforscht werden. Laut Dahrendorf ist die Rolle dabei der wichtigere Teil, da die Rolle die Art der Beziehung zwischen Trägern von Positionen beschreibt. Die Position bezeichnet lediglich einen Ort in den Bezugsfeldern zwischen den Personen. An die Träger sozialer Rollen 32 108 Ebd. a. a. O.1977. S. 20. 109 Dahrendorf a. a. O. 1977. S. 36 110 Ebd. a. a. O. 1977. S.30. 111 Ebd. a. a. O. 1977. S. 54f.
  • 39. 3. Theoretische Grundlagen richtet die Gesellschaft eine Vielzahl an Erwartungen. 112 Dies ist ein weiterer zentraler Punkt für das Verständnis von Gesellschaften, da an diese Erwartungshaltung bestimmte Sanktionen bei Nichterfüllung gebunden sind. Die Rollen untergliedern sich wiederum in verschieden Rollensegmente, je nach dem von wem Erwartungen an diese Rolle gerichtet werden. Somit ist jede Rolle ein Komplex von Erwartungshaltungen.113 Laut Dahrendorf gibt es drei verschieden Arten der Erwartungen. Muss-, Kann- und Soll- Erwartungen. Muss-Erwartungen bilden den harten Kern der sozialen Rolle. Sie sind ausdrücklich formuliert und ziehen bei Nichterfüllung die ernsthaftesten negativen Sanktionen nach sich. Positives Feedback gibt es dabei nicht. Soll-Erwartungen sind in ihrer Verbindlichkeit unter den Muss-Erwartungen angesiedelt. Bei Nichterfüllung werden auch sie negativ sanktioniert, bei Erfüllung gibt es jedoch auch Empathie und es ergeben sich möglicherweise Vorteile für die Person. Kann-Erwartungen werden vor allem positiv sanktioniert, wenn sie regelmäßig erfüllt werden. Bei nicht Erfüllung drohen zumeist Geringschätzung der Mitmenschen, jedoch keine schwerwiegenden Sanktionen. 114 Art der Erwartung Positive Sanktion Negative Sanktion Muss-Erwartung Keine Gerichtliche Bestrafung Soll-Erwartung (Sympathie) Sozialer Ausschluss Kann-Erwartung Schätzung (Antipathie) Tabelle 1 Rollenerwartungen und Sanktionen nach Dahrendorf 115 All diese Verbindlichkeiten und Notwendigkeiten die auf den Einzelnen zukommen, gepaart mit den möglichen und tatsächlichen Sanktionen bei Nichterfüllung der Rollenerwartung, bezeichnet Dahrendorf als „ärgerliche Tatsache der Gesellschaft“. Soziale Rollen sind ein Zwang, der auf den Einzelnen ausgeübt wird und in allen Gesellschaften vorherrscht. Dabei ist nicht immer klar, ob diese gesellschaftlichen Fesseln 33 112 Ebd. a. a. O. 1977. S. 32f. 113 Ebd. a. a. O. 1977. S. 33. 114 Ebd. a. a. O. 1977. S. 37ff. 115 Nach Dahrendorf a. a. O. 1977. S. 39.
  • 40. 3. Theoretische Grundlagen den Menschen nur einengen, oder ihm dadurch auch eine Struktur und Halt im Leben geben.116 Durch Positionszuordnung und Rollenverinnerlichung durch den gesellschaftlichen Zwang, sichern die Gesellschaften ihre Ordnung. Eine wichtige Rolle spielt hierbei das institutionelle Erziehungssystem. Jedoch haben auch nicht staatliche Stellen einen großen Einfluss. So zum Beispiel Familie und Kirche. Beim Prozess der „Sozialisierung“ wird der Mensch entpersönlicht und vergesellschaftet. Dabei werden große Teile der individuellen Freiheit aufgehoben und der Kontrolle durch die Allgemeinheit unterstellt. Der homo sociologicus ist damit den Gesetzen der Gesellschaft ausgeliefert und erfüllt seine Rolle für diese Gesellschaft, der er angehört. 117 Die Rollenerwartungen und Rollendefinitionen die an bestimmte soziale Positionen geknüpft sind unterliegen einem stetigen Wandel. Stimmen Rollen und tatsächliches Verhalten nicht überein, entstehen Konflikte anhand derer sich die Richtung zukünftiger Entwicklungen möglicherweise bestimmen lässt. Besonders wichtig ist hierbei die Untersuchung von Konflikten innerhalb von Rollen. Die Ermittlung von Erwartungskonflikten ist damit nach zentraler Bestandteil der Konflikttheorie. 118 Dieser Ansatz wird auch für den Erkenntnisgewinn dieser Arbeit fruchtbar sein. Wie an nahezu allen Definitionen und Theorien in den Sozialwissenschaften gibt es auch am homo sociologicus Dahrendorfs, zum Teil berechtigte, Kritik. Einige Kritikpunkte spricht er auch selbst in seinem Werk an. So ist der homo sociologicus nur ein Teilaspekt des Menschen, es ist derjenige Teil des Menschen, der quasi als Schauspieler auf der Bühne der Gesellschaft agiert. Der ganze Mensch mit allen seinen Facetten ist damit freilich nicht zu fassen. 119 Zumal der homo sociologicus in gewisser Weis erfunden wurde, um bestimmte Probleme der Soziologie zu lösen.120 Somit ist er, wenn man so will mehr oder weniger ein willkürliches Konstrukt. 34 116 Ebd. a. a. O. 1977. S.36. 117 Ebd. a. a. O. 1977. S. 56ff. 118 Ebd. a. a. O. 1977. S. 76f. 119 Ebd. a. a. O. 1977. S. 53. 120 Ebd. a. a. O. 1977. S. 20.