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Hb 2010 11-19-versailles ohne krieg
1. Samstag, 20.11.2010
"Ich bin der Überzeugung, dass die Menschen in unserem Land unbedingt verstehen
müssen, wie komplex die Situation ist, anstatt sich von Vorurteilen, Wut oder starken
Gefühlen leiten zu lassen. Die Zukunft der ganzen Welt hängt davon ab, dass wir die
Situation richtig einschätzen. Was sind die dominierenden Faktoren? Was muss getan
werden?"
So sprach US-Außenminister George C. Marshall. Am 5. Juni 1947 hielt er seine große
Rede. Amerika wollte weg von seiner Politik der Reparationsforderungen und des
ökonomischen In-die-Knie-Zwingens eines Landes, das doch längst am Boden war.
Stattdessen redete hier ein US-Spitzenpolitiker von Wiederaufbau. Wenn Ludwig Erhard
der Vater des deutschen Wirtschaftswunders war, dann war Marshall der Großvater.
Ohne diesen strategischen Schwenk von hart auf weich hätte Deutschland den Weg
zurück zum Wohlstand niemals finden können.
Wir wissen das. Wir rechnen den Amerikanern ihre Hilfe zur Selbsthilfe hoch an. Aber wir lernen daraus
nichts für die Lösung der Probleme unserer Zeit. Die deutsche Regierung jedenfalls geht mit wachsender
Entschlossenheit den anderen Weg. Sie versucht, die am Boden liegenden Schuldenstaaten noch tiefer
nach unten zu zwingen. Sparen und bestrafen, das sind die Schlüsselwörter der Kanzlerin. Auf dem CDU-
Parteitag rühmte sie sich, den Griechen "strenge Bedingungen" diktiert zu haben. Gestern kündigte sie
erneut an, dass private Gläubiger mit Kreditausfall rechnen müssten, womit die Zinslast für die betroffenen
Staaten sich weiter erhöht. Merkel bleibt hart: "Die Strenge ist notwendig", sagte sie.
Natürlich haben Griechen, Iren, Portugiesen und auch die Spanier über ihre Verhältnisse gelebt. Sie haben
geschummelt, sie haben sich und uns allen Illusionen gemacht, sie haben einen schläfrigen Staat genährt.
Alles wahr! Alles richtig! Und die privaten Banken haben ihnen dabei geholfen. Auch das ist unbestreitbar.
Wir können daran weiter unser Mütchen kühlen. Aber Schadenfreude begründet kein deutsches Interesse.
Unsere Interessen - die Rückzahlung der Schulden, die Stabilität der Banken und der Erhalt der Euro-Zone -
werden wir so niemals durchsetzen.
Die aufgezwungenen Sparpakete und die Drohung gegenüber den Gläubigern werden sogar das Gegenteil
bewirken: Am Ende haben die betroffenen Staaten mehr Schulden, die Banken leben in größter
Unsicherheit, und Europa fällt zurück in das, was es lange war: ein Ort, dessen Bewohner sich auf den Tod
nicht ausstehen konnten.
Die Gesetze der Ökonomie lassen sich nicht mit auftrumpfender Rhetorik außer Kraft setzen. Erstens: Die
den Griechen und demnächst wohl auch den Iren verordnete Sparpolitik kann das gewünschte Ziel -
Schuldenabbau - nicht erreichen. 13 Prozent des Sozialprodukts sollen die Griechen bis 2014 einsparen.
MERKELS EUROPAPOLITIK
Versailles ohne Krieg
Sparen und bestrafen, das sind die Schlüsselwörter der
Kanzlerin. Und in ihrem Diktat bleibt sie hart. Warum die
Politik der Strenge, wie sie Merkel gegenüber den
Schuldnerstaaten betreibt, den deutschen Interessen
schadet.
von Gabor Steingart
Kanzlerin Merkel auf
dem EU-Gipfel Ende
Oktober:
Schadenfreude
begründet kein
deutsches Interesse.
Quelle: Reuters
19.11.2010