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FUSSBALLWELTMEISTERSCHAFT: Brasilien ein Fußballland? Das ist es immer noch, aber die Begeisterung für die
Weltmeisterschaft im eigenen Land hält sich in Grenzen. Profitiert von dem Großereignis haben nur wenige.
Die Probleme im Land sind immer noch nicht gelöst, sagt der bekannte einheimische Schriftsteller Luiz Ruffato.
„Es herrscht eine gewisse Verdrossenheit“
Der brasilianische Schriftsteller Luiz Ruffato über die noch fehlende Fußballeuphorie in seinem Land und warum er nicht ins Stadion geht
BAYREUTH/ SÃO PAULO
Die Brasilianer lieben Fußball. Ei-
gentlich. Bei dieser Fußballwelt-
meisterschaft, die auch noch im ei-
genen Land stattfindet, will sich die
Euphorie nicht ganz einstellen. Die
Brasilianer sind unzufrieden. Grund
dazu haben sie allemal, meint der be-
kannte brasilianische Schriftsteller
Luiz Ruffato im Kurier-Interview.
Herr Ruffato, in Deutschland ist die
Fußballeuphorie wieder ausgebro-
chen. Ist das in Brasilien genauso?
Luiz Ruffato: Bei der Weltmeister-
schaft vor vier Jahren in Südafrika war
es definitiv so. Bei dieser Weltmeis-
terschaft sind die Brasilianer weniger
euphorisch. Normalerweise hängt
während der Weltmeisterschaft an al-
len Häusern und Wohnungen die bra-
silianische Flagge, die Leute tragen das
Trikot der brasilianischen National-
mannschaft auf der Straße. Das gibt es
dieses Mal überhaupt nicht. Es herrscht
eine gewisse Verdrossenheit. Das mag
sich vielleicht ändern, wenn die Mann-
schaft weit kommt. Aber ich glaube es
eher nicht.
Warum? Was ist anders als vor vier
Jahren?
Ruffato: Es ist kurios. Gerade im Fuß-
ballland Brasilien, wo auch noch die
Weltmeisterschaft stattfindet, könnte
man meinen, dass jetzt alle eupho-
risch sind. Als Brasilien im Jahr 2007
den Zuschlag für die Fußballwelt-
meisterschaft bekam, waren die Er-
wartungen groß. Viele gingen davon
aus, dass sich auch die Situation im
Land verbessert. Aber bei Bildung, Ge-
sundheit und Sicherheit hat sich nichts
verbessert. Mit der Weltmeisterschaft
wurde zwar die Infrastruktur ausge-
baut, aber die Leute in den Randge-
bieten haben davon überhaupt nicht
profitiert.
Was hat sich verändert in der Bezie-
hung zwischen den Brasilianern zum
Fußball?
Ruffato: Ich habe viel über diese Frage
nachgedacht. Wenn man sich die Ge-
schichte des Fußballs in Brasilien an-
schaut, war er im 19. Jahrhundert ei-
ne Sportart der Eliten. Nur Weiße durf-
ten spielen. Damals mussten sich die
dunkelhäutigen Spieler noch das Ge-
sicht weiß malen, wenn sie auf den
Platz gingen. Mit der Zeit wandelte
sich Fußball zu einem populären Mas-
sensport. Der brasilianische National-
spieler war ursprünglich arm, dunkel-
häutig und kam aus der Peripherie. Be-
sonders die Armen projizierten in die
Spieler eine gewisse Hoffnung, dass
sie den sozialen Aufstieg auch irgend-
wann einmal schaffen würden. Heute
verdienen die Spieler so viel Geld: Sie
besitzen Autos, Juwelen, Häuser. Die
Armen können sich nicht mehr mit ih-
nen identifizieren. Außerdem sind die
Tickets wahnsinnig teuer.
Was kostet ein Ticket für die Welt-
meisterschaft?
Ruffato: Beim ersten Spiel der Brasili-
aner hat das Ticket im Durchschnitt
rund 300 Euro gekostet, also 900 bra-
silianische Real.
Das ist mehr als der brasilianische
Mindestlohn.
Ruffato: Genau, der liegt bei 724 bra-
silianischen Real im Monat, also rund
240 Euro. Dann kommen auch noch
die Fahrt zum Stadion und Essen und
Getränke hinzu. Die brasilianischen
Zuschauer im Stadion repräsentieren
nicht den Durchschnittsbrasilianer.
Wo haben Sie das erste Spiel der
brasilianischen Mannschaft ge-
schaut?
Ruffato: Ich kam an dem Tag gerade
von einer 30-tätigen Buchreise aus Eu-
ropa. Ich habe das Spiel dann nicht ein-
mal gesehen, sondern im Radio ver-
folgt. Um ehrlich zu sein, habe ich gar
keinen Fernseher.
Werden Sie sich ein Spiel im Stadion
anschauen?
Ruffato: Nein. Als wir erfuhren, dass
wir die nächste Weltmeisterschaft aus-
tragen werden, dachte ich mir, dass
ich während der Spielzeit ein Sabba-
tical einlege und mir mindestens zwei
Fußballspiele der brasilianischen Na-
tionalmannschaft anschauen werde.
Mit der Zeit wollte ich gar nicht mehr,
weil ich nicht damit einverstanden war,
wie die Weltmeisterschaft realisiert
wurde. So hat es eine große Einmi-
schung der FIFA gegeben. Mein Pro-
test ist sicherlich nur sehr klein, aber
ich werde mir im Stadion kein Fuß-
ballspiel anschauen.
Für die Fußballweltmeisterschaft
2006 in Deutschland wurde auch viel
Geld vor allem in die Modernisierung
bestehender Stadien und die Infra-
struktur investiert. Es mussten aber
keine Stadien aus dem Boden ge-
stampft werden, teils irgendwo im
Dschungel. War Brasilien objektiv
überhaupt in der Lage eine Fußball-
weltmeisterschaft auszurichten?
Ruffato: Wie die Mehrheit der Brasili-
aner dachte ich im Jahr 2007, dass es
eine gute Sache ist, wenn die Welt-
meisterschaft nach Brasilien kommt.
Brasilien war die siebtgrößte Wirt-
schaftsnation der Welt. Trotz der Welt-
wirtschaftskrise ist Brasilien gewach-
sen. Die Hoffnung der Brasilianer war
groß, dass mit der Weltmeisterschaft
auch die Probleme im Land gelöst wer-
den. Aber in der Zeit während der Re-
alisierung bis 2014 hat sich nichts ge-
ändert. Die Probleme sind die glei-
chen.
Welche Probleme sind das?
Ruffato: Die Korruption: Die Stadien
sollten nicht mehr als drei Milliarden
Euro kosten, jetzt kosten sie sechs Mil-
liarden Euro. In Manaus, der Haupt-
stadt des Bundesstaates Amazonas,
wurde ein Stadion für rund 200 Milli-
onen Euro gebaut. Da passen 39 000
Leute rein. Der örtliche Fußballverein
spielt aber in der vierten Liga. Da kom-
men durchschnittlich nur 900 Zu-
schauer. Auch wurden Infrastruktur-
baumaßnahmen nicht realisiert. Die
Leute fragen sich: Was habe ich da-
von? Wo werde ich repräsentiert? Die
Weltmeisterschaft hat nicht mehr viel
mit der Realität der Menschen zu tun.
Was passiert mit den Stadien nach
der Weltmeisterschaft?
Ruffato: Die Antwort würde ich auch
gerne wissen. Niemand weiß das. In
Rio de Janeiro, São Paulo oder Porto
Alegre gibt es starke Teams, die diese
Stadien auch füllen können. Proble-
matisch sind die Stadien in Manaus
oder Cuiabá. Die Hauptstadt Brasilia
war nie eine Fußballstadt. Dort gibt es
nicht einmal eine Mannschaft, die in
der vierten Liga spielt.
In Deutschland beschäftigen sich
auch viele Künstler mit Fußball. Ent-
weder sehr euphorisch oder sehr kri-
tisch. Wie ist Ihre Beziehung als
Schriftsteller zum Fußball?
Ruffato: Aus Sicht der Literatur ist Fuß-
ball ein Spektakel, das Drama, Komö-
die und Tragödie enthält. Es ist auch
ein visuelles Spektakel und ich schaue
es sehr gerne. Wenn man sich den Ur-
sprung von Fußball anschaut, ist er
das Abbild von zwei Stämmen, die sich
gegenüberstehen. Diese Idee dahinter
gefällt mir. Heute spielen die Fußbal-
ler aber nicht mehr um ihr Trikot, son-
dern, um ihre Millionen zu verteidi-
gen. Ich finde, Fußball ist immer noch
ein wunderschönes Spiel, aber er fas-
ziniert mich nicht mehr so wie früher.
Als Schriftsteller und Journalist wol-
len Sie die Massen ansprechen.
Schafft das der Fußball in Brasilien
auch noch?
Ruffato: Fußball ist immer noch ein
Sport, der in Brasilien viel Aufmerk-
samkeit erregt. Es gibt aber eine im-
mer größere Distanz zwischen den
Hoffnungen und Wünschen der Brasi-
lianer und was der Fußball repräsen-
tiert. Fußball ist zu einer Industrie ge-
worden, wo es nur darum geht Geld
zu verdienen.
Die Brasilianer erwarten, dass ihre
Mannschaft Weltmeister wird. Was
passiert, wenn sie das nicht schaffen
und schon vorher rausfliegen? Wer-
den dann die Proteste vom letzten
Jahr und zu Beginn der WM wieder
aufleben?
Ruffato: Um zu demonstrieren, muss
man eine Meinung und Zeit haben. Die
große Mehrheit der Brasilianer arbei-
tet den ganzen Tag. Sie verbringen
Stunden im Zug, Bus oder der Metro,
um nach Hause zu kommen. Sie ha-
ben überhaupt keine Kraft, um dann
auch noch auf die Straße zu gehen.
Wer geht also auf die Straße? Über-
wiegend junge Leute. Es kann gut sein,
dass es Proteste geben wird, wenn die
Mannschaft nicht das Finale erreicht.
Sollte Brasilien die Weltmeisterschaft
gewinnen, wird das aber nichts an der
Unzufriedenheit der Leute ändern. Wie
die Weltmeisterschaft für Brasilien
auch ausgehen mag: Über das Resul-
tat wird bei den Wahlen in diesem
Herbst entschieden.
Gibt es für Sie überhaupt noch etwas
Positives am Fußball in Brasilien?
Ruffato: In der Geschichte Brasiliens
hat die Bevölkerung viel gelitten und
es gibt nur wenige Dinge, die ihr Freu-
de bereiten. Wenn die brasilianische
Nationalmannschaft auf dem Platz
brilliert, dann ist das ein guter Grund
sich zu freuen. Ein positiver Aspekt ist
auch, dass die Weltpresse jetzt Brasi-
lien kennenlernt. Sie kann mit den Kli-
schees aufräumen. Brasilien besteht
nicht nur aus Samba, Fußball, Papa-
geien und Stränden.
Was glauben Sie, wie weit kommt die
brasilianische Nationalmannschaft?
Ruffato: Ich glaube, dass Brasilien un-
ter den letzten vier Mannschaften sein
wird.
Und wer sind die anderen drei?
Ruffato: Deutschland, Italien und Ar-
gentinien.
Das Gespräch führte Martina Bay
Zur Person
Luiz Ruffato, geb. am 4. Februar
1961 in Cataguases im Bundestaat
Minas Gerais, ist einer der bekann-
testen zeitgenössischen Schrift-
steller Brasiliens. Der Sohn einer
Waschfrau und eines Popcornver-
käufers studierte Journalismus und
arbeitete zunächst als Journalist in
São Paulo. Mit seinem Debütroman
„Es waren viele Pferde“ wurde er mit
dem renommierten Prêmio São
Paulo ausgezeichnet. In dem Buch
beschreibt er in 69 Szenen die Rie-
senmetropole São Paulo in all ihrem
Glamour und Elend. Im vergangenen
Jahr hielt er die Eröffnungsrede auf
der Frankfurter Buchmesse. Ruffato
lebt in São Paulo. mby/Foto: red
DiesesStadionwurdeinderDschungelstadtManausausdemBodengestampft.SoleerwieaufunseremBildwirdeswohlauchnachderWMmeistenssein,dennderörtli-
cheFußballvereinspieltinderviertenLiga.NureinBeispieldafür,dassdiemeistenInvestitionenfürdasGroßereignisandenMenscheninBrasilienvorbeigehen. Foto:dpa
4 Tagesthema Nordbayerischer Kurier | Dienstag,24. Juni 2014

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Luiz Ruffato: Bei der Weltmeister- schaft vor vier Jahren in Südafrika war es definitiv so. Bei dieser Weltmeis- terschaft sind die Brasilianer weniger euphorisch. Normalerweise hängt während der Weltmeisterschaft an al- len Häusern und Wohnungen die bra- silianische Flagge, die Leute tragen das Trikot der brasilianischen National- mannschaft auf der Straße. Das gibt es dieses Mal überhaupt nicht. Es herrscht eine gewisse Verdrossenheit. Das mag sich vielleicht ändern, wenn die Mann- schaft weit kommt. Aber ich glaube es eher nicht. Warum? Was ist anders als vor vier Jahren? Ruffato: Es ist kurios. Gerade im Fuß- ballland Brasilien, wo auch noch die Weltmeisterschaft stattfindet, könnte man meinen, dass jetzt alle eupho- risch sind. Als Brasilien im Jahr 2007 den Zuschlag für die Fußballwelt- meisterschaft bekam, waren die Er- wartungen groß. Viele gingen davon aus, dass sich auch die Situation im Land verbessert. Aber bei Bildung, Ge- sundheit und Sicherheit hat sich nichts verbessert. Mit der Weltmeisterschaft wurde zwar die Infrastruktur ausge- baut, aber die Leute in den Randge- bieten haben davon überhaupt nicht profitiert. Was hat sich verändert in der Bezie- hung zwischen den Brasilianern zum Fußball? Ruffato: Ich habe viel über diese Frage nachgedacht. Wenn man sich die Ge- schichte des Fußballs in Brasilien an- schaut, war er im 19. Jahrhundert ei- ne Sportart der Eliten. Nur Weiße durf- ten spielen. Damals mussten sich die dunkelhäutigen Spieler noch das Ge- sicht weiß malen, wenn sie auf den Platz gingen. Mit der Zeit wandelte sich Fußball zu einem populären Mas- sensport. Der brasilianische National- spieler war ursprünglich arm, dunkel- häutig und kam aus der Peripherie. Be- sonders die Armen projizierten in die Spieler eine gewisse Hoffnung, dass sie den sozialen Aufstieg auch irgend- wann einmal schaffen würden. Heute verdienen die Spieler so viel Geld: Sie besitzen Autos, Juwelen, Häuser. Die Armen können sich nicht mehr mit ih- nen identifizieren. Außerdem sind die Tickets wahnsinnig teuer. Was kostet ein Ticket für die Welt- meisterschaft? Ruffato: Beim ersten Spiel der Brasili- aner hat das Ticket im Durchschnitt rund 300 Euro gekostet, also 900 bra- silianische Real. Das ist mehr als der brasilianische Mindestlohn. Ruffato: Genau, der liegt bei 724 bra- silianischen Real im Monat, also rund 240 Euro. Dann kommen auch noch die Fahrt zum Stadion und Essen und Getränke hinzu. Die brasilianischen Zuschauer im Stadion repräsentieren nicht den Durchschnittsbrasilianer. Wo haben Sie das erste Spiel der brasilianischen Mannschaft ge- schaut? Ruffato: Ich kam an dem Tag gerade von einer 30-tätigen Buchreise aus Eu- ropa. Ich habe das Spiel dann nicht ein- mal gesehen, sondern im Radio ver- folgt. Um ehrlich zu sein, habe ich gar keinen Fernseher. Werden Sie sich ein Spiel im Stadion anschauen? 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Ruffato: Wie die Mehrheit der Brasili- aner dachte ich im Jahr 2007, dass es eine gute Sache ist, wenn die Welt- meisterschaft nach Brasilien kommt. Brasilien war die siebtgrößte Wirt- schaftsnation der Welt. Trotz der Welt- wirtschaftskrise ist Brasilien gewach- sen. Die Hoffnung der Brasilianer war groß, dass mit der Weltmeisterschaft auch die Probleme im Land gelöst wer- den. Aber in der Zeit während der Re- alisierung bis 2014 hat sich nichts ge- ändert. Die Probleme sind die glei- chen. Welche Probleme sind das? Ruffato: Die Korruption: Die Stadien sollten nicht mehr als drei Milliarden Euro kosten, jetzt kosten sie sechs Mil- liarden Euro. In Manaus, der Haupt- stadt des Bundesstaates Amazonas, wurde ein Stadion für rund 200 Milli- onen Euro gebaut. Da passen 39 000 Leute rein. Der örtliche Fußballverein spielt aber in der vierten Liga. Da kom- men durchschnittlich nur 900 Zu- schauer. Auch wurden Infrastruktur- baumaßnahmen nicht realisiert. 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