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FUKUSHIM A
                                                                      Was genau
                                                                      geschah:
                                                                      Chronik einer
                                                                      Katastrophe


                                                                               AUGUST 2011




       M AL ARIA                PHILOSOPHIE          EUROPE AN XFEL
       Neue Strategien gegen    Braucht das Denken   Hamburg erhält einen
       die tödliche Seuche      die Sprache?         Röntgenlaser der Superlative
8/11




                               Kosmische
                                Inflation
                         Ein Grundpfeiler der Urknall-
                           theorie gerät ins Wanken
                                                                                             7,90 € (D/A) · 8,50 € (L) · 14,– sFr.
                                                                                             D6179E




                                                             www.spektrum.de
Editorial




                           Hartwig Hanser
                           Redaktionsleiter
                           hanser@spektrum.com


                                                                                                 Autoren in diesem Heft




Ausstieg aus der Unsachlichkeit

A    m 30. Juni beschloss der Deutsche Bundestag unter dem Eindruck der Katastrophe von
     Fukushima den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022. Nun kann man zu der grundsätz-
lichen Frage, ob zur Sicherung der Energieversorgung Kernkraft genutzt werden sollte oder
                                                                                                 unter Astrophysikern gilt die
                                                                                                 »kosmische inflation« als allge-
                                                                                                 mein anerkannt. doch es gibt
nicht, verschiedene Positionen einnehmen – Befürworter wie Gegner haben bedenkenswerte           auch handfeste Gründe, die
Argumente anzubieten. Lässt man jedoch die Entwicklung seit dem 11. März 2011 Revue pas-         gegen diese theorie sprechen.
sieren, beschleichen einen ernsthafte Zweifel, ob Sachargumente in dieser Diskussion die         der Physiker Paul J. Steinhardt,
wichtigste Rolle gespielt haben. Eher drängt sich der Eindruck auf, dass politisch-taktische     direktor des Princeton Center
und emotionale Aspekte den Diskurs dominierten. Doch sollten auf dieser Basis wirklich Ent-      for theoretical science an der
scheidungen von derartiger Tragweite gefällt werden? Ich bin überzeugt: Auch auf einer wis-      Princeton university im us-Bun-
senschaftlich fundierten Basis hätte man bei entsprechendem Willen einen Ausstieg be-            desstaat new Jersey, stellt sie
schließen können – was ihm womöglich eine weitaus dauerhaftere Legitimation und auch             ab s. 40 vor.
Akzeptanz in der Gesamtbevölkerung verschafft hätte.
   In diesem Sinn präsentiert unser Artikel ab S. 76 die Fakten. Vier Experten für Nuklear-
sicherheit und Reaktortechnik, darunter Joachim Knebel, Chief Science Officer am Karlsru-
her Institut für Technologie (KIT), analysieren minutiös den Unfallhergang in Japan. Außer-
dem geht der französische Biophysiker Pierre Henry vom CNRS ab S. 68 der Frage nach, war-
um mit einem derart starken Beben wie am 11. März kaum gerechnet wurde – wo solche doch
in der Geschichte Japans immer wieder vorkamen.                                                  Pierre Henry ist Geophysiker am
                                                                                                 französischen Zentrum für
Erdbeben und Tsunami haben in Japan mehr als 20 000 Todesopfer gefordert. An Malaria             wissenschaftliche forschung
sterben jedes Jahr rund eine Million Menschen, etwa die Hälfte von ihnen Kinder unter fünf       (Cnrs). Ab s. 68 geht er den
Jahren. Schon seit Jahrzehnten versuchen Forscher, einen wirksamen Impfstoff gegen die           ursachen des schweren erd-
Seuche zu entwickeln, bislang ohne Erfolg. Jetzt gibt es einen neuen, viel versprechenden An-    bebens vom 11. märz in Japan
lauf, der ein so genanntes Adjuvans nutzt – einen Impfstoffverstärker. Damit besteht offen-      auf den Grund.
bar eine realistische Chance, in wenigen Jahren Säuglinge in Afrika großflächig mit einer Vak-
zine zu impfen, die dann zumindest jedes zweite Kind vor der Krankheit schützt (S. 24).
    Daneben verfolgen Wissenschaftler andere, auf den ersten Blick oft verblüffende Strate-
gien: So immunisiert Rhoel Dinglasan von der Johns Hopkins University in Baltimore nicht
die Menschen, sondern die Anopheles-Mücken, die den Malariaerreger beim Blutsaugen an
ihre Opfer weitergeben. Forscher von der Yale University wiederum konzentrieren sich auf
die hochselektiven Riechrezeptoren der Moskitos. Sie suchen nach Stoffen, die ganz spezi-        den Geruchssinn von stech-
fisch deren Funktion beeinflussen, um sie dann als Lockmittel für Fallen, zur Abschreckung       mücken haben John R. Carlson
der Insekten oder zu ihrer Irritation einzusetzen (S. 34). Derart vielschichtige Forschung ist   und Allison F. Carey von der Yale
wichtig: Um die Malaria eines Tages wirklich besiegen zu können, wird vermutlich ein ganzes      university im Visier – speziell
Bündel solcher Maßnahmen nötig sein.                                                             jenen der Anopheles-moskitos,
                                                                                                 welche den gefährlichen malaria-
  Herzlich Ihr                                                                                   erreger übertragen (ab s. 34).
                                                                                                 sie fanden heraus, dass einige
                                                                                                 wenige riechrezeptoren der
                                                                                                 mücken hochselektiv mensch-
                                                                                                 liche Gerüche registrieren.


SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · AUgUST 2011                                                                                             3
inhalt




                                                       24		Tropenseuche	Malaria                    56		Sprache	und	Denken




        86		Röntgenlaser	der	Superlative               76		Fukushima-Katastrophe


    biologie & medizin                             Physik & astronomie                           mensch & kultur

    	                                              	     TITELThEma
r   24	 Neue Waffen gegen Malaria	             r   40	 	 osmische Inflation
                                                       K
    	 	 ary Carmichael	
        M                                              auf dem Prüfstand                           	   serie PhilosoPhie

          Rund	eine	Million	Menschen	tötet	              Paul J. Steinhardt	                 r     56	 	 prache und Denken	
                                                                                                       S
          der	Malariaerreger	jedes	Jahr.	                Was	geschah	direkt	nach	dem		                 Gottfried Vosgerau
          Endlich	geben	neue	Impfstoffe	                 Urknall?	Das	Inflationsszenario	              Ist	Denken	immer	ein	innerer	
          Anlass	zu	Hoffnung.	Daneben	                   beruht	auf	derart	willkürlichen	              Monolog,	oder	kommt	es	auch	
          erproben	Mediziner	auch	unge­                  Annahmen,	dass	einige	Forscher	               ohne	Wörter	aus?	
          wöhnliche	Strategien	gegen	die	                jetzt	nach	Alternativen	suchen
          Tropenseuche	–	etwa	das	Immuni­                                                          62	 	 en anderen verstehen	
                                                                                                       D
          sieren	der	krankheitsübertragen­         	     Physikalische UnterhaltUngen                  Albert Newen, Kai Vogeley
          den	Moskitos                             50	 	 alendergeschichten	
                                                       K                                               Was	passiert,	wenn	wir	uns	in	
                                                         Norbert Treitz	                               unsere	Mitmenschen	hinein­	
    34	 	 er Duft der Menschen	
        D                                                Wodurch	genau	entstehen	die	                  fühlen	oder	­denken?	Eine	neue	
          John R. Carlson, Allison F. Carey	             Jahreszeiten,	und	wozu	braucht	               Theorie	soll	diese	Frage	beant­	
          Forscher	haben	jetzt	jene	Riech­               man	eigentlich	Zeitzonen?                     worten	
          rezeptoren	von	Stechmücken	
          identifiziert,	die	selektiv	auf	         	     schlichting!
          menschlichen	Schweiß	reagieren	–	        54	 	 paziergang am Meer
                                                       S
                                                                                                       Titelmotiv: iStockphoto / Dominic Current,
          ein	weiterer	neuer	Ansatzpunkt	                H. Joachim Schlichting	                                    iStockphoto / Vladimir Nikitin,
          für	die	Malariabekämpfung                      Weil	sich	Wasser	gern	um	Sandkör­               Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft
                                                         ner	legt,	läuft	man	am	Strand		                    die auf der titelseite angekündigten
                                                         oft	wie	auf	einem	befestigten	Weg                  themen sind mit r gekennzeichnet



    4                                                                                           SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·AUgUST2011
sPektrogramm
                                                                                              	8	 Quarks	in	ungesehener	Eintracht	•	
                                                                                                  	
                                                                                                  Weibchen	auf	Wanderschaft	•	Wurm	
                                                                                                  lebt	einen	Kilometer	tief	unter	der	
                                                                                                  Erde	•	Warum	Rauchen	schlank	hält	•	
                                                                                                  Die	Quelle	der	Eisfontänen	auf	
                                                                                                  Enceladus	•	End	 ose	Nanodrähte	aus	
                                                                                                                  l
                                                                                                  dem	Ofen


                                                                                              bild des monats
                                                                                              11	 	 iologische Schraube
                                                                                                  B

                                                                                              forschung aktuell
                                                                                              12	 Planet der Phagen	
                                                                                                  	
                                                                                                  Welche	Rolle	spielen	Bakterio­	
                                                                                                  phagen	in	der	Natur?

    40                                                                                        14	 Großes Sterben
                                                                                                  	
                                                                                                  durch große Brände	
                                                                                                  Vulkanismus	als	Ursache	von	
    TITELThEma                                                                                    Massen	 xtinktion	bestätigt
                                                                                                         e

    Kosmische	Inflation                                                                       16	 Spinblockade in Solarzellen	
                                                                                                  	
                                                                                                  Grund	für	geringen	Wirkungsgrad	
                                                                                                  von	Plastiksolarzellen	aufgedeckt

                                                                                              20	 	 as politische Gehirn	
                                                                                                  D
                                                                                                  Ob	konservativ	oder	liberal,	lässt	sich	
    erde  umwelt                                    technik  comPuter                           an	der	Hirnstruktur	vorher	 agen
                                                                                                                             s

                                                                                              21	 Springers Einwürfe	
                                                                                                  	
    				                                             	
                                                                                                  Wasser	entmystifiziert
    68	 	 as Megabeben in Japan	
        D                                        r   86	 	 anowelt im Röntgenlicht
                                                         N
           Pierre Henry	                                 Gerhard Samulat	
           Seismologische	Untersuchungen	                Bei	Hamburg	entsteht	der	über	       weitere rubriken
           schlossen	ein	Erdbeben	der		                  drei	Kilometer	lange	Röntgenlaser	     3	 Editorial
           Stärke	9	in	der	Region	Fukushima	             European	XFEL.	Er	wird	die	For­
                                                                                                6	 Leserbriefe /Impressum
           so	gut	wie	aus.	Im	Nachhinein	                schung	an	Biomolekülen	und	
           zeigt	sich,	welche	Warnzeichen	die	           Katalysatoren	beschleunigen	und	     95	 	 ezensionen	
                                                                                                  R
           Experten	übersehen	haben	und	                 Live­Einblicke	ins	molekulare	           Stephen Hawking, Leonard
           welchen	Trugschlüssen	sie	aufge­              Geschehen	erlauben                       Mlodinow:	Der	große	Entwurf	
           sessen	sind	                                                                           Gerhard Schurz:		
                                                     	   interview                                Evolution	in	Natur	und	Kultur	
r   76	 	 ukushima
        F                                            92	 	 ukunftsbaustelle
                                                         Z                                        David P. Barash, Judith Lipton:	Wie		
        auch in Deutschland?	                            Photonenfabrik	                          die	Frauen	zu	ihren	Kurven	kamen	
           Bernhard Kuczera, Ludger Mohrbach,            Welche	Chancen	eröffnet	die	             Daniel Lingenhöhl:		
           Walter Tromm, Joachim Knebel	                 Umwandlung	eines	Beschleu­	              Vogelwelt	im	Wandel	
           Was	genau	geschah	in	den	Tagen	               niger	 entrums	in	eine	»Fabrik«		
                                                              z                                   Klaus Michael Meyer-Abich:		
           nach	dem	11.	März	im	Kernkraft­               für	Synchrotronstrahlung?		              Was	es	bedeutet,	gesund	zu	sein	
           werk	Fukushima­Daiichi,	und	                  »Spektrum«	sprach	mit	DESY­Chef	         Duncan Jones:	Moon	(Film)	u.	a.	
           inwiefern	könnten	sich	die	Ereig­             Helmut	Dosch
                                                                                              104	 	 issenschaft	im	Rückblick	
                                                                                                   W
           nisse	in	Deutschland	wiederholen?		
                                                                                                   Vom	Panamakanal	zur	Glasfaser
           Die	Chronik	einer	Katastrophe
                                                                                              105	 	 xponat	des	Monats	
                                                                                                   E
                                                                                                   Oskar	Salas	Mixturtrautonium

    WWW.SPEKTRUM.DE                                                                          106	 Vorschau                         5
leserbriefe

                                                                                         Der Large Hadron Collider am CERN in Genf                             rum wir bei der Anwendung der alther-




                                                                   ANTONIO SABA / CERN
                                                                                         ist eines jener Großgeräte, mit denen                                 gebrachten Mathematik zur Lösung der
                                                                                         Wissenschaftler den grundlegenden Fragen                              offenen Probleme der Physik im Sinn
                                                                                         der Natur nachspüren.                                                 des Artikels von Gerhard Börner in ei-
                                                                                                                                                               ner Sackgasse stecken.

                                                                                         dabei wahrscheinlich exponentiell. Ob
                                                                                         wir nun Gravitationswellen-Detektoren
                                                                                                                                                               Spirituelle Komponente
                                                                                         errichten, die bislang keine Gravita-                                 in Platons Staat
                                                                                         tionswellen nachweisen können, oder                                   Der Philosoph Julian Nida-Rümelin
                                                                                         mit riesigen Teilchenbeschleunigern                                   legte dar, welche Rolle der Gerechtig-
                                                                                         das theoretisch vorhergesagte Higgs-                                  keitssinn für den Einzelnen und die
                                                                                         Boson suchen sollen, das aber ebenfalls                               Gemeinschaft spielt. (»Was ist gerecht?«,
                                                                                         unter Umständen gar nicht existiert –                                 Juli 2011, S. 62)
                                                                                         immer hat man den Eindruck, dass die
                                                                                         Diskussion in der Mathematik zwi-                                     Martin Peschaut, St. Stefan ob Stainz
Wissenschaft muss Wi-
                                                                                         schen Hilbert und Gödel zur Frage der                                 (Österreich): Die modernen Spekula-
dersprüche minimieren                                                                    widerspruchsfreien Mathematik (und                                    tionen (ich kann sie nur als solche be-
Warum Forscher trotz enormer An-                                                         damit einer widerspruchsfreien Theo-                                  zeichnen) über Gerechtigkeit sind zwar
strengungen fundamentale Fragen                                                          rie über die Welt) doch nicht so ganz                                 theoretisch brillant, scheitern aber, um
nicht beantworten können, fragte der                                                     ernst genommen wird.                                                  Paul Watzlawick zu bemühen, an der
Astrophysiker Gerhard Börner. (»Natur-                                                      Die Kunst der Wissenschaft ist es                                  »normativen Kraft des Faktischen«: Ei-
wissenschaft in der Sackgasse?«, Juni                                                    also wahrscheinlich, diese Widersprü-                                 ne repräsentative Demokratie moder-
2011, S. 66)                                                                             che zu minimieren; ausräumbar oder                                    ner Prägung kann nicht gerecht sein,
                                                                                         vermeidbar sind sie aber grundsätzlich                                weil die Repräsentanten vor allem ihren
Peter Klamser, Egeln: Der Autor zeigt                                                    nicht. Wir messen so viel, dass aus den                               eigenen Vorteil und den ihrer Verbün-
die wesentlichen Probleme der heutigen                                                   vielen Daten keine hinreichend einfa-                                 deten im Auge haben. Das kann man
naturwissenschaftlichen Forschung auf,                                                   che, sondern eine beliebig komplexe                                   schönreden und rational übertünchen,
die zu dem Ergebnis führen, dass mit                                                     Theorie entsteht, die genau genommen                                  wie man will, letztlich entscheiden
immer höherem Aufwand immer »klei-                                                       nur im Stande ist, den gemessenen Ein-                                handfeste materielle Vorteile und die
nere« oder unter Umständen gar keine                                                     zelfall zu beschreiben. Zumindest könn-                               Quantität der einsetzbaren Druckmittel
Ergebnisse erzielt werden. Die Kosten                                                    ten solche fundamentalen Grenzen wie                                  darüber, was gerecht ist: nämlich das,
pro Einheit Erkenntnisgewinn steigen                                                     die Planck-Länge der Grund sein, wa-                                  was der Stärkere als gerecht festsetzt.



                                                                                         Vertrieb und Abonnementverwaltung:                                   Sämtliche Nutzungsrechte an dem vorliegenden Werk liegen
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                                                                                         Fax 0211 887-2099; Frankfurt: Thomas Wolter, Eschersheimer           75 Varick Street, New York, NY 10013-1917
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     Amtsgericht Mannheim, HRB 338114                                                                                                                         Editor in Chief: Mariette DiChristina, President: Steven
                                                                                         Fax 069 2424-4555; München: Jörg Bönsch, Nymphenburger               Inchcoombe, Vice President, Operations and Administration:
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                                                                                         Gesamtherstellung: L. N. Schaffrath Druckmedien GmbH  Co.                    buchhandel und beim Pressefachhändler
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6                                                                                                                                                            SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·AUgUST2011
Was den heutigen Ansätzen fehlt, ist      Karl Popper
die Einbeziehung der Spiritualität (da-                                                    folgen sie uns
mit meine ich nicht die Religion) als
                                             und der Objektbegriff                         im internet
transzendenten oder teleologischen           Philosoph Michael Esfeld beleuchtete,
Zweck jeder Gesellschaft oder jedes          wie die Quantenphysik das philoso-
Staates. Solange dieser Punkt, den Pla-      phische Denken verändert. (»Das Wesen
ton sehr wohl in seine Überlegungen          der Natur«, Juni 2011, S. 54)                 www.spektrum.de/facebook
mit einbezogen hat, außer Acht gelas-
sen wird, bleibt Gerechtigkeit ein theo-     Norbert Hinterberger, Hamburg: Ich
retisches Konzept bar jeder praktischen      halte Michael Esfelds Artikel nicht nur       www.spektrum.de/youtube
Relevanz für den Bürger, der der Will-       deshalb für den besten in dieser Philo-
kür einer sich selbst genügenden politi-     sophieserie, weil er bisher der Einzige
                                                                                           
schen Kaste ausgeliefert ist.                war, der Karl R. Poppers Relevanz für die     www.spektrum.de/studivz
   Damit wäre Gerechtigkeit auf institu-     schwierige Diskussion des Objektbe-
tioneller Ebene idealerweise platonisch      griffs erkannt hat, sondern vor allem                         
in dem Sinn, dass jeder das erhält, was      auch, weil ihm eine sehr dichte und ge-
                                                                                           www.spektrum.de/twitter
er braucht (nicht was er sich wünscht),      schliffene Darstellung der wichtigsten
und auf individueller Ebene kantia-          philosophischen Probleme der physika-
nisch, indem jeder so handelt, dass die      lischen Kosmologie auf diesem engen            Esfeld befreit uns hier mit seiner
Grundlagen seines Handelns jederzeit         Raum gelungen ist.                          korrekten Beschreibung der Kausalität
zum universellen Gesetz erklärt wer-             Popper hat bekanntlich schon sehr       auf Quantenebene auch von der nicht
den könnten. Das dürfte auch Platon          früh darauf aufmerksam gemacht, dass        funktionierenden klassischen Vorstel-
gemeint haben, als er vom »besonne-          wir nicht dazu gezwungen sind, Wahr-        lung von Determinismus. Das hat mir
nen« Bürger sprach.                          scheinlichkeit (antirealistisch) als »Maß   persönlich am besten gefallen – nicht
                                             unseres Unwissens« zu betrachten, wie       zuletzt wohl deshalb, weil ich seine Auf-
                                             das in der Kopenhagener Interpreta-         fassung von Kausalität selbst vertrete.
Elektronenübertragung                        tion (Bohr, Heisenberg, Born, von Neu-
auf den Schwefel                             mann und andere) geschehen ist, son-
Walkadaver sind ganze Ökosysteme, die        dern als »Verwirklichungs-Tendenz« be-
                                                                                         Glas leitet Wärme doch
jahrzehntelang eine Vielfalt von Lebe-       ziehungsweise »Propensität« bestimm-        Eines der ersten Rastertunnelmikros-
wesen ernähren, wie der Paläontologe         ter physikalischer »Dispositionen«, et-     kope bestand großteils aus Glas. (»Ex-
Crispin T. S. Little herausfand. (»Oasen     wa von Teilchen-Ensembles. All diese        ponat des Monats«, April 2011, S. 91)
der Tiefsee«, März 2011, S. 74)              Begriffe stammen schon von Popper.
                                             Letzterer hat gegenüber der Untersu-        Jörg Michael, Hannover: Die Behaup-
Winfried Nelle, Dortmund: Der Autor          chung individueller Objekteigenschaf-       tung, dass Glas keine Wärme leitet,
behauptet, die Bakterien würden Sau-         ten den Begriff des physikalischen Pro-     stimmt so nicht. Jedes Material leitet
erstoff aus Sulfat im Meerwasser ex-         zesses bevorzugt (im Übrigen auch für       Wärme. Glas leitet Wärme immerhin
trahieren und damit Knochenfett ver-         makrophysikalische Objekte), den man        schlechter als Metalle, aber immer noch
dauen. Die Aussage ist falsch, da die        ja durchaus zwanglos und ohne Infor-        besser als gängige Kunststoffe.
Bakterien die bei der (strikt) anaeroben     mationsverlust auf der fundamentalen
Oxidation des Fettes zum Zweck der           Beschreibungsebene rein energetisch
Energiegewinnung freigesetzten Elekt-        ausformulieren kann.                          B r i e f e a n d i e r e da k t i o n
ronen unter anaeroben Bedingungen                Anders gesagt: Auf den Materie-           … sind willkommen! Schreiben Sie uns auf
auf den Schwefel des Sulfats und nicht       beziehungsweise Objektbegriff werden          www.spektrum.de/leserbriefe
auf Sauerstoff übertragen.                   wir vermutlich wesentlich leichter ver-       oder schreiben Sie mit Ihrer kompletten
                                                                                           Adresse an:
   Der Schwefel des Sulfats ist der Elek-    zichten können als auf den Begriff der
tronenakzeptor, der von der Oxidati-         Energie beziehungsweise der äquiva-           Spektrum der Wissenschaft
onsstufe +VI durch Aufnahme von acht         lenten Masse. Der Begriff Materie könn-       Leserbriefe
                                                                                           Sigrid Spies
Elektronen zum Sulfid (Oxidationszahl        te sich als idealistisch herausstellen –
                                                                                           Postfach 10 48 40
–II) reduziert wird (dissimilatorische       und damit mindestens als überflüssig,         69038 Heidelberg
Sulfatreduktion). Der im Sulfat gebun-       wenn nicht gar als irreführend in fun-        E-Mail: leserbriefe@spektrum.com
dene Sauerstoff spielt bei der Reaktion      damentalen Diskussionen. Das sollten
                                                                                           Die vollständigen Leserbriefe und Antwor-
keine Rolle. Das kann er auch nicht, da      wir allein schon aus dem von Bell und
                                                                                           ten der Autoren finden Sie ebenfalls unter
er bereits vollständig reduziert ist (Oxi-   Aspect hervorragend gestützten Phäno-         www.spektrum.de/leserbriefe
dationszahl –II).                            men der Nichtlokalität gelernt haben.


WWW.SPEKTRUM.DE                                                                                                                        7
spektrogramm


                           ElEMENTARTEIlCHENPHySIK

                           Quarks in ungesehener Eintracht

                           B   islang gelten Quarks als mäßig
                               gesellige Elementarteilchen: Sie
                           gruppieren sich lediglich zu Paaren
                                                                    sind: Hadronen, zu denen die Atom-
                                                                    kernbausteine Proton und Neutron
                                                                    gehören, mit je drei Quarks und Meso-
                                                                                                                 verschmelzen dabei zu Deuterium;
                                                                                                                 zusätzlich entstehen so genannte
                                                                                                                 Pi-Mesonen (Pionen). Mit Hilfe des so
                           oder Dreierbünden. Dementsprechend       nen, die aus einem Quark und einem           genannten WASA-Detektors nahmen
                           existieren nur zwei Sorten von Teil-     Anti-Quark bestehen. Zwar erlaubt das        die Wissenschaftler nun die Teilchen-
                           chen, die aus Quarks zusammengesetzt     Standardmodell der Elementarteil-            reaktionen mit bisher unerreichter
                                                                    chenphysik Partikel, die aus mehr als        Präzision unter die Lupe. Sie konnten
ForSChungSzentruM JüliCh




                                                                    drei Quarks bestehen – nachgewiesen          so einen extrem schnell vergänglichen
                                                                    wurden sie aber noch nicht. Nun haben        Zwischenzustand untersuchen, dessen
                                                                    Physiker möglicherweise erstmals ein         Eigenschaften sich nicht allein mit
                                                                    Teilchen entdeckt, das sogar aus sechs       herkömmlichen Teilchen erklären
                                                                    Quarks besteht.                              lassen.
                                                                       Beobachtet wurde es am Teilchen-             Wie das Forscherteam berichtet,
                                                                    beschleuniger COSY (COoler SYnchro-          könnte es sich dabei um ein so genann-
                                                                    tron) des Forschungszentrums Jülich,         tes Multiquark-Hadron aus sechs
                                                                    wo ein Forscherkonsortium mit 120            Quarks handeln. Allerdings ist es auch
                                                                    Beteiligten Protonen und Neutronen           möglich, dass diese gar kein kompaktes
                                                                    miteinander kollidieren lassen. Die          Teilchen bilden, sondern ein winziges
                                                                    zusammenprallenden Hadronen                  »hadronisches Molekül«: Es wäre
                                                                                                                 analog zu einem normalen chemi-
                                                                                                                 schen Molekül aufgebaut, aber viel
                                                                    Der schwedische WASA-Detektor                kleiner und mit Quarks als Bausteinen
                                                                    lieferte Hinweise auf ein Teilchen aus       statt Atomen.
                                                                    sechs Quarks.                                         Phys. Rev. Lett. 106, 242302, 2011


                           ANTHRoPologIE

                           Weibchen auf Wanderschaft

                           V    or rund zwei bis vier Millionen
                                Jahren lebten in Ost- und Süd-
                           afrika die Australopithecinen, zu
                                                                       Die Wissenschaftler um Sandi Cope-
                                                                    land rekonstruierten die Lebensge-
                                                                    schichte von 19 Individuen der Arten
                                                                                                                 sich über die aufgenommene Nahrung
                                                                                                                 im Zahnschmelz niederschlägt.
                                                                                                                    So gelang es Copeland und ihrem
                           denen auch die berühmte Lucy gehör-      Australopithecus africanus und Par­          Team, die Reviergröße der untersuch-
                           te, unsere »Urahnin«. Die Lebensweise    anthropus robustus, indem sie winzige        ten Australopithecinen zu ermitteln.
                           dieser Vormenschen liegt noch weit       Mengen an Zahnschmelz aus den                Demnach beschränkten sich die Männ-
                           gehend im Dunkeln, da sich Fossilfun-    fossilen Gebissen verdampften und            chen beider Arten auf ein Gebiet von
                           den Informationen darüber nur schwer     darin das Verhältnis zweier Strontium-       rund 30 Quadratkilometern. Ihr Revier
                           entnehmen lassen. Aus der Zusam-         isotope bestimmten. Jede geologische         war damit vergleichbar dem heutiger
                           mensetzung von Zähnen zweier Aus-        Formation rund um die südafrikani-           Gorillas, während etwa Schimpansen-
                           tralopithecinen-Arten schlossen nun      schen Fundstellen Swartkrans und             gruppen durchaus Gebiete von 600
                           Forscher vom Max-Planck-Institut für     Sterkfontein weist ihr eigenes charakte-     Quadratkilometern durchstreifen.
                           evolutionäre Anthropologie in Leipzig,   ristisches Isotopenverhältnis auf, das                      Nature 474, S. 76 – 78, 2011
                           dass die Männchen ein Leben lang
                                                                                                                                                               Sandi Copeland, Mpi eVa




                           ihrem Geburtsort treu blieben, wäh-
                           rend die Weibchen auf Wanderschaft       Die Forscher analysierten den fossilen
                           gingen – möglicherweise um sich          Zahnschmelz mittels Laser Ablation
                           anderen Gruppen anzuschließen und        Multicollector Inductively Coupled Plasma
                           dort Partner zu suchen. Ähnlich ver-     Mass Spectrometry. Hierzu trugen sie mit
                           halten sich heute Schimpansen und        einem Laser kleinste Mengen an biolo-
                           Bonobos, während bei den Gorillas        gischem Material ab (als Riffelung auf der
                           beide Geschlechter wandern.              Oberfläche im Bild erkennbar).


                           8                                                                                    SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·AUgUST2011
autoren: Jan dönges, antje Findeklee, lars Fischer, Christian Maier, Maike pollmann




  lEbENSRäUME

  Wurm lebt einen Kilometer tief unter der Erde

  I  n tiefen Gesteinsschichten sind
     die Lebensbedingungen hart:
  Es ist heiß, Sauerstoff und Nahrung
                                             Im Kluftwasser einer südafrikanischen
                                             Goldmine, mehr als einen Kilometer
  sind Mangelware. Entsprechend              unter der Erde, lebt Halicephalobus
  ließen sich dort bislang nur ein-          mephisto, ein winziger
  zellige Spezialisten nachweisen, die       Fadenwurm.
  immerhin bis zu drei Kilometer
  unter der Oberfläche ihr Dasein




                                                                                                                                  gaetan Borgonie, uniVerSität gent, Belgien
  fristen. Jetzt entdeckten Wissen-
  schaftler in mehr als einem Kilome-
  ter Tiefe erstmals verschiedene
  Fadenwürmer, darunter auch eine
  neue Art: Halicephalobus mephisto.
  Ein einziges Exemplar davon kam
  mit dem Kluftwasser aus 1,3 Kilo-
  meter Tiefe der südafrikanischen        sich sogar, und zwar durch Partheno-          dort also eine jahrtausendealte
  Beatrix-Goldmine ans Tageslicht.        genese, also mittels unbefruchteter           Lebensgemeinschaft. Diese wird
      Es ist etwa einen halben Millime-   Eizellen.                                     jedoch bei der Bohrung zerstört,
  ter lang, sein Körper ist deutlich         Gaetan Borgonie von der Uni-               wenn Wasser mit hohem Druck den
  geringelt und endet in einem relativ    versität Gent und seine Kollegen              Biofilm aus den Gesteinsklüften
  langen, fadenförmigen Schwanz. Im       vermuten, dass Halicephalobus                 spült, und regeneriert sich erst einige
  Labor zeigte sich das Tier recht        mephisto vor Ort Bakterienrasen               Zeit nach Abschluss der Arbeiten
  unempfindlich gegenüber hohen           abweidet. Mittels Radiokarbonmes-             wieder. Wohl deshalb habe man
  Temperaturen: Erst bei 41 Grad          sungen datierten die Forscher das             zuvor noch keine Fadenwürmer in
  Celsius stellte es das Wachstum ein –   Kluftwasser auf ein Alter von 3000            solchen Bohrungen gefunden, meint
  in seinem Lebensraum herrschen          bis 12 000 Jahren. Die Fadenwürmer            Borgonie.
  37 Grad Celsius. Und es vermehrte       und die Mikroorganismen bilden                             Nature 474, S. 79 – 82, 2011




MEDIZIN

Warum Rauchen schlank hält

R   auchen ist zwar ungesund, steht
    aber im Ruf, schlank zu machen.
Jetzt entdeckte ein Team um Marina
                                          Er bindet bestimmte Signalmoleküle,
                                          die nach einer ausreichenden Mahlzeit
                                          freigesetzt werden, und aktiviert
                                                                                         blockierten. Die Nager fraßen darauf-
                                                                                         hin trotz Nikotingabe genauso viel wie
                                                                                         ihre Artgenossen, die kein Nikotin
Picciotto von der Yale University in      daraufhin so genannte Proopiomela-             erhielten. Bemerkenswert sei, so
New Haven, dass Nikotin tatsächlich       nocortin-Zellen (kurz POMC-Zellen).            Picciotto, dass es sich bei dem entdeck-
über einen speziellen Rezeptor auf        Diese sorgen dafür, dass das Hunger-           ten alpha-3-beta-4-nikotinischen
Hypothalamuszellen einwirkt und so        gefühl verschwindet. Beim Rauchen              Azetylcholinrezeptor um einen ande-
das Hungergefühl dämpft.                  scheint das aufgenommene Nikotin               ren Typ handele als bei jenem, der für
   Rezeptoren, die auf Nikotin reagie-    den Regulationsmechanismus kurzzu-             Nikotinabhängigkeit verantwortlich
ren, sind im Gehirn weit verbreitet –     schließen: Es aktiviert über den Rezep-        ist. Somit ließe sich ein maßgeschnei-
so auch im Hypothalamus, der den          tor die POMC-Zellen, ohne dass man             derter Appetitzügler entwickeln, der
Stoffwechsel reguliert. Der von Pic-      sich dafür vorher satt essen müsste.           die schlank machende Wirkung von Ni-
ciotto und Kollegen identifizierte Re-       Auf die Spur kamen die Forscher             kotin imitiert, ohne über das Beloh-
zeptortyp gehört dort zum körpereige-     dem Rezeptor, indem sie bei Mäusen             nungssystem Sucht auszulösen.
nen Hungerregulationsmechanismus:         den POMC-Signalweg gentechnisch                             Science 332, S. 1330 – 1332, 2011


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spektrogramm
                                                                                                                                                                                 Aktuelle Meldungen und
                                      SoNNENSySTEM                                                                                                                               Hintergründe finden Sie auf

                                      Die Quelle der Eisfontänen auf Enceladus

                                      Z    ahlreiche lange Risse ziehen sich
                                           nahe dem Südpol über den eisbe-
                                      deckten Saturnmond Enceladus. Was-
                                                                                 Analyse zeigt nun so deutlich wie keine
                                                                                 zuvor, dass es seinen Ursprung in
                                                                                 einem riesigen Salzmeer hat, das sich
                                                                                                                                                                                 Postberg und seine Kollegen extra-
                                                                                                                                                                              polierten die gemessenen Häufigkeiten
                                                                                                                                                                              auf die Ausbruchsstelle. Demnach
                                      serdampf und Eispartikel schießen aus      unter der Eisdecke verbirgt.                                                                 machen die salzreichen Teilchen rund
                                      diesen »Tigerstreifen« ins All – mehre-       Die Gelegenheit ergab sich, als die                                                       70 Prozent aller ausgeworfenen Parti-
                                      re tausend Kilometer weit – und liefern    Raumsonde Cassini mehrfach durch                                                             kel und mehr als 99 Prozent der insge-
                                      Nachschub für den diffusen E-Ring          die von den Fontänen gebildete Wolke                                                         samt ausgeworfenen Masse aus. Diese
                                      des Saturns. Doch woher stammt das         flog und sich dem Saturnmond dabei                                                           Ergebnisse seien jedoch unvereinbar
                                      ausgespiene Material? Eine neue            bis auf 21 Kilometer näherte. Forscher                                                       mit der Annahme, dass die Eiskörn-
                                                                                 um Frank Postberg vom Max-Planck-                                                            chen von der gefrorenen Eisoberfläche
naSa, Jpl / SpaCe SCienCe inStitute




                                                                                 Institut für Kernphysik in Heidelberg                                                        des Mondes stammen. Stattdessen
                                                                                 konnten dadurch zahlreiche frisch                                                            sprechen sie für einen unterirdischen
                                                                                 ausgespuckte Eiskörnchen im Massen-                                                          Ozean als Quelle, der aus dem Ge-
                                                                                 spektrometer der Sonde analysieren.                                                          steinskern des Mondes ausgewaschene
                                                                                 Dabei verglichen sie die Häufigkeiten                                                        Salze enthält. Die salzhaltigen Teilchen
                                                                                 der verschiedenen Typen dieser kalten                                                        seien schockgefrostete Salzwasser-
                                                                                 Krümel. Sie stellten fest, dass nahe der                                                     tröpfchen, die sich über dem Ozean bil-
                                                                                 Auswurfstelle gut 40 Prozent der                                                             den und schließlich – mitgerissen von
                                      Entlang der »Tigerstreifen«, vulkanisch    Partikel dem salzreichen Typ angehö-                                                         Dampf und Gas – durch Risse in der
                                      aktiver Spalten in der Südpolregion des    ren, der große Mengen an Natrium-                                                            Eiskruste ins All geschleudert werden.
                                      eisigen Saturnmonds Enceladus, werden      und Kaliumsalzen enthält, während                                                            Da sie schwerer sind als salzarme
                                      an verschiedenen Stellen Fontänen aus      der von den Fontänen gespeiste                                                               Körnchen, schaffen es nur wenige von
                                      Eispartikeln und Wasserdampf in den        Saturnring nur zu sechs Prozent aus                                                          ihnen bis in den E-Ring des Saturns.
                                      Weltraum geschleudert.                     diesem Typ besteht.                                                                                       Nature 474, S. 620 – 622, 2011



                                      NANoTECHNIK

                                      Endlose Nanodrähte aus dem Ofen

                               K          ilometerlange Bündel aus weni-
                                          ger als zehn Nanometer dicken
                                      Drähten und Röhren lassen sich mit
                                                                                 zieren und die gewünschten Eigen-
                                                                                 schaften während des Herstellungs-
                                                                                 prozesses zu erhalten.
                                                                                                                                                                              vom anderen Ende aus mit etwa 50 Zen-
                                                                                                                                                                              timetern pro Minute zu einem Draht
                                                                                                                                                                              zogen. Zwar verringerte sich der Durch-
                                      einem recht simplen Heißziehverfah-           Die türkischen Forscher gingen von                                                        messer des Rohlings dabei – je nach
                                      ren herstellen, wie Mehmet Bayindir        einem Rohling aus einem speziellen                                                           den Bedingungen – um den Faktor
                                      von der Bilkent-Universität in Ankara      Halbleitermaterial mit etwa einem Zen-                                                       25 bis 300, seine innere Struktur blieb
                                      und seine Kollegen demonstrierten.         timeter Durchmesser aus, den sie unter                                                       jedoch bewahrt. Einzelne, dennoch
                                      Diese Bauteile sind für sehr unter-        Vakuum langsam in einen 275 Grad                                                             entstehende Materialfehler heilten die
                                      schiedliche Anwendungen begehrt –          heißen Ofen schoben, während sie ihn                                                         Forscher durch Erhitzen im Vakuum
                                      von der Mikrofluidik bis hin zu opti-                                                                                                   aus. Die so erhaltenen, weniger als ein
                                      schen Techniken. Bislang war es aber                                                                                                    Millimeter dünnen Drähte verdrillten
                                                                                                                            nature MaterialS 10, S. 494 – 501, 2011, Fig. 4




                                      nicht gelungen, lang ausgezogene                                                                                                        sie dann zu regelmäßigen Bündeln, die
                                      Nanofäden homogen genug zu produ-                                                                                                       sie in einem zweiten Schritt wiederum
                                                                                                                                                                              zu Drähten auszogen. Nach drei dieser
                                                                                                                                                                              Schritte erhielten sie abhängig von
                                      Das Herstellungsverfahren erhält die                                                                                                    Ausgangsmaterial und Ziehgeschwin-
                                      innere Struktur des knapp 60 Mikrometer                                                                                                 digkeit Drähte oder Röhren mit Durch-
                                      starken Nanodrahts, wie Querschnittauf-                                                                                                 messern von einigen Nano- bis Mikro-
                                      nahmen zeigen: Die gebündelten Fasern                       2 µm                                                                        metern – sowie einer Länge von meh-
                                      bleiben am Drahtanfang (unten links) und                                                                                                reren hundert Metern bis Kilometern.
                                      -ende (rechts) regelmäßig angeordnet.               20 µm                    20 µm                                                                Nature Mat. 10, S. 494 – 501, 2011


                                      10                                                                                                                                     SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·AUgUST2011
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                                                                                                BIOLOGISCHE SCHRAUBE
Beide auFnahMen: thoMaS Van de KaMp et al., KarlSruher inStitut Für teChnologie (www.Kit.edu)




                                                                                                                       Der Mensch hat sich viele technische Prinzipien von der Natur
                                                                                                                       abgeschaut – die klassische Schraube-Mutter-Verbindung
                                                                                                                       schien jedoch seine alleinige Erfindung zu sein. Irrtum: Ein
                                                                                                                       kleiner Rüsselkäfer verknüpft damit seit Millionen Jahren
                                                                                                                       seine Beinglieder.
                                                                                                                          Trigonopterus oblongus lebt in den Wäldern Neuguineas.
                                                                                                                       Das Schraubengelenk an der Hüfte verbesserte möglicherwei-
                                                                                                                       se sein Klettervermögen. Die 3-D-Rekonstruktion links zeigt,
                                                                                                                       wie das Außengewinde des Trochanters (gelb) in der Coxa
                                                                                                                       (grün) verankert ist. Die lang ausgezogene Spitze des Trochan-
                                                                                                                       ters mündet in einem Loch der Coxa und stabilisiert so das
                                                                                                                       Bein entlang der Drehachse.
                                                                                                                                                                 Science 333, S. 53, 2011
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BIologIE




                                                                                                            Dwight L. AnDerson
Planet der Phagen
                                                                                                                                 Elektronenmikro­
BakteriophagensindViren,dieBakterieninfizieren.InderAnfangszeit                                                         skopische Auf­
derMolekularbiologiedientensiealseinfacheModellsysteme,                                                                  nahme von zwei
docherstjetztbeginntman,ihreRolleinderNaturzuverstehen.                                                              T4­ und einem
                                                                                                                                 Phi29­Bakterio­
VoNMICHAElgRoSS                                                                                                                phagen (Mitte)



B   akteriophagen, oft auch kurz Pha­
    gen genannt, sind der Wissenschaft
schon seit rund 100 Jahren bekannt,
                                           voneinander unabhängiger Entwicklun­
                                           gen: Zum einen führte die bedrohliche
                                           Verbreitung von Antibiotikaresistenzen
                                                                                        nerationen hinweg weitervererbt wer­
                                                                                        den können. Auch das Gen für das Cho­
                                                                                        leratoxin erhält Vibrio von solchen Pha­
doch wurde ihre Erforschung immer          in Bakterien zu einer Suche nach ande­       gen. Ohne diese wäre das Bakterium
wieder vernachlässigt, sobald die For­     ren Möglichkeiten, mit denen man Bak­        harmlos. Die so genannten lytischen
scher ein neues Interessengebiet ent­      terien bekämpfen kann. Zum anderen           Phagen hingegen sind Zellpiraten, die
deckten. Schon früh rückte die anti­       arbeiten die Genomsequenzierer inzwi­        grundsätzlich keine Gefangenen neh­
bakterielle Wirkung dieser für den         schen sogar mit Proben direkt aus Ge­        men. Wenn sie eine Zelle infizieren,
Menschen völlig harmlosen Viren ins        wässern oder dem Boden und entde­            wird diese zur Phagenfabrik umge­
Rampenlicht, doch dann kamen die An­       cken, dass solche Proben aus der Umwelt      modelt und im Zuge dessen zerstört.
tibiotika, und die so genannte Phagen­     sehr viel mehr Phagen enthalten, als         Diese Art von Phagen kann vermutlich
therapie kam aus der Mode. Nur in der      man gedacht hatte. Selbst die von den        die Übertragung der Cholera bremsen,
Sowjetunion – insbesondere in Tiflis,      Bakterien getrennt einzuordnenden Ar­        doch um sie zu nutzen, müsste man die
der Hauptstadt von Georgien – blieb        chäen (»Archäobakterien«) haben eige­        komplizierten Wechselwirkungen zwi­
man den Phagen treu.                       ne Phagen, die bisher kaum erforschten       schen Phagen, Bakterien und Menschen
   Ab den 1940er Jahren benutzten die      Archäophagen. Man schätzt inzwischen,        besser kennen.
Pioniere der Molekularbiologie auf An­     dass es auf der Erde zehnmal mehr Pha­
regung des berühmten Genetikers Max        gen als zelluläre Lebewesen gibt – wir le­   Modellsystem Rosskastanie
Delbrück (1906 – 1981) Phagen als einfa­   ben sozusagen als tolerierte Minderheit      Erste Ansätze zu einem tieferen Ver­
che Modellsysteme. Die Forscher jener      auf dem Planeten der Phagen.                 ständnis der Rolle der Phagen in der
Zeit beschränkten sich dabei auf einige       Welche Rolle diese allgegenwärtigen       Natur kommen aus der zoologischen
wenige Phagen, darunter T4 und Lamb­       Viren für die Populationsdynamik und         Fakultät der University of Oxford – ob­
da, die das Bakterium Escherichia coli     Evolution ihrer Wirtsorganismen spie­        wohl in diesen Untersuchungen gar
befallen und heute ebenso wie ihr Wirt     len, ist noch weit gehend unbekannt.         keine Tiere vorkommen. Britt Koskella
zu den am besten untersuchten Arten        Seit 2008 wissen wir immerhin, dass          und ihre Kollegen wählten die Rosskas­
gehören. Aber ein umfassenderes Inter­     Phagen in nährstoffarmen Biotopen der        tanie als Modellsystem. Diese Baumart
esse für Phagen und ihre Rolle in der      Tiefsee eine wichtige Funktion haben:        leidet auch hier zu Lande seit einigen
Natur entstand daraus nicht.               Indem sie Bakterien auflösen, setzen sie     Jahren zunehmend unter einer neuen
   Auch die ersten vollständig sequen­     die in ihnen enthaltenen Stoffe frei und     Rindenkrankheit, ausgelöst durch Bak­
zierten Genome waren Phagengenome.         entziehen sie so dem Zugriff von höhe­       terien der Art Pseudomonas syringae.
Zuerst kam MS2, das aus RNA besteht,       ren Organismen. Auf diese Weise stehen       Die Bakterien ihrerseits werden von
und dann, als erstes DNA­Genom, die        die knappen Ressourcen weiterhin den         Phagen infiziert.
Sequenz von Phi­X174. Doch dann streb­     Mikroben zur Verfügung.                         Bisher untersuchten Forscher die
ten die Genomsequenzierer ebenfalls           Ein besseres Verständnis der Pha­         wechselseitige Anpassung zwischen
nach Höherem. Sie entwickelten ihre        genökologie wäre auch aus medizini­          Phagen und Bakterien vor allem im La­
Methoden weiter, sequenzierten erst        scher Sicht wünschenswert. Der Erreger       bor – und wenn in der Natur, dann nur
Bakterien, dann Pflanzen, Tiere und        der Cholera, Vibrio cholerae, wird zum       in wässrigen Habitaten. Koskella konn­
Menschen und ließen die Phagen wie­        Beispiel von rund 200 verschiedenen          te mit der Rosskastanie erstmals auf ein
der in Vergessenheit geraten.              Phagenarten infiziert. Einige davon          Modellsystem zurückgreifen, wo diese
   Wiedererweckt wurde das Interesse       sind so genannte lysogene Phagen – das       Wechselwirkung in einer klar definier­
an den natürlichen Bakterienkillern erst   heißt, sie schleusen ihre Gene in das        ten räumlichen Matrix stattfindet. Sie
nach der Jahrtausendwende dank zweier      Genom des Wirts ein, wo sie über Ge­         wies nach, dass der »Lebensraum« der


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Phagen jeweils der ganze Baum ist: Bak­      achtet man normalerweise einen »Rüs­       digungsmaßnahmen des Gegners zu
terien aus anderen Blättern, auch von        tungswettlauf« der Bakterien und Pha­      kontern. Dabei handelt es sich aber eher
weit entfernten Zweigen desselben            gen, wobei sowohl die Aggressivität der    um ein zeitweiliges Ausweichen, nicht
Baums, konnten die Phagen im Labor­          Phagen als auch die Resistenz der Bakte­   um eine bleibende Aufrüstung. Das
versuch ebenso leicht infizieren wie die     rien mit der Zeit zunimmt. Dies kann       zeigte sich daran, dass sowohl Phagen
aus demselben Blatt isolierten Bakteri­      man testen, indem man Phagen zu ei­        als auch Bakterien am wirksamsten ge­
en. Mit aus anderen Bäumen isolierten        nem bestimmten Zeitpunkt der Ent­          gen Kontrahenten kämpften, die zum
Bakterien derselben Art taten sich die       wicklung entnimmt und mit Bakterien        selben Zeitpunkt entnommen worden
Phagen hingegen schwer. Offenbar de­         aus derselben Kultur, aber von einem       waren. Sowohl gegen spätere wie auch
finiert also der einzelne Baum die Gren­     anderen Zeitpunkt zusammenbringt.          gegen frühere Gegner sahen sie nicht so
zen der Gemeinschaft aus Bakterien           Von den beiden Kontrahenten gewinnt        gut aus (Science 332, S. 106 – 109, 2011).
und Phagen, innerhalb deren die wech­        stets der später entnommene – das             Eines ist klar: Es bleibt noch viel zu
selseitige Anpassung stattfindet (Ame­       heißt, die Kampfkraft beider Seiten        erforschen, bis wir diese zahlreichsten
rican Naturalist 177, S. 440 – 451, 2011).   nimmt mit der Zeit immer weiter zu.        Bewohner unseres Planeten wirklich
   Wie ein solches Wechselspiel zeitlich        Gómez und Buckling führten eine         verstehen. Doch die Mühe könnte sich
abläuft, untersuchte Angus Buckling,         analoge Untersuchung nun erstmals in       lohnen – als Belohnung winkt die Hoff­
der auch an der Kastanienstudie betei­       einem natürlichen Umfeld durch, näm­       nung, dass sie uns eines Tages dabei
ligt war, zusammen mit seinem Postdoc        lich in Bodenproben. Die Forscher fan­     helfen können, jene bakteriellen Infek­
Pedro Gómez. In Laborversuchen beob­         den heraus, dass in der Natur kein Wett­   tionen zu besiegen, gegen die unsere
                                             rüsten stattfindet, bei dem beide Seiten   Antibiotika immer machtloser werden.
                                             immer besser werden. Zwar ändern sich
Ein einzelner Kastanienbaum wie dieser       beide Seiten auch in der Natur konti­      Michael Groß ist Biochemiker und freier
enthält jeweils eine spezifische Gemein­     nuierlich und schnell, um die jewei­       wissenschaftsjournalist in oxford, england.
schaft aus Bakterien und Phagen.             ligen Angriffs­ beziehungsweise Vertei­    www.michaelgross.co.uk




                                                                                                                                           fotoLiA / CoLoreLLo




WWW.SPEKTRUM.DE                                                                                                                      13
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ERDgESCHICHTE



Großes Sterben durch große Brände
Wiesogingvor250MillionenJahrenfastalleslebenaufderErdezugrunde?FlugaschefundeinKanada
bestätigennundieTheorie,dassverheerenderVulkanismusinSibiriendieKatastropheauslöste.

VoNKARlURBAN
                                                                                                              sibirische
                                                    Buchanan-                                                   Trapps

N     iemals in der bekannten Erd­
      geschichte stand das Leben
so nahe am Abgrund wie vor
                                                    See                                                                          können sie jedenfalls nicht allein
                                                                                                                                   erklären: den jähen Anstieg im
                                                                                                                                   Verhältnis des leichteren Kohlen­
etwa 250 Millionen Jahren. Erst                                                                                                    stoffisotops der Atommasse 12
vereinigten sich die Landmas­                                                                                                      zum schwereren Kohlenstoff­13.
sen Laurasia und Gondwana im                                                                                                     Er ist so ausgeprägt, dass die Um­
späten Karbon zum Großkontinent                       n At u
                                                                                                                             welt im späten Perm mit Material or­
                                                               re geo s C                                     , fi g . 1
                                                                            ien Ce 4, s. 1 04 – 1 07, 20 11
Pangäa. Immer mehr Arten konkurrier­                                                                                       ganischen Ursprungs geradezu überflu­
ten um einen schrumpfenden Lebens­           Vor 250 Millionen Jahren waren alle                                           tet worden sein muss. Denn jedes Lebe­
raum, weil viele der besonders dicht be­     irdischen Landmassen im Superkontinent                                        wesen nimmt bevorzugt Kohlenstoff­12
siedelten Küstenhabitate verschwanden.       Pangäa vereint. Damals schuf eine                                             aus der Umwelt auf, wodurch etwa fossi­
Dann entwickelte sich ein Treibhauskli­      Serie gewaltiger Vulkanausbrüche die                                          le Lagerstätten aus abgestorbenen Orga­
ma und setzte das Leben auf der Erde         sibirischen Trapps: Flutbasalte mit                                           nismen stark mit dem leichten Isotop
weiter unter Druck – bevor schließlich       einer Ausdehnung von 2,5 Millionen                                            angereichert sind. Der Paläontologe Paul
eine bislang rätselhafte Folge von Ereig­    Quadratkilometern. Bei diesen Eruptionen                                      Wignall von der University of Leeds
nissen am Ende des Perms die Ökosyste­       gebildete Flugascheteilchen fanden                                            (England) hat errechnet, dass selbst das
me rund um den Globus fast völlig kol­       Forscher nun am Grund eines Sees in                                           Absterben fast aller damaligen Erdbe­
labieren ließ: 96 Prozent der marinen        Kanada, wohin Westwinde sie einmal um                                         wohner zusammen mit den geschätzten
Spezies und 70 Prozent aller Arten an        den Globus herum verfrachtet hatten.                                          vulkanischen Ausgasungen nicht aus­
Land verschwanden für immer.                                                                                               reichen würde, die anomalen Messwerte
   Die Katastrophe übertraf damit auch                                                                                     zu erklären. Deshalb müsste zusätzlich
das viel bekanntere Artensterben, dem        ren Indizien für einen Einschlag blieb                                        fossiler Kohlenstoff freigesetzt worden
vor rund 65 Millionen Jahren die Dino­       erfolglos; Berichte über Iridium oder                                         sein, der etwa in Kohlevorkommen un­
saurier zum Opfer fielen. Als Ursache        durch hohen Druck zerrüttete Quarz­                                           ter Tage oder Methanhydraten am Mee­
dieser Massenextinktion gilt der Ein­        kristalle ließen sich nicht erhärten.                                         resgrund gespeichert ist.
schlag eines gigantischen Himmelskör­           Andere Forscher brachten die Flut­                                             Eine mögliche Quelle dafür entdeck­
pers, seit der Geologe Luis Alvarez 1981     basalte in Sibirien mit dem rätselhaften                                      te ein Forscherteam um Henrik Svensen
weltweit an der Schichtgrenze zwischen       Artensterben vor 250 Millionen Jahren                                         von der Universität Oslo (Norwegen) im
Kreide und Tertiär das in Meteoriten         in Verbindung. Dort nämlich spien just                                        Jahr 2008: Im sibirischen Tunguska­
häufige Metall Iridium fand.                 zur selben Zeit Vulkane über knapp                                            becken bahnte sich das Magma einst
   Der Grund für das Artensterben an         600 000 Jahre hinweg Unmengen an                                              seinen Weg durch Erdöl führende Schie­
der Perm­Trias­Grenze ist dagegen un­        Lava aus, die mindestens 2,5 Millionen                                        fer, Karbonate und Salze, was in zweifa­
klar. Aus dieser Zeit existieren nur weni­   Quadratkilometer – das Siebenfache der                                        cher Hinsicht fatale Folgen hatte. Zum
ge Gesteine, die zudem kein eindeutiges      Fläche Deutschlands – bedeckte. Mit den                                       einen trieben die hohen Temperaturen
Bild abgeben. Zwar behauptete Luann          Ausbrüchen gelangten auch immer wie­                                          aus dem Ölschiefer zehntausende Giga­
Becker von der University of Washing­        der massenhaft Kohlendioxid, Schwefel­                                        tonnen flüchtige Kohlenwasserstoffe
ton in Seattle 2001, an der Grenzschicht     gase und Asche in die Atmosphäre.                                             aus, die mit dem Magma an die Oberflä­
Fullerene außerirdischen Ursprungs ge­          Die sibirischen Trapps, wie die Flut­                                      che gelangten und dort verbrannten.
funden zu haben: In den fußballförmi­        basalte fachsprachlich heißen, markie­                                        Dabei entstand doppelt so viel Kohlen­
gen Kohlenstoffmolekülen entdeckte           ren damit eine der gewaltigsten vulkani­                                      dioxid, wie die Vulkane selbst in die Luft
sie Edelgase, deren Isotopenverhältnis       schen Epochen der Erdgeschichte. Doch                                         bliesen. Zudem zeigten die norwegi­
dem in einer speziellen Form von Mete­       ob sie wirklich den Untergang so vieler                                       schen Wissenschaftler in Experimen­
oriten glich (Spektrum der Wissenschaft      Arten weltweit verursachten, war bisher                                       ten, dass schon bei Temperaturen von
7/2002, S. 60). Doch die Suche nach ei­      fraglich. Einen markanten Einschnitt an                                       275 Grad Celsius im Untergrund enor­
nem passenden Krater und nach ande­          der permotriassischen Schichtgrenze                                           me Mengen an organischen Chlor­ und


14                                                                                                                        SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·AUgUST2011
Bromverbindungen entstanden, die             über den panthalassischen Ozean mehr         te zu erklären. Außerdem lässt sich das
                                                  gleichfalls in die Atmosphäre ausgasten.     als 20 000 Kilometer weit bis in das         Muster des Massenaussterbens mit dem
                                                  Dort wirkten sie wie die vom Menschen        heutige Nordkanada. »Wir sehen das           Ascheregen allein nicht erklären. Dieser
                                                  freigesetzten Fluorchlorkohlenwasser­        gleiche Phänomen bei großen Stürmen          behinderte zwar die Fotosynthese und
                                                  stoffe (FCKWs) und zerstörten die Ozon­      in der Sahara«, erläutert Grasby. »Die       vergiftete Ökosysteme, doch legte sich
                                                  schicht. Dadurch konnte erbgutschädi­        feinen Staubteilchen sind in ihrer Grö­      die Asche gleichermaßen auf Kontinen­
                                                  gende ultraviolette Sonnenstrahlung          ße vergleichbar mit der permischen           te und Meere. Warum aber war dann das
                                                  am Ende des Perms die Atmosphäre fast        Flugasche und werden bis nach Nord­          Leben an Land deutlich weniger betrof­
                                                  ungehindert durchdringen.                    amerika geweht. Gelangen solche Par­         fen als das in den Ozeanen? Und wieso
                                                      Die massive Verbrennung fossiler         tikel bei besonders heftigen vulkani­        wurden im Meer vor allem solche Arten
                                                  Kohlenwasserstoffe müsste weltweit           schen Ausbrüchen bis in die Strato­          stark dezimiert, die am Boden lebten
                                                  Spuren hinterlassen haben. Die Suche         sphäre, können Winde sie spielend über       und Nährstoffe aus dem Wasser filter­
                                                  danach gestaltete sich jedoch mühsam.        sehr große Distanzen transportieren.«        ten – darunter Korallen, Armfüßer und
                                                  Nun wurden Stephen Grasby vom Geo­              Die Eigenschaften der Flugaschepar­       Seelilien? Dagegen überlebten viele Vor­
                                                  logical Survey of Canada in Calgary und      tikel deuten auf sehr hohe Verbren­          läufer der modernen Fauna mit einem
                                                  zwei Kollegen fündig (Nature Geosci­         nungstemperaturen hin. Denn nur un­          aktiveren Stoffwechsel (Spektrum der
                                                  ence 4, S. 104, 2011). Auf der Insel Axel    ter diesen Bedingungen schmilzt die          Wissenschaft 9/1996, S. 72).
                                                  Heiberg in der kanadischen Arktis ent­       Asche auf und erstarrt beim Kontakt
                                                  deckten sie in Schiefern an der Perm­        mit der kalten Luft zu winzigen tröpf­       Tote Meere
                                                  Trias­Grenze winzige Flugascheparti­         chenartigen Gebilden, die von Gasbläs­       Wahrscheinlich waren die Meere schon
                                                  kel, die sie mit den sibirischen Trapps      chen durchzogen sind. Auch fest geblie­      vor dem Ausbruch des heftigen Vulka­
                                                  in Verbindung bringen. Ihrer Ansicht         bene Kohlereste in den kanadischen           nismus in keinem guten Zustand. Auf
                                                  nach zeugen die Teilchen davon, dass         Schiefern lassen durch Risse und Defor­      dem Großkontinent Pangäa breiteten
                                                  das heiße Magma damals auch in Koh­          mationsstrukturen erkennen, dass sie         sich Wüsten aus. Zuvor hatten Nieder­
                                                  leflöze eindrang und sie verschwelte,        stark erhitzt wurden. Tatsächlich ist die    schläge Kohlendioxid aus der Luft aus­
                                                  das heißt unter Luftausschluss zersetz­      permische Flugasche laut Grasby und          gewaschen, das am Boden dann bei Ver­
                                                  te. Den dabei gebildeten Teer sowie          Kollegen kaum von den Verbrennungs­          witterungsprozessen gebunden wurde.
                                                  Kohlegrus und geschmolzene Schlacke          rückständen moderner Kohlekraftwer­          Bei der nun herrschenden Trockenheit
                                                  beförderte es mit an die Oberfläche          ke zu unterscheiden. Die Kanadier fan­       aber reicherte sich das bei natürlichen
                                                  und schleuderte das brennbare Ge­            den in Rauchgasfiltern solcher Anlagen       Prozessen gebildete Treibhausgas in
                                                  misch kilometerhoch in die Atmosphä­         Partikel mit vergleichbaren Größen,          der Atmosphäre an und heizte die Erde
                                                  re. Dort entzündete sich das Material        Formen und optischen Eigenschaften.          auf. Dadurch löste sich auch mehr Koh­
                                                  in der heißen Lava und erzeugte gewal­          Trotzdem bleiben offene Fragen. So        lendioxid in den Meeren, so dass diese
                                                  tige Rauchwolken, die sich durch Luft­       ist bisher unklar, wie groß die sibiri­      versauerten und Tiere mit Kalkgehäu­
                                                  strömungen über die gesamte Hemi­            schen Kohlelager am Ende des Perms           sen zu Grunde gingen.
                                                  sphäre verteilten.                           wirklich waren – und ob ihr Anteil an           Durch die Erderwärmung schmol­
                                                      So gelangte die Asche mit dem vor­       leichtem Kohlenstoff­12 ausreichte, die      zen im Lauf des Perms die Eiskappen an
                                                  herrschenden Westwind auch quer              abnormen Isotopenwerte der Sedimen­          den Polen, wodurch möglicherweise die
                                                                                                                                            Umwälzpumpe erlahmte, die heute
                                                                                                                                            eine globale Ozeanzirkulation in Gang
nAture geosCienCe 4, s. 104 – 107, 2011, fig. 2




                                                  Buchanan-See                                  modernes Kohlekraftwerk
                                                                                                                                            hält. Schlecht durchlüftete Bereiche in
                                                                                                                                            den Ozeanen waren also schon verbrei­
                                                                                                                                            tet, als massive Vulkanausbrüche und
                                                                                                                                            Brände nicht nur zusätzliches Kohlen­
                                                                                                                                            dioxid freisetzten, sondern auch den
                                                                                                                                            Sauerstoffmangel verschärften, indem
                                                                                                                                            sie die Ozeane mit Eisen und anderen
                                                     20 µm                                        20 µm                                     Metallen aus den Aschewolken düng­
                                                                                                                                            ten. Es kam zu Algenblüten, und auch
                                                  Die im Buchanan­See in Kanada gefundenen fossilen Teilchen sehen der Flugasche            Zyanobakterien breiteten sich explosi­
                                                  moderner Kohlekraftwerke sehr ähnlich. Das deutet darauf hin, dass das Magma der sibi­    onsartig aus. Als die Organismen nach
                                                  rischen Flutbasalte beim Aufstieg Kohleflöze durchquerte und sie verschwelte, also in     ihrem Absterben verwesten, zehrten sie
                                                  Abwesenheit von Sauerstoff zersetzte. Teer, Asche und Kohlegrus gelangten so mit an die   die letzten Sauerstoffreste auf: Weite
                                                  Oberfläche, wo sich das brennbare Gemisch entzündete. Die Rauchwolken stiegen bis         Meeresregionen verwandelten sich so
                                                  in die Stratosphäre empor und verteilten sich über die gesamte Nordhalbkugel.             in tote, stinkende Kloaken.


                                                  WWW.SPEKTRUM.DE                                                                                                                15
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[SDW][2011.08]

  • 1.
  • 2. FUKUSHIM A Was genau geschah: Chronik einer Katastrophe AUGUST 2011 M AL ARIA PHILOSOPHIE EUROPE AN XFEL Neue Strategien gegen Braucht das Denken Hamburg erhält einen die tödliche Seuche die Sprache? Röntgenlaser der Superlative 8/11 Kosmische Inflation Ein Grundpfeiler der Urknall- theorie gerät ins Wanken 7,90 € (D/A) · 8,50 € (L) · 14,– sFr. D6179E www.spektrum.de
  • 3. Editorial Hartwig Hanser Redaktionsleiter hanser@spektrum.com Autoren in diesem Heft Ausstieg aus der Unsachlichkeit A m 30. Juni beschloss der Deutsche Bundestag unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022. Nun kann man zu der grundsätz- lichen Frage, ob zur Sicherung der Energieversorgung Kernkraft genutzt werden sollte oder unter Astrophysikern gilt die »kosmische inflation« als allge- mein anerkannt. doch es gibt nicht, verschiedene Positionen einnehmen – Befürworter wie Gegner haben bedenkenswerte auch handfeste Gründe, die Argumente anzubieten. Lässt man jedoch die Entwicklung seit dem 11. März 2011 Revue pas- gegen diese theorie sprechen. sieren, beschleichen einen ernsthafte Zweifel, ob Sachargumente in dieser Diskussion die der Physiker Paul J. Steinhardt, wichtigste Rolle gespielt haben. Eher drängt sich der Eindruck auf, dass politisch-taktische direktor des Princeton Center und emotionale Aspekte den Diskurs dominierten. Doch sollten auf dieser Basis wirklich Ent- for theoretical science an der scheidungen von derartiger Tragweite gefällt werden? Ich bin überzeugt: Auch auf einer wis- Princeton university im us-Bun- senschaftlich fundierten Basis hätte man bei entsprechendem Willen einen Ausstieg be- desstaat new Jersey, stellt sie schließen können – was ihm womöglich eine weitaus dauerhaftere Legitimation und auch ab s. 40 vor. Akzeptanz in der Gesamtbevölkerung verschafft hätte. In diesem Sinn präsentiert unser Artikel ab S. 76 die Fakten. Vier Experten für Nuklear- sicherheit und Reaktortechnik, darunter Joachim Knebel, Chief Science Officer am Karlsru- her Institut für Technologie (KIT), analysieren minutiös den Unfallhergang in Japan. Außer- dem geht der französische Biophysiker Pierre Henry vom CNRS ab S. 68 der Frage nach, war- um mit einem derart starken Beben wie am 11. März kaum gerechnet wurde – wo solche doch in der Geschichte Japans immer wieder vorkamen. Pierre Henry ist Geophysiker am französischen Zentrum für Erdbeben und Tsunami haben in Japan mehr als 20 000 Todesopfer gefordert. An Malaria wissenschaftliche forschung sterben jedes Jahr rund eine Million Menschen, etwa die Hälfte von ihnen Kinder unter fünf (Cnrs). Ab s. 68 geht er den Jahren. Schon seit Jahrzehnten versuchen Forscher, einen wirksamen Impfstoff gegen die ursachen des schweren erd- Seuche zu entwickeln, bislang ohne Erfolg. Jetzt gibt es einen neuen, viel versprechenden An- bebens vom 11. märz in Japan lauf, der ein so genanntes Adjuvans nutzt – einen Impfstoffverstärker. Damit besteht offen- auf den Grund. bar eine realistische Chance, in wenigen Jahren Säuglinge in Afrika großflächig mit einer Vak- zine zu impfen, die dann zumindest jedes zweite Kind vor der Krankheit schützt (S. 24). Daneben verfolgen Wissenschaftler andere, auf den ersten Blick oft verblüffende Strate- gien: So immunisiert Rhoel Dinglasan von der Johns Hopkins University in Baltimore nicht die Menschen, sondern die Anopheles-Mücken, die den Malariaerreger beim Blutsaugen an ihre Opfer weitergeben. Forscher von der Yale University wiederum konzentrieren sich auf die hochselektiven Riechrezeptoren der Moskitos. Sie suchen nach Stoffen, die ganz spezi- den Geruchssinn von stech- fisch deren Funktion beeinflussen, um sie dann als Lockmittel für Fallen, zur Abschreckung mücken haben John R. Carlson der Insekten oder zu ihrer Irritation einzusetzen (S. 34). Derart vielschichtige Forschung ist und Allison F. Carey von der Yale wichtig: Um die Malaria eines Tages wirklich besiegen zu können, wird vermutlich ein ganzes university im Visier – speziell Bündel solcher Maßnahmen nötig sein. jenen der Anopheles-moskitos, welche den gefährlichen malaria- Herzlich Ihr erreger übertragen (ab s. 34). sie fanden heraus, dass einige wenige riechrezeptoren der mücken hochselektiv mensch- liche Gerüche registrieren. SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · AUgUST 2011 3
  • 4. inhalt 24 Tropenseuche Malaria 56 Sprache und Denken 86 Röntgenlaser der Superlative 76 Fukushima-Katastrophe biologie & medizin Physik & astronomie mensch & kultur TITELThEma r 24 Neue Waffen gegen Malaria r 40 osmische Inflation K ary Carmichael M auf dem Prüfstand serie PhilosoPhie Rund eine Million Menschen tötet Paul J. Steinhardt r 56 prache und Denken S der Malariaerreger jedes Jahr. Was geschah direkt nach dem Gottfried Vosgerau Endlich geben neue Impfstoffe Urknall? Das Inflationsszenario Ist Denken immer ein innerer Anlass zu Hoffnung. Daneben beruht auf derart willkürlichen Monolog, oder kommt es auch erproben Mediziner auch unge­ Annahmen, dass einige Forscher ohne Wörter aus? wöhnliche Strategien gegen die jetzt nach Alternativen suchen Tropenseuche – etwa das Immuni­ 62 en anderen verstehen D sieren der krankheitsübertragen­ Physikalische UnterhaltUngen Albert Newen, Kai Vogeley den Moskitos 50 alendergeschichten K Was passiert, wenn wir uns in Norbert Treitz unsere Mitmenschen hinein­ 34 er Duft der Menschen D Wodurch genau entstehen die fühlen oder ­denken? Eine neue John R. Carlson, Allison F. Carey Jahreszeiten, und wozu braucht Theorie soll diese Frage beant­ Forscher haben jetzt jene Riech­ man eigentlich Zeitzonen? worten rezeptoren von Stechmücken identifiziert, die selektiv auf schlichting! menschlichen Schweiß reagieren – 54 paziergang am Meer S Titelmotiv: iStockphoto / Dominic Current, ein weiterer neuer Ansatzpunkt H. Joachim Schlichting iStockphoto / Vladimir Nikitin, für die Malariabekämpfung Weil sich Wasser gern um Sandkör­ Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft ner legt, läuft man am Strand die auf der titelseite angekündigten oft wie auf einem befestigten Weg themen sind mit r gekennzeichnet 4 SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·AUgUST2011
  • 5. sPektrogramm 8 Quarks in ungesehener Eintracht • Weibchen auf Wanderschaft • Wurm lebt einen Kilometer tief unter der Erde • Warum Rauchen schlank hält • Die Quelle der Eisfontänen auf Enceladus • End ose Nanodrähte aus l dem Ofen bild des monats 11 iologische Schraube B forschung aktuell 12 Planet der Phagen Welche Rolle spielen Bakterio­ phagen in der Natur? 40 14 Großes Sterben durch große Brände Vulkanismus als Ursache von TITELThEma Massen xtinktion bestätigt e Kosmische Inflation 16 Spinblockade in Solarzellen Grund für geringen Wirkungsgrad von Plastiksolarzellen aufgedeckt 20 as politische Gehirn D Ob konservativ oder liberal, lässt sich erde umwelt technik comPuter an der Hirnstruktur vorher agen s 21 Springers Einwürfe Wasser entmystifiziert 68 as Megabeben in Japan D r 86 anowelt im Röntgenlicht N Pierre Henry Gerhard Samulat Seismologische Untersuchungen Bei Hamburg entsteht der über weitere rubriken schlossen ein Erdbeben der drei Kilometer lange Röntgenlaser 3 Editorial Stärke 9 in der Region Fukushima European XFEL. Er wird die For­ 6 Leserbriefe /Impressum so gut wie aus. Im Nachhinein schung an Biomolekülen und zeigt sich, welche Warnzeichen die Katalysatoren beschleunigen und 95 ezensionen R Experten übersehen haben und Live­Einblicke ins molekulare Stephen Hawking, Leonard welchen Trugschlüssen sie aufge­ Geschehen erlauben Mlodinow: Der große Entwurf sessen sind Gerhard Schurz: interview Evolution in Natur und Kultur r 76 ukushima F 92 ukunftsbaustelle Z David P. Barash, Judith Lipton: Wie auch in Deutschland? Photonenfabrik die Frauen zu ihren Kurven kamen Bernhard Kuczera, Ludger Mohrbach, Welche Chancen eröffnet die Daniel Lingenhöhl: Walter Tromm, Joachim Knebel Umwandlung eines Beschleu­ Vogelwelt im Wandel Was genau geschah in den Tagen niger entrums in eine »Fabrik« z Klaus Michael Meyer-Abich: nach dem 11. März im Kernkraft­ für Synchrotronstrahlung? Was es bedeutet, gesund zu sein werk Fukushima­Daiichi, und »Spektrum« sprach mit DESY­Chef Duncan Jones: Moon (Film) u. a. inwiefern könnten sich die Ereig­ Helmut Dosch 104 issenschaft im Rückblick W nisse in Deutschland wiederholen? Vom Panamakanal zur Glasfaser Die Chronik einer Katastrophe 105 xponat des Monats E Oskar Salas Mixturtrautonium WWW.SPEKTRUM.DE 106 Vorschau 5
  • 6. leserbriefe Der Large Hadron Collider am CERN in Genf rum wir bei der Anwendung der alther- ANTONIO SABA / CERN ist eines jener Großgeräte, mit denen gebrachten Mathematik zur Lösung der Wissenschaftler den grundlegenden Fragen offenen Probleme der Physik im Sinn der Natur nachspüren. des Artikels von Gerhard Börner in ei- ner Sackgasse stecken. dabei wahrscheinlich exponentiell. Ob wir nun Gravitationswellen-Detektoren Spirituelle Komponente errichten, die bislang keine Gravita- in Platons Staat tionswellen nachweisen können, oder Der Philosoph Julian Nida-Rümelin mit riesigen Teilchenbeschleunigern legte dar, welche Rolle der Gerechtig- das theoretisch vorhergesagte Higgs- keitssinn für den Einzelnen und die Boson suchen sollen, das aber ebenfalls Gemeinschaft spielt. (»Was ist gerecht?«, unter Umständen gar nicht existiert – Juli 2011, S. 62) immer hat man den Eindruck, dass die Diskussion in der Mathematik zwi- Martin Peschaut, St. Stefan ob Stainz Wissenschaft muss Wi- schen Hilbert und Gödel zur Frage der (Österreich): Die modernen Spekula- dersprüche minimieren widerspruchsfreien Mathematik (und tionen (ich kann sie nur als solche be- Warum Forscher trotz enormer An- damit einer widerspruchsfreien Theo- zeichnen) über Gerechtigkeit sind zwar strengungen fundamentale Fragen rie über die Welt) doch nicht so ganz theoretisch brillant, scheitern aber, um nicht beantworten können, fragte der ernst genommen wird. Paul Watzlawick zu bemühen, an der Astrophysiker Gerhard Börner. (»Natur- Die Kunst der Wissenschaft ist es »normativen Kraft des Faktischen«: Ei- wissenschaft in der Sackgasse?«, Juni also wahrscheinlich, diese Widersprü- ne repräsentative Demokratie moder- 2011, S. 66) che zu minimieren; ausräumbar oder ner Prägung kann nicht gerecht sein, vermeidbar sind sie aber grundsätzlich weil die Repräsentanten vor allem ihren Peter Klamser, Egeln: Der Autor zeigt nicht. Wir messen so viel, dass aus den eigenen Vorteil und den ihrer Verbün- die wesentlichen Probleme der heutigen vielen Daten keine hinreichend einfa- deten im Auge haben. Das kann man naturwissenschaftlichen Forschung auf, che, sondern eine beliebig komplexe schönreden und rational übertünchen, die zu dem Ergebnis führen, dass mit Theorie entsteht, die genau genommen wie man will, letztlich entscheiden immer höherem Aufwand immer »klei- nur im Stande ist, den gemessenen Ein- handfeste materielle Vorteile und die nere« oder unter Umständen gar keine zelfall zu beschreiben. Zumindest könn- Quantität der einsetzbaren Druckmittel Ergebnisse erzielt werden. Die Kosten ten solche fundamentalen Grenzen wie darüber, was gerecht ist: nämlich das, pro Einheit Erkenntnisgewinn steigen die Planck-Länge der Grund sein, wa- was der Stärkere als gerecht festsetzt. Vertrieb und Abonnementverwaltung: Sämtliche Nutzungsrechte an dem vorliegenden Werk liegen Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, c/o ZENIT bei der Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH. Pressevertrieb GmbH, Postfach 81 06 80, 70523 Stuttgart, Tel. Jegliche Nutzung des Werks, insbesondere die Vervielfältigung, 0711 7252-192, Fax 0711 7252-366, E-Mail: spektrum@zenit-presse. Verbreitung, öffentliche Wiedergabe oder öffentliche Zugäng- de, Vertretungsberechtigter: Uwe Bronn lichmachung, ist ohne die vorherige schriftliche Einwilligung Chefredakteur: Dr. Carsten Könneker (v.i.S.d.P.) Bezugspreise: Einzelheft € 7,90 (D/A)/ € 8,50 (L)/sFr. 14,–; des Verlags unzulässig. Jegliche unautorisierte Nutzung Redaktionsleiter: Dr. Hartwig Hanser (Monatshefte), im Abonnement € 84,00 für 12 Hefte; für Studenten (gegen des Werks berechtigt den Verlag zum Schadensersatz gegen Dr. Gerhard Trageser (Sonderhefte) Studiennachweis) € 69,90. Die Preise beinhalten € 8,40 den oder die jeweiligen Nutzer. Bei jeder autorisierten (oder Redaktion: Thilo Körkel (Online-Koordinator), gesetzlich gestatteten) Nutzung des Werks ist die folgende Versandkosten. Bei Versand ins Ausland fallen € 8,40 Dr. Klaus-Dieter Linsmeier, Dr. Jan Osterkamp (Spektrogramm), Quellenangabe an branchenüblicher Stelle vorzunehmen: Portomehrkosten an. Zahlung sofort nach Rechungserhalt. Dr. Christoph Pöppe, Dr. Adelheid Stahnke © 2011 (Autor), Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft E-Mail: redaktion@spektrum.com Konto: Postbank Stuttgart 22 706 708 mbH, Heidelberg. Jegliche Nutzung ohne die Quellenangabe in Ständiger Mitarbeiter: Dr. Michael Springer (BLZ 600 100 70). Die Mitglieder des Verbands Biologie, der vorstehenden Form berechtigt die Spektrum der Wissen- Editor-at-Large: Dr. Reinhard Breuer Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBio) und schaft Verlagsgesellschaft mbH zum Schadensersatz gegen den Art Direction: Karsten Kramarczik von Mensa e. V. erhalten SdW zum Vorzugspreis. oder die jeweiligen Nutzer. Layout: Sibylle Franz, Oliver Gabriel, Anke Heinzelmann, Anzeigen: iq media marketing gmbh, Verlagsgruppe Wir haben uns bemüht, sämtliche Rechteinhaber von Claus Schäfer, Natalie Schäfer Handelsblatt GmbH; Bereichsleitung Anzeigen: Marianne Dölz; Abbildungen zu ermitteln. Sollte dem Verlag gegenüber der Schlussredaktion: Christina Meyberg (Ltg.), Sigrid Spies, Anzeigenleitung: Katrin Kanzok, Tel. 0211 887-2483, Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das Katharina Werle Fax 0211 887 97-2483; verantwortlich für Anzeigen: branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt. 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  • 7. Was den heutigen Ansätzen fehlt, ist Karl Popper die Einbeziehung der Spiritualität (da- folgen sie uns mit meine ich nicht die Religion) als und der Objektbegriff im internet transzendenten oder teleologischen Philosoph Michael Esfeld beleuchtete, Zweck jeder Gesellschaft oder jedes wie die Quantenphysik das philoso- Staates. Solange dieser Punkt, den Pla- phische Denken verändert. (»Das Wesen ton sehr wohl in seine Überlegungen der Natur«, Juni 2011, S. 54) www.spektrum.de/facebook mit einbezogen hat, außer Acht gelas- sen wird, bleibt Gerechtigkeit ein theo- Norbert Hinterberger, Hamburg: Ich retisches Konzept bar jeder praktischen halte Michael Esfelds Artikel nicht nur www.spektrum.de/youtube Relevanz für den Bürger, der der Will- deshalb für den besten in dieser Philo- kür einer sich selbst genügenden politi- sophieserie, weil er bisher der Einzige schen Kaste ausgeliefert ist. war, der Karl R. Poppers Relevanz für die www.spektrum.de/studivz Damit wäre Gerechtigkeit auf institu- schwierige Diskussion des Objektbe- tioneller Ebene idealerweise platonisch griffs erkannt hat, sondern vor allem in dem Sinn, dass jeder das erhält, was auch, weil ihm eine sehr dichte und ge- www.spektrum.de/twitter er braucht (nicht was er sich wünscht), schliffene Darstellung der wichtigsten und auf individueller Ebene kantia- philosophischen Probleme der physika- nisch, indem jeder so handelt, dass die lischen Kosmologie auf diesem engen Esfeld befreit uns hier mit seiner Grundlagen seines Handelns jederzeit Raum gelungen ist. korrekten Beschreibung der Kausalität zum universellen Gesetz erklärt wer- Popper hat bekanntlich schon sehr auf Quantenebene auch von der nicht den könnten. Das dürfte auch Platon früh darauf aufmerksam gemacht, dass funktionierenden klassischen Vorstel- gemeint haben, als er vom »besonne- wir nicht dazu gezwungen sind, Wahr- lung von Determinismus. Das hat mir nen« Bürger sprach. scheinlichkeit (antirealistisch) als »Maß persönlich am besten gefallen – nicht unseres Unwissens« zu betrachten, wie zuletzt wohl deshalb, weil ich seine Auf- das in der Kopenhagener Interpreta- fassung von Kausalität selbst vertrete. Elektronenübertragung tion (Bohr, Heisenberg, Born, von Neu- auf den Schwefel mann und andere) geschehen ist, son- Walkadaver sind ganze Ökosysteme, die dern als »Verwirklichungs-Tendenz« be- Glas leitet Wärme doch jahrzehntelang eine Vielfalt von Lebe- ziehungsweise »Propensität« bestimm- Eines der ersten Rastertunnelmikros- wesen ernähren, wie der Paläontologe ter physikalischer »Dispositionen«, et- kope bestand großteils aus Glas. (»Ex- Crispin T. S. Little herausfand. (»Oasen wa von Teilchen-Ensembles. All diese ponat des Monats«, April 2011, S. 91) der Tiefsee«, März 2011, S. 74) Begriffe stammen schon von Popper. Letzterer hat gegenüber der Untersu- Jörg Michael, Hannover: Die Behaup- Winfried Nelle, Dortmund: Der Autor chung individueller Objekteigenschaf- tung, dass Glas keine Wärme leitet, behauptet, die Bakterien würden Sau- ten den Begriff des physikalischen Pro- stimmt so nicht. Jedes Material leitet erstoff aus Sulfat im Meerwasser ex- zesses bevorzugt (im Übrigen auch für Wärme. Glas leitet Wärme immerhin trahieren und damit Knochenfett ver- makrophysikalische Objekte), den man schlechter als Metalle, aber immer noch dauen. Die Aussage ist falsch, da die ja durchaus zwanglos und ohne Infor- besser als gängige Kunststoffe. Bakterien die bei der (strikt) anaeroben mationsverlust auf der fundamentalen Oxidation des Fettes zum Zweck der Beschreibungsebene rein energetisch Energiegewinnung freigesetzten Elekt- ausformulieren kann. B r i e f e a n d i e r e da k t i o n ronen unter anaeroben Bedingungen Anders gesagt: Auf den Materie- … sind willkommen! Schreiben Sie uns auf auf den Schwefel des Sulfats und nicht beziehungsweise Objektbegriff werden www.spektrum.de/leserbriefe auf Sauerstoff übertragen. wir vermutlich wesentlich leichter ver- oder schreiben Sie mit Ihrer kompletten Adresse an: Der Schwefel des Sulfats ist der Elek- zichten können als auf den Begriff der tronenakzeptor, der von der Oxidati- Energie beziehungsweise der äquiva- Spektrum der Wissenschaft onsstufe +VI durch Aufnahme von acht lenten Masse. Der Begriff Materie könn- Leserbriefe Sigrid Spies Elektronen zum Sulfid (Oxidationszahl te sich als idealistisch herausstellen – Postfach 10 48 40 –II) reduziert wird (dissimilatorische und damit mindestens als überflüssig, 69038 Heidelberg Sulfatreduktion). Der im Sulfat gebun- wenn nicht gar als irreführend in fun- E-Mail: leserbriefe@spektrum.com dene Sauerstoff spielt bei der Reaktion damentalen Diskussionen. Das sollten Die vollständigen Leserbriefe und Antwor- keine Rolle. Das kann er auch nicht, da wir allein schon aus dem von Bell und ten der Autoren finden Sie ebenfalls unter er bereits vollständig reduziert ist (Oxi- Aspect hervorragend gestützten Phäno- www.spektrum.de/leserbriefe dationszahl –II). men der Nichtlokalität gelernt haben. WWW.SPEKTRUM.DE 7
  • 8. spektrogramm ElEMENTARTEIlCHENPHySIK Quarks in ungesehener Eintracht B islang gelten Quarks als mäßig gesellige Elementarteilchen: Sie gruppieren sich lediglich zu Paaren sind: Hadronen, zu denen die Atom- kernbausteine Proton und Neutron gehören, mit je drei Quarks und Meso- verschmelzen dabei zu Deuterium; zusätzlich entstehen so genannte Pi-Mesonen (Pionen). Mit Hilfe des so oder Dreierbünden. Dementsprechend nen, die aus einem Quark und einem genannten WASA-Detektors nahmen existieren nur zwei Sorten von Teil- Anti-Quark bestehen. Zwar erlaubt das die Wissenschaftler nun die Teilchen- chen, die aus Quarks zusammengesetzt Standardmodell der Elementarteil- reaktionen mit bisher unerreichter chenphysik Partikel, die aus mehr als Präzision unter die Lupe. Sie konnten ForSChungSzentruM JüliCh drei Quarks bestehen – nachgewiesen so einen extrem schnell vergänglichen wurden sie aber noch nicht. Nun haben Zwischenzustand untersuchen, dessen Physiker möglicherweise erstmals ein Eigenschaften sich nicht allein mit Teilchen entdeckt, das sogar aus sechs herkömmlichen Teilchen erklären Quarks besteht. lassen. Beobachtet wurde es am Teilchen- Wie das Forscherteam berichtet, beschleuniger COSY (COoler SYnchro- könnte es sich dabei um ein so genann- tron) des Forschungszentrums Jülich, tes Multiquark-Hadron aus sechs wo ein Forscherkonsortium mit 120 Quarks handeln. Allerdings ist es auch Beteiligten Protonen und Neutronen möglich, dass diese gar kein kompaktes miteinander kollidieren lassen. Die Teilchen bilden, sondern ein winziges zusammenprallenden Hadronen »hadronisches Molekül«: Es wäre analog zu einem normalen chemi- schen Molekül aufgebaut, aber viel Der schwedische WASA-Detektor kleiner und mit Quarks als Bausteinen lieferte Hinweise auf ein Teilchen aus statt Atomen. sechs Quarks. Phys. Rev. Lett. 106, 242302, 2011 ANTHRoPologIE Weibchen auf Wanderschaft V or rund zwei bis vier Millionen Jahren lebten in Ost- und Süd- afrika die Australopithecinen, zu Die Wissenschaftler um Sandi Cope- land rekonstruierten die Lebensge- schichte von 19 Individuen der Arten sich über die aufgenommene Nahrung im Zahnschmelz niederschlägt. So gelang es Copeland und ihrem denen auch die berühmte Lucy gehör- Australopithecus africanus und Par­ Team, die Reviergröße der untersuch- te, unsere »Urahnin«. Die Lebensweise anthropus robustus, indem sie winzige ten Australopithecinen zu ermitteln. dieser Vormenschen liegt noch weit Mengen an Zahnschmelz aus den Demnach beschränkten sich die Männ- gehend im Dunkeln, da sich Fossilfun- fossilen Gebissen verdampften und chen beider Arten auf ein Gebiet von den Informationen darüber nur schwer darin das Verhältnis zweier Strontium- rund 30 Quadratkilometern. Ihr Revier entnehmen lassen. Aus der Zusam- isotope bestimmten. Jede geologische war damit vergleichbar dem heutiger mensetzung von Zähnen zweier Aus- Formation rund um die südafrikani- Gorillas, während etwa Schimpansen- tralopithecinen-Arten schlossen nun schen Fundstellen Swartkrans und gruppen durchaus Gebiete von 600 Forscher vom Max-Planck-Institut für Sterkfontein weist ihr eigenes charakte- Quadratkilometern durchstreifen. evolutionäre Anthropologie in Leipzig, ristisches Isotopenverhältnis auf, das Nature 474, S. 76 – 78, 2011 dass die Männchen ein Leben lang Sandi Copeland, Mpi eVa ihrem Geburtsort treu blieben, wäh- rend die Weibchen auf Wanderschaft Die Forscher analysierten den fossilen gingen – möglicherweise um sich Zahnschmelz mittels Laser Ablation anderen Gruppen anzuschließen und Multicollector Inductively Coupled Plasma dort Partner zu suchen. Ähnlich ver- Mass Spectrometry. Hierzu trugen sie mit halten sich heute Schimpansen und einem Laser kleinste Mengen an biolo- Bonobos, während bei den Gorillas gischem Material ab (als Riffelung auf der beide Geschlechter wandern. Oberfläche im Bild erkennbar). 8 SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·AUgUST2011
  • 9. autoren: Jan dönges, antje Findeklee, lars Fischer, Christian Maier, Maike pollmann lEbENSRäUME Wurm lebt einen Kilometer tief unter der Erde I n tiefen Gesteinsschichten sind die Lebensbedingungen hart: Es ist heiß, Sauerstoff und Nahrung Im Kluftwasser einer südafrikanischen Goldmine, mehr als einen Kilometer sind Mangelware. Entsprechend unter der Erde, lebt Halicephalobus ließen sich dort bislang nur ein- mephisto, ein winziger zellige Spezialisten nachweisen, die Fadenwurm. immerhin bis zu drei Kilometer unter der Oberfläche ihr Dasein gaetan Borgonie, uniVerSität gent, Belgien fristen. Jetzt entdeckten Wissen- schaftler in mehr als einem Kilome- ter Tiefe erstmals verschiedene Fadenwürmer, darunter auch eine neue Art: Halicephalobus mephisto. Ein einziges Exemplar davon kam mit dem Kluftwasser aus 1,3 Kilo- meter Tiefe der südafrikanischen sich sogar, und zwar durch Partheno- dort also eine jahrtausendealte Beatrix-Goldmine ans Tageslicht. genese, also mittels unbefruchteter Lebensgemeinschaft. Diese wird Es ist etwa einen halben Millime- Eizellen. jedoch bei der Bohrung zerstört, ter lang, sein Körper ist deutlich Gaetan Borgonie von der Uni- wenn Wasser mit hohem Druck den geringelt und endet in einem relativ versität Gent und seine Kollegen Biofilm aus den Gesteinsklüften langen, fadenförmigen Schwanz. Im vermuten, dass Halicephalobus spült, und regeneriert sich erst einige Labor zeigte sich das Tier recht mephisto vor Ort Bakterienrasen Zeit nach Abschluss der Arbeiten unempfindlich gegenüber hohen abweidet. Mittels Radiokarbonmes- wieder. Wohl deshalb habe man Temperaturen: Erst bei 41 Grad sungen datierten die Forscher das zuvor noch keine Fadenwürmer in Celsius stellte es das Wachstum ein – Kluftwasser auf ein Alter von 3000 solchen Bohrungen gefunden, meint in seinem Lebensraum herrschen bis 12 000 Jahren. Die Fadenwürmer Borgonie. 37 Grad Celsius. Und es vermehrte und die Mikroorganismen bilden Nature 474, S. 79 – 82, 2011 MEDIZIN Warum Rauchen schlank hält R auchen ist zwar ungesund, steht aber im Ruf, schlank zu machen. Jetzt entdeckte ein Team um Marina Er bindet bestimmte Signalmoleküle, die nach einer ausreichenden Mahlzeit freigesetzt werden, und aktiviert blockierten. Die Nager fraßen darauf- hin trotz Nikotingabe genauso viel wie ihre Artgenossen, die kein Nikotin Picciotto von der Yale University in daraufhin so genannte Proopiomela- erhielten. Bemerkenswert sei, so New Haven, dass Nikotin tatsächlich nocortin-Zellen (kurz POMC-Zellen). Picciotto, dass es sich bei dem entdeck- über einen speziellen Rezeptor auf Diese sorgen dafür, dass das Hunger- ten alpha-3-beta-4-nikotinischen Hypothalamuszellen einwirkt und so gefühl verschwindet. Beim Rauchen Azetylcholinrezeptor um einen ande- das Hungergefühl dämpft. scheint das aufgenommene Nikotin ren Typ handele als bei jenem, der für Rezeptoren, die auf Nikotin reagie- den Regulationsmechanismus kurzzu- Nikotinabhängigkeit verantwortlich ren, sind im Gehirn weit verbreitet – schließen: Es aktiviert über den Rezep- ist. Somit ließe sich ein maßgeschnei- so auch im Hypothalamus, der den tor die POMC-Zellen, ohne dass man derter Appetitzügler entwickeln, der Stoffwechsel reguliert. Der von Pic- sich dafür vorher satt essen müsste. die schlank machende Wirkung von Ni- ciotto und Kollegen identifizierte Re- Auf die Spur kamen die Forscher kotin imitiert, ohne über das Beloh- zeptortyp gehört dort zum körpereige- dem Rezeptor, indem sie bei Mäusen nungssystem Sucht auszulösen. nen Hungerregulationsmechanismus: den POMC-Signalweg gentechnisch Science 332, S. 1330 – 1332, 2011 WWW.SPEKTRUM.DE 9
  • 10. spektrogramm Aktuelle Meldungen und SoNNENSySTEM Hintergründe finden Sie auf Die Quelle der Eisfontänen auf Enceladus Z ahlreiche lange Risse ziehen sich nahe dem Südpol über den eisbe- deckten Saturnmond Enceladus. Was- Analyse zeigt nun so deutlich wie keine zuvor, dass es seinen Ursprung in einem riesigen Salzmeer hat, das sich Postberg und seine Kollegen extra- polierten die gemessenen Häufigkeiten auf die Ausbruchsstelle. Demnach serdampf und Eispartikel schießen aus unter der Eisdecke verbirgt. machen die salzreichen Teilchen rund diesen »Tigerstreifen« ins All – mehre- Die Gelegenheit ergab sich, als die 70 Prozent aller ausgeworfenen Parti- re tausend Kilometer weit – und liefern Raumsonde Cassini mehrfach durch kel und mehr als 99 Prozent der insge- Nachschub für den diffusen E-Ring die von den Fontänen gebildete Wolke samt ausgeworfenen Masse aus. Diese des Saturns. Doch woher stammt das flog und sich dem Saturnmond dabei Ergebnisse seien jedoch unvereinbar ausgespiene Material? Eine neue bis auf 21 Kilometer näherte. Forscher mit der Annahme, dass die Eiskörn- um Frank Postberg vom Max-Planck- chen von der gefrorenen Eisoberfläche naSa, Jpl / SpaCe SCienCe inStitute Institut für Kernphysik in Heidelberg des Mondes stammen. Stattdessen konnten dadurch zahlreiche frisch sprechen sie für einen unterirdischen ausgespuckte Eiskörnchen im Massen- Ozean als Quelle, der aus dem Ge- spektrometer der Sonde analysieren. steinskern des Mondes ausgewaschene Dabei verglichen sie die Häufigkeiten Salze enthält. Die salzhaltigen Teilchen der verschiedenen Typen dieser kalten seien schockgefrostete Salzwasser- Krümel. Sie stellten fest, dass nahe der tröpfchen, die sich über dem Ozean bil- Auswurfstelle gut 40 Prozent der den und schließlich – mitgerissen von Entlang der »Tigerstreifen«, vulkanisch Partikel dem salzreichen Typ angehö- Dampf und Gas – durch Risse in der aktiver Spalten in der Südpolregion des ren, der große Mengen an Natrium- Eiskruste ins All geschleudert werden. eisigen Saturnmonds Enceladus, werden und Kaliumsalzen enthält, während Da sie schwerer sind als salzarme an verschiedenen Stellen Fontänen aus der von den Fontänen gespeiste Körnchen, schaffen es nur wenige von Eispartikeln und Wasserdampf in den Saturnring nur zu sechs Prozent aus ihnen bis in den E-Ring des Saturns. Weltraum geschleudert. diesem Typ besteht. Nature 474, S. 620 – 622, 2011 NANoTECHNIK Endlose Nanodrähte aus dem Ofen K ilometerlange Bündel aus weni- ger als zehn Nanometer dicken Drähten und Röhren lassen sich mit zieren und die gewünschten Eigen- schaften während des Herstellungs- prozesses zu erhalten. vom anderen Ende aus mit etwa 50 Zen- timetern pro Minute zu einem Draht zogen. Zwar verringerte sich der Durch- einem recht simplen Heißziehverfah- Die türkischen Forscher gingen von messer des Rohlings dabei – je nach ren herstellen, wie Mehmet Bayindir einem Rohling aus einem speziellen den Bedingungen – um den Faktor von der Bilkent-Universität in Ankara Halbleitermaterial mit etwa einem Zen- 25 bis 300, seine innere Struktur blieb und seine Kollegen demonstrierten. timeter Durchmesser aus, den sie unter jedoch bewahrt. Einzelne, dennoch Diese Bauteile sind für sehr unter- Vakuum langsam in einen 275 Grad entstehende Materialfehler heilten die schiedliche Anwendungen begehrt – heißen Ofen schoben, während sie ihn Forscher durch Erhitzen im Vakuum von der Mikrofluidik bis hin zu opti- aus. Die so erhaltenen, weniger als ein schen Techniken. Bislang war es aber Millimeter dünnen Drähte verdrillten nature MaterialS 10, S. 494 – 501, 2011, Fig. 4 nicht gelungen, lang ausgezogene sie dann zu regelmäßigen Bündeln, die Nanofäden homogen genug zu produ- sie in einem zweiten Schritt wiederum zu Drähten auszogen. Nach drei dieser Schritte erhielten sie abhängig von Das Herstellungsverfahren erhält die Ausgangsmaterial und Ziehgeschwin- innere Struktur des knapp 60 Mikrometer digkeit Drähte oder Röhren mit Durch- starken Nanodrahts, wie Querschnittauf- messern von einigen Nano- bis Mikro- nahmen zeigen: Die gebündelten Fasern 2 µm metern – sowie einer Länge von meh- bleiben am Drahtanfang (unten links) und reren hundert Metern bis Kilometern. -ende (rechts) regelmäßig angeordnet. 20 µm 20 µm Nature Mat. 10, S. 494 – 501, 2011 10 SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·AUgUST2011
  • 11. Bild des monats BIOLOGISCHE SCHRAUBE Beide auFnahMen: thoMaS Van de KaMp et al., KarlSruher inStitut Für teChnologie (www.Kit.edu) Der Mensch hat sich viele technische Prinzipien von der Natur abgeschaut – die klassische Schraube-Mutter-Verbindung schien jedoch seine alleinige Erfindung zu sein. Irrtum: Ein kleiner Rüsselkäfer verknüpft damit seit Millionen Jahren seine Beinglieder. Trigonopterus oblongus lebt in den Wäldern Neuguineas. Das Schraubengelenk an der Hüfte verbesserte möglicherwei- se sein Klettervermögen. Die 3-D-Rekonstruktion links zeigt, wie das Außengewinde des Trochanters (gelb) in der Coxa (grün) verankert ist. Die lang ausgezogene Spitze des Trochan- ters mündet in einem Loch der Coxa und stabilisiert so das Bein entlang der Drehachse. Science 333, S. 53, 2011
  • 12. forschung aktuell BIologIE Dwight L. AnDerson Planet der Phagen Elektronenmikro­ BakteriophagensindViren,dieBakterieninfizieren.InderAnfangszeit skopische Auf­ derMolekularbiologiedientensiealseinfacheModellsysteme, nahme von zwei docherstjetztbeginntman,ihreRolleinderNaturzuverstehen. T4­ und einem Phi29­Bakterio­ VoNMICHAElgRoSS phagen (Mitte) B akteriophagen, oft auch kurz Pha­ gen genannt, sind der Wissenschaft schon seit rund 100 Jahren bekannt, voneinander unabhängiger Entwicklun­ gen: Zum einen führte die bedrohliche Verbreitung von Antibiotikaresistenzen nerationen hinweg weitervererbt wer­ den können. Auch das Gen für das Cho­ leratoxin erhält Vibrio von solchen Pha­ doch wurde ihre Erforschung immer in Bakterien zu einer Suche nach ande­ gen. Ohne diese wäre das Bakterium wieder vernachlässigt, sobald die For­ ren Möglichkeiten, mit denen man Bak­ harmlos. Die so genannten lytischen scher ein neues Interessengebiet ent­ terien bekämpfen kann. Zum anderen Phagen hingegen sind Zellpiraten, die deckten. Schon früh rückte die anti­ arbeiten die Genomsequenzierer inzwi­ grundsätzlich keine Gefangenen neh­ bakterielle Wirkung dieser für den schen sogar mit Proben direkt aus Ge­ men. Wenn sie eine Zelle infizieren, Menschen völlig harmlosen Viren ins wässern oder dem Boden und entde­ wird diese zur Phagenfabrik umge­ Rampenlicht, doch dann kamen die An­ cken, dass solche Proben aus der Umwelt modelt und im Zuge dessen zerstört. tibiotika, und die so genannte Phagen­ sehr viel mehr Phagen enthalten, als Diese Art von Phagen kann vermutlich therapie kam aus der Mode. Nur in der man gedacht hatte. Selbst die von den die Übertragung der Cholera bremsen, Sowjetunion – insbesondere in Tiflis, Bakterien getrennt einzuordnenden Ar­ doch um sie zu nutzen, müsste man die der Hauptstadt von Georgien – blieb chäen (»Archäobakterien«) haben eige­ komplizierten Wechselwirkungen zwi­ man den Phagen treu. ne Phagen, die bisher kaum erforschten schen Phagen, Bakterien und Menschen Ab den 1940er Jahren benutzten die Archäophagen. Man schätzt inzwischen, besser kennen. Pioniere der Molekularbiologie auf An­ dass es auf der Erde zehnmal mehr Pha­ regung des berühmten Genetikers Max gen als zelluläre Lebewesen gibt – wir le­ Modellsystem Rosskastanie Delbrück (1906 – 1981) Phagen als einfa­ ben sozusagen als tolerierte Minderheit Erste Ansätze zu einem tieferen Ver­ che Modellsysteme. Die Forscher jener auf dem Planeten der Phagen. ständnis der Rolle der Phagen in der Zeit beschränkten sich dabei auf einige Welche Rolle diese allgegenwärtigen Natur kommen aus der zoologischen wenige Phagen, darunter T4 und Lamb­ Viren für die Populationsdynamik und Fakultät der University of Oxford – ob­ da, die das Bakterium Escherichia coli Evolution ihrer Wirtsorganismen spie­ wohl in diesen Untersuchungen gar befallen und heute ebenso wie ihr Wirt len, ist noch weit gehend unbekannt. keine Tiere vorkommen. Britt Koskella zu den am besten untersuchten Arten Seit 2008 wissen wir immerhin, dass und ihre Kollegen wählten die Rosskas­ gehören. Aber ein umfassenderes Inter­ Phagen in nährstoffarmen Biotopen der tanie als Modellsystem. Diese Baumart esse für Phagen und ihre Rolle in der Tiefsee eine wichtige Funktion haben: leidet auch hier zu Lande seit einigen Natur entstand daraus nicht. Indem sie Bakterien auflösen, setzen sie Jahren zunehmend unter einer neuen Auch die ersten vollständig sequen­ die in ihnen enthaltenen Stoffe frei und Rindenkrankheit, ausgelöst durch Bak­ zierten Genome waren Phagengenome. entziehen sie so dem Zugriff von höhe­ terien der Art Pseudomonas syringae. Zuerst kam MS2, das aus RNA besteht, ren Organismen. Auf diese Weise stehen Die Bakterien ihrerseits werden von und dann, als erstes DNA­Genom, die die knappen Ressourcen weiterhin den Phagen infiziert. Sequenz von Phi­X174. Doch dann streb­ Mikroben zur Verfügung. Bisher untersuchten Forscher die ten die Genomsequenzierer ebenfalls Ein besseres Verständnis der Pha­ wechselseitige Anpassung zwischen nach Höherem. Sie entwickelten ihre genökologie wäre auch aus medizini­ Phagen und Bakterien vor allem im La­ Methoden weiter, sequenzierten erst scher Sicht wünschenswert. Der Erreger bor – und wenn in der Natur, dann nur Bakterien, dann Pflanzen, Tiere und der Cholera, Vibrio cholerae, wird zum in wässrigen Habitaten. Koskella konn­ Menschen und ließen die Phagen wie­ Beispiel von rund 200 verschiedenen te mit der Rosskastanie erstmals auf ein der in Vergessenheit geraten. Phagenarten infiziert. Einige davon Modellsystem zurückgreifen, wo diese Wiedererweckt wurde das Interesse sind so genannte lysogene Phagen – das Wechselwirkung in einer klar definier­ an den natürlichen Bakterienkillern erst heißt, sie schleusen ihre Gene in das ten räumlichen Matrix stattfindet. Sie nach der Jahrtausendwende dank zweier Genom des Wirts ein, wo sie über Ge­ wies nach, dass der »Lebensraum« der 12 SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·AUgUST2011
  • 13. Phagen jeweils der ganze Baum ist: Bak­ achtet man normalerweise einen »Rüs­ digungsmaßnahmen des Gegners zu terien aus anderen Blättern, auch von tungswettlauf« der Bakterien und Pha­ kontern. Dabei handelt es sich aber eher weit entfernten Zweigen desselben gen, wobei sowohl die Aggressivität der um ein zeitweiliges Ausweichen, nicht Baums, konnten die Phagen im Labor­ Phagen als auch die Resistenz der Bakte­ um eine bleibende Aufrüstung. Das versuch ebenso leicht infizieren wie die rien mit der Zeit zunimmt. Dies kann zeigte sich daran, dass sowohl Phagen aus demselben Blatt isolierten Bakteri­ man testen, indem man Phagen zu ei­ als auch Bakterien am wirksamsten ge­ en. Mit aus anderen Bäumen isolierten nem bestimmten Zeitpunkt der Ent­ gen Kontrahenten kämpften, die zum Bakterien derselben Art taten sich die wicklung entnimmt und mit Bakterien selben Zeitpunkt entnommen worden Phagen hingegen schwer. Offenbar de­ aus derselben Kultur, aber von einem waren. Sowohl gegen spätere wie auch finiert also der einzelne Baum die Gren­ anderen Zeitpunkt zusammenbringt. gegen frühere Gegner sahen sie nicht so zen der Gemeinschaft aus Bakterien Von den beiden Kontrahenten gewinnt gut aus (Science 332, S. 106 – 109, 2011). und Phagen, innerhalb deren die wech­ stets der später entnommene – das Eines ist klar: Es bleibt noch viel zu selseitige Anpassung stattfindet (Ame­ heißt, die Kampfkraft beider Seiten erforschen, bis wir diese zahlreichsten rican Naturalist 177, S. 440 – 451, 2011). nimmt mit der Zeit immer weiter zu. Bewohner unseres Planeten wirklich Wie ein solches Wechselspiel zeitlich Gómez und Buckling führten eine verstehen. Doch die Mühe könnte sich abläuft, untersuchte Angus Buckling, analoge Untersuchung nun erstmals in lohnen – als Belohnung winkt die Hoff­ der auch an der Kastanienstudie betei­ einem natürlichen Umfeld durch, näm­ nung, dass sie uns eines Tages dabei ligt war, zusammen mit seinem Postdoc lich in Bodenproben. Die Forscher fan­ helfen können, jene bakteriellen Infek­ Pedro Gómez. In Laborversuchen beob­ den heraus, dass in der Natur kein Wett­ tionen zu besiegen, gegen die unsere rüsten stattfindet, bei dem beide Seiten Antibiotika immer machtloser werden. immer besser werden. Zwar ändern sich Ein einzelner Kastanienbaum wie dieser beide Seiten auch in der Natur konti­ Michael Groß ist Biochemiker und freier enthält jeweils eine spezifische Gemein­ nuierlich und schnell, um die jewei­ wissenschaftsjournalist in oxford, england. schaft aus Bakterien und Phagen. ligen Angriffs­ beziehungsweise Vertei­ www.michaelgross.co.uk fotoLiA / CoLoreLLo WWW.SPEKTRUM.DE 13
  • 14. forschung aktuell ERDgESCHICHTE Großes Sterben durch große Brände Wiesogingvor250MillionenJahrenfastalleslebenaufderErdezugrunde?FlugaschefundeinKanada bestätigennundieTheorie,dassverheerenderVulkanismusinSibiriendieKatastropheauslöste. VoNKARlURBAN sibirische Buchanan- Trapps N iemals in der bekannten Erd­ geschichte stand das Leben so nahe am Abgrund wie vor See können sie jedenfalls nicht allein erklären: den jähen Anstieg im Verhältnis des leichteren Kohlen­ etwa 250 Millionen Jahren. Erst stoffisotops der Atommasse 12 vereinigten sich die Landmas­ zum schwereren Kohlenstoff­13. sen Laurasia und Gondwana im Er ist so ausgeprägt, dass die Um­ späten Karbon zum Großkontinent n At u welt im späten Perm mit Material or­ re geo s C , fi g . 1 ien Ce 4, s. 1 04 – 1 07, 20 11 Pangäa. Immer mehr Arten konkurrier­ ganischen Ursprungs geradezu überflu­ ten um einen schrumpfenden Lebens­ Vor 250 Millionen Jahren waren alle tet worden sein muss. Denn jedes Lebe­ raum, weil viele der besonders dicht be­ irdischen Landmassen im Superkontinent wesen nimmt bevorzugt Kohlenstoff­12 siedelten Küstenhabitate verschwanden. Pangäa vereint. Damals schuf eine aus der Umwelt auf, wodurch etwa fossi­ Dann entwickelte sich ein Treibhauskli­ Serie gewaltiger Vulkanausbrüche die le Lagerstätten aus abgestorbenen Orga­ ma und setzte das Leben auf der Erde sibirischen Trapps: Flutbasalte mit nismen stark mit dem leichten Isotop weiter unter Druck – bevor schließlich einer Ausdehnung von 2,5 Millionen angereichert sind. Der Paläontologe Paul eine bislang rätselhafte Folge von Ereig­ Quadratkilometern. Bei diesen Eruptionen Wignall von der University of Leeds nissen am Ende des Perms die Ökosyste­ gebildete Flugascheteilchen fanden (England) hat errechnet, dass selbst das me rund um den Globus fast völlig kol­ Forscher nun am Grund eines Sees in Absterben fast aller damaligen Erdbe­ labieren ließ: 96 Prozent der marinen Kanada, wohin Westwinde sie einmal um wohner zusammen mit den geschätzten Spezies und 70 Prozent aller Arten an den Globus herum verfrachtet hatten. vulkanischen Ausgasungen nicht aus­ Land verschwanden für immer. reichen würde, die anomalen Messwerte Die Katastrophe übertraf damit auch zu erklären. Deshalb müsste zusätzlich das viel bekanntere Artensterben, dem ren Indizien für einen Einschlag blieb fossiler Kohlenstoff freigesetzt worden vor rund 65 Millionen Jahren die Dino­ erfolglos; Berichte über Iridium oder sein, der etwa in Kohlevorkommen un­ saurier zum Opfer fielen. Als Ursache durch hohen Druck zerrüttete Quarz­ ter Tage oder Methanhydraten am Mee­ dieser Massenextinktion gilt der Ein­ kristalle ließen sich nicht erhärten. resgrund gespeichert ist. schlag eines gigantischen Himmelskör­ Andere Forscher brachten die Flut­ Eine mögliche Quelle dafür entdeck­ pers, seit der Geologe Luis Alvarez 1981 basalte in Sibirien mit dem rätselhaften te ein Forscherteam um Henrik Svensen weltweit an der Schichtgrenze zwischen Artensterben vor 250 Millionen Jahren von der Universität Oslo (Norwegen) im Kreide und Tertiär das in Meteoriten in Verbindung. Dort nämlich spien just Jahr 2008: Im sibirischen Tunguska­ häufige Metall Iridium fand. zur selben Zeit Vulkane über knapp becken bahnte sich das Magma einst Der Grund für das Artensterben an 600 000 Jahre hinweg Unmengen an seinen Weg durch Erdöl führende Schie­ der Perm­Trias­Grenze ist dagegen un­ Lava aus, die mindestens 2,5 Millionen fer, Karbonate und Salze, was in zweifa­ klar. Aus dieser Zeit existieren nur weni­ Quadratkilometer – das Siebenfache der cher Hinsicht fatale Folgen hatte. Zum ge Gesteine, die zudem kein eindeutiges Fläche Deutschlands – bedeckte. Mit den einen trieben die hohen Temperaturen Bild abgeben. Zwar behauptete Luann Ausbrüchen gelangten auch immer wie­ aus dem Ölschiefer zehntausende Giga­ Becker von der University of Washing­ der massenhaft Kohlendioxid, Schwefel­ tonnen flüchtige Kohlenwasserstoffe ton in Seattle 2001, an der Grenzschicht gase und Asche in die Atmosphäre. aus, die mit dem Magma an die Oberflä­ Fullerene außerirdischen Ursprungs ge­ Die sibirischen Trapps, wie die Flut­ che gelangten und dort verbrannten. funden zu haben: In den fußballförmi­ basalte fachsprachlich heißen, markie­ Dabei entstand doppelt so viel Kohlen­ gen Kohlenstoffmolekülen entdeckte ren damit eine der gewaltigsten vulkani­ dioxid, wie die Vulkane selbst in die Luft sie Edelgase, deren Isotopenverhältnis schen Epochen der Erdgeschichte. Doch bliesen. Zudem zeigten die norwegi­ dem in einer speziellen Form von Mete­ ob sie wirklich den Untergang so vieler schen Wissenschaftler in Experimen­ oriten glich (Spektrum der Wissenschaft Arten weltweit verursachten, war bisher ten, dass schon bei Temperaturen von 7/2002, S. 60). Doch die Suche nach ei­ fraglich. Einen markanten Einschnitt an 275 Grad Celsius im Untergrund enor­ nem passenden Krater und nach ande­ der permotriassischen Schichtgrenze me Mengen an organischen Chlor­ und 14 SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·AUgUST2011
  • 15. Bromverbindungen entstanden, die über den panthalassischen Ozean mehr te zu erklären. Außerdem lässt sich das gleichfalls in die Atmosphäre ausgasten. als 20 000 Kilometer weit bis in das Muster des Massenaussterbens mit dem Dort wirkten sie wie die vom Menschen heutige Nordkanada. »Wir sehen das Ascheregen allein nicht erklären. Dieser freigesetzten Fluorchlorkohlenwasser­ gleiche Phänomen bei großen Stürmen behinderte zwar die Fotosynthese und stoffe (FCKWs) und zerstörten die Ozon­ in der Sahara«, erläutert Grasby. »Die vergiftete Ökosysteme, doch legte sich schicht. Dadurch konnte erbgutschädi­ feinen Staubteilchen sind in ihrer Grö­ die Asche gleichermaßen auf Kontinen­ gende ultraviolette Sonnenstrahlung ße vergleichbar mit der permischen te und Meere. Warum aber war dann das am Ende des Perms die Atmosphäre fast Flugasche und werden bis nach Nord­ Leben an Land deutlich weniger betrof­ ungehindert durchdringen. amerika geweht. Gelangen solche Par­ fen als das in den Ozeanen? Und wieso Die massive Verbrennung fossiler tikel bei besonders heftigen vulkani­ wurden im Meer vor allem solche Arten Kohlenwasserstoffe müsste weltweit schen Ausbrüchen bis in die Strato­ stark dezimiert, die am Boden lebten Spuren hinterlassen haben. Die Suche sphäre, können Winde sie spielend über und Nährstoffe aus dem Wasser filter­ danach gestaltete sich jedoch mühsam. sehr große Distanzen transportieren.« ten – darunter Korallen, Armfüßer und Nun wurden Stephen Grasby vom Geo­ Die Eigenschaften der Flugaschepar­ Seelilien? Dagegen überlebten viele Vor­ logical Survey of Canada in Calgary und tikel deuten auf sehr hohe Verbren­ läufer der modernen Fauna mit einem zwei Kollegen fündig (Nature Geosci­ nungstemperaturen hin. Denn nur un­ aktiveren Stoffwechsel (Spektrum der ence 4, S. 104, 2011). Auf der Insel Axel ter diesen Bedingungen schmilzt die Wissenschaft 9/1996, S. 72). Heiberg in der kanadischen Arktis ent­ Asche auf und erstarrt beim Kontakt deckten sie in Schiefern an der Perm­ mit der kalten Luft zu winzigen tröpf­ Tote Meere Trias­Grenze winzige Flugascheparti­ chenartigen Gebilden, die von Gasbläs­ Wahrscheinlich waren die Meere schon kel, die sie mit den sibirischen Trapps chen durchzogen sind. Auch fest geblie­ vor dem Ausbruch des heftigen Vulka­ in Verbindung bringen. Ihrer Ansicht bene Kohlereste in den kanadischen nismus in keinem guten Zustand. Auf nach zeugen die Teilchen davon, dass Schiefern lassen durch Risse und Defor­ dem Großkontinent Pangäa breiteten das heiße Magma damals auch in Koh­ mationsstrukturen erkennen, dass sie sich Wüsten aus. Zuvor hatten Nieder­ leflöze eindrang und sie verschwelte, stark erhitzt wurden. Tatsächlich ist die schläge Kohlendioxid aus der Luft aus­ das heißt unter Luftausschluss zersetz­ permische Flugasche laut Grasby und gewaschen, das am Boden dann bei Ver­ te. Den dabei gebildeten Teer sowie Kollegen kaum von den Verbrennungs­ witterungsprozessen gebunden wurde. Kohlegrus und geschmolzene Schlacke rückständen moderner Kohlekraftwer­ Bei der nun herrschenden Trockenheit beförderte es mit an die Oberfläche ke zu unterscheiden. Die Kanadier fan­ aber reicherte sich das bei natürlichen und schleuderte das brennbare Ge­ den in Rauchgasfiltern solcher Anlagen Prozessen gebildete Treibhausgas in misch kilometerhoch in die Atmosphä­ Partikel mit vergleichbaren Größen, der Atmosphäre an und heizte die Erde re. Dort entzündete sich das Material Formen und optischen Eigenschaften. auf. Dadurch löste sich auch mehr Koh­ in der heißen Lava und erzeugte gewal­ Trotzdem bleiben offene Fragen. So lendioxid in den Meeren, so dass diese tige Rauchwolken, die sich durch Luft­ ist bisher unklar, wie groß die sibiri­ versauerten und Tiere mit Kalkgehäu­ strömungen über die gesamte Hemi­ schen Kohlelager am Ende des Perms sen zu Grunde gingen. sphäre verteilten. wirklich waren – und ob ihr Anteil an Durch die Erderwärmung schmol­ So gelangte die Asche mit dem vor­ leichtem Kohlenstoff­12 ausreichte, die zen im Lauf des Perms die Eiskappen an herrschenden Westwind auch quer abnormen Isotopenwerte der Sedimen­ den Polen, wodurch möglicherweise die Umwälzpumpe erlahmte, die heute eine globale Ozeanzirkulation in Gang nAture geosCienCe 4, s. 104 – 107, 2011, fig. 2 Buchanan-See modernes Kohlekraftwerk hält. Schlecht durchlüftete Bereiche in den Ozeanen waren also schon verbrei­ tet, als massive Vulkanausbrüche und Brände nicht nur zusätzliches Kohlen­ dioxid freisetzten, sondern auch den Sauerstoffmangel verschärften, indem sie die Ozeane mit Eisen und anderen 20 µm 20 µm Metallen aus den Aschewolken düng­ ten. Es kam zu Algenblüten, und auch Die im Buchanan­See in Kanada gefundenen fossilen Teilchen sehen der Flugasche Zyanobakterien breiteten sich explosi­ moderner Kohlekraftwerke sehr ähnlich. Das deutet darauf hin, dass das Magma der sibi­ onsartig aus. Als die Organismen nach rischen Flutbasalte beim Aufstieg Kohleflöze durchquerte und sie verschwelte, also in ihrem Absterben verwesten, zehrten sie Abwesenheit von Sauerstoff zersetzte. Teer, Asche und Kohlegrus gelangten so mit an die die letzten Sauerstoffreste auf: Weite Oberfläche, wo sich das brennbare Gemisch entzündete. Die Rauchwolken stiegen bis Meeresregionen verwandelten sich so in die Stratosphäre empor und verteilten sich über die gesamte Nordhalbkugel. in tote, stinkende Kloaken. WWW.SPEKTRUM.DE 15