Mehr Geld allein reicht nicht: Rüstungsprojekte stellen Industrie und Politik vor neue Herausforderungen. Eine EY-Studie zeigt neue Ansätze auf: http://www.ey.com/de/de/newsroom/news-releases/ey-20171102-mehr-kooperation-und-effizienz-bei-ruestungsprojekten-ey-studie-zeigt-herausforderungen-fuer-deutsche-ruestungspolitik
3. 3Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
3.0
Drei Dilemmata
der Rüstung
3.1
Das ökonomische Dilemma
3.2
Das Souveränitätsdilemma
3.3
Das deutsche Dilemma
4.0
Ausblick:
Die Zukunft
des deutschen
Rüstungssektors
gestalten
4.1
Neue Dynamik für Kooperationen
4.2
Rüstungspolitik und Beschaffung
weiterentwickeln
4.3
Kommende Herausforderungen
aufgreifen
5.0
Schlussbemerkung
Ihre Ansprechpartner
23.........
25.........
27..........
31..........
33.........
35..........
10..........
11..........
13..........
17..........
3 4 5
4. 1
4 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
1.0
Executive
Summary
Sicherheit ist eine notwendige Voraussetzung von
Wohlstand, Investitionen und Wachstum. Die inter-
nationalen Sicherheitslage hat sich mit den Entwick-
lungen der letzten Jahre, von Russland über Afrika
und Syrien bis nach Asien, wesentlich verändert.
Zwar wird Sicherheit durch weit mehr geschaffen
als durch militärische Beiträge, aber vor dem Hinter-
grund dieser Veränderungen hat der Stellenwert von
Rüstung und die Notwendigkeit zu Investitionen in
diesem Bereich zugenommen. Weil die USA weniger
bereit sind, sich für die Sicherheit Europas zu enga-
gieren, steigen die Erwartungen an Deutschland.
Damit steht Deutschland einerseits vor dem Problem
zu entscheiden, wie es zusätzliche Ressourcen sinn-
voll für mehr Sicherheit ausgibt. Andererseits ist
gerade der Rüstungsbereich für seine Ineffizienzen
bekannt. Selten gelingt es, bei Rüstungsprojekten die
Vorgaben mit Blick auf Zeit, Leistung und Kosten
einzuhalten. Dabei schließen drei Dilemmata einen
Königsweg in der Rüstungspolitik und -beschaffung
aus, sie führen vielmehr zu Zielkonflikten:
• Das ökonomische Dilemma:
Verteidigungs- und Rüstungsplanung sind eine
Wette auf eine unvorhersehbare Zukunft, geprägt
durch eine zunehmende Dynamik der geopoliti-
schen und technologischen Entwicklungen. Rüs-
tung erfordert aber zu einem frühen Zeitpunkt
ein langfristiges Engagement und kontinuierliche
Investitionen in Menschen, Strukturen und Ausrüs-
tung bei knappen Ressourcen. Dies erschwert die
Initiierung von Rüstungsprojekten. Gleichzeitig
ändern sich die Anforderungen im Verlauf eines
langen Rüstungsprozesses, sodass sich die Kosten
aufgrund von Anpassungen erhöhen und Entwick-
lungszeiten verlängern. Die Aufrechterhaltung von
begonnenen Projekten wird hierdurch erschwert.
• Das Souveränitätsdilemma:
Eine internationale Kooperation könnte erhebliche
Effizienzgewinne in der Rüstung bedeuten. Doch
weil dies bedeutet, Abhängigkeiten und Kompro-
misse einzugehen und die Möglichkeit der alleini-
gen Entscheidung im Bereich der Sicherheitspolitik
aufzugeben, steht eine solche Kooperation im
Spannungsverhältnis zum Streben der Staaten
nach nationaler Souveränität. Dieses Dilemma
materialisiert sich in teilweise unvereinbaren
Unterschieden bei den nationalen Prinzipien und
Prozessen von Rüstungspolitik und -beschaffung.
• Das deutsche Dilemma:
Die Besonderheiten des deutschen politischen
und gesellschaftlichen Systems, der historischen
Erfahrung und der industriellen Struktur führen
zu einem ambivalenten Umgang mit rüstungs-
politischen und -industriellen Themen. Der Bogen
spannt sich von der mangelnden Vermittlung der
Bedeutung von Rüstung über widersprüchliche
Impulse und geringe Unterstützung der eigenen
Industrie bis hin zu Defiziten im Beschaffungs-
management und dem noch fehlenden Umgang
mit den neuen Herausforderungen für den
deutschen Rüstungssektor.
5. 5Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
Eine ökonomisch machbare und zugleich verant-
wortungsvolle Sicherheitspolitik im deutschen Rüs-
tungssektor kann an drei Punkten ansetzen:
• Internationale Kooperation bleibt eine zentrale
Möglichkeit, Kosten zu senken und gemeinsam
politisch mehr Sicherheit zu erreichen. Die Initiati-
ven rund um die europäische Verteidigung bedeu-
ten hierfür ein konkretes Möglichkeitsfenster. Die
Intensität von Kooperationen und damit auch ihrer
Wirkung findet ihre Grenze in dem Umfang der
gewünschten nationalen Souveränität bzw. in dem
Grad der Verlässlichkeit von Partnern. Der Um-
gang mit diesem Spannungsfeld muss für die
Politik in nächsten Jahren mit Blick auf einen
verlässlichen Rahmen für langfristige Rüstungs-
projekte eine zentrale Aufgabe sein.
• Nationale Weiterentwicklungen: In jüngster
Vergangenheit hat Deutschland zahlreiche viel-
versprechende Initiativen im Bereich Rüstungs-
politik und -beschaffung hervorgebracht. Diese
gilt es weiterzutreiben und gute Entwicklungen zu
verstetigen. Für eine zunehmende Europäisierung
der Beschaffung gilt es ferner, zum einen eine
Harmonisierung von Standards zu forcieren und
zum anderen einen strategischen Rahmen für
die Verteidigungsindustrie zu entwickeln.
• Neues antizipieren und adaptieren: Neben der
absehbar auch zukünftig angespannten internatio-
nalen Sicherheitslage sind wesentliche neue Im-
pulse für die Veränderung des Rüstungssektors
bereits erkennbar. Neben der weiteren Digitalisie-
rung wird die Verstetigung von Wandel selbst
eine Herausforderung sein, denn dies verspricht
ständige Bewegung und neue Impulse aus ver-
schiedenen Richtungen. Diese Dynamik, z. B. im
Bereich der Cyber- und Informationstechnologien,
muss Rüstung und Beschaffung prozessual und
kulturell aufnehmen können. Ferner sollten in
diesem Zusammenhang gesellschaftspolitische
Fragen, wie z. B. zu dem Einsatz von autonomen
Waffensystemen, aufgeklärt geführt und in eine
rüstungspolitische Strategie überführt werden.
Zudem kann die Politik wichtige Grundbedingungen
verbessern: Sie sollte langfristiges Engagement
und kontinuierliche Investitionen in Menschen,
Strukturen und Ausrüstung sicherstellen und damit
die notwendige Planungssicherheit für die Industrie
schaffen. Letztlich ist die erfolgreiche Vermittlung
von Rüstung als Beitrag zur Sicherheit die essenzi-
elle Basis für eine nachhaltige Rüstungspolitik.
6. 2
6 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
2.0
Hintergrund:
Wohlstand braucht
Sicherheit, Sicher-
heit braucht
Rüstung
Sicherheit ist eine notwendige Voraussetzung für gesell-
schaftlichen Wohlstand, für Investitionen und Wachstum.
Krisen und Konflikte hingegen erzeugen Kosten und
volkswirtschaftlichen Schaden.
7. 7Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
Wesentliche Veränderungen in der internationalen
Sicherheitslage der letzten Jahre, von Russland über
Afrika und Syrien bis nach Asien (asymmetrische und
symmetrische Bedrohungen), haben auch in Deutsch-
land verdeutlicht, dass Sicherheit nicht automatisch
gegeben und folglich Verteidigungspolitik notwendi-
ger Bestandteil des Schutzes des Landes und seiner
Gesellschaft ist.
Zwar wird Sicherheit durch weit mehr geschaffen
als durch militärische Beiträge. Doch geopolitische
Entwicklungen wie islamistisch motivierter Terror,
aufstrebende Militärmächte wie China und die
aggressive und revisionistische Politik Russlands
drängen auch der europäischen Sicherheitspolitik
zunehmend eine militärische Dimension auf.
Gleichzeitig sind die USA immer weniger bereit,
Sicherheit in und für Europa zu gewährleisten. Sie
fordern seit Langem, dass Europa — und damit auch
Deutschland — mehr für seine Sicherheit ausgibt.
So haben die NATO-Staaten das sogenannte 2-Pro-
zent-Ziel, das besagt, dass sie mindestens zwei
Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Verteidigung
ausgeben, in jüngster Zeit mehrfach bestätigt.
Mit der zunehmenden Bedeutung des Militärischen
und der passiveren Rolle der USA steigen die Erwar-
tungen an Deutschland als größte Volkswirtschaft
Europas, seinen Wohlstand für die Sicherheit des
Kontinents einzusetzen und eine größere Rolle in der
europäischen Verteidigungspolitik zu spielen.
Mit der Verteidigung gewinnt auch die Rüstung
an Bedeutung. Einen nicht unwesentlichen Teil der
zukünftigen Verteidigungsausgaben müssen die
Europäer in die Modernisierung und eine bessere
und umfangreichere Ausstattung ihrer Armeen
investieren.
Mit der sicherheitspolitischen Unsicherheit erhöht
sich die Notwendigkeit, in Personal und Material zu
investieren. Doch die Entscheidung, wie diese zusätz-
lichen Ressourcen am sinnvollsten einzusetzen sind,
ist nicht einfach, sie wird vor dem Hintergrund der
Dynamik der Krisen der letzten Jahre sogar komple-
xer. Welche Rüstungsgüter sind die richtigen, worin
sollten Staaten investieren? Was sind die Technolo-
gien der Zukunft? Gegen welche Risiken und Bedro-
hungen sollen Staaten sich schützen? Welche Investi-
tionen kann ein Land überhaupt noch allein tätigen,
und welche sind so hoch, dass nur noch Nationen
gemeinsam dazu in der Lage sind? Die Antwort auf
die Frage, was militärisch erforderlich ist, kann sich
mit dem schnelleren Wandel sicherheitspolitischer
Beurteilungen und Pläne verändern.
An Rüstung werden traditionell hohe Ansprüche
gestellt — von den Streitkräften, vom Steuerzahler,
aber auch von der Industrie selbst. Gleichzeitig hat
Rüstung insgesamt den Ruf, zu spät und zu teuer zu
sein und nicht den Anforderungen zu entsprechen.
Bei genauerer Betrachtung scheint die Erfüllung aller
Ansprüche nahezu unmöglich — nicht nur, weil Rüs-
tung ein komplexes Unterfangen ist, sondern auch
weil die Ansprüche teilweise widersprüchlich sind
oder sich über die lange Zeit, die eine Beschaffung
in Anspruch nimmt, verändern.
2.0 Hintergrund: Wohlstand braucht Sicherheit,
Sicherheit braucht Rüstung
8. 8 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
Es gibt zahlreiche Ansätze, um Rüstung zu verbes-
sern, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass es offen-
sichtlich keinen Königsweg gibt: Entscheidungen für
eine Alternative bringen in der Regel auch negative
Konsequenzen mit sich, sowohl politischer als auch
finanzieller Natur. So kann zum Beispiel die Koopera-
tion mit einem politisch bevorzugten Partner finanzi-
ell teurer sein als die mit dem industriell leistungs-
fähigsten (aber ungeliebten) Partner.
Tatsächlich stoßen Entscheidungsträger bei der
Entwicklung von Verbesserungsvorschlägen regel-
mäßig auf große Herausforderungen, die mitunter
nur schwer lösbar erscheinen. In diesem Beitrag
argumentieren wir, dass diese Herausforderungen
aus drei Dilemmata resultieren, die Sicherheitspolitik
und Rüstung in Deutschland prägen (Abschnitt 3,
ab S. 10). Gleichzeitig führen die drei Dilemmata zu
einer Reihe von Zielkonflikten, die nicht vollumfäng-
lich aufgelöst werden können.
Deshalb lässt sich für zentrale Herausforderun-
gen der Rüstung wie die Verbesserung von
Produkten und das Management von Prozessen
auchkeineeinfacheBlaupauseerstellen.Einerfolg-
versprechendes Rezept scheint vielmehr ein
gesunder Realismus und die Akzeptanz zu sein,
dass zwar deutliche Verbesserungen möglich
sind, aber ehrlicherweise leider keine perfekten
Lösungen. Wesentliche Grundzüge einer solchen
realistischen Herangehensweise zur Bewältigung
zentraler Herausforderungen der Rüstungspolitik
legen wir ebenfalls dar (Abschnitt 4.0, ab S. 23).
9. 9Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
Herausforderungen in der Rüstung resultieren aus drei Dilemmata
2.0 Hintergrund: Wohlstand braucht Sicherheit,
Sicherheit braucht Rüstung
Ökonomisches Dilemma
Rüstungspolitische und industrielle Ambivalenzen
Mangelnde politische Vermittlung von Rüstung als
Schutz und Vorsorge
Widersprüchliche Signale für die ökonomische
Zukunft des deutschen Rüstungssektors
Langer Atem für Veränderungen in der
Beschaffung nötig
Die verteidigungsindustrielle Basis verharrt
zwischen Internationalisierung, Fragmentierung
und Konsolidierung
Zivile Innovation wird
zentraler Treiber
Heutige Investitionen sind eine Wette
auf die Zukunft
Langfristige Investitionen sind
schwer zu begründen
Investitionen und Projekte
sind schwer über die gesamte Zeitspanne
aufrechtzuerhalten
Kooperationen stehen mit nationaler Souveränität
in einem Spannungsverhältnis
Unterschiede in den nationalen
Prinzipien und Prozessen behindern erfolgreiche
internationale Rüstungskooperationen
Souveränitätsdilemma
Deutsches Dilemma
10. 3
10 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
3.0
Drei Dilemmata
der Rüstung
Drei Dilemmata charakterisieren das Thema Rüstung:
Das ökonomische Dilemma: Verteidigungs- und Rüstungs-
planung sind zu einem großen Teil eine Wette auf eine
unvorhersehbare Zukunft, geprägt durch eine zunehmende
Dynamik der geopolitischen und technologischen Entwick-
lungen. Damit die Wette aber überhaupt gewonnen werden
kann, sind zu einem frühen Zeitpunkt ein langfristiges Engage-
ment und kontinuierliche Investitionen in Menschen, Struktu-
ren und Ausrüstung bei knappen Ressourcen vonnöten.
Das Souveränitätsdilemma: Kooperationen mit dem Ziel
wirtschaftlicher Effizienz und militärischer Effektivität stehen
mit nationaler Souveränität in einem Spannungsverhältnis.
Das deutsche Dilemma: Die Besonderheiten des deutschen
politischen und gesellschaftlichen Systems, der historischen
Erfahrung und der industriellen Struktur führen zu einem
ambivalenten Umgang mit rüstungspolitischen und -indust-
riellen Themen.
11. 11Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
3.0 Drei Dilemmata
der Rüstung
Heutige Investitionen sind eine Wette
auf die Zukunft
Sicherheitspolitik ist in weiten Teilen die Vorsorge
für den Fall negativer Ereignisse. Verteidigungspolitik
und insbesondere Rüstung sind durch ein ökonomi-
sches Dilemma erschwert, denn die Vorbereitung
bezieht sich auf antizipierte Ereignisse, die weit in der
Zukunft liegen können oder — im besten Fall — über-
haupt nicht eintreten.
Hier zeigen sich die Grenzen von Verteidigungs-
und Rüstungsplanung. Sie sind ist zu einem großen
Teil immer eine Wette auf die Zukunft. Dieser lang-
fristige Planungs- und Investitionshorizont trifft auf
eine zunehmende Dynamik der geopolitischen und
technologischen Entwicklungen. Die Panzer, die die
Bundeswehr aufgrund ihrer heutigen Sicherheits-
analyse kauft, wird sie die nächsten 30 Jahre nutzen
— in der Hoffnung, dass sie auch dann noch ein pro-
bates Mittel gegen die sicherheitspolitischen
Probleme sind.
Die Entwicklung, Herstellung und Produktion von
Rüstungsgütern ist außerordentlich langwierig: Sie
dauert oft ein oder mehrere Jahrzehnte. Der Aus-
und Aufbau von Streitkräften und Waffensystemen
erfordert deshalb die langfristige Bindung finanzieller
Ressourcen. Vor allem große und komplexe Projekte
wie das Mehrzweckkampfflugzeug Tornado oder
Fregatten fallen durch lange Entwicklungszeiten auf.
Es ist zudem weder finanziell noch planerisch mög-
lich, Streitkräfte auf jeden möglichen Konflikt vorzu-
bereiten und dafür auszurüsten. Deshalb geht man
mit der Beschaffungsentscheidung eine Wette ein:
3.1
Das ökonomische Dilemma
Langfristige Investitionen
sind schwer zu begründen
Große Investitionen müssen getätigt werden,
obwohl noch keine konkrete Herausforderung
sichtbar ist. Der oft weit in der Zukunft lie-
gende Horizont einer hypothetischen Bedro-
hungslage macht es politisch schwierig, Rüs-
tungsausgaben und deren Höhe bei knappen
Ressourcen zu begründen. Denn die Heraus-
forderungen sind zeitlich weit entfernt und es
gibt oft andere drängendere und greifbarere
Probleme. Zudem interpretieren manche Be-
obachter Rüstung als gefährliche Eskalation.
Die politische Diskussion ist daher bei
Rüstungsprojekten oft kontrovers.
darauf, dass die Annahmen über die Zukunft von
Konflikten richtig sind, vor allem die Szenarien,
die der Beschaffung von Rüstungsgütern zugrunde
liegen. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass
Annahmen über die Zukunft für die Planung zwar
notwendig sind, aber äußerst selten eintreffen.
Konkrete Einsätze — und auch die Intensität von
Konflikten — sind unvorhersehbar, auch wenn gene-
relles Wissen um Konfliktgründe vorhanden ist. Hinzu
kommt, dass sich die Bandbreite der Mittel verändert:
Neben der militärisch-konventionellen haben Kon-
flikte zunehmend eine hybride Dimension, etwa den
Einsatz nichtmilitärischer Mittel wie Propaganda und
Cyber-Attacken. Deshalb sind selbst langfristig und
vorausschauend aufgebaute Kräfte und Waffensys-
teme nicht notwendigerweise unmittelbar und voll-
ständig für die Bewältigung künftiger Krisen geeig-
net. Die Systeme müssen regelmäßig an die kon-
kreten Bedingungen der Konflikte angepasst werden:
etwa Sandfilter für den Hubschraubereinsatz in
Afghanistan oder Mali. Gleichzeitig erfordern die
langen Herstellungszyklen, dass sich die Länder lang-
fristig an eine Beschaffung binden.
12. 12 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
Investitionen und Projekte
sind schwer über die gesamte Zeit-
spanne aufrechtzuerhalten
Hinzu kommt eine weitere wichtige Folge dieser
langen Zeitspanne von Entwicklungsbeginn bis zur
Lieferung des fertigen Systems: Während dieser
Zeitspanne ändern sich die Bedrohungslage oder
der für die Zukunft angenommene Fähigkeitsbedarf,
manchmal sogar beides, und das mehrfach. Bestes
Beispiel ist der Eurofighter: Der Bau wurde 1985,
also im Kalten Krieg und für die damaligen Bedürf-
nisse, beschlossen; das Flugzeug flog aber erst 1994,
also nach dem Ende des Kalten Krieges, zum ersten
Mal. Erst 2004, rund 20 Jahre nach dem Baube-
schluss und in einer völlig veränderten Sicherheits-
lage, wurde der Eurofighter in Dienst gestellt — zu
dem Zeitpunkt war der Fähigkeitsbedarf ein ganz
anderer. Heute, 2017 hingegen, sind seine Fähig-
keiten als Jagdflugzeug wieder gefragt.
Ändert sich das Bedrohungsszenario, wird oft auch
das Rüstungsprodukt an diese Veränderungen ange-
passt. Geändert werden häufig die Mengen und die
Ausstattung. Massiv sichtbar wurde die äußere Ver-
änderung nach dem Ende des Kalten Krieges, das
zu einem erheblichen Abbau des Personals und der
Materialmengen geführt hatte (z. B. schwere Kampf-
panzer). Die nachfolgenden Konflikte wie der Irak-
krieg und die Kriege auf dem Balkan definierten neue
und grundsätzlich andere Anforderungen an die
Streitkräfte, z. B. den Bedarf an leichteren und
schnell verlegbaren Fähigkeiten. Die veränderte
Einschätzung der Sicherheitslage führte letztlich
auch zu einer Veränderung der politischen Prioritä-
ten. Mit dem Ende des Kalten Krieges schien es in
Europa keine greifbare Bedrohung mehr zu geben
und nach Einschätzung vieler gab es eine geringere
Notwendigkeit für Sicherheitsvorsorge. Infolgedes-
sen durchlief die Bundeswehr mehrere Sparpro-
gramme. Für die Rüstungsausgaben bedeutete das
eine qualitative und quantitative Anpassung und
damit letztlich mehrheitlich eine Reduzierung der
Rüstungsprojekte. Die Einsparziele der diversen
Reformen führten zu einem Abbau der Stückzahlen
bei den Waffensystemen und bei der Einsatzbereit-
schaft der Bundeswehr.
Kurzfristige Anpassungen an politische Prioritä-
ten stehen jedoch oftmals im Widerspruch zur
Notwendigkeit einer langfristigen und kontinuier-
lichen Bindung von Ressourcen, die für den
Aufbau und den Erhalt von Streitkräften, aber
auch einer unterstützenden Industrie über Jahr-
zehnte hinweg erforderlich sind. Kürzungen
können daher fatale und vor allem weitreichende
Folgen haben; für laufende Entwicklungs- und
Beschaffungsprojekte können sie bedeuten, dass
die seit Beginn getätigten Investitionen durch
den Stopp der Projekte verloren gehen.
Nationale Streitkräfte können aufgrund knapper
Ressourcen selten ein umfassendes Fähigkeitsspekt-
rum aufbieten, das auf alle Bedrohungen reagieren
kann. Zudem verändern sich Bedrohungslagen oft
schneller, als das Fähigkeitsspektrum einer Armee
angepasst werden kann. Kooperationen und die
Bündelung von Ressourcen können helfen, dieses
ökonomische Dilemma abzumildern. Allerdings geht
dies zulasten der nationalen Souveränität und führt
damit unmittelbar zum nächsten Dilemma, zum
Souveränitätsdilemma.
13. 13Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
Kooperationen stehen mit
nationaler Souveränität in einem
Spannungsverhältnis
Rüstung steht im Spannungsfeld zwischen Wirt-
schaft und Politik. Ökonomische Gründe, also
das oben angeführte Dilemma, sprechen für eine
gemeinsame Beschaffung, zusammen mit EU- und
NATO Partnern, um die Effizienz von Rüstung zu
steigern. Mit dem Grad der Kooperation steigt aber
auch die gegenseitige Abhängigkeit der Länder. Dies
wiederum steht dem Souveränitätsanspruch und
eigener Sicherheitsinteressen vieler Länder sowie
dem Wunsch, nationale Steuergelder im eigenen
Land und zugunsten der eigenen Industrie auszu-
geben, entgegen.
Aus dem Souveränitätsanspruch der Nationalstaaten
resultiert ihr Recht, Verteidigung zu betreiben: Sie tun
dies auf der Basis ihres politischen und gesellschaft-
lichen Mandats sowie aufgrund der Grenzen des Ver-
trauens in ihre potenziellen Kooperationspartner. Des-
halb bemühen sich Staaten, im Zweifelsfall selbst und
unabhängig von Partnern entscheiden und handeln
zu können. Der Anspruch, nationale Sicherheitsinter-
essen eigenständig durchzusetzen, begründet auch
das Interesse, das viele Staaten weltweit an „eigenen“
Rüstungskompetenzen und -kapazitäten haben. In der
Tat hat Rüstung vor allem strategische Relevanz: Sie
schafft keine klassischen Investitionsgüter (wie etwa
Produktionsanlagen) oder Konsumgüter (wie Nah-
rungsmittel), sondern Instrumente, mit denen ein
Land seinen politischen Willen durchsetzen kann.
Dieses Souveränitätsargument für eine nationale
Rüstungspolitik nutzen Regierungen und Parlamente
häufig, um daraus ein ökonomisches Argument für
nationale Rüstung abzuleiten. Wie jede andere Indus-
trie auch, löst Rüstung als industrieller Produktions-
prozess Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte
aus. Und wie bei jeder anderen Industrie gilt auch
hier: Je höher die Fertigungstiefe im Inland, desto
größer sind diese Effekte. Diese Effekte werden
zugleich mit nationalen Steuergeldern finanziert —
und der deutsche Steuerzahler als Arbeitnehmer
profitiert davon. Deshalb verbinden Regierungen
und Parlamente regelmäßig beschäftigungs- und
strukturpolitische mit sicherheitspolitischen Zielen
und argumentieren, dass nationale Steuergelder am
besten national ausgegeben werden sollen.
Dieser nationalen Rhetorik steht jedoch die Realität
weitgehend internationalisierter Verteidigungspolitik
und Beschaffung gegenüber. Nur wenige Nationen
weltweit verfügen über eine bedeutsame nationale
rüstungsindustrielle Basis. Die meisten Armeen
können ihren Bedarf nur noch durch internationale
Beschaffung vollständig decken. Hinzu kommt der
Trend, vor allem in Europa, dass sich auch die Streit-
kräftestrukturen zunehmend internationalisieren.
Vor allem das von Deutschland entwickelte Rahmen-
nationenkonzept zielt darauf ab, dass große Ver-
bände wie Divisionen und die dazugehörigen Luft-
waffen und Flotten multinational, also von verschie-
denen Ländern gemeinsam, aufgestellt werden.
Die Verteidigungsindustrie operiert deshalb in einem
ökonomisch internationalisierten und gleichzeitig
politisch sensiblen Marktumfeld; nirgendwo anders
sind Staat und private Industrie so eng mit einander
verbunden. Der Staat ist nicht nur alleiniger Abnehmer
der Produkte, die vor allem für einen politischen Zweck
gedacht sind, er stellt auch die Regeln für den Markt,
in dem die Unternehmen operieren, auf. Er gibt also
vor unter welchen Bedingungen produziert und
angeboten werden darf, und er definiert zudem die
Exportrichtlinien. Damit kontrolliert der Staat die
beiden Bereiche, in denen die Unternehmen Gewinne
erwirtschaften können: In- und Ausland. Und manch-
mal ist der Staat auch Anteilseigner an Rüstungsunter-
nehmen. Dies führt wiederum zu Interessenkonflikten.
3.2
Das Souveränitätsdilemma
3.0 Drei Dilemmata
der Rüstung
14. 14 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
Unterschiede in den nationalen
Prinzipien und Prozessen behindern
erfolgreiche internationale Rüstungs-
kooperationen
Das Mantra der stärkeren Kooperation, vor allem
zwischen NATO und EU-Staaten, besteht schon lange.
Die Länder regieren auch auf den ökonomischen
Druck und beschaffen, wenn es nicht anders geht,
Rüstungsgüter gemeinsam: Alle wesentlichen Groß-
projekte im Rüstungsbereich, vom A400M bis zur zu-
künftigen Euro-Drohne, sind internationale Projekte.
Dennoch ist das Ergebnis nicht ein gemeinsames und
einheitliches Produkt; vom Transporthubschrauber
NH 90 beispielsweise gibt es mehr als 20 Versionen
bei 14 teilnehmenden Staaten. Doch die erhofften
Effizienzgewinne gehen dann häufig wieder verloren.
Der Grund liegt in einem zweifachen Spannungs-
verhältnis: erstens dem zwischen nationaler und inter-
nationaler Rüstungspolitik und zweitens dem zwi-
schen dem Management von Rüstungsprojekten auf
nationaler und auf internationaler Ebene.
Nationale und internationale
Rüstungspolitik
Ein wesentlicher Teil der Probleme der Rüstungsbeschaffung ist nicht
prozessimmanent, sondern politisch induziert. Die größten Rüstungs-
projekte haben eines gemeinsam: Sie sind internationale Projekte.
Deshalb definieren nicht nationale Beschaffungsprozesse die Rah-
menbedingungen, sondern internationale politische Absprachen.
Weil es um Steuergelder und um wichtige Produkte geht, verhandeln
die beteiligten Regierungen diese Projekte. Dabei kommen Akteure
zusammen, die sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben,
was sie mit Rüstung erreichen wollen und welche Prioritäten einzelne
Projekte haben. Gleichzeitig wollen aber alle Länder ihr Geld vor allem
zugunsten der eigenen Ökonomien ausgeben. Die Folge sind lang eta-
blierte Prinzipien wie das „Juste Retour“: Wo die Produktion von Tei-
len eines Gemeinschaftsprojekts stattfindet, entscheidet nicht die in-
dustrielle oder technologische Kompetenz, sondern der Anteil des
Landes am Kauf des Produktes. Dieser Anteil entspricht der Wert-
schöpfung, die in dem Land stattfindet. Dinge, über die kein Konsens
hergestellt werden kann, wie gemeinsame Standards für die Produk-
tion des Gutes (etwa wie groß die Ladeklappe eines Hubschraubers
sein oder welche Bewaffnung das System haben soll), werden ausge-
klammert und national gelöst — so kommen die vielen Varianten
eines Waffensystems zustande.
Nationales und internationales
Rüstungsmanagement
Für die tägliche Umsetzung der Projekte sind nationale und interna-
tionale Rüstungsagenturen zuständig, etwa die europäische OCCAR
(Organisation Conjointe de Coopération en Matière d’Armement).
Jedoch können die internationalen Agenturen nur in dem Rahmen
agieren, den ihnen die internationalen politischen Vereinbarungen
unter den Regierungen zubilligen. Diese Vereinbarungen enthalten
aber immer wieder politische Kompromisse, die sich schwer umsetzen
lassen, was wiederum zu Verzögerungen führt. Oder aber das natio-
nale Interesse eines Landes verändert sich. Doch Stückzahlreduzie-
rungen oder Designkorrekturen sind nur in Absprache mit den Part-
nern und der Industrie möglich und wirken sich dann wiederum auf
alle Partner aus.
Gleichzeitig bringen die nationalen Agenturen oftmals individuelle,
nationale Beschaffungsprozeduren mit sich, die erstens nicht unter-
einander kompatibel sind und in denen zweitens internationale
Beschaffungen in der Regel nicht vorgesehen sind.
15. 15Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
3.0 Drei Dilemmata
der Rüstung
Rüstungsmatrix: Politik und Management zwischen nationaler und internationaler Ebene
National
(Deutschland)
Rüstungs-
politik
Grundsätze und
Präferenzen
In der nationalen Rüstungspolitik kommen
Grundsätze und Präferenzen zum Ausdruck:
Warum rüstet ein Land? Welche Sicherheits-
interessen hat das Land? Was möchte es be-
schaffen, national oder international? Welches
sind seine wichtigsten Partner?
Aussagen hierzu finden sich z. B. im „Konzept
der Schlüsseltechnologien“ (2015) oder im
„Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft
der Bundeswehr“ (2016).
Im internationalen Rüstungsmanagement ver-
walten internationale Agenturen wie die OCCAR
oder verschiedene NATO-Agenturen die beschlos-
senen Projekte. Ihre Gestaltungsmöglichkeiten
sind jedoch gering — sie sind von den Staaten ab-
hängig, die in ihren Gremien sitzen.
Sowohl in den Gremien der NATO und EU als
auch bei multinationalen Projekten prallen die
unterschiedlichen rüstungspolitischen Grund-
sätze und Präferenzen der Staaten aufeinander.
Kooperationen erfordern Kompromisse, also
das Aufgeben von militärischen oder industriel-
len Partikularinteressen.
Das nationale Rüstungsmanagement setzt die
politischen Aufträge der Rüstungspolitik um.
Es steuert den Lebenszyklus von Rüstungs-
projekten. In Deutschland ist das BAAINBw1
zuständig für die Entwicklung, Erprobung und
Beschaffung von Wehrmaterial, aber auch für
die Nutzungsphase. Ein wesentliches Instrument
der Steuerung ist das „Customer Product
Management“.
Rüstungs-
management
Institutionen und
Verfahren Standards
International
(andere Länder und internationale Organisation,
Vorschriften und Grundsätze)
1 Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und
Nutzung der Bundeswehr
17. 17Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
Rüstungspolitische und industrielle
Ambivalenzen
In Deutschland zeigen sich das ökonomische und
das Souveränitätsdilemma in besonderer Weise:
beeinflusst durch die Besonderheiten des deutschen
politischen und gesellschaftlichen Systems, der his-
torischen Erfahrung und der industriellen Struktur.
Die Konsequenz ist ein ambivalenter Umgang mit
rüstungspolitischen und –industriellen Themen.
3.3
Das deutsche Dilemma
Im Unterschied zu vielen europäischen Nachbarn
ist in Deutschland Rüstung aufgrund seiner vielfälti-
gen politischen, moralischen, industriellen und finan-
ziellen Herausforderungen traditionell ein Thema,
mit dem sich die Bürger und die Politik intensiv und
kontrovers auseinandersetzen.
Rüstung in Deutschland verortet sich in drei Spannungsfeldern
3.0 Drei Dilemmata
der Rüstung
Das erste ist das Spannungsfeld
zwischen notwendiger Ausrüstung
der Streitkräfte und moralischer
Kritik an Rüstung. Rüstung ist skandal-
umwittert und wird oft als moralisch
zweifelhaft angesehen. Gleichzeitig ist
sie unabdingbar für die Sicherheits-
vorsorge im militärischen Bereich:
Verteidigungsfähigkeit setzt die Ein-
setzbarkeit und damit die Ausrüstung
der Streitkräfte voraus. Die innen-
politische Sensibilität des Themas
führt in Deutschland dazu, dass in
jeder Phase eines Rüstungsprojekts
besondere Vorsicht an den Tag ge-
legt wird.
Das zweite Spannungsfeld für Rüs-
tung in Deutschland entsteht durch
verschiedene Zielvorgaben: Die Bun-
deswehr braucht leistungsfähige und
effiziente Anbieter, die in der Lage
sind, die Anforderungen zu erfüllen,
die die Bundeswehr an aktuelle und
zukünftige Ausrüstung stellt. Das we-
sentliche rüstungspolitische Ziel ist
Versorgungssicherheit: also der lang-
fristige, gesicherte und konstante
Fluss von modernem, leistungsfähi-
gem Material und Dienstleistungen von
der Rüstungsindustrie an die Streit-
kräfte, in Friedens- und zu Kriegs-
zeiten2
. Gleichzeitig aber soll die
Beschaffung oft schnellstmöglich
geschehen und die Ausrüstung inter-
operabel mit Partnern sein.
Das dritte Spannungsfeld, in dem
Rüstung in Deutschland operiert, be-
steht zwischen nationalen und inter-
nationalen industriellen Partnern. Bei
der Suche nach Lösungen fällt der
erste Blick zumeist auf die nationale
Industrie. Diese kann aber schon lange
nicht mehr in ausreichendem Maße
alle Güter bereitstellen, die die Bun-
deswehr braucht. Gleichzeitig ist der
Begriff „nationale Industrie“ zuneh-
mend irreführend, denn der deutsche
Sektor ist mittlerweile eng mit dem
europäischen und internationalen
verwoben: über Kooperationsprojekte
der Länder und über Exporte, Importe,
Lieferketten und Beteiligungsverhält-
nisse. Zugleich hat der den Konsolidie-
rungsdruck in einigen Marktsegmen-
ten, z. B. im Marineschiffsbau,
zugenommen.
2 Christian Mölling: Der europäische Rüstungssektor. Zwischen nationaler Politik und industrieller Globalisierung, SWP-Studie 12/2015, Seite 8
1 2 3
18. 18 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
Mangelnde politische Vermittlung von
Rüstung als Schutz und Vorsorge
Rüstung ist in Deutschland mit vielen technischen
Problemen konfrontiert, für die es greifbare Lösungs-
ansätze gibt. Die übergeordnete Herausforderung
jedoch liegt im schwierigen Image, das Rüstung in
der Bevölkerung hat.
Rüstungsprojekte sind der Öffentlichkeit aufgrund
des hohen finanziellen Aufwands, der langen Zeit-
linien und der damit verbundenen moralischen
Fragen oft schwer zu vermitteln. Die hohen Kosten
werfen zudem die Frage auf, ob mit diesen Mitteln
nicht in anderen Politikbereichen sinnvolle Projekte
gefördert werden könnten. Zudem lehnen viele
Bürgerinnen und Bürger Rüstung, auch wenn sie
dezidiert defensiv und als Vorsorge konzipiert ist,
als aggressive Eskalation ab.
Die Regierung kann zwar Rüstungsvorhaben be-
schließen, weil sie diese aufgrund ihrer Sicherheits-
analyse als notwendig zur glaubwürdigen Verteidi-
gung erachtet. Das heißt aber nicht, dass die
Bürgerinnen und Bürger solche Vorhaben in jedem
Fall auch als Beitrag zur eigenen Sicherheit ansehen.
Damit kann die Regierung vor einer schwierigen
Abwägung stehen: Trifft sie die militärisch notwen-
dige Entscheidung oder die, für die sie politische
und öffentliche Akzeptanz erwarten kann.
Widersprüchliche Signale für die
ökonomische Zukunft des deutschen
Rüstungssektors
Die deutsche Rüstungspolitik sendet an Industrie
und internationale Partner widersprüchliche Signale
dazu, wie sie den Rüstungssektor in Deutschland
erhalten und gestalten möchte: Der Staat legt Wert
auf seine nationale Industrie. Wenn immer möglich,
bevorzugt er sie, wenn es um Rüstungsvorhaben
geht. Die nationale Nachfrage reicht aber nicht,
um eine rein nationale verteidigungsindustrielle
Basis aufrechtzuerhalten, die alle erforderlichen
Produkte und Dienstleistungen bereitstellt. So muss
die Bundeswehr ihren national definierten Bedarf
nach Ausrüstung zunehmend durch internationale
Anbieter decken. Gleichzeitig sind die deutschen
Unternehmen für ihr wirtschaftliches Überleben vom
Export abhängig, denn auch aus ihrer Sicht ist der
deutsche Markt allein oftmals zu klein, um ein Pro-
dukt gewinnbringend zu entwickeln und anzubieten.
Die Möglichkeit, den Rückgang der Einnahmen aus
nationalen Aufträgen durch Exporte aufzufangen,
blieb der Industrie oftmals aufgrund einer politisch
gewollten restriktiven Auslegung der Rüstungs-
exportrichtlinien verwehrt.
19. 19Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
Langer Atem für Veränderungen
in der Beschaffung nötig
Die Beschaffung von Rüstungsgütern steht seit
langem in der Kritik: Komplexe, oft widersprüchlich
verlaufende Beschaffungsprozeduren erfolgen mit
unzureichender Fokussierung und führen zu hohen
Kosten, Qualitätsproblemen und zeitlichen Verzöge-
rungen. Dies alles geht zulasten der Bundeswehr und
indirekt des Steuerzahlers. Die Gründe dafür liegen
an zwei Stellen:
• Innerhalb der Bundeswehr selbst: die unzurei-
chende Organisation und Abstimmung zwischen
den einzelnen Ebenen der Beschaffungsseite ist
problematisch. Zudem schafft eine oftmals durch
haushaltsrechtliche Vorgaben beeinflusste Projekt-
steuerung und Budgetplanung Ineffizienzen.
• In der Beziehung zu den Herstellern: Anreizstruk-
turen und Allokation von Risiken werden den indivi-
duellen Charakteristika von Beschaffungsprojekten
oftmals nicht gerecht. Unzureichend sind außerdem
das Vertragsmanagement, das Anforderungs- und
Änderungsmanagement sowie die Transparenz
hinsichtlich Kosten/Nutzen und Projektrisiken,
aber auch der technischen und organisatorischen
Leistungsfähigkeit der Anbieter (insbesondere
bei Neuentwicklungen).
3.0 Drei Dilemmata
der Rüstung
Diese Punkte finden sich auch in der 2014 veröffent-
lichen Bestandsaufnahme und Risikoanalyse, die das
Verteidigungsministerium (BMVg) in Auftrag gege-
ben hatte. Als Reaktion darauf lancierte das BMVg
2014 die „Agenda Rüstung“ mit dem Ziel, das Rüs-
tungswesen zu modernisieren: In zwei neuen Strate-
giepapieren erklärt die Regierung ihre rüstungs- und
industriepolitische Positionierung3
. Halbjährliche
Rüstungsberichte sollen die Transparenz erhöhen.
Ein einheitliches Risikomanagement wurde einge-
führt; das Vertragsmanagement für den Beschaf-
fungsprozess wird modernisiert. Zugleich wird das
BAAINBw reorganisiert. Ein institutionalisierter
Dialog zwischen Industrie und Bundeswehr soll ein
gegenseitiges Verständnis bezüglich der Erwar-
tungen und Möglichkeiten herstellen.
Insofern wurden wichtige Veränderungen angesto-
ßen, die vollständige und konsistente Umsetzung
sowie die weiterführende Ausgestaltung der Agenda
Rüstung wird allerdings noch Jahre andauern. Die
Verteidigungsindustrie selber wird ebenfalls mit
einem kulturellen Wandel reagieren müssen, waren
doch die Projekte der Vergangenheit durch viel Zeit
sowie Reduzierungen bei Fähigkeiten und Stück-
zahlen geprägt.
3 Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Ver-
teidigungsindustrie in Deutschland (2015) und das Konzept des
Bundesministeriums der Verteidigung zur Stärkung des wehr-
technischen Mittelstands (2016)
Agenda Rüstung
Sechs Grundsätze, um das Rüstungswesen zu professionalisieren:
1. klarer rüstungspolitischer Kurs
2. besseres Management und mehr Transparenz bei Rüstungsprojekten
3. Schließung bestehender Fähigkeitslücken
4. Behebung von Mängeln bei der materiellen Einsatzbereitschaft
5. Entwicklung von Strategien für zukünftige Technologien und Projekte
6. Herstellung einer Steuerungsfähigkeit mithilfe eines klar
definierten Kennzahlensystems
Quelle: BMVg
20. 20 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
Die verteidigungsindustrielle Basis
verharrt zwischen Internationalisierung,
Fragmentierung und Konsolidierung
Internationalisierung, Fragmentierung und Kon-
solidierung kennzeichnen die deutsche verteidigungs-
industrielle Basis. Treiber dieser Entwicklung war
dabei die Industrie selbst — allerdings auch weil es
keine zielorientierte Rüstungspolitik gab. Über die zu-
künftigen Entwicklungsoptionen besteht weitgehend
Unklarheit. Diese Unklarheit führt auch für die Bun-
deswehr zu einer gewissen Unsicherheit: Wird sie in
Zukunft noch auf eine verlässliche und innovative ver-
teidigungsindustrielle Basis zurückgreifen können?
Es fehlt die Vision zur Weiterentwicklung der industri-
ellen Basis, die die Effekte von Internationalisierung,
Fragmentierung und Konsolidierung aufnimmt.
Die deutsche verteidigungsindustrielle Basis ist
weniger eine Versorgungsinfrastruktur, die der Staat
nach seinen Interessen und Mitteln geschaffen hat.
Er hat sich auch nicht sonderlich bemüht, die Indust-
rie gezielt zu europäisieren. Vielmehr handelt es
sich um eine Reihe einzelner, leistungsfähiger Unter-
nehmen. Die größten Unternehmen, die in Deutsch-
land agieren, sind mittlerweile multinational aufge-
stellt. Daneben existieren zahlreiche kleine und
mittelständische Unternehmen. Viele davon sind
weltweit führend in Nischenprodukten.
Insgesamt sind die meisten industriellen Strukturen
und Aktivitäten im deutschen Rüstungssektor nur
noch zu verstehen, wenn man die Internationalisie-
rung mit betrachtet. Für viele deutsche Unternehmen
ist die Bundesrepublik Deutschland zwar noch der
wichtigste Einzelkunde, doch der Umsatz der Unter-
nehmen ist regelmäßig wesentlich von Exportmärk-
ten abhängig.
Umgekehrt muss die Bundeswehr importieren
bzw. hat ein Interesse an Rüstungskooperationen,
wenn dies den effizienten Zugang zu notwendigen
Technologien ermöglicht. Zwar sind deutsche An-
bieter bei Landsystemen, U-Booten, Küstenkampf-
schiffen, Komponenten für Elektronik und Sensorik,
Munition und Antrieben stark. Doch auch hier bauen
sie oft auf internationale Zulieferer.
Obgleich sich Produktion und Versorgung seit dem
Ende des Kalten Krieges auf niedrigerem Niveau
konsolidiert haben, übersteigen die Produktionskapa-
zitäten der deutschen Rüstungsunternehmen den
nationalen Bedarf. Dies erzeugt Druck auf die Indust-
rie, entweder zu exportieren oder die Produktions-
kapazitäten noch weiter zu reduzieren oder die Preise
zu erhöhen. Budgetrückgänge in der Vergangenheit
haben diesen Druck erhöht. Fraglich ist, inwieweit
die für künftige Jahre erwarteten Erhöhungen des
Verteidigungshaushalts zur Finanzierung der Band-
breite der gegenwärtigen und künftig nötigen indust-
riellen Fähigkeiten beitragen können.
Hieraus folgt auch ein Konsolidierungsdruck, ob-
gleich sich insgesamt ein differenziertes Bild einzel-
ner Marktsegmente des verteidigungsindustriellen
Sektors in Deutschland ergibt: Während zum Beispiel
zahlreiche internationale Beschaffungsprojekte den
Luft- und Raumfahrtsektor vollständig internationali-
siert haben, werden Land und See von Duopolen
dominiert: Hier strukturieren zwei Unternehmen den
jeweiligen Sektor.
Politisch gewollte europäische Beschaffungspro-
gramme, deren Erfolg insbesondere auch von der
Definition einheitlicher Standards abhängig sein wird,
werden perspektivisch zu vermehrten Kooperationen
in Europa führen. Insofern ist Konsolidierung im
Rüstungssektor nicht nur national sondern auch
europäisch zu betrachten. Europa ist der politische
Rahmen, obgleich vor dem Hintergrund internationa-
ler Lieferketten auch eine Betrachtung darüber hin-
aus nicht vernachlässigt werden sollte.
21. 21Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
3.0 Drei Dilemmata
der Rüstung
Die deutsche Verteidigungsbranche steht vor zen-
tralen Herausforderungen, deren Bewältigung eine
hohe Investitions- und Innovationskraft erfordert:
Zukünftig benötigte industrielle und technologische
Fähigkeiten sind heute nur zum Teil vorhanden.
Das betrifft vor allem den Bereich der Cyber- und
Informationstechnologien sowie autonome Waffen-
systeme. Gleichzeitig drohen bestehende industrielle
und technologische Fähigkeiten weiter zu verfallen,
wenn sie nicht über Projekte am Leben gehalten und
modernisiert werden.
Diese Herausforderung trifft den deutschen Rüs-
tungssektor weitgehend unvorbereitet. Zwar lässt
sich schon seit Längerem die Tendenz beobachten,
dass sich Märkte, Produkte und Akteure aus dem
traditionellen verteidigungs-industriellen Bereich mit
jenen der zivilen Sicherheit und rein kommerziellen
Bereichen vermischen. Der Trend gewinnt aber durch
die stark wachsende Innovationskraft der zivilen
Industrie in jüngster Zeit erheblich an Bedeutung.
Die Innovationsquellen zukünftiger Produkte werden
sich deutlich verschieben, und zwar vom militäri-
schen in den zivilen Bereich. Sichtbar wird dies als
„Dual Use“ bereits bei autonomen bzw. unbemannten
Systemen, wie z. B. Drohnen, deren Zukunftsmärkte
eher im zivilen Bereich liegen.
Zivile Innovation wird
zentraler Treiber
23. 4
23Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
4.0
Ausblick:
Die Zukunft
des deutschen
Rüstungssektors
gestalten
Um eine ökonomisch machbare und zugleich verantwortungs-
volle Sicherheitspolitik im Rüstungsbereich umzusetzen, gilt
es, effiziente Lösungen mit möglichst geringen finanziellen
Verlusten und politischen Kosten zu finden. Hierzu sehen wir
drei Ansatzpunkte: Internationale Kooperationen, nationale
Weiterentwicklungen, Neues antizipieren und adaptieren
Zudem kann die Politik zwei Grundbedingungen verbessern:
Sie kann zum einen langfristiges Engagement und kontinuier-
liche Investitionen in Menschen, Strukturen und Ausrüstung
sicherstellen, um der Industrie die grundlegende Sicherheit für
ihre Investitionen zu geben. Dies und alle anderen Maßnahmen
werden zum anderen einfacher, wenn die Politik Rüstung als
einen Beitrag zur Sicherheit vermittelt.
24. 24 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
Drei Ansatzpunkte für eine ökonomisch machbare und zugleich
verantwortungsvolle Sicherheitspolitik
1
2
3
Internationale Kooperationen
Nicht nur bleiben Kooperationen eine zentrale Möglichkeit um Kosten
zu senken und gemeinsam politisch mehr Sicherheit zu erreichen; wir sehen
zugleich durch die Initiativen rund um die europäische Verteidigung ein
konkretes neues Momentum, das sich Deutschland zunutze machen könnte.
Nationale Weiterentwicklungen
An vielen Punkten muss das Rad nicht neu erfunden werden. Vielmehr
gilt es, begonnene Veränderungen weiterzutreiben und gute Entwicklungen
zu verstetigen bzw. zu ergänzen. Für eine zunehmende Europäisierung der
Beschaffung gilt es ferner, zum einen eine Harmonisierung von Standards
zu forcieren und zum anderen einen strategischen Rahmen für die Verteidi-
gungsindustrie zu entwickeln.
Neues antizipieren und adaptieren
Neues antizipieren und adaptieren: Neben der absehbar auch zukünftig
angespannten internationalen Sicherheitslage sind bereits wesentliche neue
Impulse für die Veränderung des Rüstungssektors erkennbar. Neben der
weiteren Digitalisierung wird die Verstetigung von Wandel selbst eine
Herausforderung sein, denn dies verspricht ständige Bewegung und neue
Impulse aus verschiedenen Richtungen. Diese Dynamik, z. B. im Bereich der
Cyber- und Informationstechnologien, muss Rüstung und Beschaffung
prozessual und kulturell aufnehmen können.
25. 25Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
4.0 Ausblick: Die Zukunft des deutschen
Rüstungssektors gestalten
Kooperation bleibt das
richtige Rezept
Eine vollkommene Lösung des ökonomischen
Dilemmas ist nicht möglich. Doch Kooperation ist
ein wesentlicher Schlüssel, um effiziente Lösungen
mit möglichst geringen Verlusten (ungenutzte oder
nicht ausreichende Kapazitäten, für künftige Krisen
ungeeignete Waffensysteme etc.) zu finden: Über
Kooperationen lässt sich die Effizienz der Ausgaben
steigern. Die gemeinsame Beschaffung kompatibler
oder identischer Waffensysteme senkt die Stück-
4.1
Neue Dynamik für Kooperationen
kosten und erlaubt gemeinsamen Betrieb und War-
tung. Standardisierung und Interoperabilität senkt
nicht nur die Lebenszykluskosten, sondern ermög-
licht auch eine effiziente Kooperation im Einsatz.
Die Intensität von Kooperationen und damit auch
ihrer Wirkung findet ihre Grenze in dem Umfang der
gewünschten nationalen Souveränität. Dieses Span-
nungsfeld muss die Politik in nächsten Jahren aktiv
angehen. Ein verlässlicher politischer Rahmen ist
für den langfristigen Zeithorizont von Rüstung eine
wichtige Voraussetzung.
26. 26 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
Rüstung in Europa:
Neue politische Dynamik bietet
Chancen und Risiken
Insgesamt tritt Europa — vor allem die EU-Staaten —
in eine neue Phase, die viele neue Optionen bietet,
aber auch Risiken. Die jüngsten geopolitischen Ent-
wicklungen haben die Bedeutung von Sicherheits-
politik in Europa erhöht und der sicherheitspolitischen
Zusammenarbeit auf europäischer Ebene neue Im-
pulse gegeben. Aber auch die politischen Rahmen-
bedingungen für Rüstung haben sich in Europa
verändert, etwa durch den Brexit. Die Beobachtung
und Bewertung dieser parallel stattfindenden und
sich gegenseitig beeinflussenden Ereignisse und ihrer
Auswirkungen auf Rüstungspolitik und Rüstungsma-
nagement sind wesentliche Aufgaben für alle Akteure
in den kommenden Jahren.
Ein Beispiel für neue Chancen ist die EU-Initiative
PESCO (Permanent Structured Cooperation). In
ihrem Rahmen können interessierte Mitgliedstaaten
enger kooperieren, über gemeinsame Rüstungs-
projekte gemeinsame Standards für die Ausrüstung
schaffen und Ressourcen effizienter nutzen. Der
Brexit birgt für die Europäer Risiken mit Blick auf die
Versorgungssicherheit bei Rüstungsgütern und bei
Industriekooperationen mit Großbritannien. Für
das Vereinigte Königreich könnte dies einen Be-
deutungsverlust in der Rüstungskooperation nach
sich ziehen. Eine weitere neue Chance auf EU-Ebene
ist der Europäische Verteidigungsfonds. Damit stellt
die Europäische Kommission über zwei Finanzie-
rungslinien Geld für die Kooperation bei Forschung
und Entwicklung wie auch bei der Beschaffung von
Rüstungsgütern zur Verfügung. Zudem dürfte die
deutsch-französische Initiative zum Bau eines ge-
meinsamen Kampfflugzeugs vom Juli 2017 direkte
Auswirkungen auf die europäische verteidigungs-
industrielle Basis haben.
Um das Momentum in der europäischen Sicherheits-
politik zu nutzen und die europäische Sicherheits-
politik im Sinne von mehr Effizienz und Handlungs-
fähigkeit weiterzuentwickeln, müssen die Staaten
viele Herausforderungen bewältigen. Diese reichen
von der politischen und industriellen Konstellations-
analyse bis hin zum Management — zum Umstellen
von Versorgungsketten und Verträgen. Politisch gilt
es, die deutschen Interessen in dieser neuen Entwick-
lung zu definieren, sie ins Verhältnis zu den europäi-
schen Zielen zu stellen und sie dann auf europäischer
Ebene einzubringen. Für den Verteidigungsfonds, der
die verteidigungsindustrielle Basis in Europa stärken
will, hieße das z. B., eine genaue Lageanalyse vor-
zunehmen. Um sinnvolle Entscheidungen zur Stär-
kung der verteidigungsindustriellen Basis zu treffen,
bedarf es einer entsprechenden Landkarte der indus-
triellen und technologischen Fähigkeiten, die zeigt,
was Europa hat, wo es Lücken gibt und wo unnötige
Duplizierungen von Kapazitäten bestehen. Gleich-
zeitig kann die genaue Beobachtung der Entwicklun-
gen auf regulatorischer und rechtlich-politischer
Ebene helfen, frühzeitig zu entscheiden, welches
Engagement überhaupt vorstellbar ist und wer als
Partner infrage kommt.
27. 27Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
Die begonnenen Veränderungen im
Rüstungswesen weiterdenken
Die „Agenda Rüstung“ stellt einen Neuanfang da,
den alle Akteure kontinuierlich in die Praxis umsetzen
müssen. Die weitere Gestaltung des Rüstungswesens
sollte eine Priorität auch der nächsten Regierung sein.
Die bislang erreichten Veränderungen beruhen auf
dem individuellen Engagement der politischen Lei-
tung und der Mitarbeiter. Damit diese Veränderungen
zur Routine werden und auch ohne die permanente
Involvierung der Leitung des BMVg funktionieren,
müssen sie von einem Wandel in den Strukturen be-
gleitet werden. Dies geschieht dann, wenn in neuen
Projekten eine neue Praxis aufgebaut wird — und das
wiederum braucht Zeit. Auch die Erfahrungen aus
den ersten Anwendungen der Agenda Rüstung müs-
sen in die Praxis einfließen. Zum anderen werden
bereits Veränderungen diskutiert, etwa die weitere
Anpassung des Rüstungsprozesses „Costumer Pro-
duct Management“. Notwendig ist also ein systemati-
sches Lernen aus der Praxis für die Praxis. Letztlich
müssen sich die politischen Lösungsansätze und die
Schritte zur Optimierung des Rüstungsmanagements
in jeder Ausschreibung wiederfinden.
Technologischer Wandel, internationale Beschaffun-
gen, gestiegene Anforderungen an Fähigkeiten und
Zeitdruck erhöhen die Komplexität von Beschaffun-
gen. Dieser Komplexität kann nur mit Transparenz
begegnet werden, die die nötige Voraussetzung für
Entscheidungen und deren effiziente Umsetzung ist.
Ein Instrument zur Erhöhung der Transparenz könnte
eine „Supplier Due Diligence“ sein, die unter Berück-
sichtigung von etwaigen vergaberechtlichen Anforde-
rungen flexibel im Rahmen von Beschaffungsprojek-
ten genutzt werden kann. Eine Supplier Due Diligence
hat zum einen Risiken der Eignung von Anbietern
zum Gegenstand, z. B. die technische und wirtschaft-
liche Leistungsfähigkeit (u. a. bei komplexen Beschaf-
fungen wie Neuentwicklungen) — ob nun als kontinu-
ierliche Routine für das Lieferantenportfolio oder für
eine konkrete Vergabe. Zum anderen stehen insbe-
sondere die Angebote von Anbietern mit Blick auf
Risiken bei Leistung, Kosten- und Zeitplanungen und
deren Management im Mittelpunkt. Das Ziel ist es,
4.2
Rüstungspolitik und Beschaffung
weiterentwickeln
die Risiken durch angemessene Anreizstrukturen
und Allokation von Risiken in der Vertragsgestaltung
sowie durch ein laufendes nachgelagertes Projekt-
controlling zu managen.
Anreizeffekte sollten bei der Gestaltung der Vergabe-
und Ausschreibungsprozesse stärker berücksichtigt
und auf die Anforderungen der ausgeschriebenen
Leistungen hin ausgerichtet werden. So setzt ein
fixer Grundpreis Anreize für höhere Gewinne durch
Kostensenkung. Bei klar definierten Qualitäts- und
Leistungskriterien können Kostensenkungen durch
höhere Effizienz erzielt werden. Wird der Beschaf-
fungsprozess wiederholt und sind die Anbieter dabei
frei wählbar (keine strukturellen Vorteile für den
Platzhirsch), dann drücken die gesunkenen Kosten
auf die Angebotspreise, so dass auch die Beschaf-
fungsstelle profitiert. Ist neben den Kosten auch die
Entwicklungszeit ein kritischer Faktor, so sollten die
eingeforderten Angebote neben einem Grundpreis
auch Auf- und Abschläge für schnellere bzw. langsa-
mere Fertigstellung enthalten. Ist der Beschaffungs-
prozess hingegen mit hohen Unsicherheiten verbun-
den, etwa bei der Entwicklung neuer Waffensysteme,
so können Herstellern durch eine Angebotsstruktur
aus Grundpreis und Eigenanteil an höheren Kosten
Anreize zu einer effizienten Umsetzung ihrer Entwick-
lungsprozesse gesetzt werden. Darüber hinaus er-
möglicht die zweckmäßige Ausgestaltung der Aus-
schreibungsparameter, etwa die Vorgabe alternativer
„Menüs“ aus Grundpreis und Eigenanteil, auch Rück-
schlüsse auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit der
teilnehmenden Unternehmen und damit die Selektion
des am besten geeigneten Unternehmens.
Grundsätzlich muss die anreizkonforme Gestaltung
der Ausschreibungsverfahren aber auch im Rahmen
der gegebenen rechtlichen Möglichkeiten erfolgen.
Vor dem Hintergrund von Relevanz und Volumen des
Beschaffungsprozesses kann es aber auch geboten
sein, den rechtlichen Rahmen so anzupassen, dass
Vergabe- und Vertragsmechanismen mit offensichtli-
chen Vorteilen auch tatsächlich im Sinne der Beteilig-
ten zur Erzielung einer Win-win-Situation und Be-
schleunigung von Beschaffungsprozessen genutzt
werden können.
4.0 Ausblick: Die Zukunft des deutschen
Rüstungssektors gestalten
28. 28 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
Humanressourcen und Qualifikationen
als Querschnittsthema
Ein Querschnittsthema, das über die Zukunftsfähig-
keit des deutschen Rüstungssektors entscheidet,
ist die Qualifikation der Mitarbeiter, sowohl in der
Industrie als auch in den Ministerien und anderen
Behörden. Ganz praktisch mit Blick auf die Beschaf-
fung — ohne die grundsätzlichen Herausforderungen
der Personalgewinnung und -bindung anzusprechen
— müssen z. B. die Mitarbeiter des BAAINBw in der
Lage sein, Ausschreibungen zu erstellen, die die
Parameter neuer Technologien erfassen. Darüber
hinaus müssen z. B. die wehrtechnischen Dienststel-
len in die Lage versetzt werden, entweder neuartige
Systeme abzunehmen, etwa aus dem Cyberbereich,
oder aber, wenn die Expertise beim Personal nicht
verfügbar ist, z. B. externe Gutachter dafür zu
beauftragen.
Gerade die neuen Anforderungen durch innovative
Technologien fordern kreative Lösungen. Doch junge
Talente aus IT- und Kreativwirtschaft stehen der
Rüstungsbranche eher indifferent oder sogar negativ
gegenüber. Deshalb müssen Industrie, Ministerien
und Behörden ihre Anreizsysteme (weiter) verbes-
sern, um Personal rekrutieren und langfristig an sich
binden zu können. Solche Überlegungen sollten auch
die Kooperation mit innovativen Start-ups sowie die
Einbindung von Externen und Reservisten umfassen.
Internationalisierung und Euro-
päisierung mitdenken
Die nächste Generation von Beschaffungsprojekten
wird sich stärker an internationalen Entwicklungen
und vor allem an der EU als Rahmen ausrichten. Bei
gemeinsamen Beschaffungen müssen deshalb ent-
weder die nationalen Beschaffungsprozesse und
Regeln für die Prozesse und Regeln anderer Länder
adaptierbar sein oder es müsste, zumindest im
EU-Kontext, zusätzlich zur existierenden europäi-
schen Beschaffungsrichtlinie ein harmonisiertes
Beschaffungs- und Projektmanagement geben. Letz-
teres dürfte vor dem Hintergrund der Vielfalt natio-
naler Anforderungen nur langfristig realisierbar sein.
Schneller hingegen könnten die neuen Finanzie-
rungsmöglichkeiten, etwa der Europäische Verteidi-
gungsfonds, Auswirkungen auf die Rüstungskosten
in gemeinschaftlichen Rüstungsprojekten haben.
Es besteht die Chance, dass der Verteidigungsfonds
das Juste Retour Prinzip mit Blick auf die Arbeitsver-
teilung zu Gunsten einer effizienteren Organisation
eines Rüstungsvorhabens auflöst. Nichtsdestotrotz
bleibt vor dem Hintergrund des aktuellen Budgets
die Wirkung begrenzt; er könnte aber einen Beitrag
zur Modernisierung osteuropäischer Armeen leisten.
Gestaltungsstrategien für mehr
Effizienz entwickeln
Deutschland sollte die Gestaltung des nationalen
und europäischen verteidigungsindustriellen Sektors
bewusster planen und vorantreiben. Weil nationale
Fähigkeiten und deren erforderlichen Weiterent-
wicklungen voraussichtlich nicht in allen Bereichen
effizient finanziert werden können, spielt die ge-
sicherte Versorgung im Rahmen internationaler
Kooperationen eine zentrale Rolle. Aufgrund der
bestehenden politischen und industriellen Verflech-
tung, aber auch der politischen Visionen ist die
EU hier der zentrale Rahmen.
29. 29Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
4.0 Ausblick: Die Zukunft des deutschen
Rüstungssektors gestalten
Verteidigungsindustrielle Gestaltungsstrategien erfordern grundlegende Überlegungen in drei Dimensionen
Funktion der verteidigungsindustriellen
Basis in Europa bestimmen:
• Wird die Struktur industrie- und strukturpolitisch
oder sicherheitspolitisch bestimmt?
• Welche Fähigkeiten sollte die verteidigungs-
industrielle Basis besitzen?
Kooperationen und Partner identifizieren:
• Mit welchen Staaten könnte Deutschland koope-
rieren und unter welchen Bedingungen?
• Welche Bedarfe werden so abgedeckt?
• Was kann Deutschland verlässlich anbieten?
Anbieterstruktur und Versorgungs-
sicherheit definieren:
• In welchen Segmenten kann Deutschland nationale
Monopole akzeptieren?
• Wie kann ein Wettbewerb der nationalen
Champions auf europäischer bzw. internationaler
Ebene gewährleistet werden?
• Welche nationalen und internationalen Abhängig-
keiten ist Deutschland bereit einzugehen und mit
welchen Risiken ist es bereit umzugehen?
• Welche Struktur ist langfristig bezahlbar?
30. 30 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
Grundlage für eine erfolgreiche Gestaltungstrategie
Eine Gestaltungsstrategie bedeutet im Wesentlichen, Angebot und
Nachfrage von Streitkräften und Industrien über Europa hinweg zu
kennen, zu vernetzen und zu gestalten. Eine notwendige Grundlage
für eine erfolgreiche Gestaltungsstrategie auf EU-Ebene sind die
relevanten Informationen und das Beobachten von Veränderungen
in folgenden Bereichen:
• Monitoring europäischer Streitkräfte und militärischer
Fähigkeiten: Die Regierung sollte einen regelmäßig zu erstellenden
systematischen Überblick über die militärischen Fähigkeiten und
die Ausrüstung seiner Partner in EU und NATO besitzen wie auch
über jene Beschaffungen, die diese in Zukunft durchführen wollen.
So lassen sich Optionen zur Kooperation, etwa bei Beschaffungen,
früh erkennen.
• Industrielle und technologische Fähigkeiten: Analog zur Be-
standsaufnahme und zum Monitoring bei den militärischen Fähig-
keiten sollte die Regierung den Mapping-und-Monitoring-Ansatz
für Streitkräfte und Fähigkeiten auch auf industrielle und technolo-
gische Fähigkeiten übertragen.
• Verfahren für Beschaffungen und Kooperationen: Um die Wider-
sprüche zwischen Rüstungspolitik und Rüstungsmanagement auch
bei den Partnern von Anfang an zu kennen und gering zu halten,
sollten die Charakteristika der Beschaffungsprozesse der Partner
erfasst und auf Möglichkeiten der Harmonisierung untereinander
und mit Deutschland geachtet werden.
Konsolidierung und Marktzugang gestalten
Konsolidierung und Wettbewerb können vor allem im Rahmen der
bewussten Internationalisierung von Märkten zusammengebracht
werden, was wiederum erlaubt, nationale Beschränkungen zu über-
winden. Teil entsprechender Anreizstrukturen wäre die gesicherte
Möglichkeit des Marktzugangs deutscher Unternehmen in anderen
Ländern und umgekehrt. Der internationale Wettbewerb ersetzt den
nationalen und kann so den Unternehmen einen Anreiz zum Erhalt
der Innovationskraft geben. Ferner wird ein Anreiz zum Erreichen
einer kritischen Größe gegeben, um auf internationaler Ebene wett-
bewerbsfähig zu sein.
Dieser Lösungsansatz wirkt vor allem dann, wenn der Staat die not-
wendigen Voraussetzungen schafft: gesicherte Exportpraxis und
-unterstützung sowie Absenken der Barrieren für den Zugang aus-
ländischer Unternehmen zum eigenen Markt. Für die EU-Staaten bie-
tet es sich an, in Zukunft Ausschreibungen grundsätzlich gemäß den
Regeln für öffentliche Ausschreibungen im Verteidigungsbereich zu
machen bzw. tatsächlich umzusetzen.
Zusammenfassend werden die Europäisierung der Verteidigungs-
politik und Beschaffung sowie die Konsolidierungsinitiativen der
Industrie mit dem Ziel einer gesteigerten Effizienz und Innovationsfä-
higkeit nur ein Erfolg, wenn durch einheitliche europäische Standards
und Exportrichtlinien ein verlässlicher Rahmen geschaffen wird.
Auch wenn Deutschland ein Interesse an einer starken und zukunfts-
fähigen nationalen verteidigungsindustriellen Basis hat, so kann die
Politik der Industrie zentrale Entscheidungen nicht abnehmen, etwa
wie sich die Unternehmen aufstellen, um zukunftsfähig zu sein —
mit wem sie kooperieren und welche Kapazitäten sie
erhalten, auf- und abbauen wollen.
31. 31Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
4.0 Ausblick: Die Zukunft des deutschen
Rüstungssektors gestalten
Permanenter Wandel wird Grund-
bedingung für Beschaffung sein
Bislang ist die Agenda Rüstung reaktiv. Ihr Ausgangs-
punkt ist eine Analyse der bestehenden Projekte und
Beschaffungen. Das ökonomische Dilemma und die
Beschleunigung der technologischen Innovation
machen es aber erforderlich, permanenten Wandel
als Charakteristikum der Beschaffung zu begreifen.
Der Beschaffungsprozess muss so konzipiert werden,
dass seine stetige Weiterentwicklung als gewinnbrin-
gend und notwendig von Anfang an mitgedacht wird.
Der Inbegriff dieses Wandels ist die Digitalisierung,
also die immer weitere Einbeziehung der Informati-
onstechnologie in alle Produkte und Dienstleistun-
gen, die in Zukunft beschafft werden. Schon weil
die Innovationszyklen in diesem Bereich um ein Viel-
faches schneller sind als bei den klassischen Rüs-
tungsprodukten und komplexen Plattformen, dürfte
eine ständige Anpassung der IT-Anteile fester und
umfangreicher Bestandteil zukünftiger Produkte sein.
Gleichzeitig wird die IT immer mehr zum Herzstück
der militärischen Fähigkeiten.
Deshalb muss der Beschaffungsprozess diese Dyna-
mik aufnehmen können. Informationen über das
gewünschte Produkt, die für die Ausschreibung ver-
4.3
Kommende Herausforderungen
aufgreifen
fügbar sein müssen, haben womöglich eine neue
Qualität. Das kann bedeuten, dass die Anforderun-
gen an das Produkt dynamisch formuliert werden
müssen. Dies hat dann auch Rückwirkungen auf
die Vertragsgestaltung.
Neue Unternehmenskulturen werden
eine Herausforderung für die öffentliche
Verwaltung
Ein Blick in die USA und die dort stattfindende
Entwicklung rund um die „Third Offset Strategy“
zeigt, dass mit den neuen Technologien auch neue
industrielle Akteure zu relevanten Bietern werden.
Doch Unternehmen, die im Wesentlichen kommerzi-
elle IT-Lifestyle- und Softwareprodukte sowie ent-
sprechende Dienste anbieten, dürften für das Vertei-
digungsministerium zumindest ungewohnte Partner
sein. Zugleich ist nicht zu erwarten, dass diese
Unternehmen ein großes Interesse haben, im Vertei-
digungsbereich tätig zu werden. Sie sind es nicht
unbedingt gewohnt, mit den sehr speziellen Vergabe-
regeln und Prozessen eines Verteidigungsministeri-
ums umzugehen. Auch könnten die Gewinnmargen
vor dem Hintergrund der finanziellen und nichtfinan-
ziellen (z. B. Image) Risiken nicht attraktiv sein, so-
dass sie einem Engagement im Verteidigungsbereich
32. 32 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
eher reserviert gegenüberstehen. Das Verteidigungs-
ministerium müsste sich um Anbieter bemühen, um
technologisch weiterhin mithalten zu können. Das
wiederum wäre eine neue Art des Umgangs mit
potenziellen Auftragnehmern.
Diese neue Beziehung sollte das Verteidigungs-
ministerium frühzeitig bewusst gestalten: Ein konti-
nuierliches Scanning der infrage kommenden Unter-
nehmen mit Blick auf ihre Unternehmenskultur und
mögliche Formen der Zusammenarbeit könnte los-
gelöst von einer konkreten Anfrage erfolgen. So er-
geben sich Ansatzpunkte für die Bewertung, welche
Anbieter überhaupt infrage kommen und welche
Art von Angebot attraktiv sein könnte.
Cyber- und Informationstechnologien
wandeln die Industriestruktur umfassend
Die Einbeziehung der Cyber- und Informationstechno-
logien in die Verteidigung wird in den kommenden
Jahren die Industriestruktur tief greifend verändern:
Digitalisierung bedeutet nicht nur die Vernetzung der
Systeme und das Entstehen neuer Produktionsfor-
men (Industrie 4.0); es bedeutet auch, dass zuneh-
mend neue Wettbewerber (und damit auch neue
Anbieter für die Bundeswehr) auftauchen und neue
Kooperationen mit Partnerstaaten möglich werden.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob deutsche Unter-
nehmen an den Kooperationen teilnehmen können
oder die Exportpraxis dies verhindert. Die Verände-
rungen beschränken sich nicht auf ein Segment der
Industrie. Weil die Digitalisierung ein Querschnitts-
thema ist und tendenziell alle Systeme — von der
Aufklärung bis zur Waffe — miteinander vernetzbar
sein sollen, wird auch der Wandel die gesamte
Branche erfassen und verändern. Die Vernetzung
bietet Chancen aber auch Risiken, die u. a. mit ent-
sprechenden Cyberabwehrstrategien (z. B. security
by design) aufgefangen werden müssen.
Fähigkeiten im Bereich der Cyber- und Informations-
technologien sind in Zukunft sicherheitspolitisch
ausschlaggebend. Deutschland kann in diesem Be-
reich militärisch und industriell seine Bedeutung noch
erheblich steigern. Deshalb sollten die technologi-
schen und industriellen Entwicklungspotenziale
deutscher Unternehmen für Cyber- und Informations-
technologien im Sicherheits- und Verteidigungsbe-
reich dringend als Fallstudie untersucht werden. Hier-
auf aufbauend könnte der Investitionsbedarf für eine
größere Rolle deutscher Unternehmen analysiert und
die daraus resultierenden notwendigen Innovations-,
Industrie- und Partnerstrategien abgeleitet werden.
Solch eine Studie könnte wegweisend für den bevor-
stehenden Strukturwandel der Branche insgesamt
sein. Ferner sollten in diesem Zusammenhang gesell-
schaftspolitische Fragen zu dem Einsatz von auto-
nomen Waffensystemen, aufgeklärt geführt und in
eine rüstungspolitische Strategie überführt werden.
33. 533Rüstung und Beschaffung in Deutschland |
5.0
Schlussbemerkung
Rüstung wird bis heute in Deutschland
als ein Beitrag zu Konflikten gesehen —
nicht als ein Betrag zu mehr Sicherheit des
eigenen Landes, seiner Bürger und jener
Partner, die umgekehrt Deutschlands
Sicherheit garantieren. Ohne eine sicher-
heitspolitische Begründung bleiben die
Entscheidungen für militärische und auch
für rüstungspolitische Kooperationen
und Projekte fragil. Die immer wichtiger
werdenden internationalen Partner haben
den Eindruck, sich auf Deutschland nicht
langfristig verlassen zu können, weil es
keinen nationalen Grundkonsens hinsicht-
lich der sicherheitspolitischen Bedeutung
von Rüstung gibt.
Die nächste Bundesregierung und das
neue Parlament sollten diese sicherheits-
politische Begründung für Rüstung liefern
und kontinuierlich in den Dialog mit der Be-
völkerung eintreten. So kann schrittweise
eine aufgeklärte Debatte über die Vor- und
Nachteile von Rüstung möglich werden.
Rüstung als Beitrag zu Sicherheit und
Verantwortung etablieren
34. 34 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland
Mit 230.800 Mitarbeitern ist EY eines der weltweit
größten Prüfungs- und Beratungsunternehmen. EY
nimmt in jedem Industrieland eine Spitzenposition
im Markt bezüglich des Dienstleistungsangebots ein.
Unsere Mitarbeiter in über 700 Büros in mehr als
150 Ländern bieten Ihnen umfassende Fachkompe-
tenz mit weltweit einheitlichen Qualitätsstandards.
Dank unserer grenzüberschreitenden Management-
struktur, die unsere Niederlassungen weltweit auf
vier geographische Areas aufteilt, sind wir das am
stärksten integrierte Wirtschaftsprüfungs- und Be-
ratungsunternehmen der Welt. Dadurch können wir
unsere Mitarbeiter und Aktivitäten besser darauf
ausrichten, das Bedürfnis unserer Kunden nach welt-
weit einheitlicher Dienstleistungsqualität und zu-
gleich die länderspezifischen (aufsichts-)rechtlichen
Vorschriften zu erfüllen.
Die EMEIA-Area ist in zwölf Regionen unterteilt.
Als eine der größten umfasst GSA Deutschland, die
Schweiz, Österreich und Liechtenstein und vereint
damit die Großzahl der deutschsprachigen EY-Mit-
arbeiter in einer operativen Einheit.
Ein weiterer Vorteil unserer global integrierten
Struktur ist, dass wir für unsere Mandanten rasch
die besten Teams zusammenstellen, die über die
nötige Branchenerfahrung, Fachkompetenz und
geographische Nähe verfügen.
Ihre Vorteile:
• Rasche Entscheidungen und Antworten
• Zeitnahe Lösung offener Punkte
• Auf Sie zugeschnittenes Team
• Zugang zu weltweiter Expertise und
relevanten Publikationen
• Kenntnisse weltweiter Trends in Ihrer Branche
• Weltweit gleich hohe Dienstleistungsqualität
EY — Integriert und
mit weltweiter Präsenz
35. Ihre Ansprechpartner
Alexander Kron
Leiter Transaction Advisory Services in Deutschland,
Österreich und Schweiz
Telefon +49 89 14331 17452
alexander.kron@de.ey.com
Dr. Ferdinand Pavel
Executive Director
Telefon +49 30 25471 18919
ferdinand.pavel@de.ey.com
Alexander Misgeld
Senior Manager
Telefon +49 30 25471 20841
alexander.misgeld@de.ey.com
Herausgeber
Ernst Young GmbH
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Arnulfstraße 59
80636 München
Bildnachweise
Getty Images, iStockphoto
Design
Medienmassiv, Stuttgart
medienmassiv.com