Rede von Michael Müller, Bürgermeister und Senator für Stadtentwicklung und Umwelt des Landes Berlin, auf dem eMobility Summit am 21. Mai 2012
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Rede des Bürgermeisters von Berlin und Senators für Stadtentwicklung und
Umwelt
eMobility-Summit des Tagesspiegels am Montag, 21. Mai 2012, ab 14:30 Uhr
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Sehr geehrter Herr Casdorff,
sehr geehrter Herr Maroldt,
sehr geehrte Damen und Herren,
herzlichen Dank für die Einladung und die Möglichkeit, hier über eines der
großen Themen für die Zukunft Berlins zu sprechen:
den Wandel der großstädtischen Mobilität und die Chancen der
Elektromobilität.
Erst vor kurzem hat die von der Bundesregierung eingesetzte Jury die
Hauptstadtregion Berlin/Brandenburg als eine von bundesweit vier
„Schaufenstern für Elektromobilität“ gekürt.
Das ist ein riesiger Erfolg für die Region und wird dem Thema einen
kräftigen Schub verleihen. Ich möchte an dieser Stelle der Bundesregierung
und den Vertretern der Jury ausdrücklich auch im Namen des Senats von
Berlin für diese Auszeichnung danken, ganz besonders aber auch Allen, die
mit einer qualifizierten Bewerbung unserer Region zum Erfolg beigetragen
haben. Das war kein Alleingang der Politik oder eine
Marketingveranstaltung, sondern eine Bewerbung mit Substanz und
Perspektive – eine Bewerbung, hinter der die ganze Region mit einer breiten
Allianz von 257 Partnern steht: aus Industrie, Wissenschaft und Politik.
Diese Qualität der Bewerbung hat die Jury gewürdigt und das Versprechen
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einzulösen, das wir damit abgegeben haben, wird unsere gemeinsame
Aufgabe in den nächsten Jahren sein.
Ich spreche hier als Vertreter des Senats von Berlin, mein Fokus liegt daher
auf den Chancen für die Stadt.
Aber schon die Bewerbung hat gezeigt: Wir ziehen mit Brandenburg an
einem Strang. E-Mobility ist eine gewaltige Chance für die Region als
Ganzes. Und mit der Agentur für Elektromobilität (eMO) haben wir eine
wirksame Bündelung der Kräfte über Berlin hinaus erreicht.
Was will die Metropolregion mit den Schaufensteraktivitäten in den nächsten
3 bis 4 Jahren erreichen? Die Hauptstadtregion soll Labor und Leitmetropole
für den Elektroverkehr in Europa werden. In Berlin und Brandenburg wird in
den nächsten Jahren ein auf erneuerbaren Energien basierendes
Verkehrssystem modellhaft erforscht, erprobt und optimiert.
Das Ziel ist, die Möglichkeiten des Elektroverkehrs öffentlich sichtbar und
erfahrbar zu machen.
Um dieses Ziel zu erreichen sollen in allen relevanten Geschäftsfeldern des
Elektroverkehrs – Fahrzeuge, Infrastruktur und Dienstleistungen –
Kompetenzen erweitert oder neu aufgebaut werden.
Wir haben es mit einem breiten Spektrum von Anwendungsmöglichkeiten für
integrierte Mobilitätsangebote und zukunftsorientierte Antriebssysteme zu
tun: Vom motorisierten Individualverkehr in privaten Haushalten, zum
Carsharing bis hin zum elektrischen Güterverkehr mit Lkw und Transportern.
Die Konzepte vernetzen Fahrzeug, Verkehr und Energie, d. h. sie gehen
über die individuelle automobile Anwendung hinaus. Sie zielen auf eine
Multimodalität im Verkehr sowie auf den Einsatz und die Speicherung
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regenerativer Energien, denn Elektromobilität ist nur dann umwelt- und
ressourcenschonend, wenn der Strom regenerativ erzeugt wird.
Weltweit sehen wir, wie zunehmende Mobilität zu erheblichen ökologischen
Belastungen führt und auch an Kapazitätsgrenzen stößt. Berlin wird
international beneidet um sein vernetztes Verkehrssystem. Zudem liegen
hier – in der Stadt von Siemens und Borsig – die Wurzeln vieler innovativer
Ansätze, gerade im Bereich elektrischer Antriebe. Denken Sie nur an die
ersten Straßenbahnen und U-Bahnen. An diese Tradition knüpfen wir heute
an, indem wir Lösungen für die Mobilität im 21. Jahrhundert entwickeln.
Und da geht es vor allem um Eines: Mobilität, die nachhaltig ist, die
Lebensqualität für die Bevölkerung verbessert, die unser Klima schützt und
die Wirtschaft nachhaltig stärkt. Wir wollen mit Hilfe von Referenzprojekten
in Berlin die Entwicklung innovativer Technologien und Dienstleistungen
unterstützen und international vermarkten. Das ist unsere Perspektive für
Berlin und die ganze Hauptstadtregion.
Denn damit schaffen und sichern wir qualifizierte Arbeitsplätze. Auch das ist
ein großes Ziel, das wir mit unserer E-Mobility-Strategie verfolgen.
Die Mobilität in den Großstädten verändert sich grundlegend. Die Auto-
Branche erfindet sich gerade neu. Die Zukunft gehört dem emissionsfreien
Auto. E-Mobility wird damit zu einer Schlüsselindustrie der Zukunft.
Und der Wandel der Mobilität ist eine große Herausforderung für die
Stadtpolitik als Ganzes, der sich der Senat stellt.
Der Ansatz ist dabei ressortübergreifend, was Sie unter anderem heute auch
daran sehen, dass gleich meine für Wirtschaft zuständige Kollegin Frau von
Obernitz zu der Diskussion im Panel beitragen wird.
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Berlin und Brandenburg und ihre 257 Partner haben sich im Rahmen des
Schaufensterprogramms mit 74 Projekten beworben, darunter sind 35
Kernprojekte mit einem Gesamtvolumen von rund 165 Mio. Euro.
Rund 75 Mio. Euro investiert die Wirtschaft; Berlin unterstützt mit bis zu 25
Mio. Euro aus Landesmitteln.
Aus der Wirtschaft beteiligen sich die größten Automobilhersteller, im
Bereich Energie- und Fahrzeugtechnik sind es die Branchenführer.
Die Sparte Verkehr und Logistik ist mit Weltfirmen vertreten, drei der vier
großen deutschen Energieversorger machen mit, ebenso wie namhafte
Unternehmen aus dem Bereich Informations- und Kommunikations-
technologie. Neben diesen Spitzenunternehmen sind aber auch die 90
kleinen und mittleren Unternehmen wichtige Pfeiler der Bewerbung von
Berlin-Brandenburg; diese machen allein ein gutes Drittel (35%) aller
Beteiligten aus.
Berlin hat hervorragende Potenziale, um als Vorreiter und Modellstadt für
neue Mobilität und regenerative Energie zu wirken. Bevor ich die Chancen
beschreibe, die die Auswahl Berlins und Brandenburgs als internationales
Schaufenster für E-Mobilität für unsere Stadt bedeutet, möchte ich daher
kurz darauf eingehen, was wir zu bieten haben:
• Die Hauptstadtregion ist ein erstklassiger Standort für
interdisziplinäre Forschung und Bildung. Renommierte wissen-
schaftliche Institute haben hier ihren Sitz und allein an der
Technischen Universität Berlin kooperieren 21 Lehrstühle aller
Disziplinen in einem „Forschungsnetzwerk Elektromobilität“.
• Berlin ist Seismograph für neue Trends, hier gibt es eine innovative
Industrie, die sehr gut mit der Wissenschaft vernetzt ist.
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• Mit dem Sitz der Bundesregierung, von Botschaften, Verbänden und
Medien ist die Hauptstadt im Zentrum der Aufmerksamkeit, und zwar
national und international.
• Und das auch als Touristenmagnet: Berlin ist nicht nur die
meistbesuchte deutsche Stadt, sondern bereits Nr. 3 in Europa.
Zudem ist Berlin Deutschlands Kongressstadt Nr. 1 und weltweit an
vierter Stelle.
• Die Metropole zieht junge, kreative, an Innovationen interessierte
Menschen aus der ganzen Welt an.
• Berlin-Brandenburg ist Spitzenreiter bei umweltfreundlichen
Verkehrsmitteln und erprobt seit Jahrzehnten zukunfts-orientierte
Antriebssysteme, z. B. erdgas- und wasserstoffbetriebene
Fahrzeuge. Seit 2008 haben mehrere Bundesministerien zahlreiche
Elektromobilitätsprojekte in der Region unterstützt. Die
Hauptstadtregion steht mit den meisten Fahrzeugen und Projekten
sowie dem größten Netz an öffentlicher Ladeinfrastruktur an der
Spitze aller deutschen Städte.
• Neue Mobilitätskonzepte und –produkte treffen auf große Offenheit
und Neugier der Bevölkerung, da die Region über ein sehr gut
ausgebautes ÖPNV-Netz verfügt und rund die Hälfte aller Haushalte
in Berlin keinen eigenen PKW besitzen. Daher haben hier
Mobilitätsangebote und Carsharing-Modelle, die auf die flexible
Verkehrsmittelwahl abzielen, große Chancen.
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• Die Region eignet sich sehr gut zur Erprobung des Zusammenspiels
von erneuerbaren Energien, intelligentem Netzmanagement und
Zwischenspeicherung mittels Elektromobilität. Brandenburg kann die
gesamte Region mit regenerativ erzeugter Energie versorgen,
während Berlin zur Speicherung und zum Lastmanagement
beitragen kann.
• Die Bereitschaft namhafter Spitzenunternehmen und innovativer
KMU, sich im Schaufenster entlang der gesamten
Wertschöpfungskette zu engagieren, ist groß.
• Und mit der Berliner Agentur für Elektromobilität eMO besteht in der
Hauptstadtregion bereits eine anerkannte Umsetzungsstruktur für
das Schaufenstermanagement.
Der Schaufensteransatz setzt auf die Anwendung marktreifer oder in naher
Zukunft kommerziell einsetzbarer Technologien und Applikationen. So soll
der konkrete Nutzen der Elektromobilität durch „Orte der Elektromobilität“
sichtbar und erfahrbar gemacht werden.
Dabei handelt es sich um zehn bis zwölf geografische Schwerpunkte in der
Region, an denen sich die breite Öffentlichkeit über Elektromobilität
informieren und selbst ausprobieren kann. Ich will nur einige hervorheben,
wie z. B. den „Potsdamer Platz“ in Berlin-Mitte, das neu zu errichtende
nachhaltige Wohnquartier „Möckernkiez“ in Kreuzberg, das EUREF-Gelände
sowie der Bahnhof Südkreuz mit einer „intelligenten Mobilitätsstation“ in
Schöneberg und weitere Infopunkte in der Berliner Innenstadt, z.B. am
Berliner Hauptbahnhof und auf dem Alexanderplatz. An einem der
international sichtbarsten Orte Berlins, dem Tempelhofer Feld, wird ein
Kompetenzzentrum Elektromobilität in einem temporären Gebäude
entwickelt mit einer angrenzenden Fahrerlebnisstrecke zum Erfahren und
Testen von Elektromobilität.
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Worin liegen die Chancen unseres Schaufensters?
In der Hauptstadtregion soll im Rahmen des Schaufensters die gesamte
Wertschöpfungskette der Elektromobilität von der Forschung und
Entwicklung über die Produktion bis hin zur Anwendung und Ausbildung
abgebildet werden. Das bedeutet die Förderung von Forschung und
Industrie. Innovative Unternehmen können sich mit anwendungsnaher
Forschung vernetzen, um zum Beispiel neue Speichermöglichkeiten und
neue Antriebsarten zu entwickeln. Hierbei können Kompetenzen mit Zukunft
auf- und ausgebaut werden.
Im Kontext der Energiewende erhält die Region die Chance, die Infrastruktur
der Energieversorgung auszubauen und intelligente Netze zu schaffen.
Fahrzeugakkus eröffnen Potentiale als Zwischenspeicher für Strom aus
erneuerbarer Energieträgern. Deren Einbindung in das Stromnetz durch ein
Energie- und Netzmanagement gilt es zu entwickeln.
Die regionale Konstellation – der “Großverbraucher Berlin” in der Mitte des
bei der Erzeugung von Windstrom ganz weit vorn liegenden “Energielands
Brandenburg” - bietet beste Voraussetzung für die Erprobung dieser neuen
Potentiale.
Das ist auch im Zusammenhang zu sehen mit Fortschritten im Klimaschutz
und der Verringerung von CO2-Ausstoß.
Elektroverkehr bedeutet weniger Emissionen, aber auch Lärmreduzierung.
Das bringt für Berlin Vorteile bei der innerstädtischen Güterverteilung, denn
Logistikprozesse können effizienter gestaltet werden. Durch die geringere
Lärmemission von Elektro-Lkw besteht z.B. die Möglichkeit, innerstädtischen
Lieferverkehr in verkehrsärmere Tagesrandstunden zu verlagern. Dadurch
werden Verkehrsströme entzerrt.
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Die nachhaltige Entwicklung der Stadt profitiert von den Orten der
Elektromobilität wie z. B. bei der Nachnutzung des Flughafens Tegel, die
über den Zeitrahmen des Schaufensters hinaus Bestand haben werden.
Ich habe es schon erwähnt, aber man kann es gar nicht oft genug sagen:
Für uns ist es ein ganz wichtiger Punkt, dass innovative, anspruchsvolle
Arbeitsplätze für Fachkräfte aus der Region mit all ihren einschlägigen
Hochschulen und Forschungseinrichtungen, aber auch für kluge Köpfe aus
aller Welt entstehen.
Die Verkehrs- und Städtebaupolitik hat dabei zahlreiche Aufgaben zu
erfüllen, von denen ich hier nur einige nennen möchte:
• Einerseits muss deutlich gemacht werden, dass E-Mobility in einem
überschaubaren Zeitraum Vorteile für Berlin in verkehrs- und
umweltpolitisch relevanten Handlungsfeldern bringen wird, in denen
großer Handlungsbedarf besteht; z. B. bei der innerstädtischen
Güterverteilung und im Berufspendlerverkehr.
• Andererseits sind aber auch Zielkonflikte zu lösen: Die Interessen
von Energieversorgern, Industrie und Verbraucher müssen
abgestimmt werden, Verkehrspolitik aber auch die
Verkehrsteilnehmer müssen umdenken.
• Für die Fortschritte bei der Einführung von E-Mobilität ist die
Infrastruktur entscheidend. Es sind ausreichende Kapazitäten im
Stromnetz und eine ausreichende Infrastruktur zum Laden der
Fahrzeugakkus zu schaffen. Die Standorte der Ladestationen im
öffentlichen Raum sind nutzerorientiert, aber auch mit ausreichender
Sensibilität auszuwählen. Ladesäulen aller deutschen oder gar
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europäischen Stromerzeuger rund um das Brandenburger Tor
möchte ich mir nicht ausmalen müssen.
• Und nicht zuletzt: Die Infrastruktur muss finanziert werden.
Berlin hat sich in den letzten Jahren mit stabilem Wachstum als dynamischer
Wirtschaftsstandort etabliert. E-Mobility bietet neue zusätzliche Perspektiven
für die Zukunft der Stadt.
Das Schaufenster bietet Berlin die Chance, sich als technologiefreundliche,
innovative und aufgeschlossene Metropole zu profilieren, in der sich neue
urbane Lebensweisen entwickeln und neue Formen der Mobilität im 21.
Jahrhundert erforscht, entwickelt, erprobt und hergestellt werden.
Aber jetzt heißt es auch: Gemeinsam alle Kräfte bündeln, um auch
international mit diesem Thema zu punkten. Berlin-Brandenburg kann seine
herausragende internationale Sichtbarkeit nutzen, um nicht nur das eigene
Schaufenster zu präsentieren.
Als „Schaufenster der Schaufenster“ lädt die Hauptstadtregion die anderen
Regionen ein, ihre Aktivitäten und Ergebnisse hier einem internationalen
Publikum vorzustellen.
Mit Sicherheit kann ich sagen: Die nächsten Jahre versprechen spannende
Entwicklungen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.