14. Severin Mösinger ist begeisterter Bergsteiger
und Fotograf. Bei seinen Touren ist immer seine
Kamera mit dabei, mit der er diese Bilder einfing.
Unter anderem bestieg er im Jahr 2016 alle acht-
undvierzig 4000er der Schweiz. Zurzeit befindet
er sich in der Ausbildung zum Bergführer.
“Die Einsamkeit und Wildheit der Landschaft
ziehen mich in die Berge. Es fansziniert mich
immer wieder, dass es möglich ist, sich sicher in
dieser rauhen, lebensfeindlichen Umgebung zu
bewegen.” – Severin
Severin Mösinger
Bergführerkandidat – Fotograf – Industriekletterer
www.timelessphotography.ch
Titelbild
Eigentlich gehört die Dent Blanche zu den grossen Schweizer 4000er Gip-
feln, erreicht sie doch eine stolze Höhe von 4357m. Trotzdem ist sie nicht sehr
bekannt. Abgelegen liegt sie am Ende des Val d’Anniviers, und noch bekanntere
Gipfel in der Nähe, Matterhorn, Weisshorn, Zinalrothorn, rücken sie in den Schat-
ten.
Die Dent Blanche ist einer meiner Lieblingsberge, gerade dank der Unbe-
kanntheit und Abgelegenheit. Dazu kommen die unvergesslichen Verhältnisse
dieser Besteigung. Tags zuvor schneite es 30cm Neuschnee, darunter lag noch
einiges an Altschnee. Anstatt einer gemütlichen Klettertour auf trockenem Fels
war es also eher eine Nordwandbesteigung.
Januar
Früh starteten wir im Mittelaletschbiwak. Bei Vollmond stiegen wir über den ge-
frorenen Schnee auf, um bei Sonnenaufgang auf dem Aletschhorn zu sein. Beim
Aletschjoch wurde die Eisschicht aber so dünn, dass wir durchbrachen. Dies ver-
langsamte uns zu sehr, sodass uns die Sonne bereits unterhalb des Vorgipfels
einholte. Doch auch hier bot sich eine magische Stimmung, als die Wolken
erglühten und die Sonne hinter dem Finsteraarhorn erschien. Ein Moment,
um stehen zu bleiben und zu geniessen.
Das Finsteraarhorn und das Aletschhorn sind die beiden höchsten Gipfel im Gebiet
des UNESCO Weltnaturerbe «Jungfrau-Aletsch». Obwohl sie geographisch
zum Wallis gehören, spricht man von den «Berner Alpen».
Februar
Mächtig trennt der Grand Combin die Täler Val de Bagnes und Val d’Entremont
vom Valpelline in Italien. Seine Silhouette mit den 3 Gipfeln Combin de la Tses-
sette, Combin de Grafeneire und Combin de Valsorey ist von weit her zu erkennen.
Insbesondere die Hängegletscher werden umso eindrücklicher, je näher man
zu ihnen gelangt.
Genau diese Hängegletscher bergen grosse Gefahren. Eigentlich wäre es am
einfachsten, auf dem Band aufzusteigen, welches vom Plateau de Déjeuner zum
Gipfel des Combin de la Tsessette führt. Doch dann befindet man sich über längere
Zeit direkt unter dem Hängegletscher, von welchem sich immer wieder Eis löst
und auf das Band donnert – ein nicht vertretbares Risiko.
März
Die Aufstiegsroute auf den Grand Combin führt im Winter über das Couloir du
Gardien. Dieses zieht sich vom Plateau de Déjeuner hinauf zum Hochplateau
zwischen Combin de Grafeneire und Combin de Valsorey, wobei als Abschluss diese
Gletscherbruchzone durchklettert werden muss. Dieser Aufstieg ist zwar um
einiges steiler und technisch anspruchsvoller als «Le Corridor», doch objektiv
sicherer.
Die Wegfindung durch die Brüche erforderte einiges an Gespür, um den ein-
fachsten Durchschlupf zu finden. Die erste der beiden Seilschaften versuchte
hier direkt durch steilen Pulverschnee über den Abbruch hinauf zu gelangen.
Doch der einfachere Weg versteckte sich weiter rechts über eine kurze Eisstelle.
April
Bei guten Bedingungen, solange genügend Firn vorhanden ist und die Spalten
gefahrlos überquert werden können, kann das Weissmies über den Triftgletscher
ohne grössere Schwierigkeiten erreicht werden. Im Sommer 2017 musste die
Route aber für längere Zeit gesperrt werden, da ein Abbruch eines Hänge-
gletschers erwartet wurde. Dieser Abbruch verschüttete dann auch grössere
Teile des Aufstiegs; verletzt wurde dank der Sperrung aber niemand.
Wir konnten bei sehr guten Bedingungen das Weissmies besteigen. Trotz eisiger
Kälte verzichteten wir darauf, uns wärmer anzuziehen, wir gingen stattdessen
einfach etwas schneller. Dadurch erreichten wir den Gipfel als erste an diesem
Tag, doch der bissige Wind verkürzte die Gipfelrast ungemein.
September
Markant erhebt sich der spitzige Gipfel des Zinalrothorns. Mehrere mit-
telschwere Routen erreichen den Gipfel über die verschiedenen Grate, weswe-
gen er ein begehrtes Ziel ist.
Während die meisten anderen Seilschaften über den Normalweg zum Gipfel
stiegen, wählten wir den längeren Rothorngrat. Dieser bietet schöne Kletterei in
bestem Fels und Einsamkeit. Dennoch erlebten wir die Tragödien mit, welche
sich auf der Normalroute abspielten. Dauernde Helikopterflüge liessen es zur
bedrückenden Gewissheit werden, dass anderen Berggängern etwas zugestos-
sen sein musste. In der Hütte erfuhren wir, dass zwei Personen unabhängig
voneinander abgestürzt waren, eine davon tödlich.
August
Immer wieder fasziniert mich im Hochgebirge der Sternenhimmel. Weit weg
von störenden Lichtquellen sind noch viel mehr Sterne sichtbar als im Mit-
telland. Doch auch hier, von der Mönchsjochhütte zum Aletschhorn blickend,
zeichnet sich am Horizont der Lichtsmog der Städte deutlich ab. Welche Städ-
te die Wolken am Himmel beleuchten, ist nicht ganz klar. Das Wallis ist zwar
nahe, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass auch die städtischen Ballungs-
zentren in Norditalien dazu beitragen.
Für solche Bilder muss die Belichtungszeit relativ kurz eingestellt werden, da
ansonsten die Sternen-Punkte zu Strichen werden. Hier waren es “nur” 30
Sekunden.
Juli
Nach einer Tour auf den Piz Bernina wollten wir von der Marco e Rosa Hütte
aus den Piz Palü überschreiten. Doch regelmässige Gewitter und meist dichter
Nebel zwangen uns, direkt über den Fortezzagrat zur Diavolezza abzustei-
gen. Ebenso wie alle anderen Bergsteigerinnen und Bergsteiger, welche in der
Hütte übernachtet hatten.
Der Fortezzagrat ist zwar nicht besonders schwierig, dennoch muss über einige
Felsstufen abgeseilt werden. Wie man sich unschwer vorstellen kann, führt dies
bei mehreren Seilschaften zu langen Wartezeiten, was bei Kälte und Nässe
natürlich nicht sehr angenehm ist. Glücklicherweise konnten wir die Zeit doch
noch für einen Gipfel nutzen: die Bellavista eignete sich wunderbar dafür.
Juni
Gross und wild erhebt sich der Ochs gegenüber der Schreckhornhütte. Trotzdem
fristet er im Gegensatz zu den Bergen um ihn herum das Dasein eines Un-
bekannten. Ihm fehlen 106 Meter, um die magische 4000er Marke zu durch-
brechen. Gleich neben ihm befinden sich das Grosse und Hintere Fiescherhorn,
beides 4000er Gipfel. Als Zweitname trägt der Ochs daher noch die Bezeich-
nung “kleines Fiescherhorn”, auch wenn er hier sehr dominant wirkt.
Im Abstieg vom Lauteraarhorn fesselten mich die sich rasch ändernden Wolken-
formationen. Der Föhn blies über die Gipfel und zeichnete wundervoll
geschwungene Linien an den Himmel.
Mai
Ich habe einen ambivalenten Bezug zum Wetter. Einerseits wünsche ich mir
einen wolkenlosen, blauen Himmel und keinen Wind sowie gesetzten Schnee.
Dann steht einer erfolgreichen Bergtour nichts im Wege. Andererseits liefern
diese “perfekten” Bedingungen äusserst selten das geeignete Licht für wirklich
ausergewöhnliche Bilder.
Diese Spalten wiesen uns den Weg, als wir den Persgletscher im Nebel und
Regen hinuntergingen. Nur dank dem diffusen Licht kommt die Struktur
des Eises richtig zur Geltung. Bei Sonnenschein würden viel zu harte, dunkle
Schatten dominieren.
Oktober
Im Vallée Blanche kommt man sich klein vor. Gefühlt mehrere Tagesmärsche
von jeder Ortschaft entfernt klebt das Refuge d’Envers des Aiguilles über dem Mer
de Glace.
Die Streifen auf dem Gletscher werden «Ogiven» genannt. Im Sommer nimmt
das Eis in der Bruchzone mehr Partikel auf als im Winter, wodurch es sich un-
terschiedlich abdunkelt. Doch nur unterhalb von wenigen Gletscherbrüchen
werden Ogiven gebildet. Dafür muss die Durchlaufzeit des Eises durch den
Gletscherbruch in etwa mit einem ungeraden Vielfachen eines halben Jahres
übereinstimmen.
November
Ab und zu meint man zu wissen, dass man am Berg sehr gute Verhältnisse
antreffen werde. Also zieht man los in der Annahme, den Gipfel gemütlich er-
reichen zu können. Doch unerwartet kämpft man bereits im Aufstieg zur Hütte
gegen Nebel und Wind. Dieser heult die ganze Nacht, Graupel vereisen die
Felsen, und schon muss man damit rechnen, nicht bis zum Gipfel zu gelangen.
Man beginnt dennoch mit dem Aufstieg, und unterwegs fordern einen die
Verhältnisse. Trotzdem näherten wir uns auf dem Täschhorn-Südgrat stetig
dem Gipfel. Die Hartnäckigkeit bezahlte sich aus, auf dem Täschhorn konnten
wir die Aussicht bei Sonne und angenehmen Temperaturen geniessen.
Dezember
Mit dem Finsteraarhorn schliesst sich der Jahreszyklus dieses Kalenders.
Wieder sind es die ersten Sonnenstrahlen, welche die Berge im besten Licht
erleuchten. Nur sind wir dieses Mal auf der anderen Seite der Berner Alpen,
im Aufstieg zum Schreckhorn.
Als höchster Berg der Berner Alpen sieht man das Finsteraarhorn von weit her.
Die Nordostflanke hat das ganze Jahr durch nur wenig Schnee, und das Finster-
aarhorn steht daher als dunkle Wand in den Himmel. Leider kann die Wand nur
unter sehr grossen Risiken bestiegen werden. Wegen der Erderwärmung lösen
sich auch hier immer häufiger grössere Felsbrocken.