SlideShare ist ein Scribd-Unternehmen logo
1 von 147
Downloaden Sie, um offline zu lesen
Kriterien der Evaluation von
Gesellschaftsspielen
Ein Überblick zur Beurteilung von Gesellschaftsspielen mit
Fokus auf der Altersempfehlung
Magisterarbeit
Simon Hilsdorf
Lehrstuhl Erziehungswissenschaft II
vorgelegt bei Prof. Dr. Manfred Hofer
betreut von Prof. Dr. Heinz Reinders
Mannheim, Juli 2007
Inhalt
1. Kriterien der Evaluation von Brettspielen ....................................................................1
2. Die Relevanz der Fragestellung ....................................................................................2
3. Definition des Untersuchungsgegenstands ...................................................................6
4. Das Spiel .......................................................................................................................6
4.1 Wie unterscheidet sich „Spielen“ von anderen Handlungen?.................................6
4.2 Funktionen des Spiels ...........................................................................................11
4.2.1 Traditionelle Annahmen ................................................................................12
4.2.2 Psychologische Theorien des Kinderspiels....................................................14
4.2.3 Differenzielle Funktionen des Kinderspiels...................................................16
4.2.4 Die Zone nächster Entwicklung im Spiel ......................................................20
4.3 Das Regelspiel.......................................................................................................21
4.3.1 Das Gesellschaftsspiel....................................................................................23
5. Altersempfehlung........................................................................................................24
5.1 Die Altersangabe bzw. die Altersempfehlung in der Praxis .................................27
6. Forschungsstand..........................................................................................................31
7. Spielzeugbeurteilung...................................................................................................40
7.1 Ansatz der Spielkritik............................................................................................40
7.2 Pädagogisch und entwicklungspsychologisch orientierter Ansatz .......................42
7.2.1 Ein empirischer Ansatz der Spielzeugbeurteilung.........................................43
8. Handlungstheoretischer Ansatz des Regelspiels.........................................................46
9. Forschungsstrategie.....................................................................................................51
9.1 Das Forschungsdesign...........................................................................................52
9.2 Konzeption der Studie...........................................................................................53
9.3 Der Kriterienkatalog .............................................................................................53
9.4 Anforderungen des Spiels.....................................................................................56
9.4.1 Entwicklungen bei der Motorik und der Wahrnehmung ...............................57
9.4.2 Entwicklungen auf der intellektuellen Handlungsebene................................58
9.4.3 Entwicklungen auf der kommunikativ-kooperativen Handlungsebene.........61
9.5 Zusammenfassung.................................................................................................62
10. Die Beobachtungsstudie............................................................................................63
10.1 Versuchsaufbau...................................................................................................64
10.2 Ergebnisse...........................................................................................................65
10.3 Schlussfolgerung.................................................................................................74
11. Die Fragebogenstudie ...............................................................................................76
11.1 Untersuchung der uVs unter Kontrolle der Personenmerkmale .........................80
11.2 Zusammenfassung der Ergebnisse unter Kontrolle einer Variable.....................87
11.3 Multivariate Analysen.........................................................................................89
11.4 Fragebogenstudie: Sonstiges...............................................................................92
12. Ausblick und Zusammenfassung ..............................................................................95
13. Literaturverzeichnis ................................................................................................100
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Erreichen der Qualitätsstufe I nach Riemann (1987) 33
Tab. 2: Korrespondenz von kulturellen Aufgaben und Art des Regelspiels 38
Tab. 3: Kategoriensystem für die qualitative Erfassung der Probleme 56
Tab. 4: Beobachterbogen zur Erfassung der Altersempfehlung 56
bei Gesellschaftsspielen
Tab. 5: Geschlecht der Teilnehmer 66
Tab. 6: Alter der Teilnehmer 66
Tab. 7: Probleme insgesamt 67
Tab. 8: Probleme - Halli Galli 67
Tab. 9: Probleme - Packeis am Pol 67
Tab. 10: Probleme in Abhängigkeit des Alters - "Halli Galli" 68
Tab. 11: Probleme in Abhängigkeit des Alters - "Packeis am Pol" 68
Tab. 12: problem_max 70
Tab. 13: problem_max in abhängigkeit des Alters 71
Tab. 14: Zusammenhang der Probleme einzelner Kinder bei verschiedenen Spielen 73
Tab. 15: Spielhäufigkeit 78
Tab. 16: "Für wen kaufen Sie bzw. für wen leihen Sie Spiele aus?" 78
Tab. 17: Mittelwerte und Standardabweichung der Kriterien 79
Tab. 18: Zusammenfassung in Kohorten 81
Tab. 19: Tendenzen für die Mittelwerte nach Personenmerkmal 89
Tab. 20: Ergebnissen der multivariaten Regressionen 89
Tab. 21: Angaben unter "Sonstiges" 92
Abbildungssverzeichnis
Abb. 1: Handlungsmodell nach Oerter (1999) 07
Abb. 2: Handlungsmodell des Spielens nach Oerter (1999) 08
Abb. 3: die konstruierte Realität im Spiel 13
Abb. 4: Stadien des Regelbewusstseins nach Piaget nach Oerter (1999) 32
Abb. 5: sozialisatorische Wirkung des Regelspiels nach Krappmann (1983) 36
Abb. 6: Prinzipien einer Spielzeugbeurteilung nach empirischen 45
Methoden (Einsiedler 1999)
Abb. 7: Groborientierung einer entwicklungspädädagogischen 46
Spielzeugbeurteilung nach Einsiedler (1999)
Abb. 8: Mittel der Regelspieltätigkeit nach Riemann & Otto (1990) 48
Abb. 9: Strukturkomponenten des Regelspiels 50
Abb. 10: Schematische Darstellung des Kriterienkatalogs 55
Abb. 11: Problemstärke in Abhängigkeit des Alters 69
Abb. 12: Altersverteilung der Onlineumfrage 78
Abb. 13: Mittelwert der Kriterien 80
Abb. 14: Relevanz der Kriterien in Abhängigkeit der Alterskohorte 81
Abb. 15: Relevanz der Kriterien in Abhängigkeit des Familienstandes 83
Abb. 16: Relevanz der Kriterien in Abhängigkeit des Geschlechts 84
Abb. 17: Relevanz der Kriterien in Abhängigkeit der Variable "für wen" 85
Abb. 18: Relevanz der Kriterien in Abhängigkeit der Spielhäufigkeit 86
1
1. Kriterien der Evaluation von Brettspielen
Bei der Betrachtung des Marktes für Gesellschaftsspiele fällt auf, dass sowohl in
Deutschland als auch weltweit die Zahlen der verkauften Spiele und der Neuerschei-
nungen stetig steigen. Spielen ist immer öfter auch ein Hobby von Erwachsenen zu fin-
den und nicht schon lange nicht nur mehr im Kinderzimmer zu Hause.
Dabei nahm auch die Zahl der neuerscheinenden Kinderspiele stetig zu. Viele dieser
Spiele werben mit einem pädagogischen Wert oder versprechen einen Lerneffekt für
Kinder. Unter Eltern herrscht dabei meist die einhellige Meinung, dass sich Spiele posi-
tiv auf die Entwicklung ihre Kinder auswirken.
Umso verständlicher ist es, dass Eltern versuchen, geeignete Spiele für ihre Kinder zu
finden. Schwierig ist es hingegen, diese Spiele zu identifizieren. Es gibt einige Aus-
zeichnungen für empfehlenswerte Spiele wie den „Deutschen Spielpreis“, den „Deut-
schen Lernspielpreis“, das österreichische „Spiel der Spiele“ oder auch das allgegen-
wärtige „Spiel des Jahres“ mit seinem Ableger „Kinderspiel des Jahres“. Ohne Hilfe
dieser Auszeichnungen fällt es dem Verbraucher recht schwer, ein Spiel zu beurteilen
und auszuwählen. Schaut der Käufer sich verschiedene Spielschachteln an, so wird er
feststellen, dass immer mehr Verlage mit Slogans werben, die die pädagogischen Vor-
züge eines Spiels preisen. Hat der Käufer nun ein vermeintlich gutes Spiel gefunden, so
stellt sich nun noch einmal die Frage danach, ob das Spiel für das eigene Kind auch
tatsächlich geeignet ist. Bei dieser Frage steht für Eltern oft die Altersempfehlung im
Vordergrund. Eine kleine Zahl oder eine Altersspanne entscheiden darüber ob ein Spiel
geeignet oder „noch zu schwer“ beziehungsweise „zu leicht“ für das entsprechende
Kind ist.
An sich ist die Idee einer Altersempfehlung durchaus sinnvoll, wenn sie zum einen
theoretisch begründet und zum anderen auch empirisch ermittelt worden ist. Leider ist
dies aber nur in den seltensten Fällen zutreffend. Oft sind die Altersempfehlungen viel
mehr ein „gut gemeinter Rat“ oder auch einfach eine scharf kalkulierte Benennung einer
bestimmten Zielgruppe.
Die Diskrepanz zwischen der ihr zugeschriebenen Bedeutung und der inhaltlichen Rele-
vanz dieser Altersempfehlung war es, das Thema für die vorliegende Arbeit lieferte. Es
soll hier versucht werden, das Konstrukt „Altersempfehlung“ etwas näher zu analysie-
ren und darin enthaltene Schwächen zu identifizieren. Im Anschluss daran sollen Spiele
2
daraufhin empirisch untersucht werden, ob sie für ein bestimmtes Alter geeignet sind
und gegebenenfalls neue Ideen und Anregungen zu der Altersempfehlung aufgeführt
werden.
Neben der Altersempfehlung stehen in dieser Arbeit auch andere Kriterien der Beurtei-
lung von Spielen im Blickfeld. Über eine Fragebogenstudie wurde die Bedeutung ver-
schiedener Kriterien ermittelt und anschließend analysiert. Dabei stand im Vordergrund
welche Kriterien die Käufer von Spielen für ihre Auswahl heranziehen.
2. Die Relevanz der Fragestellung
Die Relevanz der Fragestellung wurde in der Einleitung bereits kurz angeschnitten, soll
an dieser Stelle aber noch einmal ausführlicher behandelt werden. Es geht hier nun also
um die Frage, warum eine Arbeit über Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
mit Hauptaugenmerk auf Altersempfehlungen eine Relevanz besitzt.
Um eine möglichst objektive und umfassende Antwort auf diese Frage zu geben, soll
versucht werden die Relevanz auf verschiedenen Ebenen zu beleuchten. Die verschie-
denen Ebenen sind dabei die Perspektive der Konsumenten, die marktwirtschaftliche
Ebene und natürlich auch die wissenschaftliche Ebene aus Sicht der Entwicklungspsy-
chologie und Pädagogik.
Aus der Sicht der Konsumenten
Die Relevanz aus Sicht der Konsumenten beinhaltet vor allem den Anspruch nach ei-
nem Merkmal, an dem „gute Spiele“ erkannt werden können. Die schiere Zahl der Neu-
erscheinungen pro Jahr oder auch die Zahlen der Aussteller auf der weltgrößten Spiel-
warenmesse in Essen, lassen darauf schließen, dass mit mehr als 730 Ausstellern aus 31
Nationen der Spielemarkt für den Verbraucher absolut unüberschaubar ist.
Auf dem Spielemarkt gibt es zwar einzelne Kritikerpreise, Fachmagazine oder aber
auch die Altersempfehlung, um vermeintlich empfehlenswerte Spiele zu identifizieren,
jedoch handelt es sich bei diesen meist nicht um objektiv überprüfbare Kriterien.
Viele dieser Preise und Rezensionen beruhen auf dem subjektiven „Spielreiz“ des Tes-
ters und selbst wenn Spiele auf ihre Geeignetheit für eine bestimmte Gruppe getestet
werden, liegt dabei selten ein vordefinierter Kriterienkatalog vor. Eine Transparenz ist
im Bereich der Gesellschaftsspiele selten gegeben und die Nachvollziehbarkeit einzel-
ner Testergebnisse ist unter objektiven Gesichtspunkten fragwürdig.
3
Die Altersempfehlung ist hierfür ein Paradebeispiel: Fast alle Spielehersteller, Verlage
und Autoren nutzen sie, jedoch ist nirgends ein einheitlicher Kriterienkatalog vereinbart
und festgelegt worden. Aus diesem Grund sind die Transparenz der Bewertungsgrund-
lage sowie eine Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Verlagen absolut nicht gege-
ben.
Aus der Sicht der Konsumenten besteht die Relevanz dieser Arbeit darin, möglichst
objektive und vergleichbare Bewertungskriterien für Gesellschaftsspiele zu identifizie-
ren, um den Konsumenten damit eine aussagekräftige und begründete Orientierungshil-
fe für ihre Auswahl zu bieten.
Besonders die Altersempfehlung sticht dabei ins Auge, da hierbei ein Kriterienkatalog
durchaus machbar und auch absolut sinnvoll wäre. Ältere Spieler suchen sich ihre Spie-
le nach eigenen Vorlieben, Interessen und Empfehlungen von Freunden aus. Im Gegen-
satz dazu stehen Kinderspiele: Gerade diese werden von Eltern aufgrund von fragwür-
digen Slogans wie „pädagogisch empfehlenswert“ oder eben aufgrund der Altersemp-
fehlung gekauft, da das Angebot der Kinderspiele unüberschaubar ist.
Der Anspruch dieser Arbeit ist die Diskussion eines Kriterienkatalog, mit dessen Hilfe
die Altersempfehlung zu einer empirisch überprüfbaren Aussage wird, die Gesell-
schaftsspiele für eine bestimmte Altersstufe als „empfehlenswert“ charakterisiert.
Aus der marktwirtschaftlichen Sicht
Auf der marktwirtschaftlichen Ebene besteht zu allererst ein Interesse an dem Gesell-
schaftsspiel als Produkt. Verlage und auch Autoren sind daran interessiert, dass ihre
Spiele verkauft werden aber auch daran, dass sie den Wünschen und Erwartungen der
Kunden gerecht werden.
Bei der Betrachtung der Erfolgsgeschichten einiger Spiele, lässt sich schnell feststellen,
dass das Produkt „Spiel“ durchaus eine wirtschaftliche Relevanz hat. Beispielhaft dafür
ist sicherlich das Gesellschaftsspiel „Die Siedler von Catan“, das, mit seinen Ablegern
aus der Catan-Serie, über 14 Millionen Mal verkauft wurde. Die Marktforschungsgrup-
pe toy.de des „Deutschen Verbands der Spielwaren Industrie e.V.“ bestätigt diese Rele-
vanz: In von ihr veröffentlichten Mitteilungen zeigt sie, dass die „Warengruppe Spiel“
insgesamt (Spiel, Puzzles und Sammelkarten) trotz eines leichten Rückgangs immer
noch große Bedeutung hat (http://www.toy.de/fakten-2005/umsatz-2005.pdf, abgerufen
4
am 12.06.07) und der Anteil der traditionellen Spiele am Spielemarkt sogar wächst
(http://www.toy.de/fakten-2005/hauptwarengruppen-2005.pdf, abgerufen am 12.06.07).
Mit diesem marktwirtschaftlichen Potenzial sollte eine Relevanz deutlich werden, die
sich vor allem in einem Interesse an „guten Spielen“ seitens der Verlage zeigen sollte.
Die Konkurrenz zwingt Anbieter, ein bestmögliches Produkt zu liefern, welches dann
auch in einem objektiven Vergleich seine Vorzüge gegenüber anderen Produkten zeigen
sollte.
Ein Kriterienkatalog stellt dabei eine geeignete Möglichkeit des empirischen Verglei-
ches dar. Auch Umfragen zur Bestimmung der Zielgruppen sollten eine große Bedeu-
tung aus unternehmerischer Sicht haben.
Auf entwicklungspsychologischer Ebene
Letztlich stellt sich natürlich auch die Frage, was die Entwicklungspsychologie zu die-
ser Fragestellung beitragen kann und ob das Forschungsgebiet eine fachliche Relevanz
aufweist.
Die Frage nach dem Beitrag der Entwicklungspsychologie lässt sich gut aus der Ge-
schichte der Spielforschung ableiten. Die ersten theoretischen Untersuchungen des men-
schlichen Spielverhaltens gehen unter anderem zurück auf Groos, Huizinga oder aber
auch Piaget. Dabei wurde vor allem untersucht, welche Funktion das Spielen hat und in
diesem Zusammenhang auch welche verschiedenen Spielformen voneinander abgrenz-
bar sind. Gerade die Untersuchung von Spielsequenzen und deren altersbedingte Abfol-
ge (dazu in Kapitel 6 mehr) identifizieren die Altersempfehlung als Bestandteil der
Entwicklungspsychologie. Ebenso lassen sich auch Anforderungen des Spiels aufzei-
gen, deren Bewältigung in direktem Bezug zu der (altersbedingten) Entwicklung des
Spielenden stehen.
Aus Sicht der Entwicklungspsychologie sollte damit die Konstruktion eines Kriterienka-
talogs zur Messung einer Altersempfehlung möglich sein. Dieser sollte dabei theore-
tisch begründet und hinterfragt sein. Ziel eines solchen Kriterienkataloges für die Al-
tersempfehlung sollte es sein, die Probleme beim Spielen von Gesellschaftsspielen, also
deren Anforderungen, empirisch messen zu können. Dadurch sollten dann Aussagen
getroffen werden können, die ein Spiel als „dem Alter entsprechend“ empfehlen, d. h.
Spiele die mit ihren Anforderungen der Entwicklung des Kindes gerecht werden und
das Kind dabei weder unter- noch überfordern.
5
Ein weiterer wichtiger Punkt aus Sicht der Entwicklungspsychologie ist der Beitrag des
Spiels zur Entwicklung des Kindes. Neben dem Einsatz so genannter „Lernspiele“ zur
gezielten Förderung herrscht eine fast einhellige Meinung darüber, dass das Spielen
einen enormen Beitrag zur Entwicklung des Kindes beiträgt. An dieser Stelle soll auf
diesen Aspekt jedoch nicht eingegangen werden, da verschiedene Studien zu diesem
Thema mit ihren Ergebnissen in Kapitel 6 dargestellt werden.
Neben dieser Relevanz in Bezug auf Kinderspiele besteht durchaus auch Potenzial für
den Einsatz bzw. der Bedeutung von Gesellschaftsspielen in anderen Bereichen. Gerade
für Integrationsarbeit mit Migranten eignen sich Spiele hervorragend. Ebenso sollte
auch das Spielen im Erwachsenenalter sowie im Seniorenalter Interesse aus einer päda-
gogischen Perspektive wecken.
6
3. Definition des Untersuchungsgegenstands
Zentraler Gegenstand der Analyse sind in dieser Arbeit die Altersempfehlungen für
Spiele. Neben diesem Kriterium gibt es natürlich noch weit mehr Kriterien der Evalua-
tion, jedoch kann aus zeitlichen Gründen nicht auf (teilweise auch subjektive) Bewer-
tungsmerkmale wie „Spielspaß“, Material, „Lerneffekt“ usw. eingegangen werden.
Um ein genaueres Bild des Forschungsgegenstandes zu bekommen, empfiehlt es sich
erst einmal, diesen näher zu definieren. In dieser Studie muss zum einen geklärt werden,
was unter einem (Gesellschafts-)Spiel verstanden wird und zum anderen was der Be-
griff der „Altersempfehlung“ bedeutet und beinhaltet.
4. Das Spiel
Um den Begriff „Spiel“ zu klären und zu bestimmen, eignet sich der Blick auf vergan-
gene Untersuchungen und Überlegungen zu diesem Thema. Ziel sollte es dabei sein zu
erörtern, was die Handlung „Spielen“ genau ist, welche Funktion das Spielen für die
Entwicklung des Menschen hat sowie welche verschiedenen Spielformen es gibt. Inter-
essant dabei ist, dass sich Personen aus den verschiedensten Fachgebieten mit dem
Spielen auseinandergesetzt haben und diese sich diesem Thema aus sehr unterschiedli-
chen (theoretischen) Perspektiven genähert haben.
4.1 Wie unterscheidet sich „Spielen“ von anderen Handlungen?
Eine nähere Untersuchung des „Spielens“ setzt voraus, die Spielhandlung zu bestim-
men. Dazu muss versucht werden, Spielen von anderen Handlungen abzugrenzen. Das
Aufzeigen dieser Besonderheiten sollte uns näheren Einblick in die Spielhandlungen
geben. Diese Merkmale sind zwar keine Definition des Begriffs „Spiel“, jedoch sollen
sie helfen, den Gegenstand des Interesses näher zu charakterisieren.
Die Vorgehensweise orientiert sich dabei stark an den Arbeiten Oerters. Dieser unter-
sucht das Spielen aus einer handlungstheoretischen Perspektive und nennt dabei drei
Besonderheiten des Spielens. Im folgenden Kapitel sollen auf die „Handlung als Selbst-
zweck“, die „Realitätskonstruktion“ sowie auf „Ritual und Wiederholung“ als notwen-
dige Merkmale des Spielens eingegangen werden.
7
Die Handlungstheorie unterstellt dem Spielenden, wie bei jeder Handlung, ein zielge-
richtetes und absichtliches Tun. Genauer gesagt bedeutet dies, dass der Akteur zielge-
richtet, d.h. mit einer Absicht handelt und dabei einen Gegenstandsbezug hat. Dieser
Gegenstand kann beim Spielen ein Spielobjekt oder aber auch eine Person, wie die Mut-
ter des spielenden Kindes sein. Besonders zu beachten ist dabei auch, dass die Gegens-
tände nicht materiell vorhanden sein müssen, sondern auch als gedankliche Objekte
repräsentiert sein können. An dieser Stelle kann aus Gründen des Umfangs leider nicht
näher auf die verschiedenen (Spiel-) Objekte eingegangen werden. Im Laufe dieser Ar-
beit wird jedoch das Gesellschaftsspiel als Forschungsgegenstand eingehender betrach-
tet. Für einen Überblick über den Gegenstandsbezug beim Spielen sei Arbeiten Oerters
verwiesen.
Zweckfreiheit des Spielens
Die erste Besonderheit des Spiels erschließt sich bei näherer Betrachtung der Hand-
lungsfolge im Spielen. Es empfiehlt sich, dafür einen Blick auf ein an Heckhausens Mo-
tivationsmodell angelehntes Handlungsmodell zu werfen. Dieser gliedert eine vollstän-
dige Handlung in die Elemente „Situation“, „Handlung“, „Ergebnis“ und „Folge“.
Abbildung 19: Handlungsmodell nach Oerter (1999)
Eine vollständige Handlung ergibt sich demnach aus einer Situation, in der eine be-
stimmte Handlung zu einem Ergebnis führt, welches wiederum gewisse Folgen nach
sich zieht.
Der große Unterschied beim Spielen ist nach Oerter das Fehlen der Folge im Hand-
lungsmodell. Oerter meint dazu: „Beim Spielen fehlt die Berücksichtigung der Folgen,
es wird um seiner selbst willen betrieben, d. h. die Spieltätigkeit und in manchen Fällen
auch noch das Spielergebnis sind entscheidend.“ (Oerter, 1999, S.5)
Situation Handlung Ergebnis Folge
8
Abbildung 20: Handlungsmodell des Spielens nach Oerter (1999)
Sobald bei einer spielerischen Tätigkeit die Folge wieder in das Zentrum rückt, ändert
sich die Tätigkeit vom Spielen zur Arbeit. Wer Fußball „spielt“, spielt des Spielens wil-
lens, wer in der Fußball-Bundesliga wöchentlich „spielt“, der arbeitet, denn die Folge
(inklusive des Verdienens des eigenen Lebensunterhalts) steht im Vordergrund.
Intrinsische Motivation und Flow-Erlebnis
Eine weitere Besonderheit des Spiels ist der auffallende Charakter der Motivation bei
dieser Tätigkeit. Gerade Handlungen, die sich über ihre Folge definieren, beziehen ihre
Motivation meist über ebendiese. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Arbeit: Die Mo-
tivation der Arbeit wird hauptsächlich durch die Folge, also unter anderem durch den
monetären Lohn, bestimmt.
Das Aufrechterhalten des Spielens dagegen erfolgt oft, ohne ein Ziel im Blick zu haben,
sondern geschieht durch die so genannte „intrinsische Motivation“.
Verschiedene Autoren wie z. B. Heckhausen (1963/64) oder Huizinga (1955) schreiben
dem Spielen einen sich selbst verstärkenden und sich selbst belohnenden Charakter zu.
Oerter spricht dabei vor allem von zwei Erlebnisformen, die dazu führen, das Spiel auf-
recht zu erhalten. Zum einen ist dies die „Erfahrung des Aufgehens in der Umwelt, also
die Verschmelzung des Spielenden mit der Umwelt“, und zum anderen die „Erfahrung
der Heraushebung des Ichs, das gesteigerte Existenzbewusstsein oder die Selbsterweite-
rung“ (Oerter, 1999, S.7).
Unter der „Verschmelzung mit der Umwelt“ versteht Oerter, analog zu der Beschrei-
bung des Flow-Erlebnisses von Rheinberg (1989,1991), ein Aufgehen in der Tätigkeit.
Eine Verschmelzung des Selbst mit der Tätigkeit geht oft mit dem Verlust von Reflexi-
vität und der Selbstbewusstheit einher (vgl. Rheinberg, 1991).
Die „Heraushebung des Ichs“ sowie das „gesteigerte Existenzbewusstsein“ finden nach
Oerter vor allem bei der Meisterung von Tätigkeiten und Risiken in Spielen statt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die spielerische Tätigkeit sich durch diese
Besonderheiten selbst aufrechterhält und dabei in sich selbst verstärkend wirkt. Die Mo-
Situation Handlung Ergebnis
9
tivation dieser Tätigkeit definiert sich nicht über ein Endergebnis oder einen äußeren
Anreiz, sondern ist intrinsischer Natur. Der Spielende erfährt ein Aufgehen in der spie-
lerischen Handlung: er verschmilzt mit seiner Umwelt.
Dieses „Verschmelzen mit der Umwelt“ geschieht meist bei motorischen Spielen. Bei
Regelspielen dagegen überwiegt die Motivation durch die „Heraushebung des Ichs“
sowie dem „gesteigerten Existenzbewusstsein“. Der Spielende erfährt in der Meisterung
spielerischer Risiken und Anforderungen ein positives Erlebnis. Er erfährt den Reiz der
Lösung von Problemen oder seine schöpferische Kraft beim Konstruktionsspiel.
Die meisten Spiele erhalten ihre Motivation über beide Erlebnisformen. Die Bedeutung
der Verschmelzung mit der Umwelt oder der Steigerung des Existenzbewusstseins va-
riiert je nach den spielerischen Handlungen. Die Spielaktivität erscheint dem Indivi-
duum trotz seiner fehlenden Handlungsfolge sinnvoll, denn sie vermittelt „Grunderfah-
rungen menschlicher Existenz, die außerhalb des Spiels möglicherweise nicht oder nicht
mehr erfahrbar sind“ (Oerter, 1999, S.7).
Der Wechsel des Realitätsbezuges beim Spielen
Als weiteres wichtiges Kriterium des Spiels nennt Oerter den wechselnden Realitätsbe-
zug des Spiels. Entgegen der gesellschaftlichen Realität schaffen sich Spielende einen
eigenen Realitätsbezug. Dies geschieht zum Beispiel beim Spielen mit Puppen als auch
bei Gruppenspielen wie „Räuber und Gendarm“ oder den Regelspielen, bei denen meh-
rere Spieler gemeinsam in einen anderen Realitätsbezug wechseln können.
Diese Konstruktion einer eigenen Realität im Spiel findet sich auch im Tierreich. Hier
tragen Jungtiere spielerische Kämpfe aus oder spielen mit einer fiktiven Beute. Diese
Parallelen zum menschlichen Spielen eignen sich gut zur Erklärung des Phänomens
„Spielen“. Jungtiere und auch Kinder können im Spiel durch die Konstruktion einer
eigenen Realität spielerisch handeln, ohne die Folgen des Handelns in der gesellschaft-
lichen Realität fürchten zu müssen (vgl. Abbildung 2).
Deutlich wird dies am Beispiel von den oben schon erwähnten spielerischen Kämpfen:
Wenn alle beteiligten Akteure die Situation als Spiel deuten, kann ein Kampf gefahrlos,
ohne seine oft tödlichen Konsequenzen, ausgetragen werden – es fehlt eben die Folge
der Handlung, die in der gesellschaftlichen Realität unvermeidbar wäre.
10
Wiederholung und Ritual
Als drittes besonderes Merkmal des Spiels nennt Oerter die Wiederholung sowie das
Ritual. Die Wiederholung tritt im Spiel in verschiedenen Formen auf. In seiner nieders-
ten Form findet man die Wiederholung schon bei Kleinkindern: Das Kind kann bei-
spielsweise eine Werfbewegung immerzu wiederholen und sich am Fliegen des Balles
erfreuen. Diese Freude am erzielten Effekt durch Bewegung hängt vor allem mit der
Meisterung einer Leistung zusammen. Das Kind kann einen Effekt aktiv herbeiführen
und erfreut sich an diesem. Csikszentmihalyi (1985) spricht im Zusammenhang der
Wiederholungen von Spielhandlungen von dem „Flow-Erlebnis“. Dieses ist „mit be-
sonderen Emotionen gekoppelt“ und ermöglicht „neben dem Meisterungserlebnis das
Aufgehen in der Tätigkeit sowie Verschmelzungserlebnisse“ (Oerter, 1999, S.16).
Die nächsthöhere Form der Wiederholung stellt die Variation dar. Beim Spielen verän-
dert das Kind seine Handlungen. Dies kann beim Rollenspiel eine andere Interpretation
der Rolle sein, beim Konstruktionsspiel eine neue Bauform oder auch beim Regelspiel
eine andere spielerische Vorgehensweise innerhalb der festgelegten Regeln.
Auch in der Wiederholung mit Variationen lassen sich die vorher beschriebenen positi-
ven Emotionen wieder finden: Durch die Variation der Spielhandlung kann das Kind
wiederum ein Meisterungserlebnis erfahren und die Effekte des „Flow-Erlebnisses“
kommen zum Tragen.
Die letzte und höchste Form der Wiederholung stellt das Ausspielen unverarbeiteter
Erlebnisse oder nicht erreichbarer Wünsche dar. Diese Vorstellung der Wiederholung
ist vor allem durch die Arbeiten Piagets geprägt. Da im folgenden Kapitel jedoch näher
auf diese Form der Wiederholung eingegangen wird, soll sie hier nur kurz erwähnt blei-
ben.
Das Ritual stellt eine Sonderart der Wiederholung dar. Unter Ritualen versteht man
„festgelegte Formen sozialer Verhaltensweisen, die zu bestimmten Anlässen immer
wieder und in der gleichen Weise reproduziert werden“ (Oerter 1999, S.17). Aus psy-
chologischer Sicht liefert das Ritual den Teilnehmern Sicherheit und ein Gefühl der
Existenzsteigerung. Letzteres wird deutlich durch die klare Abhebung des Rituals vom
Alltag. Als Teilnehmer an Ritualen zu besonderen Anlässen erleben diese oft Gebor-
genheit oder ein Gefühl der Feierlichkeit. Beispiele hierfür sind unter anderem sportli-
11
che Großveranstaltungen oder aber auch religiöse Feierlichkeiten. Die sicherheitsspen-
dende Funktion des Rituals beruht auf seinem festgelegten und wiederholenden Charak-
ter. Den Teilnehmern ist bekannt, wie die Rituale ablaufen und welche Rolle sie dabei
einnehmen, so dass sie in diesem Rahmen Sicherheit finden.
Auf das Spiel bezogen lässt sich die Existenzsteigerung des Rituals beispielsweise bei
der Abgrenzung des Spiels zum Alltag oder auch bei dem „auf-und-ab“ der spieleri-
schen Handlungen finden. Ebenso geben Spiele, und hier gerade auch Regelspiele,
durch ihren festen Rahmen Sicherheit, in der die Spieler agieren. Das Regelspiel
schränkt die Freiheit des Spielers zwar ein, jedoch geben die Regeln auch gleichzeitig
Geborgenheit und Sicherheit durch vorgegebene Zugmöglichkeiten was diese Ein-
schränkung wiederum sehr attraktiv erscheinen lässt.
4.2 Funktionen des Spiels
Bei der Untersuchung des Spielverhalten und dabei gerade auch des Kinderspiels wird
sich früher oder später die Frage stellen, warum der Mensch überhaupt spielt. Um die
Funktion des Kinderspiels näher zu identifizieren, lohnt es sich, auch einen Blick auf
evolutionäre Theorien des Spiels aus der Biologie zu werfen. Es lassen sich verschie-
denste Spielformen sowohl bei Menschen als auch bei Tieren finden. Anzumerken sei
hierbei noch, dass das menschliche Spiel aber auch (komplexere) Formen aufweist, die
so im Tierreich nicht zu finden sind.
Zunächst werden hier die traditionellen Annahmen vorgestellt und kritisch betrachtet.
Diese haben oft einen direkten Bezug zu den früheren Beobachtungsstudien aus dem
Tierreich und versuchen dabei meist Analogien zwischen dem menschlichen und dem
tierischen Spielverhalten zu finden. In dieser Betrachtung der traditionellen Annahmen
wird auch ein direkter Bezug zum vorherigen Kapitel, dem handlungstheoretischen An-
satz des Kinderspiels, hergestellt werden.
Im Anschluss an diese Betrachtungen werden die differenziellen Funktionen des Spiels
näher erläutert. Dieser Ansatz unterstellt unterschiedlichen Spielformen jeweils spezifi-
sche Funktionen. Dadurch soll ein noch differenzierteres Bild der Funktion des Spieles
aufgezeigt werden.
12
4.2.1 Traditionelle Annahmen
Die frühen traditionellen Annahmen des Kinderspiels bauen oft auf Beobachtungsstu-
dien und Theorien aus dem Tierreich auf. Einen wichtigen Beitrag für die Forschung
leistete dabei insbesondere Groos (1899), der, analog zu dem tierischen Spiel, umfas-
sende Annahmen über das Kinderspiel formulierte. Groos’ Ansichten zum Kinderspiel
waren zu seiner Zeit revolutionär. Es herrschte die viel verbreitete Meinung, dass das
Kinderspiel lediglich eine Pseudoaktivität, d. h. ohne funktionelle Bedeutung für das
Kind, sei. Teilweise kursierte sogar die Ansicht, das Kinderspiel sei schädlich für die
Entwicklung, da es das Kind von seinen Pflichten abhalte. Erst Groos erkannte und
formulierte das Spiel als einen wichtigen Teil der menschlichen Reifung.
Groos betrachtete dabei das Kinderspiel aus einer biologisch-evolutionären Perspektive.
Dem Kinderspiel wohne seiner Ansicht nach eine Vorübefunktion inne, die für die spä-
tere Bewältigung des Lebens unabdingbar sei. Gerade im Bereich der sensorischen oder
motorischen Spiele zeigten seine Annahmen dabei Parallelen zum Spiel der Tiere. Das
spielende Experimentieren stellt Groos’ Meinung nach ein Einüben und Ausbilden un-
fertiger Anlagen dar. Obwohl Groos’ Annahmen heute durchaus noch interessant und
erwähnenswert sind, weisen sie auch Schwächen auf. Beispielsweise konnten von
Groos erwähnte Instinkte, die durch das Spiel eingeübt werden sollten, nicht nachge-
wiesen werden (so z.B. der „Pflegeinstinkt“ der Mädchen).
Interessant für die Theorien Groos’ ist der Bezug zu den handlungstheoretischen Ansät-
zen des Spiels: Wie vorher schon erwähnt, sieht Groos die Funktion des Spiels im Aus-
bilden und Einüben von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Entscheidend für diese Funktion
im direkten Bezug auf die Handlungstheorie sind das Wegfallen der Handlungsfolge
und der Wechsel des Realitätsbezuges der Spielenden.
Anschaulich werden diese Überlegungen am Beispiel eines Cowboy-und-Indianer-
Spiels bei Kindern auf dem Schulhof. Über das gemeinsame Spiel schaffen sich die
Kinder einen neuen Realitätsbezug. Sie sind nun nicht mehr Schüler, sondern entweder
Cowboys oder Indianer. Dieser Realitätsbezug gibt ihnen den Rahmen zum Handeln.
Gleichzeitig fehlt aber auch die oft entscheidende Handlungsfolge im Spiel. Wenn jetzt
ein Indianer mit Pfeil und Bogen angreift, besteht für den Cowboy keine Gefahr wirk-
lich verletzt zu werden, da alle Spieler in einer von ihnen konstruierten Realität handeln.
Sobald aber ein Spieler diese konstruierte Realität verlässt und beispielsweise mit einem
13
Stein nach einem anderen Spieler wirft, finden sich die Kinder schlagartig in der gesell-
schaftlichen Realität mit all ihren Konsequenzen und Gefahren wieder.
Abbildung 21: die konstruierte Realität im Spiel
Das Wegfallen der Handlungsfolge, also sowohl die Handlung als Selbstzweck als auch
die Realitätskonstruktion, ermöglichen dem Kind demnach erst das gefahrlose Spielen.
Im Rahmen der konstruierten Realität des Spiels können Kinder, wie auch Jungtiere,
Fähigkeiten und dazugehörige Situationen ausprobieren und einüben, ohne deren oft
unvermeidbaren Folgen fürchten zu müssen.
Aufbauend auf die Arbeiten von Groos ist Piagets Spieltheorie. Piaget distanziert sich
von dem Begriff der Vorübung und sieht im Spiel eher „eine Übung der aktuellen […]
nicht aber eine Vorübung künftiger Intelligenz“ (Piaget, 1969, S.197). Gerade das sen-
somotorische Spiel dient seiner Meinung nach mehr der Einübung vorhandener Fertig-
keiten und Fähigkeiten als dem Erlernen von Neuem.
Folgt Piaget den Überlegungen Groos’ bezüglich des sensomotorischen Spiels noch
nah, so weicht seine Ansicht bezüglich der Symbol- oder Fantasiespiele stark von den
Überlegungen Groos’ ab. Piaget kritisiert dabei die Vorstellung des Spiels als inhaltli-
che Vorübung wie beispielsweise das Puppenspiel der Mädchen als Einübung der Mut-
terrolle. Ähnlich wie beim sensomotorischen Spiel liegt auch hier seiner Ansicht nach
die Bedeutung in der aktuellen Verwendung der Schemata.
Piaget prägte bei diesen Überlegungen die Begriffe „Akkommodation“ und „Assimila-
tion“ in Anknüpfung an den wechselnden Realitätsbezug beim Spielen. Im Spiel formt
das Kind die Realität nach seinen Wünschen und Bedürfnissen um, es assimiliert die
Umwelt. Dahingegen beschreibt die Akkommodation die Anpassung an die Realität
bzw. die Umwelt: Erst im Laufe seiner Entwicklung ist das Kind in der Lage, die erlern-
ten Schemata an die Umwelt anzupassen.
Situation Handlung Ergebnis Folge
konstruierte Realität
gesellschaftliche Realität
14
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Kind im Spiel zuerst Routinen und Schema-
ta erwirbt, diese aber erst später durch das Wechselspiel von Assimilation und Akkom-
modation auch variabel bei verschiedenen Umweltbedingungen einsetzen kann. Oerter
meint zu dem wechselnden Realitätsbezug: „Seine [dem Kind] ihm gemäße Form des
realitätsschaffenden und –verändernden Handelns ist das Spiel, dem keine realen Kon-
sequenzen folgen. Durch diesen zweckfreien Charakter gewinnt das Kind die Freiheit,
die es angesichts des einseitig gerichteten Sozialisationsdruckes – und der existiert in
jeder Gesellschaft – so nötig zur Selbstentfaltung braucht.“ (Oerter, 1999, S.14)
4.2.2 Psychologische Theorien des Kinderspiels
Neben den Verhaltensforschern und Pädagogen beschäftigten sich auch verschiedene
Psychologen mit der Frage nach dem Sinn bzw. der Funktion des Spiels bei Kindern. In
diesem Kapitel sollen die Theorien Freuds, Wygotskis und Piagets verkürzt vorgestellt
werden.
Wie sich später herausstellen wird, zeigen sich trotz der unterschiedlichen Herange-
hensweisen der Autoren Gemeinsamkeiten in ihren Auffassungen bezüglich der Funkti-
on des Spiels für die kindliche Entwicklung.
Freud: Wunscherfüllung und Katharsis
Freund schreibt dem Spiel als Hauptfunktion die Wunscherfüllung zu. Das Spiel ermög-
licht dem Kind, Wünsche auszuleben, die in der Realität gar nicht oder noch nicht er-
füllt werden können. Im Spiel regiert nach Freud das Lustprinzip (im Gegensatz zu dem
Realitätsprinzip außerhalb des Spiels). Freud sieht das Spiel als kindliche Möglichkeit,
um tabuisierte Impulse ausleben zu können.
In diesem Zusammenhang spricht Freud auch von der Katharsis-Hypothese. Diese be-
sagt, dass eine Bewältigung früherer Probleme durch wiederholtes Ausleben ebendieser
erfolgen kann. Im Spiel findet das Kind die Möglichkeit, durch das wiederholte Durch-
spielen von Problemen bzw. Triebwünschen sich mit diesen auseinanderzusetzen. Freud
sieht in dieser Wiederholung eine reinigende Funktion, die das Kind von seinen Äng-
sten befreien kann, da es durch die Wiederholung zum „Herrn der Situation“ (Freud,
1920, S.226) werden kann.
15
Wygotski: Realisation unrealisierbarer Wünsche
Wygotski sieht die Funktion des Spiels in der Realisierung zurzeit unrealisierbarer
Wünsche. Diese Wünsche sind meist durch kindliche Themen wie dem Erwachsen-Sein
besetzt, welche in der Realität momentan nicht erfüllt werden können. Anders als die
Erwachsenen sind Kinder noch nicht in der Lage, ihre Wünsche und Bedürfnisse aufzu-
schieben. Das Spiel bietet hierzu eine Lösung, da es die durch das Kind konstruierte
Realität im Spiel dem Kind ermöglicht diese Wünsche auszuleben. Nach Wygotski ist
das Spiel „als eingebildete, illusionäre Realisation unrealisierbarer Wünsche zu verste-
hen“ (Wygotski, 1930, S.443).
Wygotski fügt dabei noch hinzu, dass die kindlichen Wünsche meist nicht konkrete,
sondern eher allgemeine Wünsche sind. Diese typischen Kinderwünsche sind dabei den
Kindern als Motiv ihres Handelns nicht bewusst. Diese Unbewusstheit grenzt nach Wy-
gotskis das Spielen von anderen Tätigkeiten wie dem Arbeiten ab.
Piaget: Assimilation als Gegenwehr
Piaget sieht das kindliche Spiel durch einen Überhang an Assimilation gekennzeichnet.
Diese Assimilation stellt dabei eine Anpassung der Schemata des Kindes an die Umwelt
dar. Dies erfolgt Piaget zufolge in Form einer Gegenreaktion gegen den Sozialisations-
druck sowie den äußeren Zwang der allgemeinen Wirklichkeit. Das Kind schafft sich
beim Spielen eine eigene Realität, die im Gegensatz zu der gesellschaftlichen Realität
frei von den oft überfordernden sozialen und physikalischen Anforderungen der Er-
wachsenenwelt ist. Um diese konstruierte Realität abzugrenzen und gegen die gesell-
schaftliche Realität der Erwachsenen zu schützen, besteht im kindlichen Spiel ein Über-
hang an Assimilation. Im Spiel soll eine „erzwungene Akkommodation an eine allge-
meine Wirklichkeit“ (Piaget, 1969, S.216) vermieden werden. D. h. dadurch, dass das
Kind im Spiel die Umwelt an seine eigenen Schemata anpasst, kann es noch verhindern,
sich den Gegebenheiten und Zwängen der gesellschaftlichen Realität zu unterwerfen.
Die kindlichen, teilweise falschen Schemata können im Spiel bestehen bleiben, denn die
Realität wird entsprechend der Schemata angepasst und nicht umgekehrt.
Interessanterweise schreiben die unterschiedlichen psychologischen Theorien dem Spiel
doch alle eine ähnliche Funktion zu. Das (kindliche) Spiel übernimmt dabei „Aufgaben
der Lebensbewältigung zu einem Zeitpunkt, da andere Techniken noch nicht ausgebil-
det sind“ (Oerter & Montada, 2002, S.223).
16
4.2.3 Differenzielle Funktionen des Kinderspiels
Die neuere Verhaltensforschung zeigte, dass eine einheitliche Funktionszuschreibung
für das Kinderspiel nahezu unmöglich ist. Gerade in den ersten Sequenzen des Kinder-
spiels ist eine genauere Differenzierung dringend erforderlich. Es wurde daher versucht,
die Funktionen des Kinderspiels genauer aufzuschlüsseln, wozu man die verschiedenen
Typen des Spiels individuell auf ihre möglichen Funktionen hin untersuchte.
Dieses Kapitel untersucht zuerst eine Grobeinteilung des Spiels in das Objekt- und das
Sozialspiel wie es auch bei den Tieren zu finden ist. Anschließend an diese Darstellung
findet sich die detailliertere Sequenzierung des Kinderspiels.
Anzumerken sei hierbei noch, dass die hier genannten Ansätze und Untersuchungen zur
Grobeinteilung in Objekt- und Sozialspiel oft der tierischen Verhaltensforschung ent-
stammen. Unter Vorbehalten sind jedoch auch viele der dort erhaltenen Informationen
auf die menschliche Entwicklung übertragbar.
Die Unterscheidung zwischen Objekt- und Sozialspiel
Die Unterscheidung des Kinderspiels unterstellt dem Spiel unterschiedliche Funktion in
Abhängigkeit von den verschiedenen Spielformen. Es wird dabei vorerst nur zwischen
dem Objektspiel sowie dem Sozialspiel und ihren jeweiligen Funktionen für die Ent-
wicklung unterschieden.
Das Objektspiel bezeichnet das Spiel mit der unbelebten Umwelt oder aber auch dem
eigenen Körper als Objekt, wohingegen bei dem Sozialspiel die Interaktion mit anderen
Individuen im Vordergrund steht.
Verschiedene Untersuchungen lassen darauf schließen, dass man dem Objektspiel eine
biologische Funktion zusprechen kann: Das Jungtier bzw. das Kind erprobt und er-
forscht dabei seine Umwelt. Spielerisch werden beispielsweise Materialeigenschaften
von Gegenständen oder aber auch physikalische Bedingungen begriffen und durch wie-
derholte Spielhandlungen eingeübt. Nachgewiesen wurde diese Lernfunktion des Ob-
jektspiels in verschiedenen Versuchen, unter anderem durch Sylva, Bruner & Genova
(1976), Smith & Dutton (1979) oder Vanderberg (1981).
Eine ebenso wichtige Funktion konnte dem Sozialspiel zugesprochen werden. Im spie-
lerischen Umgang mit anderen Individuen können soziale (Gruppen-)Beziehungen er-
lernt und erfasst werden. Dabei können Hierarchien und Rollen spielerisch ausgehandelt
17
und erforscht werden. Neben diesen Funktionen, die meist bei Bewegungs-, Jagd- oder
auch Kampfspielen der Tiere zu beobachten sind, zeigte sich auch die große Bedeutung
des Sozialspiels für die individuelle Entwicklung.
In Versuchen mit Rhesusaffen zeigten Harlow & Suomi (1971), dass Affen, die durch
eine Isolation in ihrem Sozialverhalten gestört waren, durch das Sozialspiel positiv be-
einflusst werden können. Wenn nach der Isolation die Affen mit jüngeren Gefährten
spielen konnten, zeigte sich eine rapide Verbesserung ihres Sozialverhaltens, was durch
eine gezielte Sonderbehandlung ohne das Sozialspiel nicht erreicht werden konnte.
Zusammenfassend kann man sagen, dass sowohl das Objekt- als auch das Sozialspiel
von größter Bedeutung für die Entwicklung des Individuums sind. Zu ihren adaptiven
und biologischen Funktionen zählen unter anderem der Erwerb sowie die Sicherung von
sensomotorischen Fähigkeiten, das Erlernen von Sozialfähigkeit oder aber auch die Re-
gelung der Sozialbeziehungen.
Eine besondere Bedeutung bei der differenziellen Betrachtung der Funktionen des Kin-
derspiels kommt den Spielformen zu, die nur im humanen Bereich vorkommen wie z.B.
dem Fantasiespiel oder auch dem Regelspiel.
Sequenzen des Kinderspiels
Differenziertere theoretische Überlegungen zum Kinderspiel versuchen, anstelle der
traditionellen Grobeinteilung, das Spiel in einzelne Phasen bzw. Sequenzen zu untertei-
len. Diese Überlegungen basierten oft auf Beobachtungen von spielenden Kindern. Da-
bei entdeckten verschiedene Autoren immer wiederkehrende Abfolgen beim Spielen.
Sie versuchten diese zu unterteilen und dann als aufeinander abfolgende Entwicklungen
zu identifizieren.
Der Formulierung einer so genannten „Spielentwicklungssequenz“ lag zum einen das
theoretische Interesse zugrunde, die Entwicklung deskriptiv zu erfassen. Andererseits
erlaubte dies aber auch, gezielte Aussagen über eine möglicherweise abweichende Ent-
wicklung zu formulieren. Man unterscheidet dabei die Spielentwicklungssequenzen
nach dem Grad des Details in Mirko- und Makrosequenzen.
Auf dem Gebiet der Makrosequenzen ist die Grobeinteilung von Groos (1899) und Büh-
ler (1918) am bedeutendsten. Sie wurde von Piagat (1945) aufgegriffen und ausdiffe-
18
renziert und findet auch heute noch in Variationen Anwendung in der modernen Spiel-
forschung.
Im Folgenden wird die Entwicklungssequenz des Kinderspiels nach Oerter (2002) kurz
dargestellt:
Als erste Stufe nennt Oerter das sensumotorische Spiel (Funktionsspiel). Während des
ersten und zweiten Lebensjahrs empfindet das Kind Freude an der Körperbewegung und
wiederholt diese oft lange. Die Bewegung richtet sich dabei zunehmend vom Objekt des
eigenen Körpers auf Objekte aus der näheren Umwelt.
Die zweite Stufe stellt das Informationsspiel dar. Das Kind zeigt ein starkes Explorati-
onsverhalten: Die Erkundung von Objekten zwecks Informationsgewinnung steht im
Vordergrund der kindlichen Handlung (eine dafür beispielhafte Handlung wäre die Zer-
legung eines Spielgegenstands in seine Einzelteile).
Das Konstruktionsspiel stellt an das Kind schon höhere Anforderungen. Es muss ver-
schiedene Gegenstände realitätskonform handhaben und gezielt aufeinander beziehen,
um einen Zielgegenstand herzustellen. Typische Beispiele hierfür sind einfache Bau-
werke, Zeichnungen, selbst geformte Figuren oder ähnliches.
Als vierte Stufe nennt Oerter das Als-ob-Spiel (auch Symbolspiel, Fiktionsspiel). Dabei
steht das Ausüben von Spielhandlungen, die reale Aktivitäten ersetzen, im Vordergrund.
Die Handlung entstammt dabei dem sozialen Umfeld der Kinder und ist geprägt durch
deren gesammelte Erfahrungen. Ein Beispiel für das Symbolspiel ist das Spiel mit Pup-
pen. In bestimmten Spezialfällen wird das Symbolspiel auch als Rollenspiel bezeichnet.
Unter dem Rollenspiel versteht man das Zusammenspiel mehrerer Kinder, die dabei
fiktive Rollen annehmen. Das Rollenspiel erfordert eine hohe soziale und kognitive
Kompetenz, da ein gemeinsames Handeln über längere Zeit aufrechterhalten und koor-
diniert werden muss.
Die letzte Sequenz des Kinderspiels stellt nach Oerter das Regelspiel dar. Darunter ver-
steht man das Zusammenspiel nach fest vereinbarten Regeln, deren Nichteinhaltung
sanktioniert wird, wobei die Regeln aber auch zugleich den Reiz des Spiels ausmachen.
Die meisten Regelspiele sind wettkampforientiert und erfordern zudem oft spezifische
Fähigkeiten oder Kompetenzen, die zuvor erlernt werden müssen.
Interessant ist die Entwicklungssequenz des Kinderspiels für diese Arbeit, da gezeigt
werden konnte, dass die verschiedenen Spielformen in einer altersabhängigen Reihen-
folge (auch über verschiedene Kulturen hinweg) auftreten.
19
Iwanaga (1973) zeigt beispielsweise, dass das Auftreten kooperativer Rollenspiele zwi-
schen dem dritten und vierten Lebensjahr verstärkt zunimmt. Ebenso interessant sind
die Beobachtungen Rubins (1978), der feststellen konnte, dass Kinder im Vorschulalter
sich relativ selten mit Regelspielen beschäftigten, dies aber mit dem Übergang zum
Grundschulalter immer häufiger tun.
Die Korrelation des Alters mit bestimmten Spielformen erlaubt zum einen Aussagen
über Spiele, die dem Entwicklungsstand gerecht werden, kann andererseits aber auch
helfen, vom alterstypischen Spielverhalten abweichendes Verhalten zu identifizieren.
Neben den Makrosequenzen leisteten auch die Mikrosequenzen einen bedeutenden Bei-
trag auf dem Gebiet der Spielforschung. Auf Grundlagen von Beschreibungen des sen-
somotorischen und des symbolischen Spiels durch Piaget wurde in den 70er Jahren die
ersten Mikrosequenzen von Forschern wie Lowe (1975), Nicolich (1977), Rosenblatt
(1977) oder Belsky & Most (1981) erarbeitet. An dieser Stelle soll keine separate Auf-
listung einer Mikrosequenz erfolgen, jedoch soll beispielhaft auf die Arbeiten von Bels-
ky & Most (1981) für Mikrosequenzen in den beiden ersten Lebensjahren verwiesen
werden.
Mit Hilfe der Mikrosequenzen konnte die Entwicklung des Kinderspiels in einzelne,
sehr kleine Schritte unterteilt werden. Der größte Vorteil dieses detaillierten Vorgehens
waren nun die Erkenntnisse über Zusammenhänge der Entwicklung des Kinderspiels
mit Mikroschritten in anderen Entwicklungsbereichen.
McCune-Nicolich & Bruskin (1982) fanden beispielsweise bei ihren Untersuchungen
heraus, dass das Auftreten des kombinatorischen Fantasiespiels parallel zum Auftreten
verbaler Kombination in der Sprachentwicklung stattfand. Ebenso konnte auch Rosen-
blatt (1977) Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit bestimmter Funktionsspielfor-
men und bestimmten Bereichen eines kognitiven Entwicklungstests feststellen.
Diese Studien zeigen zwar keine ursächliche Abhängigkeit der Entwicklung, jedoch
kann aus der Parallelität geschlossen werden, dass der Entwicklung der Sprache, des
Spiels, der Kreativität sowie der kognitiven Entwicklung im Kindesalter eine ähnliche
Basis zu Grunde liegt und es starke Zusammenhänge der verschiedenen Entwicklungs-
bereiche gibt (siehe McCune-Nicolich & Bruskin, 1982 sowie Oerter, 1985).
20
Anhand dieser Studien sollte deutlich werden, dass es einen Zusammenhang zwischen
dem Auftreten verschiedener Spielformen und dem Alter gibt. Des Weiteren gehen auch
verschiedene Entwicklungsschritte mit der Präferenz anderer Spielformen einher, oder
es werden sogar gewisse Entwicklungsstufen benötigt, um erfolgreich eine gewisse
Spieltätigkeit auszuüben. Dies betont im Kontext dieser Arbeit die Bedeutsamkeit wis-
senschaftlich fundierter und adäquater Altersangaben zu Kinderspielen.
4.2.4 Die Zone nächster Entwicklung im Spiel
Interessant für das Verhältnis von kindlicher Entwicklung und Spielentwicklung ist
auch das Modell der „Zone nächster Entwicklung“ von Wygotski (1978). Die Zone
nächster Entwicklung versteht Wygotski als „Distanz zwischen dem aktuellen Entwick-
lungsniveau, definiert durch die Leistungen selbständigen Problemlösens, und dem po-
tentiellen Niveau, das unter der Anleitung Erwachsener oder kompetenter Gleichaltriger
erreicht werden kann.“ (Wygotski, 1978, S.86). Wygotski geht davon aus, dass Kinder
sich durch einen gemeinsamen Gegenstandsbezug im Spiel auf ein Niveau oberhalb
ihres derzeitigen Entwicklungsstandes begeben können. Das Erreichen des nächsten
Entwicklungsniveaus ist dabei geprägt durch die unterstützende Leistung kompetenter
Partner mit dem Ziel der selbstständigen Meisterung durch das Kind. Da Spiele in sich
selbst verschiedene Entwicklungsanforderungen an Kinder stellen und oft in asymmetri-
scher Besetzung gespielt werden (z. B. in der Familie), bildet das Spiel einen idealen
Rahmen für eine spielerische Entwicklungsförderung, wenn Kinder gezielt an entspre-
chend anspruchsvolle Spiele durch Unterstützung und Instruktion herangeführt werden.
Gerade das Modell der „Zone nächster Entwicklung“ macht es interessant, Kinderspiele
in ihre einzelnen Elemente aufzuschlüsseln. So stellen Spiele beispielsweise eher selten
gleichzeitig hohe Anforderungen an die sprachliche, emotionale und motorische Kom-
petenz der Kinder. Viel öfter haben Kinderspiele thematische und durch den Mechanis-
mus festgelegte Schwerpunkte, die ganz gezielte Herausforderungen für Kinder darstel-
len.
21
4.3 Das Regelspiel
Gesellschaftsspiele fallen in der Sequenz der Spielformen unter die Regelspiele. Für
diese Arbeit soll deshalb noch einmal genauer auf die Spielform „Regelspiel“ eingegan-
gen werden. Dazu ist es erst einmal nötig, Regelspiele von anderen Spielformen abzu-
grenzen.
Einsiedler (1991) vollzieht diese Abgrenzung über die englischen Begriffe „play“ und
„game“: Unter „play“ versteht Einsiedler das freie, subjektive Spielen (wie z. B. bei
dem frühen Objektspielen), wohingegen „game“ eine objektivere Spielform beschreibt.
„Games“ definieren sich über einen „vorgegebenen Spielgegenstand und Spielablauf“
(Einsiedler, 1991, S.122). Ihre Regeln sind formaler und Regelverletzungen können
Sanktionen nach sich ziehen. „Games“ besitzen außerdem „einen Anfang, Spielzüge,
ein Ende und meist einen tradierten Namen“ (Einsiedler, 1991, S.122).
Das Regelspiel bietet Kindern die Möglichkeit, sich freiwillig Normen aufzuerlegen.
Entgegen dem starken Egozentrismus der früheren Spielformen erfordert das Regelspiel
einen intensiven sozialen Austausch. Die Spielregeln geben den Rahmen der Interaktion
vor und sanktionieren Abweichungen. Nach Oerter (1988) wird das Kind anstatt von der
objektiven Valenz nun von der abstrakten Valenz angezogen, d. h. „der Wert des Spie-
lens besteht nicht mehr im Nachspielen eines realen Inhalts, sondern die Regel selbst
wird interessant“ (Einsiedler, 1991, S.123).
Einsiedler definiert Regelspiele bewusst unscharf als Spiele, die „durch Regeln entwe-
der einen Wettbewerb mit Zielzustand normieren oder einen Spielablauf ohne Wettbe-
werb sichern und meist das Zusammenspiel mehrerer Spieler, in gesonderten Fällen das
Spiel eines einzelnen, festlegen“ (Einsiedler, 1999, S.124).
Eine nähere Untersuchung der Regelspiele setzt die differenzierte Betrachtung der Ele-
mente des Regelspiels voraus. Hierbei sind besonders die handlungstheoretischen Ana-
lysen von Otto (1987), Riemann (1987) sowie Kaminski (1983) zu nennen.
Ihrer Auffassung zufolge lassen sich in den meisten Regelspielen verschiedene Hand-
lungsebenen finden. Sie unterscheiden dabei zwischen der motorischen, der intellektuel-
len sowie der kommunikativ-kooperativen Handlungsebene.
Unter den motorischen Handlungen können die Spieltechnik der Kinder, wie z. B. die
Spielhandlungen beim (reglementierten) Murmelspiel auf dem Schulhof, aufsummiert
werden. Die intellektuellen Handlungen dagegen beziehen sich auf das Verständnis
des Spielziels und ermöglichen erst sinnvolle und zielgerichtete Spielhandlungen. Die
22
dritte Ebene der kommunikativen und kooperativen Handlungen beschreibt die ge-
meinsame Interaktion der spielenden Individuen. Ohne einen, durch Regeln umrahmten,
Bezug auf die Spielpartner ist das Spielen eines Regelspiels nicht möglich. Es erfordert
ein gewisses Maß an Kooperation und Kommunikation, um sinnvoll im Spiel zu intera-
gieren.
Als weiteren wichtigen Aspekt der Handlungstheorie ist noch die Unterscheidung in
hierarchisch geordnete Haupt- und Teilhandlungen zu nennen. Das Regelspiel be-
sitzt ein Hauptziel, welches meist erst durch verschiedene kleinere Teilhandlungen er-
reicht werden kann. Eine wichtige Leistung der spielenden Kinder ist es, Haupt- und
Teilhandlungen in Verbindung zu bringen. Fehlt den Kindern diese Fähigkeit noch,
kann es leicht zu Zielverzerrungen oder auch zur Fixierung auf Teilziele kommen.
Diese Einteilung in einzelne Elemente ermöglicht es, sich gezielter auf einzelne Aspekte
des Spiels zu konzentrieren und diese unabhängig voneinander zu betrachten. Regel-
spiele können unterschiedliche Anforderungen an die Kompetenz der Kinder auf den
einzelnen Ebenen stellen. Daher ist es unabdingbar, bei einer (Alters-)Empfehlung ver-
schiedene Dimensionen eines Spiels getrennt zu betrachten. Eine Vereinfachung auf
eine einzelne Jahresangabe bei Altersempfehlungen erscheint in diesem Kontext als
nicht sinnvoll.
Versucht man Regelspiele zu klassifizieren, so wird man schnell feststellen, dass sich
eine eindeutige Einteilung nicht vornehmen lässt. Erfolgt eine Klassifizierung über Ka-
tegorien wie z. B. Sport- oder Sozialspiel, so wird man feststellen, dass schon hier viele
Spiele in mehrere Kategorien fallen würden. Einsiedler (1991) teilt Regelspiele deshalb
nicht in disjunkte Gruppen ein, sondern beschreibt eher typische Merkmale von Spielen,
um sie gegeneinander abzugrenzen, wobei Überschneidungen von Spielen in mehreren
Kategorien durchaus gewollt sind. Grobe Kategorien sind hierbei beispielsweise Ge-
schicklichkeitsspiele, Denkspiele, Kartenspiele oder auch Ballspiele.
Betrachtet man sich diese Einteilung, so ist offensichtlich, dass bei den verschiedenen
Arten des Regelspiels unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten im Mittelpunkt
stehen. Analog zu den Handlungsebenen kann man beispielsweise den einfachen sozia-
len Regelspielen eine höhere Anforderung an die kommunikative und kooperative
Handlungsebene unterstellen als dies beispielsweise bei einem Sportspiel wie Federball
23
der Fall wäre. Dahingegen benötigt ein Kind schon relativ hohe intellektuelle Fähigkei-
ten, um an einem Denkspiel partizipieren zu können.
Diese unterschiedlichen Gewichtungen einzelner Fähigkeitsanforderungen stützt wiede-
rum die These, dass eine eindimensionale Bewertung von Spielen nicht möglich ist.
Sollen (Alters-)Empfehlungen von Spielen erarbeiten werden, so müssen die verschie-
denen Handlungsebenen individuell betrachtet und analysiert werden.
4.3.1 Das Gesellschaftsspiel
Im Folgenden soll nun der Forschungsgegenstand, also das „Gesellschaftsspiel“ defi-
niert werden. Das Gesellschaftsspiel findet sich in der Kategorie der Regelspiele wieder,
d. h. wir haben es wiederum mit einem fest definierten und vorgegebenen Spielgegens-
tand sowie Spielablauf zu tun. Die Regeln der Gesellschaftsspiele sind formal festgelegt
und die Nichteinhaltung bzw. Verletzung dieser Regeln wird sanktioniert. Als Regel-
spiel besitzen sie einen Anfang, einzelne Spielzüge sowie ein festgelegtes Ende. Diese
Punkte sind aber noch keine Besonderheiten des Gesellschaftsspiels, sondern nach Ein-
siedler Bestandteile jedes Regelspiels.
Die hier verwendete Definition ist folgende:
Unter Gesellschaftsspiel verstehen wir hier ein Regelspiel, das unter einem geschützten
Namen verkauft wird sowie vom Verlag oder dem Autor festgelegte, standardisierte
Spielregeln besitzt und von mindestens zwei Spielern gespielt wird.
Im Folgenden sollen auf die einzelnen Punkte dieser Definition noch einmal näher ein-
gegangen werden.
Das Gesellschaftsspiel als Produkt
Ein wichtiger Bestandteil der Definition ist es, das Gesellschaftsspiel als fertiges Pro-
dukt mit einem festgelegten und geschützten Namen zu begreifen. Es ist unter diesem
Namen in Geschäften zu kaufen und sowohl der Käufer als auch der Verkäufer haben
ein Interesse an dem Gesellschaftsspiel als Produkt. Diese Einschränkung schließt z. B.
überlieferte, regional unterschiedliche (nicht standardisierte) Regelspiele aus. Des Wei-
teren soll mit diesem Punkt auch verdeutlicht werden, dass der Produzent eine Ver-
pflichtung gegenüber seinen Kunden und in diesem Sinne auch der Kunde einen Ans-
pruch an das Produkt hat.
24
Festgelegte, standardisierte Spielregeln
Einhergehend mit dem standardisierten Namen soll das Gesellschaftsspiel auch festge-
legte und standardisierte Regeln besitzen. Dies verdeutlicht noch einmal den Charakter
eines einheitlichen Produktes mit Regeln, die vom Verlag oder dem Autor als bindend
vorgegeben sind. Dieser Teil der Definition stellt sicher, dass ein Gesellschaftsspiel,
egal wo es gespielt wird, immer nach den gleichen Regeln gespielt wird. Varianten oder
„Hausregeln“ ändern das Spiel dementsprechend, sodass eine Vergleichbarkeit nicht
mehr gegeben ist.
Die Spielerzahl
Obwohl es auch Regelspiele und besonders auch Brettspiele gibt, die alleine gespielt
werden können, soll es bei einem Gesellschaftsspiel mindestens zwei Akteure geben.
Dieser Bestandteil der Definition ergibt sich aus dem handlungstheoretischen Ansatz:
Ein Gesellschaftsspiel für Kinder besitzt immer auch eine kommunikativ-kooperative
Handlungsebene, die durch das Zusammenspiel und die Interaktion zustande kommt.
Gerade bei jüngeren Kindern kann es zu Schwierigkeiten auf dieser Handlungsebene
kommen, weshalb sie explizit mit in die Definition aufgenommen werden soll.
5. Altersempfehlung
Der Begriff der „Altersempfehlung“ lässt sich schwieriger definieren. Vom Wort aus-
gehend impliziert der Begriff, dass etwas für ein bestimmtes Alter empfehlenswert ist.
Im Bereich der Spiele wird der Begriff jedoch auch verwendet, wenn ein Spiel einer
bestimmten Altersgruppe nicht zugänglich gemacht werden soll. Diese Dualität lässt
sich in einer Schutz- und einer Empfehlungskomponente der Altersempfehlung zusam-
menfassen. Diese wiederum implizieren die Inklusion oder Exklusion einer bestimmten
Zielgruppe.
Bei Gesellschaftsspielen finden sich meist zwei verschiedene Arten von Altersempfeh-
lungen. Zum einen gibt es Empfehlungen ab einem bestimmten Alter und zum anderen
wird das Spiel für eine bestimmte Altersspanne empfohlen. Diese beiden Arten der
Empfehlung sollen hierbei „empfohlenes Mindestalter“ und „empfohlene Altersspanne“
genannt werden.
25
Mit der Empfehlung für eine Gruppe (Inklusion) ergibt sich gleichzeitig die Ungeeigne-
theit des Spiels für die Altersstufen, die nicht in der Empfehlung enthalten sind (Exklu-
sion).
Die Angabe eines empfohlenen Mindestalters beschreibt ein festgelegtes Alter in Jah-
ren, ab dem das Spiel empfohlen wird. Ein typisches Beispiel wäre dafür ein Gesell-
schaftsspiel „ab 12“ oder ein Kartenspiel mit der Altersempfehlung „8+“.
Bei dieser Art der Empfehlung wird davon ausgegangen, dass der Umgang mit einem
Spiel gewisse Anforderungen an den Spieler stellt, die im Zusammenhang mit dem Al-
ter als erfüllbar oder nicht erfüllbar erscheinen.
Zu diesen Anforderungen zählen verschiedene Fähigkeiten, die es dem Spieler ermögli-
chen, sinnvoll mit dem Spiel umzugehen. Daneben setzen aber auch das Thema oder der
Inhalt des Spieles eine gewisse Reife voraus. Eine Altersangabe mit einer Spanne „ab
einem Alter“ ist damit eine Exklusion. Sie impliziert, dass ein Spiel für Spieler unter
einem gewissen Alter ungeeignet ist.
Mit Hilfe eines „empfohlenen Mindestalters“ wird also versucht eine gewisse Alters-
gruppe auszuschließen. Der Ausschluss erfolgt zum einen aufgrund zu hoher Anforde-
rungen an den Spieler oder aufgrund eines Spielinhalts, vor dem zu junge Spieler ge-
schützt werden sollen.
Leider ist selten ersichtlich, aus welchem Grund eine Altersempfehlung vergeben wird,
so dass Rückschlüsse aus der Praxis in Bezug auf die Anforderungen eines Spieles sehr
schwierig sind. Im Gegensatz dazu sind die Empfehlungen für Ältere aufgrund von
Thema und Inhalt eines Spieles meist offensichtlicher. Dabei zeigt sich, gerade in
Deutschland, eine Altersempfehlung, die mehr oder weniger parallel zu den Grundsät-
zen der „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle“ oder der „Bundesprüfstelle für jugend-
gefährdende Medien“ verläuft.
Ein Beispiel hierfür ist das Spiel „Frischfleisch“ von Friedemann Friese, das aufgrund
seines Themas (Kannibalismus) von dem Autor mit „ab 18 Jahre“ empfohlen wird.
Interessant ist bei dieser Art des Jugendschutzes natürlich immer auch der kulturelle
Hintergrund. So wurde „Memoir `44“, ein Spiel, in dem bedeutende Schlachten des
zweiten Weltkriegs nachgespielt werden können, in den USA „ab 8 Jahren“ empfohlen
26
wohingegen das Spiel wegen des Themas „Zweiter Weltkrieg“ in Deutschland erst gar
nicht vertrieben wurde.
Im Gegensatz zu einem Mindestalter spricht die „empfohlene Altersspanne“ eine expli-
zite Empfehlung aus, die in zwei Richtungen begrenzt ist. Die Angaben zu einer Alters-
spanne finden sich meist auf Kinderspielen.
Entgegen der nach oben offenen Altersempfehlung gibt die Alterspanne auch noch eine
Obergrenze für das empfohlene Alter an. Diese Grenze wird meist aufgrund der sehr
simplen Spielmechanismen oder der speziell auf eine jüngere Zielgruppe zugeschnitte-
nen Thematik gewählt.
Ein Beispiel für eine solch definierte Altersspanne ist das Kinderspiel „Obstgarten“.
Hierbei gibt der Verlag die Empfehlung von „3-8“ Jahren an. Die Obergrenze dient da-
bei dazu, die Gruppe abzugrenzen, für die das Spiel empfohlen wird. Ungeeignet für
ältere Spieler wird das Spiel nur aufgrund von Unterforderung oder eines „unpassenden
Themas“.
Im Zusammenhang mit dieser Magisterarbeit wird die „Altersempfehlung“ nur als emp-
fohlenes Mindestalter verstanden. Genauer gesagt bedeutet dies, dass ein Spieler mit
dem entsprechenden Mindestalter dazu in der Lage ist, das Spiel sinngemäß und ohne
Hilfe zu spielen.
Die hier gebräuchliche Definition von Altersempfehlung wäre damit:
Ein Mindestalter, das Kinder mit unauffälliger Körper- und Persönlichkeitsentwicklung
dazu befähigt, die Anforderungen eines Spieles sinnhaft zu erfüllen.
Diese Definition umfasst das Erschließen des Spieles ohne Hilfe explizit nicht. Damit
ist gemeint, dass Kinder die ersten Partien durchaus unter Aufsicht und Anleitung spie-
len können, bis ihnen das Spiel verständlich wird. Auch das selbstständige Durcharbei-
ten der Regeln und das Verständnis des Spieles ohne Hilfe sind nicht darin eingeschlos-
sen. Diese Einschränkung wurde bewusst gewählt, da ansonsten noch die Verständlich-
keit und der Qualität der Spielanleitung mit beachtet werden muss. Außerdem stellen
die Spielanleitungen teilweise, gerade bei Kinderspielen, höhere Anforderungen an den
Leser als das eigentliche Spiel selbst.
27
5.1 Die Altersangabe bzw. die Altersempfehlung in der Praxis
Um herauszufinden, wie Verlage und Spieleautoren Altersempfehlungen verstehen,
schrieb der Autor fast fünfzig verschiedene Verlage per E-Mail an. Dabei wurde ge-
fragt, wie die Altersempfehlung in der Praxis bestimmt wird.
Die Zahl der Antworten war dabei überwältigend: Rückantworten kamen von fast allen
Angeschriebenen, wobei diese teilweise sehr ausführlich waren. Mitunter entstand sogar
eine kurze Kommunikation über mehrere E-Mails hinweg in der noch spezielle Themen,
Meinung und Fragen erörtert wurden. Im Folgenden sind die Kommentare der befragten
Verlage und Einzelpersonen zusammengefasst widergegeben.
Bestimmung der Altersempfehlung
Grundsätzlich lässt sich bei der Bestimmung der Altersangaben unterscheiden, ob es
sich um einen kleinen oder großen Verlag handelt und welche Zielgruppe bedient wird.
Gerade Kleinverlage sind durch eine geringe Zahl von Mitarbeitern, teilweise handelte
es sich sogar um Ein-Personen-Verlage, gekennzeichnet und verfügen dementsprechend
weder über die personellen noch die finanziellen Mittel um groß angelegte Untersu-
chungen durchzuführen.
Die Unterscheidung nach Zielgruppe lässt zudem erkennen, dass die Altersempfehlung
für Verlage, die Kinderspiele vertreiben, eine höhere Bedeutung hat. Dies macht eine
intensivere Beschäftigung mit der Altersproblematik sinnvoll und nötig. Trotz dieser
Tendenzen wäre es zu einfach, die Bestimmung der Altersempfehlung als so klar unter-
scheidbar abzustempeln.
Die Antworten der Verlage zeigten zudem, dass sich nahezu jede Einstellung und auch
jede Art der Bestimmung sowohl bei Kleinverlagen als auch bei den Marktführern fin-
den lässt. Es wäre deshalb definitiv falsch anzunehmen, dass Altersangaben größerer
Verlage generell mehr Bedeutung oder Gehalt hätten als dies bei Altersempfehlungen
der Kleinverlage der Fall wäre.
Im Folgenden werden Auszüge aus anonymisierten Zitaten der Verlage, die zu diesem
Thema befragt wurden, verwendet, um so ein anschauliches Bild der gängigen Praxis zu
vermitteln. Im Anhang dieser Arbeit finden sich alle Zitate ungekürzt.
28
Die Altersempfehlung für Spiele wird oft über Testrunden bestimmt, wobei „die Beo-
bachtung des Verhaltens der Kinder (Langeweile, Spannung, Überforderung, Unterfor-
derung usw.)“ dabei einen wichtigen Einfluss hat. In diesen Testrunden werden von den
Verlagen meist auch Beobachtungsbögen eingesetzt, in denen „alle relevanten Daten
(Altersempfehlung, Spieldauer, Spieleranzahl)“ festgehalten werden.
Bei dieser Vorgehensweise ist es als problematisch einzuschätzen, dass selten eine Qua-
lifikation im pädagogischen als auch im Bereich der Spiele vorliegt. Dadurch begrenzt
sich meist der professionelle Blickwinkel der Beobachter auf ein Fachgebiet.
Im Einzelfall werden durchaus „Gespräche mit Erziehern und Pädagogen“ gesucht, und
in die Entscheidungsfindung mit einbezogen. Häufig mangelt es jedoch an einer fun-
dierten pädagogischen und/oder entwicklungspsychologischen (Aus-)Bildung.
Im Gegenzug ist anzunehmen, dass PädagogInnen und ErzieherInnen wohl selten über
fundiertes Wissen im Bereich der Gesellschaftsspiele verfügen. Eine Zusammenarbeit
beider Fachgebiete erscheint nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig.
Längst nicht alle Verlage sind in der Lage, groß angelegte Testrunden durchzuführen.
Werden Altersangaben von Kleinverlagen bzw. den Autoren selbst ausgesprochen,
spielt selbstverständlich auch deren Erfahrung eine große Rolle. Nicht selten wurden
unzählige Proberunden, teilweise mit den eigenen Kindern, gespielt. Diese Methode
kann durchaus zu einem ähnlichen, wenn auch meist subjektiverem, Ergebnis führen als
dies der Fall mit zufällig ausgewählten Testrunden wäre.
Über die Kriterien, die zur Bestimmung der Altersempfehlung angegeben werden,
herrscht ein ähnlicher Konsens: „Wesentliches Kriterium sind die Fähigkeiten, die ver-
mutlich erforderlich sind, um das Spiel spielen zu können.“ Daneben wird eingeschätzt,
in wieweit es sich bei dem Spielthema um „eher erwachsene Themen“ handelt, wie
hoch der Grad „der Komplexität der Spielregeln“ ist oder auch, ob es „für das Spiel
bzw. den Spielspaß notwendig ist, dass man es strategisch durchdringt“.
Nach diesen Grobeinschätzungen erfolgen meist noch detailliertere Untersuchungen des
Spiels zur Einschätzung der Altersempfehlung.
Gesichtspunkte sind hierbei z. B.:
- „Größe und Art des Spielmaterials (z. B. ab welchem Alter ist das Kind in der
Lage die Spielfiguren zu bewegen, den Würfel zu werfen, den Kreisel zu dre-
hen?)
29
- motorische Anforderungen (Dinge müssen ertastet werden, Dinge müssen gean-
gelt werden...)
- Spielmechanismus (z. B.: Welche Zahlen kennt das Kind, in welchem Bereich
kann es zählen?)
- taktische Anforderungen (z.B.: „Wie weit muss das Kind hier vorausdenken
können? Inwieweit muss das Kind eine Situation einschätzen und bewerten kön-
nen?)“.
Weitere Bedeutung wird der Spielregel beigemessen: „Die auftauchenden Probleme
liegen meist weniger im Verständnis des Spielens selbst als in der Spielanleitung be-
gründet: Eine mündliche Erklärung des Spiels, angereichert mit praktischen Beispielen,
wird schneller und besser verstanden; das reine Vorlesen einer Spielanleitung hingegen
schafft oft Verwirrung und Rückfragen“.
Der Prozess der Festlegung wird von Verlag zu Verlag auch sehr unterschiedlich ange-
gangen. Teilweise wählt man die „eigenen Kinder als ungefähren Maßstab“ und hebt
bzw. senkt die Altersangabe dann noch „nach anderen Erfahrungswerten und Altersan-
gaben vergleichbarer Spiele am Markt“.
Viele Altersempfehlungen entstehen dabei auch „nicht auf ‚wissenschaftlicher Basis‘,
sondern nach ‚Gefühl‘ und Erfahrung“. Sie basieren auf „(langjährigen) Erfahrungswer-
ten“ oder aber auch auf Schätzungen. Dabei können Altersangaben durchaus auch ein-
mal „einigermaßen willkürlich“ getroffen werden. Insgesamt finden sich häufig Heran-
gehensweisen auf der Basis relativ kleiner Testgruppen.
Meinung zur Altersempfehlung
Eine weitere Frage, die sich bei der Betrachtung der Altersempfehlung stellt, ist die Ein-
stellung der Verlage und Spieleautoren zu ebendieser. Es herrscht hierbei ein fast ein-
helliger Tenor darüber, dass die Altersangabe nur bedingt Informationen vermitteln
kann.
Gerade bei Kinderspielen werden Altersempfehlungen oft „eher als grobe (und etwas
zufällige) Empfehlungen denn als ernsthaft begründbare Werte“ angesehen. Bei Kin-
dern zwischen 0 und 6 Jahren ist „eine konkrete Altersempfehlung nur bedingt mög-
lich“, da die „Unterschiede in der Entwicklung“ einfach zu groß sind.
Die Altersstufen werden „immer schwerer erfassbar“: „je nach Intelligenz und
(Spiel)‘Gewöhnung‘ kann heute bereits mancher 8-jährige Spiele spielen und verstehen,
30
die auf der anderen Seite ein eher ungebildeter 12-jähriger noch immer nicht versteht“.
Gerade diese „Spielgewöhnung“, also die bereits gesammelte Erfahrung mit verschie-
denen Spielen, scheint nach Meinung der Verlage eine große Bedeutung zu haben.
„Kinder (ab ca. 8 Jahren), die in Ihren Familien oft spielen, [können] eigentlich bei fast
allen Spielen locker mithalten, während unerfahrene Erwachsene damit weit mehr Mühe
haben.“ Auch fraglich erscheint hierbei, wie es aussieht, wenn Kinder ein Spiel mehr-
mals spielen. Anfängliche Probleme, gerade bei komplexeren Spielen, werden „über die
Erfahrung erlernt“, wenn das Interesse da ist und die Spiele häufiger gespielt werden.
Dass diese „Angaben nur ungefähr stimmen können“ scheint vielen Verlagen und Auto-
ren bewusst zu sein. „Deshalb kann [die] Angabe auch nur ein Richtwert sein, der im-
mer konkret am einzelnen Kind hinterfragt werden muss.“ Ein sehr treffend formuliertes
Fazit findet sich hier: „Diese Altersangabe [kann] seit jeher nur eine grobe Orientierung
sein - und als mehr verstehen wir sie auch nicht.“
Ein Unverständnis dafür, dass in die Altersempfehlung zu viel hineininterpretiert wird,
findet sich natürlich auch. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass Unmut entsteht, wenn
eine ungenaue und widerwillig ausgesprochene Altersempfehlung vergeben werden
muss, nur damit sich das Spiel verkauft. „Jemand der ein Spiel kauft, [sollte] sich stets
in einem Mindestmaß mit Inhalt und Spielziel auseinander[setzen] und wird daraus er-
sehen, ob es für seine Absichten geeignet ist oder nicht.“ „Menschen, die in einen Laden
rennen und einfach irgendwas für einen Vierjährigen wollen und dann auch irgendetwas
holen auf dem draufsteht ab 4, sind eigentlich die Ausnahme und so was muss man im
Grunde nicht auch noch unterstützen.“
Nutzen der Altersempfehlung
Wenn aber die Altersempfehlung nur solch eine grobe Orientierung darstellt, stellt sich
die Frage, warum nahezu alle Spiele immer noch einen Aufdruck mit einer detaillierten
Altersangabe haben. Neben dem Nutzen für die Konsumenten der Spiele steht dabei
hauptsächlich ein marktwirtschaftlicher Faktor hinter dieser Empfehlung.
Die Altersangabe definiert auch immer, mehr oder weniger unscharf, die Zielgruppe
eines Spieles: „Wie bei den Altersangaben für Filme, die Altersangabe ist ein Verkaufs-
argument. Welches Alterssegment bediene ich?“. Ein Spiel kann durchaus vom Ans-
pruch und auch vom Spielspaß generationenübergreifend sein, „nur, bei einer Altersan-
31
gabe 'ab 5 Jahre' werden Erwachsene sich das Spiel nicht anschauen. Da es aber auch
von Erwachsenen sehr gern gespielt wird, [bekam] es eine Altersangabe 'ab 8 Jahren'.“
So werden auch teilweise zu hohe Altersempfehlungen „ab 16“ oder „ab 18“ Jahren
„eigentlich nur aus Marketinggründen“ vergeben, da mit solch einer Altersempfehlung
auch „eine gewisse Käuferschicht“ angezogen wird. Es ist den Verlagen anscheinend oft
wichtig, dass ein Spiel „kein Image als Kinderspiel bekommen soll, obwohl Kinder es
spielen können.“
6. Forschungsstand
In diesem Kapitel soll der Forschungsstand kurz dargestellt werden. Dabei konzentriert
sich der Autor bewusst auf ein Teilgebiet der Spielforschung, nämlich auf das Regel-
spiel und dessen Merkmale. Der Fokus liegt dabei auf Gesellschaftsspielen, d. h. es soll
versucht werden, Regelspiele ohne Gesellschaftsspiel-Charakter möglichst auszuklam-
mern.
Keine Erwähnung in diesem Kapitel finden andere Spielformen oder etwa Themen wie
die Spielkultur. Auch soll bewusst auf Forschungen zu Lernspielen und die pädagogi-
sche Förderung durch Spiele verzichtet werden.
Leider gibt es auf dem Gebiet der Regelspiele relativ wenige Untersuchungen. Sucht
man dann noch speziell Arbeiten zu Gesellschaftsspielen, so wird die Auswahl noch
einmal mehr eingeschränkt. Es ist geradezu erstaunlich, wie wenig Beachtung das Ge-
sellschaftsspiel in der Forschung findet. Auch das Regelspiel im Erwachsenenalter ist
ein Thema, welches selten Untersuchungsgegenstand ist. Im Folgenden finden sich nun
einige zentrale Forschungsarbeiten zu dem Thema „Regelspiele“.
Regelbewusstsein
Eines der wichtigsten Merkmale des Regelspiels ist das Vorhandensein formaler Re-
geln, deren Nichteinhaltung sanktioniert wird. Da auch ebenfalls schon erwähnt wurde,
dass die verschiedenen Formen des Kinderspiels in einer altersabhängigen Folge stehen,
stellt sich hier die Frage nach dem Auftreten des Regelbewusstseins im Zusammenhang
mit dem Auftreten des Regelspiels. Ein Regelbewusstsein bedeutet hier, die Regeln zu
erkennen und ihrer Einhaltung einen Sinn für das Zusammenspiel zuzuschreiben.
32
Es konnte gezeigt werden, dass viele Kinder schon an Regelspielen partizipierten, bevor
sie über ein ausgeprägtes Regelbewusstsein verfügten. Berühmtheit erlangten dabei vor
allem die Untersuchungen Piagets (1932; dt. 1986) über die Entwicklung des Murmel-
spiels bei Jungen. Piaget skizzierte hierbei verschiedene, altersabhängige Stadien des
Regelbewusstseins, die hier verkürzt dargestellt werden sollen. Angemerkt sei noch,
dass die Altersangaben der einzelnen Stadien mit Vorsicht zu behandeln sind, da seit
diesen Studien größere Veränderungen innerhalb der Spielkultur stattgefunden haben.
Es ist anzunehmen, dass Kinder gegenwärtig schon weitaus früher an Regelspielen teil-
nehmen als dies früher der Fall war.
Abbildung 22: Stadien des Regelbewusstseins nach Piaget, Zitiert nach Oerter (1999)
In Anlehnung an Piagets Studien, und gerade auch in Anlehnung an die Unterscheidung
zwischen dem Partizipieren an Regelspielen und dem erst späteren Regelbewusstsein,
forschen Papst (1966) und Bartmann & Vormfelde-Siry (1973).
In zwei ähnlichen Studien untersuchen die Autoren das Regelbewusstsein bei 6- bis 10-
jährigen Kindern. Sie spielten dabei zwei Regelspiele mit den Kindern, wobei diese
jeweils eine Gewinnstrategie identifizieren und diese anschließend formulieren sollten.
Es zeigte sich, dass jüngere Kinder entscheidend länger brauchten, um Spielstrategien
zu finden. Ebenso hatten jüngere Kinder, im Gegensatz zu den älteren, deutlich mehr
Probleme, ihr Spielverhalten und ihre Spielstrategien in Worte zu fassen.
•Die Kinder zeigen zwar im frühen Objektspiel und im späteren Phantasiespiel regelmäßige Abläufe,
jedoch ist dies kein Regelspiel. Es handelt sich z.T. um ritualartige Wiederholungen.
1. Stadium (ca. 1.-5. Lebensjahr)
•Jetzt möchte das Kind wie die älteren Spielkameraden Regelspiele spielen, aber es hat noch keine
Regelkenntnisse. Es spielt allein mit den Murmeln und nach willkürlichen Regeln.
2. Stadium (ab ca. 6. Lebensjahr)
•In diesem Stadium entsteht allmählich die Kooperation im Spiel. Das Kind hat ein soziales Interesse,
und durch das gegenseitige Verständniss wird das Spiel zunehmend sozial. Die Regelkenntnis der
Kinder ist jedoch meistens noch bruchstückhaft.
3. Stadium (ab ca. 7/8. Lebensjahr)
•Die Kinder beherrschen die Vorschriften vollständig. Sie kommen mit der sozialen Situation zurecht
und haben sogar Vergnügen am Kodifizieren
4. Stadium (ab ca. 10. Lebensjahr)
33
Anhand dieser Studien sollte deutlich werden, dass Regelbewusstsein, also vor allem
das Erfassen und Erkennen einer Regel, entwicklungsabhängig ist. Kinder können aber
durchaus schon an Regelspielen partizipieren, ohne die Regeln als solche zu erkennen.
Entwicklung der Spielfähigkeit
Die Regelspiele stellen teilweise enorme Anforderungen an Kinder. Verschiedene Auto-
ren beschäftigten sich mit der Entwicklung von Spielfähigkeiten bei Kindern.
Riemann (1987) untersuche das Domino- und Damespiel bei Kindern der 1., 2. und 3.
Jahrgangsstufe. Im Rahmen einer Beobachtungsstudie teilte Riemann die Kinder nach
Richtigkeit des Spielens und Zieladäquatheit der einzelnen Spielzüge verschiedenen
Gruppen zu. Anhand dieser Kriterien wurden den Kindern Qualitätsstufen des Spielens
zugeordnet. Die Hierarchisierung begann bei Stufe I (80 – 100 % angemessene Schritte
in einem Spiel) und ging in 20 %-Schritten herunter bis Stufe V (0 – 19 % angemessene
Schritte in einem Spiel).
Es zeigte sich, dass beim Dominospiel bereits 61,11 % aller Erstklässler die Qualitäts-
stufe I erreichten. Bei den Zweitklässlern waren es schon 68,05 % und bei den Dritt-
klässlern 70,83 %. Die unteren Qualitätsstufen waren beim Dominospiel so gut wie
kaum besetzt.
Anders waren die Ergebnisse beim Damespiel. Hier zeigten sich deutlichere Unter-
schiede zwischen den einzelnen Klassenstufen. In der Qualitätsstufe I fanden sich
35,41 % der Drittklässler, 12,50 % der Zweitklässler und nur noch 11,11 % der
Erstklässler.
Tabelle 5: Erreichen der Qualitätsstufe I nach Riemann (1987)
Erstklässler Zweitklässler Drittklässler
Dominospiel 61,11 % 68,05 % 70,83 %
Damespiel 11,11 % 12,50 % 35,41 %
Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass gerade beim Damespiel viele Grund-
schüler noch nicht in der Lage sind, richtig und zieladäquat zu spielen. Riemann vermu-
tet, dass viele Kinder noch vermehrt altersabhängige Probleme mit Zusatzregeln und
deren flexibleren Anwendung haben.
Im Rahmen dieser Studie untersuchte Riemann auch den Zusammenhang der kognitiven
Fähigkeiten und der Zuordnung zu den Qualitätsstufen des Spielens. Es zeigt sich eine
34
deutliche Überrepräsentation von Kindern mit überdurchschnittlichem IQ in den oberen
Qualitätsstufen, wohingegen Kinder mit unterdurchschnittlichem IQ häufiger in den
unteren Qualitätsstufen zu finden sind.
Anforderungen der Regelspiele
In Anschluss an diese Untersuchungen stellt sich auch die Frage nach den Anforderun-
gen des Regelspiels. Ältere Kinder sowie Kinder mit überdurchschnittlichem IQ schei-
nen weniger Probleme zu haben, Regelspiele den Regeln folgend und zieladäquat zu
spielen. Es stellt sich hier die Frage nach den Fähigkeiten, die Spieler besitzen müssen
um ein Spiel spielen zu.
Einsiedler nennt als Hauptanforderung der Regelspiele „die eigene Spielstrategie auf die
des Gegners abzustimmen und dabei auch Wahrscheinlichkeiten ins Kalkül zu ziehen“
(Einsiedler, 1999, S.129). Papst (1966) setzt diese Anforderung in Zusammenhang mit
der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme der Kinder. Gerade jüngere Kinder, so die
Autorin, haben Schwierigkeiten, das Spiel auch in Abhängigkeit der Spielzüge des Ge-
gners zu sehen.
Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme wurde in der Entwicklungspsychologie ein-
gehend behandelt. Selman (1984) untersuchte Kinder nach dieser Fähigkeit und ordnete
sie unterschiedlichen Stufen zu.
Selman zeigt, wie verschiedene andere Autoren auch, dass das Auftreten der Fähigkeit
zur Perspektivenübernahme mit dem Alter im Zusammenhang steht. Kinder zeigen „erst
ab ca. Mitte des Grundschulalters eine flexible Perspektivenwechselstrategie beim Anti-
zipieren von Spielzügen“ (Einsiedler, 1999, S.130).
Regelspiele und sozial-moralische Entwicklung
Das vermehrte Auftreten des Regelspielens im Vergleich zu den anderen Spielformen
mit steigendem Alter der Kinder regte auch Überlegungen bezüglich der Auswirkung
dieses Spielverhaltens auf die Entwicklung von Moral und sozialen Konventionen an.
Gerade das Aushandeln, Erfinden, aber auch das Sanktionieren bei Nichteinhalten von
Regeln könnte Parallelen zu den gesellschaftlichen Normen aufweisen.
Im Anschluss an seine Beobachtungen des Murmelspiels unterstellte Piaget dem Regel-
spiel, ein günstiges Feld für die Sozial- und Moralentwicklung zu sein. Durch das
selbstverantwortliche Achten der Regeln sowie dem damit verbundenen sozialen Aus-
35
tausch sollten die Kinder im Regelspiel eine positive Wirkung auf ihre Sozial- und Mo-
ralentwicklung erfahren.
Dieser Effekt konnte in neueren Studien nicht gezeigt werden. Verständnis und das
Anerkennen von Regeln im Spiel sind nicht übertragbar auf die Moralentwicklung. Es
konnte gezeigt werden, dass Kinder unterschiedliche Konzepte der Moral haben. Sme-
tana (1981) unterstützt aber die Aussage, dass Kinder durch das Regelspiel durchaus ein
besseres Verständnis sozialer Konventionen erlangen können. Die Regeln des Spiels
haben einen ähnlichen Charakter, d. h. sie sind vor allem durch Verhandlung wandelbar
und besitzen nicht den universellen Gültigkeitsanspruch moralischer Prinzipien.
Obwohl die wahrscheinlich zu optimistischen Ansichten Piagets hinsichtlich der Moral-
entwicklung als widerlegt gelten, ist dem Regelspiel dennoch eine positive Wirkung auf
der Ebene der sozialen Interaktion zu unterstellen. Gerade bei dem Aushandeln und
Verhandeln von Regeln sieht Mead (1968) das Regelspiel als Rahmen für das kindliche
Handeln. Es müssen die Perspektiven und Wünsche der anderen Spieler beachtet wer-
den, und wenn die Regeln ausgehandelt sind, entsteht durch sie der Bezugsrahmen der
Interaktion. Die Spielzüge müssen innerhalb der Regeln stattfinden und die Aktionen
der Kinder werden über das Spiel koordiniert. Konflikte werden dabei mit Hilfe der
festgelegten Regeln gelöst.
Eine weitere interessante Studie stellen die Untersuchungen Krampens (1988) dar.
Krampen untersuchte dabei einen möglichen Zusammenhang zwischen der Regelspiel-
präferenz sowie Merkmalen der Kontrollüberzeugung bei 11- bis 17-Jährigen. Unter-
schieden wurde dabei zwischen Glücksspielen und Fertigkeitsspielen. Während der
Ausgang der ersteren von Glück und Zufall bestimmt wird, ist er bei Fertigkeitsspielen
abhängig(er) von dem individuellen Handeln der Spieler.
Es konnte gezeigt werden, dass je nach Kontrollüberzeugung unterschiedliche Spiele
bevorzugt bzw. gemieden wurden. Jugendliche, die eher Glücksspiele präferierten, zeig-
ten vermehrt externe Kontrollüberzeugungen, wohingegen Jugendliche mit Präferenz zu
Fertigkeitsspielen eher durch interne Kontrollüberzeugung gekennzeichnet waren.
Krampen sieht in dem Aufsuchen von Spielsituationen, deren Ausgang durch das eigene
Handeln bestimmt ist durchaus einen Einflussfaktor auf die Persönlichkeitsentwicklung.
36
Abschließend sind noch die Annahmen Krappmanns (1983) bezüglich der sozialisatori-
schen Wirkung des Regelspiels zu nennen. Krappmann identifiziert, wie in Abbildung 5
dargestellt, drei Hauptwirkungen des Regelspiels.
Abbildung 23: sozialisatorische Wirkung des Regelspiels nach Krappmann (1983)
Konkurrenz und Kooperation in Regelspielen
Sahen viele ältere Definitionen noch das „gegeneinander Messen“ im Vordergrund der
Regelspiele, so bekam in den letzten Jahrzehnten der Kooperationsgedanke bei Regel-
spielen auch mehr und mehr Beachtung. Gerade das Aufkommen der sogenannten
„New Games“ sorgte hier für neue Anregungen. Dieser Typus der Regelspiele stellte
das individuelle Gewinnen in den Hintergrund und rückte stattdessen „das gemeinsame
Spielerlebnis, einfallsreiche Bewegungsabläufe und wechselseitiges Vertrauen“ (Ein-
siedler, 1999, S.145) mehr in den Fokus.
Der ideelle Gedanke, dass mit dem Spielen von Kooperationsspielen Solidarität und
prosoziales Verhalten mehr oder weniger automatisch auftreten, konnte dabei jedoch
nicht bestätigt werden. Vielmehr besteht ein umgekehrter Zusammenhang: Verschiede-
ne Studien (z. B. Eichberg 1983 oder Kagan & Madsen 1971) konnten zeigen, dass je
nach gesellschaftlichem Hintergrund andere Spiele bevorzugt wurden.
Die Ergebnisse dieser Studien lassen annehmen, dass die Handlungsmodelle und Leis-
tungsorientierungen in verschiedenen Gesellschaften auch unterschiedlich stark konkur-
renz- bzw. leistungsorientierte Spiele hervorbrachten. In einer Vergleichsstudie unter-
suchten beispielsweise Kagan & Madsen (1971) Konkurrenz- und Kooperationsanteile
•Das Kind muss erlernen die Perspektiven der Mitspieler zu berücksichtigen.
Abbau des Egozentrismus
•Die Regeln bieten eine gewisse Sicherheit, dennoch ist Raum für Variation und die
Erprobung von Neuem
flexibler Umgang mit Erwartungen
•Die Interaktion im Spiel erfordert Koordination aber auch oft eine Unterordnung der
eigenen Wünsche
Toleranz gegenüber sich selbst
37
bei Regelspielen mexikanischer und amerikanischer Kinder. Die Autoren stellten fest,
dass amerikanische Kinder mit zunehmendem Alter Wettbewerbsspiele spielten, wo-
hingegen mexikanische Kinder eher kooperative Spiele bevorzugten. Kagan & Madsen
erklärten diese Befunde über die stärkere Leistungsorientierung in Nordamerika.
Studien, die einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Spielen kooperativer Spie-
le und einen positiven Effekt auf das kooperative Verhalten der Spieler untersuchten,
kamen eher zu ernüchternden Ergebnissen. Nuack (1985) prüfte beispielsweise die
Auswirkungen des Spielens von Kooperationsspielen in unterschiedlichen Schulklassen.
Dabei wurden diese Spiele mehrmals wöchentlich in den Klassen gespielt. In der über
zehn Wochen angelegten Studie zeigte sich nur in zwei der zwölf Messungen ein nach-
weisbarer Effekt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich ein positiver Effekt auf das Kooperations-
verhalten nicht alleine durch das Spielen von Kooperationsspielen erreichen lässt.
In diesem Zusammenhang stehen auch die Annahmen Sutton-Smiths (1986), der unter-
schiedlichen Kulturen die Entstehung unterschiedlicher Spielarten zuweist. Glücksspie-
le entstanden nach Sutton-Smith in Kulturen, die „magische und übernatürliche Kräfte
nutzten, um den Willen der Götter bzw. des Schicksals zu erkunden.“ (Oerter, 1999,
S.282) Strategiespiele dagegen sind eher in Kulturen zu finden, „in denen bei der Ent-
scheidungsfindung und beim Lösen von gesellschaftlichen Problemen Diplomatie, Täu-
schung und Strategie eine Rolle spielen“ (Oerter, 1999, S.283). Nach Sutton-Smith
spiegelt sich so der Komplexitätsgrad einer Gesellschaft in ihren Spielen wieder. Die
Spiele von Kulturen mit niedriger Komplexität sind weniger geprägt durch List und
Täuschung, da ihre Mitglieder beim Überleben aufeinander angewiesen sind. Diese So-
lidarität fehlt in Kulturen höherer Komplexität. Ihre Mitglieder stehen in Konkurrenz
zueinander und versuchen durch List, Täuschung und Strategie Vorteile zu erlangen.
In diesem Zusammenhang besagt die Konflikt-Enkulturations-Hypothese, dass „Konf-
likte, die während der Sozialisation des Kindes und später induziert werden […] zur
Beteiligung an Regelspielen, die expressive Modelle solcher Konflikte bilden“, führen.
(Oerter, 1999, S.283)
Nachfolgend ist eine zusammenfassende Tabelle nach Oerter 1999 aufgeführt.
38
Tabelle 6: Korrespondenz von kulturellen Aufgaben und Art des Regelspiels (zusammengestellt nach Sutton-
Smith, 1986; Sutton-Smith, Roberts & Kozelke, 1963)
Kultureller Aufgabentypus Bevorzugter Typus des Regelspiels
Strenge Primärsozialisation, psychologi-
sche Disziplinierung, Gehorsam, höhere
Komplexität
Strategiespiele
Übernahme von Verantwortung, Unterdrü-
ckung persönl. Initiative, Glaube an
Wohlwollen übernatürlicher Kräfte
Glücksspiele
Leistung als zentrale Aufgabe, Konflikte
zwischen kulturellen Gruppen
Körperliche (sportliche) Wettkämpfe
Spielen im Erwachsenenalter
Bisher wurde das Spiel fast ausschließlich im Hinblick auf das Kinderspiel untersucht.
Oerter versucht zu klären, was aus dem Spiel der Kinder im Erwachsenenalter wird. Er
nennt dabei drei Eigenheiten, die das Spiel im Erwachsenenalter kennzeichnen: Das
Spiel wird transformiert, es wird institutionalisiert sowie privat weiter betrieben.
Die Transformation des Spiels erfolgt im Erwachsenenalter in andere, „ernsthaftere“
Formen. Oerter versteht so z. B. die Kunst oder auch die Religion als Spiel, welches im
Erwachsenenalter, analog zu dem Kinderspiel, eine lebensbewältigende Funktion er-
füllt. Ebenso kann auch Spiel in die Arbeit integriert werden: Anlehnend an die Be-
schreibung des Flow-Erlebnisses bei manchen Arbeitstätigkeiten durch Csikzentmihalyi
versteht Oerter das in der Arbeit integrierte Spiel als „ein System, das je nach Eigenart
der Arbeit, der Situation und der Person aktiviert werden kann und das Interesse auf die
Tätigkeit selbst lenkt sowie den gesamten Handlungsrahmen vorübergehend uminterp-
retiert“ (Oerter, 1999, S.311). Eine Arbeit, für die es an Motivation mangelt, kann durch
die Integration spielerischer Elemente für das Individuum attraktiver gemacht werden.
Ebenso wie bei dem Kinderspiel kann auch in der Arbeit ein anderer Realitätsrahmen
geschaffen werden oder auch eine (zumindest teilweise) intrinsische Motivation statt-
finden. Nach Oerter lässt sich zusammenfassend sagen, dass „das Spiel im Erwachse-
nenalter in andere Tätigkeiten integriert wird und dabei als Element des Handelns mehr
oder minder breiten Raum einnehmen kann“ (Oerter, 1999, S.311).
39
Neben der Integration des Spiels kennzeichnet auch die Institutionalisierung das Spiel
im Erwachsenenalter. Vor allem die Regelspiele stechen hier ins Auge: Es werden
Sportspiele im internationalen Wettkampf ausgetragen und von Millionen verfolgt und
bejubelt. Wie in dem vorhergehenden Kapitel über Kultur und Spiel schon erwähnt lässt
sich auch hier ein Zusammenhang feststellen. Diese institutionalisierten Wettstreite er-
setzen und kompensieren teilweise die kriegerischen Konflikte zwischen Gruppen oder
Nationen. Ein symbolischer Krieg findet aber dennoch auf der institutionalisierten Ebe-
ne der Regelspiele, wie z. B. Fußball, statt. Neben diesen öffentlichen Wettkämpfen
findet in unserer Gesellschaft auch eine Institutionalisierung anderer Spielformen, wie
z. B. dem Glücksspiel oder auch dem Freizeitsport, statt. Im Zusammenhang der Institu-
tionalisierung spricht Oerter auch davon, dass das Spiel nicht nur integriert, sondern
durchaus auch von anderen Tätigkeitsfeldern abgegrenzt wurde. Diese Abgrenzung
„ermöglicht im Erwachsenenalter die Realisierung von Tätigkeiten, die Spiel sind bzw.
dem Spiel nahekommen“ (Oerter, 1999, S.313).
Privatisierung des Regelspiels
Eine Besonderheit des Spielens im Erwachsenenalter stellt nach Oerter auch die Privati-
sierung des Regelspiels dar. Gerade im Kreise der Familie oder der Freunde werden
auch im Erwachsenenalter noch gerne Regelspiele in Form von Gesellschafts- oder Kar-
tenspielen gespielt.
Oerter (1999) sieht auch für das Spielen dieser Spiele das Gewinnen als essenziell an.
„Gewinn bedeutet illusionäre Überlegenheit über andere, bedeutet risikofreien oder risi-
koarmen Kampf mit dem Partner. Zudem wirkt Gewinnen unmittelbar selbsterhöhend
und vermittelt ein Selbstbewußtsein, das in Beruf und Familie nicht gefördert wird.“
(Oerter, 1999, S.315) Das häufige Spielen lässt sich seiner Meinung nach nicht alleine
über den Verstärkungseffekt beim Gewinnen, der gespannten Erwartung des Spielaus-
gangs oder der Befriedigung des Problemlösens beim Spielen erklären. Oerter sieht das
Spielen von Regelspielen im Erwachsenenalter als „illusionäre oder symbolische Erpro-
bung der persönlichen Existenz“ (Oerter, 1999, S.315).
40
7. Spielzeugbeurteilung
Betrachtet man sich die gegenwärtige Spielzeugbeurteilung, so wird man feststellen,
dass es kein einheitliches System, geschweige denn einheitliche Bewertungskriterien für
Spiele gibt. Verschiedene Ansätze versuchen dabei Spiele mehr oder weniger systema-
tisch zu bewerten. Sie unterscheiden sich dabei teilweise gravierend durch z.B. die ver-
wendeten Methoden, ihrem Gültigkeitsanspruch, ihrer Zielgruppe oder aber auch Be-
wertungsgegenstand. Es stellt sich nun die Frage, warum es keine einheitlichen Ansätze
zur Spielzeugbeurteilung gibt, beziehungsweise wie und warum sich verschiedene An-
sätze unterscheiden.
Das Hauptproblem bei der Spielzeugbeurteilung ist das Spannungsverhältnis zwischen
objektiv bewertbaren Kriterien einerseits und dem subjektiven Empfinden sowie der
Wertschätzung des Beurteilers andererseits. Hierdurch wird die Beurteilung erschwert.
Es gibt zwar immer beobachtbare Spielprozesse, jedoch ist deren Bewertung und Ei-
nordnung, gerade beim Kinderspiel, beeinflusst durch das Wertempfinden des beurtei-
lenden Erwachsenen. Im Falle einer Bewertung durch einen Erwachsenen liegt dieser
Beurteilung nicht immer ein Kriterienkatalog zu Grunde. Gerade eher subjektive Beur-
teilungen sind oft geprägt durch Ideologien oder pädagogische Leitvorstellungen, die
nicht offen ersichtlich sind.
7.1 Ansatz der Spielkritik
Einen der populärsten Ansätze stellt gegenwärtig die Spielkritik dar. Hier wird ein Spiel
durch einen Spielkritiker bewertet. Dieser stellt in einer Rezension seine subjektive
Meinung dar und vergibt anschließend häufig eine Note, die den Spielreiz oder den
Spielspaß beschreibt. Man findet diese Art der Bewertung vornehmlich in der Form
kurzer Artikel in Fachzeitschriften wie der „Spielbox“, aber mehr und mehr auch in
Tageszeitungen sowie auf speziellen Internetseiten.
Die Vorgehensweise bei dieser Bewertung lehnt sich z.B. an Musik- oder Theaterkriti-
ken an: Da das Spiel ein Kulturprodukt ist, ist eine Bewertung auch immer nur in einem
historischen und kulturellen Zusammenhang zu sehen. Den Spielspaß bzw. den Spiel-
reiz, z.B. in Form der gefühlten Spannung sowie der Spieldynamik, sollte dabei der Be-
teiligte am besten selbst beschreiben können. Wie nach einem Theaterbesuch kann der
41
Kritiker seine eigenen subjektiven Erfahrungen und Erlebnisse im Spiel wiedergeben
und so den Lesern einen subjektiven Eindruck von dem Spiel vermitteln.
Die Spielkritik bietet so oft einen, je nach Qualität und Umfang der Rezension, mehr
oder weniger guten Ersteindruck eines Spieles. Auch die Vergabe einer Note kann bis
zu einem gewissen Grad ein Anhaltspunkt für eine persönliche Spielauswahl sein. Je-
doch zeigt sich hier auch schon eines der gravierendsten Probleme der Spielkritik: Die
Beurteilung eines Spieles ist subjektiv. Genauer gesagt heißt dies, dass die Bewertung
geprägt ist durch den Rezensenten. Dieser verfügt über einen bestimmten sozialen, kul-
turellen und politischen Hintergrund, besitzt bestimmte ästhetische Vorstellungen und
verfügt auch über eine bestimmte fachliche Kompetenz.
All diese Faktoren beeinflussen eine Rezension maßgeblich. Der abgegebene Eindruck
sowie die Spielreiz-Note sind nur aus dieser einen Perspektive gerechtfertigt. Je nach
Übereinstimmung der eigenen Ansichten, Werte und Erfahrungen mit denen des Rezen-
senten besitzt die Kritik für den einzelnen mehr oder weniger Gehalt.
Kennt der Leser den Rezensenten bzw. dessen Geschmack sowie vielleicht sogar dessen
Beurteilungskriterien, so kann er recht gut einschätzen, ob ein Spiel vielleicht interes-
sant für ihn sein könnte. Leider fehlt einer Rezension ohne Angaben über den Autor
sowie dessen Beurteilungskriterien und deren Gewichtung ein gewisses Maß an Gehalt.
Eine Rezension ohne diesen Rahmen kann keinerlei objektive Beurteilung abgeben, ob
ein Spiel „gut“ oder „schlecht“ ist.
Der Kontext einer Spielkritik besitzt demnach einen unglaublichen Einfluss. Die Beur-
teilung ist bewusst subjektiv gehalten, was zum einem eine hohe Übereinstimmung mit
dem durch den Spieler erlebten Spielspaß bedeutet, zum anderen dieser Bewertung aber
auch eine sehr geringe Übertragbarkeit bzw. Allgemeingültigkeit zukommen lässt.
Ganz abgesehen von diesem Hauptproblem ist oft nicht nachvollziehbar, aus welchen
Situationen diese Kritiken entstehen. Es fehlen meist Angaben über die Spielsituation
wie Mitspieler, Zeit, Stimmung usw. sowie Angaben über die Anzahl der gespielten
Partien. Diese Daten, einschließlich der Angabe persönlicher Bewertungskriterien,
könnten die Nachvollziehbarkeit sowie die Übertragbarkeit einzelner Rezensionen stark
erhöhen.
Ein weiteres ganz triviales Problem ist bei Rezensionen von Kinderspielen zu beobach-
ten. Obwohl Kinder ab einem bestimmten Alter durchaus in der Lage sind, ihre Spieler-
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen
Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen

Weitere ähnliche Inhalte

Andere mochten auch

Curious monkeys have increased gray matter density in the precuneus
Curious monkeys have increased gray matter density in the precuneusCurious monkeys have increased gray matter density in the precuneus
Curious monkeys have increased gray matter density in the precuneusFrancys Subiaul
 
Digital media landscape java plum
Digital media landscape   java plumDigital media landscape   java plum
Digital media landscape java plumOdino Pixar
 
Participacion politica mujeres en América Latina y El Caribe
Participacion politica mujeres en América Latina y El CaribeParticipacion politica mujeres en América Latina y El Caribe
Participacion politica mujeres en América Latina y El CaribeEvangelina Garcia Prince
 
Mi experiencia en la educacion a distancia
Mi experiencia en la educacion a distanciaMi experiencia en la educacion a distancia
Mi experiencia en la educacion a distanciaJEJV
 
Dr. Mauro Andino sobre los 50 años que cumple Escuelas Radiofónicas Populares...
Dr. Mauro Andino sobre los 50 años que cumple Escuelas Radiofónicas Populares...Dr. Mauro Andino sobre los 50 años que cumple Escuelas Radiofónicas Populares...
Dr. Mauro Andino sobre los 50 años que cumple Escuelas Radiofónicas Populares...Mauro Andino
 
EL MARAVILLOSO VINO
EL MARAVILLOSO VINOEL MARAVILLOSO VINO
EL MARAVILLOSO VINOJorge Llosa
 
091 Asistentes de frenada.pdf
091 Asistentes de frenada.pdf091 Asistentes de frenada.pdf
091 Asistentes de frenada.pdfjcarrey
 
Softskills fördern den Projekterfolg
Softskills fördern den ProjekterfolgSoftskills fördern den Projekterfolg
Softskills fördern den ProjekterfolgMatthias Bohlen
 

Andere mochten auch (17)

Curious monkeys have increased gray matter density in the precuneus
Curious monkeys have increased gray matter density in the precuneusCurious monkeys have increased gray matter density in the precuneus
Curious monkeys have increased gray matter density in the precuneus
 
admi
admiadmi
admi
 
Digital media landscape java plum
Digital media landscape   java plumDigital media landscape   java plum
Digital media landscape java plum
 
Documental unirem
Documental uniremDocumental unirem
Documental unirem
 
Participacion politica mujeres en América Latina y El Caribe
Participacion politica mujeres en América Latina y El CaribeParticipacion politica mujeres en América Latina y El Caribe
Participacion politica mujeres en América Latina y El Caribe
 
Mi experiencia en la educacion a distancia
Mi experiencia en la educacion a distanciaMi experiencia en la educacion a distancia
Mi experiencia en la educacion a distancia
 
E lerning
E lerningE lerning
E lerning
 
Dr. Mauro Andino sobre los 50 años que cumple Escuelas Radiofónicas Populares...
Dr. Mauro Andino sobre los 50 años que cumple Escuelas Radiofónicas Populares...Dr. Mauro Andino sobre los 50 años que cumple Escuelas Radiofónicas Populares...
Dr. Mauro Andino sobre los 50 años que cumple Escuelas Radiofónicas Populares...
 
FRANCIA
FRANCIAFRANCIA
FRANCIA
 
EL MARAVILLOSO VINO
EL MARAVILLOSO VINOEL MARAVILLOSO VINO
EL MARAVILLOSO VINO
 
Presentación de imágenes
Presentación de imágenesPresentación de imágenes
Presentación de imágenes
 
VENECIA
VENECIAVENECIA
VENECIA
 
091 Asistentes de frenada.pdf
091 Asistentes de frenada.pdf091 Asistentes de frenada.pdf
091 Asistentes de frenada.pdf
 
Facundo cabral
Facundo cabralFacundo cabral
Facundo cabral
 
Victor Hugo
Victor HugoVictor Hugo
Victor Hugo
 
Softskills fördern den Projekterfolg
Softskills fördern den ProjekterfolgSoftskills fördern den Projekterfolg
Softskills fördern den Projekterfolg
 
Moda zapattos
Moda zapattosModa zapattos
Moda zapattos
 

Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen

  • 1. Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen Ein Überblick zur Beurteilung von Gesellschaftsspielen mit Fokus auf der Altersempfehlung Magisterarbeit Simon Hilsdorf Lehrstuhl Erziehungswissenschaft II vorgelegt bei Prof. Dr. Manfred Hofer betreut von Prof. Dr. Heinz Reinders Mannheim, Juli 2007
  • 2. Inhalt 1. Kriterien der Evaluation von Brettspielen ....................................................................1 2. Die Relevanz der Fragestellung ....................................................................................2 3. Definition des Untersuchungsgegenstands ...................................................................6 4. Das Spiel .......................................................................................................................6 4.1 Wie unterscheidet sich „Spielen“ von anderen Handlungen?.................................6 4.2 Funktionen des Spiels ...........................................................................................11 4.2.1 Traditionelle Annahmen ................................................................................12 4.2.2 Psychologische Theorien des Kinderspiels....................................................14 4.2.3 Differenzielle Funktionen des Kinderspiels...................................................16 4.2.4 Die Zone nächster Entwicklung im Spiel ......................................................20 4.3 Das Regelspiel.......................................................................................................21 4.3.1 Das Gesellschaftsspiel....................................................................................23 5. Altersempfehlung........................................................................................................24 5.1 Die Altersangabe bzw. die Altersempfehlung in der Praxis .................................27 6. Forschungsstand..........................................................................................................31 7. Spielzeugbeurteilung...................................................................................................40 7.1 Ansatz der Spielkritik............................................................................................40 7.2 Pädagogisch und entwicklungspsychologisch orientierter Ansatz .......................42 7.2.1 Ein empirischer Ansatz der Spielzeugbeurteilung.........................................43 8. Handlungstheoretischer Ansatz des Regelspiels.........................................................46 9. Forschungsstrategie.....................................................................................................51 9.1 Das Forschungsdesign...........................................................................................52 9.2 Konzeption der Studie...........................................................................................53 9.3 Der Kriterienkatalog .............................................................................................53 9.4 Anforderungen des Spiels.....................................................................................56 9.4.1 Entwicklungen bei der Motorik und der Wahrnehmung ...............................57 9.4.2 Entwicklungen auf der intellektuellen Handlungsebene................................58 9.4.3 Entwicklungen auf der kommunikativ-kooperativen Handlungsebene.........61 9.5 Zusammenfassung.................................................................................................62 10. Die Beobachtungsstudie............................................................................................63 10.1 Versuchsaufbau...................................................................................................64 10.2 Ergebnisse...........................................................................................................65 10.3 Schlussfolgerung.................................................................................................74 11. Die Fragebogenstudie ...............................................................................................76 11.1 Untersuchung der uVs unter Kontrolle der Personenmerkmale .........................80
  • 3. 11.2 Zusammenfassung der Ergebnisse unter Kontrolle einer Variable.....................87 11.3 Multivariate Analysen.........................................................................................89 11.4 Fragebogenstudie: Sonstiges...............................................................................92 12. Ausblick und Zusammenfassung ..............................................................................95 13. Literaturverzeichnis ................................................................................................100
  • 4. Tabellenverzeichnis Tab. 1: Erreichen der Qualitätsstufe I nach Riemann (1987) 33 Tab. 2: Korrespondenz von kulturellen Aufgaben und Art des Regelspiels 38 Tab. 3: Kategoriensystem für die qualitative Erfassung der Probleme 56 Tab. 4: Beobachterbogen zur Erfassung der Altersempfehlung 56 bei Gesellschaftsspielen Tab. 5: Geschlecht der Teilnehmer 66 Tab. 6: Alter der Teilnehmer 66 Tab. 7: Probleme insgesamt 67 Tab. 8: Probleme - Halli Galli 67 Tab. 9: Probleme - Packeis am Pol 67 Tab. 10: Probleme in Abhängigkeit des Alters - "Halli Galli" 68 Tab. 11: Probleme in Abhängigkeit des Alters - "Packeis am Pol" 68 Tab. 12: problem_max 70 Tab. 13: problem_max in abhängigkeit des Alters 71 Tab. 14: Zusammenhang der Probleme einzelner Kinder bei verschiedenen Spielen 73 Tab. 15: Spielhäufigkeit 78 Tab. 16: "Für wen kaufen Sie bzw. für wen leihen Sie Spiele aus?" 78 Tab. 17: Mittelwerte und Standardabweichung der Kriterien 79 Tab. 18: Zusammenfassung in Kohorten 81 Tab. 19: Tendenzen für die Mittelwerte nach Personenmerkmal 89 Tab. 20: Ergebnissen der multivariaten Regressionen 89 Tab. 21: Angaben unter "Sonstiges" 92
  • 5. Abbildungssverzeichnis Abb. 1: Handlungsmodell nach Oerter (1999) 07 Abb. 2: Handlungsmodell des Spielens nach Oerter (1999) 08 Abb. 3: die konstruierte Realität im Spiel 13 Abb. 4: Stadien des Regelbewusstseins nach Piaget nach Oerter (1999) 32 Abb. 5: sozialisatorische Wirkung des Regelspiels nach Krappmann (1983) 36 Abb. 6: Prinzipien einer Spielzeugbeurteilung nach empirischen 45 Methoden (Einsiedler 1999) Abb. 7: Groborientierung einer entwicklungspädädagogischen 46 Spielzeugbeurteilung nach Einsiedler (1999) Abb. 8: Mittel der Regelspieltätigkeit nach Riemann & Otto (1990) 48 Abb. 9: Strukturkomponenten des Regelspiels 50 Abb. 10: Schematische Darstellung des Kriterienkatalogs 55 Abb. 11: Problemstärke in Abhängigkeit des Alters 69 Abb. 12: Altersverteilung der Onlineumfrage 78 Abb. 13: Mittelwert der Kriterien 80 Abb. 14: Relevanz der Kriterien in Abhängigkeit der Alterskohorte 81 Abb. 15: Relevanz der Kriterien in Abhängigkeit des Familienstandes 83 Abb. 16: Relevanz der Kriterien in Abhängigkeit des Geschlechts 84 Abb. 17: Relevanz der Kriterien in Abhängigkeit der Variable "für wen" 85 Abb. 18: Relevanz der Kriterien in Abhängigkeit der Spielhäufigkeit 86
  • 6. 1 1. Kriterien der Evaluation von Brettspielen Bei der Betrachtung des Marktes für Gesellschaftsspiele fällt auf, dass sowohl in Deutschland als auch weltweit die Zahlen der verkauften Spiele und der Neuerschei- nungen stetig steigen. Spielen ist immer öfter auch ein Hobby von Erwachsenen zu fin- den und nicht schon lange nicht nur mehr im Kinderzimmer zu Hause. Dabei nahm auch die Zahl der neuerscheinenden Kinderspiele stetig zu. Viele dieser Spiele werben mit einem pädagogischen Wert oder versprechen einen Lerneffekt für Kinder. Unter Eltern herrscht dabei meist die einhellige Meinung, dass sich Spiele posi- tiv auf die Entwicklung ihre Kinder auswirken. Umso verständlicher ist es, dass Eltern versuchen, geeignete Spiele für ihre Kinder zu finden. Schwierig ist es hingegen, diese Spiele zu identifizieren. Es gibt einige Aus- zeichnungen für empfehlenswerte Spiele wie den „Deutschen Spielpreis“, den „Deut- schen Lernspielpreis“, das österreichische „Spiel der Spiele“ oder auch das allgegen- wärtige „Spiel des Jahres“ mit seinem Ableger „Kinderspiel des Jahres“. Ohne Hilfe dieser Auszeichnungen fällt es dem Verbraucher recht schwer, ein Spiel zu beurteilen und auszuwählen. Schaut der Käufer sich verschiedene Spielschachteln an, so wird er feststellen, dass immer mehr Verlage mit Slogans werben, die die pädagogischen Vor- züge eines Spiels preisen. Hat der Käufer nun ein vermeintlich gutes Spiel gefunden, so stellt sich nun noch einmal die Frage danach, ob das Spiel für das eigene Kind auch tatsächlich geeignet ist. Bei dieser Frage steht für Eltern oft die Altersempfehlung im Vordergrund. Eine kleine Zahl oder eine Altersspanne entscheiden darüber ob ein Spiel geeignet oder „noch zu schwer“ beziehungsweise „zu leicht“ für das entsprechende Kind ist. An sich ist die Idee einer Altersempfehlung durchaus sinnvoll, wenn sie zum einen theoretisch begründet und zum anderen auch empirisch ermittelt worden ist. Leider ist dies aber nur in den seltensten Fällen zutreffend. Oft sind die Altersempfehlungen viel mehr ein „gut gemeinter Rat“ oder auch einfach eine scharf kalkulierte Benennung einer bestimmten Zielgruppe. Die Diskrepanz zwischen der ihr zugeschriebenen Bedeutung und der inhaltlichen Rele- vanz dieser Altersempfehlung war es, das Thema für die vorliegende Arbeit lieferte. Es soll hier versucht werden, das Konstrukt „Altersempfehlung“ etwas näher zu analysie- ren und darin enthaltene Schwächen zu identifizieren. Im Anschluss daran sollen Spiele
  • 7. 2 daraufhin empirisch untersucht werden, ob sie für ein bestimmtes Alter geeignet sind und gegebenenfalls neue Ideen und Anregungen zu der Altersempfehlung aufgeführt werden. Neben der Altersempfehlung stehen in dieser Arbeit auch andere Kriterien der Beurtei- lung von Spielen im Blickfeld. Über eine Fragebogenstudie wurde die Bedeutung ver- schiedener Kriterien ermittelt und anschließend analysiert. Dabei stand im Vordergrund welche Kriterien die Käufer von Spielen für ihre Auswahl heranziehen. 2. Die Relevanz der Fragestellung Die Relevanz der Fragestellung wurde in der Einleitung bereits kurz angeschnitten, soll an dieser Stelle aber noch einmal ausführlicher behandelt werden. Es geht hier nun also um die Frage, warum eine Arbeit über Kriterien der Evaluation von Gesellschaftsspielen mit Hauptaugenmerk auf Altersempfehlungen eine Relevanz besitzt. Um eine möglichst objektive und umfassende Antwort auf diese Frage zu geben, soll versucht werden die Relevanz auf verschiedenen Ebenen zu beleuchten. Die verschie- denen Ebenen sind dabei die Perspektive der Konsumenten, die marktwirtschaftliche Ebene und natürlich auch die wissenschaftliche Ebene aus Sicht der Entwicklungspsy- chologie und Pädagogik. Aus der Sicht der Konsumenten Die Relevanz aus Sicht der Konsumenten beinhaltet vor allem den Anspruch nach ei- nem Merkmal, an dem „gute Spiele“ erkannt werden können. Die schiere Zahl der Neu- erscheinungen pro Jahr oder auch die Zahlen der Aussteller auf der weltgrößten Spiel- warenmesse in Essen, lassen darauf schließen, dass mit mehr als 730 Ausstellern aus 31 Nationen der Spielemarkt für den Verbraucher absolut unüberschaubar ist. Auf dem Spielemarkt gibt es zwar einzelne Kritikerpreise, Fachmagazine oder aber auch die Altersempfehlung, um vermeintlich empfehlenswerte Spiele zu identifizieren, jedoch handelt es sich bei diesen meist nicht um objektiv überprüfbare Kriterien. Viele dieser Preise und Rezensionen beruhen auf dem subjektiven „Spielreiz“ des Tes- ters und selbst wenn Spiele auf ihre Geeignetheit für eine bestimmte Gruppe getestet werden, liegt dabei selten ein vordefinierter Kriterienkatalog vor. Eine Transparenz ist im Bereich der Gesellschaftsspiele selten gegeben und die Nachvollziehbarkeit einzel- ner Testergebnisse ist unter objektiven Gesichtspunkten fragwürdig.
  • 8. 3 Die Altersempfehlung ist hierfür ein Paradebeispiel: Fast alle Spielehersteller, Verlage und Autoren nutzen sie, jedoch ist nirgends ein einheitlicher Kriterienkatalog vereinbart und festgelegt worden. Aus diesem Grund sind die Transparenz der Bewertungsgrund- lage sowie eine Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Verlagen absolut nicht gege- ben. Aus der Sicht der Konsumenten besteht die Relevanz dieser Arbeit darin, möglichst objektive und vergleichbare Bewertungskriterien für Gesellschaftsspiele zu identifizie- ren, um den Konsumenten damit eine aussagekräftige und begründete Orientierungshil- fe für ihre Auswahl zu bieten. Besonders die Altersempfehlung sticht dabei ins Auge, da hierbei ein Kriterienkatalog durchaus machbar und auch absolut sinnvoll wäre. Ältere Spieler suchen sich ihre Spie- le nach eigenen Vorlieben, Interessen und Empfehlungen von Freunden aus. Im Gegen- satz dazu stehen Kinderspiele: Gerade diese werden von Eltern aufgrund von fragwür- digen Slogans wie „pädagogisch empfehlenswert“ oder eben aufgrund der Altersemp- fehlung gekauft, da das Angebot der Kinderspiele unüberschaubar ist. Der Anspruch dieser Arbeit ist die Diskussion eines Kriterienkatalog, mit dessen Hilfe die Altersempfehlung zu einer empirisch überprüfbaren Aussage wird, die Gesell- schaftsspiele für eine bestimmte Altersstufe als „empfehlenswert“ charakterisiert. Aus der marktwirtschaftlichen Sicht Auf der marktwirtschaftlichen Ebene besteht zu allererst ein Interesse an dem Gesell- schaftsspiel als Produkt. Verlage und auch Autoren sind daran interessiert, dass ihre Spiele verkauft werden aber auch daran, dass sie den Wünschen und Erwartungen der Kunden gerecht werden. Bei der Betrachtung der Erfolgsgeschichten einiger Spiele, lässt sich schnell feststellen, dass das Produkt „Spiel“ durchaus eine wirtschaftliche Relevanz hat. Beispielhaft dafür ist sicherlich das Gesellschaftsspiel „Die Siedler von Catan“, das, mit seinen Ablegern aus der Catan-Serie, über 14 Millionen Mal verkauft wurde. Die Marktforschungsgrup- pe toy.de des „Deutschen Verbands der Spielwaren Industrie e.V.“ bestätigt diese Rele- vanz: In von ihr veröffentlichten Mitteilungen zeigt sie, dass die „Warengruppe Spiel“ insgesamt (Spiel, Puzzles und Sammelkarten) trotz eines leichten Rückgangs immer noch große Bedeutung hat (http://www.toy.de/fakten-2005/umsatz-2005.pdf, abgerufen
  • 9. 4 am 12.06.07) und der Anteil der traditionellen Spiele am Spielemarkt sogar wächst (http://www.toy.de/fakten-2005/hauptwarengruppen-2005.pdf, abgerufen am 12.06.07). Mit diesem marktwirtschaftlichen Potenzial sollte eine Relevanz deutlich werden, die sich vor allem in einem Interesse an „guten Spielen“ seitens der Verlage zeigen sollte. Die Konkurrenz zwingt Anbieter, ein bestmögliches Produkt zu liefern, welches dann auch in einem objektiven Vergleich seine Vorzüge gegenüber anderen Produkten zeigen sollte. Ein Kriterienkatalog stellt dabei eine geeignete Möglichkeit des empirischen Verglei- ches dar. Auch Umfragen zur Bestimmung der Zielgruppen sollten eine große Bedeu- tung aus unternehmerischer Sicht haben. Auf entwicklungspsychologischer Ebene Letztlich stellt sich natürlich auch die Frage, was die Entwicklungspsychologie zu die- ser Fragestellung beitragen kann und ob das Forschungsgebiet eine fachliche Relevanz aufweist. Die Frage nach dem Beitrag der Entwicklungspsychologie lässt sich gut aus der Ge- schichte der Spielforschung ableiten. Die ersten theoretischen Untersuchungen des men- schlichen Spielverhaltens gehen unter anderem zurück auf Groos, Huizinga oder aber auch Piaget. Dabei wurde vor allem untersucht, welche Funktion das Spielen hat und in diesem Zusammenhang auch welche verschiedenen Spielformen voneinander abgrenz- bar sind. Gerade die Untersuchung von Spielsequenzen und deren altersbedingte Abfol- ge (dazu in Kapitel 6 mehr) identifizieren die Altersempfehlung als Bestandteil der Entwicklungspsychologie. Ebenso lassen sich auch Anforderungen des Spiels aufzei- gen, deren Bewältigung in direktem Bezug zu der (altersbedingten) Entwicklung des Spielenden stehen. Aus Sicht der Entwicklungspsychologie sollte damit die Konstruktion eines Kriterienka- talogs zur Messung einer Altersempfehlung möglich sein. Dieser sollte dabei theore- tisch begründet und hinterfragt sein. Ziel eines solchen Kriterienkataloges für die Al- tersempfehlung sollte es sein, die Probleme beim Spielen von Gesellschaftsspielen, also deren Anforderungen, empirisch messen zu können. Dadurch sollten dann Aussagen getroffen werden können, die ein Spiel als „dem Alter entsprechend“ empfehlen, d. h. Spiele die mit ihren Anforderungen der Entwicklung des Kindes gerecht werden und das Kind dabei weder unter- noch überfordern.
  • 10. 5 Ein weiterer wichtiger Punkt aus Sicht der Entwicklungspsychologie ist der Beitrag des Spiels zur Entwicklung des Kindes. Neben dem Einsatz so genannter „Lernspiele“ zur gezielten Förderung herrscht eine fast einhellige Meinung darüber, dass das Spielen einen enormen Beitrag zur Entwicklung des Kindes beiträgt. An dieser Stelle soll auf diesen Aspekt jedoch nicht eingegangen werden, da verschiedene Studien zu diesem Thema mit ihren Ergebnissen in Kapitel 6 dargestellt werden. Neben dieser Relevanz in Bezug auf Kinderspiele besteht durchaus auch Potenzial für den Einsatz bzw. der Bedeutung von Gesellschaftsspielen in anderen Bereichen. Gerade für Integrationsarbeit mit Migranten eignen sich Spiele hervorragend. Ebenso sollte auch das Spielen im Erwachsenenalter sowie im Seniorenalter Interesse aus einer päda- gogischen Perspektive wecken.
  • 11. 6 3. Definition des Untersuchungsgegenstands Zentraler Gegenstand der Analyse sind in dieser Arbeit die Altersempfehlungen für Spiele. Neben diesem Kriterium gibt es natürlich noch weit mehr Kriterien der Evalua- tion, jedoch kann aus zeitlichen Gründen nicht auf (teilweise auch subjektive) Bewer- tungsmerkmale wie „Spielspaß“, Material, „Lerneffekt“ usw. eingegangen werden. Um ein genaueres Bild des Forschungsgegenstandes zu bekommen, empfiehlt es sich erst einmal, diesen näher zu definieren. In dieser Studie muss zum einen geklärt werden, was unter einem (Gesellschafts-)Spiel verstanden wird und zum anderen was der Be- griff der „Altersempfehlung“ bedeutet und beinhaltet. 4. Das Spiel Um den Begriff „Spiel“ zu klären und zu bestimmen, eignet sich der Blick auf vergan- gene Untersuchungen und Überlegungen zu diesem Thema. Ziel sollte es dabei sein zu erörtern, was die Handlung „Spielen“ genau ist, welche Funktion das Spielen für die Entwicklung des Menschen hat sowie welche verschiedenen Spielformen es gibt. Inter- essant dabei ist, dass sich Personen aus den verschiedensten Fachgebieten mit dem Spielen auseinandergesetzt haben und diese sich diesem Thema aus sehr unterschiedli- chen (theoretischen) Perspektiven genähert haben. 4.1 Wie unterscheidet sich „Spielen“ von anderen Handlungen? Eine nähere Untersuchung des „Spielens“ setzt voraus, die Spielhandlung zu bestim- men. Dazu muss versucht werden, Spielen von anderen Handlungen abzugrenzen. Das Aufzeigen dieser Besonderheiten sollte uns näheren Einblick in die Spielhandlungen geben. Diese Merkmale sind zwar keine Definition des Begriffs „Spiel“, jedoch sollen sie helfen, den Gegenstand des Interesses näher zu charakterisieren. Die Vorgehensweise orientiert sich dabei stark an den Arbeiten Oerters. Dieser unter- sucht das Spielen aus einer handlungstheoretischen Perspektive und nennt dabei drei Besonderheiten des Spielens. Im folgenden Kapitel sollen auf die „Handlung als Selbst- zweck“, die „Realitätskonstruktion“ sowie auf „Ritual und Wiederholung“ als notwen- dige Merkmale des Spielens eingegangen werden.
  • 12. 7 Die Handlungstheorie unterstellt dem Spielenden, wie bei jeder Handlung, ein zielge- richtetes und absichtliches Tun. Genauer gesagt bedeutet dies, dass der Akteur zielge- richtet, d.h. mit einer Absicht handelt und dabei einen Gegenstandsbezug hat. Dieser Gegenstand kann beim Spielen ein Spielobjekt oder aber auch eine Person, wie die Mut- ter des spielenden Kindes sein. Besonders zu beachten ist dabei auch, dass die Gegens- tände nicht materiell vorhanden sein müssen, sondern auch als gedankliche Objekte repräsentiert sein können. An dieser Stelle kann aus Gründen des Umfangs leider nicht näher auf die verschiedenen (Spiel-) Objekte eingegangen werden. Im Laufe dieser Ar- beit wird jedoch das Gesellschaftsspiel als Forschungsgegenstand eingehender betrach- tet. Für einen Überblick über den Gegenstandsbezug beim Spielen sei Arbeiten Oerters verwiesen. Zweckfreiheit des Spielens Die erste Besonderheit des Spiels erschließt sich bei näherer Betrachtung der Hand- lungsfolge im Spielen. Es empfiehlt sich, dafür einen Blick auf ein an Heckhausens Mo- tivationsmodell angelehntes Handlungsmodell zu werfen. Dieser gliedert eine vollstän- dige Handlung in die Elemente „Situation“, „Handlung“, „Ergebnis“ und „Folge“. Abbildung 19: Handlungsmodell nach Oerter (1999) Eine vollständige Handlung ergibt sich demnach aus einer Situation, in der eine be- stimmte Handlung zu einem Ergebnis führt, welches wiederum gewisse Folgen nach sich zieht. Der große Unterschied beim Spielen ist nach Oerter das Fehlen der Folge im Hand- lungsmodell. Oerter meint dazu: „Beim Spielen fehlt die Berücksichtigung der Folgen, es wird um seiner selbst willen betrieben, d. h. die Spieltätigkeit und in manchen Fällen auch noch das Spielergebnis sind entscheidend.“ (Oerter, 1999, S.5) Situation Handlung Ergebnis Folge
  • 13. 8 Abbildung 20: Handlungsmodell des Spielens nach Oerter (1999) Sobald bei einer spielerischen Tätigkeit die Folge wieder in das Zentrum rückt, ändert sich die Tätigkeit vom Spielen zur Arbeit. Wer Fußball „spielt“, spielt des Spielens wil- lens, wer in der Fußball-Bundesliga wöchentlich „spielt“, der arbeitet, denn die Folge (inklusive des Verdienens des eigenen Lebensunterhalts) steht im Vordergrund. Intrinsische Motivation und Flow-Erlebnis Eine weitere Besonderheit des Spiels ist der auffallende Charakter der Motivation bei dieser Tätigkeit. Gerade Handlungen, die sich über ihre Folge definieren, beziehen ihre Motivation meist über ebendiese. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Arbeit: Die Mo- tivation der Arbeit wird hauptsächlich durch die Folge, also unter anderem durch den monetären Lohn, bestimmt. Das Aufrechterhalten des Spielens dagegen erfolgt oft, ohne ein Ziel im Blick zu haben, sondern geschieht durch die so genannte „intrinsische Motivation“. Verschiedene Autoren wie z. B. Heckhausen (1963/64) oder Huizinga (1955) schreiben dem Spielen einen sich selbst verstärkenden und sich selbst belohnenden Charakter zu. Oerter spricht dabei vor allem von zwei Erlebnisformen, die dazu führen, das Spiel auf- recht zu erhalten. Zum einen ist dies die „Erfahrung des Aufgehens in der Umwelt, also die Verschmelzung des Spielenden mit der Umwelt“, und zum anderen die „Erfahrung der Heraushebung des Ichs, das gesteigerte Existenzbewusstsein oder die Selbsterweite- rung“ (Oerter, 1999, S.7). Unter der „Verschmelzung mit der Umwelt“ versteht Oerter, analog zu der Beschrei- bung des Flow-Erlebnisses von Rheinberg (1989,1991), ein Aufgehen in der Tätigkeit. Eine Verschmelzung des Selbst mit der Tätigkeit geht oft mit dem Verlust von Reflexi- vität und der Selbstbewusstheit einher (vgl. Rheinberg, 1991). Die „Heraushebung des Ichs“ sowie das „gesteigerte Existenzbewusstsein“ finden nach Oerter vor allem bei der Meisterung von Tätigkeiten und Risiken in Spielen statt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die spielerische Tätigkeit sich durch diese Besonderheiten selbst aufrechterhält und dabei in sich selbst verstärkend wirkt. Die Mo- Situation Handlung Ergebnis
  • 14. 9 tivation dieser Tätigkeit definiert sich nicht über ein Endergebnis oder einen äußeren Anreiz, sondern ist intrinsischer Natur. Der Spielende erfährt ein Aufgehen in der spie- lerischen Handlung: er verschmilzt mit seiner Umwelt. Dieses „Verschmelzen mit der Umwelt“ geschieht meist bei motorischen Spielen. Bei Regelspielen dagegen überwiegt die Motivation durch die „Heraushebung des Ichs“ sowie dem „gesteigerten Existenzbewusstsein“. Der Spielende erfährt in der Meisterung spielerischer Risiken und Anforderungen ein positives Erlebnis. Er erfährt den Reiz der Lösung von Problemen oder seine schöpferische Kraft beim Konstruktionsspiel. Die meisten Spiele erhalten ihre Motivation über beide Erlebnisformen. Die Bedeutung der Verschmelzung mit der Umwelt oder der Steigerung des Existenzbewusstseins va- riiert je nach den spielerischen Handlungen. Die Spielaktivität erscheint dem Indivi- duum trotz seiner fehlenden Handlungsfolge sinnvoll, denn sie vermittelt „Grunderfah- rungen menschlicher Existenz, die außerhalb des Spiels möglicherweise nicht oder nicht mehr erfahrbar sind“ (Oerter, 1999, S.7). Der Wechsel des Realitätsbezuges beim Spielen Als weiteres wichtiges Kriterium des Spiels nennt Oerter den wechselnden Realitätsbe- zug des Spiels. Entgegen der gesellschaftlichen Realität schaffen sich Spielende einen eigenen Realitätsbezug. Dies geschieht zum Beispiel beim Spielen mit Puppen als auch bei Gruppenspielen wie „Räuber und Gendarm“ oder den Regelspielen, bei denen meh- rere Spieler gemeinsam in einen anderen Realitätsbezug wechseln können. Diese Konstruktion einer eigenen Realität im Spiel findet sich auch im Tierreich. Hier tragen Jungtiere spielerische Kämpfe aus oder spielen mit einer fiktiven Beute. Diese Parallelen zum menschlichen Spielen eignen sich gut zur Erklärung des Phänomens „Spielen“. Jungtiere und auch Kinder können im Spiel durch die Konstruktion einer eigenen Realität spielerisch handeln, ohne die Folgen des Handelns in der gesellschaft- lichen Realität fürchten zu müssen (vgl. Abbildung 2). Deutlich wird dies am Beispiel von den oben schon erwähnten spielerischen Kämpfen: Wenn alle beteiligten Akteure die Situation als Spiel deuten, kann ein Kampf gefahrlos, ohne seine oft tödlichen Konsequenzen, ausgetragen werden – es fehlt eben die Folge der Handlung, die in der gesellschaftlichen Realität unvermeidbar wäre.
  • 15. 10 Wiederholung und Ritual Als drittes besonderes Merkmal des Spiels nennt Oerter die Wiederholung sowie das Ritual. Die Wiederholung tritt im Spiel in verschiedenen Formen auf. In seiner nieders- ten Form findet man die Wiederholung schon bei Kleinkindern: Das Kind kann bei- spielsweise eine Werfbewegung immerzu wiederholen und sich am Fliegen des Balles erfreuen. Diese Freude am erzielten Effekt durch Bewegung hängt vor allem mit der Meisterung einer Leistung zusammen. Das Kind kann einen Effekt aktiv herbeiführen und erfreut sich an diesem. Csikszentmihalyi (1985) spricht im Zusammenhang der Wiederholungen von Spielhandlungen von dem „Flow-Erlebnis“. Dieses ist „mit be- sonderen Emotionen gekoppelt“ und ermöglicht „neben dem Meisterungserlebnis das Aufgehen in der Tätigkeit sowie Verschmelzungserlebnisse“ (Oerter, 1999, S.16). Die nächsthöhere Form der Wiederholung stellt die Variation dar. Beim Spielen verän- dert das Kind seine Handlungen. Dies kann beim Rollenspiel eine andere Interpretation der Rolle sein, beim Konstruktionsspiel eine neue Bauform oder auch beim Regelspiel eine andere spielerische Vorgehensweise innerhalb der festgelegten Regeln. Auch in der Wiederholung mit Variationen lassen sich die vorher beschriebenen positi- ven Emotionen wieder finden: Durch die Variation der Spielhandlung kann das Kind wiederum ein Meisterungserlebnis erfahren und die Effekte des „Flow-Erlebnisses“ kommen zum Tragen. Die letzte und höchste Form der Wiederholung stellt das Ausspielen unverarbeiteter Erlebnisse oder nicht erreichbarer Wünsche dar. Diese Vorstellung der Wiederholung ist vor allem durch die Arbeiten Piagets geprägt. Da im folgenden Kapitel jedoch näher auf diese Form der Wiederholung eingegangen wird, soll sie hier nur kurz erwähnt blei- ben. Das Ritual stellt eine Sonderart der Wiederholung dar. Unter Ritualen versteht man „festgelegte Formen sozialer Verhaltensweisen, die zu bestimmten Anlässen immer wieder und in der gleichen Weise reproduziert werden“ (Oerter 1999, S.17). Aus psy- chologischer Sicht liefert das Ritual den Teilnehmern Sicherheit und ein Gefühl der Existenzsteigerung. Letzteres wird deutlich durch die klare Abhebung des Rituals vom Alltag. Als Teilnehmer an Ritualen zu besonderen Anlässen erleben diese oft Gebor- genheit oder ein Gefühl der Feierlichkeit. Beispiele hierfür sind unter anderem sportli-
  • 16. 11 che Großveranstaltungen oder aber auch religiöse Feierlichkeiten. Die sicherheitsspen- dende Funktion des Rituals beruht auf seinem festgelegten und wiederholenden Charak- ter. Den Teilnehmern ist bekannt, wie die Rituale ablaufen und welche Rolle sie dabei einnehmen, so dass sie in diesem Rahmen Sicherheit finden. Auf das Spiel bezogen lässt sich die Existenzsteigerung des Rituals beispielsweise bei der Abgrenzung des Spiels zum Alltag oder auch bei dem „auf-und-ab“ der spieleri- schen Handlungen finden. Ebenso geben Spiele, und hier gerade auch Regelspiele, durch ihren festen Rahmen Sicherheit, in der die Spieler agieren. Das Regelspiel schränkt die Freiheit des Spielers zwar ein, jedoch geben die Regeln auch gleichzeitig Geborgenheit und Sicherheit durch vorgegebene Zugmöglichkeiten was diese Ein- schränkung wiederum sehr attraktiv erscheinen lässt. 4.2 Funktionen des Spiels Bei der Untersuchung des Spielverhalten und dabei gerade auch des Kinderspiels wird sich früher oder später die Frage stellen, warum der Mensch überhaupt spielt. Um die Funktion des Kinderspiels näher zu identifizieren, lohnt es sich, auch einen Blick auf evolutionäre Theorien des Spiels aus der Biologie zu werfen. Es lassen sich verschie- denste Spielformen sowohl bei Menschen als auch bei Tieren finden. Anzumerken sei hierbei noch, dass das menschliche Spiel aber auch (komplexere) Formen aufweist, die so im Tierreich nicht zu finden sind. Zunächst werden hier die traditionellen Annahmen vorgestellt und kritisch betrachtet. Diese haben oft einen direkten Bezug zu den früheren Beobachtungsstudien aus dem Tierreich und versuchen dabei meist Analogien zwischen dem menschlichen und dem tierischen Spielverhalten zu finden. In dieser Betrachtung der traditionellen Annahmen wird auch ein direkter Bezug zum vorherigen Kapitel, dem handlungstheoretischen An- satz des Kinderspiels, hergestellt werden. Im Anschluss an diese Betrachtungen werden die differenziellen Funktionen des Spiels näher erläutert. Dieser Ansatz unterstellt unterschiedlichen Spielformen jeweils spezifi- sche Funktionen. Dadurch soll ein noch differenzierteres Bild der Funktion des Spieles aufgezeigt werden.
  • 17. 12 4.2.1 Traditionelle Annahmen Die frühen traditionellen Annahmen des Kinderspiels bauen oft auf Beobachtungsstu- dien und Theorien aus dem Tierreich auf. Einen wichtigen Beitrag für die Forschung leistete dabei insbesondere Groos (1899), der, analog zu dem tierischen Spiel, umfas- sende Annahmen über das Kinderspiel formulierte. Groos’ Ansichten zum Kinderspiel waren zu seiner Zeit revolutionär. Es herrschte die viel verbreitete Meinung, dass das Kinderspiel lediglich eine Pseudoaktivität, d. h. ohne funktionelle Bedeutung für das Kind, sei. Teilweise kursierte sogar die Ansicht, das Kinderspiel sei schädlich für die Entwicklung, da es das Kind von seinen Pflichten abhalte. Erst Groos erkannte und formulierte das Spiel als einen wichtigen Teil der menschlichen Reifung. Groos betrachtete dabei das Kinderspiel aus einer biologisch-evolutionären Perspektive. Dem Kinderspiel wohne seiner Ansicht nach eine Vorübefunktion inne, die für die spä- tere Bewältigung des Lebens unabdingbar sei. Gerade im Bereich der sensorischen oder motorischen Spiele zeigten seine Annahmen dabei Parallelen zum Spiel der Tiere. Das spielende Experimentieren stellt Groos’ Meinung nach ein Einüben und Ausbilden un- fertiger Anlagen dar. Obwohl Groos’ Annahmen heute durchaus noch interessant und erwähnenswert sind, weisen sie auch Schwächen auf. Beispielsweise konnten von Groos erwähnte Instinkte, die durch das Spiel eingeübt werden sollten, nicht nachge- wiesen werden (so z.B. der „Pflegeinstinkt“ der Mädchen). Interessant für die Theorien Groos’ ist der Bezug zu den handlungstheoretischen Ansät- zen des Spiels: Wie vorher schon erwähnt, sieht Groos die Funktion des Spiels im Aus- bilden und Einüben von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Entscheidend für diese Funktion im direkten Bezug auf die Handlungstheorie sind das Wegfallen der Handlungsfolge und der Wechsel des Realitätsbezuges der Spielenden. Anschaulich werden diese Überlegungen am Beispiel eines Cowboy-und-Indianer- Spiels bei Kindern auf dem Schulhof. Über das gemeinsame Spiel schaffen sich die Kinder einen neuen Realitätsbezug. Sie sind nun nicht mehr Schüler, sondern entweder Cowboys oder Indianer. Dieser Realitätsbezug gibt ihnen den Rahmen zum Handeln. Gleichzeitig fehlt aber auch die oft entscheidende Handlungsfolge im Spiel. Wenn jetzt ein Indianer mit Pfeil und Bogen angreift, besteht für den Cowboy keine Gefahr wirk- lich verletzt zu werden, da alle Spieler in einer von ihnen konstruierten Realität handeln. Sobald aber ein Spieler diese konstruierte Realität verlässt und beispielsweise mit einem
  • 18. 13 Stein nach einem anderen Spieler wirft, finden sich die Kinder schlagartig in der gesell- schaftlichen Realität mit all ihren Konsequenzen und Gefahren wieder. Abbildung 21: die konstruierte Realität im Spiel Das Wegfallen der Handlungsfolge, also sowohl die Handlung als Selbstzweck als auch die Realitätskonstruktion, ermöglichen dem Kind demnach erst das gefahrlose Spielen. Im Rahmen der konstruierten Realität des Spiels können Kinder, wie auch Jungtiere, Fähigkeiten und dazugehörige Situationen ausprobieren und einüben, ohne deren oft unvermeidbaren Folgen fürchten zu müssen. Aufbauend auf die Arbeiten von Groos ist Piagets Spieltheorie. Piaget distanziert sich von dem Begriff der Vorübung und sieht im Spiel eher „eine Übung der aktuellen […] nicht aber eine Vorübung künftiger Intelligenz“ (Piaget, 1969, S.197). Gerade das sen- somotorische Spiel dient seiner Meinung nach mehr der Einübung vorhandener Fertig- keiten und Fähigkeiten als dem Erlernen von Neuem. Folgt Piaget den Überlegungen Groos’ bezüglich des sensomotorischen Spiels noch nah, so weicht seine Ansicht bezüglich der Symbol- oder Fantasiespiele stark von den Überlegungen Groos’ ab. Piaget kritisiert dabei die Vorstellung des Spiels als inhaltli- che Vorübung wie beispielsweise das Puppenspiel der Mädchen als Einübung der Mut- terrolle. Ähnlich wie beim sensomotorischen Spiel liegt auch hier seiner Ansicht nach die Bedeutung in der aktuellen Verwendung der Schemata. Piaget prägte bei diesen Überlegungen die Begriffe „Akkommodation“ und „Assimila- tion“ in Anknüpfung an den wechselnden Realitätsbezug beim Spielen. Im Spiel formt das Kind die Realität nach seinen Wünschen und Bedürfnissen um, es assimiliert die Umwelt. Dahingegen beschreibt die Akkommodation die Anpassung an die Realität bzw. die Umwelt: Erst im Laufe seiner Entwicklung ist das Kind in der Lage, die erlern- ten Schemata an die Umwelt anzupassen. Situation Handlung Ergebnis Folge konstruierte Realität gesellschaftliche Realität
  • 19. 14 Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Kind im Spiel zuerst Routinen und Schema- ta erwirbt, diese aber erst später durch das Wechselspiel von Assimilation und Akkom- modation auch variabel bei verschiedenen Umweltbedingungen einsetzen kann. Oerter meint zu dem wechselnden Realitätsbezug: „Seine [dem Kind] ihm gemäße Form des realitätsschaffenden und –verändernden Handelns ist das Spiel, dem keine realen Kon- sequenzen folgen. Durch diesen zweckfreien Charakter gewinnt das Kind die Freiheit, die es angesichts des einseitig gerichteten Sozialisationsdruckes – und der existiert in jeder Gesellschaft – so nötig zur Selbstentfaltung braucht.“ (Oerter, 1999, S.14) 4.2.2 Psychologische Theorien des Kinderspiels Neben den Verhaltensforschern und Pädagogen beschäftigten sich auch verschiedene Psychologen mit der Frage nach dem Sinn bzw. der Funktion des Spiels bei Kindern. In diesem Kapitel sollen die Theorien Freuds, Wygotskis und Piagets verkürzt vorgestellt werden. Wie sich später herausstellen wird, zeigen sich trotz der unterschiedlichen Herange- hensweisen der Autoren Gemeinsamkeiten in ihren Auffassungen bezüglich der Funkti- on des Spiels für die kindliche Entwicklung. Freud: Wunscherfüllung und Katharsis Freund schreibt dem Spiel als Hauptfunktion die Wunscherfüllung zu. Das Spiel ermög- licht dem Kind, Wünsche auszuleben, die in der Realität gar nicht oder noch nicht er- füllt werden können. Im Spiel regiert nach Freud das Lustprinzip (im Gegensatz zu dem Realitätsprinzip außerhalb des Spiels). Freud sieht das Spiel als kindliche Möglichkeit, um tabuisierte Impulse ausleben zu können. In diesem Zusammenhang spricht Freud auch von der Katharsis-Hypothese. Diese be- sagt, dass eine Bewältigung früherer Probleme durch wiederholtes Ausleben ebendieser erfolgen kann. Im Spiel findet das Kind die Möglichkeit, durch das wiederholte Durch- spielen von Problemen bzw. Triebwünschen sich mit diesen auseinanderzusetzen. Freud sieht in dieser Wiederholung eine reinigende Funktion, die das Kind von seinen Äng- sten befreien kann, da es durch die Wiederholung zum „Herrn der Situation“ (Freud, 1920, S.226) werden kann.
  • 20. 15 Wygotski: Realisation unrealisierbarer Wünsche Wygotski sieht die Funktion des Spiels in der Realisierung zurzeit unrealisierbarer Wünsche. Diese Wünsche sind meist durch kindliche Themen wie dem Erwachsen-Sein besetzt, welche in der Realität momentan nicht erfüllt werden können. Anders als die Erwachsenen sind Kinder noch nicht in der Lage, ihre Wünsche und Bedürfnisse aufzu- schieben. Das Spiel bietet hierzu eine Lösung, da es die durch das Kind konstruierte Realität im Spiel dem Kind ermöglicht diese Wünsche auszuleben. Nach Wygotski ist das Spiel „als eingebildete, illusionäre Realisation unrealisierbarer Wünsche zu verste- hen“ (Wygotski, 1930, S.443). Wygotski fügt dabei noch hinzu, dass die kindlichen Wünsche meist nicht konkrete, sondern eher allgemeine Wünsche sind. Diese typischen Kinderwünsche sind dabei den Kindern als Motiv ihres Handelns nicht bewusst. Diese Unbewusstheit grenzt nach Wy- gotskis das Spielen von anderen Tätigkeiten wie dem Arbeiten ab. Piaget: Assimilation als Gegenwehr Piaget sieht das kindliche Spiel durch einen Überhang an Assimilation gekennzeichnet. Diese Assimilation stellt dabei eine Anpassung der Schemata des Kindes an die Umwelt dar. Dies erfolgt Piaget zufolge in Form einer Gegenreaktion gegen den Sozialisations- druck sowie den äußeren Zwang der allgemeinen Wirklichkeit. Das Kind schafft sich beim Spielen eine eigene Realität, die im Gegensatz zu der gesellschaftlichen Realität frei von den oft überfordernden sozialen und physikalischen Anforderungen der Er- wachsenenwelt ist. Um diese konstruierte Realität abzugrenzen und gegen die gesell- schaftliche Realität der Erwachsenen zu schützen, besteht im kindlichen Spiel ein Über- hang an Assimilation. Im Spiel soll eine „erzwungene Akkommodation an eine allge- meine Wirklichkeit“ (Piaget, 1969, S.216) vermieden werden. D. h. dadurch, dass das Kind im Spiel die Umwelt an seine eigenen Schemata anpasst, kann es noch verhindern, sich den Gegebenheiten und Zwängen der gesellschaftlichen Realität zu unterwerfen. Die kindlichen, teilweise falschen Schemata können im Spiel bestehen bleiben, denn die Realität wird entsprechend der Schemata angepasst und nicht umgekehrt. Interessanterweise schreiben die unterschiedlichen psychologischen Theorien dem Spiel doch alle eine ähnliche Funktion zu. Das (kindliche) Spiel übernimmt dabei „Aufgaben der Lebensbewältigung zu einem Zeitpunkt, da andere Techniken noch nicht ausgebil- det sind“ (Oerter & Montada, 2002, S.223).
  • 21. 16 4.2.3 Differenzielle Funktionen des Kinderspiels Die neuere Verhaltensforschung zeigte, dass eine einheitliche Funktionszuschreibung für das Kinderspiel nahezu unmöglich ist. Gerade in den ersten Sequenzen des Kinder- spiels ist eine genauere Differenzierung dringend erforderlich. Es wurde daher versucht, die Funktionen des Kinderspiels genauer aufzuschlüsseln, wozu man die verschiedenen Typen des Spiels individuell auf ihre möglichen Funktionen hin untersuchte. Dieses Kapitel untersucht zuerst eine Grobeinteilung des Spiels in das Objekt- und das Sozialspiel wie es auch bei den Tieren zu finden ist. Anschließend an diese Darstellung findet sich die detailliertere Sequenzierung des Kinderspiels. Anzumerken sei hierbei noch, dass die hier genannten Ansätze und Untersuchungen zur Grobeinteilung in Objekt- und Sozialspiel oft der tierischen Verhaltensforschung ent- stammen. Unter Vorbehalten sind jedoch auch viele der dort erhaltenen Informationen auf die menschliche Entwicklung übertragbar. Die Unterscheidung zwischen Objekt- und Sozialspiel Die Unterscheidung des Kinderspiels unterstellt dem Spiel unterschiedliche Funktion in Abhängigkeit von den verschiedenen Spielformen. Es wird dabei vorerst nur zwischen dem Objektspiel sowie dem Sozialspiel und ihren jeweiligen Funktionen für die Ent- wicklung unterschieden. Das Objektspiel bezeichnet das Spiel mit der unbelebten Umwelt oder aber auch dem eigenen Körper als Objekt, wohingegen bei dem Sozialspiel die Interaktion mit anderen Individuen im Vordergrund steht. Verschiedene Untersuchungen lassen darauf schließen, dass man dem Objektspiel eine biologische Funktion zusprechen kann: Das Jungtier bzw. das Kind erprobt und er- forscht dabei seine Umwelt. Spielerisch werden beispielsweise Materialeigenschaften von Gegenständen oder aber auch physikalische Bedingungen begriffen und durch wie- derholte Spielhandlungen eingeübt. Nachgewiesen wurde diese Lernfunktion des Ob- jektspiels in verschiedenen Versuchen, unter anderem durch Sylva, Bruner & Genova (1976), Smith & Dutton (1979) oder Vanderberg (1981). Eine ebenso wichtige Funktion konnte dem Sozialspiel zugesprochen werden. Im spie- lerischen Umgang mit anderen Individuen können soziale (Gruppen-)Beziehungen er- lernt und erfasst werden. Dabei können Hierarchien und Rollen spielerisch ausgehandelt
  • 22. 17 und erforscht werden. Neben diesen Funktionen, die meist bei Bewegungs-, Jagd- oder auch Kampfspielen der Tiere zu beobachten sind, zeigte sich auch die große Bedeutung des Sozialspiels für die individuelle Entwicklung. In Versuchen mit Rhesusaffen zeigten Harlow & Suomi (1971), dass Affen, die durch eine Isolation in ihrem Sozialverhalten gestört waren, durch das Sozialspiel positiv be- einflusst werden können. Wenn nach der Isolation die Affen mit jüngeren Gefährten spielen konnten, zeigte sich eine rapide Verbesserung ihres Sozialverhaltens, was durch eine gezielte Sonderbehandlung ohne das Sozialspiel nicht erreicht werden konnte. Zusammenfassend kann man sagen, dass sowohl das Objekt- als auch das Sozialspiel von größter Bedeutung für die Entwicklung des Individuums sind. Zu ihren adaptiven und biologischen Funktionen zählen unter anderem der Erwerb sowie die Sicherung von sensomotorischen Fähigkeiten, das Erlernen von Sozialfähigkeit oder aber auch die Re- gelung der Sozialbeziehungen. Eine besondere Bedeutung bei der differenziellen Betrachtung der Funktionen des Kin- derspiels kommt den Spielformen zu, die nur im humanen Bereich vorkommen wie z.B. dem Fantasiespiel oder auch dem Regelspiel. Sequenzen des Kinderspiels Differenziertere theoretische Überlegungen zum Kinderspiel versuchen, anstelle der traditionellen Grobeinteilung, das Spiel in einzelne Phasen bzw. Sequenzen zu untertei- len. Diese Überlegungen basierten oft auf Beobachtungen von spielenden Kindern. Da- bei entdeckten verschiedene Autoren immer wiederkehrende Abfolgen beim Spielen. Sie versuchten diese zu unterteilen und dann als aufeinander abfolgende Entwicklungen zu identifizieren. Der Formulierung einer so genannten „Spielentwicklungssequenz“ lag zum einen das theoretische Interesse zugrunde, die Entwicklung deskriptiv zu erfassen. Andererseits erlaubte dies aber auch, gezielte Aussagen über eine möglicherweise abweichende Ent- wicklung zu formulieren. Man unterscheidet dabei die Spielentwicklungssequenzen nach dem Grad des Details in Mirko- und Makrosequenzen. Auf dem Gebiet der Makrosequenzen ist die Grobeinteilung von Groos (1899) und Büh- ler (1918) am bedeutendsten. Sie wurde von Piagat (1945) aufgegriffen und ausdiffe-
  • 23. 18 renziert und findet auch heute noch in Variationen Anwendung in der modernen Spiel- forschung. Im Folgenden wird die Entwicklungssequenz des Kinderspiels nach Oerter (2002) kurz dargestellt: Als erste Stufe nennt Oerter das sensumotorische Spiel (Funktionsspiel). Während des ersten und zweiten Lebensjahrs empfindet das Kind Freude an der Körperbewegung und wiederholt diese oft lange. Die Bewegung richtet sich dabei zunehmend vom Objekt des eigenen Körpers auf Objekte aus der näheren Umwelt. Die zweite Stufe stellt das Informationsspiel dar. Das Kind zeigt ein starkes Explorati- onsverhalten: Die Erkundung von Objekten zwecks Informationsgewinnung steht im Vordergrund der kindlichen Handlung (eine dafür beispielhafte Handlung wäre die Zer- legung eines Spielgegenstands in seine Einzelteile). Das Konstruktionsspiel stellt an das Kind schon höhere Anforderungen. Es muss ver- schiedene Gegenstände realitätskonform handhaben und gezielt aufeinander beziehen, um einen Zielgegenstand herzustellen. Typische Beispiele hierfür sind einfache Bau- werke, Zeichnungen, selbst geformte Figuren oder ähnliches. Als vierte Stufe nennt Oerter das Als-ob-Spiel (auch Symbolspiel, Fiktionsspiel). Dabei steht das Ausüben von Spielhandlungen, die reale Aktivitäten ersetzen, im Vordergrund. Die Handlung entstammt dabei dem sozialen Umfeld der Kinder und ist geprägt durch deren gesammelte Erfahrungen. Ein Beispiel für das Symbolspiel ist das Spiel mit Pup- pen. In bestimmten Spezialfällen wird das Symbolspiel auch als Rollenspiel bezeichnet. Unter dem Rollenspiel versteht man das Zusammenspiel mehrerer Kinder, die dabei fiktive Rollen annehmen. Das Rollenspiel erfordert eine hohe soziale und kognitive Kompetenz, da ein gemeinsames Handeln über längere Zeit aufrechterhalten und koor- diniert werden muss. Die letzte Sequenz des Kinderspiels stellt nach Oerter das Regelspiel dar. Darunter ver- steht man das Zusammenspiel nach fest vereinbarten Regeln, deren Nichteinhaltung sanktioniert wird, wobei die Regeln aber auch zugleich den Reiz des Spiels ausmachen. Die meisten Regelspiele sind wettkampforientiert und erfordern zudem oft spezifische Fähigkeiten oder Kompetenzen, die zuvor erlernt werden müssen. Interessant ist die Entwicklungssequenz des Kinderspiels für diese Arbeit, da gezeigt werden konnte, dass die verschiedenen Spielformen in einer altersabhängigen Reihen- folge (auch über verschiedene Kulturen hinweg) auftreten.
  • 24. 19 Iwanaga (1973) zeigt beispielsweise, dass das Auftreten kooperativer Rollenspiele zwi- schen dem dritten und vierten Lebensjahr verstärkt zunimmt. Ebenso interessant sind die Beobachtungen Rubins (1978), der feststellen konnte, dass Kinder im Vorschulalter sich relativ selten mit Regelspielen beschäftigten, dies aber mit dem Übergang zum Grundschulalter immer häufiger tun. Die Korrelation des Alters mit bestimmten Spielformen erlaubt zum einen Aussagen über Spiele, die dem Entwicklungsstand gerecht werden, kann andererseits aber auch helfen, vom alterstypischen Spielverhalten abweichendes Verhalten zu identifizieren. Neben den Makrosequenzen leisteten auch die Mikrosequenzen einen bedeutenden Bei- trag auf dem Gebiet der Spielforschung. Auf Grundlagen von Beschreibungen des sen- somotorischen und des symbolischen Spiels durch Piaget wurde in den 70er Jahren die ersten Mikrosequenzen von Forschern wie Lowe (1975), Nicolich (1977), Rosenblatt (1977) oder Belsky & Most (1981) erarbeitet. An dieser Stelle soll keine separate Auf- listung einer Mikrosequenz erfolgen, jedoch soll beispielhaft auf die Arbeiten von Bels- ky & Most (1981) für Mikrosequenzen in den beiden ersten Lebensjahren verwiesen werden. Mit Hilfe der Mikrosequenzen konnte die Entwicklung des Kinderspiels in einzelne, sehr kleine Schritte unterteilt werden. Der größte Vorteil dieses detaillierten Vorgehens waren nun die Erkenntnisse über Zusammenhänge der Entwicklung des Kinderspiels mit Mikroschritten in anderen Entwicklungsbereichen. McCune-Nicolich & Bruskin (1982) fanden beispielsweise bei ihren Untersuchungen heraus, dass das Auftreten des kombinatorischen Fantasiespiels parallel zum Auftreten verbaler Kombination in der Sprachentwicklung stattfand. Ebenso konnte auch Rosen- blatt (1977) Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit bestimmter Funktionsspielfor- men und bestimmten Bereichen eines kognitiven Entwicklungstests feststellen. Diese Studien zeigen zwar keine ursächliche Abhängigkeit der Entwicklung, jedoch kann aus der Parallelität geschlossen werden, dass der Entwicklung der Sprache, des Spiels, der Kreativität sowie der kognitiven Entwicklung im Kindesalter eine ähnliche Basis zu Grunde liegt und es starke Zusammenhänge der verschiedenen Entwicklungs- bereiche gibt (siehe McCune-Nicolich & Bruskin, 1982 sowie Oerter, 1985).
  • 25. 20 Anhand dieser Studien sollte deutlich werden, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten verschiedener Spielformen und dem Alter gibt. Des Weiteren gehen auch verschiedene Entwicklungsschritte mit der Präferenz anderer Spielformen einher, oder es werden sogar gewisse Entwicklungsstufen benötigt, um erfolgreich eine gewisse Spieltätigkeit auszuüben. Dies betont im Kontext dieser Arbeit die Bedeutsamkeit wis- senschaftlich fundierter und adäquater Altersangaben zu Kinderspielen. 4.2.4 Die Zone nächster Entwicklung im Spiel Interessant für das Verhältnis von kindlicher Entwicklung und Spielentwicklung ist auch das Modell der „Zone nächster Entwicklung“ von Wygotski (1978). Die Zone nächster Entwicklung versteht Wygotski als „Distanz zwischen dem aktuellen Entwick- lungsniveau, definiert durch die Leistungen selbständigen Problemlösens, und dem po- tentiellen Niveau, das unter der Anleitung Erwachsener oder kompetenter Gleichaltriger erreicht werden kann.“ (Wygotski, 1978, S.86). Wygotski geht davon aus, dass Kinder sich durch einen gemeinsamen Gegenstandsbezug im Spiel auf ein Niveau oberhalb ihres derzeitigen Entwicklungsstandes begeben können. Das Erreichen des nächsten Entwicklungsniveaus ist dabei geprägt durch die unterstützende Leistung kompetenter Partner mit dem Ziel der selbstständigen Meisterung durch das Kind. Da Spiele in sich selbst verschiedene Entwicklungsanforderungen an Kinder stellen und oft in asymmetri- scher Besetzung gespielt werden (z. B. in der Familie), bildet das Spiel einen idealen Rahmen für eine spielerische Entwicklungsförderung, wenn Kinder gezielt an entspre- chend anspruchsvolle Spiele durch Unterstützung und Instruktion herangeführt werden. Gerade das Modell der „Zone nächster Entwicklung“ macht es interessant, Kinderspiele in ihre einzelnen Elemente aufzuschlüsseln. So stellen Spiele beispielsweise eher selten gleichzeitig hohe Anforderungen an die sprachliche, emotionale und motorische Kom- petenz der Kinder. Viel öfter haben Kinderspiele thematische und durch den Mechanis- mus festgelegte Schwerpunkte, die ganz gezielte Herausforderungen für Kinder darstel- len.
  • 26. 21 4.3 Das Regelspiel Gesellschaftsspiele fallen in der Sequenz der Spielformen unter die Regelspiele. Für diese Arbeit soll deshalb noch einmal genauer auf die Spielform „Regelspiel“ eingegan- gen werden. Dazu ist es erst einmal nötig, Regelspiele von anderen Spielformen abzu- grenzen. Einsiedler (1991) vollzieht diese Abgrenzung über die englischen Begriffe „play“ und „game“: Unter „play“ versteht Einsiedler das freie, subjektive Spielen (wie z. B. bei dem frühen Objektspielen), wohingegen „game“ eine objektivere Spielform beschreibt. „Games“ definieren sich über einen „vorgegebenen Spielgegenstand und Spielablauf“ (Einsiedler, 1991, S.122). Ihre Regeln sind formaler und Regelverletzungen können Sanktionen nach sich ziehen. „Games“ besitzen außerdem „einen Anfang, Spielzüge, ein Ende und meist einen tradierten Namen“ (Einsiedler, 1991, S.122). Das Regelspiel bietet Kindern die Möglichkeit, sich freiwillig Normen aufzuerlegen. Entgegen dem starken Egozentrismus der früheren Spielformen erfordert das Regelspiel einen intensiven sozialen Austausch. Die Spielregeln geben den Rahmen der Interaktion vor und sanktionieren Abweichungen. Nach Oerter (1988) wird das Kind anstatt von der objektiven Valenz nun von der abstrakten Valenz angezogen, d. h. „der Wert des Spie- lens besteht nicht mehr im Nachspielen eines realen Inhalts, sondern die Regel selbst wird interessant“ (Einsiedler, 1991, S.123). Einsiedler definiert Regelspiele bewusst unscharf als Spiele, die „durch Regeln entwe- der einen Wettbewerb mit Zielzustand normieren oder einen Spielablauf ohne Wettbe- werb sichern und meist das Zusammenspiel mehrerer Spieler, in gesonderten Fällen das Spiel eines einzelnen, festlegen“ (Einsiedler, 1999, S.124). Eine nähere Untersuchung der Regelspiele setzt die differenzierte Betrachtung der Ele- mente des Regelspiels voraus. Hierbei sind besonders die handlungstheoretischen Ana- lysen von Otto (1987), Riemann (1987) sowie Kaminski (1983) zu nennen. Ihrer Auffassung zufolge lassen sich in den meisten Regelspielen verschiedene Hand- lungsebenen finden. Sie unterscheiden dabei zwischen der motorischen, der intellektuel- len sowie der kommunikativ-kooperativen Handlungsebene. Unter den motorischen Handlungen können die Spieltechnik der Kinder, wie z. B. die Spielhandlungen beim (reglementierten) Murmelspiel auf dem Schulhof, aufsummiert werden. Die intellektuellen Handlungen dagegen beziehen sich auf das Verständnis des Spielziels und ermöglichen erst sinnvolle und zielgerichtete Spielhandlungen. Die
  • 27. 22 dritte Ebene der kommunikativen und kooperativen Handlungen beschreibt die ge- meinsame Interaktion der spielenden Individuen. Ohne einen, durch Regeln umrahmten, Bezug auf die Spielpartner ist das Spielen eines Regelspiels nicht möglich. Es erfordert ein gewisses Maß an Kooperation und Kommunikation, um sinnvoll im Spiel zu intera- gieren. Als weiteren wichtigen Aspekt der Handlungstheorie ist noch die Unterscheidung in hierarchisch geordnete Haupt- und Teilhandlungen zu nennen. Das Regelspiel be- sitzt ein Hauptziel, welches meist erst durch verschiedene kleinere Teilhandlungen er- reicht werden kann. Eine wichtige Leistung der spielenden Kinder ist es, Haupt- und Teilhandlungen in Verbindung zu bringen. Fehlt den Kindern diese Fähigkeit noch, kann es leicht zu Zielverzerrungen oder auch zur Fixierung auf Teilziele kommen. Diese Einteilung in einzelne Elemente ermöglicht es, sich gezielter auf einzelne Aspekte des Spiels zu konzentrieren und diese unabhängig voneinander zu betrachten. Regel- spiele können unterschiedliche Anforderungen an die Kompetenz der Kinder auf den einzelnen Ebenen stellen. Daher ist es unabdingbar, bei einer (Alters-)Empfehlung ver- schiedene Dimensionen eines Spiels getrennt zu betrachten. Eine Vereinfachung auf eine einzelne Jahresangabe bei Altersempfehlungen erscheint in diesem Kontext als nicht sinnvoll. Versucht man Regelspiele zu klassifizieren, so wird man schnell feststellen, dass sich eine eindeutige Einteilung nicht vornehmen lässt. Erfolgt eine Klassifizierung über Ka- tegorien wie z. B. Sport- oder Sozialspiel, so wird man feststellen, dass schon hier viele Spiele in mehrere Kategorien fallen würden. Einsiedler (1991) teilt Regelspiele deshalb nicht in disjunkte Gruppen ein, sondern beschreibt eher typische Merkmale von Spielen, um sie gegeneinander abzugrenzen, wobei Überschneidungen von Spielen in mehreren Kategorien durchaus gewollt sind. Grobe Kategorien sind hierbei beispielsweise Ge- schicklichkeitsspiele, Denkspiele, Kartenspiele oder auch Ballspiele. Betrachtet man sich diese Einteilung, so ist offensichtlich, dass bei den verschiedenen Arten des Regelspiels unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten im Mittelpunkt stehen. Analog zu den Handlungsebenen kann man beispielsweise den einfachen sozia- len Regelspielen eine höhere Anforderung an die kommunikative und kooperative Handlungsebene unterstellen als dies beispielsweise bei einem Sportspiel wie Federball
  • 28. 23 der Fall wäre. Dahingegen benötigt ein Kind schon relativ hohe intellektuelle Fähigkei- ten, um an einem Denkspiel partizipieren zu können. Diese unterschiedlichen Gewichtungen einzelner Fähigkeitsanforderungen stützt wiede- rum die These, dass eine eindimensionale Bewertung von Spielen nicht möglich ist. Sollen (Alters-)Empfehlungen von Spielen erarbeiten werden, so müssen die verschie- denen Handlungsebenen individuell betrachtet und analysiert werden. 4.3.1 Das Gesellschaftsspiel Im Folgenden soll nun der Forschungsgegenstand, also das „Gesellschaftsspiel“ defi- niert werden. Das Gesellschaftsspiel findet sich in der Kategorie der Regelspiele wieder, d. h. wir haben es wiederum mit einem fest definierten und vorgegebenen Spielgegens- tand sowie Spielablauf zu tun. Die Regeln der Gesellschaftsspiele sind formal festgelegt und die Nichteinhaltung bzw. Verletzung dieser Regeln wird sanktioniert. Als Regel- spiel besitzen sie einen Anfang, einzelne Spielzüge sowie ein festgelegtes Ende. Diese Punkte sind aber noch keine Besonderheiten des Gesellschaftsspiels, sondern nach Ein- siedler Bestandteile jedes Regelspiels. Die hier verwendete Definition ist folgende: Unter Gesellschaftsspiel verstehen wir hier ein Regelspiel, das unter einem geschützten Namen verkauft wird sowie vom Verlag oder dem Autor festgelegte, standardisierte Spielregeln besitzt und von mindestens zwei Spielern gespielt wird. Im Folgenden sollen auf die einzelnen Punkte dieser Definition noch einmal näher ein- gegangen werden. Das Gesellschaftsspiel als Produkt Ein wichtiger Bestandteil der Definition ist es, das Gesellschaftsspiel als fertiges Pro- dukt mit einem festgelegten und geschützten Namen zu begreifen. Es ist unter diesem Namen in Geschäften zu kaufen und sowohl der Käufer als auch der Verkäufer haben ein Interesse an dem Gesellschaftsspiel als Produkt. Diese Einschränkung schließt z. B. überlieferte, regional unterschiedliche (nicht standardisierte) Regelspiele aus. Des Wei- teren soll mit diesem Punkt auch verdeutlicht werden, dass der Produzent eine Ver- pflichtung gegenüber seinen Kunden und in diesem Sinne auch der Kunde einen Ans- pruch an das Produkt hat.
  • 29. 24 Festgelegte, standardisierte Spielregeln Einhergehend mit dem standardisierten Namen soll das Gesellschaftsspiel auch festge- legte und standardisierte Regeln besitzen. Dies verdeutlicht noch einmal den Charakter eines einheitlichen Produktes mit Regeln, die vom Verlag oder dem Autor als bindend vorgegeben sind. Dieser Teil der Definition stellt sicher, dass ein Gesellschaftsspiel, egal wo es gespielt wird, immer nach den gleichen Regeln gespielt wird. Varianten oder „Hausregeln“ ändern das Spiel dementsprechend, sodass eine Vergleichbarkeit nicht mehr gegeben ist. Die Spielerzahl Obwohl es auch Regelspiele und besonders auch Brettspiele gibt, die alleine gespielt werden können, soll es bei einem Gesellschaftsspiel mindestens zwei Akteure geben. Dieser Bestandteil der Definition ergibt sich aus dem handlungstheoretischen Ansatz: Ein Gesellschaftsspiel für Kinder besitzt immer auch eine kommunikativ-kooperative Handlungsebene, die durch das Zusammenspiel und die Interaktion zustande kommt. Gerade bei jüngeren Kindern kann es zu Schwierigkeiten auf dieser Handlungsebene kommen, weshalb sie explizit mit in die Definition aufgenommen werden soll. 5. Altersempfehlung Der Begriff der „Altersempfehlung“ lässt sich schwieriger definieren. Vom Wort aus- gehend impliziert der Begriff, dass etwas für ein bestimmtes Alter empfehlenswert ist. Im Bereich der Spiele wird der Begriff jedoch auch verwendet, wenn ein Spiel einer bestimmten Altersgruppe nicht zugänglich gemacht werden soll. Diese Dualität lässt sich in einer Schutz- und einer Empfehlungskomponente der Altersempfehlung zusam- menfassen. Diese wiederum implizieren die Inklusion oder Exklusion einer bestimmten Zielgruppe. Bei Gesellschaftsspielen finden sich meist zwei verschiedene Arten von Altersempfeh- lungen. Zum einen gibt es Empfehlungen ab einem bestimmten Alter und zum anderen wird das Spiel für eine bestimmte Altersspanne empfohlen. Diese beiden Arten der Empfehlung sollen hierbei „empfohlenes Mindestalter“ und „empfohlene Altersspanne“ genannt werden.
  • 30. 25 Mit der Empfehlung für eine Gruppe (Inklusion) ergibt sich gleichzeitig die Ungeeigne- theit des Spiels für die Altersstufen, die nicht in der Empfehlung enthalten sind (Exklu- sion). Die Angabe eines empfohlenen Mindestalters beschreibt ein festgelegtes Alter in Jah- ren, ab dem das Spiel empfohlen wird. Ein typisches Beispiel wäre dafür ein Gesell- schaftsspiel „ab 12“ oder ein Kartenspiel mit der Altersempfehlung „8+“. Bei dieser Art der Empfehlung wird davon ausgegangen, dass der Umgang mit einem Spiel gewisse Anforderungen an den Spieler stellt, die im Zusammenhang mit dem Al- ter als erfüllbar oder nicht erfüllbar erscheinen. Zu diesen Anforderungen zählen verschiedene Fähigkeiten, die es dem Spieler ermögli- chen, sinnvoll mit dem Spiel umzugehen. Daneben setzen aber auch das Thema oder der Inhalt des Spieles eine gewisse Reife voraus. Eine Altersangabe mit einer Spanne „ab einem Alter“ ist damit eine Exklusion. Sie impliziert, dass ein Spiel für Spieler unter einem gewissen Alter ungeeignet ist. Mit Hilfe eines „empfohlenen Mindestalters“ wird also versucht eine gewisse Alters- gruppe auszuschließen. Der Ausschluss erfolgt zum einen aufgrund zu hoher Anforde- rungen an den Spieler oder aufgrund eines Spielinhalts, vor dem zu junge Spieler ge- schützt werden sollen. Leider ist selten ersichtlich, aus welchem Grund eine Altersempfehlung vergeben wird, so dass Rückschlüsse aus der Praxis in Bezug auf die Anforderungen eines Spieles sehr schwierig sind. Im Gegensatz dazu sind die Empfehlungen für Ältere aufgrund von Thema und Inhalt eines Spieles meist offensichtlicher. Dabei zeigt sich, gerade in Deutschland, eine Altersempfehlung, die mehr oder weniger parallel zu den Grundsät- zen der „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle“ oder der „Bundesprüfstelle für jugend- gefährdende Medien“ verläuft. Ein Beispiel hierfür ist das Spiel „Frischfleisch“ von Friedemann Friese, das aufgrund seines Themas (Kannibalismus) von dem Autor mit „ab 18 Jahre“ empfohlen wird. Interessant ist bei dieser Art des Jugendschutzes natürlich immer auch der kulturelle Hintergrund. So wurde „Memoir `44“, ein Spiel, in dem bedeutende Schlachten des zweiten Weltkriegs nachgespielt werden können, in den USA „ab 8 Jahren“ empfohlen
  • 31. 26 wohingegen das Spiel wegen des Themas „Zweiter Weltkrieg“ in Deutschland erst gar nicht vertrieben wurde. Im Gegensatz zu einem Mindestalter spricht die „empfohlene Altersspanne“ eine expli- zite Empfehlung aus, die in zwei Richtungen begrenzt ist. Die Angaben zu einer Alters- spanne finden sich meist auf Kinderspielen. Entgegen der nach oben offenen Altersempfehlung gibt die Alterspanne auch noch eine Obergrenze für das empfohlene Alter an. Diese Grenze wird meist aufgrund der sehr simplen Spielmechanismen oder der speziell auf eine jüngere Zielgruppe zugeschnitte- nen Thematik gewählt. Ein Beispiel für eine solch definierte Altersspanne ist das Kinderspiel „Obstgarten“. Hierbei gibt der Verlag die Empfehlung von „3-8“ Jahren an. Die Obergrenze dient da- bei dazu, die Gruppe abzugrenzen, für die das Spiel empfohlen wird. Ungeeignet für ältere Spieler wird das Spiel nur aufgrund von Unterforderung oder eines „unpassenden Themas“. Im Zusammenhang mit dieser Magisterarbeit wird die „Altersempfehlung“ nur als emp- fohlenes Mindestalter verstanden. Genauer gesagt bedeutet dies, dass ein Spieler mit dem entsprechenden Mindestalter dazu in der Lage ist, das Spiel sinngemäß und ohne Hilfe zu spielen. Die hier gebräuchliche Definition von Altersempfehlung wäre damit: Ein Mindestalter, das Kinder mit unauffälliger Körper- und Persönlichkeitsentwicklung dazu befähigt, die Anforderungen eines Spieles sinnhaft zu erfüllen. Diese Definition umfasst das Erschließen des Spieles ohne Hilfe explizit nicht. Damit ist gemeint, dass Kinder die ersten Partien durchaus unter Aufsicht und Anleitung spie- len können, bis ihnen das Spiel verständlich wird. Auch das selbstständige Durcharbei- ten der Regeln und das Verständnis des Spieles ohne Hilfe sind nicht darin eingeschlos- sen. Diese Einschränkung wurde bewusst gewählt, da ansonsten noch die Verständlich- keit und der Qualität der Spielanleitung mit beachtet werden muss. Außerdem stellen die Spielanleitungen teilweise, gerade bei Kinderspielen, höhere Anforderungen an den Leser als das eigentliche Spiel selbst.
  • 32. 27 5.1 Die Altersangabe bzw. die Altersempfehlung in der Praxis Um herauszufinden, wie Verlage und Spieleautoren Altersempfehlungen verstehen, schrieb der Autor fast fünfzig verschiedene Verlage per E-Mail an. Dabei wurde ge- fragt, wie die Altersempfehlung in der Praxis bestimmt wird. Die Zahl der Antworten war dabei überwältigend: Rückantworten kamen von fast allen Angeschriebenen, wobei diese teilweise sehr ausführlich waren. Mitunter entstand sogar eine kurze Kommunikation über mehrere E-Mails hinweg in der noch spezielle Themen, Meinung und Fragen erörtert wurden. Im Folgenden sind die Kommentare der befragten Verlage und Einzelpersonen zusammengefasst widergegeben. Bestimmung der Altersempfehlung Grundsätzlich lässt sich bei der Bestimmung der Altersangaben unterscheiden, ob es sich um einen kleinen oder großen Verlag handelt und welche Zielgruppe bedient wird. Gerade Kleinverlage sind durch eine geringe Zahl von Mitarbeitern, teilweise handelte es sich sogar um Ein-Personen-Verlage, gekennzeichnet und verfügen dementsprechend weder über die personellen noch die finanziellen Mittel um groß angelegte Untersu- chungen durchzuführen. Die Unterscheidung nach Zielgruppe lässt zudem erkennen, dass die Altersempfehlung für Verlage, die Kinderspiele vertreiben, eine höhere Bedeutung hat. Dies macht eine intensivere Beschäftigung mit der Altersproblematik sinnvoll und nötig. Trotz dieser Tendenzen wäre es zu einfach, die Bestimmung der Altersempfehlung als so klar unter- scheidbar abzustempeln. Die Antworten der Verlage zeigten zudem, dass sich nahezu jede Einstellung und auch jede Art der Bestimmung sowohl bei Kleinverlagen als auch bei den Marktführern fin- den lässt. Es wäre deshalb definitiv falsch anzunehmen, dass Altersangaben größerer Verlage generell mehr Bedeutung oder Gehalt hätten als dies bei Altersempfehlungen der Kleinverlage der Fall wäre. Im Folgenden werden Auszüge aus anonymisierten Zitaten der Verlage, die zu diesem Thema befragt wurden, verwendet, um so ein anschauliches Bild der gängigen Praxis zu vermitteln. Im Anhang dieser Arbeit finden sich alle Zitate ungekürzt.
  • 33. 28 Die Altersempfehlung für Spiele wird oft über Testrunden bestimmt, wobei „die Beo- bachtung des Verhaltens der Kinder (Langeweile, Spannung, Überforderung, Unterfor- derung usw.)“ dabei einen wichtigen Einfluss hat. In diesen Testrunden werden von den Verlagen meist auch Beobachtungsbögen eingesetzt, in denen „alle relevanten Daten (Altersempfehlung, Spieldauer, Spieleranzahl)“ festgehalten werden. Bei dieser Vorgehensweise ist es als problematisch einzuschätzen, dass selten eine Qua- lifikation im pädagogischen als auch im Bereich der Spiele vorliegt. Dadurch begrenzt sich meist der professionelle Blickwinkel der Beobachter auf ein Fachgebiet. Im Einzelfall werden durchaus „Gespräche mit Erziehern und Pädagogen“ gesucht, und in die Entscheidungsfindung mit einbezogen. Häufig mangelt es jedoch an einer fun- dierten pädagogischen und/oder entwicklungspsychologischen (Aus-)Bildung. Im Gegenzug ist anzunehmen, dass PädagogInnen und ErzieherInnen wohl selten über fundiertes Wissen im Bereich der Gesellschaftsspiele verfügen. Eine Zusammenarbeit beider Fachgebiete erscheint nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig. Längst nicht alle Verlage sind in der Lage, groß angelegte Testrunden durchzuführen. Werden Altersangaben von Kleinverlagen bzw. den Autoren selbst ausgesprochen, spielt selbstverständlich auch deren Erfahrung eine große Rolle. Nicht selten wurden unzählige Proberunden, teilweise mit den eigenen Kindern, gespielt. Diese Methode kann durchaus zu einem ähnlichen, wenn auch meist subjektiverem, Ergebnis führen als dies der Fall mit zufällig ausgewählten Testrunden wäre. Über die Kriterien, die zur Bestimmung der Altersempfehlung angegeben werden, herrscht ein ähnlicher Konsens: „Wesentliches Kriterium sind die Fähigkeiten, die ver- mutlich erforderlich sind, um das Spiel spielen zu können.“ Daneben wird eingeschätzt, in wieweit es sich bei dem Spielthema um „eher erwachsene Themen“ handelt, wie hoch der Grad „der Komplexität der Spielregeln“ ist oder auch, ob es „für das Spiel bzw. den Spielspaß notwendig ist, dass man es strategisch durchdringt“. Nach diesen Grobeinschätzungen erfolgen meist noch detailliertere Untersuchungen des Spiels zur Einschätzung der Altersempfehlung. Gesichtspunkte sind hierbei z. B.: - „Größe und Art des Spielmaterials (z. B. ab welchem Alter ist das Kind in der Lage die Spielfiguren zu bewegen, den Würfel zu werfen, den Kreisel zu dre- hen?)
  • 34. 29 - motorische Anforderungen (Dinge müssen ertastet werden, Dinge müssen gean- gelt werden...) - Spielmechanismus (z. B.: Welche Zahlen kennt das Kind, in welchem Bereich kann es zählen?) - taktische Anforderungen (z.B.: „Wie weit muss das Kind hier vorausdenken können? Inwieweit muss das Kind eine Situation einschätzen und bewerten kön- nen?)“. Weitere Bedeutung wird der Spielregel beigemessen: „Die auftauchenden Probleme liegen meist weniger im Verständnis des Spielens selbst als in der Spielanleitung be- gründet: Eine mündliche Erklärung des Spiels, angereichert mit praktischen Beispielen, wird schneller und besser verstanden; das reine Vorlesen einer Spielanleitung hingegen schafft oft Verwirrung und Rückfragen“. Der Prozess der Festlegung wird von Verlag zu Verlag auch sehr unterschiedlich ange- gangen. Teilweise wählt man die „eigenen Kinder als ungefähren Maßstab“ und hebt bzw. senkt die Altersangabe dann noch „nach anderen Erfahrungswerten und Altersan- gaben vergleichbarer Spiele am Markt“. Viele Altersempfehlungen entstehen dabei auch „nicht auf ‚wissenschaftlicher Basis‘, sondern nach ‚Gefühl‘ und Erfahrung“. Sie basieren auf „(langjährigen) Erfahrungswer- ten“ oder aber auch auf Schätzungen. Dabei können Altersangaben durchaus auch ein- mal „einigermaßen willkürlich“ getroffen werden. Insgesamt finden sich häufig Heran- gehensweisen auf der Basis relativ kleiner Testgruppen. Meinung zur Altersempfehlung Eine weitere Frage, die sich bei der Betrachtung der Altersempfehlung stellt, ist die Ein- stellung der Verlage und Spieleautoren zu ebendieser. Es herrscht hierbei ein fast ein- helliger Tenor darüber, dass die Altersangabe nur bedingt Informationen vermitteln kann. Gerade bei Kinderspielen werden Altersempfehlungen oft „eher als grobe (und etwas zufällige) Empfehlungen denn als ernsthaft begründbare Werte“ angesehen. Bei Kin- dern zwischen 0 und 6 Jahren ist „eine konkrete Altersempfehlung nur bedingt mög- lich“, da die „Unterschiede in der Entwicklung“ einfach zu groß sind. Die Altersstufen werden „immer schwerer erfassbar“: „je nach Intelligenz und (Spiel)‘Gewöhnung‘ kann heute bereits mancher 8-jährige Spiele spielen und verstehen,
  • 35. 30 die auf der anderen Seite ein eher ungebildeter 12-jähriger noch immer nicht versteht“. Gerade diese „Spielgewöhnung“, also die bereits gesammelte Erfahrung mit verschie- denen Spielen, scheint nach Meinung der Verlage eine große Bedeutung zu haben. „Kinder (ab ca. 8 Jahren), die in Ihren Familien oft spielen, [können] eigentlich bei fast allen Spielen locker mithalten, während unerfahrene Erwachsene damit weit mehr Mühe haben.“ Auch fraglich erscheint hierbei, wie es aussieht, wenn Kinder ein Spiel mehr- mals spielen. Anfängliche Probleme, gerade bei komplexeren Spielen, werden „über die Erfahrung erlernt“, wenn das Interesse da ist und die Spiele häufiger gespielt werden. Dass diese „Angaben nur ungefähr stimmen können“ scheint vielen Verlagen und Auto- ren bewusst zu sein. „Deshalb kann [die] Angabe auch nur ein Richtwert sein, der im- mer konkret am einzelnen Kind hinterfragt werden muss.“ Ein sehr treffend formuliertes Fazit findet sich hier: „Diese Altersangabe [kann] seit jeher nur eine grobe Orientierung sein - und als mehr verstehen wir sie auch nicht.“ Ein Unverständnis dafür, dass in die Altersempfehlung zu viel hineininterpretiert wird, findet sich natürlich auch. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass Unmut entsteht, wenn eine ungenaue und widerwillig ausgesprochene Altersempfehlung vergeben werden muss, nur damit sich das Spiel verkauft. „Jemand der ein Spiel kauft, [sollte] sich stets in einem Mindestmaß mit Inhalt und Spielziel auseinander[setzen] und wird daraus er- sehen, ob es für seine Absichten geeignet ist oder nicht.“ „Menschen, die in einen Laden rennen und einfach irgendwas für einen Vierjährigen wollen und dann auch irgendetwas holen auf dem draufsteht ab 4, sind eigentlich die Ausnahme und so was muss man im Grunde nicht auch noch unterstützen.“ Nutzen der Altersempfehlung Wenn aber die Altersempfehlung nur solch eine grobe Orientierung darstellt, stellt sich die Frage, warum nahezu alle Spiele immer noch einen Aufdruck mit einer detaillierten Altersangabe haben. Neben dem Nutzen für die Konsumenten der Spiele steht dabei hauptsächlich ein marktwirtschaftlicher Faktor hinter dieser Empfehlung. Die Altersangabe definiert auch immer, mehr oder weniger unscharf, die Zielgruppe eines Spieles: „Wie bei den Altersangaben für Filme, die Altersangabe ist ein Verkaufs- argument. Welches Alterssegment bediene ich?“. Ein Spiel kann durchaus vom Ans- pruch und auch vom Spielspaß generationenübergreifend sein, „nur, bei einer Altersan-
  • 36. 31 gabe 'ab 5 Jahre' werden Erwachsene sich das Spiel nicht anschauen. Da es aber auch von Erwachsenen sehr gern gespielt wird, [bekam] es eine Altersangabe 'ab 8 Jahren'.“ So werden auch teilweise zu hohe Altersempfehlungen „ab 16“ oder „ab 18“ Jahren „eigentlich nur aus Marketinggründen“ vergeben, da mit solch einer Altersempfehlung auch „eine gewisse Käuferschicht“ angezogen wird. Es ist den Verlagen anscheinend oft wichtig, dass ein Spiel „kein Image als Kinderspiel bekommen soll, obwohl Kinder es spielen können.“ 6. Forschungsstand In diesem Kapitel soll der Forschungsstand kurz dargestellt werden. Dabei konzentriert sich der Autor bewusst auf ein Teilgebiet der Spielforschung, nämlich auf das Regel- spiel und dessen Merkmale. Der Fokus liegt dabei auf Gesellschaftsspielen, d. h. es soll versucht werden, Regelspiele ohne Gesellschaftsspiel-Charakter möglichst auszuklam- mern. Keine Erwähnung in diesem Kapitel finden andere Spielformen oder etwa Themen wie die Spielkultur. Auch soll bewusst auf Forschungen zu Lernspielen und die pädagogi- sche Förderung durch Spiele verzichtet werden. Leider gibt es auf dem Gebiet der Regelspiele relativ wenige Untersuchungen. Sucht man dann noch speziell Arbeiten zu Gesellschaftsspielen, so wird die Auswahl noch einmal mehr eingeschränkt. Es ist geradezu erstaunlich, wie wenig Beachtung das Ge- sellschaftsspiel in der Forschung findet. Auch das Regelspiel im Erwachsenenalter ist ein Thema, welches selten Untersuchungsgegenstand ist. Im Folgenden finden sich nun einige zentrale Forschungsarbeiten zu dem Thema „Regelspiele“. Regelbewusstsein Eines der wichtigsten Merkmale des Regelspiels ist das Vorhandensein formaler Re- geln, deren Nichteinhaltung sanktioniert wird. Da auch ebenfalls schon erwähnt wurde, dass die verschiedenen Formen des Kinderspiels in einer altersabhängigen Folge stehen, stellt sich hier die Frage nach dem Auftreten des Regelbewusstseins im Zusammenhang mit dem Auftreten des Regelspiels. Ein Regelbewusstsein bedeutet hier, die Regeln zu erkennen und ihrer Einhaltung einen Sinn für das Zusammenspiel zuzuschreiben.
  • 37. 32 Es konnte gezeigt werden, dass viele Kinder schon an Regelspielen partizipierten, bevor sie über ein ausgeprägtes Regelbewusstsein verfügten. Berühmtheit erlangten dabei vor allem die Untersuchungen Piagets (1932; dt. 1986) über die Entwicklung des Murmel- spiels bei Jungen. Piaget skizzierte hierbei verschiedene, altersabhängige Stadien des Regelbewusstseins, die hier verkürzt dargestellt werden sollen. Angemerkt sei noch, dass die Altersangaben der einzelnen Stadien mit Vorsicht zu behandeln sind, da seit diesen Studien größere Veränderungen innerhalb der Spielkultur stattgefunden haben. Es ist anzunehmen, dass Kinder gegenwärtig schon weitaus früher an Regelspielen teil- nehmen als dies früher der Fall war. Abbildung 22: Stadien des Regelbewusstseins nach Piaget, Zitiert nach Oerter (1999) In Anlehnung an Piagets Studien, und gerade auch in Anlehnung an die Unterscheidung zwischen dem Partizipieren an Regelspielen und dem erst späteren Regelbewusstsein, forschen Papst (1966) und Bartmann & Vormfelde-Siry (1973). In zwei ähnlichen Studien untersuchen die Autoren das Regelbewusstsein bei 6- bis 10- jährigen Kindern. Sie spielten dabei zwei Regelspiele mit den Kindern, wobei diese jeweils eine Gewinnstrategie identifizieren und diese anschließend formulieren sollten. Es zeigte sich, dass jüngere Kinder entscheidend länger brauchten, um Spielstrategien zu finden. Ebenso hatten jüngere Kinder, im Gegensatz zu den älteren, deutlich mehr Probleme, ihr Spielverhalten und ihre Spielstrategien in Worte zu fassen. •Die Kinder zeigen zwar im frühen Objektspiel und im späteren Phantasiespiel regelmäßige Abläufe, jedoch ist dies kein Regelspiel. Es handelt sich z.T. um ritualartige Wiederholungen. 1. Stadium (ca. 1.-5. Lebensjahr) •Jetzt möchte das Kind wie die älteren Spielkameraden Regelspiele spielen, aber es hat noch keine Regelkenntnisse. Es spielt allein mit den Murmeln und nach willkürlichen Regeln. 2. Stadium (ab ca. 6. Lebensjahr) •In diesem Stadium entsteht allmählich die Kooperation im Spiel. Das Kind hat ein soziales Interesse, und durch das gegenseitige Verständniss wird das Spiel zunehmend sozial. Die Regelkenntnis der Kinder ist jedoch meistens noch bruchstückhaft. 3. Stadium (ab ca. 7/8. Lebensjahr) •Die Kinder beherrschen die Vorschriften vollständig. Sie kommen mit der sozialen Situation zurecht und haben sogar Vergnügen am Kodifizieren 4. Stadium (ab ca. 10. Lebensjahr)
  • 38. 33 Anhand dieser Studien sollte deutlich werden, dass Regelbewusstsein, also vor allem das Erfassen und Erkennen einer Regel, entwicklungsabhängig ist. Kinder können aber durchaus schon an Regelspielen partizipieren, ohne die Regeln als solche zu erkennen. Entwicklung der Spielfähigkeit Die Regelspiele stellen teilweise enorme Anforderungen an Kinder. Verschiedene Auto- ren beschäftigten sich mit der Entwicklung von Spielfähigkeiten bei Kindern. Riemann (1987) untersuche das Domino- und Damespiel bei Kindern der 1., 2. und 3. Jahrgangsstufe. Im Rahmen einer Beobachtungsstudie teilte Riemann die Kinder nach Richtigkeit des Spielens und Zieladäquatheit der einzelnen Spielzüge verschiedenen Gruppen zu. Anhand dieser Kriterien wurden den Kindern Qualitätsstufen des Spielens zugeordnet. Die Hierarchisierung begann bei Stufe I (80 – 100 % angemessene Schritte in einem Spiel) und ging in 20 %-Schritten herunter bis Stufe V (0 – 19 % angemessene Schritte in einem Spiel). Es zeigte sich, dass beim Dominospiel bereits 61,11 % aller Erstklässler die Qualitäts- stufe I erreichten. Bei den Zweitklässlern waren es schon 68,05 % und bei den Dritt- klässlern 70,83 %. Die unteren Qualitätsstufen waren beim Dominospiel so gut wie kaum besetzt. Anders waren die Ergebnisse beim Damespiel. Hier zeigten sich deutlichere Unter- schiede zwischen den einzelnen Klassenstufen. In der Qualitätsstufe I fanden sich 35,41 % der Drittklässler, 12,50 % der Zweitklässler und nur noch 11,11 % der Erstklässler. Tabelle 5: Erreichen der Qualitätsstufe I nach Riemann (1987) Erstklässler Zweitklässler Drittklässler Dominospiel 61,11 % 68,05 % 70,83 % Damespiel 11,11 % 12,50 % 35,41 % Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass gerade beim Damespiel viele Grund- schüler noch nicht in der Lage sind, richtig und zieladäquat zu spielen. Riemann vermu- tet, dass viele Kinder noch vermehrt altersabhängige Probleme mit Zusatzregeln und deren flexibleren Anwendung haben. Im Rahmen dieser Studie untersuchte Riemann auch den Zusammenhang der kognitiven Fähigkeiten und der Zuordnung zu den Qualitätsstufen des Spielens. Es zeigt sich eine
  • 39. 34 deutliche Überrepräsentation von Kindern mit überdurchschnittlichem IQ in den oberen Qualitätsstufen, wohingegen Kinder mit unterdurchschnittlichem IQ häufiger in den unteren Qualitätsstufen zu finden sind. Anforderungen der Regelspiele In Anschluss an diese Untersuchungen stellt sich auch die Frage nach den Anforderun- gen des Regelspiels. Ältere Kinder sowie Kinder mit überdurchschnittlichem IQ schei- nen weniger Probleme zu haben, Regelspiele den Regeln folgend und zieladäquat zu spielen. Es stellt sich hier die Frage nach den Fähigkeiten, die Spieler besitzen müssen um ein Spiel spielen zu. Einsiedler nennt als Hauptanforderung der Regelspiele „die eigene Spielstrategie auf die des Gegners abzustimmen und dabei auch Wahrscheinlichkeiten ins Kalkül zu ziehen“ (Einsiedler, 1999, S.129). Papst (1966) setzt diese Anforderung in Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme der Kinder. Gerade jüngere Kinder, so die Autorin, haben Schwierigkeiten, das Spiel auch in Abhängigkeit der Spielzüge des Ge- gners zu sehen. Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme wurde in der Entwicklungspsychologie ein- gehend behandelt. Selman (1984) untersuchte Kinder nach dieser Fähigkeit und ordnete sie unterschiedlichen Stufen zu. Selman zeigt, wie verschiedene andere Autoren auch, dass das Auftreten der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme mit dem Alter im Zusammenhang steht. Kinder zeigen „erst ab ca. Mitte des Grundschulalters eine flexible Perspektivenwechselstrategie beim Anti- zipieren von Spielzügen“ (Einsiedler, 1999, S.130). Regelspiele und sozial-moralische Entwicklung Das vermehrte Auftreten des Regelspielens im Vergleich zu den anderen Spielformen mit steigendem Alter der Kinder regte auch Überlegungen bezüglich der Auswirkung dieses Spielverhaltens auf die Entwicklung von Moral und sozialen Konventionen an. Gerade das Aushandeln, Erfinden, aber auch das Sanktionieren bei Nichteinhalten von Regeln könnte Parallelen zu den gesellschaftlichen Normen aufweisen. Im Anschluss an seine Beobachtungen des Murmelspiels unterstellte Piaget dem Regel- spiel, ein günstiges Feld für die Sozial- und Moralentwicklung zu sein. Durch das selbstverantwortliche Achten der Regeln sowie dem damit verbundenen sozialen Aus-
  • 40. 35 tausch sollten die Kinder im Regelspiel eine positive Wirkung auf ihre Sozial- und Mo- ralentwicklung erfahren. Dieser Effekt konnte in neueren Studien nicht gezeigt werden. Verständnis und das Anerkennen von Regeln im Spiel sind nicht übertragbar auf die Moralentwicklung. Es konnte gezeigt werden, dass Kinder unterschiedliche Konzepte der Moral haben. Sme- tana (1981) unterstützt aber die Aussage, dass Kinder durch das Regelspiel durchaus ein besseres Verständnis sozialer Konventionen erlangen können. Die Regeln des Spiels haben einen ähnlichen Charakter, d. h. sie sind vor allem durch Verhandlung wandelbar und besitzen nicht den universellen Gültigkeitsanspruch moralischer Prinzipien. Obwohl die wahrscheinlich zu optimistischen Ansichten Piagets hinsichtlich der Moral- entwicklung als widerlegt gelten, ist dem Regelspiel dennoch eine positive Wirkung auf der Ebene der sozialen Interaktion zu unterstellen. Gerade bei dem Aushandeln und Verhandeln von Regeln sieht Mead (1968) das Regelspiel als Rahmen für das kindliche Handeln. Es müssen die Perspektiven und Wünsche der anderen Spieler beachtet wer- den, und wenn die Regeln ausgehandelt sind, entsteht durch sie der Bezugsrahmen der Interaktion. Die Spielzüge müssen innerhalb der Regeln stattfinden und die Aktionen der Kinder werden über das Spiel koordiniert. Konflikte werden dabei mit Hilfe der festgelegten Regeln gelöst. Eine weitere interessante Studie stellen die Untersuchungen Krampens (1988) dar. Krampen untersuchte dabei einen möglichen Zusammenhang zwischen der Regelspiel- präferenz sowie Merkmalen der Kontrollüberzeugung bei 11- bis 17-Jährigen. Unter- schieden wurde dabei zwischen Glücksspielen und Fertigkeitsspielen. Während der Ausgang der ersteren von Glück und Zufall bestimmt wird, ist er bei Fertigkeitsspielen abhängig(er) von dem individuellen Handeln der Spieler. Es konnte gezeigt werden, dass je nach Kontrollüberzeugung unterschiedliche Spiele bevorzugt bzw. gemieden wurden. Jugendliche, die eher Glücksspiele präferierten, zeig- ten vermehrt externe Kontrollüberzeugungen, wohingegen Jugendliche mit Präferenz zu Fertigkeitsspielen eher durch interne Kontrollüberzeugung gekennzeichnet waren. Krampen sieht in dem Aufsuchen von Spielsituationen, deren Ausgang durch das eigene Handeln bestimmt ist durchaus einen Einflussfaktor auf die Persönlichkeitsentwicklung.
  • 41. 36 Abschließend sind noch die Annahmen Krappmanns (1983) bezüglich der sozialisatori- schen Wirkung des Regelspiels zu nennen. Krappmann identifiziert, wie in Abbildung 5 dargestellt, drei Hauptwirkungen des Regelspiels. Abbildung 23: sozialisatorische Wirkung des Regelspiels nach Krappmann (1983) Konkurrenz und Kooperation in Regelspielen Sahen viele ältere Definitionen noch das „gegeneinander Messen“ im Vordergrund der Regelspiele, so bekam in den letzten Jahrzehnten der Kooperationsgedanke bei Regel- spielen auch mehr und mehr Beachtung. Gerade das Aufkommen der sogenannten „New Games“ sorgte hier für neue Anregungen. Dieser Typus der Regelspiele stellte das individuelle Gewinnen in den Hintergrund und rückte stattdessen „das gemeinsame Spielerlebnis, einfallsreiche Bewegungsabläufe und wechselseitiges Vertrauen“ (Ein- siedler, 1999, S.145) mehr in den Fokus. Der ideelle Gedanke, dass mit dem Spielen von Kooperationsspielen Solidarität und prosoziales Verhalten mehr oder weniger automatisch auftreten, konnte dabei jedoch nicht bestätigt werden. Vielmehr besteht ein umgekehrter Zusammenhang: Verschiede- ne Studien (z. B. Eichberg 1983 oder Kagan & Madsen 1971) konnten zeigen, dass je nach gesellschaftlichem Hintergrund andere Spiele bevorzugt wurden. Die Ergebnisse dieser Studien lassen annehmen, dass die Handlungsmodelle und Leis- tungsorientierungen in verschiedenen Gesellschaften auch unterschiedlich stark konkur- renz- bzw. leistungsorientierte Spiele hervorbrachten. In einer Vergleichsstudie unter- suchten beispielsweise Kagan & Madsen (1971) Konkurrenz- und Kooperationsanteile •Das Kind muss erlernen die Perspektiven der Mitspieler zu berücksichtigen. Abbau des Egozentrismus •Die Regeln bieten eine gewisse Sicherheit, dennoch ist Raum für Variation und die Erprobung von Neuem flexibler Umgang mit Erwartungen •Die Interaktion im Spiel erfordert Koordination aber auch oft eine Unterordnung der eigenen Wünsche Toleranz gegenüber sich selbst
  • 42. 37 bei Regelspielen mexikanischer und amerikanischer Kinder. Die Autoren stellten fest, dass amerikanische Kinder mit zunehmendem Alter Wettbewerbsspiele spielten, wo- hingegen mexikanische Kinder eher kooperative Spiele bevorzugten. Kagan & Madsen erklärten diese Befunde über die stärkere Leistungsorientierung in Nordamerika. Studien, die einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Spielen kooperativer Spie- le und einen positiven Effekt auf das kooperative Verhalten der Spieler untersuchten, kamen eher zu ernüchternden Ergebnissen. Nuack (1985) prüfte beispielsweise die Auswirkungen des Spielens von Kooperationsspielen in unterschiedlichen Schulklassen. Dabei wurden diese Spiele mehrmals wöchentlich in den Klassen gespielt. In der über zehn Wochen angelegten Studie zeigte sich nur in zwei der zwölf Messungen ein nach- weisbarer Effekt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich ein positiver Effekt auf das Kooperations- verhalten nicht alleine durch das Spielen von Kooperationsspielen erreichen lässt. In diesem Zusammenhang stehen auch die Annahmen Sutton-Smiths (1986), der unter- schiedlichen Kulturen die Entstehung unterschiedlicher Spielarten zuweist. Glücksspie- le entstanden nach Sutton-Smith in Kulturen, die „magische und übernatürliche Kräfte nutzten, um den Willen der Götter bzw. des Schicksals zu erkunden.“ (Oerter, 1999, S.282) Strategiespiele dagegen sind eher in Kulturen zu finden, „in denen bei der Ent- scheidungsfindung und beim Lösen von gesellschaftlichen Problemen Diplomatie, Täu- schung und Strategie eine Rolle spielen“ (Oerter, 1999, S.283). Nach Sutton-Smith spiegelt sich so der Komplexitätsgrad einer Gesellschaft in ihren Spielen wieder. Die Spiele von Kulturen mit niedriger Komplexität sind weniger geprägt durch List und Täuschung, da ihre Mitglieder beim Überleben aufeinander angewiesen sind. Diese So- lidarität fehlt in Kulturen höherer Komplexität. Ihre Mitglieder stehen in Konkurrenz zueinander und versuchen durch List, Täuschung und Strategie Vorteile zu erlangen. In diesem Zusammenhang besagt die Konflikt-Enkulturations-Hypothese, dass „Konf- likte, die während der Sozialisation des Kindes und später induziert werden […] zur Beteiligung an Regelspielen, die expressive Modelle solcher Konflikte bilden“, führen. (Oerter, 1999, S.283) Nachfolgend ist eine zusammenfassende Tabelle nach Oerter 1999 aufgeführt.
  • 43. 38 Tabelle 6: Korrespondenz von kulturellen Aufgaben und Art des Regelspiels (zusammengestellt nach Sutton- Smith, 1986; Sutton-Smith, Roberts & Kozelke, 1963) Kultureller Aufgabentypus Bevorzugter Typus des Regelspiels Strenge Primärsozialisation, psychologi- sche Disziplinierung, Gehorsam, höhere Komplexität Strategiespiele Übernahme von Verantwortung, Unterdrü- ckung persönl. Initiative, Glaube an Wohlwollen übernatürlicher Kräfte Glücksspiele Leistung als zentrale Aufgabe, Konflikte zwischen kulturellen Gruppen Körperliche (sportliche) Wettkämpfe Spielen im Erwachsenenalter Bisher wurde das Spiel fast ausschließlich im Hinblick auf das Kinderspiel untersucht. Oerter versucht zu klären, was aus dem Spiel der Kinder im Erwachsenenalter wird. Er nennt dabei drei Eigenheiten, die das Spiel im Erwachsenenalter kennzeichnen: Das Spiel wird transformiert, es wird institutionalisiert sowie privat weiter betrieben. Die Transformation des Spiels erfolgt im Erwachsenenalter in andere, „ernsthaftere“ Formen. Oerter versteht so z. B. die Kunst oder auch die Religion als Spiel, welches im Erwachsenenalter, analog zu dem Kinderspiel, eine lebensbewältigende Funktion er- füllt. Ebenso kann auch Spiel in die Arbeit integriert werden: Anlehnend an die Be- schreibung des Flow-Erlebnisses bei manchen Arbeitstätigkeiten durch Csikzentmihalyi versteht Oerter das in der Arbeit integrierte Spiel als „ein System, das je nach Eigenart der Arbeit, der Situation und der Person aktiviert werden kann und das Interesse auf die Tätigkeit selbst lenkt sowie den gesamten Handlungsrahmen vorübergehend uminterp- retiert“ (Oerter, 1999, S.311). Eine Arbeit, für die es an Motivation mangelt, kann durch die Integration spielerischer Elemente für das Individuum attraktiver gemacht werden. Ebenso wie bei dem Kinderspiel kann auch in der Arbeit ein anderer Realitätsrahmen geschaffen werden oder auch eine (zumindest teilweise) intrinsische Motivation statt- finden. Nach Oerter lässt sich zusammenfassend sagen, dass „das Spiel im Erwachse- nenalter in andere Tätigkeiten integriert wird und dabei als Element des Handelns mehr oder minder breiten Raum einnehmen kann“ (Oerter, 1999, S.311).
  • 44. 39 Neben der Integration des Spiels kennzeichnet auch die Institutionalisierung das Spiel im Erwachsenenalter. Vor allem die Regelspiele stechen hier ins Auge: Es werden Sportspiele im internationalen Wettkampf ausgetragen und von Millionen verfolgt und bejubelt. Wie in dem vorhergehenden Kapitel über Kultur und Spiel schon erwähnt lässt sich auch hier ein Zusammenhang feststellen. Diese institutionalisierten Wettstreite er- setzen und kompensieren teilweise die kriegerischen Konflikte zwischen Gruppen oder Nationen. Ein symbolischer Krieg findet aber dennoch auf der institutionalisierten Ebe- ne der Regelspiele, wie z. B. Fußball, statt. Neben diesen öffentlichen Wettkämpfen findet in unserer Gesellschaft auch eine Institutionalisierung anderer Spielformen, wie z. B. dem Glücksspiel oder auch dem Freizeitsport, statt. Im Zusammenhang der Institu- tionalisierung spricht Oerter auch davon, dass das Spiel nicht nur integriert, sondern durchaus auch von anderen Tätigkeitsfeldern abgegrenzt wurde. Diese Abgrenzung „ermöglicht im Erwachsenenalter die Realisierung von Tätigkeiten, die Spiel sind bzw. dem Spiel nahekommen“ (Oerter, 1999, S.313). Privatisierung des Regelspiels Eine Besonderheit des Spielens im Erwachsenenalter stellt nach Oerter auch die Privati- sierung des Regelspiels dar. Gerade im Kreise der Familie oder der Freunde werden auch im Erwachsenenalter noch gerne Regelspiele in Form von Gesellschafts- oder Kar- tenspielen gespielt. Oerter (1999) sieht auch für das Spielen dieser Spiele das Gewinnen als essenziell an. „Gewinn bedeutet illusionäre Überlegenheit über andere, bedeutet risikofreien oder risi- koarmen Kampf mit dem Partner. Zudem wirkt Gewinnen unmittelbar selbsterhöhend und vermittelt ein Selbstbewußtsein, das in Beruf und Familie nicht gefördert wird.“ (Oerter, 1999, S.315) Das häufige Spielen lässt sich seiner Meinung nach nicht alleine über den Verstärkungseffekt beim Gewinnen, der gespannten Erwartung des Spielaus- gangs oder der Befriedigung des Problemlösens beim Spielen erklären. Oerter sieht das Spielen von Regelspielen im Erwachsenenalter als „illusionäre oder symbolische Erpro- bung der persönlichen Existenz“ (Oerter, 1999, S.315).
  • 45. 40 7. Spielzeugbeurteilung Betrachtet man sich die gegenwärtige Spielzeugbeurteilung, so wird man feststellen, dass es kein einheitliches System, geschweige denn einheitliche Bewertungskriterien für Spiele gibt. Verschiedene Ansätze versuchen dabei Spiele mehr oder weniger systema- tisch zu bewerten. Sie unterscheiden sich dabei teilweise gravierend durch z.B. die ver- wendeten Methoden, ihrem Gültigkeitsanspruch, ihrer Zielgruppe oder aber auch Be- wertungsgegenstand. Es stellt sich nun die Frage, warum es keine einheitlichen Ansätze zur Spielzeugbeurteilung gibt, beziehungsweise wie und warum sich verschiedene An- sätze unterscheiden. Das Hauptproblem bei der Spielzeugbeurteilung ist das Spannungsverhältnis zwischen objektiv bewertbaren Kriterien einerseits und dem subjektiven Empfinden sowie der Wertschätzung des Beurteilers andererseits. Hierdurch wird die Beurteilung erschwert. Es gibt zwar immer beobachtbare Spielprozesse, jedoch ist deren Bewertung und Ei- nordnung, gerade beim Kinderspiel, beeinflusst durch das Wertempfinden des beurtei- lenden Erwachsenen. Im Falle einer Bewertung durch einen Erwachsenen liegt dieser Beurteilung nicht immer ein Kriterienkatalog zu Grunde. Gerade eher subjektive Beur- teilungen sind oft geprägt durch Ideologien oder pädagogische Leitvorstellungen, die nicht offen ersichtlich sind. 7.1 Ansatz der Spielkritik Einen der populärsten Ansätze stellt gegenwärtig die Spielkritik dar. Hier wird ein Spiel durch einen Spielkritiker bewertet. Dieser stellt in einer Rezension seine subjektive Meinung dar und vergibt anschließend häufig eine Note, die den Spielreiz oder den Spielspaß beschreibt. Man findet diese Art der Bewertung vornehmlich in der Form kurzer Artikel in Fachzeitschriften wie der „Spielbox“, aber mehr und mehr auch in Tageszeitungen sowie auf speziellen Internetseiten. Die Vorgehensweise bei dieser Bewertung lehnt sich z.B. an Musik- oder Theaterkriti- ken an: Da das Spiel ein Kulturprodukt ist, ist eine Bewertung auch immer nur in einem historischen und kulturellen Zusammenhang zu sehen. Den Spielspaß bzw. den Spiel- reiz, z.B. in Form der gefühlten Spannung sowie der Spieldynamik, sollte dabei der Be- teiligte am besten selbst beschreiben können. Wie nach einem Theaterbesuch kann der
  • 46. 41 Kritiker seine eigenen subjektiven Erfahrungen und Erlebnisse im Spiel wiedergeben und so den Lesern einen subjektiven Eindruck von dem Spiel vermitteln. Die Spielkritik bietet so oft einen, je nach Qualität und Umfang der Rezension, mehr oder weniger guten Ersteindruck eines Spieles. Auch die Vergabe einer Note kann bis zu einem gewissen Grad ein Anhaltspunkt für eine persönliche Spielauswahl sein. Je- doch zeigt sich hier auch schon eines der gravierendsten Probleme der Spielkritik: Die Beurteilung eines Spieles ist subjektiv. Genauer gesagt heißt dies, dass die Bewertung geprägt ist durch den Rezensenten. Dieser verfügt über einen bestimmten sozialen, kul- turellen und politischen Hintergrund, besitzt bestimmte ästhetische Vorstellungen und verfügt auch über eine bestimmte fachliche Kompetenz. All diese Faktoren beeinflussen eine Rezension maßgeblich. Der abgegebene Eindruck sowie die Spielreiz-Note sind nur aus dieser einen Perspektive gerechtfertigt. Je nach Übereinstimmung der eigenen Ansichten, Werte und Erfahrungen mit denen des Rezen- senten besitzt die Kritik für den einzelnen mehr oder weniger Gehalt. Kennt der Leser den Rezensenten bzw. dessen Geschmack sowie vielleicht sogar dessen Beurteilungskriterien, so kann er recht gut einschätzen, ob ein Spiel vielleicht interes- sant für ihn sein könnte. Leider fehlt einer Rezension ohne Angaben über den Autor sowie dessen Beurteilungskriterien und deren Gewichtung ein gewisses Maß an Gehalt. Eine Rezension ohne diesen Rahmen kann keinerlei objektive Beurteilung abgeben, ob ein Spiel „gut“ oder „schlecht“ ist. Der Kontext einer Spielkritik besitzt demnach einen unglaublichen Einfluss. Die Beur- teilung ist bewusst subjektiv gehalten, was zum einem eine hohe Übereinstimmung mit dem durch den Spieler erlebten Spielspaß bedeutet, zum anderen dieser Bewertung aber auch eine sehr geringe Übertragbarkeit bzw. Allgemeingültigkeit zukommen lässt. Ganz abgesehen von diesem Hauptproblem ist oft nicht nachvollziehbar, aus welchen Situationen diese Kritiken entstehen. Es fehlen meist Angaben über die Spielsituation wie Mitspieler, Zeit, Stimmung usw. sowie Angaben über die Anzahl der gespielten Partien. Diese Daten, einschließlich der Angabe persönlicher Bewertungskriterien, könnten die Nachvollziehbarkeit sowie die Übertragbarkeit einzelner Rezensionen stark erhöhen. Ein weiteres ganz triviales Problem ist bei Rezensionen von Kinderspielen zu beobach- ten. Obwohl Kinder ab einem bestimmten Alter durchaus in der Lage sind, ihre Spieler-