SlideShare ist ein Scribd-Unternehmen logo
1 von 68
Downloaden Sie, um offline zu lesen
AU S G A B E
3
MUTTER
ERDE
Ein Magazin über
den Boden,
der uns ernährt
W A S
G E H T
TRÜFFELN
AUS ZUCHT
W A S
R O C K T
VEGAN
IN WACKEN
W A S
S C H M E C K T
KOCHEN
MIT ERDE
N E U E S A U S D E R N E F F K Ü C H E
3
COVERFOTO:REINHARDHUNGER;STYLING:CHRISTOPHHIMMEL
Sie gilt als Ursprung, als Synonym für Fruchtbarkeit
und Kreislauf des Lebens. Sinnbild für Natur und Wachstum.
Mit Mutter Erde verbinden wir nicht nur die Kraft starker
Verwurzelung, sondern auch ein warmes Gefühl der Geborgenheit,
einen Ort, zu dem wir zurückkommen können
und der uns am Ende unseres Lebens wieder aufnimmt.
Aber die Erde ist verletzbar. Insbesondere in den letzten
50 Jahren haben wir sie hohen Belastungen ausgesetzt: Sie wurde
mit Chemikalien verseucht, als Mülldeponie missbraucht,
ganze Urwälder wurden gerodet mit zum Teil
dramatischen Auswirkungen auf Flora, Fauna und Klima.
Wir haben nur diese eine Erde. Sie ist der Humus, auf dem
die Zukunft wächst. Deswegen möchte The Ingredient Sie auf eine Reise
der Hoffnung mitnehmen.
Denn mit unserem Heft wollen wir Ihnen die
erfreulichen Entwicklungen vorstellen, die es gibt. Wir haben uns
die Philosophie der Leaf-to-Root-Bewegung angeschaut,
die aus Respekt vor der Natur Schalen, Strunke, Kerne und Stiele
­mitverwertet und sie in köstliche Rezepte integriert.
Wir waren bei einem Trüffelexperten, der auf seiner Trüffelplantage
das Gleichgewicht der Natur imitiert und damit diesen
wertvollsten aller Edelpilze in Deutschland
züchten kann. Beeindruckt hat uns auch der Kalifornier Ron Finley,
der im sozialen Brennpunkt South LA mit seinem
Biotop aus Tomaten, Melonen und Mangold gefährdeten Jugendlichen
eine Lebensperspektive zu geben versucht.
Die strengsten Verfechter von Veganismus und Vegetarismus
trifft man dort, wo man sie am wenigsten vermutet,
in Wacken. Unsere Reporterin Inga Paulsen hat die Anhänger der
fleischlosen Ernährung auf dem Heavy-Metal-Festival besucht.
Und: Natürlich ziehen sich auch diesmal viele Rezepte
und Produkte durch unsere Seiten. Wir wünschen Ihnen wie immer
spannende Unterhaltung.
Ihre N E F F
The Ingredient-Redaktion
E D I T O R I A L
4
T R Ü F F E L N A U S
D E M A N B A U
16
Lange galt die Kultivierung von Trüffeln
als unmöglich. Doch seit es in Südeuropa
gelungen ist, Edelpilze auf Plantagen
anzubauen, profitieren auch Länder in
nördlichen Gefilden von dem Wissen. Wie der
Anbau funktioniert, recherchierte
unsere Reporterin Franziska Wischmann.
Das Heavy Metal Open Air in
Wacken ist nichts für Zartbesaitete. Das
hat unsere Autorin Inga Paulsen
überrascht: Sie ist in die vegane Szene
des Festivals eingestiegen
und hat festgestellt, dass selbst Rocker
gesund leben.
D E R S O U N D
Z U M G E M Ü S E
26
Mit Gemüse die Welt retten,
das ist die Mission des Rappers Ron Finley.
Im ärmsten Viertel von Los Angeles
will er Menschen im Tiefparterre der
Gesellschaft Hoffnung geben. Sein Credo:
„Wenn du im Leben etwas ändern willst,
musst du den Boden ändern.“
G A N G S T E R S
P A R A D I S E
54
I N H A L T
H A U P T G E S C H I C H T E N
N I C E
T
O
E A T
Y
O
U
86220_Neff_NAT_Ingredient_Rezeptheft_DE_Erde_RZ2.indd 1 24.11.17 KW47 16:36
5
W E I T E R E A R T I K E L
	
24		 D I E W E LT R E I S E D E R K A R T O F F E L
		Ihre Wurzeln liegen in Südamerika. Doch längst ist 	
		 die Kartoffel überall in der Welt eine beliebte Knolle.
36		 H E I M AT B Ö D E N
		Ohne gute Erde gibt es kein sauberes Trinkwasser 	
		 und keine gesunde Nahrung. Elf Fakten.
40 		 L E A F T O R O O T
		
		Mit Stiel und Strunk: In dem neuen Food-Trend wird 	
		 die ganze Pflanze verwertet. 	
42 		 H U M U S S E L B S T G E M A C H T
		
		Unser Reporter Philipp Kohlhöfer wollte auf seinem
		 Balkon Erde herstellen. Chronik eines Selbstversuchs.
44		 A U S G U T E M G R U N D
		 Wir haben mit unterschiedlichen Zubereitungs-
		 und Garmethoden experimentiert. Genießen Sie mit!
60 		 N AT U R A L F A R M I N G
		
		 Es gibt Wege, ohne Chemie, ohne
		 Pestizide auszukommen. Geht das? Wenn ja, wie?
64 		 P R O D U K T E
			
		 Gemüse vom Feinsten: Mit diesen Küchenhelfern
		 machen Sie das Beste aus Ihrer Ernte.
66 		 L I E B E S B R I E F A N L I N D A
			
		Die Kartoffelsorte sollte vom Speisezettel
		 verschwinden. Unser Kolumnist verbeugt sich vor ihr.
B E E F - S T R I P E S A U F
H E I S S E M S A N D
P L U S B O O K L E T
F Ü R 13 R E Z E P T E Z U M
S A M M E L N
Erntefest – alles,
was der Boden uns gibt.
Körner, Wurzeln und
Rüben sind ein Hochgenuss.
08		 S TA R T E R S
Neues aus der Welt der
Kulinarik: Eine Schweizer
Familie hat sich auf
die Zucht alter Kartoffelsorten
spezialisiert; ein Forscher
züchtet Gurken
fürs Weltall – diese und
weitere Zahlen,
Fakten und Storys gibt es
in unserem Ressort „Starters“.
FOTOS:SHAWNACORONADO;ENVERHIRSCH;GALLERYSTOCK/PARSLEYSTEINWEISS;ARTWORK:ANJEJAGER
FRANZISKA
WISCHMANN
_ _ _
AUTORIN
beschäftigt sich
als Expertin für Sport,
Lebensart und
Psychologie schon
sehr lange mit
dem Einfluss von guter
Ernährung auf Körper
und Geist. Bei ihren
Recherchen entdeckte
sie kürzlich eine
besondere Trüffelzucht.
Die wilde Trüffel gilt
hierzulande als
geschützte Art. Niemand
darf sie sammeln,
es sei denn, man hat
eine Ausnahmegenehmi-
gung. Ihre Reportage
über den Trüffelexperten
im Leinebergland
bei Hannover lesen Sie
auf Seite 16.
MICHELE
AVANTARIO
_ _ _
AUTOR
ist Steinbock.
Unter Freunden und
Kollegen gilt er
als bodenständiger Typ.
Die antike Vier-­Elemente-
Lehre ordnet
sein Sternzeichen dem
Element Erde zu.
Was lag also näher, als
den Autor mit einem
Artikel über den
Boden unter unseren
Füßen zu beauftragen?
Auf Seite 60 erfahren
Sie mehr über das
Erdreich, über Boden­
typen, Fruchtbarkeit,
­nachhaltige
­Agrarwirtschaft –
und darüber, warum wir
die „Erdgeister” bei
ihrer Arbeit unterstützen
sollten.
INGA
PAULSEN
_ _ _
AUTORIN
lebt mit ihrer Familie,
Hund und Pferd auf dem
Land. Für diese
Ausgabe entwickelte
die Ernährungswissen-
schaftlerin
nicht nur Rezepte,
sondern tauschte auch
die Ruhe ihres
Heimatdorfes gegen
einen Besuch beim
lautesten Festival der
Welt ein. Auf dem
Wacken Open Air wollte
sie herausfinden,
ob es in dieser
Musikszene tatsächlich
so viele Veganer
gibt, wie behauptet wird.
Seite 26
M I T W I R K E N D E
― A U S G A B E 3 ―
PHILIPP
KOHLHÖFER
_ _ _
AUTOR
ahnte nicht, dass er,
als er zum
ersten Mal das Bibelzitat
„Schwerter zu
Pflugscharen“ hörte,
genau das einmal
Jahre später
erleben würde. Die
Redewendung
drückt das Ziel aus,
Völkerfrieden
zu erreichen: Mitten in
South Los Angeles,
einer Hochburg
der Ganggewalt,
kümmert sich ein Mann
um den Anbau
von Karotten vor seinem
Haus, um damit
sein Viertel zu befrieden.
Wie er das macht,
lesen Sie in der
Reportage auf Seite 48.
FOTO:REINHARDHUNGER;STYLING:CHRISTOPHHIMMEL
8
A U S G A B E
E R D E
F A K T E N , Z I T A T E , Z A H L E N ,
S T U D I E N , K U R I O S E S , S P A N N E N D E T I P P S
U N D T R E N D S
PIL ZE SIND DI E LECKERSTEN WALDBEWOHNER.
SIE GEDEIHEN UNTER DER ERDE. ALLEIN IN EUROPA GIBT ES HUNDERTE
ESSBARE SORTEN. IN DER PFANNE L ANDET LEDIGLICH DER
FRUCHTKÖRPER. ER MUSS VORSICHTIG GEERNTET WERDEN, DAMIT AUCH IM
NÄCHSTEN JAHR WIEDER PIL ZKÖPFE AUS DEM TIEF LIEGENDEN MY ZEL
SPRIESSEN – EIN MY ZEL BEZEICHNET DIE GESAMTHEIT ALLER FADENFÖRMIGEN
ZELLEN EINES PIL ZES. TIPP FÜR DIE IDEALE SAMMELMETHODE:
EIN GL ATTER SCHNITT AM STIELENDE.
E
9
ILLUSTRATIONEN:CHRISTINEKÖHLER
A U F D E M B I O H O F „La Sorts“ 1.400 Meter über dem
Meer, eingebettet in eine Alpenlandschaft im Schweizer
Kanton Graubünden gibt es optimale Bedingungen. Einst
war diese Gegend Kulisse für die „Heidi“-Filme. Im Jahr
2001 übernahmen die Landwirte Sabine und Marcel
Heinrich „La Sorts“. Er ist ein sogenannter Bio-Knos­pe-
Betrieb. Diese Höfe wirtschaften nach den Richtlinien
von Bio ­Suisse.
Die Heinrichs haben sich einer artgerechten Tier­haltung
verschrieben und verzichten auf Gentechnik und Chemie.
Sie setzen auf Diversität statt auf Spezialistentum, besit­
zen 34 Rinder, eine Herde Ziegen, Hühner, Enten, Pfauen
und sogar Lamas. Im Juli ziehen sie mit allen Tieren (au-
ßer jenen, die sich ohnehin immer dort aufhalten) auf die
Alp, um sie auf den Berg­wiesen grasen zu lassen.
Das Herzstück ihres Hofs sind die fünf Kartoffeläcker mit
unterschiedlichen wie raren Kartoffelknollen: Insgesamt
42 Arten bauen die Heinrichs an, eine Vielfalt, die kaum
ein anderer Bauer in Europa zu bieten hat. „Seltene Sor­
ten zu pflanzen war etwas verrückt, aber wir wollten Neu-
es ausprobieren“, sagt Marcel Heinrich. Er freut sich, dass
es ihnen gut gelungen ist.
Neben den Knollen mit aristokratisch klingenden Namen
halten sie für ihre Stammkundschaft außerdem feinstes
Bio-Fleisch (sogenanntes Grauvieh Hornfleisch) und ech-
te Nischenprodukte wie Bergheusirup und Bergheu­essig
bereit. Der Slogan ihres Betriebs lautet: „mit Durchhalte-
willen, Herzblut und einer Prise Glück“. So vermarkten sie
auch ihre außergewöhnlichen Bergkartoffeln – sie sind
inzwischen auch in der Spitzengastronomie sehr gefragt.
www.lasorts.ch
MYTHOS Nr. 1
Unkraut ist
ungenießbar.
FALSCH.
Viele Wildkräuter sind
essbar und sorgen,
kostenlos, für Abwechslung
auf dem Teller. Der
Geschmack von
ge­dünsteten Giersch-
und Brennnesselblättern ist
würzig und erinnert an
Spinat. Vogelmiere
schmeckt krautig und ein
wenig nach rohen Erbsen.
Gänseblümchen
sorgen für eine herbe Schärfe
im Salat und
junger Löwenzahn
bringt Bitterstoffe ins Spiel.
Tipp: Ein Wildkräuterlexikon
hilft dabei,
schmackhaftes
Kraut von ungenießbarem
zu unterscheiden.
M Y T H E N
D E R G R Ö S S T E
F E I N D D E S G Ä R T N E R S
I S T D A S U N K R A U T .
WA S A B E R
I S T WA H R U N D WA S
F A L S C H A N D E N
L E G E N D E N U M D A S
U N G E L I E B T E K R A U T ?
T H E I N G R E D I E N T
K L Ä R T U M S T R I T T E N E
F R A G E N .
R A R I T Ä T E N
T O L L E K N O L L E
T E X T
_ _ _
L E S L E Y S E V R I E N S
S T A R T E R S
PATATE VERR AYES, COR NES DE GÂTES, HIGHLAND
BURGU NDY R ED, VITELOTTE NOIR E – SPITZENKÖCHE
LIEBEN ALTE K ARTOFFELSORTEN. DIE LAND­WIRTE
SABINE U ND MARCEL HEINRICH BAUEN DIESE
SELTENEN ARTEN IN DEN ALPEN AN. WIE GEHT DAS?
ge­sunder, bewusster Ernährung sowie lokalen
und saisonalen Erzeugnissen entgegen. Sollte
sich dieses Konzept eines Tages durchgesetzt
haben, brauchen Großstädter keine Salate,
Avo­­cados oder Weintrauben, die Hunderte
oder gar Tausende Kilometer zurückgelegt ha-
ben. Im Ge­genteil: Stadtbewohner könnten in
Ge­bäuden, Häusern und Wolkenkratzern, so­
genannten Farmscrapers, das ganze Jahr über
Früchte, Gemüse, Speisepilze oder auch Al­gen
erzeugen. Erfolg­reiche Beispiele und Pilot­pro­
jekte gibt es weltweit viele, unter anderem in
Shanghai, Ham­burg und dem schwe­di­schen
Linköping.
Die Vorteile des Vertical Farming liegen auf
der Hand: Flächen würden gespart, Ackerfelder
könnten regenerieren, ungenutzte Industrie­
bra­chen reaktiviert, durch geschlossene Kreis-
läufe könnte Wasser eingespart werden. Aber
es gibt auch Nachteile: Die vertikale Landwirt­
schaft erfordert einen hohen Energiebedarf.
Und: Der wirtschaftliche Nutzen ist dabei noch
­unklar.
Dennoch wittern Lebensmittelkonzerne wie
Kraft Foods, Unilever und Nestlé neue Ge­
schäfts­felder: Sie haben sich zur Plattform SAI
(Sustai­nable Agricultural Initiative) zusammen­
ge­schlossen, um Fallstudien für die Umsetzung
von Urban-Farming-Projekten zu erarbeiten.
D E N M E G A C I T Y S von morgen wird es an
Raum mangeln. Nach Schätzungen der Ver­ein­
ten Nationen werden in einigen Jahrzehn­ten
rund 80 Prozent der Menschen weltweit in Städ-
ten leben. Mehr Menschen, mehr Gebäude,
mehr Verkehr – das wird die Städte weiter ver­
dich­ten. Neue architek­tonische Lösungen sind
deshalb gefragt: Mit der Idee der vertikalen
Land­­wirtschaft wollen Ingenieure und Archi­tek­
ten der Zukunft etwas entgegensetzen.
Vertical Farming erlaubt es, Kräuter, Obst und
Gemüse vor der Haustür zu säen und zu ernten.
Das kommt dem menschlichen Wunsch nach
Vertikal statt horizontal: In der Großstadt der
Zukunft wächst es in die Höhe, nicht in die Breite.
T E X T
_ _ _
L E S L E Y S E V R I E N S
10
A„
S E N K R E C H T S TA R T E R
“
SEIT JAHR EN FORSCHEN WISSENSCHAFTLER IN ALLER WELT AN
GEWÄCHSHÄUSER N FÜR DIE STADT DER ZUKU NFT. SIE GLAUBEN, DIE WELT
KÖNNTE EIN BESSER ER ORT WERDEN, WENN WIR MEHR VERTIK ALE
LANDWIRTSCHAFT BETRIEBEN. STIMMT. U ND STIMMT AUCH NICHT.
CHICKPEACE:
durch Hummus und Kichererbsen neue Heimat finden.
11
S T A R T E R S
D I E Ü B E R Z E U G U N G S TÄT E R I N
M A N U E L A M A U R E R , 47,
IST EIN DURCH UND DURCH OPTIMISTISCHER
MENSCH. VOR EINIGEN JAHREN HAT SIE
EINEN VEREIN GEGRÜNDET,
DER STR AFGEFANGENEN UND EHEMALIGEN
HÄFTLINGEN DEN WEG ZURÜCK IN DIE
GESELLSCHAFT EBNET, INDEM SIE
BLINDENHUNDE AUSBILDEN UND BETREUEN.
NUN HAT DIE „ Ü B E R Z E U G T E
PÄ D A G O G I N “ (MAURER ÜBER SICH) EINEN
CATERING-SERVICE INS LEBEN
GERUFEN, DER GEFLÜCHTETEN FR AUEN AUS
A F G H A N I S T A N , D E M I R A K , S Y R I E N U N D
A F R I K A DEN EINSTIEG IN UNSERE
GESELLSCHAFT ERLEICHTERT: SYRISCHER
HUMMUS, AFGHANISCHE
GEMÜSESUPPE, IR ANISCHER MILCHREIS ODER
SOMALISCHE FLEISCHK ARTOFFELN –
GEMEINSAM BEREITEN DIE FR AUEN
FEINKOST AUS IHREN HEIMATL ÄNDERN VOR
UND SERVIEREN SIE DEN KUNDEN ALS
BÜFETT. SO KOMMT ES ZU
B E G E G N U N G E N Ü B E R D I E K U L T U R E N
H I N W E G . DANK MAURERS INITIATIVE
ERL ANGEN DIE FR AUEN GASTRONOMISCHES
WISSEN, DAS IHNEN DEN WEITEREN
BERUFSWEG ERLEICHTERN WIRD.
DIE INITIATIVE HAT NOCH KEINE WEBPAGE,
IST ABER AUF F A C E B O O K ZU FINDEN.
FOTOS:ANDREATHODE(R.);JONATHANCROSBY/NYT/REDUX/LAIF(L.)
MYTHOS Nr. 2
Unkraut
wächst einfach überall.
FALSCH.
Jede Pf lanze braucht
Sauerstoff, Licht,
Nährstoffe und Wasser zum
Gedeihen – das gilt auch
für wildes Grün. Allerdings
ist die Saat robuster
als die kultivierter Arten.
Ein kluger Gärtner kann
am Unkrautwuchs
erkennen, wie sein Boden
beschaffen ist, und
diesen dann mit der
entsprechenden Pf lege ins
Lot bringen. Brennnesseln
und Vogelmiere sind
zum Beispiel Zeigerpf lanzen
für humose Erde.
Huf lattich wächst gern auf
lehmigem Untergrund,
Moos und Kleiner
Sauerampfer auf saurem
Boden, und wo sich
Acker-Schachtelhalm
und Huf lattich niederlassen,
staut sich die Nässe.
MYTHOS Nr. 3
Unkraut
hat Zauberkräfte.
RICHTIG.
Was aus den Blumen- und
Gemüsebeeten gezupft
wird, ist seit Jahrhunderten
Teil der Naturmedizin.
Spitzwegerich, Löwenzahn
& Co. liefern Mineralstoffe,
Spurenelemente,
Vitamine und sekundäre
Pf lanzenstoffe.
Wildkräuter sind durch ihren
Gehalt an ätherischen Ölen
oder Bitterstoffen
– wohldosiert – wirksam
gegen Krankheiten.
Gegenteiliges kann auch der
Fall sein, denn es gibt
Blätter oder Wurzeln, die nur
äußerlich angewendet
werden dürfen oder generell
gefährlich für den Menschen
sind. Deshalb: nicht
experimentieren, sondern
informieren.
T E X T
_ _ _
A L E X A N D E R P E N Z E L
DAS ERDLOCH IST SO ETWAS WIE DER ERSTE OFEN
DER MENSCHHEIT. IN VIELEN ERDTEILEN WIRD HEUTE NOCH SO
GEKOCHT WIE VOR JAHRTAUSENDEN.
„
E R S T G R A B E N , D A N N E S S E N
“
12
R
ÜBER 13 BILLIONEN
(13.000.000.000.000)
Anzahl der Lebewesen
in einem Quadratmeter Erde mit
30 cm Tiefe (Bakterien,
Pilze, Fadenwürmer, Rädertierchen,
Asseln, Regenwürmer etc.).
D I E T R A D I T I O N D E S Erdlochkochens ist
30.000 Jahre alt. Mit dem Grillen und Rösten ge-
hört sie zu den ältesten Kochtechniken der Welt.
Archäologen betrachten sie deshalb auch als
Beleg für archaische menschliche Siedlungen:
Das Verfahren, Steine zu erhitzen und sich ihrer
Wärmespeicherung zu bedienen, erlaubte es
erst­mals, Knollen- und Wurzelgemüse so zu ga­
ren, dass es für den Menschen genießbar wurde.
Besonders auf den Inseln Polynesiens, wo stär­
ke­haltiges Gemüse wie Taroknollen, Süßkar­tof­
feln und die Brotfrucht auf der Speisekarte ste-
hen, waren Erdöfen von großer Bedeutung – bis
heute werden in der Pazifikregion zu feierlichen
Anlässen Erdöfen errichtet; im Mittleren Osten
nutzen die Beduinen sie auf ihren Wüsten­
wanderungen.
Weil der Erdofen weltweit verbreitet ist, gibt es
viele Techniken der Zubereitung, es kann darin
gegart, gedünstet oder geräuchert werden. Da­
für werden oft Steine durch ein Feuer direkt im
Erdloch erhitzt wie etwa beim Imu-Ofen der
Hawai­ianer. Danach werden Nahrungsmittel in
Pflanzenblätter gewickelt und hineingelegt, so-
bald die Flammen heruntergebrannt sind. Ab-
schließend wird der Ofen mit Fellen, Moos,
Pflan­zen oder Erde bedeckt und die Gerichte
wer­den im eigenen Sud gedämpft. Der peruani­
sche Huatia-Ofen wiederum wird zum Einsturz
ge­bracht und begräbt so die Zutaten unter sich.
Die nord­amerikanischen Assiniboine-Indianer
er­hitz­ten Steine und legten sie in Wasser, um es
zum Kochen zu bringen. Neuzeitliche Zuberei­
tungs­varianten sind Backen mit Pergament, Alu-
folie und im Römertopf.
Eines der bekanntesten Rezepte ist das hawaii­
anische Kālua. Es wird auf dem Pazifikarchipel
bei Festen serviert. Dabei wird Schweinekamm
mit Meersalz eingerieben und zusammen mit
Süßkartoffeln und Poi (gestampfter Taroknolle)
in Bananen- oder Ti-Blätter gewickelt und ge-
gart. In der peruanischen Variante wird Fleisch
(Schwein, Lamm oder Meerschweinchen) mit
Kartoffeln, Yuca und Bohnen in Maisblätter
­gewickelt. Gewürzt mit Paprika, Kreuzkümmel,
Salz und Pfeffer entsteht Pachamanca – dieses
Gericht wurde im Jahr 2003 zum nationalen Kul-
turerbe Perus erklärt.
S T A R T E R S
FOTOS:MATTHEWKOSLOSKI/UNSPLASH(R.);KAIWEISE(L.)
13
Wie gesund ist Birkensaft?
Laut Studien des Finnen Heikki Kallio, Professor für Le­
bens­mittelchemie an der Universität Turku, enthält es
viele Mineralien, etwa Kalzium, Magnesium, Kupfer, Zink
und Eisen. Die Finnen sagen dem Erdsaft heilende Wir­
kung bei Gicht und Rheuma nach, aber dafür fehlen wis-
senschaftliche Belege. Birkensaft ist frei von Gluten und
Lactose. Seine natürliche Süße stammt vom zahnfreund­
lichen Zucker Xylitol. Der Energiegehalt liegt pro Glas bei
nur 36 Kalorien.
Wie kann ich den Zaubertrunk zapfen?
Am leichtesten ist es in der Zeit vor der Blüte der Silber-
birken, dann fließt das nährstoffreiche Nass mit großem
Druck von den Wurzeln hinauf zur Krone. Man muss nur
ein circa fünf Zentimeter tiefes und zwei Zentimeter gro­
ßes Loch in die Rinde bohren und die Flüssigkeit dann mit
einem Schlauch in ein Gefäß leiten. Das Loch sollte an-
schließend mit Baumharz verschlossen werden, damit
der Stamm nicht ausblutet.
Selbst gezapft oder aus dem Supermarkt:
Ist der Unterschied zu schmecken?
Ja. Frischer Birkensaft ist wässrig, süßlich und duftet ein
bisschen nach Baum. Produkte aus dem Handel dagegen
sind pasteurisiert, sterilisiert und nicht selten aromati­
siert. Puristen sollten also auf die Zutatenliste schauen,
wenn sie ein naturbelassenes Produkt kaufen möchten.
IN DEN BIRKENHAIN PILGER N,
UM AUS DEN BÄUMEN SAFT ZU GEWINNEN?
IN SK ANDINAVIEN IST DAS ÜBLICH. JETZT EROBERT
BIRKENWASSER AUCH BEI U NS DIE
SUPER MÄRKTE . LOHNT ES ZUZUGR EIFEN?
DR EI FR AGEN, DR EI ANTWORTEN.
„
O ’ Z A P F T I S !
“
MYTHOS Nr. 4
Wo kein Unkraut
wächst, summt keine Biene.
RICHTIG.
Die Chemie, mit
der landwirtschaftliche
und öffentliche Flächen von
wilden Pf lanzen
freigehalten werden sollen,
vernichtet nicht nur
Wildblüten, die Nektar
liefern, sondern vergiften die
(Wild-) Bienenbestände –
mit Folgen für die Natur,
denn die f liegenden Arbeiter
sind Bestäuber
und somit Garanten der
Biodiversität.
MYTHOS Nr. 5
Unkraut verbessert den
Boden auf natürliche Art.
RICHTIG.
Dafür gibt es viele Beispiele:
So lässt sich aus Brennnesseln
oder Beinwell mit
Jauche ein hochwertiger
Stickstoffdünger
herstellen. Wurzeln von
Lupinen und einigen
Kleepf lanzen lockern den
Boden auf. Mäht man
sie später ab und lässt den
Grünschnitt auf der
Fläche liegen, wirkt er wie
eine Mulchschicht. Durch
den Anbau steigen der
Humus- und der Mikroorga-
nismenanteil der Erde an.
14
WIE REGEN,
DER AUF DIE ERDE
TRIFFT, FÜR
K ÄNGURUBABYS SORGT
WENN SOMMERREGEN AUF HEISSE , AUSGEDÖRRTE
ERDE PR ASSELT, DANN DAMPFT ES NICHT NUR. DIE LUFT IST DANN
ERFÜLLT VON EINEM EIGENEN GERUCH:
PETRICHOR HEISST ER. DAS WORT SETZT SICH AUS
DEN GRIECHISCHEN BEGRIFFEN „PETROS“ FÜR „STEIN“ U ND
„ICHOR“ FÜR „FLÜSSIGKEIT“ ZUSAMMEN U ND WURDE IM JAHR 1964
VON AUSTR ALISCHEN FORSCHERN GEPR ÄGT. ANDERE
WISSENSCHAFTLER FANDEN 51 JAHRE SPÄTER HER AUS, DASS DER
REGENGERUCH DURCH KLEINE BLÄSCHEN ENTSTEHT,
DIE SICH BILDEN, WENN REGENTROPFEN AUF ERWÄR MTE FLÄCHEN
TREFFEN – DIE BLÄSCHEN PLATZEN U ND
SETZEN AROMATISCHE AEROSOLE FREI, DIE DEN TYPISCHEN
REGENGERUCH HERVORRUFEN. IN DER NATUR LÖST
DAS EINE K ASK ADE VON FRUCHTBARKEIT AUS,
NICHT NUR IN DER FLOR A, SONDERN AUCH DER FAU NA: DER
GERUCH SOLL – DEM BOTENSTOFF PHEROMON GLEICH – ­
EINFLUSS AUF DEN SEXUALZYKLUS VON K ÄNGURUS HABEN.
ÜBERPROPORTIONAL VIELE TIERE SIND NACH
REGENSCHAUERN TR ÄCHTIG. EINE INTERESSANTE VERBINDU NG,
AN DER AUCH DIE PARFÜMINDUSTRIE NICHT
VORBEIKOMMEN WILL: ERDIGE DUFTNUANCEN SIND SCHWER
IM KOMMEN.
Dem Botenstoff Pheromon zu verdanken:
Nachwuchs in der Natur.
T
15
S T A R T E R S
H
liegen frei, sie werden mit einer Nährstofflö-
sung besprüht, dieses Verfahren wird Aeropo-
nik genannt. Beleuchtet wird mit LED-­Lampen,
die den Wechsel von Tag und Nacht simulie­ren.
Nach der Ernte protokolliert Zabel den Ertrag
und trocknet ihn, um die gewonnene Biomasse
zu bestimmen.
Ab Dezember 2017 wird er ein Jahr lang zwei
Container-Gewächshäuser in der Antarktis be­
trei­ben. Der Südpol wurde gewählt, weil hier
welt­raumähnliche Bedingungen herrschen: Die
Station erhält nur einmal pro Jahr Nachschub.
Geht hier etwas kaputt, muss Zabel es selber re-
parieren. Auch die Crewgröße gleicht mit zehn
Per­sonen der einer Raummission. Schwerelosig-
keit und kosmische Strahlung lassen sich im Eis
natürlich nicht simulieren. Man wisse jedoch,
dass Schwerelosigkeit dem Pflanzenwachstum
nicht schade, sagt Zabel. Ob Strahlung die Pflan­
zen beeinträchtigt, ist noch nicht erforscht.
Im Gewächshaus am Standort des DLR in Bre-
men wurden bereits 15 verschiedene Gemüse­
sor­ten erfolgreich angebaut. Verläuft das Pro-
jekt im Eis erfolgreich, werden weitere Ver­su­che,
auch im Weltall, begonnen. Zabel sei für eine
Expedition ins All offen, sagt er. Wer weiß: Viel-
leicht ist die Zukunftsvision von Gemüse auf
dem Mars aus dem Blockbuster „The Martian“
bald keine Zukunftsvision mehr.
I N S E I N E M F R Ü H E R E N L E B E N war Paul
Zabel Ingenieur für Luft- und Raumfahrt. Seit
2015 zieht er im Rahmen des Projekts „Eden
ISS“ Gemüse. Gefördert wird das Projekt vom
EU-For­schungsprogramm „Horizon 2020“. Es
gibt ei­nige Gründe für „höhere“ Nutzpflanzen
wie zum Beispiel Gemüse im All: Sauerstoff­pro­
duk­tion, Koh­len­dioxidreduktion und natürlich
die Nah­rungs­mittelproduktion selbst sprechen
­dafür. Aber nicht nur für das Weltall ist Zabels
Forschung relevant. Die Wissenschaftler be­
stim­men auch ideale künstliche Wachs­tums­
bedin­gun­gen, die bei der Lösung der globalen
Nah­rungs­mittelversorgung im 21. Jahrhundert
eine Rolle spielen könnten.
Zabels Gewächshäuser sind ein fast geschlos-
senes System: Das Wasser für die Bewässerung
der Pflanzen, das sie bei der Energieproduktion
wieder abgeben, wird aufgefangen und wieder­
verwendet. Ganz ohne Erde und Sonnen­licht
wer­den die Pflanzen hier kultiviert. Ihre Wur­zeln
FOTOS:THINKSTOCK
T E X T
_ _ _
A L E X A N D E R P E N Z E L
„
G U R K E N A U S D E M O R B I T
“
FORSCHER VOM DEUTSCHEN ZENTRUM FÜR LUFT- U ND
R AUMFAHRT (DLR) BEHAUPTEN: NAHRU NGSMITTEL MÜSSEN NICHT AUF DER
ERDE , SIE KÖNNTEN AUCH IM WELTALL PRODUZIERT WERDEN.
IN DER ANTARKTIS U NTER ZIEHEN SIE NU N IHR E NEUE TECHNIK EINEM
TEST. DORT HERRSCHEN ÄHNLICHE BEDINGU NGEN WIE IM WELTR AUM.
T U B E R M E L A N O S P O R U M - - - - - P E R I G O R D - T R Ü F F E L
N e b e n d e r w e i ß e n A l b a -T r ü f f e l i s t a u c h d i e P é r i g o r d -T r ü f f e l b e s o n d e r s w e r t v o l l . D i e a l s
„ s c h w a r z e r D i a m a n t “ b e z e i c h n e t e T r ü f f e l a r t k o m m t v o r a l l e m i n F r a n k r e i c h u n d I t a l i e n v o r .
FOTOS:STOCKFOOD/PHOTOCUISINE/CHRISTINEFLEURENT;PATRICKTOMASSO/UNSPLASH
16
M I T I H R E R F E I N E N S P Ü R N A S E
S I N D T RÜ F F E L H U N D E D E M E D E L P I L Z AU F
D E R S P U R . D E N G I B T E S Ü B E R R A S C H E N D E RW E I S E
AU C H I N D E U T S C H L A N D Z U H AU F.
B E S U C H B E I E I N E M T RÜ F F E L E X P E R T E N
I M L E I N E B E R G L A N D.
W O O P E E
U N D
D E R D U F T
V O N
T R Ü F F E L N
T E X T
_ _ _
F R A N Z I S K A W I S C H M A N N
R E P O R T A G E
T U B E R A E S T I V U M - - - - - S O M M E R T R Ü F F E L
W e r w e i ß , u n t e r w e l c h e n B ä u m e n d i e S o m m e r t r ü f f e l w ä c h s t , k a n n i n D e u t s c h l a n d f ü n d i g w e r d e n .
FOTOS:STOCKFOOD/MARCO.FINLEY
18
R E P O R T A G E
SCHATZ
IN
DERERDE
DieSommer-
trüffelzählt
miteinem
Kilopreisvon
200bis600
Eurozuden
„bezahlbaren“
Trüffeln.Wer
sichmitseinem
Trüffelhund
selbstaufdie
SucheimWald
macht,muss
schnellsein:
Denndiese
Hundelieben
denfeinen
Edelpilzund
wollenihnoft
nichtmehr
hergeben.
19
D E R T E U E R S T E E D E L P I L Z der Welt ist die Trüf-
fel. Für manchen Feinschmecker ist es der Gipfel der
Gefühle, sich ein paar hauchdünne Scheibchen davon
roh über Speisen wie Pasta oder Carpaccio zu raspeln.
Selbst ein profanes Spiegelei kann mit dem feinen
Trüf­felaroma zu einer Geschmacksexplosion werden.
Wer es sich leisten kann, wählt nicht irgendeine Trüf-
fel. Königin in der Pilzhierarchie ist die Tuber magna-
tum, die inzwischen seltene weiße Alba-Trüffel, die für
ihren einzigartigen Duft und Geschmack geschätzt
wird. Der lässt sich offenbar schwer in Worte fassen:
Die einen schwärmen von einem Vanille-Nuss-Aroma,
andere wiederum meinen, einen Hauch von Knob-
lauch herauszuschmecken. Bis zu 9.000 Euro kostet
ein Kilogramm dieser Delikatesse. Da kommt selbst
bei einer Portion von 20 Gramm schon ein hübsches
Sümmchen zusammen.
Doch Trüffel ist nicht gleich Trüffel. Es gibt viele ver-
Unterholz. Die sanfte Hügellandschaft des Leineberg­
lands ist durchsetzt von lichten Wäldern und Freiflä-
chen, ideal für das natürliche Wachstum dieser Spe-
zies. Warum sie kaum einer findet: Trüffeln wachsen
unter der Erde und sind ohne den feinen Geruchssinn
eines ausgebildeten Hundes kaum zu entdecken.
Eine Lizenz zum Suchen hat hier keiner. Offiziell ist es
in Deutschland verboten, Trüffeln auszugraben. „Wer
ei­nen Fruchtkörper entnimmt, begeht mindestens
­ei­ne Ordnungswidrigkeit“, macht Fabian Sievers deut-
lich. „Alle Trüffeln der Gattung Tuber und damit pau-
schal alle Echten Trüffeln stehen in Deutschland unter
einem besonderen Schutz.“ Auch wenn er ein gene­
rel­les Verbot für übertrieben hält, weil das Trüffel­
vor­kom­men einiger Arten seiner Meinung nach den
Arten­schutz nicht rechtfertige: Die Vorstellung, „dass
Hinz und Kunz unsere Wälder durchpflügen“, ist auf
kei­nen Fall in seinem Sinne. „Jeder Trüffel­sucher sollte
schiedene Arten, die das ganze Jahr über vorkommen,
und sie wachsen nicht nur in warmen Regionen von Ita-
lien über Frankreich bis Spanien. Einige dieser Trüffel­
arten wie die Burgundertrüffel oder die Sommertrüf-
fel sind auch in Deutschland heimisch. „Sie kommen
sogar sehr häufig vor“, bestätigt Fabian Sievers. Der
45-Jährige ist Trüffelexperte und baut seit sechs Jah-
ren Trüffeln auf einer Plantage im Leine­bergland zwi-
schen Hannover und Göttingen an. „Deutschland ist
Trüffelland“, sagt er. „Wer sich in der Natur sehr gut
aus­kennt und weiß, unter welchen Bedingungen sie
wachsen, kann überall Trüffeln entdecken.“ Zwei bis
drei Dutzend der Gattung Tuber soll es in deutschen
Wäldern geben.
Erschnüffelt werden sie von Trüffelhunden. Woopee
ist so ein Trüffelhund. Zusammen mit seinem Herr-
chen ist er seit fünf Jahren heimischen Trüffeln auf
der Spur. Woopee ist ganz wild auf die Delikatesse im
ein Grund­verständnis für Natur und Symbiose haben“,
findet der Experte. Oder in den Trüffelanbau investie-
ren so wie Sievers selbst.
Plötzlich ist Woopee aufgeregt. Ungestüm beginnt sie
zu buddeln. Tief graben muss sie nicht. Die in dieser
Jah­reszeit vorkommende Sommertrüffel liegt meist
di­rekt unter der Oberfläche. Woopee schnappt so-
fort zu. Für Fabian Sievers ist es nicht ganz einfach,
seinem Hund die schwarze Knolle abzutrotzen. „Wir
haben ­einen Deal“, erklärt er. „Winzige Murmeln, die
sie mit einer Pfote rauswischen kann, darf Woopee
behalten.“ Die Sommertrüffel, die sie in der Schnau-
ze hat, muss sie allerdings hergeben. Sievers lobt das
wuschelige Fellbündel ausgiebig für seine Fähigkeit
und belohnt es mit einem Leckerli.
Während Woopee weiterschnüffelt, erklärt er, warum
aus dem Trüffelschwein ein Trüffelhund geworden ist:
„Die ersten Trüffelsucher waren Landwirte, die mit
20
R E P O R T A G E
ihren Schweineherden durch die Wälder zogen. Weil
reife Trüffeln Duftstoffe ausströmen, die dem Sexual-
hormon des Ebers sehr ähnlich sind, stürzten sich die
Sauen in die Trüffelhaine.“ Doch Schweine sind wenig
wendig, schwer zu erziehen und trampeln durch Flo-
ra und Fauna, weswegen sie schon längst nicht mehr
eingesetzt werden. Ein Lagotto Romagnolo dagegen
ist ideal für die Trüffelsuche. Sievers erklärt: „Diese
Hun­de­rasse ist sehr verspielt und besitzt keinerlei
Jagd­trieb. Man kann sie problemlos frei laufen lassen.“
Woopee hat den Trüffelgeruch im wahrsten Sinne des
Wortes mit der Muttermilch eingesogen. „Um sie an
das Aroma zu gewöhnen, haben wir die Zitzen des
Mut­tertiers mit Trüffelöl eingerieben“, so der Experte.
In­zwischen ist sie längst Profi. Sievers deckt die Fund-
stelle wieder zu. Er will keine Spuren für andere Su-
cher hinterlassen. Denn über Fundorte und Ausbeute
bewahrt jeder Trüffelsucher Stillschweigen. Außerdem
schützt er so das empfindliche Pilzgeflecht unter der
Erde: „Die Trüffel ist nur die Frucht des eigentlichen
Pilzes. Das Pilzmyzel verbindet sich mit den Baum­wur­
zeln. Eine Symbiose, Mykorrhiza genannt, von der bei-
de profitieren. Der Pilz versorgt den Baum mit Nähr­
stoffen. Der wiederum liefert Nährstoffverbindungen
an den Pilz. Ohne die Hilfe der Bäume gäbe es keine
Trüffeln.“
Sein Wissen, mit welchen Bäumen der Trüffelpilz my-
korrhiziert, hat er in seine Trüffelplantage einfließen
las­sen. Auf der zwei Hektar großen, leicht abschüssi-
gen Weide hat er in loser Folge Haselnuss, Heinbuche,
Rotbuche und Eiche angepflanzt. Auch Obstbäume
wie Wildkirsche oder Apfel dürfen dabei sein. „Trüffel
bevorzugen feuchte, kalkreiche Böden, die einen pH-
Wert von über 7 haben“, weiß Sievers und er erklärt:
„Je karger und nährstoffärmer der Boden ist, desto
besser ist das für die Symbiose zwischen Baum und
Pilz.“ Es ist ein filigranes Gleichgewicht, das leicht ge-
stört werden kann. Durch Unterbewuchs zum Beispiel,
R E P O R T A G E
S P Ü R N A S E - - - - - L A G O T T O R O M A G N O L O
D i e H u n d e r a s s e i s t p r ä d e s t i n i e r t f ü r d i e T r ü f f e l s u c h e . F ü r s i e i s t e s e i n s p a n n e n d e s S p i e l .
FOTOS:GALLERYSTOCK/PARSLEYSTEINWEISS
21
also andere Pflanzen, die der Mykorrhiza Konkurrenz
machen würden. Auch vor Wildverbiss durch Mäuse
und Rehe muss man die jungen Bäumchen schützen.
Obwohl sie auch etwas Gutes haben. Denn es sind
die Tiere des Waldes, die mit ihren Ausscheidungen
für die Verbreitung der Sporen an anderen Stellen im
Bo­den sorgen. Ein neues Myzel kann sich bilden und
pflanzt sich fort.
Genau wie in der Natur braucht es Jahre, bis die Ver­
bindung zwischen Baum und Pilz Früchte trägt. Fabian
Sievers weiß, dass es ein langjähriges Unterfangen
ist, für das man Know-how und jede Menge Geduld
braucht. Doch es lohnt sich. Geruch und Geschmack
wir­ken auf viele Menschen anziehend. Immer wieder
wird der Trüffel eine aphrodisierende Wirkung nach-
gesagt. Solche Mythen tragen vielleicht auch zum
Wert mit bei. Aber vor allem ist es eines: „Der Trüffel­
anbau in Deutschland ist so jung, dass es bislang noch
keinen Zugriff gibt auf heimische Trüffelarten“, sagt
Fabian Sievers. „Jeder Fruchtkörper, der legal auf deut-
schen Tellern landet, ist importiert.“ Gleichzeitig steigt
die Nachfrage in der Gastronomieszene. Das Poten-
zial für Trüffelzüchter, die Plantagen anlegen, wächst
unaufhaltsam.
Fabian Sievers blickt der Zukunft gelassen entgegen:
20 Kilo Trüffelernte pro Hektar, so meint er, seien lo-
cker drin. Für realistisch hält er jedoch 40 bis 60 Kilo
pro Hektar. Leuten, die damit schnell das ganz große
Geld verdienen wollen, rät er allerdings ab – zu lang­
wie­rig und beschwerlich. Was ihn trotzdem da­ran fas­
zi­niert, ist nicht der Ausblick, reich zu werden: „Jeder
Mono­kultur­acker, der in eine extensive Trüffel­kul­tur
um­gewandelt wird, ist für mich ein Gewinn. Denn dort
versuchen wir, die natürlichen Abläufe in der Natur zu
imitieren und damit das alte Gleichgewicht wieder­
herzustellen.“ Der Weg ist das Ziel, aber mit vielver-
sprechenden Aussichten: „Wenn ich 60 bin, kann ich
mir einen schönen Lebensabend gönnen.“ - TI
22
TRÜFFELISTNICHT
GLEICHTRÜFFEL
TEXT___FRANZISKAWISCHMANN
ESGIBTSEHRTEURETRÜFFELNUNDESGIBTIHREQUALITATIV
MINDERWERTIGERENVERWANDTEN.SIEZUUNTERSCHEIDEN,DAFÜRBRAUCHT
MANFACHKENNTNIS.ANGESICHTSDERPREISUNTERSCHIEDELOHNTSIESICH.
REPORTAGE
FOTOS:TESSATRAEGER/TRUNKARCHIVE
höckerigeOberfläche.Sieriechtnacheinemintensi­ven
TrüffelaromaundwirdzehnZentimeterundgrößer.
•EinebeliebteAlternativezudensehrteurenTrüffeln
istdieBurgundertrüffel.Auchsiehateinenschwar-
zenFruchtkörper.Innenistsiedunkelbraunundmit
weißenÄderchendurchzogen.SiewächstimBurgund
undistauchinDeutschlandverbreitet.Nebeneinem
leichtenTrüffelaromahatdieBurgundertrüffeleine
feinehaselnussähnlicheNote.
•SommertrüffelnhabeneinefastschwarzeAußen-
hautmitfestemFruchtfleisch,dasmitweißenAdern
durchzogenist.ManfindetsieinderZeitzwischen
JuniundSeptemberinLaubwäldernSüdeuropas,aber
auchinDeutschland,ÖsterreichundderSchweiz.Sie
schmeckennussartig,ihrTrüffelaromaistaberweit-
auswenigerintensiv.
•Wintertrüffeln,auchMuskattrüffelngenannt,ha-
beneinnichtbesondersintensivesTrüffelaroma.Sie
ähnelnderteurenPérigord-Trüffelinihreräußeren
Erscheinung,habenabereinetwasgröberesinneres
Adergeflecht.Wintertrüffelnsindauchnördlichder
Alpenzufinden,weilsieanwenigerkalkhaltigenund
feuchterenOrtenwachsen.
•AuchMärztrüffelnorientierensichanihrenteuren
Ver­wandten.MärztrüffelnähnelninFormundFarbe
sehrderAlba-Trüffel.Dennauchsiehabeneineweiß-
liche,glatte,jedochunregelmäßigeHaut,sindaber
vonderStrukturheretwasweicher.DieMarmorie-
rungistausgeprägter.VomGeschmackherhabensie
dieIntensitäteinerreifenAlba-Trüffel.FürLaienistes
nichtganzeinfach,siezuunterscheiden.
TrüffelhandelistVertrauenssache.Dennerzieht
schwarzeSchafean.EinigeminderwertigeTrüffeln
habendieEigenschaft,denGeruchihrerteurenVer-
wandtenanzunehmen.Eskommtvor,dassdiesemin-
derwertigeQualitätzudeutlichüberhöhtenPreisen
ver­kauftwird.WersichvorBetrügernschützenwill,
solltenurzumHändlerseinesVertrauensgehen.-TI
TrüffelnhabenalsNahrungsmitteleinetausendjäh­ri­
geTradition.Fundebelegen,dasssieoffenbarschon
um3000v.Chr.aufdemSpeisezettelderPharaonen
zufindenwaren.InderAntikestandensiebeiGrie­
chenundRömernhochimKurs,dieTrüffelnalsAphro­
disiakumschätzten.DieFranzosenbegannenim18.
Jahrhundert,ingroßemStilmitTrüffelnzuhandeln.
ParallelentwickeltesichaberaucheineTrüffelkultur
imarabischenRaum,dievonDamaskusbisnachAl-
gerienreichte.
DerkurzeExkursindieGeschichtemachtverständ-
lich,waruminderTrüffelfragenichtnurFranzosen
undItalienerdenHutaufhaben.Zweifellosverortet
manSchwarze(Périgord-)TrüffelnundWeiße(Alba-)
Piemont-Trüffelnvorallembeiunsereneuropäischen
Nachbarn.AberTrüffelnsindweltweitverbreitet,sie
wachsenselbstinNeuseelandundChina.
SiegeltenjedochalsRarität.VonTrüffelnderfeinsten
SortefindetderTrüffelsuchergerademal60bis80
GrammproTag.KeinWunder,dassfürdiesenselte-
nenFundSpitzenpreiseaufgerufenwerden.
FürFeinschmeckergibtestatsächlichgravierendeQua­
litätsunterschiede,jenachdemzuwelcherGattungdie
Trüffelngehören.AuchdasGebiet,indemsiewach­-
senoderangebautwerden,spielteinegroßeRolle.
•DieWeißeoderAlba-TrüffelkommtimPiemont,
inUmbrien,inderToskana,aberauchimkroatischen
IstrienundDalmatienvor.DasÄußereistvonweiß-
lich-blassgelbersowiebräunlich-rötlicherFarbe.Das
InnerehatweißlicheAdern.IhrintensivesTrüffelaro-
maverfliegtbeimKochen,siewirdausschließlichroh
überSpeisengehobelt.BishersindVersuche,dieWei-
ßeTrüffelanzubauen,fehlgeschlagen.
•DieSchwarzeoderPérigord-TrüffelistinFrank-
reichimPérigordundinderDordogne,inSpanienund
Italienzufinden.Inzwischenwirdsieaberauchinden
USA,AustralienundNeuseelandangebaut.Ihrknollig
dunkelbraunerFruchtkörperhateinefastschwarze
SOMMERTRÜFFEL
Tuberaestivumistauch
beiunsheimisch
undkommtsogar
häufigvor.
IhrTrüffelaromaist
nichtsointensiv.
Kilopreis:200–600Euro.
WINTERTRÜFFEL
Tuberbrumale
ähneltdemschwarzen
Fruchtkörper
derPérigord-Trüffel.
IhrAdergeflecht
istaber
imInneren
gröber.
Kilopreis:600Euro.
MÄRZTRÜFFEL
Tuberalbidumpico
hatgroßeÄhnlichkeit
mitderAlba-Trüffel.
Auchgeschmacklich
kommtsieihr
amnächsten.
Giltalswertvoll.
Kilopreis:1.000Euro
ALBA-TRÜFFEL
Tubermagnatumwächst
inItalienundKroatien.
IhrÄußeresisthell
undglatt.Sehrintensives
Trüffelaroma.
Wirdnurrohgegessen.
Kilopreis:ca.9.000Euro.
PÉRIGORD-TRÜFFEL
Tubermelanosporum
kommtinFrankreich,
ItalienundSpanien
vorundkanndieGröße
einesApfelserreichen.
Ihrintensives
Trüffelaromahältsich
beimKochen.
Kilopreis:2.000Euro.
BURGUNDERTRÜFFEL
Tuberuncinatumchatin
ähneltderPérigord-
Trüffel,dennauch
siehateinenschwarzen
Fruchtkörper.
Sieschmecktnach
Haselnuss.
Kilopreis:200–600Euro.
23
» PAPA «
D I E K A RTO F F E L
SEIT ES MENSCHEN GIBT, BEREICHERT DIE WELTWEITE
AUSBREITUNG VON PFLANZEN IHREN SPEISEPLAN. LANGE BEVOR
ETWA DER ERDAPFEL ZUM EUROPÄISCHEN SCHLAGER WURDE,
KULTIVIERTEN IHN INDIOS IN CHILE. DANN MACHTE SICH DIE HEUTE
BEI KÖCHEN WELTWEIT BELIEBTE KNOLLE AUF WELTREISE.
I L L U S T R A T I O N - - - E L A S T R I C K E R T
Die Kartoffel stammt
von Sorten ab, die aus Peru,
Venezuela, Argentinien
und Chile kommen – in Chile
fanden Forscher
Spuren der ältesten
Wild­kartoffel, sie war 13.000
Jahre alt.
Inkas in Chile begannen
vor 7.000 Jahren,
die Kartoffel systematisch zu
kultivieren. Mit der
Eroberung des Inkareichs
(1531 bis 1536) stießen
spanische Eroberer bis zu den
Anden vor, dem Anbau­gebiet
der Kartoffel.
Im Jahr 1562 verließ
sie ihre Heimat
und machte Zwischenstation
auf den Kanarischen
Inseln (Spanien). Um
1570 erreichte sie Spanien.
Von dort gelangte
die Kartoffel nach Italien und
breitete sich auf dem
europäischen Festland aus.
Die Inkas nannten die
Kartoffel „Papa“, was übersetzt
„Knolle“ bedeutet. Der Begriff
„Kartoffel“ stammt vom
italienischen „tartufo“, 
was eigentlich „Trüffel“
bedeutet – zu diesem Namen
kommt die Kartoffel,
weil sie früher mit dem eben­
falls unter der Erde wachsenden
Trüffel verwechselt wurde.
1
2
3
22 20 10 9 7 7 696 45 30
Kartoffeln sind ein Nachtschatten­gewächs
wie Tomaten oder Tabak
Tierfutter
Die weltgrößten Kartoffelproduzenten:
(in Millionen Tonnen)
Eine Kartoffelernte wird verarbeitet zu:
(in Prozent)
Nahrungs­
mittel
Stärke,
Alkohol
Saatkartoffeln
40
25
25
10
China Russland USA Bangladesch Niederlande
Indien Ukraine Deutschland Frankreich Polen
Erstmals belegt ist
die Kartoffel in England im
Jahr 1596. Dorthin soll
sie ohne den Umweg über
Spanien gelangt sein;
wer sie allerdings einführte, ist
nicht bekannt. Aber:
Ihre Ausbreitung war in
England des besonderen
Klimas wegen gut möglich. Die
robuste Kartoffel
konnte auf steinigen Böden
und in Hang­lagen angebaut
werden.
Britische
Inseln
Italien
Grüne Stellen der Kartoffeln
enthalten Alkaloide (z.B. Solanin),
ein natürliches Pflanzengift.
Sie sind deshalb für den Menschen
nicht essbar.
Außerdem enthalten sie
Vitamin B1, B2, B3, B5  B6, Vitamin C,
Eisen, Kalium und Magnesium
100 g bestehen aus:
ERDAPFEL
HERDÖPFEL
AARDAPPEL
PATATA
POMME 
DE TERRE
POTATO
PATATA
78 g
Wasser
2 g
Eiweiß
16 g
Kohlenhydrate
2,1 g
Ballaststoffe
1,5 g
Mineralstoffe
Während der irischen Hungersnot
(1845 bis 1852) wurde die britische Kartoffel­
ernte von der Knollenfäule befallen. Eine
Million Menschen verhungerten, Millionen
Iren wanderten in die USA aus und
sorgten dort für den Durchbruch der Kartoffel.
In Europa begann 1738 der
Anbau in großem Stil: Als König Friedrich II.
erfuhr, dass die Kartoffel durch
ihren Vitamin-C-Gehalt die Skorbutkrankheit
verhindern kann,
befahl er massiven Kartoffelanbau.
In die Schweiz
kam die Kartoffel über
Italien wegen ihrer
Blütenpracht zuerst
als Topf­pflanze. ­
Anfang des 18. Jahrhunderts
wurde sie als Speisekartoffel
angebaut. Als Rösti
fand sie später
Einzug in die Schweizer
Küche.
6
Nachdem sich die Kartoffel in Europa
als Grundnahrungsmittel durchgesetzt hatte,
brachten Europäer sie überall mit,
wo sie später Fuß fassten, auch nach Afrika.
Mittlerweile wird die Kartoffel auf allen
Kontinenten in über 130 Ländern angebaut,
außer in tropischen, arktischen und
subarktischen Klimazonen.
Die schwedische Wissenschaftlerin
Eva Ekeblad veröffentlichte 1748 ihre Studie
zur Herstellung von Brot,
Alkohol, Stärke und Puder aus Kartoffeln. Sie
trug so zur Verbreitung der
Kartoffel als Lebensmittel und Rohstoff für die
Kosmetikproduktion bei.
8 9
4
5
7
1647
Spanien
Schw
eiz
Frank
reich
Deutschl
and
Schweden
Hinter Weizen und Reis ist die
Kartoffel heute an dritter
Stelle der am meisten produzierten
Nahrungsmittel in der Welt.
KARTOFFEL
12 3
26
D E F T I G E R
S O U N D
Z U M
G E M Ü S E
T E X T
_ _ _
I N G A P A U L S E N
F O T O S
_ _ _
E N V E R H I R S C H
27
R E P O R T A G E
K R A F T VO L L E T E X T E ,
B R U TA L E G I TA R R E N R I F F S , T R E I B E N D E
B E AT S – M E TA L H E A D S S I N D D I E H Ä R T E S T E N
D E R M U S I K S Z E N E . U N D D O C H
S O L L E N S I C H I N D I E S E R C O M M U N I T Y M E H R
V E G E TA R I E R U N D V E G A N E R
T U M M E L N A L S I N A N D E R E N G E N R E S .
M Y T H O S O D E R R E A L I TÄT ? AU F S P U R E N S U C H E
B E I M L AU T E S T E N F E S T I VA L D E R W E LT.
1 6 U H R , D I E S O N N E S C H E I N T vom mäßig be-
wölkten Augusthimmel, als die fünf Musiker von Hea­
ven Shall Burn die „Harder Stage“ des Wacken Open
Air betreten. Das Meer aus Fans jubelt schon vor
Be­­geis­terung, bevor die Boxen die ersten Töne über
die Köpfe hinwegblasen. Am Nachmittag des dritten
Festi­valtags brauchen sie keine Aufwärmphase. Zum
lautstarken Mix aus Hardcore-, Death- und Trash-­
Metal-Elementen wird Pogo getanzt. Matsch spritzt.
Im­mer wieder entstehen vor der Bühne Moshpits. Gi-
gantische Wirbel aus Körpern, die sich – wie bei ­einer
wo­chen­lang eingeübten Choreografie – plötzlich in
zwei Hälf­ten teilen. Es braucht kein Startsignal des
Sän­gers Marcus Bischoff. Wie ferngesteuert stürmen
die Kampfeslinien in „Walls of Death“ aufeinander zu
und treffen johlend in der Mitte des Infields aufeinan-
der. Die Wucht des Aufpralls zieht weite Kreise und ist
für mich, die am äußeren Rand steht, noch spürbar,
als der Inner Circle schon wieder headbangt. Bischoff
grölt sich die Seele aus dem Leib: „We’re fighting to
the last, driven by your hate awoken us, no long we
surrender“, und Tausende singen mit.
Das ist gewaltig und ein bisschen wie ein Krieg aus
Klängen. Unvorstellbar für mich, dass die Combo
nach dem Auftritt in der Artist-Area die verbrauchten
Kalorien mit einem veganen Snack von Maria Perna
ausgleichen könnte. Die Wackenerin brät hinter den
Ku­lissen des Festivals köstliche Pfannenbrote und
Crêpes – auf pflanzlicher Basis, versteht sich –, denn
die Thüringer Band ist nur eine von vielen hier, deren
Mitglieder vegetarisch oder vegan leben. Dass sich
vor der Entwicklerin der Beadonauts-Backmischun-
gen jetzt schon wieder eine Menschenschlange bildet,
freut die Newcomerin in der veganen Food-Branche
sehr. Ja klar, die Zahl der Veganer steigt weltweit. Aber
Heavy Metal, ist das nicht Sex, Drugs und Alkohol?
Kann man so aggressive Sounds und Texte schreiben,
wenn man es eigentlich ablehnt, das Blut von Tieren
für ein saftiges Steak vom Grill zu vergießen? „Es gibt
unter den Metallern überdurchschnittlich viele Vege-
tarier und Veganer. Diese Tatsache haben wir bei der
Planung des Festivals miteinbezogen, denn es ist uns
ganz wichtig, dass sich Künstler, aber auch die Fans
auf dem Open Air in Wacken wohlfühlen“, sagt Hol-
ger Hübner, Geschäftsführer der ICS Festival Service
GmbH. Und so finden mehr als 75.000 hungrige Me-
tal-Fans in diesem Jahr auf dem Gelände neben Bier­
pilzen, Sau am Spieß, Wacken-Nacken und Burgern
eine Vielzahl an Buden mit veganem oder vegetari-
schem Food. Erstmals ging das Team vom ICS Festival
- - - - -
W i e d e r i n d i e G u m m i s t i e f e l : F e s t i v a l b e s u c h e r i n n a c h d e m M e t a l -Yo g a .
F E S T E S
S C H U H W E R K
K N U S P R I G E
F A L A F E L
28
Service sogar noch einen Schritt weiter und flog den
YouTube-Star Brian Matthew Manowitz aus Los An­
ge­les ein. Der Amerikaner zelebriert in seinen Koch­
videos Black Metal und Veganismus auf eine skurrile
Art und Weise und wird dafür mit traumhaften Klick-
zahlen belohnt. Sein Pad-Thai-Video hat mehr als drei
Millionen Aufrufe.
Seitan-„Chicken“ und Totenschädel aus Kunststoff
Im „Foundation Camp“ erkennt man die Wirkungsstät-
te des Black Metal Vegan Chef schon von Weitem an
der Menschentraube, die sich am Eingang des Zelts
gebildet hat. Beim näheren Herantreten mischt sich
der Duft von gebratenem Gemüse und Knoblauch
dazu. Aus den Boxen dröhnt – wie sollte es anders
sein? – ein satter Industrial-Black-Metal-Mix, den Ma­
no­witz selbst produziert. Kunststoff-Totenschädel,
Ker­zen und Black-Metal-Accessoires sollen in dem
schlicht weißen Zelt Atmosphäre schaffen. Fasziniert
beobachtet das Publikum das kuriose Schauspiel in
der offenen Garküche. Der Hardcore-Cook – lange,
schwarz gefärbte Haare, Kettenhemd, Schulterpan-
zer, genretypisches Corpsepaint – brät Paprika und
Zucchini in einer Pfanne an und knetet nebenbei ei-
nen Seitanteig. Routiniert bohren sich seine schwarz
lackierten Finger immer wieder in die gräulich-beige-
farbene Masse. Mit gutturaler Stimme erklärt er seine
Zutatenauswahl und Zubereitungsschritte. Er scherzt
mit dem Publikum, wirft wenig später den vorbereite-
ten Teig in den mit Eisenstacheln verzierten Kochtopf,
verrührt in einer anderen Silberschale Gewürze, Chili­
soße und lässt die blutrote Tunke mit diabolischem
Grinsen vom Löffel tropfen. Nebenbei erzählt er, wie
er zum YouTube-Koch wurde. „Ich wollte möglichst
vielen Menschen auf der Welt zeigen, dass es ganz
einfach ist, richtig gute Gerichte aus rein pflanzlichen
Zutaten zuzubereiten. Weil ich die Cooking-Show im
US-Fernsehen langweilig fand, habe ich mir ein Kon-
zept überlegt, das mich als Zuschauer begeistern wür-
de. Ich war selbst über die vielen Aufrufe überrascht
und habe dann einfach so weitergemacht. Und jetzt
wurde ich deshalb sogar auf diese großartige Party
nach Deutschland eingeladen. Einfach fantastisch!“
Die Show ist nicht so düster und überzogen wie Bri­ans
YouTube-Sessions, aber unterhaltsam und lehr­reich.
Und was ihm am wichtigsten ist: Der Geschmack
über­­zeugt die Zuschauer. Man muss schon fix sein,
wenn man etwas von den immer wieder rumkreisen­
den Kostproben erhaschen will. Auch Johannes, der
dank seiner mit Patches übersäten Kutte und dem kahl
- - - - -
D ü s t e r e H ü l l e , n e t t e r I n h a l t : J o h a n n e s i s t T i e r f r e u n d u n d P e c h k e k s e m a c h e n N a s c h k a t z e n g l ü c k l i c h .
K L A R E
S T A T E M E N T S
S C H W A R Z E R
H U M O R
29
R E P O R T A G E
30
- - - - -
D e r B l a c k M e t a l Ve g a n C h e f i n s p i r i e r t d i e F a n s b e i m S h o w - C o o k i n g .
B a c k s t a g e v e r w ö h n t M a r i a P e r n a d i e K ü n s t l e r m i t i h r e n f r u c h t i g - s ü ß e n v e g a n e n C r ê p e s .
S H O W -
C O O K I N G
S Ü S S E S
S E E L E N F O O D
31
R E P O R T A G E
­geschorenen Kopf auf den ersten Blick wie ein ­tou­gher
Rocker wirkt, hebt strahlend den Daumen nach oben
und sieht gleich nicht mehr so finster aus. Der Ham-
burger ist durch und durch Veganer und kocht seit
Jahren Gerichte aus Manowitz’ Videos. „­Meine Freun­de
packen für so ein Wochenende allenfalls Bier, Wurst
und Steaks in die Kühltasche. Ich nehme mir immer
eine eigene Grundausstattung an Gemüse­auf­stri­chen
und anderen pflanzlichen Produkten mit. Aber davon
werde ich einiges wieder nach Hause schleppen, denn
in diesem Jahr sind hier viele gute Essensmöglichkei­
ten für mich“, lacht er und tunkt einen frittierten
Seitan­happen in die scharfe Soße. Metaller, so sagt
er, seien ein lebendes Beispiel für den Spruch „harte
Schale, weicher Kern“. Die De-la-Rocha-Brüder von
Rage Against the Machine, Kirk Hammett von Metal­li­
ca, „Geezer“ Butler von Black Sabbath – alles Veganer.
Alissa White-Gluz von Arch Enemy und ­Mille Petrozza,
Frontman seiner Lieblingsband Kreator, seien sogar
Botschafter von PETA. „Ich lerne hier immer wieder
Gleich­gesinnte aus aller Welt kennen, die eigentlich al-
les boykottieren, was aus Massentierhaltung stammt,
und auf nachhaltige Lebensmittel achten“, sagt er.
Das bestätigt mir auch Brian Manowitz in einem Ge-
spräch nach der Show. Auf meine Frage, warum es
ausgerechnet in dieser eher aggressiv anmuten­den
Region des Musikuniversums so viele Menschen gibt,
die aus ethischen Gründen konsequent auf Tierisches
verzichten, erklärt er: „Eigentlich hat fast jeder, der
das Leid von Schlachtvieh im Fernsehen oder sogar
live erlebt, ein schlechtes Gewissen und nimmt sich
vor, weniger oder nie wieder Fleisch zu essen. Aber
du brauchst einen starken Charakter, um wirklich
dau­­er­haft vegan zu leben. Metaller stehen mit ihrem
Musikgeschmack und ihrem Look ohnehin abseits des
Mainstreams. Sie sind trainiert darin, ihr Ding durch-
zuziehen und so manchen blöden Spruch aus dem
Umfeld an sich abprallen zu lassen“, erklärt Brian.
Der 36-Jährige erinnert sich noch gut daran, wie er
im Alter von 17 Jahren am College einen Film über die
Fleisch­produktion in Amerika schaute und beschloss,
seine Ernährung umzustellen. „Ich war nur einige Mo-
nate Vegetarier, dann habe ich auch auf Milch  Co.
verzichtet und in der Zeit jede Menge Diskussionen
mit Freunden und Verwandten geführt.“ Heute lebt
er „vegan straight edge“. Das bedeutet, er lässt von
Alkohol, Drogen und jedem Produkt, für das ein Tier
leiden muss, die Finger. Selbst seine diabolisch wir-
kende Gesichtsbemalung und das Show-Outfit sind
vegan.
- - - - -
O b s t f a n a u s Ü b e r s e e : S a s k i a T h o d e a u s B r o o k l y n g i b t t ä g l i c h M e t a l -Yo g a k u r s e i m „We l c o m e t o t h e J u n g l e “ - Z e l t .
L A U T S T A R K E
K Ü N S T L E R
C H A R A K T E R -
K Ö P F E
32
So strikt wie Brian sind allerdings an diesem Wochen-
ende die wenigsten. Promillehaltigen Getränken wird
kräftig zugesprochen. Von einem langhaarigen Hünen
aus Bayern erfahre ich dann auch, dass nach deut-
schem Reinheitsgebot gebrautes Bier vegan ist, aber
das ist sicherlich nicht sein Kriterium, denn er isst zum
Gerstensaft gerade einen Fleischspieß. Auch treffe ich
auf meinem Streifzug vorbei an den acht Bühnen nicht
wenige, die sich an Falafel-Taschen, veganen Flamm-
kuchen, Gemüserollen oder Veggieburgern ein­fach
nur laben, weil sie schlichtweg Appetit auf Grünzeug
haben. Auch am Stand von Seneka Wichmann sind
viele „Flexitarier“ Stammkunden. Der blonde Michel
zum Beispiel isst gewöhnlich Fleisch und Fisch, aber
die veganen und vegetarischen Speisen der Lübecke-
rin schmecken ihm so gut, dass er sich von Donners-
tag bis Sonntag durch die gesamte Karte essen will.
Heute ist er bei Gericht Nummer sieben angekommen,
doch der hauchdünne Pfannkuchen mit mediterra­nem
Gemüse und Ziegenkäse ist bereits ausverkauft. „Die
Nachfrage bei mir ist in diesem Jahr viel größer als in
den letzten vier Jahren. Dabei habe ich deutlich mehr
Buden mit fleischlosen Snacks gesehen“, berichtet
­Seneka. Robin aus Kassel hat schon auf vielen Musik-­
Festivals für „Vegetarix“ vegane Gemüse-Reis-Pfannen
und Falafel verkauft und sagt: „Je extremer die Musik-
richtung, desto mehr verkaufen wir. Hier läuft es rich-
tig gut. Warum auch nicht? Metal und Vegan ist für
mich kein Gegensatz. Die Musik ist vielleicht, wie der
Slogan dieses Open Air schon sagt, ,louder than hell‘,
aber die Community ist total friedlich und gut drauf.“
Mandeln und Metal-Yoga
Extrem laut geht es auch im „Welcome to the Jungle“-­
Zelt zu. Saskia Thode aus Brooklyn lädt hier an je-
dem Festivaltag zu kostenlosen Metal-Yoga-Lessons
ein. Zu brachialer Musik verbiegt sich die tätowierte
Power­frau in kriegerisch anmutenden Asanas, springt
und rennt auf der Stelle und zeigt den Teilnehmern,
wie man yogisch headbangt. Jede Anweisung wird mit
tief verstellter Stimme in das Headset-Mikro­fon ge-
sprochen. Growling ist typisch für Black Metal. Immer
wieder streckt sie die Arme in den Himmel, ballt die
Fäuste und spreizt dann den kleinen und den Zeige-
finger zum Wacken-Gruß ab, jubelt ekstatisch und an
die hundert verschwitzte Metal-Fans tun es ihr nach.
In diesem Moment wirkt die Yogalehrerin fast wie die
Frontfrau einer Death-Metal-Band. Nur wenige Minu-
ten später steht sie Wasser trinkend vor mir und lä-
chelt mich mit fröhlichem Blick an.
- - - - -
M e t a l - F a n m i t K r i e g s b e m a l u n g i s s t e i n v e g a n e s F l a d e n b r o t . „ E i n f a c h , w e i l ’ s s c h m e c k t ! “
B O C K
A U F G E M Ü S E
D U R S T
A U F B I E R
33
R E P O R T A G E
34
Saskia ist ein besonderes Gewächs dieser musikali-
schen Subkultur. Schon ihre Eltern haben das Wacken
Open Air besucht, sie hat überall auf der Welt Freunde
in der Metal-Szene, ist mit den härtesten Bands per
Du und dabei so bodenständig und freundlich, dass
ich fast irritiert bin. Wir sprechen über meine Reporta-
ge und ich erfahre, dass auch die 33-Jährige sich über-
wiegend von Gemüse, Obst, Nüssen, Hülsenfrüchten
und pflanzlichen Drinks ernährt. Aus denselben Grün-
den wie fast alle Veganer, aber auch weil sie merkt,
wie viel besser es ihr damit geht. „Wenn ich Fleisch
gegessen habe, hat mich das irgendwie müde und
schwer­fällig gemacht. Seit ich mich pflanzlich ernäh-
re und auch auf sämtliche Fertigprodukte verzichte,
habe ich viel mehr Energie.“ Ich muss dennoch wissen,
warum sie als Frau, die im wahrsten Sinne des Wortes
nicht mal einer Fliege etwas zuleide tun kann, beim
Metal-Yoga mit so lauter Musik, düsteren Liedtexten
und teilweise schauerlichen Gesten arbeitet. „Metal
will provozieren, umstrittene Themen ansprechen,
keine heile Welt vorgaukeln. Auch beim Metal-Yoga
schauen wir auf die dunklen Seiten in uns, schreien
Wut und Frustration auch mal raus. Die schnellen
­Beats und die kraftvollen Bewegungen helfen dabei,
das enge Korsett des Alltags zu sprengen. So eine
Stunde ist ein richtiges Ventil für den Druck der Ge­
sellschaft und total befreiend“, sagt sie und ergänzt:
„Ich gebe auch ruhige Yoga- und Meditationskurse,
aber dieses hier macht einfach glücklich.“
DieKursteilnehmer,dieihreStundebiszumEndedurch­­
gehalten haben, sehen zwar ziemlich verschwitzt, aber
auch zufrieden aus. Wir verabschieden uns. Saskia
will noch zu einem Auftritt einer befreundeten Band
und muss vorher dringend etwas essen. Mit weit aus-
holenden Schritten marschiert sie durch den Matsch
Richtung VIP-Area. Maria brät im Artist-Be­reich gleich
wieder ihre veganen Crêpes, die will Saskia diesmal
nicht verpassen. - TI
GESCHÄTZTE 100.000
METALHEADS AUS ALLER WELT
PILGERN JEDES JAHR ZUM
„HOLY GROUND“ NACH WACKEN
UND FEIERN IHRE MUSIK
- - - - -
M u s i k a l s M a r k e : D a s W O A - L o g o i s t o m n i p r ä s e n t .
V I E L E
F O L L O W E R
W A C K E N -
L O G O
35
R E P O R T A G E
G R U N D
D E S
L E B E N S
E R R E G U L I E R T
DA S K L I M A U N D B E E I N F L U S S T
G L O B A L E
S T O F F K R E I S L Ä U F E . O H N E
I H N G I B T E S K E I N T R I N K WA S S E R
U N D K E I N E
N A T Ü R L I C H E N N A H R U N G S M I T T E L .
E L F FA K T E N
Ü B E R D E N B O D E N
U N T E R U N S E R E N F Ü S S E N .
37
W I S S E N
STEIN UND SAND
Knapp ein Drittel des Erdman-
tels ragt über den Meeresspiegel
hinaus. Das sind immerhin 150
Mil­lio­nen Quadratkilometer. Weite
Tei­le davon bestehen ausschließ-
lich aus kargem Stein oder losem
Sand, also Gebirgen und Wüsten.
In gemäßigten Klimazonen bietet
der Erdboden sehr gute Voraus­
set­zungen für eine üppige Vege-
tation. Wie etwa in den meisten
Regionen Europas.
MILBEN UND ASSELN
Zwei Drittel aller existierenden Ar-
ten leben unter der Erdober­flä­che.
Dazu gehören Asseln, Spinnen und
Wür­mer ebenso wie Pilze, Milben
und Bakterien. Unter einem Hek-
tar Landfläche tummeln sich rund
15 Tonnen Bodenlebewesen. Der
Be­griff „Humus“ bezeichnet be­son­
ders fruchtbare Ober­böden. Eine
Handvoll eines solchen Bodens
ent­hält mehr Mikroorganismen,
als Menschen unseren Planeten
­bevölkern.
GNOME UND ELFEN
Gelehrte der Antike entwickelten
die Vier-Elemente-Lehre: Feuer,
Was­­ser, Luft und Erde galten als
die „Wurzeln aller Dinge“. Im Mit­
tel­alter ordnete der Arzt und Alchi-
mist Paracelsus den vier Elemen­ten
bestimmte Geister zu. Demnach
wird das Element Erde durch den
Gnom verkörpert. Zur Gruppe der
Gnome zählen auch Wurzelwichte,
Trolle, Irrwische, Feen und Elfen.
All diese Erdgeister teilen sich eine
gemeinsame Aufgabe: die Schätze
von „Mutter Erde“ zu bewachen.
ZOOLOGIE UND BOTANIK
Moderne Wissenschaftlerwie Was­
sili Dokutschajew und Charles
Darwin etablierten die Boden­kun­
de im 19. Jahrhundert als eigen­
stän­digen Wissenschaftszweig. Da
sich die Bodenkunde stark aus an­
deren Fachgebieten speist (z.B.
Che­mie, Geologie, Botanik, Zoo-
logie und Mineralogie), gilt sie als­
­interdisziplinäre Wissenschaft. An­-
ders­herum spielen die Erkenntnis-
se der Bodenkundler eine wichtige
Rolle für die Ökologie sowie für die
Forst- und Agrarwirtschaft.
SPEICHER UND FILTER
Nach den Weltmeeren ist der Land­
boden der größte und wichtigste
Kohlenstoffspeicher der Er­de. Die
„dünne Erdhaut“ bindet um ein
Vielfaches mehr Karbon als die ge-
samte lebende Biomasse. Dadurch
beeinflusst der Boden das Klima
so­wie globale Stoffkreisläufe. Au-
ßerdem filtert er das Regenwasser,
um es über das Grundwasser ge­
reinigt und trinkbar wieder in Um-
lauf zu bringen.
WATT UND GLEY
Böden werden allgemein als „Lo-
ckerdecken“ definiert, die von der
Erdoberfläche bis zum Gestein
reichen. Doch Erdboden ist nicht
E R D E
T E X T
_ _ _
M I C H E L E A V A N T A R I O
FOTOS:REINHARDHUNGER;STYLING:CHRISTOPHHIMMEL
38
gleich Erdboden: Wissenschaft und
Industrie verfügen über umfang­
reiche Kataloge zur Klassifizierung
von Bodentypen – grob katego­
risiert gibt es Land- und Grund­
was­serböden, subhydrische Bö­
den und Moore. In den einzelnen
Ab­teil­ungen finden sich zahlreiche
wei­tere Bodentypen, die zum Teil
illustre Namen wie Terra rossa,
Kollu­visol und Haftnässepseudo-
gley tragen oder schlicht Watt,
Strand und Knickmarsch heißen.
Sie alle unterscheiden sich in ihren
Bestandteilen, in ihrer Körnung
und Dichte sowie in ihrem Wasser-
gehalt und im Porenvolumen.
BÖDEN UND BAUERN
Die Geschichte der Landwirtschaft
reicht bis in die Jungsteinzeit zu-
rück. Vor etwa 12.000 Jahren gin-
gendieJäger-undSammlerkultu­­ren
dazu über, frühe bäuerliche An­­bau­
techniken anzuwenden Auf ver-
schiedenen Kontinenten beacker­
ten sesshaft gewordene Menschen
erstmals das Erdreich unter ihren
Füßen. Bodenformen, die der land-
wirtschaftlichen Nutzung dienen,
werden heute als Kulturböden
bezeichnet. Kulturböden machen
gerade einmal ein Zehntel der Erd-
oberfläche aus, liefern uns aber die
Grundlage für mehr als 90 Prozent
aller Nahrungsmittel.
HUMUS UND BIOMASSE
Doch was eigentlich macht einen
Bo­den wirklich fruchtbar? Den
größ­­ten Einfluss darauf haben
Korn­­größe, pH-Wert, mineralische
Zusammensetzung und der Anteil
der organischen Substanz. In ve­ge­­
ta­tionsreichen Regionen, wo viel
Biomasse zersetzt wird, entsteht
am meisten fruchtbarer Humus.
Doch was so einfach klingt, be-
nötigt eine Menge Zeit: Um eine
Schicht von wenigen Zentimetern
gesunden Bodens zu erzeugen,
braucht die Natur sage und schrei-
be einige Jahrhunderte. Und das
gelingt nur, wenn man sie dabei
auch in Ruhe lässt.
VERSCHMUTZUNG UND VERGIFTUNG
In den vergangenen 50 Jahren hat
sich die landwirtschaftliche Nut-
zung weltweit verdreifacht. Die
KULTURBÖDEN
MACHENEINZEHNTELDERERDOBERFLÄCHE
AUS.SIELIEFERNABER
GRUNDLAGEFÜRMEHRALS90PROZENT
ALLERNAHRUNGSMITTEL.
Ü B E R I R D I S C H
Knapp ein Drittel des Erdmantels
ragt über den Meeresspiegel.
Große Teile davon bestehen aus Stein
und Sand.
U N E R S ÄT T L I C H
Nach den Weltmeeren
ist der Landboden der
größte Kohlenstoffspeicher
der Erde.
39
­da­für verwendete Fläche ist jedoch
in der gleichen Zeit kaum gewach­
sen. Intensive Landwirtschaft be­
las­tet das Erdreich, zum Beispiel
durch den erhöhten Einsatz von
Dün­ger und Pestiziden. Die Folgen
sind Versauerung und Auslaugung,
Ver­schmutzung und Vergiftung. Auf
diese Weise haben europäische Kul­
tur­böden inzwischen rund die Hälf-
te ihrer Fruchtbarkeit eingebüßt.
ZEHRER UND MEHRER
Die umweltfreundliche Alternative
heißt extensive Landwirtschaft.
Da­bei wird weitgehend auf synthe­
ti­sche Pflanzenschutzmittel und
Mineraldünger verzichtet. Das führt
zwar zu geringeren Erträgen, er-
hält aber langfristig den gesunden
Boden. Eine jahrtausendealte Me­
tho­de zur nachhaltigen Nutzung
von Kulturböden ist die sogenannte
Fruchtfolge beziehungsweise Fel­
der­wirtschaft. Nach dieser Tech­
nik werden die Äcker, anders als in
der heute verbreiteten Monokultur,
nicht pausenlos ganzflächig be­
wirt­schaftet. So können Teile des
Felds eine Saison lang brach lie-
­
gen, um sich zu erholen und neue
Nährsalze für die nächste Sai-
son auszubilden. Eine bestimmte
Reihenfolge der nach­einander an-
gebauten Pflanzen erhält außer-
dem die Bodenqualität. Bei der
Fruchtfolge unterscheidet man zwi-
schen Humuszehrern (Halmfrüch-
te, also Getreide) und Humusmeh-
rern (Blatt­früchte wie Raps, Rüben
und Kartoffeln). Die einen geben,
was die anderen nehmen – und der
Acker bleibt im Gleichgewicht.
EXISTENZ UND ERDGEISTER
Laut Forschung steht der Mensch-
heit künftig immer weniger land-
wirtschaftliche Nutzfläche zur Ver-
fügung. Doch unser Boden ist der
Grund, auf dem alles Leben ­gedeiht,
ein Schatz von unermess­lichem
Wert also. Bei seiner Bewah­rung
dürften Paracelsus’ Erd­geis­ter alle
Hände voll zu tun haben. Wir soll-
ten ihnen diese Aufgabe nicht allein
überlassen. - TI
BEIDERFELDERWIRTSCHAFT
WERDENDIEBÖDEN
NICHTPAUSENLOSGANZFLÄCHIG
BEWIRTSCHAFTET.SAISONWEISEKÖNNENSIE
SICHSOERHOLEN.
W I S S E N
E R S C H Ö P F T
In den vergangenen 50 Jahren hat
sich die landwirtschaftliche Nutzung
weltweit verdreifacht.
F R U C H T B A R
In vegetationsreichen Regionen,
dort also, wo viel Biomasse
zersetzt wird, entsteht am meisten
Humus.
W E R T V O L L
Unser Boden ist der Grund,
auf dem alles irdische
Leben gedeiht, ein Schatz von
unermesslichem Wert.
FOTOS:KAIWEISE;STYLING:KERSTINRICHTER
I N D E R
W U R Z E L
L I E G T
D I E
K R A F T
I n k a r g e n
Z e i t e n w a r
e s d i e
N o t w e n d i g k e i t
z u ü b e r l e b e n .
I n u n s e r e n
T a g e n e r h a l t e n
W u r z e l n ,
S c h a l e n , S t i e l e
u n d S t r ü n k e
e i n e
A u f w e r t u n g
a l s k u l i n a r i -
s c h e D e l i k a t e s -
s e . S i e
s c h m e c k e n
n i c h t n u r
b e s o n d e r s
a r o m a t i s c h ,
i n i h n e n
s t e c k e n a u c h
j e d e
M e n g e g e s u n d e r
N ä h r s t o f f e .
V i e l z u s c h a d e ,
u m s i e
w e g z u s c h m e i -
ß e n .
H O C H G E K O C H T
T E X T
_ _ _
J E S K O W I L K E
LEAF TO ROOT HEISST DER KULINARISCHE TR END, BEI DEM VOM
BLATT BIS ZUR WURZEL ALLE PFLANZENTEILE GENUTZT WERDEN. FÜR KR EATIVE
­KÖCHE EINE QUELLE DER INSPIR ATION.
M I T S T U M P F U N D S T I E L
FOTOS:PLAINPICTURE/H.SALACH(L.);PLAINPICTURE/MÜGGENBURG(R.)
WER SELBST SCHON GEMÜSE ANGEBAUT HAT,
versteht den Leaf-to-Root-Gedanken sofort. Es steckt
viel Liebe und Mühe in so einem Garten: Man freut
sich über jeden Keim, hegt die jungen Setzlinge, hält
Schädlinge fern, um schließlich kräftige, gesunde
Pflanzen heranwachsen zu sehen – und zu ernten!
Klar, dass man respektvoll mit den Feldfrüchten um-
geht und möglichst alle Pflanzenteile nutzt, die man
der Erde abgerungen hat. Früher war das kein Trend,
sondern überlebensnotwendige Praxis: Nichts wurde
weggeworfen, alles fand Verwendung.
Heute steht die Leaf-to-Root-Idee für Respekt vor der
Natur. Das war auch Antriebsfeder der Food-Jour­na­
listin Esther Kern: Im Jahr 2014 hat sie auf ihrer Web-
site waskochen.ch eine Aktion für verschmähte Ge-
müseteile ins Leben gerufen und diese „Leaf to Root“
genannt. Sie wurde damit zur Mitbegründerin einer
Ess­kultur mit einer Fülle kreativer Rezepte, in denen
Schalen, Stiele und Strünke nicht als Abfall, sondern
als wertvolle kulinarische Ressourcen betrachtet wer-
den. Der Begriff „Leaf to Root“ hat sich inzwischen in
der Food-Welt etabliert, nicht zuletzt weil 2016 das im
deutschsprachigen Raum gleichnamige – mittler­weile
mehrfach prämierte – Buch erschienen ist. Esther
Kern hat es in Zusammenarbeit mit dem Fotografen
Sylvan Müller und dem Koch Pascal Haag realisiert.
ENTDECKE DIE MÖGLICHKEITEN
Nehmen wir das Karottenkraut: Wer sagt, dass man
das frische Grün wegwerfen muss? Niemand! Gut so,
denn das Kraut ist eine super Basis für Green-Smoo-
thies oder Pesto und schmeckt hervorragend, wenn
man es frittiert und salzt. Pfirsich- und Aprikosen­
kerne eignen sich zum Aromatisieren von Desserts
und Speiseeis. Melonenschalen lassen sich wunderbar
zu Chutneys und Konfitüren verarbeiten und Kartoffel­
schalen kann man im Ofen zu knusprigen Chips ba-
cken. Selbst Artischockenblätter und Stiele finden bei
Leaf-to-Root-Fans Verwendung: Sie werden zu einem
schmackhaften Süppchen veredelt.
PROFIS PUSHEN DEN NEUEN TREND
Weil das Ungewöhnliche kreative Geister anzieht, ist
es nicht verwunderlich, dass viele Spitzenköche von
der Leaf-to-Root-Idee fasziniert sind. In der Top-Gas­
tro­nomie haben vegetarische Kreationen Fleisch und
Fisch ohnehin den Rang streitig gemacht. Beim New
Green Cooking wird Gemüse zum Mittelpunkt einer
ex­travaganten und gesunden Küche. Autorin Esther
Kern hat dazu für ihr Nachschlagewerk („Leaf to Root –
Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel“, AT Verlag 2016)
viele Beispiele zusammengetragen: Daniel Achilles
zum Beispiel, der vielfach prämierte Koch, verwendet
in seinem Berliner Restaurant „Reinstoff“ Dahlienknol-
len, Erbsenblüten und Rapsgrün. Stefan Wiesner vom
Schweizer „Rössli“ („Der Hexer aus dem Entlebuch“)
experimentiert in seiner avantgardistischen Natur-
küche mit Tomatenrispen, Apfelkernen und Karot-
tenkraut, während Heinz Reitbauer, Meis­ter­koch des
Wiener „Steirereck“, Artischockenstängel und Wal-
nussblätter verarbeitet. Sternekoch Fabian Spiquel
vom „Maison Manesse“ in Zürich nutzt gar Schalen mit
Erde daran. Dafür schält er noch leicht dreckige Kar-
toffeln, röstet die Schalen und kocht sie dann mit den
Kartoffeln. „Dadurch erhält die Consommé einen pu-
ren, erdigen Kartoffelgeschmack“, schwärmt Fabian
Spiquel im Buch „Leaf to Root“.
KÖCHE SOLLTEN ERST BAUERN WERDEN
Johann Reisinger, einer der höchstdekorierten Köche
Österreichs, ist bekannt für seine radikal natürliche
Küche. Im Buch „Leaf to Root“ rät er Jungköchen und
ambitionierten Amateuren, die sich intensiver mit der
Idee befassen wollen: „Die sollten erst Bauern wer-
den, um überhaupt zu verstehen, woher das Gemüse
kommt, wie es wächst.“ Wer alle Teile eines Gemüses
verwenden möchte, so Reisinger im Gespräch mit
Buch­autorin Esther Kern, sollte eine Regel beherzigen:
Kaufe deine Zutaten nur bei Bauern, die du persön­lich
kennst und denen du vertraust. Du musst dich näm-
lich darauf verlassen können, dass sie keine Spritz-
mittel verwenden, denn Giftstoffe lagern sich häufig
gerade in äußeren Blättern und Wurzeln ein. „Für mich
ist ein Lebensmittel immer auch ein Spiegelbild des
Men­schen, der es produziert“, sagt das Mitglied der
Arche-Kommission zur Erhaltung und Vermehrung
aus­sterbender Produkte. Das Abenteuer Leaf to Root
beginnt also nicht in der Küche, sondern auf dem Feld.
VORSICHTIG HERANTASTEN
Wer Leaf to Root ausprobieren möchte, sollte sich
vorsichtig an den Ernährungstrend herantasten. Ins-
besondere wer es nicht gewohnt ist, größere Mengen
Ballaststoffe zu essen, sollte es am Anfang nicht gleich
übertreiben, um Magengrimmen und Darmstörungen
vorzubeugen. Voraussetzungen sind zudem Kennt-
nisse und Erfahrungen in der Gemüseküche sowie
ein gutes Kochbuch. Grundsätzlich gilt: Alle Produkte
sollten biologisch angebaut und frei von Spritzmittel-
rückständen sein. Und noch ein Tipp: Junges Gemüse
ist für Anfänger am besten geeignet, weil die Fasern
noch weicher und verdaulicher sind.
WARNUNG
Nicht alle Pflanzenarten sind für die Leaf-to-Root-An-
wendung geeignet. Tomatengrün und grüne Bereiche
der Kartoffelschale zum Beispiel enthalten vermehrt
Solanin, ein Glykoalkaloid mit leicht toxischer Wir-
kung, das in allen Nachtschattengewächsen enthal­
ten ist. - TI
41
42
V I E L L E I C H T L I E G T E S D A R A N , dass mein Kaf-
fee in den Anden biologisch angebaut und fair trade
gehandelt wird. Ich möchte das gerne glauben, denn
irgendeinen Grund muss es haben, dass die Kaffee­
filter am besten auf die japanischen Mikroorganismen
reagieren, die ich zusetze. Viel besser jedenfalls als
die Tomatenreste, Bananen- und Avocadoschalen, die
­Salate und das alte Brot. Eierschalen zersetzen sich
auch eher langsam, bestehen aber zu 90 Prozent aus
Kalk und sind daher für die Qualität meines Bodens
unerlässlich. Ja, es ist so: Ich stelle eigene Erde her.
Hervorragende Erde, wie man sie sonst nur in der
Magdeburger Börde oder den Schwarzerdegebieten
der südlichen Ukraine findet. Dabei ist mein Acker
viel kleiner – und trotzdem schluffig und gleichzeitig
­locker, mit hoher Wasserleitfähigkeit, leicht erwärm-
bar und, aufgrund meines hohen Eierkonsums, mit
ho­hem Kalkgehalt. Er ist etwa drei Quadratmeter
klein, die Erde liegt auf Europaletten mit selbst gebau­
ter Umrandung – und zwar auf meinem Balkon. Der
wiederum ist groß. In Zeiten internationaler Fußball-
wettbewerbe kann ich ein Sofa, einen Grill und einen
T E X T
_ _ _
P H I L I P P K O H L H Ö F E R
E R D E S E L B E R H E R S T E L L E N – D A S K L I N G T V E R R Ü C K T
U N D Ü B E R F L Ü S S I G Z U G L E I C H , S C H L I E S S L I C H G I B T E S D O C H E R D E Ü B E R A L L .
D A S S T I M M T A B E R N I C H T . D E N N V O N H U M U S K A N N M A N
N I C H T G E N U G H A B E N . A N G E N E H M E R N E B E N E F F E K T : M A N S E L B S T F Ü H L T
S I C H A U C H B E S S E R .
R E I N E M U T T E R E R D E
H A U S G E M A C H T
FOTOS:KAIWEISE;STYLING:KERSTINRICHTER
43
Fernseher darauf stellen und es ist immer noch genug
Platz. In den Jahren dazwischen stelle ich Boden her.
Ich benutze dazu meinen Biomüll. Der fällt ohnehin
an, weil ich gerne Obst und Gemüse und Salat esse.
Die klein geschnittenen und zerstampften Reste sprü-
he ich mit Mikroorganismen ein, damit sie fermentie-
ren. Das Prinzip ist dasselbe, das aus Kohl Sauerkraut
macht.
Die Fermentierung dauert vier bis sechs Wochen und
findet in einem luftdichten Plastikeimer statt, den ich
mit den Mikroorganismen in Japan bestellt habe –
dem sogenannten Bokashi-Eimer. Japaner, wurde mir
er­klärt, fermentieren gern, weil 1982 ein Professor ei­
ner Inselgruppe zwischen Japan und Taiwan bei dem
Ver­such, die Bodenfruchtbarkeit der Inseln zu ver­
bes­sern, zufällig entdeckte, dass Gras besser wuchs,
wenn er eine bestimmte Mischung aus Milchsäure,
Hefen und Fotosynthesebakterien auf einen Haufen
kippte. Ich kenne keine Japaner, finde die Vorstellung
aber nett, dass Millionen Leute im Großraum Tokio
Roboter und Spielkonsolen bauen, im Herzen aber lie-
ber Landmenschen wären und sich im Büro über Reis­
vergammelung in einem Plastikeimer unterhalten.
Der Eimer hat einen Siebeinsatz, durch den die Flüs­
sig­keit abfließen kann, die bei der Fermentierung ent-
steht. Das Sickerwasser stinkt säuerlich, das riecht
ge­wöhnungsbedürftig, sonst ist der Vorgang geruchs-
neutral. Weil die Flüssigkeit aber ein biologischer Ab-
flussreiniger ist, der auch einen verstopften Abfluss
freibekommt, kann ich den Geruch gut aushalten.
Während die Reste in meinem Eimer fermentieren,
pflanze ich auf meinem aus Europaletten gebauten
Acker Gras an. Das ist leicht: Blumensamen und Vo­gel­
futter kaufen, dick ausstreuen, warten. Zwar wird ein
Teil der Körner gefressen, aber selbst die hungrigs­ten
Vögel schaffen nicht alles. So entsteht eine Blumen-
wiese durchsetzt mit Gräsern, die ich nicht übermäßig
wässere. Die Wurzeln werden dadurch länger, sind
­toleranter gegen Trockenheit und können Mineralstof-
fe besser aufnehmen.
Sind die Essensreste einmal durchfermentiert, ent­
steht eine graue Masse. Nach wenigen Wochen gra-
be ich den Rasen um und mische diese Masse ein. Der
Rest passiert von selbst: Kontinentales Klima herrscht
auf meinem Balkon meistens vor, semihumid ist es
in Hamburg sowieso – das bedeutet, dass die Niede­
rschlags­menge im Jahresmittel in bis zu neun Monaten
über der Verdunstungsmenge liegt. Ich habe mir außer-
dem Regenwürmer gekauft, bei einem Betrieb in Bran-
denburg: Der preußische Regenwurm ­beschleunigt
den Prozess der Humusbildung enorm. Es klappt zwar
auch ohne Würmer. Ich aber mag es, wenn es im Acker
wimmelt. Würmer ziehen nämlich alle anderen Arten
von Insekten an. Und alle bleiben immer schön vor der
Tür. Keine einzige Hummel war in meiner Küche.
Die Herstellung von Humus ist eine Sache von Mona­
ten, nicht von Wochen. Gute Schwarzerde herzustel­
len dauert auf meinem Balkon einen Sommer. Es geht
auch dann nicht schneller, wenn man exzessiven Ge-
brauch von den Mikroorganismen macht, das weiß
ich, weil ich die erste Flasche sofort auf die Masse ge-
geben habe, als es mir zu langsam ging. Nachteil der
Würmer: Unter Umständen muss man sie im Winter
mit einer Plane abdecken, damit sie nicht erfrieren.
Schließlich ist mein Balkon-Acker nicht besonders tief.
Und noch ein Nachteil: Als Gesprächsthema auf einer
Party eignet sich die Wurmhaltung nur bedingt. Ich
habe noch nie jemanden getroffen, der mich attraktiv
oder in­ter­es­sant fand, weil ich Humus auf dem Balkon
herstelle. Das Gegenteil ist der Fall. Die meisten Men-
schen gehen davon aus, dass ich nicht gesund bin im
Kopf. Ich nehme ihnen das nicht übel, das Thema ist
vermutlich zu speziell. Dabei mache ich mir die Arbeit
nur, weil ich a) mit dem Anspruch erzogen worden
bin, nichts wegzuwerfen, was noch benutzbar ist, und
b) eigentlich faul bin. Ich hatte keine Lust, meine Ab-
fälle in den Hausmüll zu werfen, Bioabfälle wollte ich
auch nicht sammeln, weil das stinkt.
Humus auf dem Balkon gibt mir ein gutes Gefühl.
Es kursiert nämlich ein großes Missverständnis dort
drau­ßen, es besagt, dass es genug Boden gibt. In
Wirk­lichkeit aber ist guter Boden so gefährdet wie
Pan­zer­nas­hörner und Tiger. Das Problem ist nicht neu:
Es gibt die These, das Römische Reich sei des­we­gen
zu­sam­men­gebrochen, weil seine Böden ausge­laugt
waren. In Zeiten industrieller Landwirtschaft und gro-
ßer Mono­kulturen geht allerdings mehr fruchtbarer
Boden verloren als jemals zuvor in der Geschichte.
Seit 1945 summiert sich die durch Erosion verloren
ge­gan­gene Fläche auf eine Größe, die etwa derjeni-
gen von China und Indien entspricht. Durch natürliche
Witterung entsteht dagegen nur etwa ein Zentimeter
Boden neu. In hundert Jahren.
Mit Recht könnte ich nun also behaupten, dass ich als
Bodenhersteller am Fortbestand der Menschheit ar­
bei­te. Schließlich kann man ohne Boden schlecht Le­
bens­mittel herstellen. Vielleicht ist das die Ge­schich­
te, die ich auf der nächsten Party erzählen sollte. Die
Regenwürmer kann ich später immer noch ins Spiel
brin­gen. Oder ich mache eine Start-up-Geschichte
da­raus: Crafted Humus. Biologisch in St. Pauli herge­
stellt, garantiert ohne Torf und Trockenlegung von
Feucht­gebieten. Beste Qualität, mit Liebe produziert,
zu kaufen in einem Glas mit buntem Schleifchen, ideal
für den Hipster im gentrifizierten Stadtviertel. Ich su-
che gleich Wochenmärkte heraus. - TI
N Ä H R R E I C H E R K A L K
E i e r s c h a l e n i m K o m p o s t e n t f a l t e n i h r e
W i r k u n g a m b e s t e n , w e n n m a n
s i e v o r h e r i n k l e i n e S t ü c k c h e n z e r r e i b t .
G E M Ü S E , B E E R E N , P I L Z E ,
K R ÄU T E R – WA S DA S E R D R E I C H
H E RVO R B R I N G T, I S T S C H O N
P U R E I N E C H T E R G E N U S S . M I T D I E S E N
V I E R Z U B E R E I T U N G S M E T H O D E N
E N T S T E H E N AU S D I E S E N Z U TAT E N
H I M M L I S C H E G E R I C H T E .
A U S G U T E M G R U N D
T E X T
_ _ _
I N G A P A U L S E N
F O T O S
_ _ _
R E I N H A R D H U N G E R
S T Y L I N G
_ _ _
C H R I S T O P H H I M M E L
AUSGUTEMGRUND
44
45
Z U B E R E I T U N G
46
Das Fleisch muss dünn geschnitten sein, damit es in wenigen Minuten gar ist. Ein Päckchen aus geöltem
Pergamentpapier schützt vor unangenehmen Sandkörnern auf dem Gargut.
BEACH-BARBECUE FÜR DAHEIM:
WER STR ANDSAND ERHITZT, K ANN DARIN FEINSTES FLEISCH-
UND FISCHFILET IN WENIGEN MINUTEN ZUBEREITEN.
G A R E N
I M S A N D B E T T
W E N N D I E S O M M E R H I T Z E D I E L U F T F L I R R E N L Ä S S T, brauchen Urlauber
meist Flip-Flops, um ohne Schmerzen über den Strand zum Wasser zu laufen. Die feinen Körner aus
Quarz und anderen Mineralien speichern die Sonnenstrahlung, heizen sich auf und speichern
die Wärme über Stunden. Auch wenn die Sonne bereits untergeht, gibt das Material noch Hitze an
die Umgebung ab. Diese Eigenschaft kann man sich für die Zubereitung von Lebensmitteln
zunutze machen. Zartes Fleisch oder Fisch können – geschützt durch dünnes Küchenpergament –
in einem Bett aus aufgeheiztem Sand in wenigen Minuten gar ziehen. Das funktioniert
nicht nur bei einem sommerlichen Urlaub am Mittelmeer, sondern auch wenn Sie den Strandsand
für mehrere Minuten bei hohen Temperaturen in der Pfanne braten. Unglaublich?
Dann probieren Sie es einfach aus.
S O G E H T ’ S :
{ {
1
Füllen Sie eine große gusseiserne Bratpfanne
(beschichtete Pfannen verkratzen leicht)
bis einen Zentimeter unter dem Rand mit Strandsand
(ersatzweise Sandkistensand aus dem Baumarkt).
Erhitzen Sie die Pfanne auf höchster Stufe.
Gelegentliches Umrühren sorgt für eine
gleichmäßige Hitze. Inzwischen schneiden Sie zartes
Fleisch- oder Fischfilet in dünne Scheiben
(circa 0,5 bis 1 Zentimeter). Nehmen Sie vier DIN A4
große Blätter Küchenpergament
und -ölen Sie diese mit Oliven- oder Rapsöl ein.
2
Legen Sie 3 bis 4 Fleisch- oder Fischscheiben
in die Mitte jedes Blatts und aromatisieren
es mit Meersalz, Kräutern und
Gewürzen. Dann falten Sie das Pergament zu einem
gut verschlossenen flachen Päckchen
(es darf kein Sand direkt auf das Gargut gelangen).
Die Päckchen werden nun auf einen Teil des
heißen Sands gelegt und mit dem
restlichen Sand zugedeckt. Nach circa 7 Minuten
ist das Gargut fertig und kann zum
Servieren aus dem Sandbett gehoben werden.
47
Z U B E R E I T U N G
AUSGUTEMGRUND
48
AUSGUTEMGRUND
48
Z U B E R E I T U N G
4949
J E D E R K E N N T S I E A L S B A C K- O D E R G R I L L S T E I N – Granit, Basalt
und Marmor sind exzellente Energiespeicher. Sie speichern hohe Temperaturen und geben diese
rasch an das Gargut ab. Was unbekannt ist: Diese Gesteinsarten sind auch ausgezeichnete
Kältespeicher und dienten vor Jahrhunderten als archaische „Kühlboxen“. Heute nutzt man diesen
Effekt, um zum Beispiel Getränke zu kühlen. Statt einen guten schottischen Whiskey mit
schmelzenden Eiswürfeln zu verwässern, trinkt man den Drink lieber „on the rocks“ –
mit Kältesteinen aus Granit serviert. In der Gastronomie nutzt man die Frostwirkung des natürlichen
Materials eher für den Showeffekt beim Servieren von süßen Speisen. Eiskreationen
lassen sich wunderbar auf einer im Gefrierfach vorgekühlten Steinplatte zubereiten und anrichten.
S O G E H T ’ S :
{ {
FINALES COOL-DOWN: AUF EISK ALTEN
STEINPL ATTEN L ASSEN SICH FEINSTE DESSERTS
ZUBEREITEN UND SERVIEREN.
K Ü H L E N A U F
S T E I N
1
Legen Sie die gereinigte Steinplatte für
mehrere Tage in das Eisfach Ihres Kühlschranks.
Bereiten Sie aus Milch, Sahne, Eigelb und
Zucker eine Eismasse vor. Verfeinern Sie
das Grundrezept mit aromatisierenden Zutaten wie
Vanillemark, Beeren, Nüssen oder Gemüse
(z.B. Rote-Bete-Eis mit karamellisierten Möhren,
siehe Booklet). Stellen Sie die vorbereitete Eismasse
in den Kühlschrank, damit diese herunterkühlt.
Gelegentliches Umrühren hält die Creme bis zum
Servieren geschmeidig.
2
Bereiten Sie die Beilagen für das Eis vor.
Nehmen Sie die Granitplatte aus
dem Gefrierfach und gießen dann die Eismasse
dünn auf die glatte Oberfläche. Sobald die
cremige Flüssigkeit durch die niedrigen
Temperaturen eindickt, nehmen Sie einen kalt
abgewaschenen Spatel oder flachen Löffel
und schaben damit hauchzarte Eisspäne
zu kleinen Eishaufen zusammen. Richten Sie das
Eis mit den Beilagen auf vorab
gekühlten Tellern an. Sofort servieren.
Durch pürierte Rote Bete erhält die Basiseismasse die himbeerrote Farbe. Damit das Eis eine feste Konsistenz bekommt,
werden schaumig geschlagenes Eigelb und Zucker unter die Masse gerührt. Leckere Beilage: karamellisierte Möhren.
50
P I L Z E W A C H S E N I N D E R H O C H S A I S O N I N H Ü L L E U N D F Ü L L E .
Leider lassen sich die empfindlichen Hüte nicht lange lagern. Eine gute Methode, um die Ausbeute
länger genießen zu können, ist das Trocknen im Ofen. Dabei wird dem Lebensmittel
Wasser entzogen und so die Haltbarkeit um einige Wochen erhöht. Für die Trocknung geeignet sind
Steinpilze, Butterpilze, Stockschwämmchen, Maronen, Birkenpilze, Anis-Champignons oder
Herbsttrompeten. Erfreulich für Nordeuropäer: Anders als beim Frischlufttrocknen ist man bei dieser
Konservierungsmethode un­abhängig von der Witterung.
Im Glas verpackt kann die Ernte mehrere Monaten verwendet werden.
S O G E H T ’ S :
1
Die Pilze müssen sauber sein, bevor sie für
die Lagerung getrocknet werden.
Idealerweise entfernt man Sand und Blätter direkt
an der Sammelstelle, bevor man die Pilze in
einem luftigen Beutel oder Korb transportiert.
Zu Hause sollten Sie die Hüte mit Küchenkrepp
reinigen. Große Exemplare in dünne Scheiben
schneiden, kleine halbieren. Anschließend werden
die geschnittenen Pilze locker auf einem
mit Back­papier ausgelegten Backblech verteilt.
2
Der Ofen wird vorab auf eine Temperatur
von 40 bis 50 Grad erhitzt. Während der Trocknung
die Ofentür leicht geöffnet lassen, damit
die Feuchtigkeit entweicht. Nach etwa 5 Stunden
sind die Steinpilze fertig. Getrocknete
Lebensmittel lagern Sie am besten in gut
verschließbaren Gläsern an einem
dunklen, trockenen Ort. Tipp gegen Parasiten:
Geben Sie eine Prise Pfeffer ins Glas und schütteln
Sie die Pilze dann kräftig durch.
{ {
Getrocknete Steinpilze müssen vor der Zubereitung in Wasser gelegt werden, damit sie aufquellen.
Sie sind köstlich zu Omelette (siehe Rezept-Booklet), Pasta oder als Suppeneinlage.
PIL ZE, KR ÄUTER UND VIELE OBST- UND GEMÜSESORTEN
L ASSEN SICH WUNDERBAR TROCKNEN. DAS ERGEBNIS ÜBER ZEUGT DURCH
GESCHMACK UND GUTE HALTBARKEIT.
T R O C K N E N I M B A C K O F E N
5151
AUSGUTEMGRUND
Z U B E R E I T U N G
52
AUSGUTEMGRUND
Z U B E R E I T U N G
53
F O R M B A R E E R D M AT E R I A L I E N W I E T O N O D E R L E H M nutzte
man vor Jahrhunderten zum Einwickeln von Nahrung und legte diese dann auf heiße Glut. So hat
sich traditionelles Kochgeschirr wie etwa der Römertopf oder die Tajine entwickelt.
Die Vorteile: Im Ton schmoren Fleisch, Gemüse, Kartoffeln und Fisch auf sanfte Art im Backofen.
In diesem geschlossenen System verbinden sich Gewürze, Inhaltsstoffe und Wasser zu
einem geschmackvollen Sud, der das Gargut aromatisiert. Fett ist bei dieser Zubereitung nicht nötig
(siehe Rezept „Huhn im Ton“). Nutzt man Töpferton, kann man das vorbereitete Gericht in
der „Verpackung“ sogar einige Stunden aufbewahren oder transportieren.
Ein weiteres Plus der ­Technik: Nach dem Verzehr kann das Material – ganz ökologisch –
auf dem Kompost entsorgt werden.
S O G E H T ’ S :
{
IN EINER HÜLLE AUS ERDE GART FLEISCH, FISCH ODER
AUCH GEMÜSE SANFT IM EIGENEN SAFT – FÜR EIN INTENSIVES AROMA UND
EINEN HOHEN GEHALT AN VITAMINEN.
I M T O N
G E S C H M O R T
Ideal für die Packung: Tobinambur und anderes Wurzel- und Knollengemüse gelingen besonders gut. Wer das Material
nicht mit den Fingern zu flachen Platten formen will, nutzt am besten eine Glasflasche zum Ausrollen.
1
Kaufen Sie frischen Ton im Töpfer- oder
Bastelladen. Für ein mittelgroßes
Hähnchen mit Beilagen (siehe Rezept-Booklet)
brauchen Sie mindestens 3 Kilo. Nachdem
Sie die Zutaten vorbereitet haben, sollten Sie den Ton
kräftig durchkneten. Für das Hähnchen brauchen
Sie circa die Hälfte der Gesamtmenge. Sie muss zu
zwei dünnen Platten gerollt werden.
Legen Sie den Ton dafür zwischen Frischhaltefolie,
so klebt er nicht am Nudelholz fest.
2
Das Hähnchen wird mittig auf die Tonplatte
gelegt und dann mit der anderen
Platte bedeckt. Dann müssen die Ränder mit den
Fingern verschlossen werden. Auch
Beilagen werden mit Ton umhüllt. Anschließend
gart alles auf einem mit Backpapier
ausgelegten Blech bei 180 Grad (Umluft) im
Back­ofen. Nach circa 1,5 Stunden
ist das Huhn fertig und kann mit einem Hammer
aus der Tonkruste herausgeklopft werden.
{
G A N G
P A R A
T E X T
_ _ _
P H I L I P P K O H L H Ö F E R
M I T T E N I N S O U T H C E N T R A L
L O S A N G E L E S N U T Z T
E I N T- S H I R T- D E S I G N E R D E N PA R K S T R E I F E N
VO R S E I N E M H AU S , U M G E M Ü S E
A N Z U B AU E N , DA S M I N D E S T E N S S E I N
V I E R T E L R E T T E N S O L L .
S E I N E D E V I S E :
E C H T E G A N G S T E R Z Ü C H T E N T O M AT E N .
54
S T A S
D I S E
P O R T R Ä TFOTOS:ELIZABETHWEINBERG/TRUNKARCHIVE
55
P O R T R Ä T
A M D I E N S TA G kommt Ron Finley aus Schweden,
wo er darüber geredet hat, dass Kohl möglicher­weise
die Rettung ist, und am Donnerstag muss er einen
Ver­kaufsstand für Pfirsiche bauen, den er am ­Sams­tag
benutzen will, weswegen er am Mittwoch schnell
noch Freundschaft schließen muss mit einer Nachba-
rin zwei Blocks weiter, die ihm Material dafür leihen
soll. Am Freitag ist seine Motivation daher gering, vor
seinem Haus von einem Rastafrisurträger mit Skate-
board in eine Diskussion über den Sinn seiner Arbeit
verwickelt zu werden. Er sagt: „Yo man, fuck off.“
Ron Finley baut Obst und Gemüse an. Er betreibt Ur-
ban Gardening mitten in South Central Los Angeles,
das seit Jahren nur noch South L.A. heißt, weil das
we­niger nach Bloods und Crips und Mara Salvatrucha
klingt, nach Gang-Gewalt, die wieder zugenommen
hat in den letzten Jahren. Er sagt, wenn Leute etwas
wissen wollen, dann erkläre er es ihnen gerne, aber er
missioniere nicht. „Jeder“, sagt er, „muss selber darauf
kommen.“
Darauf kommen, dass Obst und Gemüse gesund sind.
Vor seinem Haus auf dem Parkstreifen, der eigentlich
der Stadt gehört, wachsen Bananen und Feigen, Zi­
tro­nen und Tomaten, Mangold, ein paar Blumen. Zwei
Kom­post­haufen hat er angelegt, eine Sitzgelegenheit
aus Baumstämmen gebaut, die von einem Rondell
aus Zweigen umschlossen und mit diversen Kräutern
be­wach­sen ist. Der Platz ist schattig, die Luft feucht,
die Temperatur merklich niedriger als auf den Grund­
stü­cken der Nachbarn. Insekten schwirren durch die
Gegend. Nebenan brennt die Sonne, die umliegenden
Park­ways sind Graswüste, genauso tot wie der Beton
der Straße. „Ich baue gar kein Gemüse an“, sagt Finley,
das sieht nur so aus.“ Er pflückt einen Pfirsich. „Was
bei mir wächst, ist Hoffnung.“
Er sieht auf die Uhr, wird Zeit, noch einen Stuhl abzu-
schleifen, gleich kommen Patric und John, Freiwillige
aus dem Viertel, die ihm helfen bei seinem Projekt,
das er unbescheiden nach sich benannt hat: Ron Fin-
ley Project (RFP). Das RFP ist eine Non-Profit-Orga­ni­sa­
tion und will die Welt retten, mindestens, durch den
An­bau von Gemüse. Finley sagt: „You wanna change
some­thing, you have to change the soil.“ Ein doppel­
deutiger Satz, es ist nicht ganz klar, was er meint,
aber das ist Absicht. Der Boden, auf dem das Gemüse
wächst, oder der Boden der Gesellschaft? Und ist das
eine vielleicht nur zu ändern, wenn man das andere
ändert, zumindest in South L.A.? Finley will das nicht
näher erläutern, er mag es so, weil dann jeder verste-
hen kann, was ihm am besten passt. Dass er beides
verbinden will, ist aber klar: Er nennt sich Gangster
Gardener. Auf seinem T-Shirt steht: „Plant some shit.“
Gangster sein, sagt er, bedeute eben nicht, dass man
kleinkriminellen Mist mache, Supermärkte überfalle,
mit Drogen deale oder gar Menschen töte. „­Gangster
denken mit.“ Er fragt: Muss das System wirklich so
sein, wie es ist? Menschen würden ihm ständig sagen,
dass er ein kritischer Denker sei. Er lacht. „Warum“,
fragt er, „weil ich Obst anbaue?“ Er lacht noch mal, lau-
ter, länger, so, als könne er selber nicht glauben, was
er gerade gesagt hat. „We gotta flip the script of what
a gangster is.“ Könne ja wohl nicht sein, Freak zu sein,
nur weil man in einer ärmeren Region der Stadt Äp-
fel essen will. Und wenn man das erkannt habe, dann
müsse man das eben ändern. Er sagt: „I’m a doer.“
Und dann fährt Ashleigh vor. Zack, zack, sagt sie, ­Finley
soll sich endlich um den Stand kümmern und nicht so
viel reden, ist nicht mehr lang bis zum Wochenende.
Sie regelt seine Presseangelegenheiten und organi-
siert Stände, auf denen Finley den Jugendlichen des
Vier­tels zeigt, was das überhaupt ist: eine Tomate.
Oder, noch verrückter: eine Tomatenpflanze. Ashleigh
hat eine zehn Zentimeter lange Narbe am Hals. Stich-
verletzung. „Knast“, sagt sie und winkt ab, sie hat es ja
überlebt. „Das liegt daran, dass bei uns nur der Staat
mit Drogen handeln darf.“ Und dann wechselt sie das
Thema: „Sehen die Melonen hinterm Haus nicht schön
aus?“ Sie verschwindet im Haus.
Der Parkstreifen vor dem Haus ist nur ein kleiner Teil
von Finleys Garten. Auf seinem Grundstück ist alles
be­pflanzt. Hinterm Haus in einem großen Swimming-
pool, in dem schon lange nicht mehr geschwommen
wird, wachsen nicht nur Melonen, sondern Dutzende
verschiedene Pflanzen in allen möglichen Behältern:
in Einkaufswagen, Tonkrügen, Müll­tonnen und in
Snea­kers, alten Turnschuhen, die sonst als Grenzen
des Territoriums verschiedener Street-Gangs dienen
und über Straßenlaternen hängen. Finley hat Paletten
be­pflanzt und aufgeschnittene Milchtüten, er zieht
Pflan­zen in Polstermöbeln und in einem alten Fern­
seher. Alles, was Erde tragen kann, ist erwünscht und
wird benutzt. Hin und wieder kommen Schulklassen
vorbei. Finley zeigt seinen Garten und erzählt, dass
al­les ein Kreislauf sei und wir auch nur ein Teil dessen
seien. Und wenn er sagt, dass ein Mensch zu 50 Pro­
zent dieselbe DNA habe wie eine Banane, und die Kin-
der große Augen machen, dann sagt er sofort: „I know
it sounds like some hippie shit“, und alle lachen.
Aber der Hintergrund ist ihm ernst. Denn wenn man
die Struktur des Viertels verändern wolle, dann könne
es ja wohl nicht sein, dass man nur den Namen des
Stadt­teils ändere: „Nur Menschen können die Struktur
verändern.“ „We“, sagt er und breitet die Arme aus. Er
steht vor der Sonne und mit ihr im Rücken sieht er ein
bisschen aus wie ein Prediger, „we are the soil.“ Und
die Qualität des Bodens sei schließlich entscheidend
für das, was auf ihm wächst. Finley sagt: „Gemüse an­
bauen ist wie eigenes Geld drucken.“ Gardening, sagt
er, sei das Therapeutischste, was man überhaupt ma-
chen könne. Schließlich gebe man den Jugendlichen
„PLANT SOME SHIT.“
56
M I T G E M Ü S E D I E W E L T R E T T E N
M i t e i n e m P a r k s t r e i f e n v o r d e r T ü r f i n g a l l e s a n . I n z w i s c h e n h a t i h n R o n F i n l e y i n e i n e b l ü h e n d e
O a s e v e r w a n d e l t . B a n a n e n , F e i g e n , Z i t r o n e n u n d To m a t e n w a c h s e n d o r t . A u c h a u f s e i n e m
G r u n d s t ü c k i n e i n e m v e r r o t t e t e n S w i m m i n g p o o l , i n a l t e n P o l s t e r m ö b e l n u n d M i l c h t ü t e n z i e h t
F i n l e y O b s t u n d G e m ü s e . U n d w i l l d a m i t z e i g e n , d a s s e t w a s S i n n v o l l e s , K r a f t v o l l e s e n t s t e h e n k a n n ,
w e n n m a n n u r a n p a c k t . D a s R o n F i n l e y P r o j e c t ( R F P ) w i l l M e n s c h e n h e l f e n , d i e w e d e r G e l d n o c h
e i n e P e r s p e k t i v e h a b e n . F i n l e y s M o t t o : „W e n n d u e t w a s ä n d e r n w i l l s t , m u s s t d u d e n B o d e n ä n d e r n . “
FOTOS:EMILYBERL/REDUX/LAIF;EMILYBERL/NYT/REDUX/LAIF
P O R T R Ä T
G R Ü N E O A S E S T A T T B E T O N
W ä h r e n d ü b e r d e r k a r g e n N a c h b a r s c h a f t v o n S o u t h L . A .
u n b a r m h e r z i g d i e S o n n e b r e n n t , h e r r s c h t b e i R o n F i n l e y s u b t r o p i s c h e s K l i m a .
D i e P f l a n z e n p r a c h t s p e n d e t S c h a t t e n u n d F e u c h t i g k e i t .
U n d s i e w ä c h s t w i r k l i c h ü b e r a l l – w i e h i e r i n e i n e m a u s r a n g i e r t e n E i n k a u f s w a g e n .
­einen Wert, Selbstwertgefühl; alles, was sie bräuch-
ten, sei eine Aufgabe. Er sagt: „Und man bekommt
Erd­beeren umsonst dazu.“
Und wenn Gemüseanbau erst mal Gangster ist, erst
mal cool, dann soll sich mittelfristig nicht nur die Sozi-
alstruktur des Viertels ändern, das ist zumindest Fin-
leys Plan, sondern in der Folge auch der Rest. Er sagt:
„Wovon ich rede, ist Folgendes: für Menschen Arbeit
zu bekommen und Kids weg von der Straße.“ Finley
glaubt, dass auch die Mikroökonomie im Viertel sich
ändern würde, wenn sich die Menschen gesünder er-
nährten. Dass es andere Geschäfte gäbe.
Tatsächlich dominieren in seiner Nachbarschaft in
Crenshaw bisher Fast-Food-Läden, fast 1.000 gibt es
in South Central, dazu kommen noch Liquor ­Stores.
„Das“, sagt Finley, „ist ja in keiner Weise nachhaltig.“
Was gut läuft an lokalem Business, sind Second-­Hand-
Märkte für Rollstühle und Krücken. Die Nachfrage ist
entsprechend hoch, die Kundschaft zwar gebrechlich,
aber noch nicht besonders alt, sondern einfach nur
be­sonders schwer. In South L.A. gibt es die höchste
Dichte an Dialysezentren in der Stadt und fünfmal
mehr Übergewichtige als in Beverly Hills, das gerade
mal 20 Kilometer entfernt liegt.
Nebenan rattert die Bahn, neu gebaut, es gibt eine
Hal­te­stelle, die wenig genutzt wird. Der Zug fährt bis
Santa Monica, wo es an jeder Ecke einen Bio-Super­
markt gibt. Von dort, wo Finley wohnt, dauert es 45
Minuten mit dem Auto zu einem Supermarkt, der
Äpfel führt. „Hier“, sagt er, „gibt es mehr Tote durch
Drive-­throughs als durch Drive-bys.“ Mehr Tote durch
Dia­betes und Fettleibigkeit, weil es an jeder Ecke Fast-
Food-Läden gibt, als durch Schießereien. „It’s a food
desert“, sagt er. Und: „Was ich gemacht habe, war
Notwehr.“
Und die begann 2010. Finley bepflanzte den Park­
strei­fen. Der ist zwar im Besitz der Stadt, die Anwoh-
ner müs­sen ihn aber pflegen – ob sie einfach das Gras
mä­hen oder eine Hecke setzen, das stand nirgends.
Er überlegte: Was will ich am liebsten essen? Was
könnten die Nachbarn mögen? Finley war von Beginn
an klar, dass er alles bepflanzen will und am Ende zu
viel Obst für sich selber hätte. Der Plan war immer, die
Nachbarn einzubeziehen. Es war sowieso nicht sein
Land, warum hätte er alles für sich behalten sollen? Er
sagt: „Everything we do is free.“ Zusammen mit einer
Handvoll Helfern pflanzte er Karotten an. Er war zu­
frie­den. Es war nicht nur gesund, es sah auch schön
aus. Schließlich ist er Designer, er legt Wert auf Optik,
sagt: „Gardening is my graffiti.“ Gemüse anzu­bauen ist
für ihn nicht nur gesund, es ist seine Form der Kunst
– und es veränderte das Mikroklima vor seinem Haus.
Neun Monate lang interessierte das niemanden. Dann
bekam Ron Finley Post. Absender: die Stadt Los An­
ge­les. Er habe den Parkstreifen nicht ordnungsgemäß
gepflegt, er müsse den Garten entfernen, sofort. Soll-
C55H72O5N4MG
58
Ingredient (Erde)
Ingredient (Erde)
Ingredient (Erde)
Ingredient (Erde)
Ingredient (Erde)
Ingredient (Erde)
Ingredient (Erde)
Ingredient (Erde)
Ingredient (Erde)
Ingredient (Erde)

Weitere ähnliche Inhalte

Empfohlen

PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024
PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024
PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024Neil Kimberley
 
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)contently
 
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024How to Prepare For a Successful Job Search for 2024
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024Albert Qian
 
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie Insights
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie InsightsSocial Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie Insights
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie InsightsKurio // The Social Media Age(ncy)
 
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024Search Engine Journal
 
5 Public speaking tips from TED - Visualized summary
5 Public speaking tips from TED - Visualized summary5 Public speaking tips from TED - Visualized summary
5 Public speaking tips from TED - Visualized summarySpeakerHub
 
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd Clark Boyd
 
Getting into the tech field. what next
Getting into the tech field. what next Getting into the tech field. what next
Getting into the tech field. what next Tessa Mero
 
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search Intent
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search IntentGoogle's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search Intent
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search IntentLily Ray
 
Time Management & Productivity - Best Practices
Time Management & Productivity -  Best PracticesTime Management & Productivity -  Best Practices
Time Management & Productivity - Best PracticesVit Horky
 
The six step guide to practical project management
The six step guide to practical project managementThe six step guide to practical project management
The six step guide to practical project managementMindGenius
 
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...RachelPearson36
 
Unlocking the Power of ChatGPT and AI in Testing - A Real-World Look, present...
Unlocking the Power of ChatGPT and AI in Testing - A Real-World Look, present...Unlocking the Power of ChatGPT and AI in Testing - A Real-World Look, present...
Unlocking the Power of ChatGPT and AI in Testing - A Real-World Look, present...Applitools
 
12 Ways to Increase Your Influence at Work
12 Ways to Increase Your Influence at Work12 Ways to Increase Your Influence at Work
12 Ways to Increase Your Influence at WorkGetSmarter
 
Ride the Storm: Navigating Through Unstable Periods / Katerina Rudko (Belka G...
Ride the Storm: Navigating Through Unstable Periods / Katerina Rudko (Belka G...Ride the Storm: Navigating Through Unstable Periods / Katerina Rudko (Belka G...
Ride the Storm: Navigating Through Unstable Periods / Katerina Rudko (Belka G...DevGAMM Conference
 
Barbie - Brand Strategy Presentation
Barbie - Brand Strategy PresentationBarbie - Brand Strategy Presentation
Barbie - Brand Strategy PresentationErica Santiago
 

Empfohlen (20)

PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024
PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024
PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024
 
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)
 
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024How to Prepare For a Successful Job Search for 2024
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024
 
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie Insights
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie InsightsSocial Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie Insights
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie Insights
 
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024
 
5 Public speaking tips from TED - Visualized summary
5 Public speaking tips from TED - Visualized summary5 Public speaking tips from TED - Visualized summary
5 Public speaking tips from TED - Visualized summary
 
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd
 
Getting into the tech field. what next
Getting into the tech field. what next Getting into the tech field. what next
Getting into the tech field. what next
 
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search Intent
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search IntentGoogle's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search Intent
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search Intent
 
How to have difficult conversations
How to have difficult conversations How to have difficult conversations
How to have difficult conversations
 
Introduction to Data Science
Introduction to Data ScienceIntroduction to Data Science
Introduction to Data Science
 
Time Management & Productivity - Best Practices
Time Management & Productivity -  Best PracticesTime Management & Productivity -  Best Practices
Time Management & Productivity - Best Practices
 
The six step guide to practical project management
The six step guide to practical project managementThe six step guide to practical project management
The six step guide to practical project management
 
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...
 
Unlocking the Power of ChatGPT and AI in Testing - A Real-World Look, present...
Unlocking the Power of ChatGPT and AI in Testing - A Real-World Look, present...Unlocking the Power of ChatGPT and AI in Testing - A Real-World Look, present...
Unlocking the Power of ChatGPT and AI in Testing - A Real-World Look, present...
 
12 Ways to Increase Your Influence at Work
12 Ways to Increase Your Influence at Work12 Ways to Increase Your Influence at Work
12 Ways to Increase Your Influence at Work
 
ChatGPT webinar slides
ChatGPT webinar slidesChatGPT webinar slides
ChatGPT webinar slides
 
More than Just Lines on a Map: Best Practices for U.S Bike Routes
More than Just Lines on a Map: Best Practices for U.S Bike RoutesMore than Just Lines on a Map: Best Practices for U.S Bike Routes
More than Just Lines on a Map: Best Practices for U.S Bike Routes
 
Ride the Storm: Navigating Through Unstable Periods / Katerina Rudko (Belka G...
Ride the Storm: Navigating Through Unstable Periods / Katerina Rudko (Belka G...Ride the Storm: Navigating Through Unstable Periods / Katerina Rudko (Belka G...
Ride the Storm: Navigating Through Unstable Periods / Katerina Rudko (Belka G...
 
Barbie - Brand Strategy Presentation
Barbie - Brand Strategy PresentationBarbie - Brand Strategy Presentation
Barbie - Brand Strategy Presentation
 

Ingredient (Erde)

  • 1. AU S G A B E 3 MUTTER ERDE Ein Magazin über den Boden, der uns ernährt W A S G E H T TRÜFFELN AUS ZUCHT W A S R O C K T VEGAN IN WACKEN W A S S C H M E C K T KOCHEN MIT ERDE N E U E S A U S D E R N E F F K Ü C H E
  • 2.
  • 3. 3 COVERFOTO:REINHARDHUNGER;STYLING:CHRISTOPHHIMMEL Sie gilt als Ursprung, als Synonym für Fruchtbarkeit und Kreislauf des Lebens. Sinnbild für Natur und Wachstum. Mit Mutter Erde verbinden wir nicht nur die Kraft starker Verwurzelung, sondern auch ein warmes Gefühl der Geborgenheit, einen Ort, zu dem wir zurückkommen können und der uns am Ende unseres Lebens wieder aufnimmt. Aber die Erde ist verletzbar. Insbesondere in den letzten 50 Jahren haben wir sie hohen Belastungen ausgesetzt: Sie wurde mit Chemikalien verseucht, als Mülldeponie missbraucht, ganze Urwälder wurden gerodet mit zum Teil dramatischen Auswirkungen auf Flora, Fauna und Klima. Wir haben nur diese eine Erde. Sie ist der Humus, auf dem die Zukunft wächst. Deswegen möchte The Ingredient Sie auf eine Reise der Hoffnung mitnehmen. Denn mit unserem Heft wollen wir Ihnen die erfreulichen Entwicklungen vorstellen, die es gibt. Wir haben uns die Philosophie der Leaf-to-Root-Bewegung angeschaut, die aus Respekt vor der Natur Schalen, Strunke, Kerne und Stiele ­mitverwertet und sie in köstliche Rezepte integriert. Wir waren bei einem Trüffelexperten, der auf seiner Trüffelplantage das Gleichgewicht der Natur imitiert und damit diesen wertvollsten aller Edelpilze in Deutschland züchten kann. Beeindruckt hat uns auch der Kalifornier Ron Finley, der im sozialen Brennpunkt South LA mit seinem Biotop aus Tomaten, Melonen und Mangold gefährdeten Jugendlichen eine Lebensperspektive zu geben versucht. Die strengsten Verfechter von Veganismus und Vegetarismus trifft man dort, wo man sie am wenigsten vermutet, in Wacken. Unsere Reporterin Inga Paulsen hat die Anhänger der fleischlosen Ernährung auf dem Heavy-Metal-Festival besucht. Und: Natürlich ziehen sich auch diesmal viele Rezepte und Produkte durch unsere Seiten. Wir wünschen Ihnen wie immer spannende Unterhaltung. Ihre N E F F The Ingredient-Redaktion E D I T O R I A L
  • 4. 4 T R Ü F F E L N A U S D E M A N B A U 16 Lange galt die Kultivierung von Trüffeln als unmöglich. Doch seit es in Südeuropa gelungen ist, Edelpilze auf Plantagen anzubauen, profitieren auch Länder in nördlichen Gefilden von dem Wissen. Wie der Anbau funktioniert, recherchierte unsere Reporterin Franziska Wischmann. Das Heavy Metal Open Air in Wacken ist nichts für Zartbesaitete. Das hat unsere Autorin Inga Paulsen überrascht: Sie ist in die vegane Szene des Festivals eingestiegen und hat festgestellt, dass selbst Rocker gesund leben. D E R S O U N D Z U M G E M Ü S E 26 Mit Gemüse die Welt retten, das ist die Mission des Rappers Ron Finley. Im ärmsten Viertel von Los Angeles will er Menschen im Tiefparterre der Gesellschaft Hoffnung geben. Sein Credo: „Wenn du im Leben etwas ändern willst, musst du den Boden ändern.“ G A N G S T E R S P A R A D I S E 54 I N H A L T H A U P T G E S C H I C H T E N
  • 5. N I C E T O E A T Y O U 86220_Neff_NAT_Ingredient_Rezeptheft_DE_Erde_RZ2.indd 1 24.11.17 KW47 16:36 5 W E I T E R E A R T I K E L 24 D I E W E LT R E I S E D E R K A R T O F F E L Ihre Wurzeln liegen in Südamerika. Doch längst ist die Kartoffel überall in der Welt eine beliebte Knolle. 36 H E I M AT B Ö D E N Ohne gute Erde gibt es kein sauberes Trinkwasser und keine gesunde Nahrung. Elf Fakten. 40 L E A F T O R O O T Mit Stiel und Strunk: In dem neuen Food-Trend wird die ganze Pflanze verwertet. 42 H U M U S S E L B S T G E M A C H T Unser Reporter Philipp Kohlhöfer wollte auf seinem Balkon Erde herstellen. Chronik eines Selbstversuchs. 44 A U S G U T E M G R U N D Wir haben mit unterschiedlichen Zubereitungs- und Garmethoden experimentiert. Genießen Sie mit! 60 N AT U R A L F A R M I N G Es gibt Wege, ohne Chemie, ohne Pestizide auszukommen. Geht das? Wenn ja, wie? 64 P R O D U K T E Gemüse vom Feinsten: Mit diesen Küchenhelfern machen Sie das Beste aus Ihrer Ernte. 66 L I E B E S B R I E F A N L I N D A Die Kartoffelsorte sollte vom Speisezettel verschwinden. Unser Kolumnist verbeugt sich vor ihr. B E E F - S T R I P E S A U F H E I S S E M S A N D P L U S B O O K L E T F Ü R 13 R E Z E P T E Z U M S A M M E L N Erntefest – alles, was der Boden uns gibt. Körner, Wurzeln und Rüben sind ein Hochgenuss. 08 S TA R T E R S Neues aus der Welt der Kulinarik: Eine Schweizer Familie hat sich auf die Zucht alter Kartoffelsorten spezialisiert; ein Forscher züchtet Gurken fürs Weltall – diese und weitere Zahlen, Fakten und Storys gibt es in unserem Ressort „Starters“. FOTOS:SHAWNACORONADO;ENVERHIRSCH;GALLERYSTOCK/PARSLEYSTEINWEISS;ARTWORK:ANJEJAGER
  • 6.
  • 7. FRANZISKA WISCHMANN _ _ _ AUTORIN beschäftigt sich als Expertin für Sport, Lebensart und Psychologie schon sehr lange mit dem Einfluss von guter Ernährung auf Körper und Geist. Bei ihren Recherchen entdeckte sie kürzlich eine besondere Trüffelzucht. Die wilde Trüffel gilt hierzulande als geschützte Art. Niemand darf sie sammeln, es sei denn, man hat eine Ausnahmegenehmi- gung. Ihre Reportage über den Trüffelexperten im Leinebergland bei Hannover lesen Sie auf Seite 16. MICHELE AVANTARIO _ _ _ AUTOR ist Steinbock. Unter Freunden und Kollegen gilt er als bodenständiger Typ. Die antike Vier-­Elemente- Lehre ordnet sein Sternzeichen dem Element Erde zu. Was lag also näher, als den Autor mit einem Artikel über den Boden unter unseren Füßen zu beauftragen? Auf Seite 60 erfahren Sie mehr über das Erdreich, über Boden­ typen, Fruchtbarkeit, ­nachhaltige ­Agrarwirtschaft – und darüber, warum wir die „Erdgeister” bei ihrer Arbeit unterstützen sollten. INGA PAULSEN _ _ _ AUTORIN lebt mit ihrer Familie, Hund und Pferd auf dem Land. Für diese Ausgabe entwickelte die Ernährungswissen- schaftlerin nicht nur Rezepte, sondern tauschte auch die Ruhe ihres Heimatdorfes gegen einen Besuch beim lautesten Festival der Welt ein. Auf dem Wacken Open Air wollte sie herausfinden, ob es in dieser Musikszene tatsächlich so viele Veganer gibt, wie behauptet wird. Seite 26 M I T W I R K E N D E ― A U S G A B E 3 ― PHILIPP KOHLHÖFER _ _ _ AUTOR ahnte nicht, dass er, als er zum ersten Mal das Bibelzitat „Schwerter zu Pflugscharen“ hörte, genau das einmal Jahre später erleben würde. Die Redewendung drückt das Ziel aus, Völkerfrieden zu erreichen: Mitten in South Los Angeles, einer Hochburg der Ganggewalt, kümmert sich ein Mann um den Anbau von Karotten vor seinem Haus, um damit sein Viertel zu befrieden. Wie er das macht, lesen Sie in der Reportage auf Seite 48. FOTO:REINHARDHUNGER;STYLING:CHRISTOPHHIMMEL
  • 8. 8 A U S G A B E E R D E F A K T E N , Z I T A T E , Z A H L E N , S T U D I E N , K U R I O S E S , S P A N N E N D E T I P P S U N D T R E N D S PIL ZE SIND DI E LECKERSTEN WALDBEWOHNER. SIE GEDEIHEN UNTER DER ERDE. ALLEIN IN EUROPA GIBT ES HUNDERTE ESSBARE SORTEN. IN DER PFANNE L ANDET LEDIGLICH DER FRUCHTKÖRPER. ER MUSS VORSICHTIG GEERNTET WERDEN, DAMIT AUCH IM NÄCHSTEN JAHR WIEDER PIL ZKÖPFE AUS DEM TIEF LIEGENDEN MY ZEL SPRIESSEN – EIN MY ZEL BEZEICHNET DIE GESAMTHEIT ALLER FADENFÖRMIGEN ZELLEN EINES PIL ZES. TIPP FÜR DIE IDEALE SAMMELMETHODE: EIN GL ATTER SCHNITT AM STIELENDE. E
  • 9. 9 ILLUSTRATIONEN:CHRISTINEKÖHLER A U F D E M B I O H O F „La Sorts“ 1.400 Meter über dem Meer, eingebettet in eine Alpenlandschaft im Schweizer Kanton Graubünden gibt es optimale Bedingungen. Einst war diese Gegend Kulisse für die „Heidi“-Filme. Im Jahr 2001 übernahmen die Landwirte Sabine und Marcel Heinrich „La Sorts“. Er ist ein sogenannter Bio-Knos­pe- Betrieb. Diese Höfe wirtschaften nach den Richtlinien von Bio ­Suisse. Die Heinrichs haben sich einer artgerechten Tier­haltung verschrieben und verzichten auf Gentechnik und Chemie. Sie setzen auf Diversität statt auf Spezialistentum, besit­ zen 34 Rinder, eine Herde Ziegen, Hühner, Enten, Pfauen und sogar Lamas. Im Juli ziehen sie mit allen Tieren (au- ßer jenen, die sich ohnehin immer dort aufhalten) auf die Alp, um sie auf den Berg­wiesen grasen zu lassen. Das Herzstück ihres Hofs sind die fünf Kartoffeläcker mit unterschiedlichen wie raren Kartoffelknollen: Insgesamt 42 Arten bauen die Heinrichs an, eine Vielfalt, die kaum ein anderer Bauer in Europa zu bieten hat. „Seltene Sor­ ten zu pflanzen war etwas verrückt, aber wir wollten Neu- es ausprobieren“, sagt Marcel Heinrich. Er freut sich, dass es ihnen gut gelungen ist. Neben den Knollen mit aristokratisch klingenden Namen halten sie für ihre Stammkundschaft außerdem feinstes Bio-Fleisch (sogenanntes Grauvieh Hornfleisch) und ech- te Nischenprodukte wie Bergheusirup und Bergheu­essig bereit. Der Slogan ihres Betriebs lautet: „mit Durchhalte- willen, Herzblut und einer Prise Glück“. So vermarkten sie auch ihre außergewöhnlichen Bergkartoffeln – sie sind inzwischen auch in der Spitzengastronomie sehr gefragt. www.lasorts.ch MYTHOS Nr. 1 Unkraut ist ungenießbar. FALSCH. Viele Wildkräuter sind essbar und sorgen, kostenlos, für Abwechslung auf dem Teller. Der Geschmack von ge­dünsteten Giersch- und Brennnesselblättern ist würzig und erinnert an Spinat. Vogelmiere schmeckt krautig und ein wenig nach rohen Erbsen. Gänseblümchen sorgen für eine herbe Schärfe im Salat und junger Löwenzahn bringt Bitterstoffe ins Spiel. Tipp: Ein Wildkräuterlexikon hilft dabei, schmackhaftes Kraut von ungenießbarem zu unterscheiden. M Y T H E N D E R G R Ö S S T E F E I N D D E S G Ä R T N E R S I S T D A S U N K R A U T . WA S A B E R I S T WA H R U N D WA S F A L S C H A N D E N L E G E N D E N U M D A S U N G E L I E B T E K R A U T ? T H E I N G R E D I E N T K L Ä R T U M S T R I T T E N E F R A G E N . R A R I T Ä T E N T O L L E K N O L L E T E X T _ _ _ L E S L E Y S E V R I E N S S T A R T E R S PATATE VERR AYES, COR NES DE GÂTES, HIGHLAND BURGU NDY R ED, VITELOTTE NOIR E – SPITZENKÖCHE LIEBEN ALTE K ARTOFFELSORTEN. DIE LAND­WIRTE SABINE U ND MARCEL HEINRICH BAUEN DIESE SELTENEN ARTEN IN DEN ALPEN AN. WIE GEHT DAS?
  • 10. ge­sunder, bewusster Ernährung sowie lokalen und saisonalen Erzeugnissen entgegen. Sollte sich dieses Konzept eines Tages durchgesetzt haben, brauchen Großstädter keine Salate, Avo­­cados oder Weintrauben, die Hunderte oder gar Tausende Kilometer zurückgelegt ha- ben. Im Ge­genteil: Stadtbewohner könnten in Ge­bäuden, Häusern und Wolkenkratzern, so­ genannten Farmscrapers, das ganze Jahr über Früchte, Gemüse, Speisepilze oder auch Al­gen erzeugen. Erfolg­reiche Beispiele und Pilot­pro­ jekte gibt es weltweit viele, unter anderem in Shanghai, Ham­burg und dem schwe­di­schen Linköping. Die Vorteile des Vertical Farming liegen auf der Hand: Flächen würden gespart, Ackerfelder könnten regenerieren, ungenutzte Industrie­ bra­chen reaktiviert, durch geschlossene Kreis- läufe könnte Wasser eingespart werden. Aber es gibt auch Nachteile: Die vertikale Landwirt­ schaft erfordert einen hohen Energiebedarf. Und: Der wirtschaftliche Nutzen ist dabei noch ­unklar. Dennoch wittern Lebensmittelkonzerne wie Kraft Foods, Unilever und Nestlé neue Ge­ schäfts­felder: Sie haben sich zur Plattform SAI (Sustai­nable Agricultural Initiative) zusammen­ ge­schlossen, um Fallstudien für die Umsetzung von Urban-Farming-Projekten zu erarbeiten. D E N M E G A C I T Y S von morgen wird es an Raum mangeln. Nach Schätzungen der Ver­ein­ ten Nationen werden in einigen Jahrzehn­ten rund 80 Prozent der Menschen weltweit in Städ- ten leben. Mehr Menschen, mehr Gebäude, mehr Verkehr – das wird die Städte weiter ver­ dich­ten. Neue architek­tonische Lösungen sind deshalb gefragt: Mit der Idee der vertikalen Land­­wirtschaft wollen Ingenieure und Archi­tek­ ten der Zukunft etwas entgegensetzen. Vertical Farming erlaubt es, Kräuter, Obst und Gemüse vor der Haustür zu säen und zu ernten. Das kommt dem menschlichen Wunsch nach Vertikal statt horizontal: In der Großstadt der Zukunft wächst es in die Höhe, nicht in die Breite. T E X T _ _ _ L E S L E Y S E V R I E N S 10 A„ S E N K R E C H T S TA R T E R “ SEIT JAHR EN FORSCHEN WISSENSCHAFTLER IN ALLER WELT AN GEWÄCHSHÄUSER N FÜR DIE STADT DER ZUKU NFT. SIE GLAUBEN, DIE WELT KÖNNTE EIN BESSER ER ORT WERDEN, WENN WIR MEHR VERTIK ALE LANDWIRTSCHAFT BETRIEBEN. STIMMT. U ND STIMMT AUCH NICHT.
  • 11. CHICKPEACE: durch Hummus und Kichererbsen neue Heimat finden. 11 S T A R T E R S D I E Ü B E R Z E U G U N G S TÄT E R I N M A N U E L A M A U R E R , 47, IST EIN DURCH UND DURCH OPTIMISTISCHER MENSCH. VOR EINIGEN JAHREN HAT SIE EINEN VEREIN GEGRÜNDET, DER STR AFGEFANGENEN UND EHEMALIGEN HÄFTLINGEN DEN WEG ZURÜCK IN DIE GESELLSCHAFT EBNET, INDEM SIE BLINDENHUNDE AUSBILDEN UND BETREUEN. NUN HAT DIE „ Ü B E R Z E U G T E PÄ D A G O G I N “ (MAURER ÜBER SICH) EINEN CATERING-SERVICE INS LEBEN GERUFEN, DER GEFLÜCHTETEN FR AUEN AUS A F G H A N I S T A N , D E M I R A K , S Y R I E N U N D A F R I K A DEN EINSTIEG IN UNSERE GESELLSCHAFT ERLEICHTERT: SYRISCHER HUMMUS, AFGHANISCHE GEMÜSESUPPE, IR ANISCHER MILCHREIS ODER SOMALISCHE FLEISCHK ARTOFFELN – GEMEINSAM BEREITEN DIE FR AUEN FEINKOST AUS IHREN HEIMATL ÄNDERN VOR UND SERVIEREN SIE DEN KUNDEN ALS BÜFETT. SO KOMMT ES ZU B E G E G N U N G E N Ü B E R D I E K U L T U R E N H I N W E G . DANK MAURERS INITIATIVE ERL ANGEN DIE FR AUEN GASTRONOMISCHES WISSEN, DAS IHNEN DEN WEITEREN BERUFSWEG ERLEICHTERN WIRD. DIE INITIATIVE HAT NOCH KEINE WEBPAGE, IST ABER AUF F A C E B O O K ZU FINDEN. FOTOS:ANDREATHODE(R.);JONATHANCROSBY/NYT/REDUX/LAIF(L.) MYTHOS Nr. 2 Unkraut wächst einfach überall. FALSCH. Jede Pf lanze braucht Sauerstoff, Licht, Nährstoffe und Wasser zum Gedeihen – das gilt auch für wildes Grün. Allerdings ist die Saat robuster als die kultivierter Arten. Ein kluger Gärtner kann am Unkrautwuchs erkennen, wie sein Boden beschaffen ist, und diesen dann mit der entsprechenden Pf lege ins Lot bringen. Brennnesseln und Vogelmiere sind zum Beispiel Zeigerpf lanzen für humose Erde. Huf lattich wächst gern auf lehmigem Untergrund, Moos und Kleiner Sauerampfer auf saurem Boden, und wo sich Acker-Schachtelhalm und Huf lattich niederlassen, staut sich die Nässe. MYTHOS Nr. 3 Unkraut hat Zauberkräfte. RICHTIG. Was aus den Blumen- und Gemüsebeeten gezupft wird, ist seit Jahrhunderten Teil der Naturmedizin. Spitzwegerich, Löwenzahn & Co. liefern Mineralstoffe, Spurenelemente, Vitamine und sekundäre Pf lanzenstoffe. Wildkräuter sind durch ihren Gehalt an ätherischen Ölen oder Bitterstoffen – wohldosiert – wirksam gegen Krankheiten. Gegenteiliges kann auch der Fall sein, denn es gibt Blätter oder Wurzeln, die nur äußerlich angewendet werden dürfen oder generell gefährlich für den Menschen sind. Deshalb: nicht experimentieren, sondern informieren.
  • 12. T E X T _ _ _ A L E X A N D E R P E N Z E L DAS ERDLOCH IST SO ETWAS WIE DER ERSTE OFEN DER MENSCHHEIT. IN VIELEN ERDTEILEN WIRD HEUTE NOCH SO GEKOCHT WIE VOR JAHRTAUSENDEN. „ E R S T G R A B E N , D A N N E S S E N “ 12 R ÜBER 13 BILLIONEN (13.000.000.000.000) Anzahl der Lebewesen in einem Quadratmeter Erde mit 30 cm Tiefe (Bakterien, Pilze, Fadenwürmer, Rädertierchen, Asseln, Regenwürmer etc.). D I E T R A D I T I O N D E S Erdlochkochens ist 30.000 Jahre alt. Mit dem Grillen und Rösten ge- hört sie zu den ältesten Kochtechniken der Welt. Archäologen betrachten sie deshalb auch als Beleg für archaische menschliche Siedlungen: Das Verfahren, Steine zu erhitzen und sich ihrer Wärmespeicherung zu bedienen, erlaubte es erst­mals, Knollen- und Wurzelgemüse so zu ga­ ren, dass es für den Menschen genießbar wurde. Besonders auf den Inseln Polynesiens, wo stär­ ke­haltiges Gemüse wie Taroknollen, Süßkar­tof­ feln und die Brotfrucht auf der Speisekarte ste- hen, waren Erdöfen von großer Bedeutung – bis heute werden in der Pazifikregion zu feierlichen Anlässen Erdöfen errichtet; im Mittleren Osten nutzen die Beduinen sie auf ihren Wüsten­ wanderungen. Weil der Erdofen weltweit verbreitet ist, gibt es viele Techniken der Zubereitung, es kann darin gegart, gedünstet oder geräuchert werden. Da­ für werden oft Steine durch ein Feuer direkt im Erdloch erhitzt wie etwa beim Imu-Ofen der Hawai­ianer. Danach werden Nahrungsmittel in Pflanzenblätter gewickelt und hineingelegt, so- bald die Flammen heruntergebrannt sind. Ab- schließend wird der Ofen mit Fellen, Moos, Pflan­zen oder Erde bedeckt und die Gerichte wer­den im eigenen Sud gedämpft. Der peruani­ sche Huatia-Ofen wiederum wird zum Einsturz ge­bracht und begräbt so die Zutaten unter sich. Die nord­amerikanischen Assiniboine-Indianer er­hitz­ten Steine und legten sie in Wasser, um es zum Kochen zu bringen. Neuzeitliche Zuberei­ tungs­varianten sind Backen mit Pergament, Alu- folie und im Römertopf. Eines der bekanntesten Rezepte ist das hawaii­ anische Kālua. Es wird auf dem Pazifikarchipel bei Festen serviert. Dabei wird Schweinekamm mit Meersalz eingerieben und zusammen mit Süßkartoffeln und Poi (gestampfter Taroknolle) in Bananen- oder Ti-Blätter gewickelt und ge- gart. In der peruanischen Variante wird Fleisch (Schwein, Lamm oder Meerschweinchen) mit Kartoffeln, Yuca und Bohnen in Maisblätter ­gewickelt. Gewürzt mit Paprika, Kreuzkümmel, Salz und Pfeffer entsteht Pachamanca – dieses Gericht wurde im Jahr 2003 zum nationalen Kul- turerbe Perus erklärt.
  • 13. S T A R T E R S FOTOS:MATTHEWKOSLOSKI/UNSPLASH(R.);KAIWEISE(L.) 13 Wie gesund ist Birkensaft? Laut Studien des Finnen Heikki Kallio, Professor für Le­ bens­mittelchemie an der Universität Turku, enthält es viele Mineralien, etwa Kalzium, Magnesium, Kupfer, Zink und Eisen. Die Finnen sagen dem Erdsaft heilende Wir­ kung bei Gicht und Rheuma nach, aber dafür fehlen wis- senschaftliche Belege. Birkensaft ist frei von Gluten und Lactose. Seine natürliche Süße stammt vom zahnfreund­ lichen Zucker Xylitol. Der Energiegehalt liegt pro Glas bei nur 36 Kalorien. Wie kann ich den Zaubertrunk zapfen? Am leichtesten ist es in der Zeit vor der Blüte der Silber- birken, dann fließt das nährstoffreiche Nass mit großem Druck von den Wurzeln hinauf zur Krone. Man muss nur ein circa fünf Zentimeter tiefes und zwei Zentimeter gro­ ßes Loch in die Rinde bohren und die Flüssigkeit dann mit einem Schlauch in ein Gefäß leiten. Das Loch sollte an- schließend mit Baumharz verschlossen werden, damit der Stamm nicht ausblutet. Selbst gezapft oder aus dem Supermarkt: Ist der Unterschied zu schmecken? Ja. Frischer Birkensaft ist wässrig, süßlich und duftet ein bisschen nach Baum. Produkte aus dem Handel dagegen sind pasteurisiert, sterilisiert und nicht selten aromati­ siert. Puristen sollten also auf die Zutatenliste schauen, wenn sie ein naturbelassenes Produkt kaufen möchten. IN DEN BIRKENHAIN PILGER N, UM AUS DEN BÄUMEN SAFT ZU GEWINNEN? IN SK ANDINAVIEN IST DAS ÜBLICH. JETZT EROBERT BIRKENWASSER AUCH BEI U NS DIE SUPER MÄRKTE . LOHNT ES ZUZUGR EIFEN? DR EI FR AGEN, DR EI ANTWORTEN. „ O ’ Z A P F T I S ! “ MYTHOS Nr. 4 Wo kein Unkraut wächst, summt keine Biene. RICHTIG. Die Chemie, mit der landwirtschaftliche und öffentliche Flächen von wilden Pf lanzen freigehalten werden sollen, vernichtet nicht nur Wildblüten, die Nektar liefern, sondern vergiften die (Wild-) Bienenbestände – mit Folgen für die Natur, denn die f liegenden Arbeiter sind Bestäuber und somit Garanten der Biodiversität. MYTHOS Nr. 5 Unkraut verbessert den Boden auf natürliche Art. RICHTIG. Dafür gibt es viele Beispiele: So lässt sich aus Brennnesseln oder Beinwell mit Jauche ein hochwertiger Stickstoffdünger herstellen. Wurzeln von Lupinen und einigen Kleepf lanzen lockern den Boden auf. Mäht man sie später ab und lässt den Grünschnitt auf der Fläche liegen, wirkt er wie eine Mulchschicht. Durch den Anbau steigen der Humus- und der Mikroorga- nismenanteil der Erde an.
  • 14. 14 WIE REGEN, DER AUF DIE ERDE TRIFFT, FÜR K ÄNGURUBABYS SORGT WENN SOMMERREGEN AUF HEISSE , AUSGEDÖRRTE ERDE PR ASSELT, DANN DAMPFT ES NICHT NUR. DIE LUFT IST DANN ERFÜLLT VON EINEM EIGENEN GERUCH: PETRICHOR HEISST ER. DAS WORT SETZT SICH AUS DEN GRIECHISCHEN BEGRIFFEN „PETROS“ FÜR „STEIN“ U ND „ICHOR“ FÜR „FLÜSSIGKEIT“ ZUSAMMEN U ND WURDE IM JAHR 1964 VON AUSTR ALISCHEN FORSCHERN GEPR ÄGT. ANDERE WISSENSCHAFTLER FANDEN 51 JAHRE SPÄTER HER AUS, DASS DER REGENGERUCH DURCH KLEINE BLÄSCHEN ENTSTEHT, DIE SICH BILDEN, WENN REGENTROPFEN AUF ERWÄR MTE FLÄCHEN TREFFEN – DIE BLÄSCHEN PLATZEN U ND SETZEN AROMATISCHE AEROSOLE FREI, DIE DEN TYPISCHEN REGENGERUCH HERVORRUFEN. IN DER NATUR LÖST DAS EINE K ASK ADE VON FRUCHTBARKEIT AUS, NICHT NUR IN DER FLOR A, SONDERN AUCH DER FAU NA: DER GERUCH SOLL – DEM BOTENSTOFF PHEROMON GLEICH – ­ EINFLUSS AUF DEN SEXUALZYKLUS VON K ÄNGURUS HABEN. ÜBERPROPORTIONAL VIELE TIERE SIND NACH REGENSCHAUERN TR ÄCHTIG. EINE INTERESSANTE VERBINDU NG, AN DER AUCH DIE PARFÜMINDUSTRIE NICHT VORBEIKOMMEN WILL: ERDIGE DUFTNUANCEN SIND SCHWER IM KOMMEN. Dem Botenstoff Pheromon zu verdanken: Nachwuchs in der Natur. T
  • 15. 15 S T A R T E R S H liegen frei, sie werden mit einer Nährstofflö- sung besprüht, dieses Verfahren wird Aeropo- nik genannt. Beleuchtet wird mit LED-­Lampen, die den Wechsel von Tag und Nacht simulie­ren. Nach der Ernte protokolliert Zabel den Ertrag und trocknet ihn, um die gewonnene Biomasse zu bestimmen. Ab Dezember 2017 wird er ein Jahr lang zwei Container-Gewächshäuser in der Antarktis be­ trei­ben. Der Südpol wurde gewählt, weil hier welt­raumähnliche Bedingungen herrschen: Die Station erhält nur einmal pro Jahr Nachschub. Geht hier etwas kaputt, muss Zabel es selber re- parieren. Auch die Crewgröße gleicht mit zehn Per­sonen der einer Raummission. Schwerelosig- keit und kosmische Strahlung lassen sich im Eis natürlich nicht simulieren. Man wisse jedoch, dass Schwerelosigkeit dem Pflanzenwachstum nicht schade, sagt Zabel. Ob Strahlung die Pflan­ zen beeinträchtigt, ist noch nicht erforscht. Im Gewächshaus am Standort des DLR in Bre- men wurden bereits 15 verschiedene Gemüse­ sor­ten erfolgreich angebaut. Verläuft das Pro- jekt im Eis erfolgreich, werden weitere Ver­su­che, auch im Weltall, begonnen. Zabel sei für eine Expedition ins All offen, sagt er. Wer weiß: Viel- leicht ist die Zukunftsvision von Gemüse auf dem Mars aus dem Blockbuster „The Martian“ bald keine Zukunftsvision mehr. I N S E I N E M F R Ü H E R E N L E B E N war Paul Zabel Ingenieur für Luft- und Raumfahrt. Seit 2015 zieht er im Rahmen des Projekts „Eden ISS“ Gemüse. Gefördert wird das Projekt vom EU-For­schungsprogramm „Horizon 2020“. Es gibt ei­nige Gründe für „höhere“ Nutzpflanzen wie zum Beispiel Gemüse im All: Sauerstoff­pro­ duk­tion, Koh­len­dioxidreduktion und natürlich die Nah­rungs­mittelproduktion selbst sprechen ­dafür. Aber nicht nur für das Weltall ist Zabels Forschung relevant. Die Wissenschaftler be­ stim­men auch ideale künstliche Wachs­tums­ bedin­gun­gen, die bei der Lösung der globalen Nah­rungs­mittelversorgung im 21. Jahrhundert eine Rolle spielen könnten. Zabels Gewächshäuser sind ein fast geschlos- senes System: Das Wasser für die Bewässerung der Pflanzen, das sie bei der Energieproduktion wieder abgeben, wird aufgefangen und wieder­ verwendet. Ganz ohne Erde und Sonnen­licht wer­den die Pflanzen hier kultiviert. Ihre Wur­zeln FOTOS:THINKSTOCK T E X T _ _ _ A L E X A N D E R P E N Z E L „ G U R K E N A U S D E M O R B I T “ FORSCHER VOM DEUTSCHEN ZENTRUM FÜR LUFT- U ND R AUMFAHRT (DLR) BEHAUPTEN: NAHRU NGSMITTEL MÜSSEN NICHT AUF DER ERDE , SIE KÖNNTEN AUCH IM WELTALL PRODUZIERT WERDEN. IN DER ANTARKTIS U NTER ZIEHEN SIE NU N IHR E NEUE TECHNIK EINEM TEST. DORT HERRSCHEN ÄHNLICHE BEDINGU NGEN WIE IM WELTR AUM.
  • 16. T U B E R M E L A N O S P O R U M - - - - - P E R I G O R D - T R Ü F F E L N e b e n d e r w e i ß e n A l b a -T r ü f f e l i s t a u c h d i e P é r i g o r d -T r ü f f e l b e s o n d e r s w e r t v o l l . D i e a l s „ s c h w a r z e r D i a m a n t “ b e z e i c h n e t e T r ü f f e l a r t k o m m t v o r a l l e m i n F r a n k r e i c h u n d I t a l i e n v o r . FOTOS:STOCKFOOD/PHOTOCUISINE/CHRISTINEFLEURENT;PATRICKTOMASSO/UNSPLASH 16
  • 17. M I T I H R E R F E I N E N S P Ü R N A S E S I N D T RÜ F F E L H U N D E D E M E D E L P I L Z AU F D E R S P U R . D E N G I B T E S Ü B E R R A S C H E N D E RW E I S E AU C H I N D E U T S C H L A N D Z U H AU F. B E S U C H B E I E I N E M T RÜ F F E L E X P E R T E N I M L E I N E B E R G L A N D. W O O P E E U N D D E R D U F T V O N T R Ü F F E L N T E X T _ _ _ F R A N Z I S K A W I S C H M A N N R E P O R T A G E
  • 18. T U B E R A E S T I V U M - - - - - S O M M E R T R Ü F F E L W e r w e i ß , u n t e r w e l c h e n B ä u m e n d i e S o m m e r t r ü f f e l w ä c h s t , k a n n i n D e u t s c h l a n d f ü n d i g w e r d e n . FOTOS:STOCKFOOD/MARCO.FINLEY 18
  • 19. R E P O R T A G E SCHATZ IN DERERDE DieSommer- trüffelzählt miteinem Kilopreisvon 200bis600 Eurozuden „bezahlbaren“ Trüffeln.Wer sichmitseinem Trüffelhund selbstaufdie SucheimWald macht,muss schnellsein: Denndiese Hundelieben denfeinen Edelpilzund wollenihnoft nichtmehr hergeben. 19 D E R T E U E R S T E E D E L P I L Z der Welt ist die Trüf- fel. Für manchen Feinschmecker ist es der Gipfel der Gefühle, sich ein paar hauchdünne Scheibchen davon roh über Speisen wie Pasta oder Carpaccio zu raspeln. Selbst ein profanes Spiegelei kann mit dem feinen Trüf­felaroma zu einer Geschmacksexplosion werden. Wer es sich leisten kann, wählt nicht irgendeine Trüf- fel. Königin in der Pilzhierarchie ist die Tuber magna- tum, die inzwischen seltene weiße Alba-Trüffel, die für ihren einzigartigen Duft und Geschmack geschätzt wird. Der lässt sich offenbar schwer in Worte fassen: Die einen schwärmen von einem Vanille-Nuss-Aroma, andere wiederum meinen, einen Hauch von Knob- lauch herauszuschmecken. Bis zu 9.000 Euro kostet ein Kilogramm dieser Delikatesse. Da kommt selbst bei einer Portion von 20 Gramm schon ein hübsches Sümmchen zusammen. Doch Trüffel ist nicht gleich Trüffel. Es gibt viele ver- Unterholz. Die sanfte Hügellandschaft des Leineberg­ lands ist durchsetzt von lichten Wäldern und Freiflä- chen, ideal für das natürliche Wachstum dieser Spe- zies. Warum sie kaum einer findet: Trüffeln wachsen unter der Erde und sind ohne den feinen Geruchssinn eines ausgebildeten Hundes kaum zu entdecken. Eine Lizenz zum Suchen hat hier keiner. Offiziell ist es in Deutschland verboten, Trüffeln auszugraben. „Wer ei­nen Fruchtkörper entnimmt, begeht mindestens ­ei­ne Ordnungswidrigkeit“, macht Fabian Sievers deut- lich. „Alle Trüffeln der Gattung Tuber und damit pau- schal alle Echten Trüffeln stehen in Deutschland unter einem besonderen Schutz.“ Auch wenn er ein gene­ rel­les Verbot für übertrieben hält, weil das Trüffel­ vor­kom­men einiger Arten seiner Meinung nach den Arten­schutz nicht rechtfertige: Die Vorstellung, „dass Hinz und Kunz unsere Wälder durchpflügen“, ist auf kei­nen Fall in seinem Sinne. „Jeder Trüffel­sucher sollte schiedene Arten, die das ganze Jahr über vorkommen, und sie wachsen nicht nur in warmen Regionen von Ita- lien über Frankreich bis Spanien. Einige dieser Trüffel­ arten wie die Burgundertrüffel oder die Sommertrüf- fel sind auch in Deutschland heimisch. „Sie kommen sogar sehr häufig vor“, bestätigt Fabian Sievers. Der 45-Jährige ist Trüffelexperte und baut seit sechs Jah- ren Trüffeln auf einer Plantage im Leine­bergland zwi- schen Hannover und Göttingen an. „Deutschland ist Trüffelland“, sagt er. „Wer sich in der Natur sehr gut aus­kennt und weiß, unter welchen Bedingungen sie wachsen, kann überall Trüffeln entdecken.“ Zwei bis drei Dutzend der Gattung Tuber soll es in deutschen Wäldern geben. Erschnüffelt werden sie von Trüffelhunden. Woopee ist so ein Trüffelhund. Zusammen mit seinem Herr- chen ist er seit fünf Jahren heimischen Trüffeln auf der Spur. Woopee ist ganz wild auf die Delikatesse im ein Grund­verständnis für Natur und Symbiose haben“, findet der Experte. Oder in den Trüffelanbau investie- ren so wie Sievers selbst. Plötzlich ist Woopee aufgeregt. Ungestüm beginnt sie zu buddeln. Tief graben muss sie nicht. Die in dieser Jah­reszeit vorkommende Sommertrüffel liegt meist di­rekt unter der Oberfläche. Woopee schnappt so- fort zu. Für Fabian Sievers ist es nicht ganz einfach, seinem Hund die schwarze Knolle abzutrotzen. „Wir haben ­einen Deal“, erklärt er. „Winzige Murmeln, die sie mit einer Pfote rauswischen kann, darf Woopee behalten.“ Die Sommertrüffel, die sie in der Schnau- ze hat, muss sie allerdings hergeben. Sievers lobt das wuschelige Fellbündel ausgiebig für seine Fähigkeit und belohnt es mit einem Leckerli. Während Woopee weiterschnüffelt, erklärt er, warum aus dem Trüffelschwein ein Trüffelhund geworden ist: „Die ersten Trüffelsucher waren Landwirte, die mit
  • 20. 20 R E P O R T A G E ihren Schweineherden durch die Wälder zogen. Weil reife Trüffeln Duftstoffe ausströmen, die dem Sexual- hormon des Ebers sehr ähnlich sind, stürzten sich die Sauen in die Trüffelhaine.“ Doch Schweine sind wenig wendig, schwer zu erziehen und trampeln durch Flo- ra und Fauna, weswegen sie schon längst nicht mehr eingesetzt werden. Ein Lagotto Romagnolo dagegen ist ideal für die Trüffelsuche. Sievers erklärt: „Diese Hun­de­rasse ist sehr verspielt und besitzt keinerlei Jagd­trieb. Man kann sie problemlos frei laufen lassen.“ Woopee hat den Trüffelgeruch im wahrsten Sinne des Wortes mit der Muttermilch eingesogen. „Um sie an das Aroma zu gewöhnen, haben wir die Zitzen des Mut­tertiers mit Trüffelöl eingerieben“, so der Experte. In­zwischen ist sie längst Profi. Sievers deckt die Fund- stelle wieder zu. Er will keine Spuren für andere Su- cher hinterlassen. Denn über Fundorte und Ausbeute bewahrt jeder Trüffelsucher Stillschweigen. Außerdem schützt er so das empfindliche Pilzgeflecht unter der Erde: „Die Trüffel ist nur die Frucht des eigentlichen Pilzes. Das Pilzmyzel verbindet sich mit den Baum­wur­ zeln. Eine Symbiose, Mykorrhiza genannt, von der bei- de profitieren. Der Pilz versorgt den Baum mit Nähr­ stoffen. Der wiederum liefert Nährstoffverbindungen an den Pilz. Ohne die Hilfe der Bäume gäbe es keine Trüffeln.“ Sein Wissen, mit welchen Bäumen der Trüffelpilz my- korrhiziert, hat er in seine Trüffelplantage einfließen las­sen. Auf der zwei Hektar großen, leicht abschüssi- gen Weide hat er in loser Folge Haselnuss, Heinbuche, Rotbuche und Eiche angepflanzt. Auch Obstbäume wie Wildkirsche oder Apfel dürfen dabei sein. „Trüffel bevorzugen feuchte, kalkreiche Böden, die einen pH- Wert von über 7 haben“, weiß Sievers und er erklärt: „Je karger und nährstoffärmer der Boden ist, desto besser ist das für die Symbiose zwischen Baum und Pilz.“ Es ist ein filigranes Gleichgewicht, das leicht ge- stört werden kann. Durch Unterbewuchs zum Beispiel,
  • 21. R E P O R T A G E S P Ü R N A S E - - - - - L A G O T T O R O M A G N O L O D i e H u n d e r a s s e i s t p r ä d e s t i n i e r t f ü r d i e T r ü f f e l s u c h e . F ü r s i e i s t e s e i n s p a n n e n d e s S p i e l . FOTOS:GALLERYSTOCK/PARSLEYSTEINWEISS 21 also andere Pflanzen, die der Mykorrhiza Konkurrenz machen würden. Auch vor Wildverbiss durch Mäuse und Rehe muss man die jungen Bäumchen schützen. Obwohl sie auch etwas Gutes haben. Denn es sind die Tiere des Waldes, die mit ihren Ausscheidungen für die Verbreitung der Sporen an anderen Stellen im Bo­den sorgen. Ein neues Myzel kann sich bilden und pflanzt sich fort. Genau wie in der Natur braucht es Jahre, bis die Ver­ bindung zwischen Baum und Pilz Früchte trägt. Fabian Sievers weiß, dass es ein langjähriges Unterfangen ist, für das man Know-how und jede Menge Geduld braucht. Doch es lohnt sich. Geruch und Geschmack wir­ken auf viele Menschen anziehend. Immer wieder wird der Trüffel eine aphrodisierende Wirkung nach- gesagt. Solche Mythen tragen vielleicht auch zum Wert mit bei. Aber vor allem ist es eines: „Der Trüffel­ anbau in Deutschland ist so jung, dass es bislang noch keinen Zugriff gibt auf heimische Trüffelarten“, sagt Fabian Sievers. „Jeder Fruchtkörper, der legal auf deut- schen Tellern landet, ist importiert.“ Gleichzeitig steigt die Nachfrage in der Gastronomieszene. Das Poten- zial für Trüffelzüchter, die Plantagen anlegen, wächst unaufhaltsam. Fabian Sievers blickt der Zukunft gelassen entgegen: 20 Kilo Trüffelernte pro Hektar, so meint er, seien lo- cker drin. Für realistisch hält er jedoch 40 bis 60 Kilo pro Hektar. Leuten, die damit schnell das ganz große Geld verdienen wollen, rät er allerdings ab – zu lang­ wie­rig und beschwerlich. Was ihn trotzdem da­ran fas­ zi­niert, ist nicht der Ausblick, reich zu werden: „Jeder Mono­kultur­acker, der in eine extensive Trüffel­kul­tur um­gewandelt wird, ist für mich ein Gewinn. Denn dort versuchen wir, die natürlichen Abläufe in der Natur zu imitieren und damit das alte Gleichgewicht wieder­ herzustellen.“ Der Weg ist das Ziel, aber mit vielver- sprechenden Aussichten: „Wenn ich 60 bin, kann ich mir einen schönen Lebensabend gönnen.“ - TI
  • 23. FOTOS:TESSATRAEGER/TRUNKARCHIVE höckerigeOberfläche.Sieriechtnacheinemintensi­ven TrüffelaromaundwirdzehnZentimeterundgrößer. •EinebeliebteAlternativezudensehrteurenTrüffeln istdieBurgundertrüffel.Auchsiehateinenschwar- zenFruchtkörper.Innenistsiedunkelbraunundmit weißenÄderchendurchzogen.SiewächstimBurgund undistauchinDeutschlandverbreitet.Nebeneinem leichtenTrüffelaromahatdieBurgundertrüffeleine feinehaselnussähnlicheNote. •SommertrüffelnhabeneinefastschwarzeAußen- hautmitfestemFruchtfleisch,dasmitweißenAdern durchzogenist.ManfindetsieinderZeitzwischen JuniundSeptemberinLaubwäldernSüdeuropas,aber auchinDeutschland,ÖsterreichundderSchweiz.Sie schmeckennussartig,ihrTrüffelaromaistaberweit- auswenigerintensiv. •Wintertrüffeln,auchMuskattrüffelngenannt,ha- beneinnichtbesondersintensivesTrüffelaroma.Sie ähnelnderteurenPérigord-Trüffelinihreräußeren Erscheinung,habenabereinetwasgröberesinneres Adergeflecht.Wintertrüffelnsindauchnördlichder Alpenzufinden,weilsieanwenigerkalkhaltigenund feuchterenOrtenwachsen. •AuchMärztrüffelnorientierensichanihrenteuren Ver­wandten.MärztrüffelnähnelninFormundFarbe sehrderAlba-Trüffel.Dennauchsiehabeneineweiß- liche,glatte,jedochunregelmäßigeHaut,sindaber vonderStrukturheretwasweicher.DieMarmorie- rungistausgeprägter.VomGeschmackherhabensie dieIntensitäteinerreifenAlba-Trüffel.FürLaienistes nichtganzeinfach,siezuunterscheiden. TrüffelhandelistVertrauenssache.Dennerzieht schwarzeSchafean.EinigeminderwertigeTrüffeln habendieEigenschaft,denGeruchihrerteurenVer- wandtenanzunehmen.Eskommtvor,dassdiesemin- derwertigeQualitätzudeutlichüberhöhtenPreisen ver­kauftwird.WersichvorBetrügernschützenwill, solltenurzumHändlerseinesVertrauensgehen.-TI TrüffelnhabenalsNahrungsmitteleinetausendjäh­ri­ geTradition.Fundebelegen,dasssieoffenbarschon um3000v.Chr.aufdemSpeisezettelderPharaonen zufindenwaren.InderAntikestandensiebeiGrie­ chenundRömernhochimKurs,dieTrüffelnalsAphro­ disiakumschätzten.DieFranzosenbegannenim18. Jahrhundert,ingroßemStilmitTrüffelnzuhandeln. ParallelentwickeltesichaberaucheineTrüffelkultur imarabischenRaum,dievonDamaskusbisnachAl- gerienreichte. DerkurzeExkursindieGeschichtemachtverständ- lich,waruminderTrüffelfragenichtnurFranzosen undItalienerdenHutaufhaben.Zweifellosverortet manSchwarze(Périgord-)TrüffelnundWeiße(Alba-) Piemont-Trüffelnvorallembeiunsereneuropäischen Nachbarn.AberTrüffelnsindweltweitverbreitet,sie wachsenselbstinNeuseelandundChina. SiegeltenjedochalsRarität.VonTrüffelnderfeinsten SortefindetderTrüffelsuchergerademal60bis80 GrammproTag.KeinWunder,dassfürdiesenselte- nenFundSpitzenpreiseaufgerufenwerden. FürFeinschmeckergibtestatsächlichgravierendeQua­ litätsunterschiede,jenachdemzuwelcherGattungdie Trüffelngehören.AuchdasGebiet,indemsiewach­- senoderangebautwerden,spielteinegroßeRolle. •DieWeißeoderAlba-TrüffelkommtimPiemont, inUmbrien,inderToskana,aberauchimkroatischen IstrienundDalmatienvor.DasÄußereistvonweiß- lich-blassgelbersowiebräunlich-rötlicherFarbe.Das InnerehatweißlicheAdern.IhrintensivesTrüffelaro- maverfliegtbeimKochen,siewirdausschließlichroh überSpeisengehobelt.BishersindVersuche,dieWei- ßeTrüffelanzubauen,fehlgeschlagen. •DieSchwarzeoderPérigord-TrüffelistinFrank- reichimPérigordundinderDordogne,inSpanienund Italienzufinden.Inzwischenwirdsieaberauchinden USA,AustralienundNeuseelandangebaut.Ihrknollig dunkelbraunerFruchtkörperhateinefastschwarze SOMMERTRÜFFEL Tuberaestivumistauch beiunsheimisch undkommtsogar häufigvor. IhrTrüffelaromaist nichtsointensiv. Kilopreis:200–600Euro. WINTERTRÜFFEL Tuberbrumale ähneltdemschwarzen Fruchtkörper derPérigord-Trüffel. IhrAdergeflecht istaber imInneren gröber. Kilopreis:600Euro. MÄRZTRÜFFEL Tuberalbidumpico hatgroßeÄhnlichkeit mitderAlba-Trüffel. Auchgeschmacklich kommtsieihr amnächsten. Giltalswertvoll. Kilopreis:1.000Euro ALBA-TRÜFFEL Tubermagnatumwächst inItalienundKroatien. IhrÄußeresisthell undglatt.Sehrintensives Trüffelaroma. Wirdnurrohgegessen. Kilopreis:ca.9.000Euro. PÉRIGORD-TRÜFFEL Tubermelanosporum kommtinFrankreich, ItalienundSpanien vorundkanndieGröße einesApfelserreichen. Ihrintensives Trüffelaromahältsich beimKochen. Kilopreis:2.000Euro. BURGUNDERTRÜFFEL Tuberuncinatumchatin ähneltderPérigord- Trüffel,dennauch siehateinenschwarzen Fruchtkörper. Sieschmecktnach Haselnuss. Kilopreis:200–600Euro. 23
  • 24. » PAPA « D I E K A RTO F F E L SEIT ES MENSCHEN GIBT, BEREICHERT DIE WELTWEITE AUSBREITUNG VON PFLANZEN IHREN SPEISEPLAN. LANGE BEVOR ETWA DER ERDAPFEL ZUM EUROPÄISCHEN SCHLAGER WURDE, KULTIVIERTEN IHN INDIOS IN CHILE. DANN MACHTE SICH DIE HEUTE BEI KÖCHEN WELTWEIT BELIEBTE KNOLLE AUF WELTREISE. I L L U S T R A T I O N - - - E L A S T R I C K E R T Die Kartoffel stammt von Sorten ab, die aus Peru, Venezuela, Argentinien und Chile kommen – in Chile fanden Forscher Spuren der ältesten Wild­kartoffel, sie war 13.000 Jahre alt. Inkas in Chile begannen vor 7.000 Jahren, die Kartoffel systematisch zu kultivieren. Mit der Eroberung des Inkareichs (1531 bis 1536) stießen spanische Eroberer bis zu den Anden vor, dem Anbau­gebiet der Kartoffel. Im Jahr 1562 verließ sie ihre Heimat und machte Zwischenstation auf den Kanarischen Inseln (Spanien). Um 1570 erreichte sie Spanien. Von dort gelangte die Kartoffel nach Italien und breitete sich auf dem europäischen Festland aus. Die Inkas nannten die Kartoffel „Papa“, was übersetzt „Knolle“ bedeutet. Der Begriff „Kartoffel“ stammt vom italienischen „tartufo“, was eigentlich „Trüffel“ bedeutet – zu diesem Namen kommt die Kartoffel, weil sie früher mit dem eben­ falls unter der Erde wachsenden Trüffel verwechselt wurde. 1 2 3 22 20 10 9 7 7 696 45 30 Kartoffeln sind ein Nachtschatten­gewächs wie Tomaten oder Tabak Tierfutter Die weltgrößten Kartoffelproduzenten: (in Millionen Tonnen) Eine Kartoffelernte wird verarbeitet zu: (in Prozent) Nahrungs­ mittel Stärke, Alkohol Saatkartoffeln 40 25 25 10 China Russland USA Bangladesch Niederlande Indien Ukraine Deutschland Frankreich Polen
  • 25. Erstmals belegt ist die Kartoffel in England im Jahr 1596. Dorthin soll sie ohne den Umweg über Spanien gelangt sein; wer sie allerdings einführte, ist nicht bekannt. Aber: Ihre Ausbreitung war in England des besonderen Klimas wegen gut möglich. Die robuste Kartoffel konnte auf steinigen Böden und in Hang­lagen angebaut werden. Britische Inseln Italien Grüne Stellen der Kartoffeln enthalten Alkaloide (z.B. Solanin), ein natürliches Pflanzengift. Sie sind deshalb für den Menschen nicht essbar. Außerdem enthalten sie Vitamin B1, B2, B3, B5 B6, Vitamin C, Eisen, Kalium und Magnesium 100 g bestehen aus: ERDAPFEL HERDÖPFEL AARDAPPEL PATATA POMME DE TERRE POTATO PATATA 78 g Wasser 2 g Eiweiß 16 g Kohlenhydrate 2,1 g Ballaststoffe 1,5 g Mineralstoffe Während der irischen Hungersnot (1845 bis 1852) wurde die britische Kartoffel­ ernte von der Knollenfäule befallen. Eine Million Menschen verhungerten, Millionen Iren wanderten in die USA aus und sorgten dort für den Durchbruch der Kartoffel. In Europa begann 1738 der Anbau in großem Stil: Als König Friedrich II. erfuhr, dass die Kartoffel durch ihren Vitamin-C-Gehalt die Skorbutkrankheit verhindern kann, befahl er massiven Kartoffelanbau. In die Schweiz kam die Kartoffel über Italien wegen ihrer Blütenpracht zuerst als Topf­pflanze. ­ Anfang des 18. Jahrhunderts wurde sie als Speisekartoffel angebaut. Als Rösti fand sie später Einzug in die Schweizer Küche. 6 Nachdem sich die Kartoffel in Europa als Grundnahrungsmittel durchgesetzt hatte, brachten Europäer sie überall mit, wo sie später Fuß fassten, auch nach Afrika. Mittlerweile wird die Kartoffel auf allen Kontinenten in über 130 Ländern angebaut, außer in tropischen, arktischen und subarktischen Klimazonen. Die schwedische Wissenschaftlerin Eva Ekeblad veröffentlichte 1748 ihre Studie zur Herstellung von Brot, Alkohol, Stärke und Puder aus Kartoffeln. Sie trug so zur Verbreitung der Kartoffel als Lebensmittel und Rohstoff für die Kosmetikproduktion bei. 8 9 4 5 7 1647 Spanien Schw eiz Frank reich Deutschl and Schweden Hinter Weizen und Reis ist die Kartoffel heute an dritter Stelle der am meisten produzierten Nahrungsmittel in der Welt. KARTOFFEL 12 3
  • 26. 26 D E F T I G E R S O U N D Z U M G E M Ü S E
  • 27. T E X T _ _ _ I N G A P A U L S E N F O T O S _ _ _ E N V E R H I R S C H 27 R E P O R T A G E K R A F T VO L L E T E X T E , B R U TA L E G I TA R R E N R I F F S , T R E I B E N D E B E AT S – M E TA L H E A D S S I N D D I E H Ä R T E S T E N D E R M U S I K S Z E N E . U N D D O C H S O L L E N S I C H I N D I E S E R C O M M U N I T Y M E H R V E G E TA R I E R U N D V E G A N E R T U M M E L N A L S I N A N D E R E N G E N R E S . M Y T H O S O D E R R E A L I TÄT ? AU F S P U R E N S U C H E B E I M L AU T E S T E N F E S T I VA L D E R W E LT.
  • 28. 1 6 U H R , D I E S O N N E S C H E I N T vom mäßig be- wölkten Augusthimmel, als die fünf Musiker von Hea­ ven Shall Burn die „Harder Stage“ des Wacken Open Air betreten. Das Meer aus Fans jubelt schon vor Be­­geis­terung, bevor die Boxen die ersten Töne über die Köpfe hinwegblasen. Am Nachmittag des dritten Festi­valtags brauchen sie keine Aufwärmphase. Zum lautstarken Mix aus Hardcore-, Death- und Trash-­ Metal-Elementen wird Pogo getanzt. Matsch spritzt. Im­mer wieder entstehen vor der Bühne Moshpits. Gi- gantische Wirbel aus Körpern, die sich – wie bei ­einer wo­chen­lang eingeübten Choreografie – plötzlich in zwei Hälf­ten teilen. Es braucht kein Startsignal des Sän­gers Marcus Bischoff. Wie ferngesteuert stürmen die Kampfeslinien in „Walls of Death“ aufeinander zu und treffen johlend in der Mitte des Infields aufeinan- der. Die Wucht des Aufpralls zieht weite Kreise und ist für mich, die am äußeren Rand steht, noch spürbar, als der Inner Circle schon wieder headbangt. Bischoff grölt sich die Seele aus dem Leib: „We’re fighting to the last, driven by your hate awoken us, no long we surrender“, und Tausende singen mit. Das ist gewaltig und ein bisschen wie ein Krieg aus Klängen. Unvorstellbar für mich, dass die Combo nach dem Auftritt in der Artist-Area die verbrauchten Kalorien mit einem veganen Snack von Maria Perna ausgleichen könnte. Die Wackenerin brät hinter den Ku­lissen des Festivals köstliche Pfannenbrote und Crêpes – auf pflanzlicher Basis, versteht sich –, denn die Thüringer Band ist nur eine von vielen hier, deren Mitglieder vegetarisch oder vegan leben. Dass sich vor der Entwicklerin der Beadonauts-Backmischun- gen jetzt schon wieder eine Menschenschlange bildet, freut die Newcomerin in der veganen Food-Branche sehr. Ja klar, die Zahl der Veganer steigt weltweit. Aber Heavy Metal, ist das nicht Sex, Drugs und Alkohol? Kann man so aggressive Sounds und Texte schreiben, wenn man es eigentlich ablehnt, das Blut von Tieren für ein saftiges Steak vom Grill zu vergießen? „Es gibt unter den Metallern überdurchschnittlich viele Vege- tarier und Veganer. Diese Tatsache haben wir bei der Planung des Festivals miteinbezogen, denn es ist uns ganz wichtig, dass sich Künstler, aber auch die Fans auf dem Open Air in Wacken wohlfühlen“, sagt Hol- ger Hübner, Geschäftsführer der ICS Festival Service GmbH. Und so finden mehr als 75.000 hungrige Me- tal-Fans in diesem Jahr auf dem Gelände neben Bier­ pilzen, Sau am Spieß, Wacken-Nacken und Burgern eine Vielzahl an Buden mit veganem oder vegetari- schem Food. Erstmals ging das Team vom ICS Festival - - - - - W i e d e r i n d i e G u m m i s t i e f e l : F e s t i v a l b e s u c h e r i n n a c h d e m M e t a l -Yo g a . F E S T E S S C H U H W E R K K N U S P R I G E F A L A F E L 28
  • 29. Service sogar noch einen Schritt weiter und flog den YouTube-Star Brian Matthew Manowitz aus Los An­ ge­les ein. Der Amerikaner zelebriert in seinen Koch­ videos Black Metal und Veganismus auf eine skurrile Art und Weise und wird dafür mit traumhaften Klick- zahlen belohnt. Sein Pad-Thai-Video hat mehr als drei Millionen Aufrufe. Seitan-„Chicken“ und Totenschädel aus Kunststoff Im „Foundation Camp“ erkennt man die Wirkungsstät- te des Black Metal Vegan Chef schon von Weitem an der Menschentraube, die sich am Eingang des Zelts gebildet hat. Beim näheren Herantreten mischt sich der Duft von gebratenem Gemüse und Knoblauch dazu. Aus den Boxen dröhnt – wie sollte es anders sein? – ein satter Industrial-Black-Metal-Mix, den Ma­ no­witz selbst produziert. Kunststoff-Totenschädel, Ker­zen und Black-Metal-Accessoires sollen in dem schlicht weißen Zelt Atmosphäre schaffen. Fasziniert beobachtet das Publikum das kuriose Schauspiel in der offenen Garküche. Der Hardcore-Cook – lange, schwarz gefärbte Haare, Kettenhemd, Schulterpan- zer, genretypisches Corpsepaint – brät Paprika und Zucchini in einer Pfanne an und knetet nebenbei ei- nen Seitanteig. Routiniert bohren sich seine schwarz lackierten Finger immer wieder in die gräulich-beige- farbene Masse. Mit gutturaler Stimme erklärt er seine Zutatenauswahl und Zubereitungsschritte. Er scherzt mit dem Publikum, wirft wenig später den vorbereite- ten Teig in den mit Eisenstacheln verzierten Kochtopf, verrührt in einer anderen Silberschale Gewürze, Chili­ soße und lässt die blutrote Tunke mit diabolischem Grinsen vom Löffel tropfen. Nebenbei erzählt er, wie er zum YouTube-Koch wurde. „Ich wollte möglichst vielen Menschen auf der Welt zeigen, dass es ganz einfach ist, richtig gute Gerichte aus rein pflanzlichen Zutaten zuzubereiten. Weil ich die Cooking-Show im US-Fernsehen langweilig fand, habe ich mir ein Kon- zept überlegt, das mich als Zuschauer begeistern wür- de. Ich war selbst über die vielen Aufrufe überrascht und habe dann einfach so weitergemacht. Und jetzt wurde ich deshalb sogar auf diese großartige Party nach Deutschland eingeladen. Einfach fantastisch!“ Die Show ist nicht so düster und überzogen wie Bri­ans YouTube-Sessions, aber unterhaltsam und lehr­reich. Und was ihm am wichtigsten ist: Der Geschmack über­­zeugt die Zuschauer. Man muss schon fix sein, wenn man etwas von den immer wieder rumkreisen­ den Kostproben erhaschen will. Auch Johannes, der dank seiner mit Patches übersäten Kutte und dem kahl - - - - - D ü s t e r e H ü l l e , n e t t e r I n h a l t : J o h a n n e s i s t T i e r f r e u n d u n d P e c h k e k s e m a c h e n N a s c h k a t z e n g l ü c k l i c h . K L A R E S T A T E M E N T S S C H W A R Z E R H U M O R 29 R E P O R T A G E
  • 30. 30
  • 31. - - - - - D e r B l a c k M e t a l Ve g a n C h e f i n s p i r i e r t d i e F a n s b e i m S h o w - C o o k i n g . B a c k s t a g e v e r w ö h n t M a r i a P e r n a d i e K ü n s t l e r m i t i h r e n f r u c h t i g - s ü ß e n v e g a n e n C r ê p e s . S H O W - C O O K I N G S Ü S S E S S E E L E N F O O D 31 R E P O R T A G E
  • 32. ­geschorenen Kopf auf den ersten Blick wie ein ­tou­gher Rocker wirkt, hebt strahlend den Daumen nach oben und sieht gleich nicht mehr so finster aus. Der Ham- burger ist durch und durch Veganer und kocht seit Jahren Gerichte aus Manowitz’ Videos. „­Meine Freun­de packen für so ein Wochenende allenfalls Bier, Wurst und Steaks in die Kühltasche. Ich nehme mir immer eine eigene Grundausstattung an Gemüse­auf­stri­chen und anderen pflanzlichen Produkten mit. Aber davon werde ich einiges wieder nach Hause schleppen, denn in diesem Jahr sind hier viele gute Essensmöglichkei­ ten für mich“, lacht er und tunkt einen frittierten Seitan­happen in die scharfe Soße. Metaller, so sagt er, seien ein lebendes Beispiel für den Spruch „harte Schale, weicher Kern“. Die De-la-Rocha-Brüder von Rage Against the Machine, Kirk Hammett von Metal­li­ ca, „Geezer“ Butler von Black Sabbath – alles Veganer. Alissa White-Gluz von Arch Enemy und ­Mille Petrozza, Frontman seiner Lieblingsband Kreator, seien sogar Botschafter von PETA. „Ich lerne hier immer wieder Gleich­gesinnte aus aller Welt kennen, die eigentlich al- les boykottieren, was aus Massentierhaltung stammt, und auf nachhaltige Lebensmittel achten“, sagt er. Das bestätigt mir auch Brian Manowitz in einem Ge- spräch nach der Show. Auf meine Frage, warum es ausgerechnet in dieser eher aggressiv anmuten­den Region des Musikuniversums so viele Menschen gibt, die aus ethischen Gründen konsequent auf Tierisches verzichten, erklärt er: „Eigentlich hat fast jeder, der das Leid von Schlachtvieh im Fernsehen oder sogar live erlebt, ein schlechtes Gewissen und nimmt sich vor, weniger oder nie wieder Fleisch zu essen. Aber du brauchst einen starken Charakter, um wirklich dau­­er­haft vegan zu leben. Metaller stehen mit ihrem Musikgeschmack und ihrem Look ohnehin abseits des Mainstreams. Sie sind trainiert darin, ihr Ding durch- zuziehen und so manchen blöden Spruch aus dem Umfeld an sich abprallen zu lassen“, erklärt Brian. Der 36-Jährige erinnert sich noch gut daran, wie er im Alter von 17 Jahren am College einen Film über die Fleisch­produktion in Amerika schaute und beschloss, seine Ernährung umzustellen. „Ich war nur einige Mo- nate Vegetarier, dann habe ich auch auf Milch Co. verzichtet und in der Zeit jede Menge Diskussionen mit Freunden und Verwandten geführt.“ Heute lebt er „vegan straight edge“. Das bedeutet, er lässt von Alkohol, Drogen und jedem Produkt, für das ein Tier leiden muss, die Finger. Selbst seine diabolisch wir- kende Gesichtsbemalung und das Show-Outfit sind vegan. - - - - - O b s t f a n a u s Ü b e r s e e : S a s k i a T h o d e a u s B r o o k l y n g i b t t ä g l i c h M e t a l -Yo g a k u r s e i m „We l c o m e t o t h e J u n g l e “ - Z e l t . L A U T S T A R K E K Ü N S T L E R C H A R A K T E R - K Ö P F E 32
  • 33. So strikt wie Brian sind allerdings an diesem Wochen- ende die wenigsten. Promillehaltigen Getränken wird kräftig zugesprochen. Von einem langhaarigen Hünen aus Bayern erfahre ich dann auch, dass nach deut- schem Reinheitsgebot gebrautes Bier vegan ist, aber das ist sicherlich nicht sein Kriterium, denn er isst zum Gerstensaft gerade einen Fleischspieß. Auch treffe ich auf meinem Streifzug vorbei an den acht Bühnen nicht wenige, die sich an Falafel-Taschen, veganen Flamm- kuchen, Gemüserollen oder Veggieburgern ein­fach nur laben, weil sie schlichtweg Appetit auf Grünzeug haben. Auch am Stand von Seneka Wichmann sind viele „Flexitarier“ Stammkunden. Der blonde Michel zum Beispiel isst gewöhnlich Fleisch und Fisch, aber die veganen und vegetarischen Speisen der Lübecke- rin schmecken ihm so gut, dass er sich von Donners- tag bis Sonntag durch die gesamte Karte essen will. Heute ist er bei Gericht Nummer sieben angekommen, doch der hauchdünne Pfannkuchen mit mediterra­nem Gemüse und Ziegenkäse ist bereits ausverkauft. „Die Nachfrage bei mir ist in diesem Jahr viel größer als in den letzten vier Jahren. Dabei habe ich deutlich mehr Buden mit fleischlosen Snacks gesehen“, berichtet ­Seneka. Robin aus Kassel hat schon auf vielen Musik-­ Festivals für „Vegetarix“ vegane Gemüse-Reis-Pfannen und Falafel verkauft und sagt: „Je extremer die Musik- richtung, desto mehr verkaufen wir. Hier läuft es rich- tig gut. Warum auch nicht? Metal und Vegan ist für mich kein Gegensatz. Die Musik ist vielleicht, wie der Slogan dieses Open Air schon sagt, ,louder than hell‘, aber die Community ist total friedlich und gut drauf.“ Mandeln und Metal-Yoga Extrem laut geht es auch im „Welcome to the Jungle“-­ Zelt zu. Saskia Thode aus Brooklyn lädt hier an je- dem Festivaltag zu kostenlosen Metal-Yoga-Lessons ein. Zu brachialer Musik verbiegt sich die tätowierte Power­frau in kriegerisch anmutenden Asanas, springt und rennt auf der Stelle und zeigt den Teilnehmern, wie man yogisch headbangt. Jede Anweisung wird mit tief verstellter Stimme in das Headset-Mikro­fon ge- sprochen. Growling ist typisch für Black Metal. Immer wieder streckt sie die Arme in den Himmel, ballt die Fäuste und spreizt dann den kleinen und den Zeige- finger zum Wacken-Gruß ab, jubelt ekstatisch und an die hundert verschwitzte Metal-Fans tun es ihr nach. In diesem Moment wirkt die Yogalehrerin fast wie die Frontfrau einer Death-Metal-Band. Nur wenige Minu- ten später steht sie Wasser trinkend vor mir und lä- chelt mich mit fröhlichem Blick an. - - - - - M e t a l - F a n m i t K r i e g s b e m a l u n g i s s t e i n v e g a n e s F l a d e n b r o t . „ E i n f a c h , w e i l ’ s s c h m e c k t ! “ B O C K A U F G E M Ü S E D U R S T A U F B I E R 33 R E P O R T A G E
  • 34. 34
  • 35. Saskia ist ein besonderes Gewächs dieser musikali- schen Subkultur. Schon ihre Eltern haben das Wacken Open Air besucht, sie hat überall auf der Welt Freunde in der Metal-Szene, ist mit den härtesten Bands per Du und dabei so bodenständig und freundlich, dass ich fast irritiert bin. Wir sprechen über meine Reporta- ge und ich erfahre, dass auch die 33-Jährige sich über- wiegend von Gemüse, Obst, Nüssen, Hülsenfrüchten und pflanzlichen Drinks ernährt. Aus denselben Grün- den wie fast alle Veganer, aber auch weil sie merkt, wie viel besser es ihr damit geht. „Wenn ich Fleisch gegessen habe, hat mich das irgendwie müde und schwer­fällig gemacht. Seit ich mich pflanzlich ernäh- re und auch auf sämtliche Fertigprodukte verzichte, habe ich viel mehr Energie.“ Ich muss dennoch wissen, warum sie als Frau, die im wahrsten Sinne des Wortes nicht mal einer Fliege etwas zuleide tun kann, beim Metal-Yoga mit so lauter Musik, düsteren Liedtexten und teilweise schauerlichen Gesten arbeitet. „Metal will provozieren, umstrittene Themen ansprechen, keine heile Welt vorgaukeln. Auch beim Metal-Yoga schauen wir auf die dunklen Seiten in uns, schreien Wut und Frustration auch mal raus. Die schnellen ­Beats und die kraftvollen Bewegungen helfen dabei, das enge Korsett des Alltags zu sprengen. So eine Stunde ist ein richtiges Ventil für den Druck der Ge­ sellschaft und total befreiend“, sagt sie und ergänzt: „Ich gebe auch ruhige Yoga- und Meditationskurse, aber dieses hier macht einfach glücklich.“ DieKursteilnehmer,dieihreStundebiszumEndedurch­­ gehalten haben, sehen zwar ziemlich verschwitzt, aber auch zufrieden aus. Wir verabschieden uns. Saskia will noch zu einem Auftritt einer befreundeten Band und muss vorher dringend etwas essen. Mit weit aus- holenden Schritten marschiert sie durch den Matsch Richtung VIP-Area. Maria brät im Artist-Be­reich gleich wieder ihre veganen Crêpes, die will Saskia diesmal nicht verpassen. - TI GESCHÄTZTE 100.000 METALHEADS AUS ALLER WELT PILGERN JEDES JAHR ZUM „HOLY GROUND“ NACH WACKEN UND FEIERN IHRE MUSIK - - - - - M u s i k a l s M a r k e : D a s W O A - L o g o i s t o m n i p r ä s e n t . V I E L E F O L L O W E R W A C K E N - L O G O 35 R E P O R T A G E
  • 36. G R U N D D E S L E B E N S E R R E G U L I E R T DA S K L I M A U N D B E E I N F L U S S T G L O B A L E S T O F F K R E I S L Ä U F E . O H N E I H N G I B T E S K E I N T R I N K WA S S E R U N D K E I N E N A T Ü R L I C H E N N A H R U N G S M I T T E L . E L F FA K T E N Ü B E R D E N B O D E N U N T E R U N S E R E N F Ü S S E N .
  • 37. 37 W I S S E N STEIN UND SAND Knapp ein Drittel des Erdman- tels ragt über den Meeresspiegel hinaus. Das sind immerhin 150 Mil­lio­nen Quadratkilometer. Weite Tei­le davon bestehen ausschließ- lich aus kargem Stein oder losem Sand, also Gebirgen und Wüsten. In gemäßigten Klimazonen bietet der Erdboden sehr gute Voraus­ set­zungen für eine üppige Vege- tation. Wie etwa in den meisten Regionen Europas. MILBEN UND ASSELN Zwei Drittel aller existierenden Ar- ten leben unter der Erdober­flä­che. Dazu gehören Asseln, Spinnen und Wür­mer ebenso wie Pilze, Milben und Bakterien. Unter einem Hek- tar Landfläche tummeln sich rund 15 Tonnen Bodenlebewesen. Der Be­griff „Humus“ bezeichnet be­son­ ders fruchtbare Ober­böden. Eine Handvoll eines solchen Bodens ent­hält mehr Mikroorganismen, als Menschen unseren Planeten ­bevölkern. GNOME UND ELFEN Gelehrte der Antike entwickelten die Vier-Elemente-Lehre: Feuer, Was­­ser, Luft und Erde galten als die „Wurzeln aller Dinge“. Im Mit­ tel­alter ordnete der Arzt und Alchi- mist Paracelsus den vier Elemen­ten bestimmte Geister zu. Demnach wird das Element Erde durch den Gnom verkörpert. Zur Gruppe der Gnome zählen auch Wurzelwichte, Trolle, Irrwische, Feen und Elfen. All diese Erdgeister teilen sich eine gemeinsame Aufgabe: die Schätze von „Mutter Erde“ zu bewachen. ZOOLOGIE UND BOTANIK Moderne Wissenschaftlerwie Was­ sili Dokutschajew und Charles Darwin etablierten die Boden­kun­ de im 19. Jahrhundert als eigen­ stän­digen Wissenschaftszweig. Da sich die Bodenkunde stark aus an­ deren Fachgebieten speist (z.B. Che­mie, Geologie, Botanik, Zoo- logie und Mineralogie), gilt sie als­ ­interdisziplinäre Wissenschaft. An­- ders­herum spielen die Erkenntnis- se der Bodenkundler eine wichtige Rolle für die Ökologie sowie für die Forst- und Agrarwirtschaft. SPEICHER UND FILTER Nach den Weltmeeren ist der Land­ boden der größte und wichtigste Kohlenstoffspeicher der Er­de. Die „dünne Erdhaut“ bindet um ein Vielfaches mehr Karbon als die ge- samte lebende Biomasse. Dadurch beeinflusst der Boden das Klima so­wie globale Stoffkreisläufe. Au- ßerdem filtert er das Regenwasser, um es über das Grundwasser ge­ reinigt und trinkbar wieder in Um- lauf zu bringen. WATT UND GLEY Böden werden allgemein als „Lo- ckerdecken“ definiert, die von der Erdoberfläche bis zum Gestein reichen. Doch Erdboden ist nicht E R D E T E X T _ _ _ M I C H E L E A V A N T A R I O FOTOS:REINHARDHUNGER;STYLING:CHRISTOPHHIMMEL
  • 38. 38 gleich Erdboden: Wissenschaft und Industrie verfügen über umfang­ reiche Kataloge zur Klassifizierung von Bodentypen – grob katego­ risiert gibt es Land- und Grund­ was­serböden, subhydrische Bö­ den und Moore. In den einzelnen Ab­teil­ungen finden sich zahlreiche wei­tere Bodentypen, die zum Teil illustre Namen wie Terra rossa, Kollu­visol und Haftnässepseudo- gley tragen oder schlicht Watt, Strand und Knickmarsch heißen. Sie alle unterscheiden sich in ihren Bestandteilen, in ihrer Körnung und Dichte sowie in ihrem Wasser- gehalt und im Porenvolumen. BÖDEN UND BAUERN Die Geschichte der Landwirtschaft reicht bis in die Jungsteinzeit zu- rück. Vor etwa 12.000 Jahren gin- gendieJäger-undSammlerkultu­­ren dazu über, frühe bäuerliche An­­bau­ techniken anzuwenden Auf ver- schiedenen Kontinenten beacker­ ten sesshaft gewordene Menschen erstmals das Erdreich unter ihren Füßen. Bodenformen, die der land- wirtschaftlichen Nutzung dienen, werden heute als Kulturböden bezeichnet. Kulturböden machen gerade einmal ein Zehntel der Erd- oberfläche aus, liefern uns aber die Grundlage für mehr als 90 Prozent aller Nahrungsmittel. HUMUS UND BIOMASSE Doch was eigentlich macht einen Bo­den wirklich fruchtbar? Den größ­­ten Einfluss darauf haben Korn­­größe, pH-Wert, mineralische Zusammensetzung und der Anteil der organischen Substanz. In ve­ge­­ ta­tionsreichen Regionen, wo viel Biomasse zersetzt wird, entsteht am meisten fruchtbarer Humus. Doch was so einfach klingt, be- nötigt eine Menge Zeit: Um eine Schicht von wenigen Zentimetern gesunden Bodens zu erzeugen, braucht die Natur sage und schrei- be einige Jahrhunderte. Und das gelingt nur, wenn man sie dabei auch in Ruhe lässt. VERSCHMUTZUNG UND VERGIFTUNG In den vergangenen 50 Jahren hat sich die landwirtschaftliche Nut- zung weltweit verdreifacht. Die KULTURBÖDEN MACHENEINZEHNTELDERERDOBERFLÄCHE AUS.SIELIEFERNABER GRUNDLAGEFÜRMEHRALS90PROZENT ALLERNAHRUNGSMITTEL. Ü B E R I R D I S C H Knapp ein Drittel des Erdmantels ragt über den Meeresspiegel. Große Teile davon bestehen aus Stein und Sand. U N E R S ÄT T L I C H Nach den Weltmeeren ist der Landboden der größte Kohlenstoffspeicher der Erde.
  • 39. 39 ­da­für verwendete Fläche ist jedoch in der gleichen Zeit kaum gewach­ sen. Intensive Landwirtschaft be­ las­tet das Erdreich, zum Beispiel durch den erhöhten Einsatz von Dün­ger und Pestiziden. Die Folgen sind Versauerung und Auslaugung, Ver­schmutzung und Vergiftung. Auf diese Weise haben europäische Kul­ tur­böden inzwischen rund die Hälf- te ihrer Fruchtbarkeit eingebüßt. ZEHRER UND MEHRER Die umweltfreundliche Alternative heißt extensive Landwirtschaft. Da­bei wird weitgehend auf synthe­ ti­sche Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger verzichtet. Das führt zwar zu geringeren Erträgen, er- hält aber langfristig den gesunden Boden. Eine jahrtausendealte Me­ tho­de zur nachhaltigen Nutzung von Kulturböden ist die sogenannte Fruchtfolge beziehungsweise Fel­ der­wirtschaft. Nach dieser Tech­ nik werden die Äcker, anders als in der heute verbreiteten Monokultur, nicht pausenlos ganzflächig be­ wirt­schaftet. So können Teile des Felds eine Saison lang brach lie- ­ gen, um sich zu erholen und neue Nährsalze für die nächste Sai- son auszubilden. Eine bestimmte Reihenfolge der nach­einander an- gebauten Pflanzen erhält außer- dem die Bodenqualität. Bei der Fruchtfolge unterscheidet man zwi- schen Humuszehrern (Halmfrüch- te, also Getreide) und Humusmeh- rern (Blatt­früchte wie Raps, Rüben und Kartoffeln). Die einen geben, was die anderen nehmen – und der Acker bleibt im Gleichgewicht. EXISTENZ UND ERDGEISTER Laut Forschung steht der Mensch- heit künftig immer weniger land- wirtschaftliche Nutzfläche zur Ver- fügung. Doch unser Boden ist der Grund, auf dem alles Leben ­gedeiht, ein Schatz von unermess­lichem Wert also. Bei seiner Bewah­rung dürften Paracelsus’ Erd­geis­ter alle Hände voll zu tun haben. Wir soll- ten ihnen diese Aufgabe nicht allein überlassen. - TI BEIDERFELDERWIRTSCHAFT WERDENDIEBÖDEN NICHTPAUSENLOSGANZFLÄCHIG BEWIRTSCHAFTET.SAISONWEISEKÖNNENSIE SICHSOERHOLEN. W I S S E N E R S C H Ö P F T In den vergangenen 50 Jahren hat sich die landwirtschaftliche Nutzung weltweit verdreifacht. F R U C H T B A R In vegetationsreichen Regionen, dort also, wo viel Biomasse zersetzt wird, entsteht am meisten Humus. W E R T V O L L Unser Boden ist der Grund, auf dem alles irdische Leben gedeiht, ein Schatz von unermesslichem Wert. FOTOS:KAIWEISE;STYLING:KERSTINRICHTER
  • 40. I N D E R W U R Z E L L I E G T D I E K R A F T I n k a r g e n Z e i t e n w a r e s d i e N o t w e n d i g k e i t z u ü b e r l e b e n . I n u n s e r e n T a g e n e r h a l t e n W u r z e l n , S c h a l e n , S t i e l e u n d S t r ü n k e e i n e A u f w e r t u n g a l s k u l i n a r i - s c h e D e l i k a t e s - s e . S i e s c h m e c k e n n i c h t n u r b e s o n d e r s a r o m a t i s c h , i n i h n e n s t e c k e n a u c h j e d e M e n g e g e s u n d e r N ä h r s t o f f e . V i e l z u s c h a d e , u m s i e w e g z u s c h m e i - ß e n . H O C H G E K O C H T T E X T _ _ _ J E S K O W I L K E LEAF TO ROOT HEISST DER KULINARISCHE TR END, BEI DEM VOM BLATT BIS ZUR WURZEL ALLE PFLANZENTEILE GENUTZT WERDEN. FÜR KR EATIVE ­KÖCHE EINE QUELLE DER INSPIR ATION. M I T S T U M P F U N D S T I E L
  • 41. FOTOS:PLAINPICTURE/H.SALACH(L.);PLAINPICTURE/MÜGGENBURG(R.) WER SELBST SCHON GEMÜSE ANGEBAUT HAT, versteht den Leaf-to-Root-Gedanken sofort. Es steckt viel Liebe und Mühe in so einem Garten: Man freut sich über jeden Keim, hegt die jungen Setzlinge, hält Schädlinge fern, um schließlich kräftige, gesunde Pflanzen heranwachsen zu sehen – und zu ernten! Klar, dass man respektvoll mit den Feldfrüchten um- geht und möglichst alle Pflanzenteile nutzt, die man der Erde abgerungen hat. Früher war das kein Trend, sondern überlebensnotwendige Praxis: Nichts wurde weggeworfen, alles fand Verwendung. Heute steht die Leaf-to-Root-Idee für Respekt vor der Natur. Das war auch Antriebsfeder der Food-Jour­na­ listin Esther Kern: Im Jahr 2014 hat sie auf ihrer Web- site waskochen.ch eine Aktion für verschmähte Ge- müseteile ins Leben gerufen und diese „Leaf to Root“ genannt. Sie wurde damit zur Mitbegründerin einer Ess­kultur mit einer Fülle kreativer Rezepte, in denen Schalen, Stiele und Strünke nicht als Abfall, sondern als wertvolle kulinarische Ressourcen betrachtet wer- den. Der Begriff „Leaf to Root“ hat sich inzwischen in der Food-Welt etabliert, nicht zuletzt weil 2016 das im deutschsprachigen Raum gleichnamige – mittler­weile mehrfach prämierte – Buch erschienen ist. Esther Kern hat es in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Sylvan Müller und dem Koch Pascal Haag realisiert. ENTDECKE DIE MÖGLICHKEITEN Nehmen wir das Karottenkraut: Wer sagt, dass man das frische Grün wegwerfen muss? Niemand! Gut so, denn das Kraut ist eine super Basis für Green-Smoo- thies oder Pesto und schmeckt hervorragend, wenn man es frittiert und salzt. Pfirsich- und Aprikosen­ kerne eignen sich zum Aromatisieren von Desserts und Speiseeis. Melonenschalen lassen sich wunderbar zu Chutneys und Konfitüren verarbeiten und Kartoffel­ schalen kann man im Ofen zu knusprigen Chips ba- cken. Selbst Artischockenblätter und Stiele finden bei Leaf-to-Root-Fans Verwendung: Sie werden zu einem schmackhaften Süppchen veredelt. PROFIS PUSHEN DEN NEUEN TREND Weil das Ungewöhnliche kreative Geister anzieht, ist es nicht verwunderlich, dass viele Spitzenköche von der Leaf-to-Root-Idee fasziniert sind. In der Top-Gas­ tro­nomie haben vegetarische Kreationen Fleisch und Fisch ohnehin den Rang streitig gemacht. Beim New Green Cooking wird Gemüse zum Mittelpunkt einer ex­travaganten und gesunden Küche. Autorin Esther Kern hat dazu für ihr Nachschlagewerk („Leaf to Root – Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel“, AT Verlag 2016) viele Beispiele zusammengetragen: Daniel Achilles zum Beispiel, der vielfach prämierte Koch, verwendet in seinem Berliner Restaurant „Reinstoff“ Dahlienknol- len, Erbsenblüten und Rapsgrün. Stefan Wiesner vom Schweizer „Rössli“ („Der Hexer aus dem Entlebuch“) experimentiert in seiner avantgardistischen Natur- küche mit Tomatenrispen, Apfelkernen und Karot- tenkraut, während Heinz Reitbauer, Meis­ter­koch des Wiener „Steirereck“, Artischockenstängel und Wal- nussblätter verarbeitet. Sternekoch Fabian Spiquel vom „Maison Manesse“ in Zürich nutzt gar Schalen mit Erde daran. Dafür schält er noch leicht dreckige Kar- toffeln, röstet die Schalen und kocht sie dann mit den Kartoffeln. „Dadurch erhält die Consommé einen pu- ren, erdigen Kartoffelgeschmack“, schwärmt Fabian Spiquel im Buch „Leaf to Root“. KÖCHE SOLLTEN ERST BAUERN WERDEN Johann Reisinger, einer der höchstdekorierten Köche Österreichs, ist bekannt für seine radikal natürliche Küche. Im Buch „Leaf to Root“ rät er Jungköchen und ambitionierten Amateuren, die sich intensiver mit der Idee befassen wollen: „Die sollten erst Bauern wer- den, um überhaupt zu verstehen, woher das Gemüse kommt, wie es wächst.“ Wer alle Teile eines Gemüses verwenden möchte, so Reisinger im Gespräch mit Buch­autorin Esther Kern, sollte eine Regel beherzigen: Kaufe deine Zutaten nur bei Bauern, die du persön­lich kennst und denen du vertraust. Du musst dich näm- lich darauf verlassen können, dass sie keine Spritz- mittel verwenden, denn Giftstoffe lagern sich häufig gerade in äußeren Blättern und Wurzeln ein. „Für mich ist ein Lebensmittel immer auch ein Spiegelbild des Men­schen, der es produziert“, sagt das Mitglied der Arche-Kommission zur Erhaltung und Vermehrung aus­sterbender Produkte. Das Abenteuer Leaf to Root beginnt also nicht in der Küche, sondern auf dem Feld. VORSICHTIG HERANTASTEN Wer Leaf to Root ausprobieren möchte, sollte sich vorsichtig an den Ernährungstrend herantasten. Ins- besondere wer es nicht gewohnt ist, größere Mengen Ballaststoffe zu essen, sollte es am Anfang nicht gleich übertreiben, um Magengrimmen und Darmstörungen vorzubeugen. Voraussetzungen sind zudem Kennt- nisse und Erfahrungen in der Gemüseküche sowie ein gutes Kochbuch. Grundsätzlich gilt: Alle Produkte sollten biologisch angebaut und frei von Spritzmittel- rückständen sein. Und noch ein Tipp: Junges Gemüse ist für Anfänger am besten geeignet, weil die Fasern noch weicher und verdaulicher sind. WARNUNG Nicht alle Pflanzenarten sind für die Leaf-to-Root-An- wendung geeignet. Tomatengrün und grüne Bereiche der Kartoffelschale zum Beispiel enthalten vermehrt Solanin, ein Glykoalkaloid mit leicht toxischer Wir- kung, das in allen Nachtschattengewächsen enthal­ ten ist. - TI 41
  • 42. 42 V I E L L E I C H T L I E G T E S D A R A N , dass mein Kaf- fee in den Anden biologisch angebaut und fair trade gehandelt wird. Ich möchte das gerne glauben, denn irgendeinen Grund muss es haben, dass die Kaffee­ filter am besten auf die japanischen Mikroorganismen reagieren, die ich zusetze. Viel besser jedenfalls als die Tomatenreste, Bananen- und Avocadoschalen, die ­Salate und das alte Brot. Eierschalen zersetzen sich auch eher langsam, bestehen aber zu 90 Prozent aus Kalk und sind daher für die Qualität meines Bodens unerlässlich. Ja, es ist so: Ich stelle eigene Erde her. Hervorragende Erde, wie man sie sonst nur in der Magdeburger Börde oder den Schwarzerdegebieten der südlichen Ukraine findet. Dabei ist mein Acker viel kleiner – und trotzdem schluffig und gleichzeitig ­locker, mit hoher Wasserleitfähigkeit, leicht erwärm- bar und, aufgrund meines hohen Eierkonsums, mit ho­hem Kalkgehalt. Er ist etwa drei Quadratmeter klein, die Erde liegt auf Europaletten mit selbst gebau­ ter Umrandung – und zwar auf meinem Balkon. Der wiederum ist groß. In Zeiten internationaler Fußball- wettbewerbe kann ich ein Sofa, einen Grill und einen T E X T _ _ _ P H I L I P P K O H L H Ö F E R E R D E S E L B E R H E R S T E L L E N – D A S K L I N G T V E R R Ü C K T U N D Ü B E R F L Ü S S I G Z U G L E I C H , S C H L I E S S L I C H G I B T E S D O C H E R D E Ü B E R A L L . D A S S T I M M T A B E R N I C H T . D E N N V O N H U M U S K A N N M A N N I C H T G E N U G H A B E N . A N G E N E H M E R N E B E N E F F E K T : M A N S E L B S T F Ü H L T S I C H A U C H B E S S E R . R E I N E M U T T E R E R D E H A U S G E M A C H T
  • 43. FOTOS:KAIWEISE;STYLING:KERSTINRICHTER 43 Fernseher darauf stellen und es ist immer noch genug Platz. In den Jahren dazwischen stelle ich Boden her. Ich benutze dazu meinen Biomüll. Der fällt ohnehin an, weil ich gerne Obst und Gemüse und Salat esse. Die klein geschnittenen und zerstampften Reste sprü- he ich mit Mikroorganismen ein, damit sie fermentie- ren. Das Prinzip ist dasselbe, das aus Kohl Sauerkraut macht. Die Fermentierung dauert vier bis sechs Wochen und findet in einem luftdichten Plastikeimer statt, den ich mit den Mikroorganismen in Japan bestellt habe – dem sogenannten Bokashi-Eimer. Japaner, wurde mir er­klärt, fermentieren gern, weil 1982 ein Professor ei­ ner Inselgruppe zwischen Japan und Taiwan bei dem Ver­such, die Bodenfruchtbarkeit der Inseln zu ver­ bes­sern, zufällig entdeckte, dass Gras besser wuchs, wenn er eine bestimmte Mischung aus Milchsäure, Hefen und Fotosynthesebakterien auf einen Haufen kippte. Ich kenne keine Japaner, finde die Vorstellung aber nett, dass Millionen Leute im Großraum Tokio Roboter und Spielkonsolen bauen, im Herzen aber lie- ber Landmenschen wären und sich im Büro über Reis­ vergammelung in einem Plastikeimer unterhalten. Der Eimer hat einen Siebeinsatz, durch den die Flüs­ sig­keit abfließen kann, die bei der Fermentierung ent- steht. Das Sickerwasser stinkt säuerlich, das riecht ge­wöhnungsbedürftig, sonst ist der Vorgang geruchs- neutral. Weil die Flüssigkeit aber ein biologischer Ab- flussreiniger ist, der auch einen verstopften Abfluss freibekommt, kann ich den Geruch gut aushalten. Während die Reste in meinem Eimer fermentieren, pflanze ich auf meinem aus Europaletten gebauten Acker Gras an. Das ist leicht: Blumensamen und Vo­gel­ futter kaufen, dick ausstreuen, warten. Zwar wird ein Teil der Körner gefressen, aber selbst die hungrigs­ten Vögel schaffen nicht alles. So entsteht eine Blumen- wiese durchsetzt mit Gräsern, die ich nicht übermäßig wässere. Die Wurzeln werden dadurch länger, sind ­toleranter gegen Trockenheit und können Mineralstof- fe besser aufnehmen. Sind die Essensreste einmal durchfermentiert, ent­ steht eine graue Masse. Nach wenigen Wochen gra- be ich den Rasen um und mische diese Masse ein. Der Rest passiert von selbst: Kontinentales Klima herrscht auf meinem Balkon meistens vor, semihumid ist es in Hamburg sowieso – das bedeutet, dass die Niede­ rschlags­menge im Jahresmittel in bis zu neun Monaten über der Verdunstungsmenge liegt. Ich habe mir außer- dem Regenwürmer gekauft, bei einem Betrieb in Bran- denburg: Der preußische Regenwurm ­beschleunigt den Prozess der Humusbildung enorm. Es klappt zwar auch ohne Würmer. Ich aber mag es, wenn es im Acker wimmelt. Würmer ziehen nämlich alle anderen Arten von Insekten an. Und alle bleiben immer schön vor der Tür. Keine einzige Hummel war in meiner Küche. Die Herstellung von Humus ist eine Sache von Mona­ ten, nicht von Wochen. Gute Schwarzerde herzustel­ len dauert auf meinem Balkon einen Sommer. Es geht auch dann nicht schneller, wenn man exzessiven Ge- brauch von den Mikroorganismen macht, das weiß ich, weil ich die erste Flasche sofort auf die Masse ge- geben habe, als es mir zu langsam ging. Nachteil der Würmer: Unter Umständen muss man sie im Winter mit einer Plane abdecken, damit sie nicht erfrieren. Schließlich ist mein Balkon-Acker nicht besonders tief. Und noch ein Nachteil: Als Gesprächsthema auf einer Party eignet sich die Wurmhaltung nur bedingt. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der mich attraktiv oder in­ter­es­sant fand, weil ich Humus auf dem Balkon herstelle. Das Gegenteil ist der Fall. Die meisten Men- schen gehen davon aus, dass ich nicht gesund bin im Kopf. Ich nehme ihnen das nicht übel, das Thema ist vermutlich zu speziell. Dabei mache ich mir die Arbeit nur, weil ich a) mit dem Anspruch erzogen worden bin, nichts wegzuwerfen, was noch benutzbar ist, und b) eigentlich faul bin. Ich hatte keine Lust, meine Ab- fälle in den Hausmüll zu werfen, Bioabfälle wollte ich auch nicht sammeln, weil das stinkt. Humus auf dem Balkon gibt mir ein gutes Gefühl. Es kursiert nämlich ein großes Missverständnis dort drau­ßen, es besagt, dass es genug Boden gibt. In Wirk­lichkeit aber ist guter Boden so gefährdet wie Pan­zer­nas­hörner und Tiger. Das Problem ist nicht neu: Es gibt die These, das Römische Reich sei des­we­gen zu­sam­men­gebrochen, weil seine Böden ausge­laugt waren. In Zeiten industrieller Landwirtschaft und gro- ßer Mono­kulturen geht allerdings mehr fruchtbarer Boden verloren als jemals zuvor in der Geschichte. Seit 1945 summiert sich die durch Erosion verloren ge­gan­gene Fläche auf eine Größe, die etwa derjeni- gen von China und Indien entspricht. Durch natürliche Witterung entsteht dagegen nur etwa ein Zentimeter Boden neu. In hundert Jahren. Mit Recht könnte ich nun also behaupten, dass ich als Bodenhersteller am Fortbestand der Menschheit ar­ bei­te. Schließlich kann man ohne Boden schlecht Le­ bens­mittel herstellen. Vielleicht ist das die Ge­schich­ te, die ich auf der nächsten Party erzählen sollte. Die Regenwürmer kann ich später immer noch ins Spiel brin­gen. Oder ich mache eine Start-up-Geschichte da­raus: Crafted Humus. Biologisch in St. Pauli herge­ stellt, garantiert ohne Torf und Trockenlegung von Feucht­gebieten. Beste Qualität, mit Liebe produziert, zu kaufen in einem Glas mit buntem Schleifchen, ideal für den Hipster im gentrifizierten Stadtviertel. Ich su- che gleich Wochenmärkte heraus. - TI N Ä H R R E I C H E R K A L K E i e r s c h a l e n i m K o m p o s t e n t f a l t e n i h r e W i r k u n g a m b e s t e n , w e n n m a n s i e v o r h e r i n k l e i n e S t ü c k c h e n z e r r e i b t .
  • 44. G E M Ü S E , B E E R E N , P I L Z E , K R ÄU T E R – WA S DA S E R D R E I C H H E RVO R B R I N G T, I S T S C H O N P U R E I N E C H T E R G E N U S S . M I T D I E S E N V I E R Z U B E R E I T U N G S M E T H O D E N E N T S T E H E N AU S D I E S E N Z U TAT E N H I M M L I S C H E G E R I C H T E . A U S G U T E M G R U N D T E X T _ _ _ I N G A P A U L S E N F O T O S _ _ _ R E I N H A R D H U N G E R S T Y L I N G _ _ _ C H R I S T O P H H I M M E L AUSGUTEMGRUND 44
  • 45. 45 Z U B E R E I T U N G
  • 46. 46 Das Fleisch muss dünn geschnitten sein, damit es in wenigen Minuten gar ist. Ein Päckchen aus geöltem Pergamentpapier schützt vor unangenehmen Sandkörnern auf dem Gargut. BEACH-BARBECUE FÜR DAHEIM: WER STR ANDSAND ERHITZT, K ANN DARIN FEINSTES FLEISCH- UND FISCHFILET IN WENIGEN MINUTEN ZUBEREITEN. G A R E N I M S A N D B E T T W E N N D I E S O M M E R H I T Z E D I E L U F T F L I R R E N L Ä S S T, brauchen Urlauber meist Flip-Flops, um ohne Schmerzen über den Strand zum Wasser zu laufen. Die feinen Körner aus Quarz und anderen Mineralien speichern die Sonnenstrahlung, heizen sich auf und speichern die Wärme über Stunden. Auch wenn die Sonne bereits untergeht, gibt das Material noch Hitze an die Umgebung ab. Diese Eigenschaft kann man sich für die Zubereitung von Lebensmitteln zunutze machen. Zartes Fleisch oder Fisch können – geschützt durch dünnes Küchenpergament – in einem Bett aus aufgeheiztem Sand in wenigen Minuten gar ziehen. Das funktioniert nicht nur bei einem sommerlichen Urlaub am Mittelmeer, sondern auch wenn Sie den Strandsand für mehrere Minuten bei hohen Temperaturen in der Pfanne braten. Unglaublich? Dann probieren Sie es einfach aus. S O G E H T ’ S : { { 1 Füllen Sie eine große gusseiserne Bratpfanne (beschichtete Pfannen verkratzen leicht) bis einen Zentimeter unter dem Rand mit Strandsand (ersatzweise Sandkistensand aus dem Baumarkt). Erhitzen Sie die Pfanne auf höchster Stufe. Gelegentliches Umrühren sorgt für eine gleichmäßige Hitze. Inzwischen schneiden Sie zartes Fleisch- oder Fischfilet in dünne Scheiben (circa 0,5 bis 1 Zentimeter). Nehmen Sie vier DIN A4 große Blätter Küchenpergament und -ölen Sie diese mit Oliven- oder Rapsöl ein. 2 Legen Sie 3 bis 4 Fleisch- oder Fischscheiben in die Mitte jedes Blatts und aromatisieren es mit Meersalz, Kräutern und Gewürzen. Dann falten Sie das Pergament zu einem gut verschlossenen flachen Päckchen (es darf kein Sand direkt auf das Gargut gelangen). Die Päckchen werden nun auf einen Teil des heißen Sands gelegt und mit dem restlichen Sand zugedeckt. Nach circa 7 Minuten ist das Gargut fertig und kann zum Servieren aus dem Sandbett gehoben werden.
  • 47. 47 Z U B E R E I T U N G AUSGUTEMGRUND
  • 48. 48 AUSGUTEMGRUND 48 Z U B E R E I T U N G
  • 49. 4949 J E D E R K E N N T S I E A L S B A C K- O D E R G R I L L S T E I N – Granit, Basalt und Marmor sind exzellente Energiespeicher. Sie speichern hohe Temperaturen und geben diese rasch an das Gargut ab. Was unbekannt ist: Diese Gesteinsarten sind auch ausgezeichnete Kältespeicher und dienten vor Jahrhunderten als archaische „Kühlboxen“. Heute nutzt man diesen Effekt, um zum Beispiel Getränke zu kühlen. Statt einen guten schottischen Whiskey mit schmelzenden Eiswürfeln zu verwässern, trinkt man den Drink lieber „on the rocks“ – mit Kältesteinen aus Granit serviert. In der Gastronomie nutzt man die Frostwirkung des natürlichen Materials eher für den Showeffekt beim Servieren von süßen Speisen. Eiskreationen lassen sich wunderbar auf einer im Gefrierfach vorgekühlten Steinplatte zubereiten und anrichten. S O G E H T ’ S : { { FINALES COOL-DOWN: AUF EISK ALTEN STEINPL ATTEN L ASSEN SICH FEINSTE DESSERTS ZUBEREITEN UND SERVIEREN. K Ü H L E N A U F S T E I N 1 Legen Sie die gereinigte Steinplatte für mehrere Tage in das Eisfach Ihres Kühlschranks. Bereiten Sie aus Milch, Sahne, Eigelb und Zucker eine Eismasse vor. Verfeinern Sie das Grundrezept mit aromatisierenden Zutaten wie Vanillemark, Beeren, Nüssen oder Gemüse (z.B. Rote-Bete-Eis mit karamellisierten Möhren, siehe Booklet). Stellen Sie die vorbereitete Eismasse in den Kühlschrank, damit diese herunterkühlt. Gelegentliches Umrühren hält die Creme bis zum Servieren geschmeidig. 2 Bereiten Sie die Beilagen für das Eis vor. Nehmen Sie die Granitplatte aus dem Gefrierfach und gießen dann die Eismasse dünn auf die glatte Oberfläche. Sobald die cremige Flüssigkeit durch die niedrigen Temperaturen eindickt, nehmen Sie einen kalt abgewaschenen Spatel oder flachen Löffel und schaben damit hauchzarte Eisspäne zu kleinen Eishaufen zusammen. Richten Sie das Eis mit den Beilagen auf vorab gekühlten Tellern an. Sofort servieren. Durch pürierte Rote Bete erhält die Basiseismasse die himbeerrote Farbe. Damit das Eis eine feste Konsistenz bekommt, werden schaumig geschlagenes Eigelb und Zucker unter die Masse gerührt. Leckere Beilage: karamellisierte Möhren.
  • 50. 50 P I L Z E W A C H S E N I N D E R H O C H S A I S O N I N H Ü L L E U N D F Ü L L E . Leider lassen sich die empfindlichen Hüte nicht lange lagern. Eine gute Methode, um die Ausbeute länger genießen zu können, ist das Trocknen im Ofen. Dabei wird dem Lebensmittel Wasser entzogen und so die Haltbarkeit um einige Wochen erhöht. Für die Trocknung geeignet sind Steinpilze, Butterpilze, Stockschwämmchen, Maronen, Birkenpilze, Anis-Champignons oder Herbsttrompeten. Erfreulich für Nordeuropäer: Anders als beim Frischlufttrocknen ist man bei dieser Konservierungsmethode un­abhängig von der Witterung. Im Glas verpackt kann die Ernte mehrere Monaten verwendet werden. S O G E H T ’ S : 1 Die Pilze müssen sauber sein, bevor sie für die Lagerung getrocknet werden. Idealerweise entfernt man Sand und Blätter direkt an der Sammelstelle, bevor man die Pilze in einem luftigen Beutel oder Korb transportiert. Zu Hause sollten Sie die Hüte mit Küchenkrepp reinigen. Große Exemplare in dünne Scheiben schneiden, kleine halbieren. Anschließend werden die geschnittenen Pilze locker auf einem mit Back­papier ausgelegten Backblech verteilt. 2 Der Ofen wird vorab auf eine Temperatur von 40 bis 50 Grad erhitzt. Während der Trocknung die Ofentür leicht geöffnet lassen, damit die Feuchtigkeit entweicht. Nach etwa 5 Stunden sind die Steinpilze fertig. Getrocknete Lebensmittel lagern Sie am besten in gut verschließbaren Gläsern an einem dunklen, trockenen Ort. Tipp gegen Parasiten: Geben Sie eine Prise Pfeffer ins Glas und schütteln Sie die Pilze dann kräftig durch. { { Getrocknete Steinpilze müssen vor der Zubereitung in Wasser gelegt werden, damit sie aufquellen. Sie sind köstlich zu Omelette (siehe Rezept-Booklet), Pasta oder als Suppeneinlage. PIL ZE, KR ÄUTER UND VIELE OBST- UND GEMÜSESORTEN L ASSEN SICH WUNDERBAR TROCKNEN. DAS ERGEBNIS ÜBER ZEUGT DURCH GESCHMACK UND GUTE HALTBARKEIT. T R O C K N E N I M B A C K O F E N
  • 51. 5151 AUSGUTEMGRUND Z U B E R E I T U N G
  • 52. 52 AUSGUTEMGRUND Z U B E R E I T U N G
  • 53. 53 F O R M B A R E E R D M AT E R I A L I E N W I E T O N O D E R L E H M nutzte man vor Jahrhunderten zum Einwickeln von Nahrung und legte diese dann auf heiße Glut. So hat sich traditionelles Kochgeschirr wie etwa der Römertopf oder die Tajine entwickelt. Die Vorteile: Im Ton schmoren Fleisch, Gemüse, Kartoffeln und Fisch auf sanfte Art im Backofen. In diesem geschlossenen System verbinden sich Gewürze, Inhaltsstoffe und Wasser zu einem geschmackvollen Sud, der das Gargut aromatisiert. Fett ist bei dieser Zubereitung nicht nötig (siehe Rezept „Huhn im Ton“). Nutzt man Töpferton, kann man das vorbereitete Gericht in der „Verpackung“ sogar einige Stunden aufbewahren oder transportieren. Ein weiteres Plus der ­Technik: Nach dem Verzehr kann das Material – ganz ökologisch – auf dem Kompost entsorgt werden. S O G E H T ’ S : { IN EINER HÜLLE AUS ERDE GART FLEISCH, FISCH ODER AUCH GEMÜSE SANFT IM EIGENEN SAFT – FÜR EIN INTENSIVES AROMA UND EINEN HOHEN GEHALT AN VITAMINEN. I M T O N G E S C H M O R T Ideal für die Packung: Tobinambur und anderes Wurzel- und Knollengemüse gelingen besonders gut. Wer das Material nicht mit den Fingern zu flachen Platten formen will, nutzt am besten eine Glasflasche zum Ausrollen. 1 Kaufen Sie frischen Ton im Töpfer- oder Bastelladen. Für ein mittelgroßes Hähnchen mit Beilagen (siehe Rezept-Booklet) brauchen Sie mindestens 3 Kilo. Nachdem Sie die Zutaten vorbereitet haben, sollten Sie den Ton kräftig durchkneten. Für das Hähnchen brauchen Sie circa die Hälfte der Gesamtmenge. Sie muss zu zwei dünnen Platten gerollt werden. Legen Sie den Ton dafür zwischen Frischhaltefolie, so klebt er nicht am Nudelholz fest. 2 Das Hähnchen wird mittig auf die Tonplatte gelegt und dann mit der anderen Platte bedeckt. Dann müssen die Ränder mit den Fingern verschlossen werden. Auch Beilagen werden mit Ton umhüllt. Anschließend gart alles auf einem mit Backpapier ausgelegten Blech bei 180 Grad (Umluft) im Back­ofen. Nach circa 1,5 Stunden ist das Huhn fertig und kann mit einem Hammer aus der Tonkruste herausgeklopft werden. {
  • 54. G A N G P A R A T E X T _ _ _ P H I L I P P K O H L H Ö F E R M I T T E N I N S O U T H C E N T R A L L O S A N G E L E S N U T Z T E I N T- S H I R T- D E S I G N E R D E N PA R K S T R E I F E N VO R S E I N E M H AU S , U M G E M Ü S E A N Z U B AU E N , DA S M I N D E S T E N S S E I N V I E R T E L R E T T E N S O L L . S E I N E D E V I S E : E C H T E G A N G S T E R Z Ü C H T E N T O M AT E N . 54
  • 55. S T A S D I S E P O R T R Ä TFOTOS:ELIZABETHWEINBERG/TRUNKARCHIVE 55
  • 56. P O R T R Ä T A M D I E N S TA G kommt Ron Finley aus Schweden, wo er darüber geredet hat, dass Kohl möglicher­weise die Rettung ist, und am Donnerstag muss er einen Ver­kaufsstand für Pfirsiche bauen, den er am ­Sams­tag benutzen will, weswegen er am Mittwoch schnell noch Freundschaft schließen muss mit einer Nachba- rin zwei Blocks weiter, die ihm Material dafür leihen soll. Am Freitag ist seine Motivation daher gering, vor seinem Haus von einem Rastafrisurträger mit Skate- board in eine Diskussion über den Sinn seiner Arbeit verwickelt zu werden. Er sagt: „Yo man, fuck off.“ Ron Finley baut Obst und Gemüse an. Er betreibt Ur- ban Gardening mitten in South Central Los Angeles, das seit Jahren nur noch South L.A. heißt, weil das we­niger nach Bloods und Crips und Mara Salvatrucha klingt, nach Gang-Gewalt, die wieder zugenommen hat in den letzten Jahren. Er sagt, wenn Leute etwas wissen wollen, dann erkläre er es ihnen gerne, aber er missioniere nicht. „Jeder“, sagt er, „muss selber darauf kommen.“ Darauf kommen, dass Obst und Gemüse gesund sind. Vor seinem Haus auf dem Parkstreifen, der eigentlich der Stadt gehört, wachsen Bananen und Feigen, Zi­ tro­nen und Tomaten, Mangold, ein paar Blumen. Zwei Kom­post­haufen hat er angelegt, eine Sitzgelegenheit aus Baumstämmen gebaut, die von einem Rondell aus Zweigen umschlossen und mit diversen Kräutern be­wach­sen ist. Der Platz ist schattig, die Luft feucht, die Temperatur merklich niedriger als auf den Grund­ stü­cken der Nachbarn. Insekten schwirren durch die Gegend. Nebenan brennt die Sonne, die umliegenden Park­ways sind Graswüste, genauso tot wie der Beton der Straße. „Ich baue gar kein Gemüse an“, sagt Finley, das sieht nur so aus.“ Er pflückt einen Pfirsich. „Was bei mir wächst, ist Hoffnung.“ Er sieht auf die Uhr, wird Zeit, noch einen Stuhl abzu- schleifen, gleich kommen Patric und John, Freiwillige aus dem Viertel, die ihm helfen bei seinem Projekt, das er unbescheiden nach sich benannt hat: Ron Fin- ley Project (RFP). Das RFP ist eine Non-Profit-Orga­ni­sa­ tion und will die Welt retten, mindestens, durch den An­bau von Gemüse. Finley sagt: „You wanna change some­thing, you have to change the soil.“ Ein doppel­ deutiger Satz, es ist nicht ganz klar, was er meint, aber das ist Absicht. Der Boden, auf dem das Gemüse wächst, oder der Boden der Gesellschaft? Und ist das eine vielleicht nur zu ändern, wenn man das andere ändert, zumindest in South L.A.? Finley will das nicht näher erläutern, er mag es so, weil dann jeder verste- hen kann, was ihm am besten passt. Dass er beides verbinden will, ist aber klar: Er nennt sich Gangster Gardener. Auf seinem T-Shirt steht: „Plant some shit.“ Gangster sein, sagt er, bedeute eben nicht, dass man kleinkriminellen Mist mache, Supermärkte überfalle, mit Drogen deale oder gar Menschen töte. „­Gangster denken mit.“ Er fragt: Muss das System wirklich so sein, wie es ist? Menschen würden ihm ständig sagen, dass er ein kritischer Denker sei. Er lacht. „Warum“, fragt er, „weil ich Obst anbaue?“ Er lacht noch mal, lau- ter, länger, so, als könne er selber nicht glauben, was er gerade gesagt hat. „We gotta flip the script of what a gangster is.“ Könne ja wohl nicht sein, Freak zu sein, nur weil man in einer ärmeren Region der Stadt Äp- fel essen will. Und wenn man das erkannt habe, dann müsse man das eben ändern. Er sagt: „I’m a doer.“ Und dann fährt Ashleigh vor. Zack, zack, sagt sie, ­Finley soll sich endlich um den Stand kümmern und nicht so viel reden, ist nicht mehr lang bis zum Wochenende. Sie regelt seine Presseangelegenheiten und organi- siert Stände, auf denen Finley den Jugendlichen des Vier­tels zeigt, was das überhaupt ist: eine Tomate. Oder, noch verrückter: eine Tomatenpflanze. Ashleigh hat eine zehn Zentimeter lange Narbe am Hals. Stich- verletzung. „Knast“, sagt sie und winkt ab, sie hat es ja überlebt. „Das liegt daran, dass bei uns nur der Staat mit Drogen handeln darf.“ Und dann wechselt sie das Thema: „Sehen die Melonen hinterm Haus nicht schön aus?“ Sie verschwindet im Haus. Der Parkstreifen vor dem Haus ist nur ein kleiner Teil von Finleys Garten. Auf seinem Grundstück ist alles be­pflanzt. Hinterm Haus in einem großen Swimming- pool, in dem schon lange nicht mehr geschwommen wird, wachsen nicht nur Melonen, sondern Dutzende verschiedene Pflanzen in allen möglichen Behältern: in Einkaufswagen, Tonkrügen, Müll­tonnen und in Snea­kers, alten Turnschuhen, die sonst als Grenzen des Territoriums verschiedener Street-Gangs dienen und über Straßenlaternen hängen. Finley hat Paletten be­pflanzt und aufgeschnittene Milchtüten, er zieht Pflan­zen in Polstermöbeln und in einem alten Fern­ seher. Alles, was Erde tragen kann, ist erwünscht und wird benutzt. Hin und wieder kommen Schulklassen vorbei. Finley zeigt seinen Garten und erzählt, dass al­les ein Kreislauf sei und wir auch nur ein Teil dessen seien. Und wenn er sagt, dass ein Mensch zu 50 Pro­ zent dieselbe DNA habe wie eine Banane, und die Kin- der große Augen machen, dann sagt er sofort: „I know it sounds like some hippie shit“, und alle lachen. Aber der Hintergrund ist ihm ernst. Denn wenn man die Struktur des Viertels verändern wolle, dann könne es ja wohl nicht sein, dass man nur den Namen des Stadt­teils ändere: „Nur Menschen können die Struktur verändern.“ „We“, sagt er und breitet die Arme aus. Er steht vor der Sonne und mit ihr im Rücken sieht er ein bisschen aus wie ein Prediger, „we are the soil.“ Und die Qualität des Bodens sei schließlich entscheidend für das, was auf ihm wächst. Finley sagt: „Gemüse an­ bauen ist wie eigenes Geld drucken.“ Gardening, sagt er, sei das Therapeutischste, was man überhaupt ma- chen könne. Schließlich gebe man den Jugendlichen „PLANT SOME SHIT.“ 56
  • 57. M I T G E M Ü S E D I E W E L T R E T T E N M i t e i n e m P a r k s t r e i f e n v o r d e r T ü r f i n g a l l e s a n . I n z w i s c h e n h a t i h n R o n F i n l e y i n e i n e b l ü h e n d e O a s e v e r w a n d e l t . B a n a n e n , F e i g e n , Z i t r o n e n u n d To m a t e n w a c h s e n d o r t . A u c h a u f s e i n e m G r u n d s t ü c k i n e i n e m v e r r o t t e t e n S w i m m i n g p o o l , i n a l t e n P o l s t e r m ö b e l n u n d M i l c h t ü t e n z i e h t F i n l e y O b s t u n d G e m ü s e . U n d w i l l d a m i t z e i g e n , d a s s e t w a s S i n n v o l l e s , K r a f t v o l l e s e n t s t e h e n k a n n , w e n n m a n n u r a n p a c k t . D a s R o n F i n l e y P r o j e c t ( R F P ) w i l l M e n s c h e n h e l f e n , d i e w e d e r G e l d n o c h e i n e P e r s p e k t i v e h a b e n . F i n l e y s M o t t o : „W e n n d u e t w a s ä n d e r n w i l l s t , m u s s t d u d e n B o d e n ä n d e r n . “ FOTOS:EMILYBERL/REDUX/LAIF;EMILYBERL/NYT/REDUX/LAIF
  • 58. P O R T R Ä T G R Ü N E O A S E S T A T T B E T O N W ä h r e n d ü b e r d e r k a r g e n N a c h b a r s c h a f t v o n S o u t h L . A . u n b a r m h e r z i g d i e S o n n e b r e n n t , h e r r s c h t b e i R o n F i n l e y s u b t r o p i s c h e s K l i m a . D i e P f l a n z e n p r a c h t s p e n d e t S c h a t t e n u n d F e u c h t i g k e i t . U n d s i e w ä c h s t w i r k l i c h ü b e r a l l – w i e h i e r i n e i n e m a u s r a n g i e r t e n E i n k a u f s w a g e n . ­einen Wert, Selbstwertgefühl; alles, was sie bräuch- ten, sei eine Aufgabe. Er sagt: „Und man bekommt Erd­beeren umsonst dazu.“ Und wenn Gemüseanbau erst mal Gangster ist, erst mal cool, dann soll sich mittelfristig nicht nur die Sozi- alstruktur des Viertels ändern, das ist zumindest Fin- leys Plan, sondern in der Folge auch der Rest. Er sagt: „Wovon ich rede, ist Folgendes: für Menschen Arbeit zu bekommen und Kids weg von der Straße.“ Finley glaubt, dass auch die Mikroökonomie im Viertel sich ändern würde, wenn sich die Menschen gesünder er- nährten. Dass es andere Geschäfte gäbe. Tatsächlich dominieren in seiner Nachbarschaft in Crenshaw bisher Fast-Food-Läden, fast 1.000 gibt es in South Central, dazu kommen noch Liquor ­Stores. „Das“, sagt Finley, „ist ja in keiner Weise nachhaltig.“ Was gut läuft an lokalem Business, sind Second-­Hand- Märkte für Rollstühle und Krücken. Die Nachfrage ist entsprechend hoch, die Kundschaft zwar gebrechlich, aber noch nicht besonders alt, sondern einfach nur be­sonders schwer. In South L.A. gibt es die höchste Dichte an Dialysezentren in der Stadt und fünfmal mehr Übergewichtige als in Beverly Hills, das gerade mal 20 Kilometer entfernt liegt. Nebenan rattert die Bahn, neu gebaut, es gibt eine Hal­te­stelle, die wenig genutzt wird. Der Zug fährt bis Santa Monica, wo es an jeder Ecke einen Bio-Super­ markt gibt. Von dort, wo Finley wohnt, dauert es 45 Minuten mit dem Auto zu einem Supermarkt, der Äpfel führt. „Hier“, sagt er, „gibt es mehr Tote durch Drive-­throughs als durch Drive-bys.“ Mehr Tote durch Dia­betes und Fettleibigkeit, weil es an jeder Ecke Fast- Food-Läden gibt, als durch Schießereien. „It’s a food desert“, sagt er. Und: „Was ich gemacht habe, war Notwehr.“ Und die begann 2010. Finley bepflanzte den Park­ strei­fen. Der ist zwar im Besitz der Stadt, die Anwoh- ner müs­sen ihn aber pflegen – ob sie einfach das Gras mä­hen oder eine Hecke setzen, das stand nirgends. Er überlegte: Was will ich am liebsten essen? Was könnten die Nachbarn mögen? Finley war von Beginn an klar, dass er alles bepflanzen will und am Ende zu viel Obst für sich selber hätte. Der Plan war immer, die Nachbarn einzubeziehen. Es war sowieso nicht sein Land, warum hätte er alles für sich behalten sollen? Er sagt: „Everything we do is free.“ Zusammen mit einer Handvoll Helfern pflanzte er Karotten an. Er war zu­ frie­den. Es war nicht nur gesund, es sah auch schön aus. Schließlich ist er Designer, er legt Wert auf Optik, sagt: „Gardening is my graffiti.“ Gemüse anzu­bauen ist für ihn nicht nur gesund, es ist seine Form der Kunst – und es veränderte das Mikroklima vor seinem Haus. Neun Monate lang interessierte das niemanden. Dann bekam Ron Finley Post. Absender: die Stadt Los An­ ge­les. Er habe den Parkstreifen nicht ordnungsgemäß gepflegt, er müsse den Garten entfernen, sofort. Soll- C55H72O5N4MG 58