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Über die Sichtbarkeit von Geschichte: Elsbeth Stagels Schwesternbuch von Töss und
Fritsche Closeners Straßburger Chronik
Michael Neecke
Abstract
The object of this study is the visibility of history in late medieval German chronicles. The
method applied here is transdisciplinary: research on literary texts overlaps with Hegel’s
determinate negation and contemporary Visual Culture studies. The article shows the gap
between the mystifying visuality in Elsbeth Stagel’s sisterbook of Töss and the disenchanting
gaze of Fritsche Closener’s town chronicle of Strasbourg. This gulf is semantically related
with a pre-modern distinction between the sacred and the profane to be found in these texts.
Apodiktisch formulierte es bereits Bento de Espinosa 1674 in einem Brief an Jarig Jelles:
‘determinatio negatio est’ (Spinoza 1924: 240). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts von einem
vormaligen Insassen des Tübinger Stifts repetiert: ‘Dieser Satz ist von unendlicher
Wichtigkeit’ (Hegel 1986: 121), wurde die Formel für einige Zeit zum logischen Fundament
von Geschichte. Mit der epistemischen Produktivität bestimmter Negation beschäftigt sich
auch der folgende Beitrag. Untersucht wird aber nicht die Denkbarkeit, sondern die
Sichtbarkeit von Geschichte, genauer gesagt: die Sichtbarkeit von Geschichte in
volkssprachlichen Chroniken des Spätmittelalters. Gegenwartsbezogene Denkfiguren der
‘Visual Culture Studies’ werden hierfür auf zwei um 1350 entstandene mittelhochdeutsche
Texte angewendet: zum einen die 1362 abgeschlossene Straßburger Chronik des Fritsche
Closener und zum anderen das Tösser Schwesternbuch der Elsbeth Stagel (gestorben etwa
1360).1
‘[Z]ones of contact among heterogeneous formations of knowledge’ mit
zwischenstaatlichen Beziehungen analogisierend (Steinmetz 2007: 56), soll hier
transdisziplinär verfahren werden: Wissensformen und fachliche Disziplinen werden dabei
nicht als kugelförmig geschlossen imaginiert, erkenntnisleitendes Paradigma ist vielmehr das
vorgängige Verflochtensein derselben.2
Keineswegs sind das Sichtbare und das Sagbare, wie
oft behauptet: ‘on a beau dire ce qu’on voit, ce qu’on voit ne loge jamais dans ce qu’on dit’
(Foucault 1966: 25), kategorial voneinander getrennt. Nicht nur W.J.T. Mitchell (1984)
wendet sich gegen einen solchen ‘visuellen Essentialismus’:
The act of looking is profoundly ‘impure’. First, sense-directed as it may be, hence, grounded
in biology (but no more than all acts performed by humans), looking is inherently framed,
framing, interpreting, affect-laden, cognitive and intellectual. Second, this impure quality is
2
also likely to be applicable to other sense-based activities: listening, reading, tasting, smelling.
This impurity makes such activities mutually permeable, so that listening and reading can also
have visuality to them (Bal 2003: 9).
Auch ein Zusammen von Gegenwartsbezug und historischem Erkenntnisinteresse scheint
möglich: Was diese Studie interessiert, ist gerade ‘die Konstellation, in die [die] eigene
Epoche mit einer ganz bestimmten früheren getreten ist’ (Benjamin 1980: 704),3
das
Arretieren eines dialektischen Bildes, auf Vergangenheit und Gegenwart gleichermaßen
bezogen (Tiedemann 1983). Eine Einheitswissenschaft, deren Holismus nur das Ganze für
wahr hält, wird aber nicht angestrebt.
Ich beginne mit dem Tösser Schwesternbuch. Statt auf die Frage zu antworten, was ein
Schwesternbuch im Kontext von Chroniken und Geschichte verloren hat, verweise ich auf
das Lemma ‘Sisterbooks’ (Kümper 2010) in der jüngst von Graeme Dunphy
herausgegebenen Encyclopedia of the Medieval Chronicle. Dieser deiktische Notbehelf
illustriert zunächst freilich nur einen Widerspruch von gegenwärtigen Wissenskulturen:
Während die englischsprachige Forschung traditionell den Schwerpunkt auf die
historiographischen Elemente der Schwesternbücher legt (historiae fundationum
monasteriorum), betonen deutschsprachige Wissenschaftler die hagiographische
Ausrichtung der dort zu findenden exempla (Lewis 1996: 50-54). Einen Ausweg aus dem
Zirkel zeige ich nicht, dem einen Widerspruch wird vielmehr mit einem weiteren begegnet:
Die Sichtbarkeit der Geschichte lässt sich gerade in den hagiographischen Partien des Tösser
Schwesternbuchs finden. Der Hinweis, dass sich diese Passagen doch mit geistlichen
Gegenständen beschäftigen, ist berechtigt: Ereignisse der politischen Geschichte finden
‘[v]or den Mauern des Klosters’ statt (Oehninger 2003: I, 15). Einige von diesen werden
aber innerhalb dieser Begrenzung wahrgenommen und im Schwesternbuch verzeichnet, etwa
die Schlacht von Winterthur, die am 13. April 1292 auf dem Tössfeld stattfand, der Ebene
zwischen dem Siechenhaus St. Georgen und dem Kloster Töss, also im wahrsten Sinne des
Wortes ‚vor den Mauern des Klosters‘. Was diese Schlacht betrifft, wird im Schwesternbuch
die Notwendigkeit des Friedensgebets herausgestrichen: vor Beginn der Kampfhandlungen
in der Lebensbeschreibung der Elsbet Schefflin (23,25-24,6), nach diesen im Bericht von
Jzi Schulthasin (77,9-78,32).
Da hier über Sichtbarkeit und Geschichte gehandelt wird, interessiert zunächst einmal
die erste Textstelle. Wenn dort über die Sorgen der Nonnen wegen der absehbaren
Gewalttaten berichtet wird: ‘kumer von ains urlúges wegen’ (23,25), stehen Sehen und
Sichtbarkeit im Zentrum der Erzählung. Während die Nonnen zur heiligen Nothelferin
Margarethe beten, ist im Chor eine so helle Lichterscheinung zu sehen, dass manche
3
befürchten, die Kirche wäre in Brand geraten: ‘di forchtend das der kor enbrunnen wer’
(23,29). Elsbet Schefflin, die verspätet zum Friedensgebet erscheint, fragt eine Mitschwester
daraufhin, zu wem denn gerade gebetet worden sei. Als diese es ihr verrät, fällt Elsbet voller
Schuld auf die Knie ‘und tett och das selb gebett’ (23,33-24,1). Ein ‘innere[r] Blitz’ lässt sie
die Notlage erkennen: Ihre Not ist jetzt aber nicht mehr der nahe Krieg, sondern die
Gebetsversäumnis (Oehninger 2003: I, 81). Schwester Elsbet vermag daraufhin nicht mehr
ohne Hilfe der anderen Schwester aufzustehen, liegt dreizehn Wochen krank darnieder und
erklärt schließlich, ‘das sy Sant Margret bestrafet het’ (24,4). Dass das Schwesternbuch
dieser Erklärung nicht widerspricht, versteht sich von selbst: Vergleichbare Erscheinungen
und Visionen sind in der Nonnenliteratur des 14. Jahrhunderts keineswegs selten (Wilms
1923: 184-230). Sichtbarkeit erscheint hier als Teil von Erfahrung. Das geschichtliche
Ereignis wird im Verlauf eben dieser Erfahrung ins Geistliche verschoben: Man kann von
einer ‘Mystifikation’ des Blicks sprechen.
Die Entstehung der dominikanischen Schwesternbücher hat Walter Blank (1962) im
Anschluss an eine Arbeit von Georg Kunze (1953) als Verfallsgeschichte der Erfahrung
dargestellt,
die sich vom eigenen Erleben über das allmähliche Versickern der außerordentlichen Gnaden
zum argwöhnischen Beobachten und zum offenen Neid der Mitschwestern hinzieh[t], um
schließlich in der literarischen Fixierung zu enden. (Blank 1962: 119)
Blank vermutet eine regelrechte Jagd nach göttlichen Gnadenerweisen. Um Auskunft über
das Leben der Schwestern zu erhalten, habe man in den dominikanischen
Schwesternkonventen des 14. Jahrhunderts die Kranken und Sterbenden oft furchtbar
belästigt und gequält: ‘Diese dreiste Zudringlichkeit und diese inquisitorischen Methoden
haben etwas Erschütterndes und tief Bedenkliches an sich’ (Blank 1962: 99). Als inhaltliches
Korrelat zu dieser Entstehung wird eine bedauerliche Verflachung der Schwesternbücher
festgestellt, deren Bericht von außergewöhnlichen mystischen Erlebnissen nur mehr auf das
äußerlich Sichtbare abziele. Zu konstatieren sei eine Erstarrung des visionären Geschehens
und dessen Verlegung in literarische Topoi, die lediglich noch dazu dienten, die persönliche
Heiligkeit derer zu unterstreichen, die mit diesen Visionen begnadet waren. Insgesamt könne
eine durchgehende Trivialisierung der theologischen Sinngehalte bemerkt werden und ein
Verlust des Eigentlichen, d.h. der mystischen Erfahrung: ‘Das Originale ist geschwunden’
(Blank 1962: 146).
Es war dann Siegfried Ringler (1980), der die von Kunze und Blank formulierte
Verfallsgeschichte als fragwürdig zurückgewiesen hat: Dass sich in den Nonnenviten keine
4
Echtheit des Erlebens finden lässt, sieht Ringler als ein notwendiges Kennzeichen ihrer
legendenähnlichen Struktur, nicht als Verweis auf ein unerfülltes Dasein der Schwestern.
Der scheinbare Mangel an Erfahrung sei als Eigentümlichkeit der literarischen Verfasstheit
der Schwesternviten zu begreifen:
Die Fixierung in Bildern literarischer Herkunft widerspricht nicht unbedingt einer
Grundlegung im realen Erleben und Erfahren einer bestimmten Person, wie umgekehrt ein
solches reales Erleben und Erfahren aber auch nicht vorausgesetzt werden muß. (Ringler 1980:
354)
Die Frage, ob es sich bei den bildhaften Erfahrungen im Tösser Schwesternbuch um echte
Erlebnisse oder bloß um visuellen Schein handelt, wird im Folgenden weitgehend
ausgeklammert. Ganz lässt sich der Rekurs auf den problematischen Begriff der Erfahrung
aber nicht vermeiden, spielen doch Erfahren und Erleben der Schwestern auf Ebene der
Erzählung zweifellos eine sehr große Rolle. Intradiegetisch erscheint das Kloster Töss sogar
regelrecht, um einen Begriff der modernen Gesellschaftsanalyse zu gebrauchen, als
‘Erlebnisgesellschaft’ (Funke 2000: 305-331): Einmal läuft das Jesuskind allein im Kloster
herum (45,4-6), das andere Mal wird der göttliche Knabe von seiner Mutter zu einer der
Schwestern gebracht (88,23-31), die heilige Ursula lässt sich mitsamt ihren elftausend
Jungfrauen im Chor der Kirche sehen (21,22-28),4
die eine Schwester empfängt die
Wundmale Christi (65,15-20), die andere darf aus der Brust der Himmelskönigin Milch
trinken (54,18-28) usw. Blanks Deutung, dass hier eine Überdosis visuellen Scheins an die
Stelle echter Erfahrung getreten ist, erscheint auf jeden Fall plausibel. Befördert nicht auch
heute die voranschreitende Ästhetisierung der Lebenswelt (Bubner 1989) gleichermaßen
visuelle Übersättigung und Gier nach Erfahrung? (Steiner 1994: 132) Mit dem Konzept
‘Erlebnisgesellschaft’ ist in der soziologischen Theorie der Gegenwart jedenfalls eine recht
ähnliche Entwicklungshypothese verknüpft: ‘Wie Medikamentenabhängige sich an ihren
Stoff gewöhnt haben, seien es Tranquilizer oder Aufputschmittel, so die
Erlebniskonsumenten an die tägliche Ration psychophysischer Stimulation’ (Schulze 1993:
543). Obgleich in Schulzes grundlegender Arbeit die Rolle der Visualität nur am Rande
reflektiert wird, scheint deren große Bedeutung für die heutige Gesellschaft offensichtlich.
Die in der Lebensbeschreibung von Schwester Elsbet Schefflin bemerkte
Verschiebung ins Geistliche erfolgt jedenfalls im Bereich der Sichtbarkeit.5
Das am Anfang
stehende historische Ereignis der Schlacht auf dem Tössfeld wird im Verlauf dieser
Verschiebung aufgehoben oder negiert, wobei ‘aufheben’ hier gleichermaßen vernichten (‘to
abolish’), erhalten (‘to preserve’) und auf eine höhere Stufe bringen (‘to lift up’) meint. Im
5
Bericht von Schwester Jzi Schulthasin ist diese Aufhebung sogar noch deutlicher zu
erkennen: Während die Auseinandersetzung zwischen habsburgischen Truppen und einem
Aufgebot der Reichsstadt Zürich im Bericht über Elsbet Schefflin einfach als ‘ain[] urlúg[]’
(23,25) bezeichnet wird (weshalb man die Hilfe der Kommentatoren braucht, um das
dahinterstehende Ereignis identifizieren oder zumindest erahnen zu können),6
heißt es hier:
‘der strit vor Wintertur’ (77,9). Verlauf, Umstände oder gar Hintergründe der
Auseinandersetzung werden zwar auch dieses Mal nicht eigens geschildert, was die
Auswirkungen auf das Kloster betrifft, wird jedoch ein genaueres Bild entworfen: Die
‘heißen’ Kampfhandlungen sind, so erfahren wir, bereits vorbei, ein vorläufiger Friede ist
vereinbart: ‘das urlúg ward versnet’ (77,9f.). Zum Zwecke der Versöhnung plant man, ‘ain
turner’ zu veranstalten (77,10), also ein Kriegsspiel: Im Bericht des Schwesternbuchs wird
die Sorge sichtbar, dass bei dieser Art Friedenspolitik der Konflikt schnell wieder aufgeheizt
werden könnte (Oehninger 2003: I, 256). Eine tief beunruhigte Schwester tritt an Jzi
Schulthasin heran, ‘das sy Got mit ernst darúber bete’ (78,1). Die wiederholt vorgetragene
Aufforderung lehnt Jzi immer wieder ‘mit herten worten’ ab (78,1f.): Sie, Jützi, habe über
diese Sache schon lang genug gebetet, jetzt sei sie müde und wolle ihre Zeit und Kraft nicht
mehr für die ungezügelten Raufbolde vor dem Kloster aufwenden (Oehninger 2003: I, 257).
Eine innere ‘stim’ weist Jzi dann aber ‘hertiklich’ auf den unrechtsmäßigen Charakter
dieser ihrer Herzensverhärtung hin (78,8). Wenn die Stimme dabei ein gewisses Verständnis
für die Situation ‘vor dem Kloster’ einfordert, wird der Ort der Schlacht von Winterthur auch
in ideeller Hinsicht konturiert:
‘Got hat dich geordnet und gesetzt in dis leben; da hast du alle ding un allen kummer: du hast
gůtte gessellschaft – des hand sy nit; du hast ze allen ziten gůtt bildung und ler – des hand sy
nit; niement stellet uff dich – des hant sy nit. Sy pingent sich wider ain andren, und wil aines
fúr das ander sin – du hast din lipliche notdurft un alle sorg; es ist dir alles for berait – des hant
sy nit; du hast Got, wenn du wilt – des hant sy nit: er ist inen gar frnd, won aines das zúchet
das ander zů súnden.’ (78,13-19)
Die fünfmal wiederholte Verneinung ‘des hant sy nit’ konturiert hier ein eigenes Konzept
von Geschichte: Ein Bereich des Profanen, also derjenige ‘vor dem Kloster’, gekennzeichnet
durch Nicht-Haben bzw. Nötig-Haben, wird von einem Bereich des Sakralen unterschieden,
wobei die Schlacht auf dem Tössfeld, aus heutiger Perspektive ein Ereignis der politischen
Geschichte, dem Bereich der Defizienz oder Privation zugeordnet wird. Nun versteht das
Tösser Schwesternbuch ‘Geschichte’ gewiss nicht als ein profanes Ereignis oder
Profangeschichte, eine Abgrenzung zu Kirchengeschichte oder Heilsgeschichte ist aber nicht
zu erkennen. Was der Bericht über Elsbet Schefflin im Folgenden sichtbar macht, ist
6
vielmehr die Interaktion der beiden unterschiedenen Bereiche, gewissermaßen die Berührung
der Gegensätze: Direkt im Anschluss an die Belehrung durch die ‘stim’ nämlich, so wird
erzählt, darf Jzi in einer Vision den Herrgott sehen, so wie er über vielen Kirchenportalen
und Weltgerichtsbildern dargestellt ist (Oehninger 2003: I, 258), im Brustbild: ‘untz úber sin
brust’ (78,21).7
Der von Jzi Schulthasin geschaute Herrgott fordert die Schwester auf, ihre
Augen nicht von den Menschen ‘vor dem Kloster’ abzuwenden: ‘Nun sich wie recht lieb sy
mir sind: bitt fúr sy.’ (78,29) Die Vision verweist auf die Legitimität der nicht-geistlichen
Welt, aber auch auf deren Grenzen. Der Bereich des Profanen wird durch seine negative
Bestimmung keineswegs als wertlos oder unwert verworfen, dem Bereich des Sakralen,
durch seinen Gegensatz zum Nicht-Haben bzw. Nötig-Haben des Profanen positiv
hervorgehoben und ausgezeichnet, wird vielmehr die Pflicht zugewiesen, für eben den
Bereich der Defizienz oder Privation zu sorgen. Dieser visionäre Entwurf kann durchaus als
Geschichtstheologie gelesen werden, freilich ohne Weltseele zu Pferde oder Ähnliches: ‘The
theophanic events do not occur in history; they constitute history together with its meaning’
(Voegelin 1974: 304).8
– Aber liegt hier überhaupt ein Begriff von Geschichte vor? Die
Frage drängt sich auf. Haben wir es nicht eher mit einer ahistorischen Ordnungstheologie zu
tun? Statt von Fortschritt oder Entwicklung berichtet die Vision doch von einem fast
mythischen ‘semper idem’. Tatsächlich steht dem Tösser Schwesternbuch die Annahme
einer Allmacht von Geschichte fern, die Möglichkeit von historischem Wandel wird aber
durchaus gesehen – in den Sorgen der Nonnen wegen der erwarteten Gewalttaten ist das
deutlich zu erkennen. Der tatsächliche Verlauf der Geschichte wird jedoch dem
Allerhöchsten und seiner providentiellen Lenkung anheimgestellt, den Nonnen obliegt es zu
beten.
Damit komme ich zum zweiten der hier untersuchten Texte. Dass Fritsche Closeners
Straßburger Chronik in den Kontext von Geschichte und Chronistik hineingehört, bedarf
eigentlich keiner weitergehenden Begründung.9
In seinem Text verbindet Closener Papst-
und Kaisergeschichte mit Bistums- und Stadtgeschichte, wobei er erkennbar auf die
chronikalische Tradition zurückgreift: Wenn etwa die Straßburger Chronik mit einem
doppelten Katalog der Päpste und Kaiser beginnt, folgt Closener dem Chronicon pontificum
et imperatorum Martins von Troppau, dessen Bericht er mit Hilfe anderer Chroniken ergänzt
bzw. erweitert, v.a. durch die sog. erste bayerische Fortsetzung der Sächsischen Weltchronik
und das Chronicon Ellenhardi (Friedrich 1983: 1231). Zentrum der Geschichte des Bistums
Straßburg bildet dann Closeners volkssprachliche Übersetzung des anonymen Bellum
7
Waltherianum, das die Auseinandersetzung Bischof Walthers von Geroldseck mit der Stadt
1260-1262 schildert.
In unserem Zusammenhang besonders relevant sind die abschließenden
zeitgeschichtlichen Notizen zu städtischen Ereignissen – Kriegszüge, Zunftkämpfe,
Auseinandersetzungen im Domkapitel, Bautätigkeit, Ernten und Preise, Naturkatastrophen,
Geißlerzüge –, die Closener nicht chronologisch geordnet, sondern eher als sachlich
gegliederte Materialsammlung aneinandergereiht präsentiert (Ott 1989: 433), also in
deutlichem Gegensatz zur anfangs entworfenen Zeitordnung (Hofinger 1974: 59). Wegen
diesem neuen Gestaltungsprinzip hat Franz Hofinger Closeners Straßburger Chronik als
moderne Geschichtsschreibung von der traditionsgebundenen Geschichtsschreibung eines
Martin von Troppau abgehoben (Hofinger 1974: 14): Der ideologische Hintergrund der
traditionellen Geschichtslehren und Darstellungsschemata sei um 1350 bereits verblasst, das
neue Gestaltungsprinzip einer Geschichtsschreibung nach Gegenständen noch nicht
ausgereift gewesen (Hofinger 1974: 61-62).
Die Vorstellung eines mehr oder minder vollzogenen Wandels trifft die Sache aber
nicht ganz: In Closeners Chronik stehen Alt und Neu unvermittelt nebeneinander. Für das
Jahr 1337 etwa berichtet Closener die Ermordung eines Mädchens durch einen Juden: ‘do
ermordet ein Jude ein juncfrowe, die hies Else’ (137,28), die Leute hätten daraufhin von
‘zeichen’ am Grab der Ermordeten gesprochen (138,1). Unmittelbar davor führt Closener
aber an, dass im Jahr 1139 Johannes de temporibus, Waffenträger Karls des Großen:
‘Johannes der do waz genant von den ziten’ (137,24f.), im Alter von 361 Jahren verstorben
sei. Karl Hegel (1870: 137), der Sohn des berühmten Philosophen und zweite Herausgeber
von Closeners Chronik, hat dazu angemerkt: ‘Es ist nicht zu verstehen, wie diese Zeilen aus
Martin Polonus gerade hierher gekommen sind.’10
Eine Verbindung bildet an dieser Stelle
allein der Name Johannes, geschah doch die Ermordung des Mädchens ‘zwo wochen vor
sant Johannes dag’ (137,27). Wir scheinen es hier mit einer ‘aggregativen’, nicht-
systematischen Ordnung zu tun zu haben, wie sie Peter Czerwinski (1989: 23) als konstitutiv
für die mittelalterliche Welt behauptet. Czerwinski führt etwa eine Vielzahl von Beispielen
dafür an, dass ‘nicht-bürgerliche Räume durch Bedeutung organisiert werden, also für uns
zeitlich und örtlich nicht kongruente Teile einer Bedeutungseinheit [...] aggregativ
nebeneinander enthalten können’ (1993: 52). Den Begriff des parataktischen Aggregats
übernimmt Czerwinski dabei von dem Wissenschaftsforscher Paul Feyerabend:
8
We have what is called a paratactic aggregate: the elements of such an aggregate are all given
equal importance, the only relation between them is sequential, there is no hierarchy, no part is
presented as being subordinate to and determined by others (Feyerabend 1975: 233-234).
Auf den archaischen Stil der antiken griechischen Kunst angewendet, dient der Begriff
Feyerabend dazu, die Inkommensurabilität verschiedener wissenschaftlicher Theorien bzw.
unterschiedlicher Lebensformen aufzuzeigen:
[T]he archaic style provides visible lists whose parts are arranged in roughly the same way in
which they occur in ‘nature’ except when such arrangement is liable to hide important
elements. All parts are on the same level, we are supposed to ‘read’ the lists rather than ‘see’
them as illusory accounts of the situation. The lists are not organized in any way except
sequentially, that is, the shape of an element does not depend on the presence of other elements
(adding a lion and the act of swallowing does not make the kid look unhappy; adding the
process of dying does not make a man look weak) (Feyerabend 1975: 235-236).
Nun soll hier Closeners Erzählung keineswegs als Beleg für Czerwinskis Behauptung
einer mittelalterlichen Welt der Gegenwärtigkeit, der Nicht-Differenz als Negation ‘der’
bürgerlichen Welt der Differenzen gelesen werden. Im Folgenden möchte ich vielmehr auf
die Differenzierung profan/heilig bei Closener hinweisen – oder den Ansatz zu einer solchen
Opposition. Nach Czerwinski hat die Unterscheidung profan/heilig nur bei der Analyse der
bürgerlichen Gesellschaft einen Sinn: Für nicht bürgerliche Gesellschaften seien ‘nicht
heilige’ Räume nicht in einem positiven Sinne Räume wie ‘heilige’, sondern sie gelten als
deren Negation, sind ‘amorphe’ Nicht-Räume (Czerwinski 1993: 62). Aus der Existenz des
Heiligen im christlichen Mittelalter zu folgern, es hätte damals schon das Profane gegeben,
ist demgemäß eine Milchmädchenrechnung: Dass eine Unterscheidung immer zwei Seiten
hat, gelte wie alle bürgerliche Logik nur innerhalb eines historisch arg begrenzten Skopus.
Peter Strohschneider hat in Bezug auf Czerwinskis Behauptung einer mittelalterlichen Welt
der Nicht-Differenz vorgeschlagen, ‘die Gegenthese zu erproben, daß es in nicht-
bürgerlichen Welten diese Differenzen nicht so und an den Stellen gegeben habe, wo wir sie
suchen, daß es sich nicht um Welten der totalen Nichtdifferenzierung, der totalen
Gegenwärtigkeit handelte, sondern um Welten, die auf fremde […] Weisen differenziert
waren’ (Strohschneider 1995: 190). Dem Aufruf, die Alterität der mittelalterlichen Welt
auch in ihren Differenzen, Repräsentationen, Verweisungen, Ab-Bildern zu erarbeiten, kann
an dieser Stelle freilich nur begrenzt Folge geleistet werden, die Differenzierung, um die es
gehen soll, ist eben die angeblich genuin bürgerliche Opposition profan/heilig. Was die
Erzählung von der Ermordung des Mädchens betrifft, scheint Closeners moderne
Geschichtsschreibung nämlich durchaus einen Blick auf das Profane zu erlauben. Den
‘zeichen’ etwa, die manche am Grab des ermordeten Mädchens gesehen haben wollen, steht
9
der Chronist ausgesprochen skeptisch gegenüber: Für ihn sind es vor allem ‘alte Weiber’, die
einen Auflauf um den Leichnam der Ermordeten inszenieren, die Wunder, die das Mädchen
vollbracht haben soll, gelten ihm als reine Mundpropaganda (Grabmeyer 1999: 279). Die
angeblichen ‘zeichen’ verweisen keineswegs auf die Wirkungsmacht Gottes, vielmehr
erkennt der Chronist an ihnen nur Menschliches, Allzumenschliches. Trotzdem sollte man
Closeners ‘kritische[s] Bewußtsein’ (Tersch 1996: 80) nicht als Vorwegnahme von
neuzeitlichen Positionen der Religionskritik deuten. Mit Recht hat Harald Tersch darauf
hingewiesen, dass Closeners offene Kritik an Erscheinungen der Volksfrömmigkeit
keineswegs die Grenzen der theologischen Orthodoxie überschreitet, sondern vielmehr in der
Haltung der Kirche selbst gegenüber dem Wunder begründet sein dürfte. ‘So wurde von der
Kirche auch die allgemeine Verehrung von sogenannten Blutopfern der Ritualmorde wie
jener Jungfer Else im Mittelalter nie allgemein akzeptiert, da es sich hier um keine aktive
Heiligkeit handle’ (Tersch 1996: 81). Closeners Sensibilität gegenüber Wundergeschichten
sieht Tersch dann auch, weit entfernt von kirchenfeindlicher Antireligiosität, den strengeren
Maßstäben einer klerikal gebildeten Elite geschuldet, die sich die Entscheidung über die
Heiligkeit als Privileg und damit als Möglichkeit der Machtausübung vorbehalten möchte.
Dass Closener Anhänger einer antiklerikalen Religionskritik sein soll, wäre nun auch
erstaunlich. Zweimal bezeichnet er sich im Chroniktext als ‘ei[n] priester zů Stros[ze]burg’.
(89,10; 151,16f.) Freilich ist daraus gleichfalls nicht abzuleiten, dass das in der Straßburger
Chronik herrschende ‘regime of visibility’ (van Winkel 2005) oder ‘scopic regime’ (Jay
1988) geistlich ist. Das von Tersch angeführte Privileg des Klerikers, über Heiligkeit zu
entscheiden, macht aus Closeners chronikalischem Bericht keineswegs Hagiographie, das
Privileg bleibt auffällig ungenutzt. Einige von Closeners zeitgeschichtlichen Notizen zu
Straßburger Ereignissen lassen sich vielleicht auf die standesgemäßen Interessen eines
Klerikers zurückführen (Brände des Münsters, Geißlerzüge), im Bericht von der Ermordung
des Mädchens wird aber sehr wohl ein Bezirk des Profanen gegen religiöse
Deutungsansprüche abgegrenzt. Im Vergleich zur ‘großen Profanität’ der Gegenwart
erscheint dieser Bezirk freilich klein. Doch ist das Profane heute wirklich grenzenlos und
umfassend? Scharfe Kritik am ‘Säkularisierungsmythos’ hat der Soziologe Thomas
Luckmann geübt. Religiosität ist für Luckmann eine anthropologische Konstante, die in der
Moderne keineswegs verschwunden ist, sondern infolge der funktionalen Segmentierung der
modernen Sozialstruktur und der damit verbundenen Privatisierung der Religion lediglich
neue Formen der Repräsentation annimmt. Luckmann unterscheidet zwischen kleinen,
mittleren und großen Transzendenzen, die gegenwärtig auf dem Markt anderer
10
Wirklichkeiten angeboten und nachgefragt werden (Luckmann 1996: 20-26). Seine Studien
zur Unsichtbarkeit der Religion in der modernen Gesellschaft (The Invisible Religion 1967,
erweiterte dt. Übersetzung 1991) lassen sich dann auch als Warnung davor lesen, die
gegenwärtige Vorstellung von Profanität absolut zu setzen und zum Profanen ‘an sich’ zu
erklären. Das Profane konnte zu anderen Zeiten durchaus anders aussehen als in der
Gegenwart. Solches gilt eben auch für Closeners Straßburger Chronik. In der Erzählung von
der kultischen Verehrung des Mädchens Else lässt sich ein ‘entzaubernder Blick’ finden, der
einen Bezirk des profanen Sehens abgrenzt. Durch diese Abgrenzung wird das Sakrale hier
aber eben nicht ‘aufgehoben’ im dreifachen Sinn von vernichten, erhalten und auf eine
höhere Stufe bringen, wie das oben fürs Profane im Tösser Schwesternbuch festgestellt
wurde. Während dort der Blick vom geschichtlichen Ereignis einer kriegerischen
Auseinandersetzung zwischen habsburgischen Truppen und einem Aufgebot der Reichsstadt
Zürich ins Sakrale erhoben wurde, verbleibt hier der ‘entzaubernde Blick’ auf der Ebene des
betrachteten Ereignisses, das sich – auf solche Weise angeblickt – als menschlich, allzu
menschlich erweist. Anders als Elsbeth Stagels Tösser Schwesternbuch entwirft Closeners
Straßburger Chronik hier auch keine Geschichtstheologie. Ist es überhaupt ein
‘geschichtliches’ Ereignis, von dem die Chronik an dieser Stelle berichtet? – Sicherlich ist es
kein Ereignis der politischen Geschichte wie die Schlacht von Winterthur. Aus heutiger
Perspektive könnte die Ermordung der jungen Else vielleicht ein Gegenstand der
‘Erfahrungsgeschichte’ sein, so die deutsche Bezeichnung für ‘oral history’ (von Plato
1998). Nun lässt sich bei Closener zwar ein Interesse für die ‘mehrseitigen
Betrachtungsmöglichkeiten eines Ereignisses’ und die ‘Form des Gerüchtes’ nachweisen:
‘Closener interessieren offensichtlich nicht nur Einzelentscheidungen, sondern Denkprozesse
der Masse’ (Tersch 1996: 113). Die Methodendiskussion der Gegenwart dürfte ihm dennoch
fremd gewesen sein. Eine gewisse Ähnlichkeit weist Closeners Straßburger Chronik an
dieser Stelle freilich zur ἱστορία der griechischen Antike auf, womit zunächst der Bericht
eines Augenzeugen gemeint ist, dann aber auch die Erzählung desjenigen, der verhört, sich
erkundigt, forscht und von den Ergebnissen berichtet. In diesem Sinn ist auch Closeners
Werk ‘Beschreibung auf Grund von Erfahrung’ (von Fritz 1978: I, 26).
Ich schließe mit einer kurzen Zusammenfassung der Ergebnisse. In den untersuchten
Texten ließen sich verschiedene Ordnungen der Sichtbarkeit entdecken. Der Verschiebung
des Blicks ins Geistliche, die im Tösser Schwesternbuch eine visuelle ‘Mystifikation’ und
eine geschichtstheologische Perspektive bewirkte, steht in Fritsche Closeners Straßburger
Chronik ein ‘entzaubernder Blick’ entgegen, der einen Raum jenseits des Sakralen erkennen
11
lässt. Das Ereignis Geschichte oder die Ereignisse der Geschichte, worauf sich in beiden
Texten der narrative Blick richtet, erhalten durch das jeweils verwendete Okular ein
unterschiedliches Aussehen. Sowohl im Tösser Schwesternbuch als auch in Closeners
Straßburger Chronik spielen dabei bestimmte Figuren der Negation eine
bedeutungsgenerierende Rolle. Von beiden Texten wird zudem ein Bezug zur Kategorie der
Erfahrung hergestellt. Während die Sichtbarmachung von Geschichte in Elsbeth Stagels
Schwesternbuch von Töss aber in dreifacher Weise eine ‘Aufhebung’ der Erfahrung
befördert, wird Geschichte in der Straßburger Chronik als Erfahrung präsentiert, die eine
Region der profanen Sichtbarkeit abgrenzt. Die dabei vorgenommene Differenzierung
profan/sakral unterscheidet sich ebenso wie der jeweils konturierte Begriff der Geschichte
von heutigen Oppositionen und Konzeptualisierungen. Die Analyse der verschiedenen
Sichtbarkeitsordnungen erfolgte transdisziplinär. Problemlos konnte dabei an bereits
vorliegende Ergebnisse disziplinärer Forschung angeschlossen werden. Die Denkfiguren der
‘Visual Culture Studies’ mussten nicht gewaltsam den mittelalterlichen Texten
aufgezwungen werden. Dies lag nicht nur daran, dass sich in den Geschichtswissenschaften
und der germanistischen Mediävistik während der letzten Jahre bildwissenschaftliche
Ansätze herausgebildet haben (Bleumer 2010: 141-156), vielmehr weist bereits die ältere
Forschung mannigfache Bezüge zu Sehen und Sichtbarkeit auf. Die hier vorgelegte Studie
versteht sich als Beitrag zu diesem vorgängigen und voranschreitenden Verflochtensein
heterogener Wissensformationen. Epistemische ‘Originalitätsfikion[en]’ (Schulze 1993: 78)
verbieten sich daher.
Anmerkungen
1
Die traditionelle Zuweisung an Elsbeth Stagel als individuelle Autorin muss heute freilich als hinfällig gelten.
Es war wohl eher ‘a collective of sisters of the Töss community, who authored some entries, compiled written
accounts, and integrated oral reports, completing their task in circa 1340’ (Lewis 1996: 25). ‘Elsbeth Stagel
aber ist zum Sammelnamen geworden’ (Oehninger 2003: I, 22).
2
Die Gefahr des ‘Dilettantismus’ in fremden Fachgebieten (Curschmann 2004: 116) wird durch diese
Ausrichtung freilich nicht beseitigt. Das so verstandene Konzept Transdisziplinarität weist den scheinbaren
Ausnahmezustand der Fachfremdheit jedoch als disziplinären Normalzustand aus. So gab es schon immer
literaturwissenschaftliche Bereiche in der Soziologie, soziologische Enklaven in der Geschichtswissenschaft
und historische Ecken in der Literaturwissenschaft.
12
3
Walter Benjamin darf mittlerweile als ‘the patron saint of visual studies’ gelten (Elkins 2003: 94). Wiederum
zeigen sich die Disziplinen als miteinander verflochten. An dieser Stelle aber wird Benjamin nicht als
Theoretiker des Sehens und der Sichtbarkeit angesprochen (‘Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit’), sondern als Historiker oder Philosoph der Geschichte.
4
Schiller (1903: 62) kommentiert dies: ‘erstaunlich zu vernehmen, was sich alles in die Kirche drängt’.
5
Der oben verwendete Ausdruck ‘Mystifikation’ ist insofern problematisch, als das Tösser Schwesterbuch
gewöhnlich nicht der Mystik zugerechnet wird. Nicht erst Ringler (1980: 8), der die Schwesternbücher als ‘Teil
der hagiographischen Literatur des Mittelalters’ begreift, sondert die Nonnenliteratur aus dem Bereich echter
Mystik aus. Bereits Blank (1962: 145) stellte fest, ‘daß die Viten keine Darstellung der Mystik sind und auch
gar nicht sein wollen’.
6
Wegen der knappen Formulierung des Schwesternbuchs bezeichnet es Vetter (1906: S. 23) in seiner Edition
zu Recht nur als ‘wahrscheinlich’, dass hier vom ‘Streit[] auf dem Tößfeld im Kampfe zwischen den
Anhängern Adolfs von Nassau und Albrechts von Habsburg’ die Rede ist.
7
Zum kunsthistorischen Kontext cf. Blank, (1966), Vavra (1985).
8
Voegelin bezieht sich hier freilich nicht auf das Tösser Schwesternbuch. Es geht ihm um eine philosophische
Auffassung von Geschichte, die von Hegels Konzeption unabhängig ist.
9
Obgleich von der Straßburger Chronik eine individuelle Verfasserpersönlichkeit benannt wird (151,16), hat
der Text nicht nur den Bezug zu einer Gemeinschaft, hier die Stadt Straßburg, dort das Kloster Töss, mit dem
Schwesternbuch von Töss gemeinsam: ‘Chronicles may have single or plural authors […]. The role of the
medieval chronicler was substantially defined by his audience, the community of which he was part’ (Dumville
2002: 22).
10
Hegel (1870: 137). Wie die Nachricht von Johannes de temporibus, einmal im Alter von 341 Jahren sterbend,
ein anderes Mal mit 361 Jahren, in die Chronik Martins von Troppau gelangte, erläutert Panzer (1925: 28).
Literaturverzeichnis
Quellen
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13
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Pécs, Juli 2011

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Über die Sichtbarkeit von Geschichte - Elsbeth Stagels Schwesternbuch von Töss und Fritsche Closeners Straßburger Chronik.pdf

  • 1. Über die Sichtbarkeit von Geschichte: Elsbeth Stagels Schwesternbuch von Töss und Fritsche Closeners Straßburger Chronik Michael Neecke Abstract The object of this study is the visibility of history in late medieval German chronicles. The method applied here is transdisciplinary: research on literary texts overlaps with Hegel’s determinate negation and contemporary Visual Culture studies. The article shows the gap between the mystifying visuality in Elsbeth Stagel’s sisterbook of Töss and the disenchanting gaze of Fritsche Closener’s town chronicle of Strasbourg. This gulf is semantically related with a pre-modern distinction between the sacred and the profane to be found in these texts. Apodiktisch formulierte es bereits Bento de Espinosa 1674 in einem Brief an Jarig Jelles: ‘determinatio negatio est’ (Spinoza 1924: 240). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts von einem vormaligen Insassen des Tübinger Stifts repetiert: ‘Dieser Satz ist von unendlicher Wichtigkeit’ (Hegel 1986: 121), wurde die Formel für einige Zeit zum logischen Fundament von Geschichte. Mit der epistemischen Produktivität bestimmter Negation beschäftigt sich auch der folgende Beitrag. Untersucht wird aber nicht die Denkbarkeit, sondern die Sichtbarkeit von Geschichte, genauer gesagt: die Sichtbarkeit von Geschichte in volkssprachlichen Chroniken des Spätmittelalters. Gegenwartsbezogene Denkfiguren der ‘Visual Culture Studies’ werden hierfür auf zwei um 1350 entstandene mittelhochdeutsche Texte angewendet: zum einen die 1362 abgeschlossene Straßburger Chronik des Fritsche Closener und zum anderen das Tösser Schwesternbuch der Elsbeth Stagel (gestorben etwa 1360).1 ‘[Z]ones of contact among heterogeneous formations of knowledge’ mit zwischenstaatlichen Beziehungen analogisierend (Steinmetz 2007: 56), soll hier transdisziplinär verfahren werden: Wissensformen und fachliche Disziplinen werden dabei nicht als kugelförmig geschlossen imaginiert, erkenntnisleitendes Paradigma ist vielmehr das vorgängige Verflochtensein derselben.2 Keineswegs sind das Sichtbare und das Sagbare, wie oft behauptet: ‘on a beau dire ce qu’on voit, ce qu’on voit ne loge jamais dans ce qu’on dit’ (Foucault 1966: 25), kategorial voneinander getrennt. Nicht nur W.J.T. Mitchell (1984) wendet sich gegen einen solchen ‘visuellen Essentialismus’: The act of looking is profoundly ‘impure’. First, sense-directed as it may be, hence, grounded in biology (but no more than all acts performed by humans), looking is inherently framed, framing, interpreting, affect-laden, cognitive and intellectual. Second, this impure quality is
  • 2. 2 also likely to be applicable to other sense-based activities: listening, reading, tasting, smelling. This impurity makes such activities mutually permeable, so that listening and reading can also have visuality to them (Bal 2003: 9). Auch ein Zusammen von Gegenwartsbezug und historischem Erkenntnisinteresse scheint möglich: Was diese Studie interessiert, ist gerade ‘die Konstellation, in die [die] eigene Epoche mit einer ganz bestimmten früheren getreten ist’ (Benjamin 1980: 704),3 das Arretieren eines dialektischen Bildes, auf Vergangenheit und Gegenwart gleichermaßen bezogen (Tiedemann 1983). Eine Einheitswissenschaft, deren Holismus nur das Ganze für wahr hält, wird aber nicht angestrebt. Ich beginne mit dem Tösser Schwesternbuch. Statt auf die Frage zu antworten, was ein Schwesternbuch im Kontext von Chroniken und Geschichte verloren hat, verweise ich auf das Lemma ‘Sisterbooks’ (Kümper 2010) in der jüngst von Graeme Dunphy herausgegebenen Encyclopedia of the Medieval Chronicle. Dieser deiktische Notbehelf illustriert zunächst freilich nur einen Widerspruch von gegenwärtigen Wissenskulturen: Während die englischsprachige Forschung traditionell den Schwerpunkt auf die historiographischen Elemente der Schwesternbücher legt (historiae fundationum monasteriorum), betonen deutschsprachige Wissenschaftler die hagiographische Ausrichtung der dort zu findenden exempla (Lewis 1996: 50-54). Einen Ausweg aus dem Zirkel zeige ich nicht, dem einen Widerspruch wird vielmehr mit einem weiteren begegnet: Die Sichtbarkeit der Geschichte lässt sich gerade in den hagiographischen Partien des Tösser Schwesternbuchs finden. Der Hinweis, dass sich diese Passagen doch mit geistlichen Gegenständen beschäftigen, ist berechtigt: Ereignisse der politischen Geschichte finden ‘[v]or den Mauern des Klosters’ statt (Oehninger 2003: I, 15). Einige von diesen werden aber innerhalb dieser Begrenzung wahrgenommen und im Schwesternbuch verzeichnet, etwa die Schlacht von Winterthur, die am 13. April 1292 auf dem Tössfeld stattfand, der Ebene zwischen dem Siechenhaus St. Georgen und dem Kloster Töss, also im wahrsten Sinne des Wortes ‚vor den Mauern des Klosters‘. Was diese Schlacht betrifft, wird im Schwesternbuch die Notwendigkeit des Friedensgebets herausgestrichen: vor Beginn der Kampfhandlungen in der Lebensbeschreibung der Elsbet Schefflin (23,25-24,6), nach diesen im Bericht von Jzi Schulthasin (77,9-78,32). Da hier über Sichtbarkeit und Geschichte gehandelt wird, interessiert zunächst einmal die erste Textstelle. Wenn dort über die Sorgen der Nonnen wegen der absehbaren Gewalttaten berichtet wird: ‘kumer von ains urlúges wegen’ (23,25), stehen Sehen und Sichtbarkeit im Zentrum der Erzählung. Während die Nonnen zur heiligen Nothelferin Margarethe beten, ist im Chor eine so helle Lichterscheinung zu sehen, dass manche
  • 3. 3 befürchten, die Kirche wäre in Brand geraten: ‘di forchtend das der kor enbrunnen wer’ (23,29). Elsbet Schefflin, die verspätet zum Friedensgebet erscheint, fragt eine Mitschwester daraufhin, zu wem denn gerade gebetet worden sei. Als diese es ihr verrät, fällt Elsbet voller Schuld auf die Knie ‘und tett och das selb gebett’ (23,33-24,1). Ein ‘innere[r] Blitz’ lässt sie die Notlage erkennen: Ihre Not ist jetzt aber nicht mehr der nahe Krieg, sondern die Gebetsversäumnis (Oehninger 2003: I, 81). Schwester Elsbet vermag daraufhin nicht mehr ohne Hilfe der anderen Schwester aufzustehen, liegt dreizehn Wochen krank darnieder und erklärt schließlich, ‘das sy Sant Margret bestrafet het’ (24,4). Dass das Schwesternbuch dieser Erklärung nicht widerspricht, versteht sich von selbst: Vergleichbare Erscheinungen und Visionen sind in der Nonnenliteratur des 14. Jahrhunderts keineswegs selten (Wilms 1923: 184-230). Sichtbarkeit erscheint hier als Teil von Erfahrung. Das geschichtliche Ereignis wird im Verlauf eben dieser Erfahrung ins Geistliche verschoben: Man kann von einer ‘Mystifikation’ des Blicks sprechen. Die Entstehung der dominikanischen Schwesternbücher hat Walter Blank (1962) im Anschluss an eine Arbeit von Georg Kunze (1953) als Verfallsgeschichte der Erfahrung dargestellt, die sich vom eigenen Erleben über das allmähliche Versickern der außerordentlichen Gnaden zum argwöhnischen Beobachten und zum offenen Neid der Mitschwestern hinzieh[t], um schließlich in der literarischen Fixierung zu enden. (Blank 1962: 119) Blank vermutet eine regelrechte Jagd nach göttlichen Gnadenerweisen. Um Auskunft über das Leben der Schwestern zu erhalten, habe man in den dominikanischen Schwesternkonventen des 14. Jahrhunderts die Kranken und Sterbenden oft furchtbar belästigt und gequält: ‘Diese dreiste Zudringlichkeit und diese inquisitorischen Methoden haben etwas Erschütterndes und tief Bedenkliches an sich’ (Blank 1962: 99). Als inhaltliches Korrelat zu dieser Entstehung wird eine bedauerliche Verflachung der Schwesternbücher festgestellt, deren Bericht von außergewöhnlichen mystischen Erlebnissen nur mehr auf das äußerlich Sichtbare abziele. Zu konstatieren sei eine Erstarrung des visionären Geschehens und dessen Verlegung in literarische Topoi, die lediglich noch dazu dienten, die persönliche Heiligkeit derer zu unterstreichen, die mit diesen Visionen begnadet waren. Insgesamt könne eine durchgehende Trivialisierung der theologischen Sinngehalte bemerkt werden und ein Verlust des Eigentlichen, d.h. der mystischen Erfahrung: ‘Das Originale ist geschwunden’ (Blank 1962: 146). Es war dann Siegfried Ringler (1980), der die von Kunze und Blank formulierte Verfallsgeschichte als fragwürdig zurückgewiesen hat: Dass sich in den Nonnenviten keine
  • 4. 4 Echtheit des Erlebens finden lässt, sieht Ringler als ein notwendiges Kennzeichen ihrer legendenähnlichen Struktur, nicht als Verweis auf ein unerfülltes Dasein der Schwestern. Der scheinbare Mangel an Erfahrung sei als Eigentümlichkeit der literarischen Verfasstheit der Schwesternviten zu begreifen: Die Fixierung in Bildern literarischer Herkunft widerspricht nicht unbedingt einer Grundlegung im realen Erleben und Erfahren einer bestimmten Person, wie umgekehrt ein solches reales Erleben und Erfahren aber auch nicht vorausgesetzt werden muß. (Ringler 1980: 354) Die Frage, ob es sich bei den bildhaften Erfahrungen im Tösser Schwesternbuch um echte Erlebnisse oder bloß um visuellen Schein handelt, wird im Folgenden weitgehend ausgeklammert. Ganz lässt sich der Rekurs auf den problematischen Begriff der Erfahrung aber nicht vermeiden, spielen doch Erfahren und Erleben der Schwestern auf Ebene der Erzählung zweifellos eine sehr große Rolle. Intradiegetisch erscheint das Kloster Töss sogar regelrecht, um einen Begriff der modernen Gesellschaftsanalyse zu gebrauchen, als ‘Erlebnisgesellschaft’ (Funke 2000: 305-331): Einmal läuft das Jesuskind allein im Kloster herum (45,4-6), das andere Mal wird der göttliche Knabe von seiner Mutter zu einer der Schwestern gebracht (88,23-31), die heilige Ursula lässt sich mitsamt ihren elftausend Jungfrauen im Chor der Kirche sehen (21,22-28),4 die eine Schwester empfängt die Wundmale Christi (65,15-20), die andere darf aus der Brust der Himmelskönigin Milch trinken (54,18-28) usw. Blanks Deutung, dass hier eine Überdosis visuellen Scheins an die Stelle echter Erfahrung getreten ist, erscheint auf jeden Fall plausibel. Befördert nicht auch heute die voranschreitende Ästhetisierung der Lebenswelt (Bubner 1989) gleichermaßen visuelle Übersättigung und Gier nach Erfahrung? (Steiner 1994: 132) Mit dem Konzept ‘Erlebnisgesellschaft’ ist in der soziologischen Theorie der Gegenwart jedenfalls eine recht ähnliche Entwicklungshypothese verknüpft: ‘Wie Medikamentenabhängige sich an ihren Stoff gewöhnt haben, seien es Tranquilizer oder Aufputschmittel, so die Erlebniskonsumenten an die tägliche Ration psychophysischer Stimulation’ (Schulze 1993: 543). Obgleich in Schulzes grundlegender Arbeit die Rolle der Visualität nur am Rande reflektiert wird, scheint deren große Bedeutung für die heutige Gesellschaft offensichtlich. Die in der Lebensbeschreibung von Schwester Elsbet Schefflin bemerkte Verschiebung ins Geistliche erfolgt jedenfalls im Bereich der Sichtbarkeit.5 Das am Anfang stehende historische Ereignis der Schlacht auf dem Tössfeld wird im Verlauf dieser Verschiebung aufgehoben oder negiert, wobei ‘aufheben’ hier gleichermaßen vernichten (‘to abolish’), erhalten (‘to preserve’) und auf eine höhere Stufe bringen (‘to lift up’) meint. Im
  • 5. 5 Bericht von Schwester Jzi Schulthasin ist diese Aufhebung sogar noch deutlicher zu erkennen: Während die Auseinandersetzung zwischen habsburgischen Truppen und einem Aufgebot der Reichsstadt Zürich im Bericht über Elsbet Schefflin einfach als ‘ain[] urlúg[]’ (23,25) bezeichnet wird (weshalb man die Hilfe der Kommentatoren braucht, um das dahinterstehende Ereignis identifizieren oder zumindest erahnen zu können),6 heißt es hier: ‘der strit vor Wintertur’ (77,9). Verlauf, Umstände oder gar Hintergründe der Auseinandersetzung werden zwar auch dieses Mal nicht eigens geschildert, was die Auswirkungen auf das Kloster betrifft, wird jedoch ein genaueres Bild entworfen: Die ‘heißen’ Kampfhandlungen sind, so erfahren wir, bereits vorbei, ein vorläufiger Friede ist vereinbart: ‘das urlúg ward versnet’ (77,9f.). Zum Zwecke der Versöhnung plant man, ‘ain turner’ zu veranstalten (77,10), also ein Kriegsspiel: Im Bericht des Schwesternbuchs wird die Sorge sichtbar, dass bei dieser Art Friedenspolitik der Konflikt schnell wieder aufgeheizt werden könnte (Oehninger 2003: I, 256). Eine tief beunruhigte Schwester tritt an Jzi Schulthasin heran, ‘das sy Got mit ernst darúber bete’ (78,1). Die wiederholt vorgetragene Aufforderung lehnt Jzi immer wieder ‘mit herten worten’ ab (78,1f.): Sie, Jützi, habe über diese Sache schon lang genug gebetet, jetzt sei sie müde und wolle ihre Zeit und Kraft nicht mehr für die ungezügelten Raufbolde vor dem Kloster aufwenden (Oehninger 2003: I, 257). Eine innere ‘stim’ weist Jzi dann aber ‘hertiklich’ auf den unrechtsmäßigen Charakter dieser ihrer Herzensverhärtung hin (78,8). Wenn die Stimme dabei ein gewisses Verständnis für die Situation ‘vor dem Kloster’ einfordert, wird der Ort der Schlacht von Winterthur auch in ideeller Hinsicht konturiert: ‘Got hat dich geordnet und gesetzt in dis leben; da hast du alle ding un allen kummer: du hast gůtte gessellschaft – des hand sy nit; du hast ze allen ziten gůtt bildung und ler – des hand sy nit; niement stellet uff dich – des hant sy nit. Sy pingent sich wider ain andren, und wil aines fúr das ander sin – du hast din lipliche notdurft un alle sorg; es ist dir alles for berait – des hant sy nit; du hast Got, wenn du wilt – des hant sy nit: er ist inen gar frnd, won aines das zúchet das ander zů súnden.’ (78,13-19) Die fünfmal wiederholte Verneinung ‘des hant sy nit’ konturiert hier ein eigenes Konzept von Geschichte: Ein Bereich des Profanen, also derjenige ‘vor dem Kloster’, gekennzeichnet durch Nicht-Haben bzw. Nötig-Haben, wird von einem Bereich des Sakralen unterschieden, wobei die Schlacht auf dem Tössfeld, aus heutiger Perspektive ein Ereignis der politischen Geschichte, dem Bereich der Defizienz oder Privation zugeordnet wird. Nun versteht das Tösser Schwesternbuch ‘Geschichte’ gewiss nicht als ein profanes Ereignis oder Profangeschichte, eine Abgrenzung zu Kirchengeschichte oder Heilsgeschichte ist aber nicht zu erkennen. Was der Bericht über Elsbet Schefflin im Folgenden sichtbar macht, ist
  • 6. 6 vielmehr die Interaktion der beiden unterschiedenen Bereiche, gewissermaßen die Berührung der Gegensätze: Direkt im Anschluss an die Belehrung durch die ‘stim’ nämlich, so wird erzählt, darf Jzi in einer Vision den Herrgott sehen, so wie er über vielen Kirchenportalen und Weltgerichtsbildern dargestellt ist (Oehninger 2003: I, 258), im Brustbild: ‘untz úber sin brust’ (78,21).7 Der von Jzi Schulthasin geschaute Herrgott fordert die Schwester auf, ihre Augen nicht von den Menschen ‘vor dem Kloster’ abzuwenden: ‘Nun sich wie recht lieb sy mir sind: bitt fúr sy.’ (78,29) Die Vision verweist auf die Legitimität der nicht-geistlichen Welt, aber auch auf deren Grenzen. Der Bereich des Profanen wird durch seine negative Bestimmung keineswegs als wertlos oder unwert verworfen, dem Bereich des Sakralen, durch seinen Gegensatz zum Nicht-Haben bzw. Nötig-Haben des Profanen positiv hervorgehoben und ausgezeichnet, wird vielmehr die Pflicht zugewiesen, für eben den Bereich der Defizienz oder Privation zu sorgen. Dieser visionäre Entwurf kann durchaus als Geschichtstheologie gelesen werden, freilich ohne Weltseele zu Pferde oder Ähnliches: ‘The theophanic events do not occur in history; they constitute history together with its meaning’ (Voegelin 1974: 304).8 – Aber liegt hier überhaupt ein Begriff von Geschichte vor? Die Frage drängt sich auf. Haben wir es nicht eher mit einer ahistorischen Ordnungstheologie zu tun? Statt von Fortschritt oder Entwicklung berichtet die Vision doch von einem fast mythischen ‘semper idem’. Tatsächlich steht dem Tösser Schwesternbuch die Annahme einer Allmacht von Geschichte fern, die Möglichkeit von historischem Wandel wird aber durchaus gesehen – in den Sorgen der Nonnen wegen der erwarteten Gewalttaten ist das deutlich zu erkennen. Der tatsächliche Verlauf der Geschichte wird jedoch dem Allerhöchsten und seiner providentiellen Lenkung anheimgestellt, den Nonnen obliegt es zu beten. Damit komme ich zum zweiten der hier untersuchten Texte. Dass Fritsche Closeners Straßburger Chronik in den Kontext von Geschichte und Chronistik hineingehört, bedarf eigentlich keiner weitergehenden Begründung.9 In seinem Text verbindet Closener Papst- und Kaisergeschichte mit Bistums- und Stadtgeschichte, wobei er erkennbar auf die chronikalische Tradition zurückgreift: Wenn etwa die Straßburger Chronik mit einem doppelten Katalog der Päpste und Kaiser beginnt, folgt Closener dem Chronicon pontificum et imperatorum Martins von Troppau, dessen Bericht er mit Hilfe anderer Chroniken ergänzt bzw. erweitert, v.a. durch die sog. erste bayerische Fortsetzung der Sächsischen Weltchronik und das Chronicon Ellenhardi (Friedrich 1983: 1231). Zentrum der Geschichte des Bistums Straßburg bildet dann Closeners volkssprachliche Übersetzung des anonymen Bellum
  • 7. 7 Waltherianum, das die Auseinandersetzung Bischof Walthers von Geroldseck mit der Stadt 1260-1262 schildert. In unserem Zusammenhang besonders relevant sind die abschließenden zeitgeschichtlichen Notizen zu städtischen Ereignissen – Kriegszüge, Zunftkämpfe, Auseinandersetzungen im Domkapitel, Bautätigkeit, Ernten und Preise, Naturkatastrophen, Geißlerzüge –, die Closener nicht chronologisch geordnet, sondern eher als sachlich gegliederte Materialsammlung aneinandergereiht präsentiert (Ott 1989: 433), also in deutlichem Gegensatz zur anfangs entworfenen Zeitordnung (Hofinger 1974: 59). Wegen diesem neuen Gestaltungsprinzip hat Franz Hofinger Closeners Straßburger Chronik als moderne Geschichtsschreibung von der traditionsgebundenen Geschichtsschreibung eines Martin von Troppau abgehoben (Hofinger 1974: 14): Der ideologische Hintergrund der traditionellen Geschichtslehren und Darstellungsschemata sei um 1350 bereits verblasst, das neue Gestaltungsprinzip einer Geschichtsschreibung nach Gegenständen noch nicht ausgereift gewesen (Hofinger 1974: 61-62). Die Vorstellung eines mehr oder minder vollzogenen Wandels trifft die Sache aber nicht ganz: In Closeners Chronik stehen Alt und Neu unvermittelt nebeneinander. Für das Jahr 1337 etwa berichtet Closener die Ermordung eines Mädchens durch einen Juden: ‘do ermordet ein Jude ein juncfrowe, die hies Else’ (137,28), die Leute hätten daraufhin von ‘zeichen’ am Grab der Ermordeten gesprochen (138,1). Unmittelbar davor führt Closener aber an, dass im Jahr 1139 Johannes de temporibus, Waffenträger Karls des Großen: ‘Johannes der do waz genant von den ziten’ (137,24f.), im Alter von 361 Jahren verstorben sei. Karl Hegel (1870: 137), der Sohn des berühmten Philosophen und zweite Herausgeber von Closeners Chronik, hat dazu angemerkt: ‘Es ist nicht zu verstehen, wie diese Zeilen aus Martin Polonus gerade hierher gekommen sind.’10 Eine Verbindung bildet an dieser Stelle allein der Name Johannes, geschah doch die Ermordung des Mädchens ‘zwo wochen vor sant Johannes dag’ (137,27). Wir scheinen es hier mit einer ‘aggregativen’, nicht- systematischen Ordnung zu tun zu haben, wie sie Peter Czerwinski (1989: 23) als konstitutiv für die mittelalterliche Welt behauptet. Czerwinski führt etwa eine Vielzahl von Beispielen dafür an, dass ‘nicht-bürgerliche Räume durch Bedeutung organisiert werden, also für uns zeitlich und örtlich nicht kongruente Teile einer Bedeutungseinheit [...] aggregativ nebeneinander enthalten können’ (1993: 52). Den Begriff des parataktischen Aggregats übernimmt Czerwinski dabei von dem Wissenschaftsforscher Paul Feyerabend:
  • 8. 8 We have what is called a paratactic aggregate: the elements of such an aggregate are all given equal importance, the only relation between them is sequential, there is no hierarchy, no part is presented as being subordinate to and determined by others (Feyerabend 1975: 233-234). Auf den archaischen Stil der antiken griechischen Kunst angewendet, dient der Begriff Feyerabend dazu, die Inkommensurabilität verschiedener wissenschaftlicher Theorien bzw. unterschiedlicher Lebensformen aufzuzeigen: [T]he archaic style provides visible lists whose parts are arranged in roughly the same way in which they occur in ‘nature’ except when such arrangement is liable to hide important elements. All parts are on the same level, we are supposed to ‘read’ the lists rather than ‘see’ them as illusory accounts of the situation. The lists are not organized in any way except sequentially, that is, the shape of an element does not depend on the presence of other elements (adding a lion and the act of swallowing does not make the kid look unhappy; adding the process of dying does not make a man look weak) (Feyerabend 1975: 235-236). Nun soll hier Closeners Erzählung keineswegs als Beleg für Czerwinskis Behauptung einer mittelalterlichen Welt der Gegenwärtigkeit, der Nicht-Differenz als Negation ‘der’ bürgerlichen Welt der Differenzen gelesen werden. Im Folgenden möchte ich vielmehr auf die Differenzierung profan/heilig bei Closener hinweisen – oder den Ansatz zu einer solchen Opposition. Nach Czerwinski hat die Unterscheidung profan/heilig nur bei der Analyse der bürgerlichen Gesellschaft einen Sinn: Für nicht bürgerliche Gesellschaften seien ‘nicht heilige’ Räume nicht in einem positiven Sinne Räume wie ‘heilige’, sondern sie gelten als deren Negation, sind ‘amorphe’ Nicht-Räume (Czerwinski 1993: 62). Aus der Existenz des Heiligen im christlichen Mittelalter zu folgern, es hätte damals schon das Profane gegeben, ist demgemäß eine Milchmädchenrechnung: Dass eine Unterscheidung immer zwei Seiten hat, gelte wie alle bürgerliche Logik nur innerhalb eines historisch arg begrenzten Skopus. Peter Strohschneider hat in Bezug auf Czerwinskis Behauptung einer mittelalterlichen Welt der Nicht-Differenz vorgeschlagen, ‘die Gegenthese zu erproben, daß es in nicht- bürgerlichen Welten diese Differenzen nicht so und an den Stellen gegeben habe, wo wir sie suchen, daß es sich nicht um Welten der totalen Nichtdifferenzierung, der totalen Gegenwärtigkeit handelte, sondern um Welten, die auf fremde […] Weisen differenziert waren’ (Strohschneider 1995: 190). Dem Aufruf, die Alterität der mittelalterlichen Welt auch in ihren Differenzen, Repräsentationen, Verweisungen, Ab-Bildern zu erarbeiten, kann an dieser Stelle freilich nur begrenzt Folge geleistet werden, die Differenzierung, um die es gehen soll, ist eben die angeblich genuin bürgerliche Opposition profan/heilig. Was die Erzählung von der Ermordung des Mädchens betrifft, scheint Closeners moderne Geschichtsschreibung nämlich durchaus einen Blick auf das Profane zu erlauben. Den ‘zeichen’ etwa, die manche am Grab des ermordeten Mädchens gesehen haben wollen, steht
  • 9. 9 der Chronist ausgesprochen skeptisch gegenüber: Für ihn sind es vor allem ‘alte Weiber’, die einen Auflauf um den Leichnam der Ermordeten inszenieren, die Wunder, die das Mädchen vollbracht haben soll, gelten ihm als reine Mundpropaganda (Grabmeyer 1999: 279). Die angeblichen ‘zeichen’ verweisen keineswegs auf die Wirkungsmacht Gottes, vielmehr erkennt der Chronist an ihnen nur Menschliches, Allzumenschliches. Trotzdem sollte man Closeners ‘kritische[s] Bewußtsein’ (Tersch 1996: 80) nicht als Vorwegnahme von neuzeitlichen Positionen der Religionskritik deuten. Mit Recht hat Harald Tersch darauf hingewiesen, dass Closeners offene Kritik an Erscheinungen der Volksfrömmigkeit keineswegs die Grenzen der theologischen Orthodoxie überschreitet, sondern vielmehr in der Haltung der Kirche selbst gegenüber dem Wunder begründet sein dürfte. ‘So wurde von der Kirche auch die allgemeine Verehrung von sogenannten Blutopfern der Ritualmorde wie jener Jungfer Else im Mittelalter nie allgemein akzeptiert, da es sich hier um keine aktive Heiligkeit handle’ (Tersch 1996: 81). Closeners Sensibilität gegenüber Wundergeschichten sieht Tersch dann auch, weit entfernt von kirchenfeindlicher Antireligiosität, den strengeren Maßstäben einer klerikal gebildeten Elite geschuldet, die sich die Entscheidung über die Heiligkeit als Privileg und damit als Möglichkeit der Machtausübung vorbehalten möchte. Dass Closener Anhänger einer antiklerikalen Religionskritik sein soll, wäre nun auch erstaunlich. Zweimal bezeichnet er sich im Chroniktext als ‘ei[n] priester zů Stros[ze]burg’. (89,10; 151,16f.) Freilich ist daraus gleichfalls nicht abzuleiten, dass das in der Straßburger Chronik herrschende ‘regime of visibility’ (van Winkel 2005) oder ‘scopic regime’ (Jay 1988) geistlich ist. Das von Tersch angeführte Privileg des Klerikers, über Heiligkeit zu entscheiden, macht aus Closeners chronikalischem Bericht keineswegs Hagiographie, das Privileg bleibt auffällig ungenutzt. Einige von Closeners zeitgeschichtlichen Notizen zu Straßburger Ereignissen lassen sich vielleicht auf die standesgemäßen Interessen eines Klerikers zurückführen (Brände des Münsters, Geißlerzüge), im Bericht von der Ermordung des Mädchens wird aber sehr wohl ein Bezirk des Profanen gegen religiöse Deutungsansprüche abgegrenzt. Im Vergleich zur ‘großen Profanität’ der Gegenwart erscheint dieser Bezirk freilich klein. Doch ist das Profane heute wirklich grenzenlos und umfassend? Scharfe Kritik am ‘Säkularisierungsmythos’ hat der Soziologe Thomas Luckmann geübt. Religiosität ist für Luckmann eine anthropologische Konstante, die in der Moderne keineswegs verschwunden ist, sondern infolge der funktionalen Segmentierung der modernen Sozialstruktur und der damit verbundenen Privatisierung der Religion lediglich neue Formen der Repräsentation annimmt. Luckmann unterscheidet zwischen kleinen, mittleren und großen Transzendenzen, die gegenwärtig auf dem Markt anderer
  • 10. 10 Wirklichkeiten angeboten und nachgefragt werden (Luckmann 1996: 20-26). Seine Studien zur Unsichtbarkeit der Religion in der modernen Gesellschaft (The Invisible Religion 1967, erweiterte dt. Übersetzung 1991) lassen sich dann auch als Warnung davor lesen, die gegenwärtige Vorstellung von Profanität absolut zu setzen und zum Profanen ‘an sich’ zu erklären. Das Profane konnte zu anderen Zeiten durchaus anders aussehen als in der Gegenwart. Solches gilt eben auch für Closeners Straßburger Chronik. In der Erzählung von der kultischen Verehrung des Mädchens Else lässt sich ein ‘entzaubernder Blick’ finden, der einen Bezirk des profanen Sehens abgrenzt. Durch diese Abgrenzung wird das Sakrale hier aber eben nicht ‘aufgehoben’ im dreifachen Sinn von vernichten, erhalten und auf eine höhere Stufe bringen, wie das oben fürs Profane im Tösser Schwesternbuch festgestellt wurde. Während dort der Blick vom geschichtlichen Ereignis einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen habsburgischen Truppen und einem Aufgebot der Reichsstadt Zürich ins Sakrale erhoben wurde, verbleibt hier der ‘entzaubernde Blick’ auf der Ebene des betrachteten Ereignisses, das sich – auf solche Weise angeblickt – als menschlich, allzu menschlich erweist. Anders als Elsbeth Stagels Tösser Schwesternbuch entwirft Closeners Straßburger Chronik hier auch keine Geschichtstheologie. Ist es überhaupt ein ‘geschichtliches’ Ereignis, von dem die Chronik an dieser Stelle berichtet? – Sicherlich ist es kein Ereignis der politischen Geschichte wie die Schlacht von Winterthur. Aus heutiger Perspektive könnte die Ermordung der jungen Else vielleicht ein Gegenstand der ‘Erfahrungsgeschichte’ sein, so die deutsche Bezeichnung für ‘oral history’ (von Plato 1998). Nun lässt sich bei Closener zwar ein Interesse für die ‘mehrseitigen Betrachtungsmöglichkeiten eines Ereignisses’ und die ‘Form des Gerüchtes’ nachweisen: ‘Closener interessieren offensichtlich nicht nur Einzelentscheidungen, sondern Denkprozesse der Masse’ (Tersch 1996: 113). Die Methodendiskussion der Gegenwart dürfte ihm dennoch fremd gewesen sein. Eine gewisse Ähnlichkeit weist Closeners Straßburger Chronik an dieser Stelle freilich zur ἱστορία der griechischen Antike auf, womit zunächst der Bericht eines Augenzeugen gemeint ist, dann aber auch die Erzählung desjenigen, der verhört, sich erkundigt, forscht und von den Ergebnissen berichtet. In diesem Sinn ist auch Closeners Werk ‘Beschreibung auf Grund von Erfahrung’ (von Fritz 1978: I, 26). Ich schließe mit einer kurzen Zusammenfassung der Ergebnisse. In den untersuchten Texten ließen sich verschiedene Ordnungen der Sichtbarkeit entdecken. Der Verschiebung des Blicks ins Geistliche, die im Tösser Schwesternbuch eine visuelle ‘Mystifikation’ und eine geschichtstheologische Perspektive bewirkte, steht in Fritsche Closeners Straßburger Chronik ein ‘entzaubernder Blick’ entgegen, der einen Raum jenseits des Sakralen erkennen
  • 11. 11 lässt. Das Ereignis Geschichte oder die Ereignisse der Geschichte, worauf sich in beiden Texten der narrative Blick richtet, erhalten durch das jeweils verwendete Okular ein unterschiedliches Aussehen. Sowohl im Tösser Schwesternbuch als auch in Closeners Straßburger Chronik spielen dabei bestimmte Figuren der Negation eine bedeutungsgenerierende Rolle. Von beiden Texten wird zudem ein Bezug zur Kategorie der Erfahrung hergestellt. Während die Sichtbarmachung von Geschichte in Elsbeth Stagels Schwesternbuch von Töss aber in dreifacher Weise eine ‘Aufhebung’ der Erfahrung befördert, wird Geschichte in der Straßburger Chronik als Erfahrung präsentiert, die eine Region der profanen Sichtbarkeit abgrenzt. Die dabei vorgenommene Differenzierung profan/sakral unterscheidet sich ebenso wie der jeweils konturierte Begriff der Geschichte von heutigen Oppositionen und Konzeptualisierungen. Die Analyse der verschiedenen Sichtbarkeitsordnungen erfolgte transdisziplinär. Problemlos konnte dabei an bereits vorliegende Ergebnisse disziplinärer Forschung angeschlossen werden. Die Denkfiguren der ‘Visual Culture Studies’ mussten nicht gewaltsam den mittelalterlichen Texten aufgezwungen werden. Dies lag nicht nur daran, dass sich in den Geschichtswissenschaften und der germanistischen Mediävistik während der letzten Jahre bildwissenschaftliche Ansätze herausgebildet haben (Bleumer 2010: 141-156), vielmehr weist bereits die ältere Forschung mannigfache Bezüge zu Sehen und Sichtbarkeit auf. Die hier vorgelegte Studie versteht sich als Beitrag zu diesem vorgängigen und voranschreitenden Verflochtensein heterogener Wissensformationen. Epistemische ‘Originalitätsfikion[en]’ (Schulze 1993: 78) verbieten sich daher. Anmerkungen 1 Die traditionelle Zuweisung an Elsbeth Stagel als individuelle Autorin muss heute freilich als hinfällig gelten. Es war wohl eher ‘a collective of sisters of the Töss community, who authored some entries, compiled written accounts, and integrated oral reports, completing their task in circa 1340’ (Lewis 1996: 25). ‘Elsbeth Stagel aber ist zum Sammelnamen geworden’ (Oehninger 2003: I, 22). 2 Die Gefahr des ‘Dilettantismus’ in fremden Fachgebieten (Curschmann 2004: 116) wird durch diese Ausrichtung freilich nicht beseitigt. Das so verstandene Konzept Transdisziplinarität weist den scheinbaren Ausnahmezustand der Fachfremdheit jedoch als disziplinären Normalzustand aus. So gab es schon immer literaturwissenschaftliche Bereiche in der Soziologie, soziologische Enklaven in der Geschichtswissenschaft und historische Ecken in der Literaturwissenschaft.
  • 12. 12 3 Walter Benjamin darf mittlerweile als ‘the patron saint of visual studies’ gelten (Elkins 2003: 94). Wiederum zeigen sich die Disziplinen als miteinander verflochten. An dieser Stelle aber wird Benjamin nicht als Theoretiker des Sehens und der Sichtbarkeit angesprochen (‘Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit’), sondern als Historiker oder Philosoph der Geschichte. 4 Schiller (1903: 62) kommentiert dies: ‘erstaunlich zu vernehmen, was sich alles in die Kirche drängt’. 5 Der oben verwendete Ausdruck ‘Mystifikation’ ist insofern problematisch, als das Tösser Schwesterbuch gewöhnlich nicht der Mystik zugerechnet wird. Nicht erst Ringler (1980: 8), der die Schwesternbücher als ‘Teil der hagiographischen Literatur des Mittelalters’ begreift, sondert die Nonnenliteratur aus dem Bereich echter Mystik aus. Bereits Blank (1962: 145) stellte fest, ‘daß die Viten keine Darstellung der Mystik sind und auch gar nicht sein wollen’. 6 Wegen der knappen Formulierung des Schwesternbuchs bezeichnet es Vetter (1906: S. 23) in seiner Edition zu Recht nur als ‘wahrscheinlich’, dass hier vom ‘Streit[] auf dem Tößfeld im Kampfe zwischen den Anhängern Adolfs von Nassau und Albrechts von Habsburg’ die Rede ist. 7 Zum kunsthistorischen Kontext cf. Blank, (1966), Vavra (1985). 8 Voegelin bezieht sich hier freilich nicht auf das Tösser Schwesternbuch. Es geht ihm um eine philosophische Auffassung von Geschichte, die von Hegels Konzeption unabhängig ist. 9 Obgleich von der Straßburger Chronik eine individuelle Verfasserpersönlichkeit benannt wird (151,16), hat der Text nicht nur den Bezug zu einer Gemeinschaft, hier die Stadt Straßburg, dort das Kloster Töss, mit dem Schwesternbuch von Töss gemeinsam: ‘Chronicles may have single or plural authors […]. The role of the medieval chronicler was substantially defined by his audience, the community of which he was part’ (Dumville 2002: 22). 10 Hegel (1870: 137). Wie die Nachricht von Johannes de temporibus, einmal im Alter von 341 Jahren sterbend, ein anderes Mal mit 361 Jahren, in die Chronik Martins von Troppau gelangte, erläutert Panzer (1925: 28). Literaturverzeichnis Quellen Fritsche Closener. ‘Straßburger Chronik.’ In Die Chroniken der oberrheinischen Städte: Straßburg 1 (Chroniken der deutschen Städte 8). Ed. Karl Hegel. Leipzig: Hirzel. 15-151. Das Leben der Schwestern von Töss beschrieben von Elsbeth Stagel samt der Vorrede von Johannes Meier und dem Leben der Prinzessin Elisabeth von Ungarn (Deutsche Texte des Mittelalters 6). Ed. Ferdinand Vetter. Berlin: Weidmann. Sekundärliteratur Bal, Mieke (2003). ‘Visual essentialism and the object of visual culture.’ Journal of Visual Culture 2,1: 5-32. Benjamin, Walter (1980). ‘Über den Begriff der Geschichte.’ In Gesammelte Schriften I,2. Franfurt am Main: Suhrkamp. 691-704. Blank, Walter (1962). Die Nonnenviten des 14. Jahrhunderts. Eine Studie zur hagiographischen Literatur des Mittelalters unter besonderer Berücksichtigung der Visionen und ihrer Lichtphänomene. Freiburg im Breisgau: Müller.
  • 13. 13 Blank, Walter (1966). ‘Dominikanische Frauenmystik und die Entstehung des Andachtsbildes um 1300.’ Alemannisches Jahrbuch 1964/65: 57-86. Bleumer, Hartmut (2010). ‘Zwischen Wort und Bild. Narrativität und Visualität im Trojanischen Krieg Konrads von Würzburg. (Mit einer kritischen Revision der Sichtbarkeitsdebatte).’ In Zwischen Wort und Bild. Wahrnehmungen und Deutungen im Mittelalter. Ed. Hartmut Bleumer, Hans-Werner Goetz, Steffen Patzold und Bruno Reudenbach. Köln/Weimar/Wien: Böhlau. 109-156. Bubner, Rüdiger (1989). ‘Ästhetisierung der Lebenswelt.’ In Ästhetische Erfahrung. Ed. Rüdiger Bubner. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 143-156. Czerwinski, Peter (1989). Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen von Reflexivität im Mittelalter. Exempel einer Geschichte der Wahrnehmung. Frankfurt am Main/New York: Campus. Curschmann, Michael (2004). ‘Interdisziplinäre Beweglichkeit – wie weit reicht sie?’ Zeitschrift für deutsche Philologie 123: 109-117. Czerwinski, Peter (1993). Gegenwärtigkeit. Simultane Räume und zyklische Zeiten, Formen von Regeneration und Genealogie im Mittelalter. München: Fink. Dumville, David (2002). ‘What is a Chronicle?’ In The Medieval Chronicle II. Proceedings of the 2nd International Conference on the medieval Chronicle Driebergen/Utrecht 16-21 July 1999. Ed. Erik Kooper. Amsterdam/New York: Rodopi. 1-27. Elkins, James (2003). Visual Studies. A Skeptical Introduction. New York/London: Routledge. Feyerabend, Paul (1975). Against Method. Outline of an anarchistic theory of knowledge. London: NLB. Foucault, Michel (1966). Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines. Paris: Gallimard. Friedrich, Gisela (1983). ‘Klosener (Closener), Fritsche (Friedrich) [I./III.].’ In Die Deutsche Literatur des Mittelalters. 2 Verfasserlexikon IV. Ed. Kurt Ruh. Berlin/New York: de Gruyter. 1225-1235. von Fritz, Kurt (1978). ‘Der gemeinsame Ursprung der Geschichtsschreibung und der exakten Wissenschaften bei den Griechen.’ In Schriften zur griechischen Logik. Ed. Kurt von Fritz. Stuttgart: Frommann- Holzboog. I, 23-49. Funke, Harald (2 2000). ‘Erlebnisgesellschaft.’ In Soziologische Gesellschaftsbegriffe. Konzepte moderner Zeitdiagnosen. Ed. Georg Kneer, Armin Nassehi und Markus Schroer. München: Fink. 305-331. Grabmeyer, Johannes (1999). Zwischen Diesseits und Jenseits. Oberrheinische Chroniken als Quellen zur Kulturgeschichte des späten Mittelalters. Köln/Weimar/Wien: Böhlau. Haas, Alois Maria (2000). ‘Seuse, Heinrich.’ In Theologische Realenzyklopädie XXXI. Ed. Gerhard Müller. Berlin: de Gruyter. 176-183. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1986). Wissenschaft der Logik I. Ed. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Hofinger, Franz (1974). Studien zu den deutschen Chroniken des Fritsche Closener von Straßburg und des Jakob Twinger von Königshofen. Burglengenfeld: Karl Nußstein. Huizinga, Johan (6 1952). Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. Stuttgart: Kröner. Jay, Martin (1988). ‘Scopic Regimes of Modernity.’ In Vision and Visuality. Ed. Hal Foster. Seattle: Bay Press. 3-23. Kümper, Hiram (2010). ‘Sisterbooks.’ In Encyclopedia of the Medieval Chronicle II. Ed. R. Graeme Dunphy. Leiden/Boston: Brill. 1565-1367.
  • 14. 14 Kunze, Georg (1953). Studien zu den Nonnenviten des deutschen Mittelalters. Ein Beitrag zur religiösen Literatur des Mittelalters. Hamburg: Diss. masch. Lewis, Gertrud Jaron (1996). By Women, for Women, about Women. The Sister-Books of Fourteenth-Century Germany. Toronto: Pontifical Institute of Mediaeval Studies. Luckmann, Thomas (1967). The Invisible Religion. The Problem of Religion in Modern Society. New York: Macmillan. Luckmann, Thomas (1991). Die unsichtbare Religion. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Luckmann, Thomas (1996). ‘Privatisierung und Individualisierung. Zur Sozialform der Religion in spätindustriellen Gesellschaften.’ In Religiöse Individualisierung oder Säkularisierung. Biographie und Gruppe als Bezugspunkt moderner Religiosität. Ed. Karl Gabriel. Gütersloh: Kaiser. 17-28. Mitchell, W.J.T. (1984). ‘What is an Image?’ New Literary History. A Journal of Theory and Interpretation 15,3: 503-537. Oehninger, Robert Heinrich (2003). Wir hatten eine selige Schwester... 33 Lebensberichte über Dominikanerinnen aus dem Kloster zu Töss bei Winterthur. Nach dem mittelhochdeutschen Text von Elsbeth Stagel. Zürich: Werd (2 Bde.). Ott, Norbert H. (1989). ‘Closener, Fritsche.’ In Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache II. Ed. Walther Killy. Gütersloh/München: Bertelsmann. 432-433. Panzer, Friedrich (1925). ‘Zur Erzählung von Nornagest.’ In Vom Werden des deutschen Geistes. Festgabe Gustav Ehrismann. Ed. Paul Merkur und Wolfgang Stammler. Berlin/Leipzig: de Gruyter. 27-34. von Plato, Alexander (1998). ‘Erfahrungsgeschichte – von der Etablierung der Oral History.’ In Biographische Methoden in den Humanwissenschaften. Ed. Gerd Jüttemann und Hans Thomae. Weinheim: Beltz. 60- 74. Ringler, Siegfried (1980). Viten- und Offenbarungsliteratur in Frauenklöstern des Mittelalters. Quellen und Studien. München: Artemis-Verlag. Schiller, Ernst (1903). Das mystische Leben der Ordensschwestern zu Töss bei Winterthur. Zürich: Lohbauer. Schulze, Gerhard (1993). Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt am Main/New York: Campus. Spinoza, Baruch de (1924). Opera IV. Ed. Carl Gebhard. Heidelberg: Winters. Steiner, Uwe (1994). ‘Das Erlebnis und die Gesellschaft. Zu Gerhard Schulzes Kultursoziologie der Gegenwart.’ Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Deutschen Literatur 19,1: 126-140. Steinmetz, George. (2007). ‘Transdisciplinarity as a Nonimperial Encounter: for an Open Sociology.’ Thesis Eleven 91,1: 48-65. Strohschneider, Peter (1995). ‘Die Zeichen der Mediävistik. Ein Diskussionsbeitrag zum Mittelalter-Entwurf in Peter Czerwinskis Gegenwärtigkeit.’ Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Deutschen Literatur 20,2: 173-191. Tersch, Harald (1996). Unruhe im Weltbild. Darstellung und Deutung des zeitgenössischen Lebens in deutschsprachigen Weltchroniken des Mittelalters. Köln/Weimar/Wien: Böhlau. Tiedemann, Rolf (1983). Dialektik im Stillstand. Versuche zum Spätwerk Walter Benjamins. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Vassilevitch, Daria (2000). ‘Schrei der Seele oder didaktische Stilisierung? Schwesternbücher aus Dominikanerinnenklöstern.’ In Lesen, Schreiben, Sticken und Erinnern. Beiträge zur Kultur- und
  • 15. 15 Sozialgeschichte mittelalterlicher Frauenklöster. Ed. Gabriela Signori. Gütersloh: Verlag für Regionalgeschichte. 213-229. Vavra, Elisabeth (1985). ‘Bildmotiv und Frauenmystik – Funktion und Rezeption.’ In Frauenmystik im Mittelalter. Ed. Peter Dinzelbacher und Dieter R. Bauer. Ostfildern/Stuttgart: Schöningh. 201-230. Voegelin, Eric (1974). Order and History IV, The Ecumenic Age. Baton Rouge: Lousiana State University Press. Welsch, Wolfgang (2009). ‘Was ist eigentlich Transkulturalität?’ In Hochschule als transkultureller Raum? Beiträge zu Kultur, Bildung und Differenz. Ed. Lucyna Darowska und Claudia Machold. Bielefeld: transcript. 39-52. Wilms, Hieronymus (2 1923). Das Beten der Mystikerinnen, dargestellt nach den Chroniken der Dominikanerinnenklöster zu Adelhausen, Dießenhofen, Engeltal, Kirchberg, Ötenbach, Töß, Unterlinden und Weiler. Freiburg im Breisgau: Herder. van Winkel, Camiel (2005). The Regime of Visibility. Rotterdam: NAi Publishers. Pécs, Juli 2011