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Das Leben von Menschen mit besonderen
Bedürfnissen in der Zeit des Nationalsozialismus als
Thema für das Arbeiten im projektorientierten
Unterricht
Bachelorarbeit
zur Erlangung des Lehramtes für den Studiengang
Hauptschule
Eingereicht an der Pädagogischen Hochschule Tirol
Betreuerin: FOL Andrea Krimbacher, MA
Betreuerin: Mag. Michaela Obholzer
Eingereicht von: Marlen Untertroger
Innsbruck, den 22. März 2013
Abstract
Die Nationalsozialisten vertraten die Meinung, dass „unwertes Leben“ ausge-
merzt werden sollte, und genau deshalb wurden Tausende Menschen mit Be-
hinderung zuerst zwangssterilisiert und schließlich ermordet. Um die Tötung
dieser Menschen möglichst geheim zu halten, wurde in der Nähe von Linz das
Schloss Hartheim in eine Tötungsanstalt umfunktioniert. Die Opfer wurden mit
Bussen in Hartheim eingeliefert und wohl kaum jemand dieser Insassen wusste,
welches dramatische Ereignis sich in wenigen Augenblicken abspielen sollte.
Nachdem eine scheinbare Untersuchung verlangte, die Kleidungsstücke auszu-
ziehen, und ein kurzer unzureichender Blick auf die Menschen mit körperlichen
bzw. psychischen Behinderungen geworfen wurde, erklärte man ihnen, dass sie
nun ein Bad nehmen durften. Dieser Raum, in dem das angebliche Bad stattfin-
den sollte, war in Wahrheit jedoch mit Leitungen ausgelegt, welche, nachdem
sich alle Opfer im Raum befanden und die Tür geschlossen worden war, Gas
transportierten. Es dauerte nicht lange und die Menschen erstickten qualvoll.
Für Schüler/-innen in der Hauptschule bzw. Neuen Mittelschule ist die Thematik
„Euthanasie“ im Nationalsozialismus zumeist sehr schwer zugänglich und des-
halb befasste ich mich in meiner Arbeit speziell damit, wie man mit projektorien-
tiertem Unterricht das Thema so aufbereitet, dass möglichst viele Schüler/-
innen verstehen können, wie es Menschen mit Behinderung unter dem NS-
Regime ergangen ist. Dazu habe ich einen Stationenbetrieb vorbereitet und ihn
auch mit 14-Jährigen getestet. Schließlich habe ich im Anschluss daran eine
Schülerin und einen Schüler zur durchgeführten Unterrichtsstunde sowie zur
Thematik „Euthanasie“ befragt. Daraus ist zu schließen, dass Schüler/-innen
den Stationenbetrieb durchaus schätzen und den projektorientierten Unterricht
gegenüber dem Frontalunterricht vor allem für diese Thematik vorziehen. Au-
ßerdem ging aus dem Interview hervor, dass die Schüler/-innen sich durchaus
selbstständig mit schwierigeren Thematiken beschäftigen können und sich da-
bei auch noch einige Einzelheiten einprägen können. Aus der Unterrichtseinheit
bzw. aus dem Interview lässt sich schließen, dass es bei fast allen Schülern/-
innen gelang, die persönlichen Orientierungskompetenzen zu stärken.
Inhaltsverzeichnis
Einleitende Bemerkung ............................................................................... 6
A) Theoretischer Teil
1 Begriffsdefinitionen................................................................................. 7
1.1 Begriffsdefinition „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“............. 7
1.2 „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ im Nationalsozialismus ... 7
1.3 Begriffsdefinition „Euthanasie“ ........................................................... 8
2 Vom Darwinismus zum Nationalsozialismus ........................................ 9
2.1 Charles Darwin und Francis Galton ................................................... 9
2.2 Alfred Ploetz .................................................................................... 10
2.3 Heinrich Reichel und die Gedanken der „Rassenhygiene“
in Österreich .................................................................................... 12
2.3.1 Anfänge der Eugenik und „Rassenhygiene“....................... 12
2.3.2 Eugenik und „Rassenhygiene“ in der Zwischenkriegszeit .. 12
2.3.3 Binding und Hoche............................................................. 14
2.3.4 Eugenik und „Rassenhygiene“ von 1933 bis 1938............. 14
2.4 Wie Österreich in die Hände von Hitler gerät................................... 15
3 „Euthanasie“ im Nationalsozialismus.................................................. 18
3.1 Stufen des Mordprogrammes des Nationalsozialismus bis 1941..... 18
3.1.1 1933 bis 1938: Von der Asylierung zur Sterilisierung......... 19
3.1.2 Zwangssterilisierungen in Tirol........................................... 22
3.1.3 1939-1941: Massenmord ................................................... 23
3.2 Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“ .......................................... 28
3.3 Aktion „T4“ ....................................................................................... 29
3.3.1 Vorbereitungen des Massenmordes .................................. 31
3.3.2 Propagandafilm „Ich klage an“ ........................................... 32
3.3.3 Verantwortliche Personen der Aktion „T4“.......................... 33
3.3.4 Aktion „T4“ in Tirol.............................................................. 34
3.3.5 Karl Brandt ........................................................................ 35
3.3.6 Widerstand gegen die Aktion „T4“...................................... 36
3.3.7 Fortführung der „Euthanasie“ ............................................. 38
4 Schloss Hartheim................................................................................... 40
4.1 Ermordet im Schloss Hartheim ........................................................ 40
4.1.1 Leopoldine Zankl................................................................ 40
4.1.2 Johanna Bauer................................................................... 40
4.1.3 Hubert Rainer..................................................................... 41
4.2 Tötungsanstalt Hartheim.................................................................. 41
4.2.1 Personal der Tötungsanstalt Hartheim............................... 43
4.2.2 Tötungsprozesse im Schloss Hartheim.............................. 44
4.2.3 Verständigung der Angehörigen......................................... 48
4.2.4 Schloss Hartheim nach 1945 ............................................. 49
4.3 Aktuelle Ausstellung „Wert des Lebens“ .......................................... 51
B) Praktischer Teil
5 Projektorientierte Unterrichtsstunde mit der Thematik:
Menschen mit besonderen Bedürfnissen zurzeit des
Nationalsozialismus .............................................................................. 53
5.1 Vorbereitung der projektorientierten Unterrichtsstunde.................... 54
5.2 Eindrücke aus der projektorientierten Unterrichtseinheit ................. 55
5.3 Ergebnisse des projektorientierten Unterrichts ................................ 56
6 Beschreibung meiner Forschungsmethode........................................ 61
6.1 Forschungsfragen............................................................................ 62
6.2 Interviewleitfaden............................................................................. 63
6.3 Resümee des Interviews.................................................................. 65
7 Schlussbemerkung................................................................................ 67
8 Literaturverzeichnis............................................................................... 69
Eidesstattliche Erklärung .......................................................................... 74
Anhang........................................................................................................ 75
Abbildungsverzeichnis ................................................................................. 75
Stationenbetrieb zur projektorientierten Unterrichtseinheit........................... 76
Transkribiertes Interview .............................................................................. 90
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 6 | S e i t e
Einleitende Bemerkung
Obwohl die Zeit des NS-Regimes auch heute noch immer wieder thematisiert
wird, können oder wollen viele von uns dieser Realität nicht ins Auge blicken.
Wir können uns kaum vorstellen, welche Verbrechen in den 30er und 40er Jah-
ren des 20. Jahrhunderts von den Mitgliedern der NSDAP begangen worden
sind.
Wenn ich persönlich mit dem Thema Nationalsozialismus konfrontiert bin, asso-
ziiere ich damit sofort den Begriff Krieg. Dabei denke ich aber nicht nur an Sol-
daten, Waffen, Bombenanschläge, Luftschutzpunker, Menschen voller Panik
und Angst, sondern vor allem an die Tötung bzw. Vernichtung vieler Menschen
mit besonderen Bedürfnissen. Auch meine Vorstellung reicht nicht wirklich aus,
um nachzuvollziehen, wie es den Menschen mit körperlicher bzw. psychischer
Behinderung damals ergangen sein muss, wie sie sich gefühlt haben, wie groß
ihre Angst und Verzweiflung wohl gewesen sein mögen.
Doch auch im 21. Jahrhundert spielt das Thema Menschen mit Behinderung
eine wesentliche und wichtige Rolle. Diese Menschen streben wie wir alle da-
nach, einer befriedigenden Arbeit nachzugehen, in die Gesellschaft integriert zu
sein, Freundschaften zu knüpfen. Und obwohl sich die Einstellung vieler Men-
schen gegenüber Menschen mit besonderen Bedürfnissen vielfach verbessert
hat, stoßen Letztere doch immer wieder auf Ablehnung, Diskriminierung und
Ausschluss. Genau deshalb bin ich der Meinung, dass sich die Menschheit mit
der Thematik „Euthanasie“ im Nationalsozialismus auseinandersetzen sollte.
Möglicherweise verändert dies die Einstellung vieler Bürger/-innen gegenüber
Menschen mit Behinderung. Hierbei finde ich es auch wichtig, dass man bereits
mit Kindern in der Schule solche Themen anspricht und sie nicht verschont,
denn ich glaube, dass auch Schüler/-innen ganz gut damit umgehen können.
Um eine solche Arbeit verfassen zu können, braucht es einige Personen, wel-
che Unterstützung leisten. Ich persönlich möchte mich deshalb vor allem bei
meinen Betreuerinnen der Arbeit bedanken. Dank gebührt aber auch der Firma
Laube Sozialpsychiatrische Aktivitäten GmbH, welche mir freundlicherweise
Material zur Verfügung gestellt hat.
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 7 | S e i t e
A) Theoretischer Teil
1 Begriffsdefinitionen
Zu Beginn dieser Arbeit ist es meiner Meinung nach notwendig, einige Begriffe
zu erklären, sodass Sie meinen Ausführungen folgen können.
1.1 Begriffsdefinition „Menschen mit besonderen Bedürf-
nissen“
Dieser Begriff ist gleichzusetzen mit dem Ausdruck: Menschen mit Behinde-
rung. Es gibt viele verschiedene Definitionen des Wortes Behinderung. Ich
möchte mich an der Definition der World Health Organisation, kurz WHO orien-
tieren. Die WHO definiert den Begriff Behinderung dreigliedrig und diese Defini-
tion sieht wie folgt aus:
a) Schädigung (körperlich, z.B. fehlender Arm)
b) Aktivitätsbeeinträchtigung (individuell, z.B. beidhändig Klavier spielen mit
einem Arm)
c) Partizipationseinschränkung (gesellschaftlich, z.B. gesellschaftliche Nor-
men schließen aus, dass einarmige Frau Konzertpianistin wird). (Vgl.
Puschke 2012, o. S.)
1.2 „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ im Natio-
nalsozialismus
Der Nationalsozialismus war eine extrem auf das eigene Volk beschränkte
Ideologie. Die Anhänger des Nationalsozialismus organisierten sich unter der
Führung von Adolf Hitler in der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei NSDAP.
Sie gründeten ein System, das gegen andere Völker – besonders gegen die
Juden – gerichtet war. (Vgl. Zeitschatten 2005, o. S.)
Ebenso wurden Menschen mit besonderen Bedürfnissen, wie zum Beispiel
Geisteskranke, aber auch sogenannte *Krüppel, Fürsorgezöglinge, Arbeitslose,
Trinker und viele andere in den Herrscherjahren des Nationalsozialismus als
minderwertige Individuen eingestuft, welche die öffentliche Wohlfahrt nur be-
lasten. Diese Menschen wurden vorerst ab dem Jahre 1934 zwangssterilisiert
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 8 | S e i t e
und ab 1939 schließlich strategisch vernichtet. (Vgl. Lebenshilfe Wien 2013, o.
S.)
1.3 Begriffsdefinition „Euthanasie“
Die Bezeichnung „Euthanasie“ entstammt dem Griechischen und bedeutet im
medizinischen Sinn: Erleichterung des Sterbens durch Narkotika beziehungs-
weise das bewusste Herbeiführen des Todes. (Vgl. Duden 2009, S. 415)
Der Begriff „Euthanasie“ beschreibt, wie die Definition auch sagt, die Sterbehilfe
bei sterbenden Menschen. Die Nationalsozialisten hingegen verstanden unter
dem Begriff „Euthanasie“ die Ermordung von vor allem körperlich und psychisch
behinderten Menschen und von Kranken. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 2)
So meinte „Euthanasie“ im Sinne von „Vernichtung unwerten Lebens" die Tö-
tung schwacher, kranker, körperlich und geistig behinderter Neugeborener als
Maßnahme zur Erbpflege, die Tötung von unheilbar Kranken und Behinderten
aus Mitleid sowie die Tötung von Langzeitpatienten/-innen in psychiatrischen
Institutionen, die als behandlungsunfähig galten, aus Gründen der Kostener-
sparnis. (Vgl. Schmuhl 1987,S. 355)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 9 | S e i t e
2 Vom Darwinismus zum Nationalsozialismus
Der Nationalsozialismus ist eindeutig vom Darwinismus geprägt, deshalb möch-
te ich hier bei Charles Darwin beginnen und anschließend einen kurzen Über-
blick über die Entwicklung der Rassenhygiene bis zum Nationalsozialismus ge-
ben.
2.1 Charles Darwin und Francis Galton
Im Jahre 1859 erschien in London das Buch mit dem Titel „Die Entstehung der
Arten durch natürliche Zuchtwahl“ oder „Die Erhaltung der begünstigten Rassen
im Kampf ums Dasein.“ Autor dieses Buches war der englische Naturforscher
Charles Darwin. In dieser Schrift geht es darum, dass im „Kampf ums Dasein“
die schlecht Angepassten durch natürliche Auslese – durch Selektion – ausge-
mustert werden. Darwin behandelte hier jedoch Stechpalmen und Stiefmütter-
chen, Purzeltauben und Misteldrosseln, also nur Pflanzen und Tiere. Später
wird jedoch vom „Kampf ums Dasein“ von den Pflanzen und Tieren auch auf die
Menschen geschlossen. (Vgl. Klee 2010, S. 19)
Insbesondere das Darwinsche Schlüsselwerk „On the Origin of Species“ führte
dazu, dass sich eine sozialwissenschaftliche Theorie entwickelte, nach der die
Lehre von Darwin von der natürlichen Auslese auf Gesellschaften übertragen
werden kann. Politologisch handelte es sich hierbei um den sogenannten Biolo-
gismus, um die Übertragung biologischer Gesetzmäßigkeiten auf die Entwick-
lung und die Existenzbedingungen von Gesellschaften. Im Biologismus werden
Staat und Gesellschaft in Analogie zum Organismus gesetzt. Die deutlichste
Ausprägung des Biologismus war im 19. Jahrhundert der Sozialdarwinismus.
Die Grundthesen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Alle Menschen sind prinzipiell ungleich, daher kommt es zum „Kampf ums Da-
sein“. In diesem Kampf siegen die Tauglichsten. (Vgl. Eckart 2012, S. 24)
Für den Vetter von Darwin, Francis Galton, wird das Buch von Darwin zur
Schlüssellektüre. Galton gilt nämlich als Begründer der Eugenik, ein Begriff,
den er im Jahre 1883 eingeführt hat. Galton vertritt die Ansicht, dass die soge-
nannten Tüchtigen viele Kinder zu zeugen hätten; dies wird als positive Eugenik
beschrieben. Später jedoch will er die „Minderwertigen“ von der Fortpflanzung
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 10 | S e i t e
ausschließen; dies fällt eindeutig unter die negative Eugenik. (Vgl. Klee 2010,
S. 19)
Galton forderte bereits im selben Jahr, als er den Begriff Eugenik prägte, die
Verbesserung des Menschen durch Zucht, angesichts der drohenden Zunahme
von „Minderwertigen“. (Vgl. Wunder 2005, S. 243)
Betrachtet man Österreich bzw. die Monarchie Österreich-Ungarn genauer, so
existieren hier erst Ansätze von Rezeptionsgeschichten des Darwinismus, als
für andere Länder bereits detaillierte Formen zur Geschichte des Darwinismus
vorlagen. Bekannt für Österreich bzw. Österreich-Ungarn ist jedoch, dass quasi
mit der Gründung des Vereines mit dem Namen „Verein zur Verbreitung natur-
wissenschaftlicher Kenntnisse“ in Wien im Herbst 1860 die Verbreitung des
Darwinismus in Österreich-Ungarn einherging. (Vgl. Michler 1999, S. 27ff) Ob-
wohl der Darwinismus und schließlich auch die Eugenik ihren Einzug in Öster-
reich-Ungarn schafften, waren sie aber nicht so vorherrschend wie zum Beispiel
in den Gebieten des heutigen Deutschlands. (Vgl. Baader 2007, S. 137)
2.2 Alfred Ploetz
Parallel zur Eugenik bildete sich bereits seit 1890 in Deutschland die „Rassen-
hygiene“ heraus. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 30) Der Berliner Genetiker Alfred
Ploetz (1860-1940) spielte dabei eine wesentliche Rolle. Er übersetzte zum ei-
nen den englischen Begriff „Eugenik“ von Francis Galton ins Deutsche und so-
mit entstand der Begriff „Rassenhygiene“. Zum anderen nahm Ploetz auch eine
beträchtliche Erweiterung vor und baute den Inhalt der Gedanken von Galton
aus. (Vgl. Byer 1988, S. 30f)
Die Lehre der „Rassenhygiene“ fußte in der Gedankenwelt des Darwinismus
beziehungsweise des auf ihm errichteten Sozialdarwinismus. Das Ziel der
„Rassenhygiene“ ist die „Erhaltung und Fortpflanzung der biologischen Rasse
unter den günstigsten Bedingungen“, wobei es hier vor allem um die Verbesse-
rung beziehungsweise Hebung des Volksbestands ging. (Vgl. Eckart 2012, S.
65)
Die Grundzüge dazu wurden wie bereits erwähnt von Ploetz, aber ebenso von
Schallmayer entwickelt. Die Rassenhygieniker kümmerten sich hierbei auch
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 11 | S e i t e
schon um die „Euthanasiefrage.“ In die rassenhygienische Programmatik wurde
nun zusätzlich die „Euthanasieidee“ aufgenommen, wobei diese Idee der Hin-
tergrund für das gesamte von den Rassenhygienikern aufgestellte Programm
negativer Eugenik war. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 30)
Ploetz selbst beschreibt bereits eine Art der „Ausmerzung“, ein Zeugungsver-
bot. Er fordert zum Beispiel ein Zeugungsverbot für jede Frau nach dem 45.
Lebensjahr und für jeden Mann nach dem 50. Lebensjahr. Andererseits will er
seine Überzeugung von einem „natürlichen“ Gleichgewicht der sozialen Umwelt
nicht aufgeben. Voraussetzung für ihn dafür ist jedoch, dass alle ständischen,
vermögensrechtlichen Privilegien und die Verhinderung neuer sozialer Fürsor-
ge- und Versicherungsmaßnahmen abgeschafft werden. Weder Ploetz noch
Schallmayer waren in dieser Zeit Antisemiten oder besonders radikale Nationa-
listen. Beide wollten als echte Sozialdarwinisten den besten Rassenwert durch
eine möglichst ungehemmte natürliche Zuchtwahl erreichen. (Vgl. Byer 1988, S.
32)
Ploetz gehörte im Jahre 1905 zu den Mitbegründern der Gesellschaft für Ras-
senhygiene. Fünf Jahre später wird diese in Deutsche Gesellschaft für Rassen-
hygiene umbenannt. Es ist die erste rassenhygienische Gesellschaft weltweit.
(Vgl. Klee 2010, S. 20)
Im Vordergrund der Rassenhygieniker stand vor allem der Gedanke, schwache,
kranke, körperlich missgebildete und geistig behinderte Neugeborene unter
erbpflegerischen Gesichtspunkten auszusondern beziehungsweise zu töten.
Dieser Gedanke schien erstmals im naturalistischen Monismus auf, einer Natur-
und Moralphilosophie auf der Basis des Darwinismus, die in den 1860er Jahren
von dem Zoologen Ernst Haeckel formuliert wurde. Insbesondere Haeckel war
nämlich dafür verantwortlich, dass der Darwinismus in Deutschland seinen
Durchbruch erzielte. Er verlangte bereits 1863 vor der Versammlung Deutscher
Naturforscher und Ärzte in Stettin die Übertragung der Darwinschen Evolutions-
theorie auf die Menschen. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 31)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 12 | S e i t e
2.3 Heinrich Reichel und die Gedanken der „Rassen-
hygiene“ in Österreich
Anhand der Person von Heinrich Reichel erscheint es mir sinnvoll, die Gedan-
ken der „Rassenhygiene“ vom Beginn des 20. Jahrhunderts in Österreich etwas
aufzubereiten.
2.3.1 Anfänge der Eugenik und „Rassenhygiene“
Heinrich Reichel wurde im Jahre 1876 in Wels geboren. Bereits im Jahre 1901
kam Reichel mit Alfred Ploetz und weiteren wichtigen Personen der Rassenhy-
giene in Berührung. Reichel wandte sich in seinem beruflichen Leben zuerst der
Psychiatrie zu, später begann er sich für Hygiene zu interessieren. Wann genau
Reichel mit der eugenischen Bewegung in Berührung kam, ist jedoch unklar.
Möglicherweise ist er über Ploetz zur Rassenhygiene gekommen, denn in den
späteren Jahren war er mit Ploetz durchaus befreundet. Es sind aber auch an-
dere Theorien denkbar. (Vgl. Mayer 2005, S. 65ff)
Reichel beschäftigte sich nun sehr intensiv mit den vorliegenden Gedanken der
Eugenik und der Rassenhygiene und somit erwähnte er erstmals in seinem Ar-
tikel „Die internationale Hygieneausstellung in Dresden 1911“ das Wort Euge-
nik. Hierbei äußerte sich Reichel nicht nur zur Rassenhygiene, sondern auch
zum Alkoholismus und zur „Hygiene der Siedlung“. Den ersten Vortrag hielt
Reichel bereits im Jahre 1913 zur Thematik „Über Rassenhygiene“. Im akade-
mischen Milieu war dies vermutlich einer der ersten Vorträge zur Thematik
Rassenhygiene in Österreich. (Vgl. Mayer 2005, S. 69ff)
2.3.2 Eugenik und „Rassenhygiene“ in der Zwischenkriegszeit
Nach dem Ersten Weltkrieg blieb der Sozialdarwinismus die Grundlage der
herrschenden Ideologie. (Vgl. Sierck 1987, S. 34) Zu dieser Zeit stieg nun auch
bei Reichel die Überzeugung zu mehr sozialer Hygiene, Rassenhygiene und
Bevölkerungspolitik und dies zeigte sich darin, dass er immer mehr Vorlesun-
gen zur Thematik „Rassenhygiene“ bzw. Eugenik abhielt. Seit dem Sommer-
semester 1920 hielt er sogar eine einstündige Vorlesung „Rassenhygiene“, wel-
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 13 | S e i t e
che die erste derartige Lehrveranstaltung an einer österreichischen Universität
war. (Vgl. Mayer 2005, S. 71ff)
Bereits damals konnte sich Reichel durchaus vorstellen, die Zwangsmittel der
Asylierung und der Sterilisierung für psychisch Kranke anzuwenden. (Vgl. May-
er 2005, S. 77) Reichel sah in seinem ersten erschienenen Leitfaden für euge-
nische Maßnahmen in Österreich die Hauptursache der „Entartung“ einerseits
bei den „äußeren Schädigungen“ wie etwa Geschlechtskrankheiten und Alko-
hol, andererseits bei der „Störung der Auslese“. (Vgl. Mayer 2005, S. 75)
Von 1923 bis 1926 fand die im europäischen Vergleich relativ späte Konstituie-
rung der eugenischen Bewegung in Österreich durch die Gründung von fünf
eugenischen Vereinen statt. (Vgl. Mayer 2005, S. 80)
Eugenik im Austrofaschismus hingegen war im Verständnis von Eugenikern/-
innen nur mit dem Verzicht auf die Sterilisation möglich, da die päpstliche Ehe-
Enzyklika „Casti Connubii“ von Ende 1930 diese ausdrücklich untersagte und
die neue Regierung sich durchaus an die katholische Lehre hielt. Eugenik ver-
schwand aber kaum von der Bildfläche, vor allem unter den Ärzten/-innen war
sie stets präsent. (Vgl. Mayer 2005, S. 88)
Später verbanden die autoritären Züge der neuen Regierung nach dem März
1933 offenbar einige Vertreter der Rassenhygiene vor allem in Graz mit der
Hoffnung auf die erstmalige institutionelle Etablierung der Eugenik an österrei-
chischen Universitäten. (Vgl. Mayer 2005, S. 87)
Wirft man einen Blick in die Weimarer Republik zu dieser Zeit, so traten dort
Regelungen in Kraft, nach denen Menschen mit Behinderung, welche Kriegs-
dienst leisteten, anders behandelt wurden als Menschen mit Behinderung, wel-
che nicht direkt in den Krieg eingezogen wurden. Diejenigen, welche sich für
das Vaterland eingesetzt und bereits etwas geleistet hatten, erhielten wenigs-
tens ein geringes Maß an Anerkennung und durften auf karge Unterstützung
hoffen. Den anderen jedoch blühte das Anstaltsleben. Man kann feststellen,
dass seit dem Jahre 1918 die Zahl der Sonderschulen bzw. Sonderschulklas-
sen in der Weimarer Republik enorm anstieg. (Vgl. Sierck 1987, S. 36)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 14 | S e i t e
Was sich in der Zwischenkriegszeit bereits abzeichnete, nämlich das „Liegen-
lassen der *Krüppel“, die Abwendung von jeglicher Unterstützung, wenn nichts
Produktives als Gegenleistung in Aussicht war, fand in den „Euthanasiepro-
grammen“ der Nationalsozialisten schließlich den Abschluss. (Vgl. Sierck 1987,
S. 36)
2.3.3 Binding und Hoche
An dieser Stelle müssen unbedingt der Jurist Karl Binding und der Professor
der Medizin Alfred Hoche erwähnt werden. Diese zwei Männer trugen im Jahre
1922 mit ihrem Gedankengut zur „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten
Lebens“ nämlich auch dazu bei, dass die Nationalsozialisten solch grausame
Taten vollbrachten. Der Grundsatz von Binding und Hoche beruhte auf der Vor-
stellung, dass das Spritzen von tödlichen Überdosen in Wahrheit eine reine
Handlung war. Sie vertraten auch die Meinung, dass Menschen mit besonderen
Bedürfnissen lediglich die Funktion erfüllten, einen Beruf auszuüben, der darin
besteht, für Jahrzehnte ein absolut lebensunwertes Leben zu fristen. (Vgl.
Sierck 1987, S. 34)
Hoche und Binding gingen noch einen Schritt weiter und berechneten das Kapi-
tal, welches für die Pflege der Menschen mit besonderen Bedürfnissen ausge-
geben werden musste. Dies bedeutet, dass sie eine eiskalte Kosten-Nutzen-
Rechnung durchführten. Binding und Hoche kamen schließlich zu dem Ent-
schluss, die Vernichtung der *Krüppel, wie die Menschen mit besonderen Be-
dürfnissen damals bezeichnet wurden, freizugeben. (Vgl. Sierck 1987, S. 36)
Dies war auch die Zeit, in der zahlreiche Interessensverbände entstanden, wel-
che nur die Anliegen ihrer Betroffenen vertraten. Die Menschen mit Behinde-
rung waren jedoch kaum fähig, ihre eigenen Vorstellungen einzubringen. (Vgl.
Sierck 1987, S. 36)
2.3.4 Eugenik und „Rassenhygiene“ von 1933 bis 1938
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahre 1933 und
speziell das Gesetz zur Verhütung erbranken Nachwuchses in Deutschland
hatten auch Einfluss auf Reichels eugenische Konzepte. Nun beschäftigte sich
Reichel verstärkt mit der Frage der „Rassenmischung“. Er riet zum Beispiel von
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 15 | S e i t e
der „Mischung“ zwischen Nordeuropäern/-innen und Juden/Jüdinnen ab, da
sich der Charakter des Mischvolkes verschieben würde. Reichel wollte auch die
Mischung von „Weißen“ mit „Nicht-Weißen“ per Gesetz verhindern lassen. Rei-
chels Rolle in der NS-Zeit war jedoch ambivalent. (Vgl. Mayer 2005, S. 90ff)
Aus diesen Gedanken lässt sich schließen, dass Eugenik und „Rassenhygiene“
bereits einige Zeit vor dem Nationalsozialismus auch in Österreich durchaus ein
aktuelles beziehungsweise heiß diskutiertes und behandeltes Thema war. Man
kann sagen, dass in der Zwischenkriegszeit die Ideen zusammengefasst wur-
den und somit für den Faschismus vorformuliert waren. (Vgl. Sierck 1987, S.
34)
2.4 Wie Österreich in die Hände von Hitler gerät
Österreich spielte in den Plänen Hitlers eine zentrale Rolle. Vor allem die güns-
tige geografische Lage Österreichs war für die Kriegspläne Deutschlands be-
sonders interessant. Hinzu kommt, dass Millionen Österreicher-/innen als Sol-
daten und Arbeitskräfte für Deutschland dienen bzw. arbeiten konnten. Nicht
unbedeutend waren die österreichischen Rohstoffe, wie zum Beispiel Erz,
Magnesit, Grafit, Öl, Edelstahl, Wasserkraft usw., welche für die deutsche
Kriegsindustrie dringend benötigt wurden. Doch auch die österreichischen Gold-
und Devisenvorräte sowie Lebensmittel und Konsumgüter, welche man in
Deutschland nicht mehr erhielt, zogen das NS-Regime förmlich an. (Vgl.
Schreiber 2008, S. 57)
Der seit 1932 im Amt des Bundeskanzlers tätige Engelbert Dollfuß nützte im
März 1933 die Gelegenheit, das Parlament auszuschalten, da alle drei National-
ratspräsidenten zurückgetreten waren. Nun wurde der Weg in die Diktatur im-
mer deutlicher. Der Austrofaschismus hatte gesiegt und am 1. Mai 1934 wurde
„im Namen Gottes“ eine neue Verfassung verkündet, die auf dem Prinzip der
autoritären Führung aufgebaut war. Alle Parteien wurden aufgelöst, lediglich die
Einheitspartei mit dem Namen „Vaterländische Front“ existierte noch. Der Natio-
nalsozialismus war aber immer noch ein bedeutender illegaler Gegner. Der
braune Terror wuchs und der außenpolitische Druck von Hitler verstärkte sich.
Am 25. Juli 1934 drangen schließlich Mitglieder der NSDAP – als österreichi-
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 16 | S e i t e
sche Soldaten verkleidet – in das Bundeskanzleramt ein und nahmen die an-
wesenden Mitglieder der österreichischen Regierung gefangen. Bundeskanzler
Dollfuß wurde dabei erschossen. Der Putschversuch der Nationalsozialisten
misslang und Kurt Schuschnigg wurde nun Bundeskanzler und zweiter Vorsit-
zender der Vaterländischen Front. Ernst Rüdiger Starhemberg fungierte nun als
Vizekanzler und Führer der Vaterländischen Front in Österreich. Im Jahre 1936
konnte Schuschnigg endgültig die gesamte Macht an sich reißen. Der deutsch-
österreichische Vertrag vom 11. Juli 1936 – kurz auch das Juliabkommen ge-
nannt – besiegelte, dass Deutschland Österreich die volle Souveränität garan-
tierte und zudem die „1000-Mark-Sperre“ aufgehoben wurde. Österreich musste
sich dafür aber als „deutscher Staat“ bekennen und durfte keine Propaganda
gegen den Nationalsozialismus einschalten. Außerdem verlangten Hitler und
seine Partei, dass die inhaftierten Nationalsozialisten freigelassen werden. (Vgl.
Vocelka 2009, S. 289ff)
Im Februar 1938 kam es in Berchtesgaden zu einem Treffen zwischen Hitler
und Schuschnigg, bei dem man dem österreichischen Bundeskanzler mit mas-
siver militärischer Invasion drohte. Schuschnigg erklärte sich bereit, den Führer
der österreichischen Nationalsozialisten, Arthur Seyß-Inquart, in die Regierung
als Innenminister aufzunehmen. (Vgl. Vocelka 2009, S. 296)
Am 9. März 1938 hielt Bundeskanzler Schuschnigg in Innsbruck jene berühmte
Rede, in der er eine Volksabstimmung über die Frage ankündigte, ob Öster-
reich selbstständig bleiben solle. (Vgl. Forcher 2005 S. 314)
Die Volksabstimmung wurde für den 13. März angesetzt, doch schon zwei Tage
vor der Abstimmung stellte Hitler ein Ultimatum. Schuschnigg dankte daraufhin
ab und Seyß-Inquart übernahm die Führung des österreichischen Staates. Die
Machtübernahme der Nationalsozialisten war somit legal, aber gleichzeitig
drangen deutsche Truppen in Österreich ein. Österreich leistete keine militäri-
sche Gegenwehr. Unter begeistertem „Heil“-Geschrei wurde die Selbstständig-
keit des Landes zu Grabe getragen. Österreich gab es ab nun bis zum Jahre
1945 nicht mehr. (Vgl. Vocelka 2009, S. 296)
Der neue Kanzler Seyß-Inquart beschloss mit seiner neuen Regierung am 13.
März das Gesetz über die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 17 | S e i t e
Reich“. Bereits am 2. April 1938 bejubelte eine riesige Menschenmenge Hitler
am Wiener Heldenplatz. Dieser verkündete den „Eintritt“ seiner Heimat Öster-
reich in das Deutsche Reich. (Vgl. Schreiber 2008, S. 65)
Tirol bildete gemeinsam mit Vorarlberg einen Gau. Dieser wurde Gau Tirol-
Vorarlberg genannt. Osttirol jedoch zählte zum Gau Kärnten. (Vgl. Kofler 2005,
S. 76)
Nun begann auch in Österreich die Schreckensherrschaft des Nationalsozialis-
mus, wobei hier speziell „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ großes Leid
erfahren mussten.
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 18 | S e i t e
3 „Euthanasie“ im Nationalsozialismus
Herabwürdigen, aussondern, verstümmeln und töten sind Ausdrücke, welche
den Umgang mit behinderten Menschen in der Geschichte der Menschheit pas-
send beschreiben lassen. Diese menschenverachtenden Verhaltensweisen er-
reichten in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ihren Höhepunkt. (Vgl.
Romey 1987, S. 9)
3.1 Stufen des Mordprogramms des Nationalsozialismus
bis 1941
„Die Rassenhygiene war keine Erfindung der Nationalsozialisten. Mit ihrer
Machtergreifung im Deutschen Reich im Jahre 1933 aber radikalisierten sich
die eugenischen Selektionsmaßnahmen und auch die Wortwahl. Im Interesse
der Höherentwicklung der ‘Rasse’ sollte alles ‘Minderwertige ausgemerzt’ wer-
den. Für ‘unnütze Esser’ oder ‘Ballastexistenzen’, wie psychisch kranke oder
behinderte Menschen bezeichnet wurden, war im nationalsozialistischen
Deutschland kein Platz. In einer ökonomischen Definition von Gesundheit im
Sinne von Leistungsfähigkeit unterwarf es das gesamte Leben einer men-
schenverachtenden Kosten-Nutzen-Rechnung.
Der behaupteten überproportionalen Vermehrung der ‘Unproduktiven’, der
‘Überwucherung’ der Gesunden durch die ‘Minderwertigen’ sollte entgegenge-
wirkt werden. Die Verhinderung der Fortpflanzung durch zwangsweise Sterili-
sierung und die physische Vernichtung ‘lebensunwerten Lebens’ waren zwei
sich ergänzende Maßnahmen zur ‘Rettung des Volkskörpers’.“ (Laube sozial-
psychiatrische Aktivitäten GmbH 2007, S. 22)
Bereits im Jahre 1931 wies das Parteiprogramm der NSDAP die „Rassenhygie-
ne“ als einen wichtigen Punkt auf. (Vgl. Kohl 1997, S.34) Betrachtet man die
Zeit, in der der Nationalsozialist Adolf Hitler an der Macht war (also von 1933-
1945), etwas genauer, so kann man mehrere Stufen des faschistischen Mord-
programms feststellen. (Vgl. Romey 1987, S. 21)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 19 | S e i t e
3.1.1 1933 bis 1938: Von der Asylierung zur Sterilisierung
Nach der nahezu totalen Asylierung von behinderten Menschen beschlossen
die Nationalsozialisten im Jahre 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses“. (Vgl. Romey 1987, S. 21)
In dieser Kabinettssitzung vom 14. Juli 1933 wurde auch das Konkordat mit
dem Heiligen Stuhl gebilligt. Um den Abschluss dieses Konkordates nicht zu
gefährden, wartete man mit der Bekanntgabe des „Sterilisationsgesetzes“ noch
zwei Wochen. Einer der größten Befürworter des Konkordates war Kardinal Eu-
genio Pacelli, der später, am 2. März 1939, zum Papst Pius XII. gewählt wurde.
Dieser Mann ließ ein Werk verschwinden, (Humani generis unitas – Die Einheit
des Menschengeschlechts), welches sein Vorgänger Papst Pius XI. unbedingt
herauszugeben beabsichtigt hatte. Dieses Schriftstück setzte sich nämlich ve-
hement gegen Rassismus und Antisemitismus und somit auch gegen den Nati-
onalsozialismus ein. (Vgl. Kohl 1997, S. 35)
Das Gesetz von 1933 bzw. 1934 wurde kurz „Erbgesundheitsgesetz“ genannt
und trat bereits am 1. Januar 1934 offiziell in Kraft. Paragraf 1 dieses Gesetzes
lautete: (Vgl. Klee 2010, S. 39)
„Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankhei-
ten leidet: 1. angeborenem Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. zirkulärem (ma-
nisch-depressiven) Irresein, 4. erblicher Fallsucht, 5. erblichem Veitstanz (Hun-
tingtonsche Chorea), 6. erblicher Blindheit, 7. erblicher Taubheit, 8. schwerer
erblicher körperlicher [Mißbildung]. Ferner kann unfruchtbar gemacht werden,
wer an schwerem Alkoholismus leidet.“ (Gesetzestext 1934; zit. nach. Klee
2010, S. 39)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 20 | S e i t e
Abbildung 1: Reichsgesetzblatt 1933 (Hinterhuber 1995, S. 10)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 21 | S e i t e
Der Gesetzestext selbst beruft sich auf das Buch „Mein Kampf“, welches von
Adolf Hitler geschrieben wurde: (Vgl. Klee 2010 S. 40)
„Wer körperlich und geistig nicht gesund und würdig ist, darf sein Leiden nicht
im Körper seiner Kinder verewigen. Der Staat [muß] dafür Sorge tragen, [daß]
nur, wer gesund ist, Kinder zeugen darf.“ (Hitler 1926; zit. nach Klee 2010, S.
40)
Somit wurden hunderttausende Menschen legal verstümmelt. Die schwer geis-
tig und körperlich Behinderten wurden zuerst herangezogen, anschließend folg-
ten Menschen, welche als „Leichtschwachsinnige“ und als „Fürsorgezöglinge“
bezeichnet wurden. (Vgl. Romey 1987, S. 21)
Aus einer Statistik des Jahres 1934 geht hervor, welche Personengruppen steri-
lisiert wurden: Am häufigsten wurde der Eingriff mit 52,9 % bei Schwachsinni-
gen bzw. Hilfsschülern/-innen durchgeführt, gefolgt von den Schizophrenen,
welche 25,4 % ausmachen. Auch Epileptiker/-innen weisen einen nicht unbe-
deutenden Prozentsatz von 14 % auf. Mit einigem Abstand folgen Manisch-
Depressive, diese Zahl beläuft sich auf 3,2 %. Der Prozentsatz der Alkoholiker/-
innen liegt bei 2,4 %, bei Tauben bei 1 %, der bei Blinden liegt bei 0, 6 %, bei
Körperbehinderten beläuft sich der Prozentsatz auf 0,3 %. Die Zahl der Krank-
heit Chorea Huntington, welche tatsächlich eine Erbkrankheit ist, liegt bei 0,2 %.
Zur Sterilisierung herangezogen wurden bereits Kinder ab 14 Jahren. (Vgl. Klee
2010, S. 40f)
So kam es, dass sich zwischen 1934 und 1945 ca. 400.000 Menschen einer
Sterilisierung unterwerfen mussten. Über 1.000 von diesen Menschen – vor
allem Frauen – starben bereits während des Eingriffs. Natürlich widersetzten
sich Angehörige von Betroffenen, der Protest wurde jedoch sehr erschwert, da
sich die Familien als sozial deklassiert empfanden, wenn in der eigenen Ver-
wandtschaft Erbkrankheiten festgestellt worden waren. Wichtige Persönlichkei-
ten wie Parteifunktionäre/-innen, Ärzte/-innen, Lehrer/-innen, Künstler/-innen,
Schriftsteller/-innen formten die Meinungen der breiten Öffentlichkeit in diesem
Sinne, dass die Sterilisation zur Normalität gehöre. (Vgl. Hinterhuber 1995, S.
9ff)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 22 | S e i t e
Am 1. September 1939 erfolgte jedoch der Sterilisierungsstopp im gesamten
Reich. Doch mit dem angeblichen Stopp verhielt es sich ähnlich wie mit dem
angeblichen „Euthanasiestopp“ später. Es wurden zwar mehrere interne Anwei-
sungen herausgegeben, doch in diesen Schreiben wurde lediglich mitgeteilt,
dass die Sterilisation ab sofort „im Rahmen des Möglichen durchgeführt“ wer-
den solle. Aus Anstaltschroniken ist jedoch ersichtlich, dass das Sterilisieren
weiter vorgenommen wurde. (Vgl. Klee 2010, S. 85f)
3.1.2 Zwangssterilisierungen in Tirol
Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ trat in Österreich bzw.
damals in der Ostmark am 1. Jänner 1940 in Kraft. Bestand der Verdacht, dass
ein/-e Patient/-in an einer Erbkrankheit erkrankt war, so waren nun die Ärzte/-
innen verpflichtet, einen Antrag auf Unfruchtbarmachung beim Leiter des Amtes
für Volkspflege der Reichsstatthalterei Tirol-Vorarlberg zu stellen. Die Zustim-
mung erfolgte schließlich durch den Gauleiter Franz Hofer, welcher fast alle
genehmigte. (Vgl. Schreiber 2008, S. 212)
Im Hinblick auf die Meldung verfügten Richter, Ärzte/-innen, Angestellte in den
Gesundheitsämtern und Fürsorger/-innen jedoch über einen sehr großen Spiel-
raum in ihrer Arbeit. Aus Tirol ist bekannt, dass vor allem die maßgeblichen
Stellen in den Bezirken Schwaz und Kufstein äußerst übereifrig waren und aus
diesem Grund dort viel mehr Menschen unfruchtbar gemacht wurden als in an-
deren Teilen Tirols. (Vgl. Schreiber 2008, S. 212)
Die Amtsärzte/-innen nahmen sehr rasch eine wichtige Schlüsselrolle ein, da
sie diejenigen waren, welche eine Vorauswahl trafen. Die Opfer waren vor al-
lem Personen mit geringen körperlichen oder geistigen Behinderungen, die als
„asozial“ abgestempelt wurden. Die Behörden wollten unbedingt verhindern,
dass diese Menschen Kinder zeugten. (Vgl. Schreiber 2008, S. 212)
Man ging sogar so weit, dass man einigen Frauen und Männern erst eine Hei-
ratserlaubnis erteilte, nachdem sie einer Unfruchtbarmachung zugestimmt hat-
ten. Wurde man jedoch als „erbkrank“ eingestuft, so erhielt man Eheverbot und
es bestand auch die Möglichkeit, dass man unfruchtbar gemacht wurde. Da die
Wissenschaft jedoch kaum in der Lage war, „Erbkrankheiten“ nachzuweisen,
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 23 | S e i t e
genügte für ein derart schwerwiegendes Vorgehen die bloße Vermutung oder
das Vorkommen bestimmter Krankheiten in der Familie. Viele Menschen ließen
diese Gewaltmaßnahme der Sterilisierung auch deshalb über sich ergehen, um
einer Einweisung in eine Pflegeanstalt und einem drohenden Abtransport von
dort in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim zu entkommen. Ein Tiroler, welcher
ein Opfer der Zwangssterilisierung wurde, berichtete 1960 in einem Schreiben
an das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes von seinem
Leidensweg: (Vgl. Schreiber 2008, S. 212f)
„Ich selbst war inzwischen verlobt und wollte heiraten und stieß dann auf Grund
eines früher gehabten Nervenleidens auf Schwierigkeiten. Nur unter der Bedin-
gung der Sterilisation wurde mir die Heirat erlaubt, und trotz anfänglicher An-
tragstellung habe ich den Antrag dann widerrufen, weil ich diesen Vorgang der
Braut nicht zumuten konnte. Ich löste schweren Herzens das Verhältnis und
glaubte, damit die Sache zu erledigen. Ein halbes Jahr später griff der
Stadtphysikus [Stadtarzt] die Sache wieder auf und verlangte die Sterilisierung.
Da ich natürlich in scharfen Worten mich dieser Willkür widersetzte, griff er zur
List und brachte mich mit Hilfe der Gestapo in die Klinik, wo die Operation ge-
gen meinen Willen und trotz heftigsten Protests durchgeführt wurde.“ (o.V.
1960.; zit. nach Schreiber 2008, S. 213)
Betrachtet man den Gau Tirol-Vorarlberg, so sind dort 238 Zwangssterilisatio-
nen dokumentiert, insgesamt dürften aber ca. 400 Personen betroffen gewesen
sein. Im gesamten Österreich sind 5.000-10.000 Menschen von den Zwangs-
sterilisierungen betroffen, im Deutschen Reich und in den damals von Deutsch-
land besetzten Gebieten in Europa ca. 400.000 Frauen und Männer, aber auch
Jugendliche. (Vgl. Schreiber 2008, S. 213)
3.1.3 1939-1941: Massenmord
Die Zwangssterilisation der „Erbkranken“ war sehr arbeitsaufwendig und dies
war auch ein Grund, weshalb die NS-Rassenhygieniker bereits 1939 zur „Ver-
nichtung lebensunwerten Lebens“ übergingen. Im Vorfeld des Krieges war nach
langer Planung die Entscheidung gefallen, das „unwerte Leben“ auszumerzen.
Die Tötung psychisch kranker und mental oder körperlich beeinträchtigter Men-
schen war somit der erste systematisch geplante und auch staatlich durchge-
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 24 | S e i t e
führte Massenmord des NS-Regimes. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivitä-
ten GmbH 2007, S. 37)
Die Nationalsozialisten begannen die zu Unrecht „Euthanasie“ oder „Gnaden-
tod“ genannte Vernichtung des „lebensunwerten Lebens“ mit geistig und körper-
lich behinderten Kindern. (Vgl. Malina & Neugebauer 2001, S. 708f)
Dazu wurde im Frühjahr 1939 der „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen
Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ gegründet. Das Ziel
stand eindeutig fest: behinderte Neugeborene zu erfassen und zu ermorden. Ab
dem 18. August 1939 kam es schließlich zur Meldepflicht für „missgestaltete“
und „idiotische“ Kinder. (Vgl. Romey 1987, S.21) Dies war nun der Auftakt zur
„Kindereuthanasie“. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivitäten GmbH 2007, S.
20)
Abbildung 2: Meldebogen (Kohl 1997, S. 126)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 25 | S e i t e
Der geheime Erlass der Meldung und Erfassung von „Missgeburten“ richtete
sich vor allem an die Hebammen, Gebärabteilungen und Kliniken. Um diese
Kinder töten zu können, wurden sie in den sogenannten „Reichsausschuss-
Stationen“ bzw. „Kinderfachabteilungen“ untergebracht. (Vgl. Hinterhuber 1995,
S. 11)
Die Erfassung der Kinder kam anfangs nur sehr schleppend voran. Zum Erfas-
sen der behinderten Kinder wurden Meldebögen ausgegeben. Die Amtsärzte
waren verpflichtet, die Meldungen zu überprüfen, doch diese leiteten den Mel-
debogen – ohne die Kinder nochmals zu untersuchen – an den Reichsaus-
schuss weiter. Krankengeschichten und -blätter wurden nicht beigefügt. Diese
Meldebögen wurden in der Kanzlei des Führers zuerst von Hefelmann, welcher
der Geschäftsführer des Reichsausschusses war, und seinem Mitarbeiter v.
Hegener gesichtet. Beide waren medizinische Laien. Diese zwei Personen sor-
tierten nun die Fälle, welche für sie in Frage kamen, aus und sandten diese
Meldebögen den drei Gutachtern Catel, Heinze und Wentzler weiter. Dies be-
deutete, dass der zweite Gutachter wusste, wie der erste entschieden hatte,
und der dritte kannte die Entscheidungen der beiden Vorgutachter. (Vgl.
Schmuhl 1987, S. 183f)
Auf den Papieren wurde die Entscheidung der Gutachter mit den Zeichen +
oder – vermerkt. Jene Menschen, in deren Gutachten ein – stand, wurden spä-
ter ermordet. (Vgl. Romey 1987, S. 21)
Einzige Unterlage dieses Begutachtungsverfahrens waren die Meldebögen, die
meistens von den Hebammen ausgefüllt wurden. Eine ärztliche Untersuchung
im Laufe des Verfahrens wurde nicht durchgeführt. In den Vorüberlegungen zu
einem Gesetzesentwurf über die Sterbehilfe im Sommer 1939 wurde zur Ge-
heimhaltung der „Kindereuthanasie“ aufgefordert. Den Eltern wurde die Mög-
lichkeit eingeräumt, eine stillschweigende Zustimmung zu leisten. Allerdings
gab es bei der „Kindereuthanasie“ von der Elternseite erhebliche Widerstände,
welche erst zu brechen waren. Den Eltern sollte deshalb vor allem die Zuver-
sicht gegeben werden, dass selbst in Fällen, welche bisher als hoffnungslos
galten, eine Chance bestand, gewisse Heilerfolge zu erzielen. Durch diese ver-
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 26 | S e i t e
schleierten und verlogenen Scheinmaßnahmen erschlich man sich teilweise die
Einwilligung der Eltern. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 184f)
Nach dem Erlass vom 20. September 1941 konnte den Eltern, welche sich der
Einweisung ihres Kindes widersetzten, der Verlust des Sorgerechts angedroht
werden. Zur Durchführung der Kindestötungen wurden rund 30 „Kinderfachab-
teilungen“ in Heil- und Pflegeanstalten eingerichtet. Eine dieser Einrichtungen in
Österreich war die Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“ in Wien. (Vgl.
Schmuhl 1987, S.185f) Es gab aber auch Abteilungen in Graz und Klagenfurt.
(Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivitäten 2007, S. 42) Dort erfolgte die Tö-
tung entweder mittels Giftbeimischung im Essen oder man ließ viele auch ein-
fach verhungern. (Vgl. Romey 1987, S.21) Die Verabreichung von Injektionen
von Morphium und Luminal war auch keine Seltenheit. (Vgl. Hinterhuber 1995,
S. 11)
Die Zuführung des Narkotikums Luminal erfolgte so, dass die Kinder zwei- oder
dreimal in Abständen von einer Stunde ein halbes Gramm davon verabreicht
bekamen. Zur Orientierung: Als Maximaldosis für Erwachsene galt 0,4 Gramm.
Die maximal zu verabreichende Menge für Kinder betrug 0,1 Gramm, für Klein-
kinder sogar nur 0,05 Gramm. Den schlafenden Opfern wurde das Präparat
mittels Einlauf eingeflößt. Nach der Verabreichung fielen die Kinder in einen
Zustand des Vor-sich-hin-Dämmerns; dies gab den Ärzten die Möglichkeit,
Lungenentzündung oder Bronchitis als scheinbar natürliche Todesursache fest-
zustellen. (Vgl. Kohl 1997, S. 48f)
Nach dem Aufbau der Gaskammern für die „Erwachseneneuthanasie“ wurden
schließlich auch Kinder aus den „Kinderfachabteilungen“ vergast. In den Anstal-
ten war es strikt verboten, körperliche Krankheiten zu behandeln und die Kinder
dadurch vor dem Tod zu retten. (Vgl. Schmuhl 1987, S.187) Den Mordaktionen
an Kindern fielen über 5.000 Kinder zum Opfer. (Vgl. Romey, 1987, S. 21)
Der Großteil der Bevölkerung verhielt sich dieser Aktion gegenüber völlig
gleichgültig. Einzelner Protest und Widerstand kam lediglich noch von kirchli-
chen Einrichtungen. Pastor von Bodelschwingh war der Wortführer dieses Wi-
derstandes. Das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten wurde durch ex-
treme Propaganda vorbereitet, dabei wurde immer wieder die Notwendigkeit
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 27 | S e i t e
der „Ausmerzung lebensunwerten Lebens“ betont. Kinder in der Volksschule
mussten sich schon mit rassistischen Ideen und menschenfeindlichem Gedan-
kengut beschäftigen. Dabei erwähnte man nicht nur die notwendige Sterilisati-
on, sondern auch den Gedanken der „Ausmerzung“ von psychisch Kranken und
behinderten Menschen. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 11ff) Auch der Mathematik-
unterricht wurde dazu verwendet, um Rassenlehre zu betreiben, dies sollte fol-
gendes Rechenbeispiel zeigen: (Vgl. Kohl 1997, S. 57)
„In einer Provinz des Deutschen Reiches sind 4400 Geisteskranke in staatli-
chen Heilanstalten untergebracht, 4500 in der Obhut der öffentlichen Fürsorge,
1600 in örtlichen Heilanstalten, 2000 in Heimen für Epileptiker und 1500 Perso-
nen in Wohltätigkeitsheimen. Der Staat allein zahlt mindestens 10 Millionen
Reichsmark im Jahr für die angeführten Institutionen. a) Was kostet durch-
schnittlich ein Patient dem Staat im Jahr? Zusatzangaben: 868 Patienten blie-
ben länger als zehn Jahre (Gruppe I); 260 Patienten blieben mehr als 20 Jahre
(Gruppe II); 112 Patienten länger als 25 Jahre (Gruppe III). b) Was kostet ein
Patient der Gruppe I (II, III) dem Staat während des ganzen Zeitraumes seiner
Unterbringung nach den niedrigsten Durchschnittszahlen wie unter a) ange-
führt?“ (Mathematikbuch o.J.; zit. nach Kohl 1997, S. 57f)
Eine weitere Aufgabe aus dem Lehrbuch Mathematik des Jahres 1935/36 laute-
te:
„Der Bau einer Irrenanstalt erfordert sechs Millionen Reichsmark. Wieviel neue
Wohnblocks à 15.000 Reichsmark würden für diese Summe gebaut werden
können?“ (Mathematikbuch 1935/36; zit. nach Kohl 1997, S. 58)
Aus diesen Aufgaben erkannte man denselben Geist, der im „Lehrplan des SS-
Hauptamtes für die weltanschauliche Erziehung in der SS und in der Polizei“
wehte. Darin hieß es: (Vgl. Kohl 1997, S. 58)
„Es ist ein unhaltbarer Zustand, wenn in einem Staate das Verhältnis zwischen
den Schaffenden und den Kranken ungesunde Formen annimmt. Für Schwach-
sinnige, Sittlichkeitsverbrecher, Gemeinschaftsunfähige (Asoziale) [muß] das
Volk an Kräften und Mitteln viel aufwenden. Durch die Ausschaltung dieser Trä-
ger faulen Erbgutes können gewaltige Summen erspart und anderen Zwecken
nutzbar gemacht werden. Jedes Naturvolk merzt in richtiger Erkenntnis das
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 28 | S e i t e
Minderwertige aus. Bei den sogenannten Kulturvölkern hat eine falsche Nächs-
tenliebe, vor allem von kirchlichen Kreisen in die breite Masse getragen, eine
Gegenauslese geradezu gefördert.“ (Lehrplan des SS-Hauptamtes o.J.; zit.
nach Kohl 1997, S. 58)
3.2 Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“
Die in Wien stationierte Kinderfachabteilung mit dem Namen „Am Spiegelgrund“
war wohl die größte und bedeutendste ihrer Art in Österreich beziehungsweise
damals in der Ostmark. (Vgl. Eckart 2012, S. 142)
Im Juli 1940 wurde die Wiener „Kinderfachabteilung“ am Gelände der Heil- und
Pflegeanstalt „Am Steinhof“ eingerichtet. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Akti-
vität GmbH 2007, S. 43) Sie rangierte innerhalb des Deutschen Reiches bald
als zweitgrößte Einrichtung. Aus Gründen der Vortäuschung wechselte diese
kinderpsychiatrische Spezialklinik häufig den Namen und nannte sich gelegent-
lich „Wiener städtische Jugendfürsorgeanstalt“, dann wieder „Heilpädagogische
Klinik der Stadt Wien – Am Spiegelgrund“ und schließlich wurde sie auch mit
der Bezeichnung „Wiener städtische Nervenklinik für Kinder“ versehen. In Wirk-
lichkeit diente diese Anstalt jedoch nur der Erfassung und Ermordung psychisch
auffälliger Kinder. (Vgl. Eckart 2012, S. 142)
Erwin Jekelius war von 1940 bis 1942 der erste Leiter der Kinderfachabteilung
„Am Spiegelgrund“ und Jahre später sagt Jekelius Folgendes vor Gericht aus:
(Vgl. Häupl 2008, S. 22f)
„… Anfang 1941, nach Eröffnung der Klinik, kam BRACK nach Wien und sagte
in einem Gespräch mit mir und Professor GUNDEL, dass geplant sei, in unserer
Klinik Maßnahmen zur Tötung kranker Kinder durchzuführen, die an Geistes-
krankheiten litten, bzw. mit schweren physischen Behinderungen geboren wor-
den waren … hier wurde mir auch gesagt, dass ich für die Tötung der Kinder
einen speziellen Arzt aus Berlin zur Seite bekäme, der in dieser Angelegenheit
Erfahrung hätte. Als ein solcher Arzt erwies sich Dr. Gross. Bald nach meiner
Rückkehr nach Wien und dem Eintreffen von Dr. Gross begannen wir in unserer
Klinik mit der Vernichtung kranker Kinder…“ (Jekelius o.J.; zit. nach Häupl
2008, S. 23)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 29 | S e i t e
Wie in allen anderen Anstalten wurden von Berlin aus auf der Grundlage von
Meldebögen die Anweisungen zur „Behandlung“ oder zur weiteren „Beobach-
tung“ gegeben. Ersteres bedeutete, dass die Kinder getötet werden sollen, wäh-
rend das Wort „Beobachtung“ dafür stand, dass den Kindern noch ein Lebens-
aufschub gewährt wurde. (Vgl. Eckart 2012, S. 142)
In der Anstalt selber war man immer bemüht, dass die Vorgänge im Gebäude
nicht an die Öffentlichkeit gerieten. Zwischen 1940 und 1945 wurden in der Kin-
derfachabteilung „Am Spiegelgrund“ etwa 700 bis 800 geistig beeinträchtigte
oder auffällige Kinder ermordet. Nach der Tötung entnahmen die verantwortli-
chen Personen den Opfern häufig Gehirne und Rückenmarkstränge, welche für
weitere Untersuchungen in Gläsern konserviert wurden. Speziell Heinrich Gross
hatte sich die „wissenschaftliche“ Verwertung der Körperteile von Mordopfern
„Am Spiegelgrund“ zu eigen gemacht. Gross war seit November 1940 Stations-
arzt am Spiegelgrund und persönlich in die Ermordung der Kinder involviert.
Jahrzehntelang wurden sterbliche Überreste von 789 ermordeten Kindern in der
Anstalt konserviert. Erst 2002 wurde ihnen am Wiener Zentralfriedhof die letzte
Ruhe gegönnt. (Vgl. Eckart 2012, S. 142f)
Neben vielen anderen Ärzten wurde auch Gross im Jahre 1948 vor dem Volks-
gericht Wien wegen seiner Beteiligung an den Kindertötungen angeklagt und
dabei zu zwei Jahren Haft verurteilt. Doch der Oberste Gerichtshof hob dieses
Urteil wegen eines Formfehlers wieder auf. Gross startete schließlich eine zwei-
te Karriere. Einige Jahre nach dem Kriegsende 1945 kehrte Gross wieder auf
den Steinhof zurück und begann dort bereits im Jahre 1953 mit der Auswertung
der Gehirne der Spiegelgrundopfer. Über 25 Jahre hindurch veröffentlichte die-
ser Mann zahlreiche Arbeiten auf dem Gebiet der Neuropathologie. (Vgl. Laube
sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 44)
3.3 Aktion „T4“
Diese erste Aktion des Kindermordens wurde ausgedehnt. Nun gerieten auch
körperlich und geistig behinderte Erwachsene ins Visier der Nationalsozialisten.
(Vgl. Romey 1987, S. 21)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 30 | S e i t e
Ab dem Juli des Jahres 1939 plante das NS-Regime bereits die Aktion „T4“.
Diese Aktion hatte das Ziel, psychisch kranke und behinderte Menschen zu er-
morden, damit die Kosten für die Anstaltspflege gesenkt werden konnten. (Vgl.
Schreiber 2008, S. 214)
Genau im April 1940 weitete sich die Euthanasie-Zentrale räumlich, aber auch
organisatorisch aus. Der Großteil der Verwaltung wurde in eine Villa in der Ber-
liner Tiergartenstraße 4 untergebracht, deshalb verlief die Mordaktion auch un-
ter der Abkürzung „T4“. Diese Einrichtung fungierte aber lediglich als geheime
Euthanasie-Organisation. Finanziert wurde „T4“ von der NSDAP. Die einzelnen
Abteilungen schrieben, verhandelten und befahlen, wobei immer unterschiedli-
che Tarnnamen verwendet wurden. Die Organisation der Morde geschah unter
dem Briefkopf „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalt“. (Vgl. Klee
2010, S. 121)
Mit dem Überfall der Deutschen Truppen auf Polen am 1. September 1939 be-
gann der Zweite Weltkrieg. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivitäten GmbH
2007, S. 20)
Deshalb sollten die „Geisteskranken“ und „Behinderten“ auch aus kriegswirt-
schaftlichen Nützlichkeitserwägungen vernichtet werden. Bis zum Jahre 1942
wurden tatsächlich 100.000 Betten für das Militär „freigestellt“. (Vgl. Romey
1987, S. 21)
Eine rechtliche Grundlage für die Aktion „T4“ existierte nicht, es gab lediglich
einen auf Privatpapier geschriebenen Geheimbefehl Adolf Hitlers, welcher mit
Ende Oktober 1939 datiert war. Dieser besagte, dass Menschen, welche an
einer unheilbaren Krankheit litten, der Gnadentot gewährt werden kann. (Vgl.
Schreiber 2008, S. 215)
Die „Euthanasieaktion“ „T4“ lässt sich in drei Phasen unterteilen: Zur ersten
zählen die teils bis 1945 weitergeführten Kindertötungen und die erste Haupt-
phase der Erwachsenenmorde, welche bis zum offiziellen „Stopp“ im August
1941 dauerte. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden hierbei mehr als 70.000 Men-
schen getötet. Die erste Phase mündete schließlich in die Phase der „Neuorien-
tierung“ des Mordens, die dadurch gekennzeichnet war, dass immer neue Men-
schengruppen in den Kreis rückten, welche selektiert und dann getötet werden
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 31 | S e i t e
sollten: Tuberkulosekranke, Alte und Schwache, wohnungslose „Streuner“, Ar-
beitsunwillige, schwache und kränkliche KZ-Insassen/-innen, insbesondere
auch sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma und viele mehr. Diese Pha-
se endete schließlich in der „Endlösung der Judenfrage“. (Vgl. Eckart 2012, S.
138f)
3.3.1 Vorbereitungen des Massenmordes
Die NS-Propaganda hatte die Bevölkerung auf die Tötungen bereits zuvor indi-
rekt vorbereitet, indem immer wieder Bilder gezeigt wurden, welche von absto-
ßenden, tierähnlichen und Furcht erregenden Geisteskranken und Missgebilde-
ten erzählten. Die wirklichen Umstände, unter denen diese Menschen litten,
gelangten jedoch nicht an die Öffentlichkeit. (Vgl. Schreiber 2008, S. 215)
Um den Massenmord durchführen zu können, war es nun notwendig, alle Men-
schen zu erfassen, welche getötet werden sollten. Dazu sandte man in der
zweiten und dritten Oktoberwoche 1939 zwei Meldebögen in alle Anstalten des
Reiches, mit der Auflage, die ersten ausgefüllten Bögen spätestens bis ersten
November wieder zurückzusenden. Diese Zeit war sehr knapp bemessen und
deshalb gab es Ärzte, welche in diesen drei Wochen bis zu 1.500 Stück des
Meldebogens 1 ausfüllten. Man kann sich vorstellen, dass es völlig unmöglich
war, in diesem Zeitraum die betreffenden Kranken auch nur flüchtig zu untersu-
chen. Im Meldebogen 1 waren hauptsächlich Daten anzuführen, welche sich
auf die Patienten/-innen bezogen, während es im Meldebogen 2 eher um die
Anstalt ging, in der sich die Betroffenen befanden. Dies war nötig, damit man
jene Anstalten ermitteln konnte, welch am besten dazu taugten, in „Euthanasie-
anstalten“ umfunktioniert zu werden. (Vgl. Kohl 1997, S. 72ff)
Die Meldebögen gelangten schließlich in die Tiergartenstraße 4, wo speziell
Johannes Heck und Kurt Neumann, im Zivilberuf Bankkaufmann bzw. Drogist,
den Papierkram erledigten. Diese zwei Männer sandten die Unterlagen jedoch
an drei Ärzte, welche als Gutachter fungierten. Wie bereits in der „Kindereutha-
nasie“ entschieden diese drei Männer über das Leben oder den Tod des Pati-
enten oder der Patientin. Wies der Meldebogen ein rotes Pluszeichen auf, so
war dies der Vermerk, dass der Mensch getötet werden muss, ein blaues Mi-
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 32 | S e i t e
nuszeichen bedeutete, dass der oder die Betroffene am Leben bleiben durfte.
Anschließend gingen die Papiere wieder nach Berlin in die Tiergartenstraße 4
und von dort aus an den Oberbegutachter Linden, später dann an Linden und
Heyde und schließlich wurde Linden ein halbes Jahr später durch Nitsche er-
setzt. Die Oberbegutachter waren nun für das endgültige Urteil verantwortlich.
(Vgl. Kohl 1997, S. 75f)
Die Namen der Menschen, welche getötet werden sollten, wurden in Listen ein-
getragen. (Vgl. Schreiber 2008, S. 215)
Wenige Wochen, nachdem die Bögen ausgefüllt und zurückgesandt worden
waren, traf in den Krankenanstalten ein Formular ein, in dem im Rahmen
„planwirtschaftlicher Maßnahmen“ eine Reihe von Verlegungen gefordert wur-
de. Diesem Schreiben war eine Liste beigefügt, welche die Namen der Men-
schen enthielt, die getötet werden sollten. Somit wurde die Leitung der Kran-
kenhäuser aufgefordert, die auf der beiliegenden Liste genannten Patienten/-
innen zwei oder drei Tage nach dem Erhalt des Schreibens für die Abholung
durch die „Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft“ bereitzustellen. Der
Zielort war zuerst unbekannt, erst durch Anfrage wurde eine in den verschiede-
nen Ländern zur Tarnung eingerichtete Durchgangsanstalt namhaft gemacht.
Bei neuerlichem Nachfragen wurde der Name einer der Tötungsanstalten an-
gegeben: Hadamar (bei Koblenz), Hartheim (bei Linz), Bernburg (in Anhalt) und
Sonnenstein (bei Pirna), Grafeneck (in Würtemberg) und Brandenburg (bei Ber-
lin). Grafeneck und Brandenburg wurden aber Ende 1940 wieder geschlossen.
(Vgl. Hinterhuber 1995, S. 30)
Zwischen 1939 und 1945 wurden nach Schätzungen mehr als 200.000 psy-
chisch kranke und körperlich behinderte Menschen ermordet. Viele wurden ver-
gast, einige erhielten tödliche Injektionen und wieder andere mussten qualvoll
verhungern. (Vgl. Weig 2001, S. 7)
3.3.2 Propagandafilm „Ich klage an“
Um die „Euthanasie“ zu propagieren, beschlossen die Nationalsozialisten einen
Spielfilm in den Kinos zu zeigen. Dieser Film – „Ich klage an“ – sollte die Men-
schen im Hinblick auf die Thematik der Massenmorde an psychisch und körper-
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 33 | S e i t e
lich behinderten Menschen positiv beeinflussen. Der Film selber offenbart das
Schicksal einer jungen Frau, welche mit einem Medizinprofessor verheiratet ist.
Eines Tages erkrankt sie und es gibt keine Hoffnung mehr, dass sie diese
Krankheit überwinden kann. Um den körperlichen Verfall der jungen Dame zu
zeigen, wurden bewusst drastische Bilder ausgewählt, sodass die Menschen,
die den Film im Kino sahen, sich ekelten. Die Haupthandlung des Films besteht
in der Folge darin, dass die kranke Frau ihren Ehemann um Sterbehilfe bittet.
Dieser zweifelt zuerst und will ihr diesen Wunsch nicht gewähren, doch nach
einiger Zeit willigt er ein und verabreicht ihr ein Gift, an dem seine Ehefrau
schließlich stirbt. Im Film wird diese Tat als moralisch richtige Handlung darge-
stellt und auch der anschließend verfilmte Gerichtsprozess zeigt deutlich, dass
es keinen Zweifel daran gibt, dass der Ehemann nur zum Wohle der Ehefrau
gehandelt hat und die Verabreichung des Giftes als Hilfeleistung gesehen wer-
den kann. Aus diesem Grund darf der Ehemann auch nicht bestraft werden,
dies kommt im Film deutlichst zum Ausdruck. (Vgl. Kuchler 2013, S. 58)
3.3.3 Verantwortliche Personen der Aktion „T4“
Das Hauptamt II der Kanzlei des Führers oder kurz KdF stand an der Spitze der
Aktion „T4“. Der Leiter dieser Organisation war Brack, welcher den Tarnnamen
Jennerwein annahm. Die Vertretung Bracks hatte Blankenburg inne, welcher
sich hinter dem Tarnnamen Brenner versteckte. (Vgl. Klee 2010, S. 121)
Die Zentraldienststelle „T4“, die unter dem Briefkopf „Reichsarbeitsgemein-
schaft Heil und Pflegeanstalt“ verdeckt war, war in mehrere Abteilungen aufge-
teilt. Die Medizinische Abteilung, die für die Verlegung der Menschen, die Or-
ganisation des Krankenmords, die Meldebögen, die Gutachter und die Registra-
tur zuständig war, leitete Heyde. Sein Vertreter war Nitsche. (Vgl. Klee 2010, S.
121f)
Die Büroabteilung, die mit den Abrechnungen der Pflege- und Transportkosten,
der Nachlassabwicklung, der Erwirtschaftung von Millionengewinnen durch
Kostenstellung für Pflegetage längst ermordeter Patienten/-innen, der Kuriertä-
tigkeit und der Tätigkeit als Standesamt beauftragt war, leitete bis Juni 1940
Bohne und später Tillmann. Ab April 1941 wurde diese Abteilung in „Zentralver-
rechnungsstelle Heil und Pflegeanstalten“ umbenannt. (Vgl. Klee 2010, S. 122)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 34 | S e i t e
Die Transportabteilung oder „Gemeinnützige Krankentransport-G.m.b.H.
(Gekrat) war für die Organisation der Transporte verantwortlich. Die Leitung
dieser Abteilung hatte Vorberg inne. (Vgl. Klee 2010, S. 122)
Die Hauptwirtschaftsabteilung oder die Verwaltung der Zentraldienststelle „T4“,
welche auch unter dem Namen „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege“ be-
kannt war, leitete Schneider bis zum März 1941, später Schmiedel und ab Feb-
ruar 1942 Lorent. Diese Abteilung war vor allem für die Finanzen, die Besol-
dung, die Vereinnahmung der NSDAP-Zuschüsse, die Revision, die Beschaf-
fung von Gas und Medikamenten, die Vereinnahmung von Zahngold und Wert-
sachen der Ermordeten zuständig. (Vgl. Klee 2010, S. 122)
Schließlich existierte noch eine Personalabteilung, welche für die Personalan-
gelegenheiten zuständig war. Der Leiter dieser Abteilung war Haus. (Vgl. Klee
2010, S. 122)
3.3.4 Aktion „T4“ in Tirol
Auch in Tirol wurde die Aktion „T4“ praktiziert. Bereits im August 1940 kam
deshalb Dr. Fritz Mennecke in die Heil- und Pflegeanstalt Hall. Begleitet wurde
der führende Gutachter der NS-Euthanasie aus Berlin von sieben Medizinstu-
denten. Während ihres dreitägigen Aufenthaltes in Hall begutachteten sie alle
Krankengeschichten der Patienten/-innen, ohne diese zu untersuchen. Bereits
drei Monate nach der Abfahrt dieser Herren bekam der Primararzt von Hall, Dr.
Ernst Klebelsberg, eine Liste, auf der 290 Namen aufschienen. Diese Men-
schen sollten für den Abtransport bereitgestellt werden. Doch Klebelsberg pro-
testierte gemeinsam mit dem Vorstand der Psychiatrischen Universitätsklinik
Innsbruck gegen die Abholung leicht erkrankter Patienten/-innen. Dies bewirkte,
dass Klebelsberg die Erlaubnis erhielt, jene Personen von der Liste zu strei-
chen, die er für heilbar und arbeitsfähig hielt. (Vgl. Schreiber 2008, S. 218)
Doch bereits am 10. Dezember 1940 wurden die ersten 179 Patienten/-innen
aus Hall abgeholt und nach Hartheim transportiert. Weitere Transporte erfolgten
am 20. März 1941, am 29. Mai 1941 und am 31. August 1942 mit insgesamt
181 Personen. Unter den Opfern dieser Transporte befanden sich auch 60 mit-
tellose, alte Menschen sowie körperlich bzw. geistig leicht behinderte Menschen
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 35 | S e i t e
und psychisch Kranke der Versorgungshäuser der Barmherzigen Schwestern in
Nassereith, Imst und Ried. (Vgl. Schreiber 2008, S. 219)
Insgesamt wurden von 1940 bis 1942 über 700 Personen alleine aus Nordtirol
in das Schloss Hartheim eingeliefert und dort getötet. Die Zahl der Osttiroler
Opfer dürfte in etwa bei 50 liegen. Diese Menschen aus dem Bezirk Lienz sind
zum Großteil auf den Listen der Transporte von Hall, Mils etc. nach Hartheim
oder Niedernhart genannt. (Vgl. Kofler 2005, S. 132)
3.3.5 Karl Brandt
Karl Brandt wurde am 8. Jänner 1904 im elsässischen Mühlhausen geboren.
Nach dem Abitur begann Brandt Medizin zu studieren. (Vgl. Eckart 2012, S.
135)
Von Mai 1923 bis April 1925 studierte Brandt an der Universität in Jena. Dies
war zu dieser Zeit ein Nährboden für nationalistische und antisemitische Ten-
denzen. Weil Brandt an mehreren Universitäten sein Studium absolvierte, kam
er mit einer Reihe medizinischer Experten, beruflicher Netzwerke und mit Schu-
len in Berührung und zudem lernte er auch einige wichtige Persönlichkeiten der
deutschen „Rassenhygiene“ kennen. Im Jahre 1928 legte Brandt schließlich
das Medizinische Staatsexamen ab. Nach dem Abschluss seines Medizinstudi-
ums an der Universität Freiburg reichte er seine Dissertation zum Thema „An-
geborener Verschluss der Gallenausfuhrgänge“ ein. Damals war es nicht sel-
ten, dass man für seine Dissertation ein Thema aus dem Bereich der Erbkrank-
heiten und Eugenik wählte. Viele hofften nämlich, dass dies den beruflichen
Aufstieg fördern könnte. (Vgl. Schmidt 2009, S. 59ff)
Man vermutet, dass Brandt spätestens 1926 auf dem Weimarer Parteitag der
NSDAP mit der Partei in Berührung kam. 1932 wurde er schließlich Parteimit-
glied. (Vgl. Eckart 2012, S. 136)
Um Brandts politische und ideologische Weltanschauung zu verstehen und zu
erklären, weshalb er Mitglied der Nazipartei wurde, sollte man sowohl die so-
zioökonomischen als auch die politischen Umstände berücksichtigen, die er als
Jugendlicher nach dem Ersten Weltkrieg und als Assistenzarzt Ende der zwan-
ziger Jahre erlebte. Vor allem die wirtschaftliche Not, unter der viele Patienten/-
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 36 | S e i t e
innen litten, verstärkte bei Brandt das Gefühl der Ungerechtigkeit. So wurde er
allmählich zum Gegner des demokratischen Systems der Weimarer Republik
und es brachte ihn so weit, dass er sich der nationalistischen Politik annäherte.
Das Bedürfnis nach Sicherheit, nach der Existenz der Gemeinschaft und des
biologischen Lebens des Volkes wurden zu wesentlichen Aspekten seiner Ge-
danken. Speziell diese Jahre prägten Brandt und somit trat er der NSDAP bei.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Brandt auf seine Mitgliedschaft in der Partei
angesprochen. Dabei bekräftigte er, dass ihm der Entschluss, der Nazipartei
beizutreten, nicht schwergefallen sei. (Vgl. Schmidt 2009, S. 85f)
Erste persönliche Kontakte zu Hitler ergaben sich bereits im selben Jahr der
Mitgliedschaft, da sich Brandt mit der seit 1925 mit Hitler befreundeten
Schwimmmeisterin Anna Rehborn verlobte. Vor allem durch die Vermittlungen
von Wilhelm Bruckner, welcher Hitlers Adjutant war, schaffte Karl Brandt den
Aufstieg in der NSDAP. So bestellte Hitler Brandt zu seinem Begleit- bzw. Leib-
arzt. Bereits mit dem Überfall auf Polen wurde Brandt SS-Obersturmbannführer
und ab Mitte Mai 1940 war er für die Koordination des militärischen und zivilen
Sanitätswesens zuständig. 1942 wurde das Aufgabengebiet erweitert und er
beschäftigte sich zunehmend mit der Medizinischen Forschung sowie der Medi-
kamentenherstellung und -verteilung. (Vgl. Eckart 2012, S. 136f)
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Karl Brandt auf den Anklagestuhl der Nürn-
berger Prozesse gesetzt, da er eine besondere Rolle eingenommen hatte und
als Vertrauter und Sonderbevollmächtigter Hitlers auf dem Feld des Gesund-
heitswesens fungierte. Am schwersten wog Brandts führende Rolle jedoch bei
der als „Euthanasie“ getarnten Mordaktion an psychisch und körperlich behin-
derten Menschen. (Vgl. Eckart 2012, S. 137)
3.3.6 Widerstand gegen die Aktion „T4“
Obwohl Strafen angedroht und Täuschungsmanöver durchgeführt wurden, um
die Aktion „T4“ geheim zu halten, drangen doch Informationen nach außen.
Schon sehr rasch kursierten in der Bevölkerung Gerüchte über Vergasungen.
(Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 138)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 37 | S e i t e
Somit entwickelte sich bald nach Bekanntwerden der Abtransporte ein starker
Druck auf das NS-Regime, denn vor allem die Betroffenen und die Angehörigen
leisteten Widerstand. (Vgl. Malina & Neugebauer 2001, S. 711) Die betroffenen
Familien reagierten oft mit Entsetzen und Empörung auf die nicht angekündig-
ten „Verlegungen“ und die rasch folgenden Todesmeldungen trafen sie zumeist
völlig unerwartet. Vielfach wurden nun den Anstaltsleitungen schwere Vorwürfe
gemacht, denn die Angehörigen wollten die Direktoren der Anstalten sprechen
und Gründe wissen, weshalb das Familienmitglied gestorben ist. Einige began-
nen auch persönliche Nachforschungen über das Verbleiben ihrer Familienmit-
glieder anzustellen. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S.
138)
Doch auch auf Seiten der katholischen und evangelischen Kirche wurden Pro-
teste laut. (Vgl. Malina & Neugebauer 2001, S. 711) In Salzburg lehnte zum
Beispiel im Besonderen die Visitatorin der Barmherzigen Schwestern Anna Ber-
tha Königsegg die NS-Euthanasie offen ab. Anna Bertha Königsegg wurde am
9. Mai 1883 in Königseggwald in Württemberg als ältestes von acht Kindern
geboren. Bereits mit 18 Jahren trat sie dem Orden bei. 1938, zurzeit der Ver-
einnahmung Österreichs durch Hitler, arbeitete Schwester Anna Bertha im Auf-
trag ihres Mutterhauses in Salzburg. (Vgl. Kiel-Römer, Süß & Steppe 1993, S.
191)
Anna Bertha Königsegg war eine glaubensstarke, resolute Frau und eine ent-
schiedene Gegnerin des Nationalsozialismus. Dies zeigte sich auch darin, dass
sie immer wieder Konflikte mit dem Regime austrug. So erteilte Königsegg zum
Beispiel ihren im Landeskrankenhaus tätigen Schwestern die Weisung, bei
Zwangssterilisationen in keiner Weise zu assistieren. Als die Schreiben des NS-
Regimes ankündigten, dass eine große Anzahl an Patienten/-innen verlegt wer-
den solle, wusste die Visitatorin bereits, was auf die Kranken zukommen würde.
Deshalb bezog sie ausdrücklich gegen die Maßnahmen Stellung, was dazu
führte, dass sie sogar mehrmals verhaftet wurde und schließlich Salzburg ver-
lassen musste. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 143f)
Auch Bischof Clemens August Graf von Galen trat gegen die Tötungsdelikte der
Nationalsozialisten auf. Berühmt ist in diesem Zusammenhang vor allem seine
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 38 | S e i t e
„Euthanasiepredigt“, in der er „Euthanasie“ als Mord anprangerte. Diese Predigt
fand große Zustimmung in der Bevölkerung und wurde über Flugblätter rasch
im ganzen Land verbreitet. Der Bischof ging sogar so weit, dass er bei der Poli-
zei Anzeige wegen Mordes erstattete, um den Protest noch einmal zu unter-
mauern. Möglicherweise hat ihn seine Bekanntheit vor Konsequenzen bewahrt.
Wesentlich ist jedoch, dass vor allem die Widerstände aus der Kirche maßgeb-
lich zum Ende der Aktion „T4“ im August 1941 beigetragen haben. (Vgl. Laube
sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 144)
Zu erwähnen ist hier jedoch auch, dass leider auch zahlreiche Priester selbst
Nazis waren und so zum Teil massive Propaganda für die Unfruchtbarmachung
Geisteskranker und die Reduzierung der Anstrengungen der Volksgemeinschaft
zur Erhaltung von „lebensunwertem“ Leben machten. (Vgl. Kohl 1997, S. 286)
3.3.7 Fortführung der „Euthanasie“
Obwohl Hitler den Euthanasiestopp verkündete, kam die „Euthanasie“ keines-
wegs zum Erliegen. Sowohl die „Kindereuthanasie“ als auch die Vergasung von
körperlichen bzw. geistigen Erwachsenen wurden weiterhin durchgeführt. Als
einzige Euthanasietötungsanstalt blieb Hartheim bis Dezember 1944 weiter in
Betrieb. Dort wurden nun unter anderem auch geisteskranke Ostarbeiter/-innen
vergast, die keine Leistung mehr erbringen konnten. (Vgl. Malina & Neugebauer
2001, S. 711)
Vermutet wird außerdem, dass Insassen von Heil- und Pflegeanstalten zu For-
schungszwecken nach dem August 1941 vergast wurden, wenngleich in gerin-
gem Umfang. Zudem wurde die „Kindereuthanasie“ durch die Heraufsetzung
der Altersgrenze ausgedehnt. Schließlich führten die Ärzte, welche in Zusam-
menhang mit dem Euthanasieapparat standen, auch zunehmend Giftmorde in
den Heil- und Pflegeanstalten durch. Diese Vorgehensweisen fallen unter den
Begriff der „wilden Euthanasie“. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 213f)
Nach dem offiziellen Stopp durch Hitler hatten die Ärzte nun mehr Eigenverant-
wortung in der Beurteilung von „lebensunwertem“ Leben. Unzählige Parteige-
nossen/-innen erfasste zu dieser Zeit ein unvorstellbarer Fanatismus, alle jene
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 39 | S e i t e
zu vernichten, welche nicht ihrer Vorstellung einer „arischen Herrenrasse“ ent-
sprachen. (Vgl. Häupl 2012, S. 16)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 40 | S e i t e
4 Schloss Hartheim
Wenn man die Thematik „Euthanasie“ zurzeit des Nationalsozialismus aufarbei-
tet, dann muss meines Erachtens auch unbedingt Hartheim erwähnt werden. In
diesem „Mordschloss“ wurden nämlich zahlreiche Österreicher/-innen vom NS-
Regime kaltblütig ermordet. Um diesem Schloss ein Gesicht zu verleihen, be-
suchte ich die ehemalige Tötungsanstalt persönlich. Die dort gesammelten Ein-
drücke und Bilder gehen mir auch im Nachhinein noch tief unter die Haut und
ich glaube, dass man all die schrecklichen Ereignisse im und rund um das
Schloss Hartheim erst wirklich realisieren kann, wenn man sich selbst an jenem
Ort befindet, wo unschuldige Menschen in den Tod gerissen wurden.
4.1 Ermordet im Schloss Hartheim
Zu Beginn möchte ich dafür Sorge tragen, dass wenigstens ein paar der Opfer
nicht in Vergessenheit geraten. Natürlich gibt es eine Vielzahl an Opfern, wel-
che in Oberösterreich ihr Leben lassen mussten. Stellvertretend für die vielen
Unschuldigen möchte ich hier einige Lebensgeschichten von Menschen, die in
Hartheim ermordet worden sind, erzählen.
4.1.1 Leopoldine Zankl
Leopoldine Zankl hat sechs Kinder. Sie erkrankt an Schizophrenie und somit
wird sie für die Nationalsozialisten interessant. Schließlich wird Zankl am 20.
März 1941 im Alter von 49 Jahren von der Heil- und Pflegeanstalt Hall nach
Hartheim transportiert und dort ins Gas getrieben. Ihr Enkel Karl Nemec, der
dieses Geheimnis erst sehr spät in Erfahrung bringen konnte, fand heraus, dass
die Nationalsozialisten erklärt hatten, dass Leopoldine Zankl zu teuer wäre,
dass sie mehr als fünf Reichsmark kostete und zudem nichts produzierte. (Vgl.
Schreiber 2008, S. 219)
4.1.2 Johanna Bauer
Im Alter von drei Jahren erkrankt Johanna an Windpocken und Keuchhusten.
Seitdem leidet das Kind an krampfartigen Bewegungsstörungen der Hände und
Arme. Außerdem beobachten die Eltern, dass das Kind auch schlecht hört.
Schließlich bringen die Eltern höchstpersönlich ihre Tochter in die Anstalt. Wäh-
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 41 | S e i t e
rend der Aufnahmeuntersuchung wirft sich das Mädchen aus Angst auf den
Boden, es versucht sich die Kleidung auszuziehen, um davonlaufen zu können.
In der Folge wird das Kind isoliert und sogar während der Essenszeit an der
Bank festgebunden. Aus der Familienanamnese geht hervor, dass die Eltern
gesund sind. Nur der Onkel hat Selbstmord begangen und deshalb wird Johan-
na als „erblich belastet“ eingestuft und somit als „aussichtslos pflegebedürftig“
abgestempelt. Am 20.5.1941 besiegelt der Anstaltsleiter mit seiner Unterschrift,
dass Johanna in eine der Direktion nicht genannte Anstalt überstellt wird. Der
Name der inzwischen 14-jährigen Johanna steht auf der Transportliste nach
Hartheim. (Vgl. Häupl 2012, S. 42)
4.1.3 Hubert Rainer
Hubert ist das uneheliche Kind einer Köchin. Seit seiner frühesten Kindheit ist
der Bub oft krank. Dadurch ist er in seiner gesamten Entwicklung sehr beein-
trächtigt. Hubert wächst zudem noch bei einer Ziehmutter auf. Der Bezirksfür-
sorgeverband veranlasst schließlich 1939 seine Unterbringung in dem St. Jo-
sef-Institut in Mils in Tirol. Hubert ist gerade einmal acht Jahre alt, als er
schließlich am 10. 12. 1940 nach Hartheim transportiert wird. (Vgl. Häupl 2012,
S. 173)
4.2 Tötungsanstalt Hartheim
Bereits im Jahre 1938 kamen die hohen Herren des NS-Regimes nach Hart-
heim, um das Renaissanceschloss zu begutachten und sich ein Bild über des-
sen Zustand zu machen. Dabei wurde alles ausgemessen und es werden Skiz-
zen und lange Inventarlisten angelegt. Dann begann der Umbau zur Tötungs-
anstalt. Die „Idiotenanstalt“ Hartheim, welche zuvor in diesem Schloss unterge-
bracht war, wurde schließlich im Sommer 1938 geschlossen, damit die Umbau-
arbeiten ohne Probleme vonstattengehen konnten. Die Pfleglinge, welche sich
zuvor in Hartheim befanden, mussten in anderen Anstalten wie zum Beispiel in
Niederhart in Linz untergebracht werden. (Vgl. Kohl 1997, S. 31f)
Die Menschen, die unmittelbar neben dem Schloss wohnten, bekamen vom
Umbau kaum etwas mit, da man von außen sehr wenig sah. An der Westseite
entstand ein Vorbau aus Holz, im Norden und Süden blieben große Öffnungen
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 42 | S e i t e
ausgespart, in die dann große Scheunentorflügel eingehängt wurden. Vor der
Hauptzufahrt von der Dorfstraße zum Schlossgelände wurde zum Beispiel ein
großes hölzernes Tor befestigt. Über diesem Tor glänzte in großen Buchstaben
das Wort „Erholungsheim“, obwohl Schloss Hartheim in Wahrheit für viele
Menschen der Tod bedeutete und man dort alles andere als Erholung finden
konnte. (Vgl. Kohl 1997, S. 59f)
Im Inneren des Schlosses wurde vor allem im Erdgeschoss fast alles umgestal-
tet. So entstand beispielsweise ein großer Ofen, der später dazu dienen sollte,
die Menschenleichen zu verbrennen. Im Laufe der Zeit wurde auch ein großer
Kamin gemauert, der bis zum Dach reichte. Die Räume in den oberen Stock-
werken, wo früher die Pfleglinge untergebracht waren, wurden zu Büros und
Zimmer für das künftige Personal umfunktioniert. Zusätzlich entstand noch ein
Festsaal und es wurde sogar eine kleine Bar eingerichtet. (Vgl. Kohl 1997, S.
60)
Das eisige Herz der zukünftigen Vernichtungsanstalt bildete aber die Gaskam-
mer. Im Anschluss an den Tötungsraum entstand ein kleiner Zwischenraum, in
dem die Gasfalschen untergebracht wurden. Eine Stahltür mit Guckloch trennte
diesen Raum von der Gaskammer. In der ersten Umbauphase wurde aus dem
6,60 Meter mal 4,20 Meter großen und drei Meter hohen Raum lediglich das
Inventar entfernt. Zudem wurden Rohre befestigt, die Wasserleitungen vortäu-
schen sollten. Schlussendlich wurden in der Gaskammer auch noch drei Brau-
seköpfe angebracht, sodass die Pfleglinge im ersten Augenblick wirklich dach-
ten, dass sie gewaschen werden sollten. An den Wänden wurden Holzbänke
aufgestellt, welche die Rohre mit den zahlreichen Löchern etwas verdeckten,
aus denen das Gas austreten würde. In der zweiten Umbauphase wurde der
Holzboden der Gaskammer durch Beton und dann durch rote Fliesen ersetzt.
Auch die Seitenwände verflieste man bis in die Höhe von 1,70 Metern mit roten
Fliesen. Eine weitere Stahltür mit Guckloch führte in den nächsten Raum. Dies
war der Aufnahmeraum. Hier wurden die Opfer den Ärzten, Pflegern/-innen und
Schreibkräften gegenübergestellt und genau in diesem Raum ließen sich die
Ärzte Lonauer oder Renno innerhalb von Sekunden Todesursachen einfallen,
während die Menschen noch lebend vor ihnen standen. Bevor diese Menschen
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 43 | S e i t e
jedoch in der Gaskammer qualvoll erstickten, wurden sie noch im Profil und in
der Ganzansicht fotografiert. (Vgl. Kohl 1997, S. 60f)
Dieser ganze Umbau war nötig, damit das Gebäude die Aufgaben einer Tö-
tungsanstalt erfüllen konnte. Es wird vermutet, dass in Hartheim bereits am 6.
Juni 1940 die ersten Menschen getötet wurden, denn an jenem Tag wurden
viele Patienten/-innen des Psychiatrischen Krankenhauses Linz-Niedernhart
angeblich in die „Heil- und Pflegeanstalt Brandenburg“ transportiert. Da man die
Tötungen geheim halten wollte, war es vor allem zu Beginn üblich, dass vorge-
schobene Bestimmungsorte aufschienen. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 31)
4.2.1 Personal der Tötungsanstalt Hartheim
Dr. Rudolf Lonauer war der ärztliche Leiter der Tötungsanstalt Hartheim. (Vgl.
Kohl 1997, S.84) Sein Stellvertreter hieß Dr. Georg Renno. Büroleiter bzw. Ge-
schäftsführer war Christian Wirth. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 31)
In das Aufgabengebiet der beiden Ärzte Lonauer und Renno fielen unter ande-
rem die Begutachtung der Opfer und die Bestimmung einer möglichst plausib-
len Todesursache. Sie waren aber auch für die Tötung an sich zuständig, da
das als Tötungsmittel verwendete Kohlenmonoxid von einem Arzt in die Gas-
kammer eingeleitet werden musste. Christian Wirth war für das Sonderstandes-
amt, das den Tod der Opfer zu beurkunden hatte, den Versand der Urnen so-
wie für den Schriftverkehr mit den Abgabeanstalten und den Angehörigen der
Getöteten verantwortlich. Darüber hinaus organisierte er alle Maßnahmen zur
systematischen Verschleierung, für die er ein System des regelmäßigen Daten-
austausches zwischen den einzelnen Tötungsanstalten entwickelt hatte. (Vgl.
Laube sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 76f)
Neben den leitenden Persönlichkeiten der Tötungsanstalt arbeiteten noch zahl-
reiche andere Menschen im Schloss. So zum Beispiel Nohel, Merta und Bolen-
der. Diese Männer und noch einige weitere wurden dazu bestimmt, als Brenner
im Schloss zu arbeiten. So hießen die Heizer des Krematoriums. Doch die
Kranken mussten auch nach Hartheim transportiert werden. Diese Aufgabe
übernahmen Hödl, Mayrhuber, Lothaller und Gezinger: Sie lenkten die ganz
normalen Omnibusse der Reichspost, welche dafür vorgesehen waren. Doch
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 44 | S e i t e
nicht nur Männer waren im Schloss Hartheim tätig, sondern auch Frauen. So
zum Beispiel Hintersteiner. Besonders interessant ist bei dieser Frau, dass sie
bereits fünf Wochen nach Dienstbeginn in Hartheim zur leitenden Kanzleiange-
stellten und Sekretärin des Chefs Rudolf Lonauer aufstieg. Zu erwähnen ist
auch, dass Hintersteiner am längsten von allen im Schloss beschäftigt war.
(Vgl. Kohl 1997, S. 92ff)
Die Zahlenangaben zum Gesamtpersonal schwanken zwischen 50 und 80 Per-
sonen, welche in Hartheim beschäftigt waren. Die meisten der Hartheimer Be-
legschaft kamen aus dem Altreich. Biografien sind von sehr wenigen erhalten.
Von einigen Beschäftigten, die in Hartheim und Niedernhart angestellt waren,
kennt man bloß den Namen: Wagner, Harrer, Steubl usw. Ebenfalls nur der
Familienname ist von einem gewissen Bruckner bekannt, der die Todgeweihten
kurz vor der Vergasung fotografiert hat. Eine große Gruppe von Menschen,
welche in die Vernichtungsaktion eingeweiht waren, bleibt jedoch anonym und
namenlos. So kennt man zum Beispiel die Namen vieler Bürokräfte, vieler Pfle-
ger/-innen, welche den Transport begleiteten, Personen des Küchenpersonals
usw. bis heute nicht. (Vgl. Kohl 1997, S. 118ff)
4.2.2 Tötungsprozesse im Schloss Hartheim
Hartheim war die dritte Tötungsanstalt der NS-Euthanasieaktion „T4“, welche im
Dritten Reich in Betrieb genommen wurde. Behinderte und psychisch kranke
Bewohner/-innen von oberösterreichischen Pflege- und Behinderteneinrichtun-
gen waren die ersten Opfer, die ab Mai 1940 zur Ermordung nach Hartheim
gebracht worden waren. Die Transporte aus den größeren Anstalten kamen
zumeist mit der Eisenbahn direkt nach Linz. Vor Ort am Hauptbahnhof in Linz
wurden die Opfer durch den Leiter der Tötungsanstalt Hartheim, Dr. Rudolf Lo-
nauer, oder durch dessen Stellvertreter, Dr. Georg Renno, selektiert. Es wurde
schließlich zwischen zwei Gruppen unterschieden: nämlich zwischen jenen
Menschen, die sofort in Hartheim getötet werden sollten, und den übrigen Per-
sonen, welche vorübergehend in die „Gau-Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart“
nach Linz gebracht wurden. In Niedernhart blieben die Opfer jedoch zumeist
nur wenige Tage, dies richtete sich nach der Kapazität der Tötungseinrichtung
Hartheim. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 25f)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 45 | S e i t e
Um die Opfer aus Linz in das ca. 18 km entfernte Schloss Hartheim zu bringen,
wurden Busse und Fahrer eingesetzt, welche von der Reichspost stammten.
Parallel zu den großen Eisenbahntransporten gab es aber auch Bustransporte,
die längere Distanzen zurücklegten. Für diese Transporte standen in Hartheim
ständig drei Busse zur Verfügung, deren Fenster nach einiger Zeit undurchsich-
tig gemacht wurden. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 26)
Abbildung 3: Bus mit Chauffeur von Hartheim (Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 27)
Zu Beginn waren die Busse noch durch das Tor des Wirtschaftstraktes bis vor
den Haupteingang des Schlosses gefahren, da jedoch nach geraumer Zeit grö-
ßere Mercedesbusse verwendet worden waren, die nicht mehr durch die Tor-
einfahrt passten, wurde an der Westseite des Schlosses ein Holzschuppen ge-
baut. Dieser diente in erster Linie der Abschirmung von der Umgebung, aber
auch der Verhinderung von Fluchtversuchen der herangebrachten Personen.
(Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 27)
Nach dem Eintreffen der Opfer in die Tötungsanstalt führte das Begleitpersonal
die Menschen sogleich in den Aufenthaltsraum, der gleichzeitig auch als Aus-
kleidungsraum diente. Dort mussten sich die Kranken unter dem Vorwand, dass
man sie ärztlich untersuchen wolle, ausziehen. (Vgl. Greve 1998, S. 48)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 46 | S e i t e
Die Pfleger/-innen halfen den Opfern dabei und währenddessen erzählten sie
ihnen, dass sie nun in ein Säuberungsbad kommen würden. Aufgrund dieser
Schilderungen waren die Kranken völlig arglos. Nach dem Entkleiden wurden
die Menschen dem Arzt einzeln oder zu zweit vorgeführt. Dieser nahm zuerst
Einsicht in die vorliegenden Krankenakten, während eine Pflegeperson den
Vorgeführten mit einer laufenden Nummer stempelte. Zudem wurden jene Per-
sonen mit einem Kreuz auf dem Rücken gekennzeichnet, welche Goldzähne im
Mund hatten. Nach der Scheinuntersuchung wurden die Personen in einen ne-
benan befindlichen Raum geführt und dort fotografiert. Sehr selten kam es auch
vor, dass Menschen während des Verfahrens zurückgestellt und wieder in die
Anstalt überführt wurden. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 28)
Um den Kranken den Eindruck des Gewohnten und das Gefühl der Betreutheit
zu vermitteln, hatte das Betreuungspersonal den Auftrag erhalten, zur Täu-
schung der Opfer weiße Kittel oder weiße Arbeitsbekleidung zu tragen. Darüber
hinaus sollten geh- und bewegungsunfähige Opfer unterstützt werden, wenn sie
durch den Untersuchungsraum in die Gaskammer gelangen mussten. Wenn
unruhige Patienten/-innen transportiert und anschließend vergast wurden, so
erhielten sie bereits während der Fahrt oder schon in den Stammanstalten Be-
ruhigungsspritzen, damit sie nicht in Todesangst gerieten. Manchmal hatte
nämlich Panik unter den Opfern bereits zu erheblichen Störungen während des
Untersuchungsprozesses und des Vergasungsablaufes geführt. (Vgl. Greve
1998, S. 48f)
Nachdem die Opfer schließlich „untersucht“ und fotografiert worden waren,
brachte man sie in die 25 m² große Gaskammer. In der Regel befanden sich 30
bis 35 Personen gleichzeitig in der Gaskammer, aber kam es auch vor, dass bei
größeren Transporten mehr Menschen in die Gaskammer gepfercht wurden.
Wenn sich alle Kranken in dem kleinen Raum befanden, wurde die Stahltür ge-
schlossen und der jeweilige Arzt leitete Kohlenmonoxyd in die Gaskammer ein.
Die Zeitspanne bis zum Eintreten des Todes dauerte laut Zeugenaussagen
zehn bis fünfzehn Minuten. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 28f)
Ob wirklich alle Opfer an den Folgen des Gases gestorben waren, stellte der
Arzt im Einzelfall aber nicht fest. (Vgl. Greve 1998, S. 51)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 47 | S e i t e
Nachdem die Entlüftung der Gaskammer durchgeführt worden war, hatten nun
die Heizer – oder auch Brenner genannt – die Aufgabe, die Leichen aus der
Gaskammer in den Totenraum zu bringen. Dieser lag zwischen dem kleinen
Raum mit den Gasflaschen und dem Krematoriumsraum. Für die Heizer oder
Brenner war das Wegbringen der Leichen aus der Gaskammer in den Toten-
raum eine sehr schwere Arbeit, denn es war nicht leicht, die ineinander ver-
krampften Leichen auseinanderzubringen und anschließend in den Totenraum
zu schleifen. Diese Arbeit wurde zu Beginn auch insofern erschwert, als der
Boden holprig und noch nicht mit Fliesen ausgekleidet war. Später, als es einen
Fliesenboden gab, wurde Wasser ausgeschüttet und dadurch die Beförderung
der leblosen Körper etwas erleichtert. Im Totenraum angekommen, wurden die
Leichen aufgeschichtet. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 29)
Wenn alle Körper aus der Gaskammer entfernt worden waren, gingen die Pfle-
ger/-innen hinein, um Boden und Wandfliesen von Stuhl und Erbrochenem zu
reinigen. Die Brenner drehten währenddessen die Leichen herum, bevor sie sie
an der Wand aufstapelten. Sie suchten nach dem kreuzförmigen Kennzeichen,
welches besagte, dass das Opfer Goldzähne besaß. Einer der Brenner hielt
Ober- und Unterkiefer der Leiche auseinander, damit der andere mit einer Zan-
ge die goldenen Zähne aus dem Mund reißen konnte. Die Goldklumpen wurden
anschließend in ein großes Gurkenglas geworfen, welches eine Mischung aus
Wasser und Desinfektionsmittel enthielt. (Vgl. Kohl 1997, S. 138)
Manche Leichen jedoch wurden vor der Verbrennung seziert. Entnommene
Gehirne wurden haltbar gemacht und zum Zwecke der Forschung missbraucht.
(Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 30). Die restlichen Leichen wurden
stundenlang verbrannt. Dazu hatten die zwei diensthabenden Brenner bereits
Stunden vorher mehrere Truhen voll Koks aus der Arkade bereitgestellt und
den großen Ofen eingeheizt. Die Brenner fuhren eine Art metallene Liege auf
Laufrädern, die sogenannte Pfanne, aus dem Ofen heraus und legten die zu
verbrennenden Leichen darauf. Nachher wurden die Pfannen in das Krematori-
um geschoben und die Ermordeten verbrannt. Abhängig vom Haufen lebloser
Leiber im Totenraum konnten bis zu acht Körper auf einmal verbrannt werden.
(Vgl. Kohl 1997, S. 138f)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 48 | S e i t e
Wenn an manchen Tagen 100 bis 120 Menschen ankamen, konnte es manch-
mal sogar zwei bis drei Tage dauern, bis alle Leichen verbrannt waren. Da die
Körper bei der Verbrennung nicht vollständig zu Asche zerfielen und manchmal
Knochen übrig blieben, wurde eine elektrische Knochenmühle eingesetzt. Ein
Teil der Asche wurde in den Urnen an die Angehörigen versandt, wobei diese
Urnen wahllos befüllt wurden. Die übrig gebliebene Asche gab man in Säcke,
um diese später in der Donau zu entsorgen. (Vgl. Schwanninger & Wegschei-
der 2012, S. 30)
4.2.3 Verständigung der Angehörigen
Die Akten über die vergasten Menschen wurden zum Teil in Hartheim behan-
delt. Damit befassten sich die sogenannte Trostbriefabteilung und das Sonder-
standesamt. Ein paar Schreibkräfte schrieben zwei, drei Tage nach der
Verbrennung Trostbriefe, die alle nach demselben Schema gehalten waren,
aber trotzdem einzeln geschrieben wurden, um diesen schematischen Charak-
ter zu verschleiern. Aus den Meldebögen wurden die vom Arzt ausgedachten
Todesursachen übernommen und zum Schluss wurden die Briefe von Renno
oder Lonauer unterschrieben. Für diese Unterschrift benutzten die Ärzte jedoch
falsche Namen. So hat Renno vermutlich mit Dr. Steinert unterschrieben. (Vgl.
Kohl 1997, S. 140)
Um eine Häufung von Todesfällen in bestimmten Gebieten zu vermeiden, wur-
de eine Absteckabteilung in jeder Anstalt eingerichtet, welche die Verschickung
der Todesbenachrichtigungen koordinierte, indem die Todesdaten der Opfer
manipuliert oder Krankenakten mit anderen Anstalten ausgetauscht wurden.
Anschließend wurden die Personalakten und Totenscheine der Opfer an das
jeweilige Sonderstandesamt weitergeleitet. Dort trug man die Toten ins Sterbe-
register ein und erstellte in der Regel drei Sterbeurkunden. Ein Exemplar davon
wurde zu den Akten gelegt und die anderen zwei versandte man an das Stan-
desamt des Geburtsortes des Verstorbenen sowie an die Angehörigen. Manche
Familienmitglieder beantragten die Überführung der sterblichen Überreste. Dies
wurde durchaus bewilligt und somit stellte man der entsprechenden Friedhofs-
verwaltung kostenlos eine Urne mit der vermeintlichen Asche des/der Ermorde-
ten zu. (Vgl. Greve 1998, S. 52)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 49 | S e i t e
Die Angehörigen schrieben teilweise verzweifelte Briefe an die Stammanstalten,
nachdem sie die Trostbriefe erhalten hatten, da sie der Tod ihrer/ihres Ver-
wandten meist völlig unerwartet traf. Ein solcher Brief ist hier abgebildet. (Vgl.
Neuhauser & Pfaffenwimmer 1992, S. 1)
Abbildung 4: Brief einer Mutter eines Ermordeten (Neuhauser & Pfaffenwimmer 1992, S. 37)
4.2.4 Schloss Hartheim nach 1945
In der Nachkriegszeit erinnerten nur private Gedenktafeln im Arkadenhof an die
Euthanasie- und Häftlingsmorde im Schloss. Erstmals wurde 1969 in jenen
Räumen, die in der Tötungsanstalt als Aufnahmeraum und Gaskammer gedient
hatten, eine Gedenkstätte vom oberösterreichischen Landeswohltätigkeitsver-
ein eingerichtet. 1997 beschloss man die Sanierung des Schlosses mit einer
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 50 | S e i t e
Neukonzeption und zeitgemäßen Gestaltung der Gedenkstätte zu verbinden.
Es wurde nun erstmals möglich, alle Räume, in denen der Tötungsablauf voll-
zogen worden war, in die Gedenkstätte einzubeziehen. (Vgl. Verein Schloss
Hartheim 2012, o. S.)
Abbildung 5: Schloss Hartheim im Jahre 2012 (Eigenaufnahme)
Die baulichen Spuren der Euthanasie wurden freigelegt. Zudem wurde mit ei-
nem Schnitt durch die Tötungsräume, der die Anordnung der mechanisierten
Tötungsstrecke sichtbar macht, ein radikaler Eingriff in die Raumstruktur vorge-
nommen. Durch den Schnitt führt ein Steg, der den Weg vorgibt. Die Tötungs-
räume können dabei durchschritten, aber nicht betreten werden. Damit ist
durchaus eine Distanz zu den historischen Räumen gegeben. Außerhalb des
Gebäudes bilden der Ort der ehemaligen Busgarage und jener Teil des Gar-
tens, in dem menschliche Überreste aus dem Krematorium verscharrt worden
waren, integrierende Bestandteile der Gedenkstätte. In den ehemaligen Funkti-
onsräumen werden umfassende historische Informationen zur NS-Euthanasie
und zur Rolle von Schloss Hartheim in diesem System geboten. (Vgl. Verein
Schloss Hartheim 2012, o. S.)
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4.3 Aktuelle Ausstellung „Wert des Lebens“
Derzeit findet im Schloss Hartheim die Ausstellung mit dem Namen „Wert des
Lebens“ statt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Haltung und der Umgang der
Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung. Der zu betrachtende Zeitraum
erstreckt sich in der Ausstellung vom Zeitalter der Industrialisierung bis zur Ge-
genwart. Der Bogen spannt sich von der Sortierung der Menschen in ökono-
misch „Brauchbare" und „Unbrauchbare" am Beginn der Industriegesellschaft
bis zur aktuellen Forderung nach gesellschaftlicher Gleichstellung von Men-
schen mit besonderen Bedürfnissen. Die Ermordung von behinderten Men-
schen als „unwertes Leben“ zurzeit des Nationalsozialismus bildet dabei den
Brennpunkt in dieser Ausstellung. (Vgl. Verein Schloss Hartheim 2013, o. S.)
Ich selber habe mir die Ausstellung angesehen und diese Form der Darstellung
hat mich wirklich berührt. Sie regt auf jeden Fall an, über das Leben nachzu-
denken, und ich bin der Meinung, dass man Menschen mit besonderen Bedürf-
nissen ganz anders begegnet, wenn man die Ausstellung besucht hat. Beson-
ders emotional betroffen gestimmt, haben mich bei dieser Schau die überdi-
mensional großen Bilder, die Menschen mit Behinderung zeigen. Diese Bilder
verschönern die Wände des Schlosses im Obergeschoss und ich finde es wirk-
lich passend, die Mauern mit solchen Schmuckstücken zu dekorieren.
Abbildung 6: Ausschnitt der Ausstellung „Wert des Lebens“ (Eigenaufnahme)
Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 52 | S e i t e
Abbildung 7: Bild der Ausstellung „Wert des Lebens“ (Eigenaufnahme)
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  • 1. Das Leben von Menschen mit besonderen Bedürfnissen in der Zeit des Nationalsozialismus als Thema für das Arbeiten im projektorientierten Unterricht Bachelorarbeit zur Erlangung des Lehramtes für den Studiengang Hauptschule Eingereicht an der Pädagogischen Hochschule Tirol Betreuerin: FOL Andrea Krimbacher, MA Betreuerin: Mag. Michaela Obholzer Eingereicht von: Marlen Untertroger Innsbruck, den 22. März 2013
  • 2. Abstract Die Nationalsozialisten vertraten die Meinung, dass „unwertes Leben“ ausge- merzt werden sollte, und genau deshalb wurden Tausende Menschen mit Be- hinderung zuerst zwangssterilisiert und schließlich ermordet. Um die Tötung dieser Menschen möglichst geheim zu halten, wurde in der Nähe von Linz das Schloss Hartheim in eine Tötungsanstalt umfunktioniert. Die Opfer wurden mit Bussen in Hartheim eingeliefert und wohl kaum jemand dieser Insassen wusste, welches dramatische Ereignis sich in wenigen Augenblicken abspielen sollte. Nachdem eine scheinbare Untersuchung verlangte, die Kleidungsstücke auszu- ziehen, und ein kurzer unzureichender Blick auf die Menschen mit körperlichen bzw. psychischen Behinderungen geworfen wurde, erklärte man ihnen, dass sie nun ein Bad nehmen durften. Dieser Raum, in dem das angebliche Bad stattfin- den sollte, war in Wahrheit jedoch mit Leitungen ausgelegt, welche, nachdem sich alle Opfer im Raum befanden und die Tür geschlossen worden war, Gas transportierten. Es dauerte nicht lange und die Menschen erstickten qualvoll. Für Schüler/-innen in der Hauptschule bzw. Neuen Mittelschule ist die Thematik „Euthanasie“ im Nationalsozialismus zumeist sehr schwer zugänglich und des- halb befasste ich mich in meiner Arbeit speziell damit, wie man mit projektorien- tiertem Unterricht das Thema so aufbereitet, dass möglichst viele Schüler/- innen verstehen können, wie es Menschen mit Behinderung unter dem NS- Regime ergangen ist. Dazu habe ich einen Stationenbetrieb vorbereitet und ihn auch mit 14-Jährigen getestet. Schließlich habe ich im Anschluss daran eine Schülerin und einen Schüler zur durchgeführten Unterrichtsstunde sowie zur Thematik „Euthanasie“ befragt. Daraus ist zu schließen, dass Schüler/-innen den Stationenbetrieb durchaus schätzen und den projektorientierten Unterricht gegenüber dem Frontalunterricht vor allem für diese Thematik vorziehen. Au- ßerdem ging aus dem Interview hervor, dass die Schüler/-innen sich durchaus selbstständig mit schwierigeren Thematiken beschäftigen können und sich da- bei auch noch einige Einzelheiten einprägen können. Aus der Unterrichtseinheit bzw. aus dem Interview lässt sich schließen, dass es bei fast allen Schülern/- innen gelang, die persönlichen Orientierungskompetenzen zu stärken.
  • 3. Inhaltsverzeichnis Einleitende Bemerkung ............................................................................... 6 A) Theoretischer Teil 1 Begriffsdefinitionen................................................................................. 7 1.1 Begriffsdefinition „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“............. 7 1.2 „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ im Nationalsozialismus ... 7 1.3 Begriffsdefinition „Euthanasie“ ........................................................... 8 2 Vom Darwinismus zum Nationalsozialismus ........................................ 9 2.1 Charles Darwin und Francis Galton ................................................... 9 2.2 Alfred Ploetz .................................................................................... 10 2.3 Heinrich Reichel und die Gedanken der „Rassenhygiene“ in Österreich .................................................................................... 12 2.3.1 Anfänge der Eugenik und „Rassenhygiene“....................... 12 2.3.2 Eugenik und „Rassenhygiene“ in der Zwischenkriegszeit .. 12 2.3.3 Binding und Hoche............................................................. 14 2.3.4 Eugenik und „Rassenhygiene“ von 1933 bis 1938............. 14 2.4 Wie Österreich in die Hände von Hitler gerät................................... 15 3 „Euthanasie“ im Nationalsozialismus.................................................. 18 3.1 Stufen des Mordprogrammes des Nationalsozialismus bis 1941..... 18 3.1.1 1933 bis 1938: Von der Asylierung zur Sterilisierung......... 19 3.1.2 Zwangssterilisierungen in Tirol........................................... 22 3.1.3 1939-1941: Massenmord ................................................... 23 3.2 Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“ .......................................... 28 3.3 Aktion „T4“ ....................................................................................... 29 3.3.1 Vorbereitungen des Massenmordes .................................. 31 3.3.2 Propagandafilm „Ich klage an“ ........................................... 32 3.3.3 Verantwortliche Personen der Aktion „T4“.......................... 33 3.3.4 Aktion „T4“ in Tirol.............................................................. 34
  • 4. 3.3.5 Karl Brandt ........................................................................ 35 3.3.6 Widerstand gegen die Aktion „T4“...................................... 36 3.3.7 Fortführung der „Euthanasie“ ............................................. 38 4 Schloss Hartheim................................................................................... 40 4.1 Ermordet im Schloss Hartheim ........................................................ 40 4.1.1 Leopoldine Zankl................................................................ 40 4.1.2 Johanna Bauer................................................................... 40 4.1.3 Hubert Rainer..................................................................... 41 4.2 Tötungsanstalt Hartheim.................................................................. 41 4.2.1 Personal der Tötungsanstalt Hartheim............................... 43 4.2.2 Tötungsprozesse im Schloss Hartheim.............................. 44 4.2.3 Verständigung der Angehörigen......................................... 48 4.2.4 Schloss Hartheim nach 1945 ............................................. 49 4.3 Aktuelle Ausstellung „Wert des Lebens“ .......................................... 51 B) Praktischer Teil 5 Projektorientierte Unterrichtsstunde mit der Thematik: Menschen mit besonderen Bedürfnissen zurzeit des Nationalsozialismus .............................................................................. 53 5.1 Vorbereitung der projektorientierten Unterrichtsstunde.................... 54 5.2 Eindrücke aus der projektorientierten Unterrichtseinheit ................. 55 5.3 Ergebnisse des projektorientierten Unterrichts ................................ 56 6 Beschreibung meiner Forschungsmethode........................................ 61 6.1 Forschungsfragen............................................................................ 62 6.2 Interviewleitfaden............................................................................. 63 6.3 Resümee des Interviews.................................................................. 65 7 Schlussbemerkung................................................................................ 67
  • 5. 8 Literaturverzeichnis............................................................................... 69 Eidesstattliche Erklärung .......................................................................... 74 Anhang........................................................................................................ 75 Abbildungsverzeichnis ................................................................................. 75 Stationenbetrieb zur projektorientierten Unterrichtseinheit........................... 76 Transkribiertes Interview .............................................................................. 90
  • 6. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 6 | S e i t e Einleitende Bemerkung Obwohl die Zeit des NS-Regimes auch heute noch immer wieder thematisiert wird, können oder wollen viele von uns dieser Realität nicht ins Auge blicken. Wir können uns kaum vorstellen, welche Verbrechen in den 30er und 40er Jah- ren des 20. Jahrhunderts von den Mitgliedern der NSDAP begangen worden sind. Wenn ich persönlich mit dem Thema Nationalsozialismus konfrontiert bin, asso- ziiere ich damit sofort den Begriff Krieg. Dabei denke ich aber nicht nur an Sol- daten, Waffen, Bombenanschläge, Luftschutzpunker, Menschen voller Panik und Angst, sondern vor allem an die Tötung bzw. Vernichtung vieler Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Auch meine Vorstellung reicht nicht wirklich aus, um nachzuvollziehen, wie es den Menschen mit körperlicher bzw. psychischer Behinderung damals ergangen sein muss, wie sie sich gefühlt haben, wie groß ihre Angst und Verzweiflung wohl gewesen sein mögen. Doch auch im 21. Jahrhundert spielt das Thema Menschen mit Behinderung eine wesentliche und wichtige Rolle. Diese Menschen streben wie wir alle da- nach, einer befriedigenden Arbeit nachzugehen, in die Gesellschaft integriert zu sein, Freundschaften zu knüpfen. Und obwohl sich die Einstellung vieler Men- schen gegenüber Menschen mit besonderen Bedürfnissen vielfach verbessert hat, stoßen Letztere doch immer wieder auf Ablehnung, Diskriminierung und Ausschluss. Genau deshalb bin ich der Meinung, dass sich die Menschheit mit der Thematik „Euthanasie“ im Nationalsozialismus auseinandersetzen sollte. Möglicherweise verändert dies die Einstellung vieler Bürger/-innen gegenüber Menschen mit Behinderung. Hierbei finde ich es auch wichtig, dass man bereits mit Kindern in der Schule solche Themen anspricht und sie nicht verschont, denn ich glaube, dass auch Schüler/-innen ganz gut damit umgehen können. Um eine solche Arbeit verfassen zu können, braucht es einige Personen, wel- che Unterstützung leisten. Ich persönlich möchte mich deshalb vor allem bei meinen Betreuerinnen der Arbeit bedanken. Dank gebührt aber auch der Firma Laube Sozialpsychiatrische Aktivitäten GmbH, welche mir freundlicherweise Material zur Verfügung gestellt hat.
  • 7. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 7 | S e i t e A) Theoretischer Teil 1 Begriffsdefinitionen Zu Beginn dieser Arbeit ist es meiner Meinung nach notwendig, einige Begriffe zu erklären, sodass Sie meinen Ausführungen folgen können. 1.1 Begriffsdefinition „Menschen mit besonderen Bedürf- nissen“ Dieser Begriff ist gleichzusetzen mit dem Ausdruck: Menschen mit Behinde- rung. Es gibt viele verschiedene Definitionen des Wortes Behinderung. Ich möchte mich an der Definition der World Health Organisation, kurz WHO orien- tieren. Die WHO definiert den Begriff Behinderung dreigliedrig und diese Defini- tion sieht wie folgt aus: a) Schädigung (körperlich, z.B. fehlender Arm) b) Aktivitätsbeeinträchtigung (individuell, z.B. beidhändig Klavier spielen mit einem Arm) c) Partizipationseinschränkung (gesellschaftlich, z.B. gesellschaftliche Nor- men schließen aus, dass einarmige Frau Konzertpianistin wird). (Vgl. Puschke 2012, o. S.) 1.2 „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ im Natio- nalsozialismus Der Nationalsozialismus war eine extrem auf das eigene Volk beschränkte Ideologie. Die Anhänger des Nationalsozialismus organisierten sich unter der Führung von Adolf Hitler in der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei NSDAP. Sie gründeten ein System, das gegen andere Völker – besonders gegen die Juden – gerichtet war. (Vgl. Zeitschatten 2005, o. S.) Ebenso wurden Menschen mit besonderen Bedürfnissen, wie zum Beispiel Geisteskranke, aber auch sogenannte *Krüppel, Fürsorgezöglinge, Arbeitslose, Trinker und viele andere in den Herrscherjahren des Nationalsozialismus als minderwertige Individuen eingestuft, welche die öffentliche Wohlfahrt nur be- lasten. Diese Menschen wurden vorerst ab dem Jahre 1934 zwangssterilisiert
  • 8. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 8 | S e i t e und ab 1939 schließlich strategisch vernichtet. (Vgl. Lebenshilfe Wien 2013, o. S.) 1.3 Begriffsdefinition „Euthanasie“ Die Bezeichnung „Euthanasie“ entstammt dem Griechischen und bedeutet im medizinischen Sinn: Erleichterung des Sterbens durch Narkotika beziehungs- weise das bewusste Herbeiführen des Todes. (Vgl. Duden 2009, S. 415) Der Begriff „Euthanasie“ beschreibt, wie die Definition auch sagt, die Sterbehilfe bei sterbenden Menschen. Die Nationalsozialisten hingegen verstanden unter dem Begriff „Euthanasie“ die Ermordung von vor allem körperlich und psychisch behinderten Menschen und von Kranken. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 2) So meinte „Euthanasie“ im Sinne von „Vernichtung unwerten Lebens" die Tö- tung schwacher, kranker, körperlich und geistig behinderter Neugeborener als Maßnahme zur Erbpflege, die Tötung von unheilbar Kranken und Behinderten aus Mitleid sowie die Tötung von Langzeitpatienten/-innen in psychiatrischen Institutionen, die als behandlungsunfähig galten, aus Gründen der Kostener- sparnis. (Vgl. Schmuhl 1987,S. 355)
  • 9. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 9 | S e i t e 2 Vom Darwinismus zum Nationalsozialismus Der Nationalsozialismus ist eindeutig vom Darwinismus geprägt, deshalb möch- te ich hier bei Charles Darwin beginnen und anschließend einen kurzen Über- blick über die Entwicklung der Rassenhygiene bis zum Nationalsozialismus ge- ben. 2.1 Charles Darwin und Francis Galton Im Jahre 1859 erschien in London das Buch mit dem Titel „Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ oder „Die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampf ums Dasein.“ Autor dieses Buches war der englische Naturforscher Charles Darwin. In dieser Schrift geht es darum, dass im „Kampf ums Dasein“ die schlecht Angepassten durch natürliche Auslese – durch Selektion – ausge- mustert werden. Darwin behandelte hier jedoch Stechpalmen und Stiefmütter- chen, Purzeltauben und Misteldrosseln, also nur Pflanzen und Tiere. Später wird jedoch vom „Kampf ums Dasein“ von den Pflanzen und Tieren auch auf die Menschen geschlossen. (Vgl. Klee 2010, S. 19) Insbesondere das Darwinsche Schlüsselwerk „On the Origin of Species“ führte dazu, dass sich eine sozialwissenschaftliche Theorie entwickelte, nach der die Lehre von Darwin von der natürlichen Auslese auf Gesellschaften übertragen werden kann. Politologisch handelte es sich hierbei um den sogenannten Biolo- gismus, um die Übertragung biologischer Gesetzmäßigkeiten auf die Entwick- lung und die Existenzbedingungen von Gesellschaften. Im Biologismus werden Staat und Gesellschaft in Analogie zum Organismus gesetzt. Die deutlichste Ausprägung des Biologismus war im 19. Jahrhundert der Sozialdarwinismus. Die Grundthesen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Alle Menschen sind prinzipiell ungleich, daher kommt es zum „Kampf ums Da- sein“. In diesem Kampf siegen die Tauglichsten. (Vgl. Eckart 2012, S. 24) Für den Vetter von Darwin, Francis Galton, wird das Buch von Darwin zur Schlüssellektüre. Galton gilt nämlich als Begründer der Eugenik, ein Begriff, den er im Jahre 1883 eingeführt hat. Galton vertritt die Ansicht, dass die soge- nannten Tüchtigen viele Kinder zu zeugen hätten; dies wird als positive Eugenik beschrieben. Später jedoch will er die „Minderwertigen“ von der Fortpflanzung
  • 10. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 10 | S e i t e ausschließen; dies fällt eindeutig unter die negative Eugenik. (Vgl. Klee 2010, S. 19) Galton forderte bereits im selben Jahr, als er den Begriff Eugenik prägte, die Verbesserung des Menschen durch Zucht, angesichts der drohenden Zunahme von „Minderwertigen“. (Vgl. Wunder 2005, S. 243) Betrachtet man Österreich bzw. die Monarchie Österreich-Ungarn genauer, so existieren hier erst Ansätze von Rezeptionsgeschichten des Darwinismus, als für andere Länder bereits detaillierte Formen zur Geschichte des Darwinismus vorlagen. Bekannt für Österreich bzw. Österreich-Ungarn ist jedoch, dass quasi mit der Gründung des Vereines mit dem Namen „Verein zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse“ in Wien im Herbst 1860 die Verbreitung des Darwinismus in Österreich-Ungarn einherging. (Vgl. Michler 1999, S. 27ff) Ob- wohl der Darwinismus und schließlich auch die Eugenik ihren Einzug in Öster- reich-Ungarn schafften, waren sie aber nicht so vorherrschend wie zum Beispiel in den Gebieten des heutigen Deutschlands. (Vgl. Baader 2007, S. 137) 2.2 Alfred Ploetz Parallel zur Eugenik bildete sich bereits seit 1890 in Deutschland die „Rassen- hygiene“ heraus. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 30) Der Berliner Genetiker Alfred Ploetz (1860-1940) spielte dabei eine wesentliche Rolle. Er übersetzte zum ei- nen den englischen Begriff „Eugenik“ von Francis Galton ins Deutsche und so- mit entstand der Begriff „Rassenhygiene“. Zum anderen nahm Ploetz auch eine beträchtliche Erweiterung vor und baute den Inhalt der Gedanken von Galton aus. (Vgl. Byer 1988, S. 30f) Die Lehre der „Rassenhygiene“ fußte in der Gedankenwelt des Darwinismus beziehungsweise des auf ihm errichteten Sozialdarwinismus. Das Ziel der „Rassenhygiene“ ist die „Erhaltung und Fortpflanzung der biologischen Rasse unter den günstigsten Bedingungen“, wobei es hier vor allem um die Verbesse- rung beziehungsweise Hebung des Volksbestands ging. (Vgl. Eckart 2012, S. 65) Die Grundzüge dazu wurden wie bereits erwähnt von Ploetz, aber ebenso von Schallmayer entwickelt. Die Rassenhygieniker kümmerten sich hierbei auch
  • 11. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 11 | S e i t e schon um die „Euthanasiefrage.“ In die rassenhygienische Programmatik wurde nun zusätzlich die „Euthanasieidee“ aufgenommen, wobei diese Idee der Hin- tergrund für das gesamte von den Rassenhygienikern aufgestellte Programm negativer Eugenik war. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 30) Ploetz selbst beschreibt bereits eine Art der „Ausmerzung“, ein Zeugungsver- bot. Er fordert zum Beispiel ein Zeugungsverbot für jede Frau nach dem 45. Lebensjahr und für jeden Mann nach dem 50. Lebensjahr. Andererseits will er seine Überzeugung von einem „natürlichen“ Gleichgewicht der sozialen Umwelt nicht aufgeben. Voraussetzung für ihn dafür ist jedoch, dass alle ständischen, vermögensrechtlichen Privilegien und die Verhinderung neuer sozialer Fürsor- ge- und Versicherungsmaßnahmen abgeschafft werden. Weder Ploetz noch Schallmayer waren in dieser Zeit Antisemiten oder besonders radikale Nationa- listen. Beide wollten als echte Sozialdarwinisten den besten Rassenwert durch eine möglichst ungehemmte natürliche Zuchtwahl erreichen. (Vgl. Byer 1988, S. 32) Ploetz gehörte im Jahre 1905 zu den Mitbegründern der Gesellschaft für Ras- senhygiene. Fünf Jahre später wird diese in Deutsche Gesellschaft für Rassen- hygiene umbenannt. Es ist die erste rassenhygienische Gesellschaft weltweit. (Vgl. Klee 2010, S. 20) Im Vordergrund der Rassenhygieniker stand vor allem der Gedanke, schwache, kranke, körperlich missgebildete und geistig behinderte Neugeborene unter erbpflegerischen Gesichtspunkten auszusondern beziehungsweise zu töten. Dieser Gedanke schien erstmals im naturalistischen Monismus auf, einer Natur- und Moralphilosophie auf der Basis des Darwinismus, die in den 1860er Jahren von dem Zoologen Ernst Haeckel formuliert wurde. Insbesondere Haeckel war nämlich dafür verantwortlich, dass der Darwinismus in Deutschland seinen Durchbruch erzielte. Er verlangte bereits 1863 vor der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Stettin die Übertragung der Darwinschen Evolutions- theorie auf die Menschen. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 31)
  • 12. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 12 | S e i t e 2.3 Heinrich Reichel und die Gedanken der „Rassen- hygiene“ in Österreich Anhand der Person von Heinrich Reichel erscheint es mir sinnvoll, die Gedan- ken der „Rassenhygiene“ vom Beginn des 20. Jahrhunderts in Österreich etwas aufzubereiten. 2.3.1 Anfänge der Eugenik und „Rassenhygiene“ Heinrich Reichel wurde im Jahre 1876 in Wels geboren. Bereits im Jahre 1901 kam Reichel mit Alfred Ploetz und weiteren wichtigen Personen der Rassenhy- giene in Berührung. Reichel wandte sich in seinem beruflichen Leben zuerst der Psychiatrie zu, später begann er sich für Hygiene zu interessieren. Wann genau Reichel mit der eugenischen Bewegung in Berührung kam, ist jedoch unklar. Möglicherweise ist er über Ploetz zur Rassenhygiene gekommen, denn in den späteren Jahren war er mit Ploetz durchaus befreundet. Es sind aber auch an- dere Theorien denkbar. (Vgl. Mayer 2005, S. 65ff) Reichel beschäftigte sich nun sehr intensiv mit den vorliegenden Gedanken der Eugenik und der Rassenhygiene und somit erwähnte er erstmals in seinem Ar- tikel „Die internationale Hygieneausstellung in Dresden 1911“ das Wort Euge- nik. Hierbei äußerte sich Reichel nicht nur zur Rassenhygiene, sondern auch zum Alkoholismus und zur „Hygiene der Siedlung“. Den ersten Vortrag hielt Reichel bereits im Jahre 1913 zur Thematik „Über Rassenhygiene“. Im akade- mischen Milieu war dies vermutlich einer der ersten Vorträge zur Thematik Rassenhygiene in Österreich. (Vgl. Mayer 2005, S. 69ff) 2.3.2 Eugenik und „Rassenhygiene“ in der Zwischenkriegszeit Nach dem Ersten Weltkrieg blieb der Sozialdarwinismus die Grundlage der herrschenden Ideologie. (Vgl. Sierck 1987, S. 34) Zu dieser Zeit stieg nun auch bei Reichel die Überzeugung zu mehr sozialer Hygiene, Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik und dies zeigte sich darin, dass er immer mehr Vorlesun- gen zur Thematik „Rassenhygiene“ bzw. Eugenik abhielt. Seit dem Sommer- semester 1920 hielt er sogar eine einstündige Vorlesung „Rassenhygiene“, wel-
  • 13. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 13 | S e i t e che die erste derartige Lehrveranstaltung an einer österreichischen Universität war. (Vgl. Mayer 2005, S. 71ff) Bereits damals konnte sich Reichel durchaus vorstellen, die Zwangsmittel der Asylierung und der Sterilisierung für psychisch Kranke anzuwenden. (Vgl. May- er 2005, S. 77) Reichel sah in seinem ersten erschienenen Leitfaden für euge- nische Maßnahmen in Österreich die Hauptursache der „Entartung“ einerseits bei den „äußeren Schädigungen“ wie etwa Geschlechtskrankheiten und Alko- hol, andererseits bei der „Störung der Auslese“. (Vgl. Mayer 2005, S. 75) Von 1923 bis 1926 fand die im europäischen Vergleich relativ späte Konstituie- rung der eugenischen Bewegung in Österreich durch die Gründung von fünf eugenischen Vereinen statt. (Vgl. Mayer 2005, S. 80) Eugenik im Austrofaschismus hingegen war im Verständnis von Eugenikern/- innen nur mit dem Verzicht auf die Sterilisation möglich, da die päpstliche Ehe- Enzyklika „Casti Connubii“ von Ende 1930 diese ausdrücklich untersagte und die neue Regierung sich durchaus an die katholische Lehre hielt. Eugenik ver- schwand aber kaum von der Bildfläche, vor allem unter den Ärzten/-innen war sie stets präsent. (Vgl. Mayer 2005, S. 88) Später verbanden die autoritären Züge der neuen Regierung nach dem März 1933 offenbar einige Vertreter der Rassenhygiene vor allem in Graz mit der Hoffnung auf die erstmalige institutionelle Etablierung der Eugenik an österrei- chischen Universitäten. (Vgl. Mayer 2005, S. 87) Wirft man einen Blick in die Weimarer Republik zu dieser Zeit, so traten dort Regelungen in Kraft, nach denen Menschen mit Behinderung, welche Kriegs- dienst leisteten, anders behandelt wurden als Menschen mit Behinderung, wel- che nicht direkt in den Krieg eingezogen wurden. Diejenigen, welche sich für das Vaterland eingesetzt und bereits etwas geleistet hatten, erhielten wenigs- tens ein geringes Maß an Anerkennung und durften auf karge Unterstützung hoffen. Den anderen jedoch blühte das Anstaltsleben. Man kann feststellen, dass seit dem Jahre 1918 die Zahl der Sonderschulen bzw. Sonderschulklas- sen in der Weimarer Republik enorm anstieg. (Vgl. Sierck 1987, S. 36)
  • 14. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 14 | S e i t e Was sich in der Zwischenkriegszeit bereits abzeichnete, nämlich das „Liegen- lassen der *Krüppel“, die Abwendung von jeglicher Unterstützung, wenn nichts Produktives als Gegenleistung in Aussicht war, fand in den „Euthanasiepro- grammen“ der Nationalsozialisten schließlich den Abschluss. (Vgl. Sierck 1987, S. 36) 2.3.3 Binding und Hoche An dieser Stelle müssen unbedingt der Jurist Karl Binding und der Professor der Medizin Alfred Hoche erwähnt werden. Diese zwei Männer trugen im Jahre 1922 mit ihrem Gedankengut zur „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ nämlich auch dazu bei, dass die Nationalsozialisten solch grausame Taten vollbrachten. Der Grundsatz von Binding und Hoche beruhte auf der Vor- stellung, dass das Spritzen von tödlichen Überdosen in Wahrheit eine reine Handlung war. Sie vertraten auch die Meinung, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen lediglich die Funktion erfüllten, einen Beruf auszuüben, der darin besteht, für Jahrzehnte ein absolut lebensunwertes Leben zu fristen. (Vgl. Sierck 1987, S. 34) Hoche und Binding gingen noch einen Schritt weiter und berechneten das Kapi- tal, welches für die Pflege der Menschen mit besonderen Bedürfnissen ausge- geben werden musste. Dies bedeutet, dass sie eine eiskalte Kosten-Nutzen- Rechnung durchführten. Binding und Hoche kamen schließlich zu dem Ent- schluss, die Vernichtung der *Krüppel, wie die Menschen mit besonderen Be- dürfnissen damals bezeichnet wurden, freizugeben. (Vgl. Sierck 1987, S. 36) Dies war auch die Zeit, in der zahlreiche Interessensverbände entstanden, wel- che nur die Anliegen ihrer Betroffenen vertraten. Die Menschen mit Behinde- rung waren jedoch kaum fähig, ihre eigenen Vorstellungen einzubringen. (Vgl. Sierck 1987, S. 36) 2.3.4 Eugenik und „Rassenhygiene“ von 1933 bis 1938 Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahre 1933 und speziell das Gesetz zur Verhütung erbranken Nachwuchses in Deutschland hatten auch Einfluss auf Reichels eugenische Konzepte. Nun beschäftigte sich Reichel verstärkt mit der Frage der „Rassenmischung“. Er riet zum Beispiel von
  • 15. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 15 | S e i t e der „Mischung“ zwischen Nordeuropäern/-innen und Juden/Jüdinnen ab, da sich der Charakter des Mischvolkes verschieben würde. Reichel wollte auch die Mischung von „Weißen“ mit „Nicht-Weißen“ per Gesetz verhindern lassen. Rei- chels Rolle in der NS-Zeit war jedoch ambivalent. (Vgl. Mayer 2005, S. 90ff) Aus diesen Gedanken lässt sich schließen, dass Eugenik und „Rassenhygiene“ bereits einige Zeit vor dem Nationalsozialismus auch in Österreich durchaus ein aktuelles beziehungsweise heiß diskutiertes und behandeltes Thema war. Man kann sagen, dass in der Zwischenkriegszeit die Ideen zusammengefasst wur- den und somit für den Faschismus vorformuliert waren. (Vgl. Sierck 1987, S. 34) 2.4 Wie Österreich in die Hände von Hitler gerät Österreich spielte in den Plänen Hitlers eine zentrale Rolle. Vor allem die güns- tige geografische Lage Österreichs war für die Kriegspläne Deutschlands be- sonders interessant. Hinzu kommt, dass Millionen Österreicher-/innen als Sol- daten und Arbeitskräfte für Deutschland dienen bzw. arbeiten konnten. Nicht unbedeutend waren die österreichischen Rohstoffe, wie zum Beispiel Erz, Magnesit, Grafit, Öl, Edelstahl, Wasserkraft usw., welche für die deutsche Kriegsindustrie dringend benötigt wurden. Doch auch die österreichischen Gold- und Devisenvorräte sowie Lebensmittel und Konsumgüter, welche man in Deutschland nicht mehr erhielt, zogen das NS-Regime förmlich an. (Vgl. Schreiber 2008, S. 57) Der seit 1932 im Amt des Bundeskanzlers tätige Engelbert Dollfuß nützte im März 1933 die Gelegenheit, das Parlament auszuschalten, da alle drei National- ratspräsidenten zurückgetreten waren. Nun wurde der Weg in die Diktatur im- mer deutlicher. Der Austrofaschismus hatte gesiegt und am 1. Mai 1934 wurde „im Namen Gottes“ eine neue Verfassung verkündet, die auf dem Prinzip der autoritären Führung aufgebaut war. Alle Parteien wurden aufgelöst, lediglich die Einheitspartei mit dem Namen „Vaterländische Front“ existierte noch. Der Natio- nalsozialismus war aber immer noch ein bedeutender illegaler Gegner. Der braune Terror wuchs und der außenpolitische Druck von Hitler verstärkte sich. Am 25. Juli 1934 drangen schließlich Mitglieder der NSDAP – als österreichi-
  • 16. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 16 | S e i t e sche Soldaten verkleidet – in das Bundeskanzleramt ein und nahmen die an- wesenden Mitglieder der österreichischen Regierung gefangen. Bundeskanzler Dollfuß wurde dabei erschossen. Der Putschversuch der Nationalsozialisten misslang und Kurt Schuschnigg wurde nun Bundeskanzler und zweiter Vorsit- zender der Vaterländischen Front. Ernst Rüdiger Starhemberg fungierte nun als Vizekanzler und Führer der Vaterländischen Front in Österreich. Im Jahre 1936 konnte Schuschnigg endgültig die gesamte Macht an sich reißen. Der deutsch- österreichische Vertrag vom 11. Juli 1936 – kurz auch das Juliabkommen ge- nannt – besiegelte, dass Deutschland Österreich die volle Souveränität garan- tierte und zudem die „1000-Mark-Sperre“ aufgehoben wurde. Österreich musste sich dafür aber als „deutscher Staat“ bekennen und durfte keine Propaganda gegen den Nationalsozialismus einschalten. Außerdem verlangten Hitler und seine Partei, dass die inhaftierten Nationalsozialisten freigelassen werden. (Vgl. Vocelka 2009, S. 289ff) Im Februar 1938 kam es in Berchtesgaden zu einem Treffen zwischen Hitler und Schuschnigg, bei dem man dem österreichischen Bundeskanzler mit mas- siver militärischer Invasion drohte. Schuschnigg erklärte sich bereit, den Führer der österreichischen Nationalsozialisten, Arthur Seyß-Inquart, in die Regierung als Innenminister aufzunehmen. (Vgl. Vocelka 2009, S. 296) Am 9. März 1938 hielt Bundeskanzler Schuschnigg in Innsbruck jene berühmte Rede, in der er eine Volksabstimmung über die Frage ankündigte, ob Öster- reich selbstständig bleiben solle. (Vgl. Forcher 2005 S. 314) Die Volksabstimmung wurde für den 13. März angesetzt, doch schon zwei Tage vor der Abstimmung stellte Hitler ein Ultimatum. Schuschnigg dankte daraufhin ab und Seyß-Inquart übernahm die Führung des österreichischen Staates. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten war somit legal, aber gleichzeitig drangen deutsche Truppen in Österreich ein. Österreich leistete keine militäri- sche Gegenwehr. Unter begeistertem „Heil“-Geschrei wurde die Selbstständig- keit des Landes zu Grabe getragen. Österreich gab es ab nun bis zum Jahre 1945 nicht mehr. (Vgl. Vocelka 2009, S. 296) Der neue Kanzler Seyß-Inquart beschloss mit seiner neuen Regierung am 13. März das Gesetz über die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen
  • 17. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 17 | S e i t e Reich“. Bereits am 2. April 1938 bejubelte eine riesige Menschenmenge Hitler am Wiener Heldenplatz. Dieser verkündete den „Eintritt“ seiner Heimat Öster- reich in das Deutsche Reich. (Vgl. Schreiber 2008, S. 65) Tirol bildete gemeinsam mit Vorarlberg einen Gau. Dieser wurde Gau Tirol- Vorarlberg genannt. Osttirol jedoch zählte zum Gau Kärnten. (Vgl. Kofler 2005, S. 76) Nun begann auch in Österreich die Schreckensherrschaft des Nationalsozialis- mus, wobei hier speziell „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ großes Leid erfahren mussten.
  • 18. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 18 | S e i t e 3 „Euthanasie“ im Nationalsozialismus Herabwürdigen, aussondern, verstümmeln und töten sind Ausdrücke, welche den Umgang mit behinderten Menschen in der Geschichte der Menschheit pas- send beschreiben lassen. Diese menschenverachtenden Verhaltensweisen er- reichten in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ihren Höhepunkt. (Vgl. Romey 1987, S. 9) 3.1 Stufen des Mordprogramms des Nationalsozialismus bis 1941 „Die Rassenhygiene war keine Erfindung der Nationalsozialisten. Mit ihrer Machtergreifung im Deutschen Reich im Jahre 1933 aber radikalisierten sich die eugenischen Selektionsmaßnahmen und auch die Wortwahl. Im Interesse der Höherentwicklung der ‘Rasse’ sollte alles ‘Minderwertige ausgemerzt’ wer- den. Für ‘unnütze Esser’ oder ‘Ballastexistenzen’, wie psychisch kranke oder behinderte Menschen bezeichnet wurden, war im nationalsozialistischen Deutschland kein Platz. In einer ökonomischen Definition von Gesundheit im Sinne von Leistungsfähigkeit unterwarf es das gesamte Leben einer men- schenverachtenden Kosten-Nutzen-Rechnung. Der behaupteten überproportionalen Vermehrung der ‘Unproduktiven’, der ‘Überwucherung’ der Gesunden durch die ‘Minderwertigen’ sollte entgegenge- wirkt werden. Die Verhinderung der Fortpflanzung durch zwangsweise Sterili- sierung und die physische Vernichtung ‘lebensunwerten Lebens’ waren zwei sich ergänzende Maßnahmen zur ‘Rettung des Volkskörpers’.“ (Laube sozial- psychiatrische Aktivitäten GmbH 2007, S. 22) Bereits im Jahre 1931 wies das Parteiprogramm der NSDAP die „Rassenhygie- ne“ als einen wichtigen Punkt auf. (Vgl. Kohl 1997, S.34) Betrachtet man die Zeit, in der der Nationalsozialist Adolf Hitler an der Macht war (also von 1933- 1945), etwas genauer, so kann man mehrere Stufen des faschistischen Mord- programms feststellen. (Vgl. Romey 1987, S. 21)
  • 19. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 19 | S e i t e 3.1.1 1933 bis 1938: Von der Asylierung zur Sterilisierung Nach der nahezu totalen Asylierung von behinderten Menschen beschlossen die Nationalsozialisten im Jahre 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. (Vgl. Romey 1987, S. 21) In dieser Kabinettssitzung vom 14. Juli 1933 wurde auch das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl gebilligt. Um den Abschluss dieses Konkordates nicht zu gefährden, wartete man mit der Bekanntgabe des „Sterilisationsgesetzes“ noch zwei Wochen. Einer der größten Befürworter des Konkordates war Kardinal Eu- genio Pacelli, der später, am 2. März 1939, zum Papst Pius XII. gewählt wurde. Dieser Mann ließ ein Werk verschwinden, (Humani generis unitas – Die Einheit des Menschengeschlechts), welches sein Vorgänger Papst Pius XI. unbedingt herauszugeben beabsichtigt hatte. Dieses Schriftstück setzte sich nämlich ve- hement gegen Rassismus und Antisemitismus und somit auch gegen den Nati- onalsozialismus ein. (Vgl. Kohl 1997, S. 35) Das Gesetz von 1933 bzw. 1934 wurde kurz „Erbgesundheitsgesetz“ genannt und trat bereits am 1. Januar 1934 offiziell in Kraft. Paragraf 1 dieses Gesetzes lautete: (Vgl. Klee 2010, S. 39) „Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankhei- ten leidet: 1. angeborenem Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. zirkulärem (ma- nisch-depressiven) Irresein, 4. erblicher Fallsucht, 5. erblichem Veitstanz (Hun- tingtonsche Chorea), 6. erblicher Blindheit, 7. erblicher Taubheit, 8. schwerer erblicher körperlicher [Mißbildung]. Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet.“ (Gesetzestext 1934; zit. nach. Klee 2010, S. 39)
  • 20. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 20 | S e i t e Abbildung 1: Reichsgesetzblatt 1933 (Hinterhuber 1995, S. 10)
  • 21. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 21 | S e i t e Der Gesetzestext selbst beruft sich auf das Buch „Mein Kampf“, welches von Adolf Hitler geschrieben wurde: (Vgl. Klee 2010 S. 40) „Wer körperlich und geistig nicht gesund und würdig ist, darf sein Leiden nicht im Körper seiner Kinder verewigen. Der Staat [muß] dafür Sorge tragen, [daß] nur, wer gesund ist, Kinder zeugen darf.“ (Hitler 1926; zit. nach Klee 2010, S. 40) Somit wurden hunderttausende Menschen legal verstümmelt. Die schwer geis- tig und körperlich Behinderten wurden zuerst herangezogen, anschließend folg- ten Menschen, welche als „Leichtschwachsinnige“ und als „Fürsorgezöglinge“ bezeichnet wurden. (Vgl. Romey 1987, S. 21) Aus einer Statistik des Jahres 1934 geht hervor, welche Personengruppen steri- lisiert wurden: Am häufigsten wurde der Eingriff mit 52,9 % bei Schwachsinni- gen bzw. Hilfsschülern/-innen durchgeführt, gefolgt von den Schizophrenen, welche 25,4 % ausmachen. Auch Epileptiker/-innen weisen einen nicht unbe- deutenden Prozentsatz von 14 % auf. Mit einigem Abstand folgen Manisch- Depressive, diese Zahl beläuft sich auf 3,2 %. Der Prozentsatz der Alkoholiker/- innen liegt bei 2,4 %, bei Tauben bei 1 %, der bei Blinden liegt bei 0, 6 %, bei Körperbehinderten beläuft sich der Prozentsatz auf 0,3 %. Die Zahl der Krank- heit Chorea Huntington, welche tatsächlich eine Erbkrankheit ist, liegt bei 0,2 %. Zur Sterilisierung herangezogen wurden bereits Kinder ab 14 Jahren. (Vgl. Klee 2010, S. 40f) So kam es, dass sich zwischen 1934 und 1945 ca. 400.000 Menschen einer Sterilisierung unterwerfen mussten. Über 1.000 von diesen Menschen – vor allem Frauen – starben bereits während des Eingriffs. Natürlich widersetzten sich Angehörige von Betroffenen, der Protest wurde jedoch sehr erschwert, da sich die Familien als sozial deklassiert empfanden, wenn in der eigenen Ver- wandtschaft Erbkrankheiten festgestellt worden waren. Wichtige Persönlichkei- ten wie Parteifunktionäre/-innen, Ärzte/-innen, Lehrer/-innen, Künstler/-innen, Schriftsteller/-innen formten die Meinungen der breiten Öffentlichkeit in diesem Sinne, dass die Sterilisation zur Normalität gehöre. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 9ff)
  • 22. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 22 | S e i t e Am 1. September 1939 erfolgte jedoch der Sterilisierungsstopp im gesamten Reich. Doch mit dem angeblichen Stopp verhielt es sich ähnlich wie mit dem angeblichen „Euthanasiestopp“ später. Es wurden zwar mehrere interne Anwei- sungen herausgegeben, doch in diesen Schreiben wurde lediglich mitgeteilt, dass die Sterilisation ab sofort „im Rahmen des Möglichen durchgeführt“ wer- den solle. Aus Anstaltschroniken ist jedoch ersichtlich, dass das Sterilisieren weiter vorgenommen wurde. (Vgl. Klee 2010, S. 85f) 3.1.2 Zwangssterilisierungen in Tirol Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ trat in Österreich bzw. damals in der Ostmark am 1. Jänner 1940 in Kraft. Bestand der Verdacht, dass ein/-e Patient/-in an einer Erbkrankheit erkrankt war, so waren nun die Ärzte/- innen verpflichtet, einen Antrag auf Unfruchtbarmachung beim Leiter des Amtes für Volkspflege der Reichsstatthalterei Tirol-Vorarlberg zu stellen. Die Zustim- mung erfolgte schließlich durch den Gauleiter Franz Hofer, welcher fast alle genehmigte. (Vgl. Schreiber 2008, S. 212) Im Hinblick auf die Meldung verfügten Richter, Ärzte/-innen, Angestellte in den Gesundheitsämtern und Fürsorger/-innen jedoch über einen sehr großen Spiel- raum in ihrer Arbeit. Aus Tirol ist bekannt, dass vor allem die maßgeblichen Stellen in den Bezirken Schwaz und Kufstein äußerst übereifrig waren und aus diesem Grund dort viel mehr Menschen unfruchtbar gemacht wurden als in an- deren Teilen Tirols. (Vgl. Schreiber 2008, S. 212) Die Amtsärzte/-innen nahmen sehr rasch eine wichtige Schlüsselrolle ein, da sie diejenigen waren, welche eine Vorauswahl trafen. Die Opfer waren vor al- lem Personen mit geringen körperlichen oder geistigen Behinderungen, die als „asozial“ abgestempelt wurden. Die Behörden wollten unbedingt verhindern, dass diese Menschen Kinder zeugten. (Vgl. Schreiber 2008, S. 212) Man ging sogar so weit, dass man einigen Frauen und Männern erst eine Hei- ratserlaubnis erteilte, nachdem sie einer Unfruchtbarmachung zugestimmt hat- ten. Wurde man jedoch als „erbkrank“ eingestuft, so erhielt man Eheverbot und es bestand auch die Möglichkeit, dass man unfruchtbar gemacht wurde. Da die Wissenschaft jedoch kaum in der Lage war, „Erbkrankheiten“ nachzuweisen,
  • 23. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 23 | S e i t e genügte für ein derart schwerwiegendes Vorgehen die bloße Vermutung oder das Vorkommen bestimmter Krankheiten in der Familie. Viele Menschen ließen diese Gewaltmaßnahme der Sterilisierung auch deshalb über sich ergehen, um einer Einweisung in eine Pflegeanstalt und einem drohenden Abtransport von dort in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim zu entkommen. Ein Tiroler, welcher ein Opfer der Zwangssterilisierung wurde, berichtete 1960 in einem Schreiben an das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes von seinem Leidensweg: (Vgl. Schreiber 2008, S. 212f) „Ich selbst war inzwischen verlobt und wollte heiraten und stieß dann auf Grund eines früher gehabten Nervenleidens auf Schwierigkeiten. Nur unter der Bedin- gung der Sterilisation wurde mir die Heirat erlaubt, und trotz anfänglicher An- tragstellung habe ich den Antrag dann widerrufen, weil ich diesen Vorgang der Braut nicht zumuten konnte. Ich löste schweren Herzens das Verhältnis und glaubte, damit die Sache zu erledigen. Ein halbes Jahr später griff der Stadtphysikus [Stadtarzt] die Sache wieder auf und verlangte die Sterilisierung. Da ich natürlich in scharfen Worten mich dieser Willkür widersetzte, griff er zur List und brachte mich mit Hilfe der Gestapo in die Klinik, wo die Operation ge- gen meinen Willen und trotz heftigsten Protests durchgeführt wurde.“ (o.V. 1960.; zit. nach Schreiber 2008, S. 213) Betrachtet man den Gau Tirol-Vorarlberg, so sind dort 238 Zwangssterilisatio- nen dokumentiert, insgesamt dürften aber ca. 400 Personen betroffen gewesen sein. Im gesamten Österreich sind 5.000-10.000 Menschen von den Zwangs- sterilisierungen betroffen, im Deutschen Reich und in den damals von Deutsch- land besetzten Gebieten in Europa ca. 400.000 Frauen und Männer, aber auch Jugendliche. (Vgl. Schreiber 2008, S. 213) 3.1.3 1939-1941: Massenmord Die Zwangssterilisation der „Erbkranken“ war sehr arbeitsaufwendig und dies war auch ein Grund, weshalb die NS-Rassenhygieniker bereits 1939 zur „Ver- nichtung lebensunwerten Lebens“ übergingen. Im Vorfeld des Krieges war nach langer Planung die Entscheidung gefallen, das „unwerte Leben“ auszumerzen. Die Tötung psychisch kranker und mental oder körperlich beeinträchtigter Men- schen war somit der erste systematisch geplante und auch staatlich durchge-
  • 24. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 24 | S e i t e führte Massenmord des NS-Regimes. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivitä- ten GmbH 2007, S. 37) Die Nationalsozialisten begannen die zu Unrecht „Euthanasie“ oder „Gnaden- tod“ genannte Vernichtung des „lebensunwerten Lebens“ mit geistig und körper- lich behinderten Kindern. (Vgl. Malina & Neugebauer 2001, S. 708f) Dazu wurde im Frühjahr 1939 der „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ gegründet. Das Ziel stand eindeutig fest: behinderte Neugeborene zu erfassen und zu ermorden. Ab dem 18. August 1939 kam es schließlich zur Meldepflicht für „missgestaltete“ und „idiotische“ Kinder. (Vgl. Romey 1987, S.21) Dies war nun der Auftakt zur „Kindereuthanasie“. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivitäten GmbH 2007, S. 20) Abbildung 2: Meldebogen (Kohl 1997, S. 126)
  • 25. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 25 | S e i t e Der geheime Erlass der Meldung und Erfassung von „Missgeburten“ richtete sich vor allem an die Hebammen, Gebärabteilungen und Kliniken. Um diese Kinder töten zu können, wurden sie in den sogenannten „Reichsausschuss- Stationen“ bzw. „Kinderfachabteilungen“ untergebracht. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 11) Die Erfassung der Kinder kam anfangs nur sehr schleppend voran. Zum Erfas- sen der behinderten Kinder wurden Meldebögen ausgegeben. Die Amtsärzte waren verpflichtet, die Meldungen zu überprüfen, doch diese leiteten den Mel- debogen – ohne die Kinder nochmals zu untersuchen – an den Reichsaus- schuss weiter. Krankengeschichten und -blätter wurden nicht beigefügt. Diese Meldebögen wurden in der Kanzlei des Führers zuerst von Hefelmann, welcher der Geschäftsführer des Reichsausschusses war, und seinem Mitarbeiter v. Hegener gesichtet. Beide waren medizinische Laien. Diese zwei Personen sor- tierten nun die Fälle, welche für sie in Frage kamen, aus und sandten diese Meldebögen den drei Gutachtern Catel, Heinze und Wentzler weiter. Dies be- deutete, dass der zweite Gutachter wusste, wie der erste entschieden hatte, und der dritte kannte die Entscheidungen der beiden Vorgutachter. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 183f) Auf den Papieren wurde die Entscheidung der Gutachter mit den Zeichen + oder – vermerkt. Jene Menschen, in deren Gutachten ein – stand, wurden spä- ter ermordet. (Vgl. Romey 1987, S. 21) Einzige Unterlage dieses Begutachtungsverfahrens waren die Meldebögen, die meistens von den Hebammen ausgefüllt wurden. Eine ärztliche Untersuchung im Laufe des Verfahrens wurde nicht durchgeführt. In den Vorüberlegungen zu einem Gesetzesentwurf über die Sterbehilfe im Sommer 1939 wurde zur Ge- heimhaltung der „Kindereuthanasie“ aufgefordert. Den Eltern wurde die Mög- lichkeit eingeräumt, eine stillschweigende Zustimmung zu leisten. Allerdings gab es bei der „Kindereuthanasie“ von der Elternseite erhebliche Widerstände, welche erst zu brechen waren. Den Eltern sollte deshalb vor allem die Zuver- sicht gegeben werden, dass selbst in Fällen, welche bisher als hoffnungslos galten, eine Chance bestand, gewisse Heilerfolge zu erzielen. Durch diese ver-
  • 26. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 26 | S e i t e schleierten und verlogenen Scheinmaßnahmen erschlich man sich teilweise die Einwilligung der Eltern. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 184f) Nach dem Erlass vom 20. September 1941 konnte den Eltern, welche sich der Einweisung ihres Kindes widersetzten, der Verlust des Sorgerechts angedroht werden. Zur Durchführung der Kindestötungen wurden rund 30 „Kinderfachab- teilungen“ in Heil- und Pflegeanstalten eingerichtet. Eine dieser Einrichtungen in Österreich war die Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“ in Wien. (Vgl. Schmuhl 1987, S.185f) Es gab aber auch Abteilungen in Graz und Klagenfurt. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivitäten 2007, S. 42) Dort erfolgte die Tö- tung entweder mittels Giftbeimischung im Essen oder man ließ viele auch ein- fach verhungern. (Vgl. Romey 1987, S.21) Die Verabreichung von Injektionen von Morphium und Luminal war auch keine Seltenheit. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 11) Die Zuführung des Narkotikums Luminal erfolgte so, dass die Kinder zwei- oder dreimal in Abständen von einer Stunde ein halbes Gramm davon verabreicht bekamen. Zur Orientierung: Als Maximaldosis für Erwachsene galt 0,4 Gramm. Die maximal zu verabreichende Menge für Kinder betrug 0,1 Gramm, für Klein- kinder sogar nur 0,05 Gramm. Den schlafenden Opfern wurde das Präparat mittels Einlauf eingeflößt. Nach der Verabreichung fielen die Kinder in einen Zustand des Vor-sich-hin-Dämmerns; dies gab den Ärzten die Möglichkeit, Lungenentzündung oder Bronchitis als scheinbar natürliche Todesursache fest- zustellen. (Vgl. Kohl 1997, S. 48f) Nach dem Aufbau der Gaskammern für die „Erwachseneneuthanasie“ wurden schließlich auch Kinder aus den „Kinderfachabteilungen“ vergast. In den Anstal- ten war es strikt verboten, körperliche Krankheiten zu behandeln und die Kinder dadurch vor dem Tod zu retten. (Vgl. Schmuhl 1987, S.187) Den Mordaktionen an Kindern fielen über 5.000 Kinder zum Opfer. (Vgl. Romey, 1987, S. 21) Der Großteil der Bevölkerung verhielt sich dieser Aktion gegenüber völlig gleichgültig. Einzelner Protest und Widerstand kam lediglich noch von kirchli- chen Einrichtungen. Pastor von Bodelschwingh war der Wortführer dieses Wi- derstandes. Das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten wurde durch ex- treme Propaganda vorbereitet, dabei wurde immer wieder die Notwendigkeit
  • 27. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 27 | S e i t e der „Ausmerzung lebensunwerten Lebens“ betont. Kinder in der Volksschule mussten sich schon mit rassistischen Ideen und menschenfeindlichem Gedan- kengut beschäftigen. Dabei erwähnte man nicht nur die notwendige Sterilisati- on, sondern auch den Gedanken der „Ausmerzung“ von psychisch Kranken und behinderten Menschen. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 11ff) Auch der Mathematik- unterricht wurde dazu verwendet, um Rassenlehre zu betreiben, dies sollte fol- gendes Rechenbeispiel zeigen: (Vgl. Kohl 1997, S. 57) „In einer Provinz des Deutschen Reiches sind 4400 Geisteskranke in staatli- chen Heilanstalten untergebracht, 4500 in der Obhut der öffentlichen Fürsorge, 1600 in örtlichen Heilanstalten, 2000 in Heimen für Epileptiker und 1500 Perso- nen in Wohltätigkeitsheimen. Der Staat allein zahlt mindestens 10 Millionen Reichsmark im Jahr für die angeführten Institutionen. a) Was kostet durch- schnittlich ein Patient dem Staat im Jahr? Zusatzangaben: 868 Patienten blie- ben länger als zehn Jahre (Gruppe I); 260 Patienten blieben mehr als 20 Jahre (Gruppe II); 112 Patienten länger als 25 Jahre (Gruppe III). b) Was kostet ein Patient der Gruppe I (II, III) dem Staat während des ganzen Zeitraumes seiner Unterbringung nach den niedrigsten Durchschnittszahlen wie unter a) ange- führt?“ (Mathematikbuch o.J.; zit. nach Kohl 1997, S. 57f) Eine weitere Aufgabe aus dem Lehrbuch Mathematik des Jahres 1935/36 laute- te: „Der Bau einer Irrenanstalt erfordert sechs Millionen Reichsmark. Wieviel neue Wohnblocks à 15.000 Reichsmark würden für diese Summe gebaut werden können?“ (Mathematikbuch 1935/36; zit. nach Kohl 1997, S. 58) Aus diesen Aufgaben erkannte man denselben Geist, der im „Lehrplan des SS- Hauptamtes für die weltanschauliche Erziehung in der SS und in der Polizei“ wehte. Darin hieß es: (Vgl. Kohl 1997, S. 58) „Es ist ein unhaltbarer Zustand, wenn in einem Staate das Verhältnis zwischen den Schaffenden und den Kranken ungesunde Formen annimmt. Für Schwach- sinnige, Sittlichkeitsverbrecher, Gemeinschaftsunfähige (Asoziale) [muß] das Volk an Kräften und Mitteln viel aufwenden. Durch die Ausschaltung dieser Trä- ger faulen Erbgutes können gewaltige Summen erspart und anderen Zwecken nutzbar gemacht werden. Jedes Naturvolk merzt in richtiger Erkenntnis das
  • 28. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 28 | S e i t e Minderwertige aus. Bei den sogenannten Kulturvölkern hat eine falsche Nächs- tenliebe, vor allem von kirchlichen Kreisen in die breite Masse getragen, eine Gegenauslese geradezu gefördert.“ (Lehrplan des SS-Hauptamtes o.J.; zit. nach Kohl 1997, S. 58) 3.2 Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“ Die in Wien stationierte Kinderfachabteilung mit dem Namen „Am Spiegelgrund“ war wohl die größte und bedeutendste ihrer Art in Österreich beziehungsweise damals in der Ostmark. (Vgl. Eckart 2012, S. 142) Im Juli 1940 wurde die Wiener „Kinderfachabteilung“ am Gelände der Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“ eingerichtet. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Akti- vität GmbH 2007, S. 43) Sie rangierte innerhalb des Deutschen Reiches bald als zweitgrößte Einrichtung. Aus Gründen der Vortäuschung wechselte diese kinderpsychiatrische Spezialklinik häufig den Namen und nannte sich gelegent- lich „Wiener städtische Jugendfürsorgeanstalt“, dann wieder „Heilpädagogische Klinik der Stadt Wien – Am Spiegelgrund“ und schließlich wurde sie auch mit der Bezeichnung „Wiener städtische Nervenklinik für Kinder“ versehen. In Wirk- lichkeit diente diese Anstalt jedoch nur der Erfassung und Ermordung psychisch auffälliger Kinder. (Vgl. Eckart 2012, S. 142) Erwin Jekelius war von 1940 bis 1942 der erste Leiter der Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“ und Jahre später sagt Jekelius Folgendes vor Gericht aus: (Vgl. Häupl 2008, S. 22f) „… Anfang 1941, nach Eröffnung der Klinik, kam BRACK nach Wien und sagte in einem Gespräch mit mir und Professor GUNDEL, dass geplant sei, in unserer Klinik Maßnahmen zur Tötung kranker Kinder durchzuführen, die an Geistes- krankheiten litten, bzw. mit schweren physischen Behinderungen geboren wor- den waren … hier wurde mir auch gesagt, dass ich für die Tötung der Kinder einen speziellen Arzt aus Berlin zur Seite bekäme, der in dieser Angelegenheit Erfahrung hätte. Als ein solcher Arzt erwies sich Dr. Gross. Bald nach meiner Rückkehr nach Wien und dem Eintreffen von Dr. Gross begannen wir in unserer Klinik mit der Vernichtung kranker Kinder…“ (Jekelius o.J.; zit. nach Häupl 2008, S. 23)
  • 29. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 29 | S e i t e Wie in allen anderen Anstalten wurden von Berlin aus auf der Grundlage von Meldebögen die Anweisungen zur „Behandlung“ oder zur weiteren „Beobach- tung“ gegeben. Ersteres bedeutete, dass die Kinder getötet werden sollen, wäh- rend das Wort „Beobachtung“ dafür stand, dass den Kindern noch ein Lebens- aufschub gewährt wurde. (Vgl. Eckart 2012, S. 142) In der Anstalt selber war man immer bemüht, dass die Vorgänge im Gebäude nicht an die Öffentlichkeit gerieten. Zwischen 1940 und 1945 wurden in der Kin- derfachabteilung „Am Spiegelgrund“ etwa 700 bis 800 geistig beeinträchtigte oder auffällige Kinder ermordet. Nach der Tötung entnahmen die verantwortli- chen Personen den Opfern häufig Gehirne und Rückenmarkstränge, welche für weitere Untersuchungen in Gläsern konserviert wurden. Speziell Heinrich Gross hatte sich die „wissenschaftliche“ Verwertung der Körperteile von Mordopfern „Am Spiegelgrund“ zu eigen gemacht. Gross war seit November 1940 Stations- arzt am Spiegelgrund und persönlich in die Ermordung der Kinder involviert. Jahrzehntelang wurden sterbliche Überreste von 789 ermordeten Kindern in der Anstalt konserviert. Erst 2002 wurde ihnen am Wiener Zentralfriedhof die letzte Ruhe gegönnt. (Vgl. Eckart 2012, S. 142f) Neben vielen anderen Ärzten wurde auch Gross im Jahre 1948 vor dem Volks- gericht Wien wegen seiner Beteiligung an den Kindertötungen angeklagt und dabei zu zwei Jahren Haft verurteilt. Doch der Oberste Gerichtshof hob dieses Urteil wegen eines Formfehlers wieder auf. Gross startete schließlich eine zwei- te Karriere. Einige Jahre nach dem Kriegsende 1945 kehrte Gross wieder auf den Steinhof zurück und begann dort bereits im Jahre 1953 mit der Auswertung der Gehirne der Spiegelgrundopfer. Über 25 Jahre hindurch veröffentlichte die- ser Mann zahlreiche Arbeiten auf dem Gebiet der Neuropathologie. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 44) 3.3 Aktion „T4“ Diese erste Aktion des Kindermordens wurde ausgedehnt. Nun gerieten auch körperlich und geistig behinderte Erwachsene ins Visier der Nationalsozialisten. (Vgl. Romey 1987, S. 21)
  • 30. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 30 | S e i t e Ab dem Juli des Jahres 1939 plante das NS-Regime bereits die Aktion „T4“. Diese Aktion hatte das Ziel, psychisch kranke und behinderte Menschen zu er- morden, damit die Kosten für die Anstaltspflege gesenkt werden konnten. (Vgl. Schreiber 2008, S. 214) Genau im April 1940 weitete sich die Euthanasie-Zentrale räumlich, aber auch organisatorisch aus. Der Großteil der Verwaltung wurde in eine Villa in der Ber- liner Tiergartenstraße 4 untergebracht, deshalb verlief die Mordaktion auch un- ter der Abkürzung „T4“. Diese Einrichtung fungierte aber lediglich als geheime Euthanasie-Organisation. Finanziert wurde „T4“ von der NSDAP. Die einzelnen Abteilungen schrieben, verhandelten und befahlen, wobei immer unterschiedli- che Tarnnamen verwendet wurden. Die Organisation der Morde geschah unter dem Briefkopf „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalt“. (Vgl. Klee 2010, S. 121) Mit dem Überfall der Deutschen Truppen auf Polen am 1. September 1939 be- gann der Zweite Weltkrieg. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivitäten GmbH 2007, S. 20) Deshalb sollten die „Geisteskranken“ und „Behinderten“ auch aus kriegswirt- schaftlichen Nützlichkeitserwägungen vernichtet werden. Bis zum Jahre 1942 wurden tatsächlich 100.000 Betten für das Militär „freigestellt“. (Vgl. Romey 1987, S. 21) Eine rechtliche Grundlage für die Aktion „T4“ existierte nicht, es gab lediglich einen auf Privatpapier geschriebenen Geheimbefehl Adolf Hitlers, welcher mit Ende Oktober 1939 datiert war. Dieser besagte, dass Menschen, welche an einer unheilbaren Krankheit litten, der Gnadentot gewährt werden kann. (Vgl. Schreiber 2008, S. 215) Die „Euthanasieaktion“ „T4“ lässt sich in drei Phasen unterteilen: Zur ersten zählen die teils bis 1945 weitergeführten Kindertötungen und die erste Haupt- phase der Erwachsenenmorde, welche bis zum offiziellen „Stopp“ im August 1941 dauerte. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden hierbei mehr als 70.000 Men- schen getötet. Die erste Phase mündete schließlich in die Phase der „Neuorien- tierung“ des Mordens, die dadurch gekennzeichnet war, dass immer neue Men- schengruppen in den Kreis rückten, welche selektiert und dann getötet werden
  • 31. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 31 | S e i t e sollten: Tuberkulosekranke, Alte und Schwache, wohnungslose „Streuner“, Ar- beitsunwillige, schwache und kränkliche KZ-Insassen/-innen, insbesondere auch sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma und viele mehr. Diese Pha- se endete schließlich in der „Endlösung der Judenfrage“. (Vgl. Eckart 2012, S. 138f) 3.3.1 Vorbereitungen des Massenmordes Die NS-Propaganda hatte die Bevölkerung auf die Tötungen bereits zuvor indi- rekt vorbereitet, indem immer wieder Bilder gezeigt wurden, welche von absto- ßenden, tierähnlichen und Furcht erregenden Geisteskranken und Missgebilde- ten erzählten. Die wirklichen Umstände, unter denen diese Menschen litten, gelangten jedoch nicht an die Öffentlichkeit. (Vgl. Schreiber 2008, S. 215) Um den Massenmord durchführen zu können, war es nun notwendig, alle Men- schen zu erfassen, welche getötet werden sollten. Dazu sandte man in der zweiten und dritten Oktoberwoche 1939 zwei Meldebögen in alle Anstalten des Reiches, mit der Auflage, die ersten ausgefüllten Bögen spätestens bis ersten November wieder zurückzusenden. Diese Zeit war sehr knapp bemessen und deshalb gab es Ärzte, welche in diesen drei Wochen bis zu 1.500 Stück des Meldebogens 1 ausfüllten. Man kann sich vorstellen, dass es völlig unmöglich war, in diesem Zeitraum die betreffenden Kranken auch nur flüchtig zu untersu- chen. Im Meldebogen 1 waren hauptsächlich Daten anzuführen, welche sich auf die Patienten/-innen bezogen, während es im Meldebogen 2 eher um die Anstalt ging, in der sich die Betroffenen befanden. Dies war nötig, damit man jene Anstalten ermitteln konnte, welch am besten dazu taugten, in „Euthanasie- anstalten“ umfunktioniert zu werden. (Vgl. Kohl 1997, S. 72ff) Die Meldebögen gelangten schließlich in die Tiergartenstraße 4, wo speziell Johannes Heck und Kurt Neumann, im Zivilberuf Bankkaufmann bzw. Drogist, den Papierkram erledigten. Diese zwei Männer sandten die Unterlagen jedoch an drei Ärzte, welche als Gutachter fungierten. Wie bereits in der „Kindereutha- nasie“ entschieden diese drei Männer über das Leben oder den Tod des Pati- enten oder der Patientin. Wies der Meldebogen ein rotes Pluszeichen auf, so war dies der Vermerk, dass der Mensch getötet werden muss, ein blaues Mi-
  • 32. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 32 | S e i t e nuszeichen bedeutete, dass der oder die Betroffene am Leben bleiben durfte. Anschließend gingen die Papiere wieder nach Berlin in die Tiergartenstraße 4 und von dort aus an den Oberbegutachter Linden, später dann an Linden und Heyde und schließlich wurde Linden ein halbes Jahr später durch Nitsche er- setzt. Die Oberbegutachter waren nun für das endgültige Urteil verantwortlich. (Vgl. Kohl 1997, S. 75f) Die Namen der Menschen, welche getötet werden sollten, wurden in Listen ein- getragen. (Vgl. Schreiber 2008, S. 215) Wenige Wochen, nachdem die Bögen ausgefüllt und zurückgesandt worden waren, traf in den Krankenanstalten ein Formular ein, in dem im Rahmen „planwirtschaftlicher Maßnahmen“ eine Reihe von Verlegungen gefordert wur- de. Diesem Schreiben war eine Liste beigefügt, welche die Namen der Men- schen enthielt, die getötet werden sollten. Somit wurde die Leitung der Kran- kenhäuser aufgefordert, die auf der beiliegenden Liste genannten Patienten/- innen zwei oder drei Tage nach dem Erhalt des Schreibens für die Abholung durch die „Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft“ bereitzustellen. Der Zielort war zuerst unbekannt, erst durch Anfrage wurde eine in den verschiede- nen Ländern zur Tarnung eingerichtete Durchgangsanstalt namhaft gemacht. Bei neuerlichem Nachfragen wurde der Name einer der Tötungsanstalten an- gegeben: Hadamar (bei Koblenz), Hartheim (bei Linz), Bernburg (in Anhalt) und Sonnenstein (bei Pirna), Grafeneck (in Würtemberg) und Brandenburg (bei Ber- lin). Grafeneck und Brandenburg wurden aber Ende 1940 wieder geschlossen. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 30) Zwischen 1939 und 1945 wurden nach Schätzungen mehr als 200.000 psy- chisch kranke und körperlich behinderte Menschen ermordet. Viele wurden ver- gast, einige erhielten tödliche Injektionen und wieder andere mussten qualvoll verhungern. (Vgl. Weig 2001, S. 7) 3.3.2 Propagandafilm „Ich klage an“ Um die „Euthanasie“ zu propagieren, beschlossen die Nationalsozialisten einen Spielfilm in den Kinos zu zeigen. Dieser Film – „Ich klage an“ – sollte die Men- schen im Hinblick auf die Thematik der Massenmorde an psychisch und körper-
  • 33. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 33 | S e i t e lich behinderten Menschen positiv beeinflussen. Der Film selber offenbart das Schicksal einer jungen Frau, welche mit einem Medizinprofessor verheiratet ist. Eines Tages erkrankt sie und es gibt keine Hoffnung mehr, dass sie diese Krankheit überwinden kann. Um den körperlichen Verfall der jungen Dame zu zeigen, wurden bewusst drastische Bilder ausgewählt, sodass die Menschen, die den Film im Kino sahen, sich ekelten. Die Haupthandlung des Films besteht in der Folge darin, dass die kranke Frau ihren Ehemann um Sterbehilfe bittet. Dieser zweifelt zuerst und will ihr diesen Wunsch nicht gewähren, doch nach einiger Zeit willigt er ein und verabreicht ihr ein Gift, an dem seine Ehefrau schließlich stirbt. Im Film wird diese Tat als moralisch richtige Handlung darge- stellt und auch der anschließend verfilmte Gerichtsprozess zeigt deutlich, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass der Ehemann nur zum Wohle der Ehefrau gehandelt hat und die Verabreichung des Giftes als Hilfeleistung gesehen wer- den kann. Aus diesem Grund darf der Ehemann auch nicht bestraft werden, dies kommt im Film deutlichst zum Ausdruck. (Vgl. Kuchler 2013, S. 58) 3.3.3 Verantwortliche Personen der Aktion „T4“ Das Hauptamt II der Kanzlei des Führers oder kurz KdF stand an der Spitze der Aktion „T4“. Der Leiter dieser Organisation war Brack, welcher den Tarnnamen Jennerwein annahm. Die Vertretung Bracks hatte Blankenburg inne, welcher sich hinter dem Tarnnamen Brenner versteckte. (Vgl. Klee 2010, S. 121) Die Zentraldienststelle „T4“, die unter dem Briefkopf „Reichsarbeitsgemein- schaft Heil und Pflegeanstalt“ verdeckt war, war in mehrere Abteilungen aufge- teilt. Die Medizinische Abteilung, die für die Verlegung der Menschen, die Or- ganisation des Krankenmords, die Meldebögen, die Gutachter und die Registra- tur zuständig war, leitete Heyde. Sein Vertreter war Nitsche. (Vgl. Klee 2010, S. 121f) Die Büroabteilung, die mit den Abrechnungen der Pflege- und Transportkosten, der Nachlassabwicklung, der Erwirtschaftung von Millionengewinnen durch Kostenstellung für Pflegetage längst ermordeter Patienten/-innen, der Kuriertä- tigkeit und der Tätigkeit als Standesamt beauftragt war, leitete bis Juni 1940 Bohne und später Tillmann. Ab April 1941 wurde diese Abteilung in „Zentralver- rechnungsstelle Heil und Pflegeanstalten“ umbenannt. (Vgl. Klee 2010, S. 122)
  • 34. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 34 | S e i t e Die Transportabteilung oder „Gemeinnützige Krankentransport-G.m.b.H. (Gekrat) war für die Organisation der Transporte verantwortlich. Die Leitung dieser Abteilung hatte Vorberg inne. (Vgl. Klee 2010, S. 122) Die Hauptwirtschaftsabteilung oder die Verwaltung der Zentraldienststelle „T4“, welche auch unter dem Namen „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege“ be- kannt war, leitete Schneider bis zum März 1941, später Schmiedel und ab Feb- ruar 1942 Lorent. Diese Abteilung war vor allem für die Finanzen, die Besol- dung, die Vereinnahmung der NSDAP-Zuschüsse, die Revision, die Beschaf- fung von Gas und Medikamenten, die Vereinnahmung von Zahngold und Wert- sachen der Ermordeten zuständig. (Vgl. Klee 2010, S. 122) Schließlich existierte noch eine Personalabteilung, welche für die Personalan- gelegenheiten zuständig war. Der Leiter dieser Abteilung war Haus. (Vgl. Klee 2010, S. 122) 3.3.4 Aktion „T4“ in Tirol Auch in Tirol wurde die Aktion „T4“ praktiziert. Bereits im August 1940 kam deshalb Dr. Fritz Mennecke in die Heil- und Pflegeanstalt Hall. Begleitet wurde der führende Gutachter der NS-Euthanasie aus Berlin von sieben Medizinstu- denten. Während ihres dreitägigen Aufenthaltes in Hall begutachteten sie alle Krankengeschichten der Patienten/-innen, ohne diese zu untersuchen. Bereits drei Monate nach der Abfahrt dieser Herren bekam der Primararzt von Hall, Dr. Ernst Klebelsberg, eine Liste, auf der 290 Namen aufschienen. Diese Men- schen sollten für den Abtransport bereitgestellt werden. Doch Klebelsberg pro- testierte gemeinsam mit dem Vorstand der Psychiatrischen Universitätsklinik Innsbruck gegen die Abholung leicht erkrankter Patienten/-innen. Dies bewirkte, dass Klebelsberg die Erlaubnis erhielt, jene Personen von der Liste zu strei- chen, die er für heilbar und arbeitsfähig hielt. (Vgl. Schreiber 2008, S. 218) Doch bereits am 10. Dezember 1940 wurden die ersten 179 Patienten/-innen aus Hall abgeholt und nach Hartheim transportiert. Weitere Transporte erfolgten am 20. März 1941, am 29. Mai 1941 und am 31. August 1942 mit insgesamt 181 Personen. Unter den Opfern dieser Transporte befanden sich auch 60 mit- tellose, alte Menschen sowie körperlich bzw. geistig leicht behinderte Menschen
  • 35. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 35 | S e i t e und psychisch Kranke der Versorgungshäuser der Barmherzigen Schwestern in Nassereith, Imst und Ried. (Vgl. Schreiber 2008, S. 219) Insgesamt wurden von 1940 bis 1942 über 700 Personen alleine aus Nordtirol in das Schloss Hartheim eingeliefert und dort getötet. Die Zahl der Osttiroler Opfer dürfte in etwa bei 50 liegen. Diese Menschen aus dem Bezirk Lienz sind zum Großteil auf den Listen der Transporte von Hall, Mils etc. nach Hartheim oder Niedernhart genannt. (Vgl. Kofler 2005, S. 132) 3.3.5 Karl Brandt Karl Brandt wurde am 8. Jänner 1904 im elsässischen Mühlhausen geboren. Nach dem Abitur begann Brandt Medizin zu studieren. (Vgl. Eckart 2012, S. 135) Von Mai 1923 bis April 1925 studierte Brandt an der Universität in Jena. Dies war zu dieser Zeit ein Nährboden für nationalistische und antisemitische Ten- denzen. Weil Brandt an mehreren Universitäten sein Studium absolvierte, kam er mit einer Reihe medizinischer Experten, beruflicher Netzwerke und mit Schu- len in Berührung und zudem lernte er auch einige wichtige Persönlichkeiten der deutschen „Rassenhygiene“ kennen. Im Jahre 1928 legte Brandt schließlich das Medizinische Staatsexamen ab. Nach dem Abschluss seines Medizinstudi- ums an der Universität Freiburg reichte er seine Dissertation zum Thema „An- geborener Verschluss der Gallenausfuhrgänge“ ein. Damals war es nicht sel- ten, dass man für seine Dissertation ein Thema aus dem Bereich der Erbkrank- heiten und Eugenik wählte. Viele hofften nämlich, dass dies den beruflichen Aufstieg fördern könnte. (Vgl. Schmidt 2009, S. 59ff) Man vermutet, dass Brandt spätestens 1926 auf dem Weimarer Parteitag der NSDAP mit der Partei in Berührung kam. 1932 wurde er schließlich Parteimit- glied. (Vgl. Eckart 2012, S. 136) Um Brandts politische und ideologische Weltanschauung zu verstehen und zu erklären, weshalb er Mitglied der Nazipartei wurde, sollte man sowohl die so- zioökonomischen als auch die politischen Umstände berücksichtigen, die er als Jugendlicher nach dem Ersten Weltkrieg und als Assistenzarzt Ende der zwan- ziger Jahre erlebte. Vor allem die wirtschaftliche Not, unter der viele Patienten/-
  • 36. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 36 | S e i t e innen litten, verstärkte bei Brandt das Gefühl der Ungerechtigkeit. So wurde er allmählich zum Gegner des demokratischen Systems der Weimarer Republik und es brachte ihn so weit, dass er sich der nationalistischen Politik annäherte. Das Bedürfnis nach Sicherheit, nach der Existenz der Gemeinschaft und des biologischen Lebens des Volkes wurden zu wesentlichen Aspekten seiner Ge- danken. Speziell diese Jahre prägten Brandt und somit trat er der NSDAP bei. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Brandt auf seine Mitgliedschaft in der Partei angesprochen. Dabei bekräftigte er, dass ihm der Entschluss, der Nazipartei beizutreten, nicht schwergefallen sei. (Vgl. Schmidt 2009, S. 85f) Erste persönliche Kontakte zu Hitler ergaben sich bereits im selben Jahr der Mitgliedschaft, da sich Brandt mit der seit 1925 mit Hitler befreundeten Schwimmmeisterin Anna Rehborn verlobte. Vor allem durch die Vermittlungen von Wilhelm Bruckner, welcher Hitlers Adjutant war, schaffte Karl Brandt den Aufstieg in der NSDAP. So bestellte Hitler Brandt zu seinem Begleit- bzw. Leib- arzt. Bereits mit dem Überfall auf Polen wurde Brandt SS-Obersturmbannführer und ab Mitte Mai 1940 war er für die Koordination des militärischen und zivilen Sanitätswesens zuständig. 1942 wurde das Aufgabengebiet erweitert und er beschäftigte sich zunehmend mit der Medizinischen Forschung sowie der Medi- kamentenherstellung und -verteilung. (Vgl. Eckart 2012, S. 136f) Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Karl Brandt auf den Anklagestuhl der Nürn- berger Prozesse gesetzt, da er eine besondere Rolle eingenommen hatte und als Vertrauter und Sonderbevollmächtigter Hitlers auf dem Feld des Gesund- heitswesens fungierte. Am schwersten wog Brandts führende Rolle jedoch bei der als „Euthanasie“ getarnten Mordaktion an psychisch und körperlich behin- derten Menschen. (Vgl. Eckart 2012, S. 137) 3.3.6 Widerstand gegen die Aktion „T4“ Obwohl Strafen angedroht und Täuschungsmanöver durchgeführt wurden, um die Aktion „T4“ geheim zu halten, drangen doch Informationen nach außen. Schon sehr rasch kursierten in der Bevölkerung Gerüchte über Vergasungen. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 138)
  • 37. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 37 | S e i t e Somit entwickelte sich bald nach Bekanntwerden der Abtransporte ein starker Druck auf das NS-Regime, denn vor allem die Betroffenen und die Angehörigen leisteten Widerstand. (Vgl. Malina & Neugebauer 2001, S. 711) Die betroffenen Familien reagierten oft mit Entsetzen und Empörung auf die nicht angekündig- ten „Verlegungen“ und die rasch folgenden Todesmeldungen trafen sie zumeist völlig unerwartet. Vielfach wurden nun den Anstaltsleitungen schwere Vorwürfe gemacht, denn die Angehörigen wollten die Direktoren der Anstalten sprechen und Gründe wissen, weshalb das Familienmitglied gestorben ist. Einige began- nen auch persönliche Nachforschungen über das Verbleiben ihrer Familienmit- glieder anzustellen. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 138) Doch auch auf Seiten der katholischen und evangelischen Kirche wurden Pro- teste laut. (Vgl. Malina & Neugebauer 2001, S. 711) In Salzburg lehnte zum Beispiel im Besonderen die Visitatorin der Barmherzigen Schwestern Anna Ber- tha Königsegg die NS-Euthanasie offen ab. Anna Bertha Königsegg wurde am 9. Mai 1883 in Königseggwald in Württemberg als ältestes von acht Kindern geboren. Bereits mit 18 Jahren trat sie dem Orden bei. 1938, zurzeit der Ver- einnahmung Österreichs durch Hitler, arbeitete Schwester Anna Bertha im Auf- trag ihres Mutterhauses in Salzburg. (Vgl. Kiel-Römer, Süß & Steppe 1993, S. 191) Anna Bertha Königsegg war eine glaubensstarke, resolute Frau und eine ent- schiedene Gegnerin des Nationalsozialismus. Dies zeigte sich auch darin, dass sie immer wieder Konflikte mit dem Regime austrug. So erteilte Königsegg zum Beispiel ihren im Landeskrankenhaus tätigen Schwestern die Weisung, bei Zwangssterilisationen in keiner Weise zu assistieren. Als die Schreiben des NS- Regimes ankündigten, dass eine große Anzahl an Patienten/-innen verlegt wer- den solle, wusste die Visitatorin bereits, was auf die Kranken zukommen würde. Deshalb bezog sie ausdrücklich gegen die Maßnahmen Stellung, was dazu führte, dass sie sogar mehrmals verhaftet wurde und schließlich Salzburg ver- lassen musste. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 143f) Auch Bischof Clemens August Graf von Galen trat gegen die Tötungsdelikte der Nationalsozialisten auf. Berühmt ist in diesem Zusammenhang vor allem seine
  • 38. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 38 | S e i t e „Euthanasiepredigt“, in der er „Euthanasie“ als Mord anprangerte. Diese Predigt fand große Zustimmung in der Bevölkerung und wurde über Flugblätter rasch im ganzen Land verbreitet. Der Bischof ging sogar so weit, dass er bei der Poli- zei Anzeige wegen Mordes erstattete, um den Protest noch einmal zu unter- mauern. Möglicherweise hat ihn seine Bekanntheit vor Konsequenzen bewahrt. Wesentlich ist jedoch, dass vor allem die Widerstände aus der Kirche maßgeb- lich zum Ende der Aktion „T4“ im August 1941 beigetragen haben. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 144) Zu erwähnen ist hier jedoch auch, dass leider auch zahlreiche Priester selbst Nazis waren und so zum Teil massive Propaganda für die Unfruchtbarmachung Geisteskranker und die Reduzierung der Anstrengungen der Volksgemeinschaft zur Erhaltung von „lebensunwertem“ Leben machten. (Vgl. Kohl 1997, S. 286) 3.3.7 Fortführung der „Euthanasie“ Obwohl Hitler den Euthanasiestopp verkündete, kam die „Euthanasie“ keines- wegs zum Erliegen. Sowohl die „Kindereuthanasie“ als auch die Vergasung von körperlichen bzw. geistigen Erwachsenen wurden weiterhin durchgeführt. Als einzige Euthanasietötungsanstalt blieb Hartheim bis Dezember 1944 weiter in Betrieb. Dort wurden nun unter anderem auch geisteskranke Ostarbeiter/-innen vergast, die keine Leistung mehr erbringen konnten. (Vgl. Malina & Neugebauer 2001, S. 711) Vermutet wird außerdem, dass Insassen von Heil- und Pflegeanstalten zu For- schungszwecken nach dem August 1941 vergast wurden, wenngleich in gerin- gem Umfang. Zudem wurde die „Kindereuthanasie“ durch die Heraufsetzung der Altersgrenze ausgedehnt. Schließlich führten die Ärzte, welche in Zusam- menhang mit dem Euthanasieapparat standen, auch zunehmend Giftmorde in den Heil- und Pflegeanstalten durch. Diese Vorgehensweisen fallen unter den Begriff der „wilden Euthanasie“. (Vgl. Schmuhl 1987, S. 213f) Nach dem offiziellen Stopp durch Hitler hatten die Ärzte nun mehr Eigenverant- wortung in der Beurteilung von „lebensunwertem“ Leben. Unzählige Parteige- nossen/-innen erfasste zu dieser Zeit ein unvorstellbarer Fanatismus, alle jene
  • 39. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 39 | S e i t e zu vernichten, welche nicht ihrer Vorstellung einer „arischen Herrenrasse“ ent- sprachen. (Vgl. Häupl 2012, S. 16)
  • 40. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 40 | S e i t e 4 Schloss Hartheim Wenn man die Thematik „Euthanasie“ zurzeit des Nationalsozialismus aufarbei- tet, dann muss meines Erachtens auch unbedingt Hartheim erwähnt werden. In diesem „Mordschloss“ wurden nämlich zahlreiche Österreicher/-innen vom NS- Regime kaltblütig ermordet. Um diesem Schloss ein Gesicht zu verleihen, be- suchte ich die ehemalige Tötungsanstalt persönlich. Die dort gesammelten Ein- drücke und Bilder gehen mir auch im Nachhinein noch tief unter die Haut und ich glaube, dass man all die schrecklichen Ereignisse im und rund um das Schloss Hartheim erst wirklich realisieren kann, wenn man sich selbst an jenem Ort befindet, wo unschuldige Menschen in den Tod gerissen wurden. 4.1 Ermordet im Schloss Hartheim Zu Beginn möchte ich dafür Sorge tragen, dass wenigstens ein paar der Opfer nicht in Vergessenheit geraten. Natürlich gibt es eine Vielzahl an Opfern, wel- che in Oberösterreich ihr Leben lassen mussten. Stellvertretend für die vielen Unschuldigen möchte ich hier einige Lebensgeschichten von Menschen, die in Hartheim ermordet worden sind, erzählen. 4.1.1 Leopoldine Zankl Leopoldine Zankl hat sechs Kinder. Sie erkrankt an Schizophrenie und somit wird sie für die Nationalsozialisten interessant. Schließlich wird Zankl am 20. März 1941 im Alter von 49 Jahren von der Heil- und Pflegeanstalt Hall nach Hartheim transportiert und dort ins Gas getrieben. Ihr Enkel Karl Nemec, der dieses Geheimnis erst sehr spät in Erfahrung bringen konnte, fand heraus, dass die Nationalsozialisten erklärt hatten, dass Leopoldine Zankl zu teuer wäre, dass sie mehr als fünf Reichsmark kostete und zudem nichts produzierte. (Vgl. Schreiber 2008, S. 219) 4.1.2 Johanna Bauer Im Alter von drei Jahren erkrankt Johanna an Windpocken und Keuchhusten. Seitdem leidet das Kind an krampfartigen Bewegungsstörungen der Hände und Arme. Außerdem beobachten die Eltern, dass das Kind auch schlecht hört. Schließlich bringen die Eltern höchstpersönlich ihre Tochter in die Anstalt. Wäh-
  • 41. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 41 | S e i t e rend der Aufnahmeuntersuchung wirft sich das Mädchen aus Angst auf den Boden, es versucht sich die Kleidung auszuziehen, um davonlaufen zu können. In der Folge wird das Kind isoliert und sogar während der Essenszeit an der Bank festgebunden. Aus der Familienanamnese geht hervor, dass die Eltern gesund sind. Nur der Onkel hat Selbstmord begangen und deshalb wird Johan- na als „erblich belastet“ eingestuft und somit als „aussichtslos pflegebedürftig“ abgestempelt. Am 20.5.1941 besiegelt der Anstaltsleiter mit seiner Unterschrift, dass Johanna in eine der Direktion nicht genannte Anstalt überstellt wird. Der Name der inzwischen 14-jährigen Johanna steht auf der Transportliste nach Hartheim. (Vgl. Häupl 2012, S. 42) 4.1.3 Hubert Rainer Hubert ist das uneheliche Kind einer Köchin. Seit seiner frühesten Kindheit ist der Bub oft krank. Dadurch ist er in seiner gesamten Entwicklung sehr beein- trächtigt. Hubert wächst zudem noch bei einer Ziehmutter auf. Der Bezirksfür- sorgeverband veranlasst schließlich 1939 seine Unterbringung in dem St. Jo- sef-Institut in Mils in Tirol. Hubert ist gerade einmal acht Jahre alt, als er schließlich am 10. 12. 1940 nach Hartheim transportiert wird. (Vgl. Häupl 2012, S. 173) 4.2 Tötungsanstalt Hartheim Bereits im Jahre 1938 kamen die hohen Herren des NS-Regimes nach Hart- heim, um das Renaissanceschloss zu begutachten und sich ein Bild über des- sen Zustand zu machen. Dabei wurde alles ausgemessen und es werden Skiz- zen und lange Inventarlisten angelegt. Dann begann der Umbau zur Tötungs- anstalt. Die „Idiotenanstalt“ Hartheim, welche zuvor in diesem Schloss unterge- bracht war, wurde schließlich im Sommer 1938 geschlossen, damit die Umbau- arbeiten ohne Probleme vonstattengehen konnten. Die Pfleglinge, welche sich zuvor in Hartheim befanden, mussten in anderen Anstalten wie zum Beispiel in Niederhart in Linz untergebracht werden. (Vgl. Kohl 1997, S. 31f) Die Menschen, die unmittelbar neben dem Schloss wohnten, bekamen vom Umbau kaum etwas mit, da man von außen sehr wenig sah. An der Westseite entstand ein Vorbau aus Holz, im Norden und Süden blieben große Öffnungen
  • 42. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 42 | S e i t e ausgespart, in die dann große Scheunentorflügel eingehängt wurden. Vor der Hauptzufahrt von der Dorfstraße zum Schlossgelände wurde zum Beispiel ein großes hölzernes Tor befestigt. Über diesem Tor glänzte in großen Buchstaben das Wort „Erholungsheim“, obwohl Schloss Hartheim in Wahrheit für viele Menschen der Tod bedeutete und man dort alles andere als Erholung finden konnte. (Vgl. Kohl 1997, S. 59f) Im Inneren des Schlosses wurde vor allem im Erdgeschoss fast alles umgestal- tet. So entstand beispielsweise ein großer Ofen, der später dazu dienen sollte, die Menschenleichen zu verbrennen. Im Laufe der Zeit wurde auch ein großer Kamin gemauert, der bis zum Dach reichte. Die Räume in den oberen Stock- werken, wo früher die Pfleglinge untergebracht waren, wurden zu Büros und Zimmer für das künftige Personal umfunktioniert. Zusätzlich entstand noch ein Festsaal und es wurde sogar eine kleine Bar eingerichtet. (Vgl. Kohl 1997, S. 60) Das eisige Herz der zukünftigen Vernichtungsanstalt bildete aber die Gaskam- mer. Im Anschluss an den Tötungsraum entstand ein kleiner Zwischenraum, in dem die Gasfalschen untergebracht wurden. Eine Stahltür mit Guckloch trennte diesen Raum von der Gaskammer. In der ersten Umbauphase wurde aus dem 6,60 Meter mal 4,20 Meter großen und drei Meter hohen Raum lediglich das Inventar entfernt. Zudem wurden Rohre befestigt, die Wasserleitungen vortäu- schen sollten. Schlussendlich wurden in der Gaskammer auch noch drei Brau- seköpfe angebracht, sodass die Pfleglinge im ersten Augenblick wirklich dach- ten, dass sie gewaschen werden sollten. An den Wänden wurden Holzbänke aufgestellt, welche die Rohre mit den zahlreichen Löchern etwas verdeckten, aus denen das Gas austreten würde. In der zweiten Umbauphase wurde der Holzboden der Gaskammer durch Beton und dann durch rote Fliesen ersetzt. Auch die Seitenwände verflieste man bis in die Höhe von 1,70 Metern mit roten Fliesen. Eine weitere Stahltür mit Guckloch führte in den nächsten Raum. Dies war der Aufnahmeraum. Hier wurden die Opfer den Ärzten, Pflegern/-innen und Schreibkräften gegenübergestellt und genau in diesem Raum ließen sich die Ärzte Lonauer oder Renno innerhalb von Sekunden Todesursachen einfallen, während die Menschen noch lebend vor ihnen standen. Bevor diese Menschen
  • 43. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 43 | S e i t e jedoch in der Gaskammer qualvoll erstickten, wurden sie noch im Profil und in der Ganzansicht fotografiert. (Vgl. Kohl 1997, S. 60f) Dieser ganze Umbau war nötig, damit das Gebäude die Aufgaben einer Tö- tungsanstalt erfüllen konnte. Es wird vermutet, dass in Hartheim bereits am 6. Juni 1940 die ersten Menschen getötet wurden, denn an jenem Tag wurden viele Patienten/-innen des Psychiatrischen Krankenhauses Linz-Niedernhart angeblich in die „Heil- und Pflegeanstalt Brandenburg“ transportiert. Da man die Tötungen geheim halten wollte, war es vor allem zu Beginn üblich, dass vorge- schobene Bestimmungsorte aufschienen. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 31) 4.2.1 Personal der Tötungsanstalt Hartheim Dr. Rudolf Lonauer war der ärztliche Leiter der Tötungsanstalt Hartheim. (Vgl. Kohl 1997, S.84) Sein Stellvertreter hieß Dr. Georg Renno. Büroleiter bzw. Ge- schäftsführer war Christian Wirth. (Vgl. Hinterhuber 1995, S. 31) In das Aufgabengebiet der beiden Ärzte Lonauer und Renno fielen unter ande- rem die Begutachtung der Opfer und die Bestimmung einer möglichst plausib- len Todesursache. Sie waren aber auch für die Tötung an sich zuständig, da das als Tötungsmittel verwendete Kohlenmonoxid von einem Arzt in die Gas- kammer eingeleitet werden musste. Christian Wirth war für das Sonderstandes- amt, das den Tod der Opfer zu beurkunden hatte, den Versand der Urnen so- wie für den Schriftverkehr mit den Abgabeanstalten und den Angehörigen der Getöteten verantwortlich. Darüber hinaus organisierte er alle Maßnahmen zur systematischen Verschleierung, für die er ein System des regelmäßigen Daten- austausches zwischen den einzelnen Tötungsanstalten entwickelt hatte. (Vgl. Laube sozialpsychiatrische Aktivität GmbH 2007, S. 76f) Neben den leitenden Persönlichkeiten der Tötungsanstalt arbeiteten noch zahl- reiche andere Menschen im Schloss. So zum Beispiel Nohel, Merta und Bolen- der. Diese Männer und noch einige weitere wurden dazu bestimmt, als Brenner im Schloss zu arbeiten. So hießen die Heizer des Krematoriums. Doch die Kranken mussten auch nach Hartheim transportiert werden. Diese Aufgabe übernahmen Hödl, Mayrhuber, Lothaller und Gezinger: Sie lenkten die ganz normalen Omnibusse der Reichspost, welche dafür vorgesehen waren. Doch
  • 44. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 44 | S e i t e nicht nur Männer waren im Schloss Hartheim tätig, sondern auch Frauen. So zum Beispiel Hintersteiner. Besonders interessant ist bei dieser Frau, dass sie bereits fünf Wochen nach Dienstbeginn in Hartheim zur leitenden Kanzleiange- stellten und Sekretärin des Chefs Rudolf Lonauer aufstieg. Zu erwähnen ist auch, dass Hintersteiner am längsten von allen im Schloss beschäftigt war. (Vgl. Kohl 1997, S. 92ff) Die Zahlenangaben zum Gesamtpersonal schwanken zwischen 50 und 80 Per- sonen, welche in Hartheim beschäftigt waren. Die meisten der Hartheimer Be- legschaft kamen aus dem Altreich. Biografien sind von sehr wenigen erhalten. Von einigen Beschäftigten, die in Hartheim und Niedernhart angestellt waren, kennt man bloß den Namen: Wagner, Harrer, Steubl usw. Ebenfalls nur der Familienname ist von einem gewissen Bruckner bekannt, der die Todgeweihten kurz vor der Vergasung fotografiert hat. Eine große Gruppe von Menschen, welche in die Vernichtungsaktion eingeweiht waren, bleibt jedoch anonym und namenlos. So kennt man zum Beispiel die Namen vieler Bürokräfte, vieler Pfle- ger/-innen, welche den Transport begleiteten, Personen des Küchenpersonals usw. bis heute nicht. (Vgl. Kohl 1997, S. 118ff) 4.2.2 Tötungsprozesse im Schloss Hartheim Hartheim war die dritte Tötungsanstalt der NS-Euthanasieaktion „T4“, welche im Dritten Reich in Betrieb genommen wurde. Behinderte und psychisch kranke Bewohner/-innen von oberösterreichischen Pflege- und Behinderteneinrichtun- gen waren die ersten Opfer, die ab Mai 1940 zur Ermordung nach Hartheim gebracht worden waren. Die Transporte aus den größeren Anstalten kamen zumeist mit der Eisenbahn direkt nach Linz. Vor Ort am Hauptbahnhof in Linz wurden die Opfer durch den Leiter der Tötungsanstalt Hartheim, Dr. Rudolf Lo- nauer, oder durch dessen Stellvertreter, Dr. Georg Renno, selektiert. Es wurde schließlich zwischen zwei Gruppen unterschieden: nämlich zwischen jenen Menschen, die sofort in Hartheim getötet werden sollten, und den übrigen Per- sonen, welche vorübergehend in die „Gau-Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart“ nach Linz gebracht wurden. In Niedernhart blieben die Opfer jedoch zumeist nur wenige Tage, dies richtete sich nach der Kapazität der Tötungseinrichtung Hartheim. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 25f)
  • 45. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 45 | S e i t e Um die Opfer aus Linz in das ca. 18 km entfernte Schloss Hartheim zu bringen, wurden Busse und Fahrer eingesetzt, welche von der Reichspost stammten. Parallel zu den großen Eisenbahntransporten gab es aber auch Bustransporte, die längere Distanzen zurücklegten. Für diese Transporte standen in Hartheim ständig drei Busse zur Verfügung, deren Fenster nach einiger Zeit undurchsich- tig gemacht wurden. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 26) Abbildung 3: Bus mit Chauffeur von Hartheim (Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 27) Zu Beginn waren die Busse noch durch das Tor des Wirtschaftstraktes bis vor den Haupteingang des Schlosses gefahren, da jedoch nach geraumer Zeit grö- ßere Mercedesbusse verwendet worden waren, die nicht mehr durch die Tor- einfahrt passten, wurde an der Westseite des Schlosses ein Holzschuppen ge- baut. Dieser diente in erster Linie der Abschirmung von der Umgebung, aber auch der Verhinderung von Fluchtversuchen der herangebrachten Personen. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 27) Nach dem Eintreffen der Opfer in die Tötungsanstalt führte das Begleitpersonal die Menschen sogleich in den Aufenthaltsraum, der gleichzeitig auch als Aus- kleidungsraum diente. Dort mussten sich die Kranken unter dem Vorwand, dass man sie ärztlich untersuchen wolle, ausziehen. (Vgl. Greve 1998, S. 48)
  • 46. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 46 | S e i t e Die Pfleger/-innen halfen den Opfern dabei und währenddessen erzählten sie ihnen, dass sie nun in ein Säuberungsbad kommen würden. Aufgrund dieser Schilderungen waren die Kranken völlig arglos. Nach dem Entkleiden wurden die Menschen dem Arzt einzeln oder zu zweit vorgeführt. Dieser nahm zuerst Einsicht in die vorliegenden Krankenakten, während eine Pflegeperson den Vorgeführten mit einer laufenden Nummer stempelte. Zudem wurden jene Per- sonen mit einem Kreuz auf dem Rücken gekennzeichnet, welche Goldzähne im Mund hatten. Nach der Scheinuntersuchung wurden die Personen in einen ne- benan befindlichen Raum geführt und dort fotografiert. Sehr selten kam es auch vor, dass Menschen während des Verfahrens zurückgestellt und wieder in die Anstalt überführt wurden. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 28) Um den Kranken den Eindruck des Gewohnten und das Gefühl der Betreutheit zu vermitteln, hatte das Betreuungspersonal den Auftrag erhalten, zur Täu- schung der Opfer weiße Kittel oder weiße Arbeitsbekleidung zu tragen. Darüber hinaus sollten geh- und bewegungsunfähige Opfer unterstützt werden, wenn sie durch den Untersuchungsraum in die Gaskammer gelangen mussten. Wenn unruhige Patienten/-innen transportiert und anschließend vergast wurden, so erhielten sie bereits während der Fahrt oder schon in den Stammanstalten Be- ruhigungsspritzen, damit sie nicht in Todesangst gerieten. Manchmal hatte nämlich Panik unter den Opfern bereits zu erheblichen Störungen während des Untersuchungsprozesses und des Vergasungsablaufes geführt. (Vgl. Greve 1998, S. 48f) Nachdem die Opfer schließlich „untersucht“ und fotografiert worden waren, brachte man sie in die 25 m² große Gaskammer. In der Regel befanden sich 30 bis 35 Personen gleichzeitig in der Gaskammer, aber kam es auch vor, dass bei größeren Transporten mehr Menschen in die Gaskammer gepfercht wurden. Wenn sich alle Kranken in dem kleinen Raum befanden, wurde die Stahltür ge- schlossen und der jeweilige Arzt leitete Kohlenmonoxyd in die Gaskammer ein. Die Zeitspanne bis zum Eintreten des Todes dauerte laut Zeugenaussagen zehn bis fünfzehn Minuten. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 28f) Ob wirklich alle Opfer an den Folgen des Gases gestorben waren, stellte der Arzt im Einzelfall aber nicht fest. (Vgl. Greve 1998, S. 51)
  • 47. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 47 | S e i t e Nachdem die Entlüftung der Gaskammer durchgeführt worden war, hatten nun die Heizer – oder auch Brenner genannt – die Aufgabe, die Leichen aus der Gaskammer in den Totenraum zu bringen. Dieser lag zwischen dem kleinen Raum mit den Gasflaschen und dem Krematoriumsraum. Für die Heizer oder Brenner war das Wegbringen der Leichen aus der Gaskammer in den Toten- raum eine sehr schwere Arbeit, denn es war nicht leicht, die ineinander ver- krampften Leichen auseinanderzubringen und anschließend in den Totenraum zu schleifen. Diese Arbeit wurde zu Beginn auch insofern erschwert, als der Boden holprig und noch nicht mit Fliesen ausgekleidet war. Später, als es einen Fliesenboden gab, wurde Wasser ausgeschüttet und dadurch die Beförderung der leblosen Körper etwas erleichtert. Im Totenraum angekommen, wurden die Leichen aufgeschichtet. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 29) Wenn alle Körper aus der Gaskammer entfernt worden waren, gingen die Pfle- ger/-innen hinein, um Boden und Wandfliesen von Stuhl und Erbrochenem zu reinigen. Die Brenner drehten währenddessen die Leichen herum, bevor sie sie an der Wand aufstapelten. Sie suchten nach dem kreuzförmigen Kennzeichen, welches besagte, dass das Opfer Goldzähne besaß. Einer der Brenner hielt Ober- und Unterkiefer der Leiche auseinander, damit der andere mit einer Zan- ge die goldenen Zähne aus dem Mund reißen konnte. Die Goldklumpen wurden anschließend in ein großes Gurkenglas geworfen, welches eine Mischung aus Wasser und Desinfektionsmittel enthielt. (Vgl. Kohl 1997, S. 138) Manche Leichen jedoch wurden vor der Verbrennung seziert. Entnommene Gehirne wurden haltbar gemacht und zum Zwecke der Forschung missbraucht. (Vgl. Schwanninger & Wegscheider 2012, S. 30). Die restlichen Leichen wurden stundenlang verbrannt. Dazu hatten die zwei diensthabenden Brenner bereits Stunden vorher mehrere Truhen voll Koks aus der Arkade bereitgestellt und den großen Ofen eingeheizt. Die Brenner fuhren eine Art metallene Liege auf Laufrädern, die sogenannte Pfanne, aus dem Ofen heraus und legten die zu verbrennenden Leichen darauf. Nachher wurden die Pfannen in das Krematori- um geschoben und die Ermordeten verbrannt. Abhängig vom Haufen lebloser Leiber im Totenraum konnten bis zu acht Körper auf einmal verbrannt werden. (Vgl. Kohl 1997, S. 138f)
  • 48. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 48 | S e i t e Wenn an manchen Tagen 100 bis 120 Menschen ankamen, konnte es manch- mal sogar zwei bis drei Tage dauern, bis alle Leichen verbrannt waren. Da die Körper bei der Verbrennung nicht vollständig zu Asche zerfielen und manchmal Knochen übrig blieben, wurde eine elektrische Knochenmühle eingesetzt. Ein Teil der Asche wurde in den Urnen an die Angehörigen versandt, wobei diese Urnen wahllos befüllt wurden. Die übrig gebliebene Asche gab man in Säcke, um diese später in der Donau zu entsorgen. (Vgl. Schwanninger & Wegschei- der 2012, S. 30) 4.2.3 Verständigung der Angehörigen Die Akten über die vergasten Menschen wurden zum Teil in Hartheim behan- delt. Damit befassten sich die sogenannte Trostbriefabteilung und das Sonder- standesamt. Ein paar Schreibkräfte schrieben zwei, drei Tage nach der Verbrennung Trostbriefe, die alle nach demselben Schema gehalten waren, aber trotzdem einzeln geschrieben wurden, um diesen schematischen Charak- ter zu verschleiern. Aus den Meldebögen wurden die vom Arzt ausgedachten Todesursachen übernommen und zum Schluss wurden die Briefe von Renno oder Lonauer unterschrieben. Für diese Unterschrift benutzten die Ärzte jedoch falsche Namen. So hat Renno vermutlich mit Dr. Steinert unterschrieben. (Vgl. Kohl 1997, S. 140) Um eine Häufung von Todesfällen in bestimmten Gebieten zu vermeiden, wur- de eine Absteckabteilung in jeder Anstalt eingerichtet, welche die Verschickung der Todesbenachrichtigungen koordinierte, indem die Todesdaten der Opfer manipuliert oder Krankenakten mit anderen Anstalten ausgetauscht wurden. Anschließend wurden die Personalakten und Totenscheine der Opfer an das jeweilige Sonderstandesamt weitergeleitet. Dort trug man die Toten ins Sterbe- register ein und erstellte in der Regel drei Sterbeurkunden. Ein Exemplar davon wurde zu den Akten gelegt und die anderen zwei versandte man an das Stan- desamt des Geburtsortes des Verstorbenen sowie an die Angehörigen. Manche Familienmitglieder beantragten die Überführung der sterblichen Überreste. Dies wurde durchaus bewilligt und somit stellte man der entsprechenden Friedhofs- verwaltung kostenlos eine Urne mit der vermeintlichen Asche des/der Ermorde- ten zu. (Vgl. Greve 1998, S. 52)
  • 49. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 49 | S e i t e Die Angehörigen schrieben teilweise verzweifelte Briefe an die Stammanstalten, nachdem sie die Trostbriefe erhalten hatten, da sie der Tod ihrer/ihres Ver- wandten meist völlig unerwartet traf. Ein solcher Brief ist hier abgebildet. (Vgl. Neuhauser & Pfaffenwimmer 1992, S. 1) Abbildung 4: Brief einer Mutter eines Ermordeten (Neuhauser & Pfaffenwimmer 1992, S. 37) 4.2.4 Schloss Hartheim nach 1945 In der Nachkriegszeit erinnerten nur private Gedenktafeln im Arkadenhof an die Euthanasie- und Häftlingsmorde im Schloss. Erstmals wurde 1969 in jenen Räumen, die in der Tötungsanstalt als Aufnahmeraum und Gaskammer gedient hatten, eine Gedenkstätte vom oberösterreichischen Landeswohltätigkeitsver- ein eingerichtet. 1997 beschloss man die Sanierung des Schlosses mit einer
  • 50. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 50 | S e i t e Neukonzeption und zeitgemäßen Gestaltung der Gedenkstätte zu verbinden. Es wurde nun erstmals möglich, alle Räume, in denen der Tötungsablauf voll- zogen worden war, in die Gedenkstätte einzubeziehen. (Vgl. Verein Schloss Hartheim 2012, o. S.) Abbildung 5: Schloss Hartheim im Jahre 2012 (Eigenaufnahme) Die baulichen Spuren der Euthanasie wurden freigelegt. Zudem wurde mit ei- nem Schnitt durch die Tötungsräume, der die Anordnung der mechanisierten Tötungsstrecke sichtbar macht, ein radikaler Eingriff in die Raumstruktur vorge- nommen. Durch den Schnitt führt ein Steg, der den Weg vorgibt. Die Tötungs- räume können dabei durchschritten, aber nicht betreten werden. Damit ist durchaus eine Distanz zu den historischen Räumen gegeben. Außerhalb des Gebäudes bilden der Ort der ehemaligen Busgarage und jener Teil des Gar- tens, in dem menschliche Überreste aus dem Krematorium verscharrt worden waren, integrierende Bestandteile der Gedenkstätte. In den ehemaligen Funkti- onsräumen werden umfassende historische Informationen zur NS-Euthanasie und zur Rolle von Schloss Hartheim in diesem System geboten. (Vgl. Verein Schloss Hartheim 2012, o. S.)
  • 51. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 51 | S e i t e 4.3 Aktuelle Ausstellung „Wert des Lebens“ Derzeit findet im Schloss Hartheim die Ausstellung mit dem Namen „Wert des Lebens“ statt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Haltung und der Umgang der Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung. Der zu betrachtende Zeitraum erstreckt sich in der Ausstellung vom Zeitalter der Industrialisierung bis zur Ge- genwart. Der Bogen spannt sich von der Sortierung der Menschen in ökono- misch „Brauchbare" und „Unbrauchbare" am Beginn der Industriegesellschaft bis zur aktuellen Forderung nach gesellschaftlicher Gleichstellung von Men- schen mit besonderen Bedürfnissen. Die Ermordung von behinderten Men- schen als „unwertes Leben“ zurzeit des Nationalsozialismus bildet dabei den Brennpunkt in dieser Ausstellung. (Vgl. Verein Schloss Hartheim 2013, o. S.) Ich selber habe mir die Ausstellung angesehen und diese Form der Darstellung hat mich wirklich berührt. Sie regt auf jeden Fall an, über das Leben nachzu- denken, und ich bin der Meinung, dass man Menschen mit besonderen Bedürf- nissen ganz anders begegnet, wenn man die Ausstellung besucht hat. Beson- ders emotional betroffen gestimmt, haben mich bei dieser Schau die überdi- mensional großen Bilder, die Menschen mit Behinderung zeigen. Diese Bilder verschönern die Wände des Schlosses im Obergeschoss und ich finde es wirk- lich passend, die Mauern mit solchen Schmuckstücken zu dekorieren. Abbildung 6: Ausschnitt der Ausstellung „Wert des Lebens“ (Eigenaufnahme)
  • 52. Bachelorstudium für das Lehramt an Hauptschulen 52 | S e i t e Abbildung 7: Bild der Ausstellung „Wert des Lebens“ (Eigenaufnahme)