3. 02-03_Inhaltsverzeichnis_ 21.05.12 16:27 Seite 3
Inhalt 3
Vorwort Zum Geleit 4
Katastrophenhilfe
Ostafrika Wasser heißt Leben 8
Japan Wie ein Auszug aus der Apokalypse 12
Arabische Welt Zwischen die Fronten geraten 16
Soziale Arbeit weltweit
Kenia Endlich Luft zum Atmen 18
Indonesien „Wir leben wie in einer Familie“ 20
Kuba & Ukraine „30 Grad plus – 30 Grad minus“ 22
Wir über uns
Caritas international Teil der weltweiten Caritas-Familie 24
Aktivitäten der Caritas Aktionen in Deutschland 26
Standards & Konzepte Das Soziale in der Architektur 30
Aktiv werden Gemeinsam mehr erreichen! 32
Der Verband Die Organe des Deutschen Caritasverbandes 34
Zahlen und Fakten
Spendengelder Wir sagen Danke 36
Geleistete Hilfen I Nach Arbeitsbereichen und Förderern 37
Geleistete Hilfen II Nach Ländern und Kontinenten 38
Bilanz I Kosten-Erlös-Rechnung 40
Bilanz II Verwaltungs- und Werbekosten 42
Impressum 43
Caritasinternational Jahresbericht 2011
4. 04-07_Vorwort 21.05.12 09:25 Seite 1
4 Vorwort
Zum Geleit
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde und Förderer von Caritas international,
das Jahr 2011 hat einen traurigen und für die betroffenen Menschen schrecklichen Trend bestä-
tigt: Die Zahl der Katastrophen nimmt weltweit seit Jahren zu. Der Rückblick auf die vergange-
nen zwölf Monate – wie wir ihn unten auch bildlich darstellen – macht dabei deutlich, dass die
Naturkatastrophen durch menschliche Fehler und gesellschaftliche Fehlentwicklungen in ihren
Wirkungen noch verstärkt werden.
Die schweren Überschwemmungen in Asien und Mittelamerika wie auch die Dürren in Ostafrika
stehen – wenn auch nicht im Einzelnen nachweisbar – in ihrer Häufung in Zusammenhang mit dem
weltweiten Klimawandel. Bürgerkriege, Armut und Misswirtschaft tun ein Übriges, um eine schwie-
rige Situation erst zu einer Katastrophe werden zu lassen. Die Katastrophe in Japan am 11. März
2011 mit dem Erdbeben und dem anschließenden Tsunami hat 20.000 Menschen das Leben ge-
kostet. Der durch die Flutwelle ausgelöste atomare GAU – der größte anzunehmende Unfall – und
die Verseuchung ganzer Landstriche haben die Katastrophe auf unbestimmte Zeit verlängert. Auch
hier hat unverantwortliches menschliches Handeln die Not der Betroffenen verschlimmert.
DAS JAHR 2011 IN BILDERN
Rückkehr in den Die dreifache
Südsudan: Katastrophe:
Caritas hilft den Men- Beben, Tsunami,
schen, nach dem Krieg Atom-GAU. Viele
wieder Fuß zu fassen. Menschen im Nord-
Nach der Gründung osten Japans stehen
des neuen Staates vor dem Nichts.
hoffen viele Rückkeh- Sie benötigen mate-
rer auf einen friedli- rielle und psycho-
chen Neuanfang. soziale Hilfe.
Januar März
Februar
Zwischen die
Fronten geraten:
Migrantinnen und
Migranten fliehen
vor den Kämpfen
zwischen Militär und
Demokratiebewegung
in arabischen Staaten.
Caritas international
unterstützt sie in den
Flüchtlingslagern der
Nachbarstaaten.
Vorwort Caritasinternational Jahresbericht 2011
5. 04-07_Vorwort 21.05.12 09:25 Seite 2
5
Japan hat lange Erfahrung mit Erdbeben und Tsunamis; die Katastrophenvorsorge und die
Warnsysteme sind gut ausgebaut, die Katastrophenhilfe gilt als vorbildlich. Und Japan ist ein
Industriestaat. Warum also sollte Caritas international als Hilfswerk des Deutschen Caritasver-
bandes in einem so reichen Land helfen? Die Antwort haben Sie, die Spenderinnen und Spen-
der, gegeben: Wir helfen dort, wo Hilfe benötigt wird – und die von den Katastrophen Betroffe-
nen in Japan hatten und haben Hilfe nötig. Denn auch in Industrieländern, das wissen wir aus
eigener Erfahrung, haben nicht alle Menschen teil am gesellschaftlichen Reichtum. Und genau
hier setzt die deutsche Caritas an: bei den Menschen, die besonders betroffen sind von Kata-
strophen, von Krisen oder auch von den Ungerechtigkeiten des Alltags. Die Schwächsten zu
stärken – das ist ein Grundsatz unserer Arbeit.
Eine weitere Frage wird uns immer wieder gestellt: Warum macht ihr – als ein katholisches
Hilfswerk – in eurer Hilfe keinen Unterschied zwischen Christen, Muslimen, Buddhisten oder Hin-
dus? Warum helft ihr auch dort, wo es kaum Christen gibt: in Japan, in der arabischen Welt, in
Somalia oder in Afghanistan? Die Antwort erschließt sich aus unserem biblischen und kirchlichen
Selbstverständnis, aus den Prinzipien unserer Caritas-Arbeit. Caritas international gewährt >>
Neue Hoffnung in
Zentralafrika:
Noch herrscht kein
Friede im Kongo. Die
Fortschritte im Frie-
densprozess, bei der
Demokratisierung und
der wirtschaftlichen
Entwicklung sind je-
doch sichtbar.
Mai
April Juni
Bleiben, wenn Dialog der
das Militär geht: Religionen im Irak:
In Afghanistan berei- Vertreter aller Religionen
ten sich die interna- treffen sich, um über
tionalen Truppen auf Wege aus der Gewaltspi-
ihren Abzug vor. rale zu reden. Zu Gast:
Das Hilfswerk der Caritas-Präsident Peter
deutschen Caritas Neher und Erzbischof
wird auch dann vor Ludwig Schick, Vorsitzen-
Ort bleiben. der der Kommission
Weltkirche der Deutschen
Bischofskonferenz.
Caritasinternational Jahresbericht 2011 Vorwort
6. 04-07_Vorwort 21.05.12 09:25 Seite 3
6 Vorwort
Zum Geleit
>> Hilfe und Schutz ohne Ansehen von ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Staatsangehörigkeit
oder politischer Überzeugung. Denn die von Gott geschenkte Würde kommt jedem Menschen
zu. Über die Notwendigkeit der Hilfe entscheidet ausschließlich die Bedürftigkeit der Betroffenen.
Caritas international arbeitet auch dort, wo der „natürliche“ Partner, die lokale Caritas, nur
sehr klein ist, streng nach dem Partnerprinzip. Die Nothilfe, der Wiederaufbau und auch die lang-
fristige soziale Arbeit werden immer in Kooperation mit lokalen und nationalen Organisationen
umgesetzt, die mit den Bedingungen vor Ort vertraut sind und die entsprechend schnell und ef-
fektiv helfen können. Dieses Prinzip zahlt sich aus. In Somalia etwa arbeitet Caritas international
seit vielen Jahren mit einer lokalen Hilfsorganisation zusammen. So konnte das Hilfswerk der
deutschen Caritas als eine von wenigen Organisationen in dem von Dürre und Bürgerkrieg
gebeutelten Land Nothilfe leisten.
Auch in Japan haben wir neben der Caritas unserer katholischen Kirche einen Partner mit
mehr als 30 Jahren internationaler Erfahrung in der Not- und Katastrophenhilfe sowie in der Be-
hindertenhilfe. In ihren ganz ähnlichen Zielen und Arbeitsansätzen ist diese Organisation ein idea-
ler Partner für Caritas international.
DAS JAHR 2011 IN BILDERN
Fluten erschweren
Wiederaufbau:
Ein Jahr nach der
Jahrhundertflut stehen
wieder weite Teile Pa-
kistans unter Wasser.
Mit dem Bau von Däm-
men und Kanalsyste-
men zielt die Caritas
auf langfristige Ver-
besserung der Lage.
August
Juli September
Schwere Dürre Friedensarbeit
in Ostafrika: in Kolumbien:
Somalia, Äthiopien, Der Konflikt zwischen
Kenia und andere Regierung und Rebel-
Länder am Horn von len wird weiterhin ge-
Afrika leiden unter waltsam ausgetragen.
einer langen Dürre. Caritas international
Neben der akuten sucht mit lokalen
Hilfe bedarf es nach- Partnern nach friedli-
haltiger Projekte zur chen Wegen.
Verbesserung des
Wassermanagements.
Vorwort Caritasinternational Jahresbericht 2011
7. 04-07_Vorwort 21.05.12 09:25 Seite 4
7
Solche internationalen Partner-
schaften lassen sich nur aufrecht-
erhalten auf einem klaren christ-
lichen Fundament und durch eine
starke Basis im eigenen Land, die
Sie alle gemeinsam bilden, die
Unterstützer und Partner, die
Spenderinnen und Spender.
Ihrer Hilfe und Ihrem Engagement
verdanken wir es, dass wir erfolg-
reich und nachhaltig helfen und
so etwas von Gottes Menschen-
freundlichkeit sichtbar machen
können. Dafür danken wir Ihnen Prälat Dr. Peter Neher Dr. Oliver Müller
Präsident des Deutschen Leiter Caritas international
an dieser Stelle sehr herzlich! Caritasverbandes
Winterhilfe nach
dem Erdbeben:
Im Osten der Türkei
Überschwemmungen leiden die Menschen
in Südostasien: nach einem schweren
Caritas leistet in Thai- Beben auch unter dem
land, Vietnam und frühen Winterein-
Kambodscha Nothilfe. bruch. Caritas inter-
Langfristige Projekte national und die
helfen bei der Kata- Partner vor Ort helfen
strophenvorsorge. mit Decken und Öfen.
Oktober Dezember
November
Die Folgen des
Klimawandels:
In Südafrika sucht die
Klimakonferenz nach
politischer Einigung
im Kampf gegen den
Klimawandel. Caritas
international begeg-
net dem Wandel mit
Projekten zur Kata-
strophenvorsorge –
wie hier in Bolivien.
Caritasinternational Jahresbericht 2011 Vorwort
8. 08-11_Ostafrika-Sahel 21.05.12 10:33 Seite 8
8 Katastrophenhilfe Soziale Arbeit weltweit Wir über uns Zahlen und Fakten
Ostafrika
Wasser heißt Leben
Millionen Menschen waren von der Dürrekatastrophe am Horn von Afrika betroffen.
Durch gezielte Katastrophenvorsorge in Kenia und Äthiopien konnten viele Men-
schenleben gerettet werden. Auch mithilfe von Caritas international.
D rei lange Jahre lang hat es hier nicht mehr gereg-
net. Von Feldern oder Weiden kann längst nicht
mehr die Rede sein. Das Vieh zieht über steinharte
kann Gumato erstmals seit langem wieder lachen,
ihre fünf Kinder essen nebenan. „Mit dem gelieferten
Wasser habe ich als Allererstes etwas für die Kleinen
Böden, auf denen kein Halm mehr wächst. Yaa gekocht. Ich hatte zwar noch Bohnen und Mais,
Odola liegt im völlig ausgedörrten Norden Kenias. Die konnte aber nicht kochen“, erzählt sie. Zuvor habe
nächstgelegene Wasserstelle ist 65 Kilometer ent- sie manchmal für zehn Tage nur 20 Liter Wasser ge-
fernt. Eine Distanz, die selbst die Kamele nicht mehr habt – für die ganze Familie. Durch die Unterstützung
bewältigen können. der Caritas stehen den sieben Familienmitgliedern
Wie viele andere hat daher auch die Familie von jetzt 200 Liter zur Verfügung. Die werden auch mit
Gumato Chachu zahlreiche Kamele verloren – ihnen den Tieren geteilt. „Ohne Kamele können wir nicht
fehlt nun die überlebenswichtige Milch der Tiere. überleben“, sagen die Bewohner von Yaa Odola bei
„Unsere Lage ist wirklich sehr schlimm“, sagt die 27- der „Kora“, der Dorfversammlung. Schon in zwei
jährige Frau. Doch an diesem Tag im August 2011 Tagen wird der Wassertank erneut befüllt. Die lokale
Genug auch für die Trockenzeit
Wasserrückhaltesysteme wie hier in
Äthiopien versorgen ganze Regionen.
Caritas international hilft beim Bau.
Katastrophenhilfe Ostafrika Caritasinternational Jahresbericht 2011
9. 08-11_Ostafrika-Sahel 21.05.12 10:33 Seite 9
Sudan
Äthiopien
Südsudan
Somalia
Dem. Rep. Kongo
stepmap.de
Uganda Kenia
10 Millionen Menschen benötigten Hilfe von außen 9
2
3 Staaten: zusammen 2.3 Mio. km groß, 130 Mio. Einwohner
Caritas-Partnerorganisation „Pacida“ versorgt so tel zu den Bedürftigen zu bringen, und an Sicherheit
noch weitere besonders von der Dürre gefährdete für die Hilfsorganisationen. Anhaltende Kämpfe und
Gemeinden mit Wasser. „Drei Lastwagen fahren jetzt Gewalt gegen Zivilisten machten es vielen Menschen
nonstop“, sagt Pacida-Leiter Wario Guyo Adhe, „um schwer, sicher über die Grenzen in die Flüchtlingsla-
das nötige Wasser anzuliefern.“ Auf diese Weise kön- ger zu gelangen.
nen in diesen besonders schwierigen Monaten im Caritas international gehört zu den wenigen
Sommer 2011 rund 1.330 Familien – etwa 8.000 Hilfsorganisationen, die in Somalia trotz der
Menschen – regelmäßig mit sauberem Trinkwasser schwierigen Bedingungen helfen können.
versorgt werden. „Langfristig“, betont Wario Guyo Mithilfe der lokalen Hilfsorganisation Da-
Adhe, „wird es aber notwendig sein, ryeel Bulsho Guud (= Hilfe für
mehr Brunnen zu bohren, denn die Zahl „Wir brauchen alle), die seit 1992 von Caritas
der Dürren nimmt stetig zu.“ mehr Brunnen, international und der Diakonie
Diese Beobachtung wird von Wis- Katastrophenhilfe unterstützt
denn die Zahl
senschaftlern bestätigt. Als Grund für wird, konnten Bedürftige sowohl
der Dürren
die Dürre gilt La Niña. Dieses großräu- in den vom Staat als auch in
mige klimatische Phänomen über dem nimmt stetig zu.“ den von den Al-Shabab-Mi-
Pazifik sorgt immer wieder dafür, dass lizen kontrollierten Gebie-
Niederschläge in der Region ganz oder teilweise aus- ten unterstützt werden. Lebensmit-
fallen. Der Klimawandel verstärkt dieses natürliche tel und Trinkwasser wurden verteilt,
Ereignis, das von Meeresströmungen verursacht Tiefbrunnen gebohrt und Wasser-
wird. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Seit speicher errichtet. Bislang bleiben
1960 ist die Durchschnittstemperatur am Horn von derartige Maßnahmen zur Kata-
Afrika um durchschnittlich zwei Grad angestiegen; strophenvorsorge in Somalia je-
die letzten acht Jahre waren die heißesten, die je auf- doch die Ausnahme.
gezeichnet wurden; die Regenfälle haben sich um Wie sehr solche Programme
insgesamt 25 Prozent verringert. Während Dürreperi- die Not abfedern können, zeigt
oden früher in Abständen von 25 bis 30 Jahren auf- sich in den Nachbarländern.
traten, kommt es mittlerweile in Abständen von vier So gibt es in Äthiopien eine
bis fünf Jahren zu Dürren. einigermaßen funktionierende
Wie im Norden Kenias ist diese Tendenz auch in Vorsorge vor Dürrekatastro-
vielen anderen Regionen am Horn von Afrika spür- phen, >>
bar. Caritas international und die lokalen Partner
entwickeln lokal angepasste Strategien. Denn die
> DIE HILFE DER CARITAS IN ZAHLEN
Futterknappheit hat verschiedene Ursachen. Vieler-
orts halten etwa Viehzüchter Rinder, Ziegen, Schafe Die Dürre und die Hungersnot in Ostafrika haben viele
und Kamele in zu großer Zahl, weil diese als Status- Menschen in Deutschland zum Spenden bewegt. Gut
symbole gelten. Doch die Tiere fressen ganze Wei- 12,3 Millionen Euro gingen 2011 allein beim Hilfs-
deflächen kahl und zerstören die Bodenstruktur. werk der deutschen Caritas für die Ostafrika-Hilfe ein.
Mittels Beratung und durch das Angebot alternati- Etwa 2,2 Millionen Euro verwendete Caritas interna-
ver Einkommensquellen etwa durch Ackerbau soll tional für die Nothilfe sowie erste Maßnahmen zur
die Zahl der Tiere langfristig verringert werden. Dürreprävention, im Wassermanagement und bei der
Verbreitung dürreresistenten Saatguts. Diese nach-
Die schlimmsten Folgen hatte die Dürre für die
haltige Hilfe kann aufgrund des hohen Spendenauf-
Menschen in Somalia. Hier flohen die Menschen al-
kommens in den kommenden Jahren fortgesetzt
lerdings zuerst vor dem Bürgerkrieg, der das Land werden. Sie ist nicht nur effektiv, sondern auch ver-
seit vielen Jahren aufzehrt. Weil es seit vielen Jah- gleichsweise günstig: Mit umgerechnet nur zwei
ren keinen funktionierenden Staat mehr gibt, fehlte Euro kann so einem Menschen einen ganzen Monat
es – als die Ernten aufgrund der Dürre ganz oder zum lang Zugang zu Trinkwasser verschafft werden.
Teil ausfielen – an Transportmitteln, um Nahrungsmit-
Caritasinternational Jahresbericht 2011 Katastrophenhilfe Ostafrika
10. 08-11_Ostafrika-Sahel 21.05.12 10:34 Seite 10
10 Katastrophenhilfe Soziale Arbeit weltweit Wir über uns Zahlen und Fakten
Ostafrika
Praktische Hilfe zur Selbsthilfe
Die Programme bringen Arbeit, Einkom-
men – und ein Wasserrückhaltebecken.
>> die gemeinsam von Staat und Hilfsorganisatio- milie in Äthiopien für eine Pflanzzeit mit Saatgut aus-
nen über Jahre aufgebaut wurde. In mehreren Re- gestattet werden.
gionen finanziert das Hilfswerk der deutschen Cari- Zwar waren dennoch im Spätsommer 2011
tas den Bau von Brunnen, Wasserrückhaltebecken nach mehreren ausgefallenen Ernten insgesamt gut
und ganzen Bewässerungssystemen. Ziel ist es, zehn Millionen Menschen auf Hilfe von außen ange-
langfristig ein Netz der Wasserversorgung aufzu- wiesen, so dass auch die Caritas mit Trinkwasser
bauen, das auch lange Trockenzeiten überdauert. und Lebensmitteln helfen musste. Doch durch die
Der Bau einer Wasserrückhalteanlage kostet nur Vorsorgemaßnahmen konnte diesmal eine Hun-
rund 8.000 Euro und kann die umliegende Bevölke- gersnot mit vielen Tausend Toten, wie es sie zuvor
rung in Trockenzeiten bis zu sechs Monate lang mit in Äthiopien schon mehrfach gab, verhindert wer-
Wasser versorgen. den. Dieser Erfolg ist uns Ansporn, den Weg der
Ein anderer Schwerpunkt der Hilfen ist die Bereit- langfristigen Hilfe und der Katastrophenprävention
stellung von dürreresistentem Saatgut, damit das Ge- auch nach dem Ende der Hungersnot und auch in
treide nicht schon vor der Keimung verdorrt, wenn anderen Ländern und Regionen weiterzugehen:
der Regen ausbleibt. Mit nur zehn Euro kann eine Fa- nachhaltig, vorsorgend und mit langem Atem. n
VIELE WEGE – EIN ZWECK
Spendenaktionen für die Hilfe von Caritas international in Ostafrika
Die Not der Menschen in Ostafrika hat viele Menschen moti- Die Sternstunden, die Benefizaktion des Bayeri-
viert, zu spenden oder Aktionen zu starten, um Spenden schen Rundfunks, sammelten mit ihrer Sonderaktion
zu sammeln. Das ZDF rief während der Dürrekatastrophe zu „Hungerhilfe Ostafrika“ insgesamt 15 Millionen Euro
Spenden für die Betroffenen in Ostafrika auf und richtete Spenden. Mehr als 205.000 Euro gingen an Caritas
dazu ein Spendentelefon ein. Tausende Zuschauer melde- international für die Arbeit am Horn von Afrika.
ten sich bei der Hotline, um die im Aktionsbündnis Kata-
strophenhilfe kooperierenden Hilfswerke – neben Caritas Auch zahlreiche Gemeinden, Gruppen und Unterneh-
international das Deutsche Rote Kreuz, Unicef Deutschland men unterstützten mit einfallsreichen Aktionen die
sowie die Diakonie Katastrophenhilfe – zu unterstützen. Hilfe der Caritas. Besonders aktiv waren dabei Kin-
1.781.950 Euro kamen dabei für die Hilfsmaß- der und Jugendliche. An der Gemeinschaftsschule
nahmen zusammen, das höchste jemals durch Brakel etwa sprachen die Schülerinnen und Schüler
eine Hotline erzielte Ergebnis für das Bünd- im Unterricht über die Lage in Ostafrika und sammel-
nis.. Für die Arbeit der vier Hilfswerke in Ja- ten anschließend 1.000 Euro. Eine Kita in Friedberg
pan erbrachten die Spenden über das ZDF- verkaufte selbst gemachte Marmelade und Apfelsaft
Spendentelefon weitere 1.181.483 Euro. und spendete den Erlös in Höhe von 465 Euro.
Katastrophenhilfe Ostafrika Caritasinternational Jahresbericht 2011
11. 08-11_Ostafrika-Sahel 21.05.12 10:34 Seite 11
Mauretanien Mali
Niger
Tschad Sudan
stepmap.de
Der Mensch lässt die Krisen zu Katastrophen werden 11
Sahelzone: 6.000 km lang, 150-800 km breit
Wann wird die Dürre zur Katastrophe?
Viele Organisationen erwarten eine Hungersnot im westlichen Sahel. Caritas interna-
tional leistet regional Hilfe, warnt aber vor Alarmismus. Langfristige Unterstützung,
keine Nahrungsmittelhilfen braucht die Region.
Die Hungersnot am Horn von Afrika dauerte Überleben dazu wie die Wetterextreme: Entwe-
noch an, als bereits eine weitere drohende Hun- der es regnet nicht oder der Regen flutet ganze
gerkatastrophe vermeldet wurde. Wieder waren Landstriche. Das Wetter, wohl auch der Klima-
Bilder von ausgemergelten Böden und vertrock- wandel, spielt eine wichtige Rolle.
neten Wasserlöchern in den Medien zu sehen. Häufiger aber ist es der Mensch, der die Kri-
Im westlichen Sahel, in Mali, Niger, sen zur Katastrophe werden lässt.
Mauretanien, Burkina Faso, Senegal Es herrscht In Somalia war das der Bürgerkrieg.
und dem Tschad drohe Millionen von
keine Hungersnot Auch im Sahel verschärfen regio-
Menschen, so die Meldungen, Hun- nale Konflikte wie die Tuareg-Rebel-
im Sahel. Der
ger oder gar der Hungertod. lion die Lage. Gravierender noch ist
Es ist eine der wichtigsten Aufga- Skandal ist die im Sahel die chronische Armut der
ben der Hilfsorganisationen, rechtzei- chronische Bevölkerung, die die aktuellen Ern-
tig Alarm zu schlagen, wenn sich eine Armut teausfälle erst zum großen Problem
Katastrophe anbahnt. Aber: Alarm- macht. Es gibt in Westafrika genug
meldungen nutzen sich ab, wenn sie zu oft ohne Nahrungsmittel, nur sind sie für viele Menschen
Not verbreitet werden. Orientierung geben die viel zu teuer.
Kriterien der Vereinten Nationen, die mit gera- Von einer aktuellen flächendeckenden Kata-
dezu unbarmherziger Nüchternheit festlegen, strophe im Sahel können wir nicht reden. Der
wann eine Hungersnot ausgerufen wird: 1. Es Skandal ist, dass die Krise der Normalfall ist.
sterben jeden Tag zwei von 10.000 Menschen, Die Lebensbedingungen durch langfristige Maß-
2. 30 Prozent der Kinder sind unterernährt und nahmen und Katastrophenprävention zu verbes-
3. mindestens 20 Prozent der Bevölkerung ha- sern, das ist das Ziel von Caritas international. n
ben keinen Zugang zu 2100 Kilokalorien täglich.
Von solchen Zahlen ist Westafrika glückli-
cherweise weit entfernt. Bereits 2005, 2007 und
2009 gab es Ernteausfälle und Dürren in der Re-
gion. Das gehört für die Menschen im Sahel, so
traurig das ist, zum alltäglichen Kampf ums
Caritasinternational Jahresbericht 2011 Katastrophenhilfe Sahel
12. 12-15_Japan 21.05.12 10:15 Seite 12
12 Katastrophenhilfe Soziale Arbeit weltweit Wir über uns Zahlen und Fakten
Japan
Wie ein Auszug
aus der Apokalypse
Die Dreifach-Katastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall zerstörte
am 11. März in Japan ganze Städte, forderte 20.000 Menschenleben und
machte über 100.000 von der Hilfe von außen abhängig. Der Wiederaufbau
wird Jahre dauern. Mit den Folgen des nuklearen Desasters in Fukushima aber
werden die Menschen noch über Generationen hinweg leben müssen.
Mahnmale der Naturgewalten
Eisenbahnwaggons, Lastwagen und
wie hier Schiffe schoben die Wellen
des Tsunami weit ins Landesinnere.
Katastrophenhilfe Japan Caritasinternational Jahresbericht 2011
13. Russland
Nordkorea
Drei Katastrophen Beben, Tsunami, Atom-GAU 13
Fukushima
Südkorea
Japan
Tokio
stepmap.de
Japan: 377.835 km2 groß, 128 Mio. Einwohner
E s war nicht nur die größte und, mit Schäden in
Höhe von 245 Milliarden Euro auch teuerste,
Naturkatastrophe seiner Geschichte, die Japan am
strophe aus Erdbeben, Tsunami und Reaktor-Unfall
forderte neben der Zerstörung zahlreicher Orte rund
20.000 Menschenleben und macht 100.000 Men-
11. März 2011 traf. Es waren drei Katastrophen auf ei- schen über Jahre hinweg von der Hilfe von außen ab-
nen Schlag, drei Katastrophen Schlag auf Schlag. Die hängig. Den Opfern der Katastrophe(n) half und hilft
eine löste die andere aus. Erst kam das Erdbeben. Caritas international – in Kooperation mit den Partner-
Dann der Tsunami. Dann der Super-GAU. Ein Augen- Organisationen Caritas Japan und Association for Aid
zeuge, der 79-jährige Keiko Kikuchi aus and Relief (AAR) –, von der Stunde 1 nach
der nordjapanischen Stadt Kesennuma, „Erst kam das der Katastrophe an. In der ersten Nothilfe-
drückt es so aus: „Zuerst kam das Was- Wasser, dann phase versorgte sie die Menschen mit Le-
ser. Dann kam das Feuer. Und dann war bensmitteln, Decken, Heizgeräten, Medika-
das Feuer. Es
da nur mehr Schutt und Asche, wo einst menten und notwendigen Haushaltswaren.
die große Stadt stand.“ Feuer? Richtig,
blieben Schutt Beim Wiederaufbau engagiert sich die Cari-
das kam in Kikuchis Heimatstadt Kesen- und Asche.“ tas überall dort, wo die staatliche Versor-
numa auch noch dazu: Durch den Tsu- gung Lücken hat, die auch in einem reichen
nami geriet dort ein Chemiewerk in Brand. Was sich Land wie Japan existieren (s. Interview mit Caritasdi-
das Wasser nicht holen konnte, holte das Feuer, der rektor Daisuke Narui, Seite 13). So wurden etwa in
größte Teil der Stadt ist zerstört. In anderen Küsten- Kesennuma und Minami-Sanriku mit Unterstützung
städten war es alleine die gewaltige Flut, die ganze von Caritas international zwei neue Behinderten-Ta-
Städte auslöschte. Etwa in Minami-Sanriku, einem geszentren aufgebaut. Ebenso finanziert die Caritas
einst beschaulichen Küstenort mit 18.000 Einwoh- Einrichtungen für alte Menschen und deren Betreu-
nern, 70 Kilometer südlich von Kesennuma. ung, organisiert Freizeiten für Kinder in den betroffe-
Das klingt wie ein Auszug aus der Apokalypse. Und in nen Gebieten und hat in mehreren Städten Anlaufzen-
der Tat fühlen sich viele Menschen in Japan so, als tren für Betroffene, Zentren niedrigschwelliger
hätten sie die Apokalypse erlebt. Die Dreifach-Kata- Sozialarbeit, eingerichtet. Ein Schwerpunkt >>
VIELE WEGE – EIN ZWECK
Spendenaktionen für Japan
Mehr als eine Million Euro kam bei der RTL-Spendenaktion zu Gunsten
der Erdbeben- und Tsunamiopfer in Japan zusammen. Mit dem Geld
unterstützte die Stiftung RTL – „Wir helfen Kindern“ Caritas
international in der unmittelbaren Nothilfe und fördert be-
troffene Kinder nachhaltig bei der Überwindung der lang-
fristigen Folgen. So konnten in der ersten Phase der
Nothilfe rund 27.000 Menschen in Notunterkünften
versorgt werden. Sie erhielten unter anderem Lebens-
mittel, Trinkwasser, Decken, Matten, Schlafsäcke und
Hygieneartikel, Kinderwindeln und warme Kleidung.
Caritasinternational Jahresbericht 2011 Katastrophenhilfe Japan
14. 12-15_Japan 21.05.12 10:16 Seite 14
14 Katastrophenhilfe Soziale Arbeit weltweit Wir über uns Zahlen und Fakten
Japan
Nothilfe nach dem Tsunami
Mitarbeiter des Caritas-Partners AAR
verteilen Lebensnotwendiges.
>> der Hilfe liegt in der psychosozialen Betreuung Verstrahlung in der Region. Nachdem radioaktive Le-
der Opfer. Besonders bedrückend ist das Leben in bensmittel (Rindfleisch, Gemüse, Milch, Tee) in den
den Notunterkünften – Wohncontainern aus Metall, in Handel gelangt waren, mieden die Japaner die Pro-
denen rund 100.000 Menschen auf 20 bis, je nach dukte aus den betroffenen Regionen. Kinder dürfen
Größe der Familie, maximal 40 Quadratmetern noch vielerorts nicht mehr im Freien spielen, um sich nicht
mindestens bis zum Jahr 2013 leben müssen. mit radioaktivem Material zu kontaminieren. Junge
Manche von ihnen müssen sich damit abfinden, Frauen haben Angst, keine gesunden Kinder mehr
vielleicht nie mehr in ihre Heimat zurückkehren zu zur Welt bringen zu können. „Die jungen Leute aus
können: die Evakuierten aus der 20-Kilometer-Sperr- der Region Fukushima ziehen weg, wenn sie nur
zone um das havarierte Kernkraftwerk Dai-Ichi bei können, und suchen sich anderswo Arbeit“, erklärt
Fukushima. Ihre Situation ist besonders deprimie- AAR-Helferin Natsuho Shoji. Die alten Menschen
rend. Es herrschen – nicht zuletzt bedingt durch bleiben alleine zurück. Es ist kein Zufall, dass in den
mangelhafte Informationspolitik – Angst und Verunsi- Notunterkünften im Raum Fukushima vorwiegend
cherung über das wahre Ausmaß der radioaktiven alte Frauen und Männer leben. Die meisten von ihnen
CARITAS NETZWERK
Caritas Japan – Katastrophenhilfe im eigenen Land
Daisuke Narui, Direktor der Caritas Japan, er- Können Sie konkrete Projekte nennen, in denen
klärt, warum humanitäre Hilfe auch in einem sich dies auswirkt?
reichen Land notwendig ist und welche He- Narui: Unsere Projekte gliedern sich in folgende
rausforderungen dies mit sich bringt. Bereiche auf: materielle Hilfe, Hilfe zur Verbes-
serung der Lebensbedingungen, psychosoziale
Warum ist die Hilfe der Caritas in einem reichen Betreuung, wirtschaftliche Wiederaufbauhilfe und
Land wie Japan überhaupt notwendig? Hilfe in Bereichen der Bildung. Dazu gibt es
Daisuke Narui: Weil die staatliche Hilfe Lücken – zahlreiche Projekte. Direkt nach der Katastrophe
auch in diesem reichen Land – hat. Zum haben wir zunächst in mehreren Pfarreien in
Beispiel überlässt die Regierung die psycho- den Orten Kamaishi, Ishinomaki, Yonekawa und
soziale Betreuung der Opfer zum größten Teil Shiogama Freiwilligenzentren aufgebaut und über
den Nichtregierungsorganisationen. Darum sieht 4.000 Freiwillige rekrutieren können. Diese Frei-
sich die Caritas in der Pflicht, sich überall dort willigen haben geholfen, Schutt in den vom
zu engagieren, wo die Regierung nicht oder Tsunami verwüsteten Gebieten wegzuräumen,
nur ungenügend aktiv ist. den Opfern persönliche Gegenstände wie etwa
Katastrophenhilfe Japan Caritasinternational Jahresbericht 2011
15. 12-15_Japan 21.05.12 10:16 Seite 15
Fukushima ist auf Jahrzehnte unbewohnbar > DIE HILFE DER CARITAS IN ZAHLEN 15
Nach der Katastrophe waren bei Caritas international
rund 6,7 Millionen Euro Spenden eingegangen. Das
Hilfswerk der deutschen Caritas hat davon 2,5 Mil-
lionen Euro für die Notversorgung der Bevölkerung
umgesetzt. 4,2 Millionen Euro sind für den Wieder-
aufbau von Kindergärten sowie Sozialeinrichtungen
für alte, kranke, obdachlose und behinderte Men-
schen umgesetzt oder verplant worden.
In den Katastrophenregionen arbeitet Caritas interna-
tional insbesondere mit den lokalen Partnern Caritas
Japan und AAR (Association for Aid and Relief) zusam-
men. Etwa 20.000 Menschen waren im März 2011 ums
Leben gekommen, 100.000 sind bis heute obdachlos.
Die Schäden der Dreifach-Katastrophe belaufen sich
geschätzt auf 245 Milliarden Euro. Sie ist damit die
Nothilfe mit Selbstschutz
gegen drohende Seuchen – und vor
teuerste Naturkatastrophe der Geschichte.
allem gegen die Strahlung.
teilen die Einstellung der 71-jährigen Toshiko Shiyoa
aus Fukushima: „Ich will kein neues Leben mehr an-
fangen. Mir macht es in meinem Alter auch nichts
mehr aus, wenn ich in zehn oder 20 Jahren einmal
Krebs bekomme.“
Fukushima bedeutet für die Hilfsorganisationen
eine völlig neue Dimension. Bislang war die Phase
des Wiederaufbaus nach schweren Katastrophen
stets zeitlich abschätzbar. In Japan wird sie vor-
aussichtlich noch drei, vielleicht vier Jahre dau-
ern. „Fukushima aber“, glaubt Yukie Osa,
die Präsidentin des Caritas-Partners
AAR, „dürfte uns wohl eine ganze
Generation lang beschäftigen.“ n
Fotos zurückzubringen und die zerstörten
Netze der Fischer zu flicken. Auf diese Weise
haben sie zur betroffenen Bevölkerung ein
gutes Verhältnis hergestellt, und dieses Ver-
hältnis bildet die Basis für all unsere Aktivitäten uns erst orientieren und Wege zur Umsetzung finden.
in den Bereichen, die ich vorher nannte. Das ging in der Nothilfephase aber sehr schnell, weil
wir auf eine gute Zusammenarbeit mit den Diözesen
Was war für Sie bisher die größte Herausforderung bauen konnten und können.
innerhalb des Hilfsprogramms?
Narui: Die Caritas Japan ist eigentlich eine kleine Was ist die größte Herausforderung für die Zukunft?
Organisation und war bis zum Ausbruch der Kata- Narui: Die Tausende von freiwilligen Helfern, die wir
strophe am 11. März 2011 nur in anderen Ländern über die Pfarreien gewonnen haben, weiter zu halten
aktiv. Plötzlich im eigenen Land mit einem großen und zu motivieren, um kontinuierlich und nachhaltig
Programm Katastrophenhilfe zu leisten bedeutete insbesondere die Menschen in Fukushima zu begleiten,
für uns die größte Herausforderung. Wir mussten die unter der radioaktiven Strahlung leiden. n
Caritasinternational Jahresbericht 2011 Katastrophenhilfe Japan
16. 16-17_Arabischer-Fruehling 21.05.12 09:38 Seite 16
16 Katastrophenhilfe Soziale Arbeit weltweit Wir über uns Zahlen und Fakten
Arabischer Frühling
Zwischen die Fronten geraten
Die arabische Revolution bringt vielen Menschen neue Freiheiten. Andererseits
mussten Tausende – wie in Libyen und Syrien – vor der Gewalt fliehen.
A ls zur Jahreswende 2010/2011 in Tunesien Tau-
sende Menschen gegen das Regime des Macht-
habers Zine el-Abidine Ben Ali auf die Straßen gin-
Massenproteste führten relativ schnell dazu, dass
die tunesische Herrscherfamilie das Land verließ und
der ägyptische Präsident Husni Mubarak zurücktrat.
gen, ahnte noch niemand, dass daraus eine Der Präsident Jemens, Ali Abdullah Salih, kündigte
Revolutionsbewegung in der gesamten arabischen nach über 30-jähriger Herrschaft an, für keine weitere
Welt erwachsen würde. Anfang Januar 2011 began- Amtsperiode zu kandidieren. In Libyen verlief der
nen die ersten Unruhen in Algerien, am 25. Januar Umsturz sehr gewaltsam. Erst ein monatelanger Bür-
protestierten die ersten Menschen in Ägypten für gerkrieg, bei dem Rebellen durch die Nato militärisch
mehr Freiheit. Und in den Folgemonaten zog es auch unterstützt wurden, brachte Staatschef Muammar al-
Regierungsgegner im Jemen, in Jordanien, in Libyen, Gaddafi zu Fall. Die Kämpfe zwangen viele Men-
in Bahrain und in Syrien auf die Straßen und Plätze.
Für die lokalen Caritas-Organisationen und an-
> DIE HILFE DER CARITAS IN ZAHLEN
dere Partner von Caritas international hatten die Er-
eignisse ganz unterschiedliche Konsequenzen. Einer- Caritas international fördert seit vielen Jahren Pro-
seits führte der Aufbruch dazu, dass auch die jekte in der Region, etwa zur medizinischen Versor-
Projekte von der Aufbruchstimmung profitierten. Die gung von Flüchtlingen in Ägypten oder zur
Partizipation von benachteiligten Menschen, das Unterstützung irakischer Flüchtlinge in Jordanien.
Hauptanliegen der Caritas, war plötzlich ein politisch Daneben hat das Hilfswerk der deutschen Caritas ak-
und gesellschaftlich vieldiskutiertes Thema. Anderer- tuell Hilfe für libysche Flüchtlinge in Ägypten (Volu-
seits führten und führen die Umbrüche auch zu Unsi- men 2011: 70.000 Euro) sowie für syrische
Flüchtlinge im Libanon (Volumen 2011: 50.000 Euro)
cherheiten: Wird der Konflikt friedlich oder gewaltsam
und in Jordanien (2011: 50.000 Euro) geleistet. Die
gelöst? Welche Ziele werden die neuen Machthaber
Projekte, bei denen die Menschen medizinisch und
verfolgen? Wie wird sich das Klima unter den Religio- mit Lebensmitteln versorgt werden, dauern an.
nen entwickeln? (siehe Interview auf Seite 17).
Katastrophenhilfe Arabischer Frühling Caritasinternational Jahresbericht 2011
17. Tunesien Syrien
Libanon
Irak
Jordanien
Algerien
Libyen Saudi-
Ägypten Arabien
stepmap.de
Flüchtlinge konnten nur ihr Leben retten 17
Arabischer Frühling: Demokratie auf dem Vormarsch?
schen, vor allem Gastarbeiter, zur Flucht in die Nach-
CARITAS NETZWERK
barländer. Viele wurden pauschal als Gaddafi-Anhän-
ger oder gar als Söldner diffamiert und verfolgt. Cari- „Wir setzen uns gemeinsam für
tas international unterstützte Flüchtlinge aus Libyen
Freiheit und Demokratie ein“
in den Lagern in Ägypten und Tunesien.
Nicht überall waren die Proteste erfolgreich. In Al-
gerien blieb Präsident Abd al-Aziz Bouteflika im Amt. Der arabische Frühling hat Strukturen und
In Bahrain wurden die Demonstrationen im Februar Alltag grundlegend verändert. Naguib Khouzam,
2011 von der Polizei niedergeschlagen, seither wird der seit 25 Jahren als Leiter der ägyptischen
jeder Widerstand frühzeitig unterdrückt. Die meisten Caritas-Partnerorganisation SETI vorbildhafte
Opfer aber fordert der Bürgerkrieg in Syrien, wo seit Arbeit mit behinderten Menschen leistet, über
Beginn der Proteste gegen die Regierung des Präsi- die Auswirkungen der Revolution.
denten Baschar al-Assad nach UN-Angaben mehr
als 9.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Die Wie schätzen Sie die Revolution und die aktuelle
Regierung geht mit äußerster Brutalität gegen die Lage in Ägypten ein?
Demokratiebewegung vor. Naguib Khouzam: Die Revolution selbst war sehr
Viele Menschen mussten das Land verlassen. wichtig und beeindruckend für uns alle. Und sie war
Ende 2011 lebten 20.000 Syrer in Flüchtlingslagern in notwendig, denn die Menschen waren unzu-
der Türkei, etwa 10.000 in Jordanien und 20.000 im frieden. Alle wichtigen Posten gingen an
Libanon. Caritas international unterstützt Bedürftige Leute, die dem Präsidenten nahestanden,
mit ärztlicher Hilfe, Medikamenten, Nahrungsmitteln, für die Mehrheit blieb dagegen nicht
Babynahrung und Heizgeräten. Das Hilfswerk der viel. Jetzt, nach Mubaraks Sturz, ist
„Es geht um Solidarität“
deutschen Caritas kooperiert seit vielen Jahren mit die Lage weiter unsicher und instabil.
SETI-Leiter Naguib Khouzam hält die
verlässlichen Partnern. Neben den nationalen Caritas- Wir wissen nicht, wie es weitergehen Revolution in Ägypten für notwendig,
Organisationen ist dies im Libanon das „Caritas Leba- wird. Aber das war zu erwarten, denn sieht aber auch Gefahren.
non Migrant Center“, wo auch viele Flüchtlinge etwa eine so grundlegende Transformation
aus dem Irak unterstützt wurden. der Gesellschaft braucht Zeit.
Die Erfahrung in der Arbeit mit Flüchtlingen ist Wie stellt sich die Situation für Christen dar?
deshalb so wertvoll, weil es um weit mehr als um ein Khouzam: Viele Christen haben das Land verlassen.
Versorgungsproblem geht. Viele Menschen konnten Ihnen ist die Lage zu unsicher. Schon die Muslimbrüder
nur das retten, was sie am eigenen Leib trugen. An- stehen für einen islamisch geprägten Staat, in dem
gehörige wurden ermordet, sind vermisst oder im Ge- für Christen und andere religiöse Minderheiten kaum
fängnis. Viele Menschen sind traumatisiert und brau- ein Platz vorgesehen ist. Andere islamistische Gruppen
chen intensive Betreuung und medizinische und und Parteien sind noch weitaus radikaler. Andererseits
psychosoziale Hilfe. n gibt es auch viele liberale Muslime, die eine offene
Gesellschaft anstreben. Wir sollten diese Kräfte unter-
stützen und uns für eine Entwicklung in Ägypten ein-
Veränderung des Alltags
SETI setzt sich für die Rechte setzen, die zu Freiheit, Toleranz und Demokratie führt.
behinderter Menschen ein. Die Arbeit von SETI ist unter den gegebenen Umständen
sicherlich nicht einfach. Wie gehen Sie damit um?
Khouzam: Wir arbeiten eng mit dem Sozialministerium
zusammen – dort gab es in kurzer Zeit drei Minis-
terwechsel. Das zeigt, wie stark der Wandel unsere
Arbeit beeinflusst. Unser Ansatz ist, behinderte
Menschen und ihre Familien zu stärken, es geht um
ihre Rechte und um Solidarität untereinander.
Insofern leisten auch wir tagtäglich einen Beitrag
zur Veränderung in unserem Land. n
Caritasinternational Jahresbericht 2011 Katastrophenhilfe Arabischer Frühling
18. 18 Katastrophenhilfe Soziale Arbeit weltweit Wir über uns Zahlen und Fakten
Straßenkinder
Endlich Luft zum Atmen
Gesundheit und Bildung für Straßenkinder in Kenia
R uß, Küchenabfälle, Sondermüll – darin suchen sie
nach Verwertbarem. Die Straßenkinder finden ih-
ren Lebensunterhalt auf den Müllhalden. In Nakuru
Eltern sind geschieden, haben Alkoholprobleme oder
arbeiten weit weg. Andere sind Aidswaisen. Oft
müssen die Kinder in den Städten für ihr eigenes
verbringen 3.000 Kinder den Tag auf der Straße – Überleben sorgen. Die Situation der Straßenkinder
viele von ihnen auch die Nacht. spiegelt die wirtschaftliche Misere wider, in der sich
Nicolas, inzwischen 18 Jahre alt, atmet tief durch, Kenia befindet: soziale Unsicherheit, steigende
als er seine Geschichte erzählt. „Wir haben oft Leim Lebensmittelpreise und eine Jugendarbeitslosigkeit
geschnüffelt. Danach war der Hunger weg, die Kälte von bis zu 60 Prozent.
nicht mehr spürbar.“ Doch seine Lungen konnten Joseph und John von der Diözese Nakuru sind
kaum mehr den Atem fassen, den er brauchte, um bereits um acht Uhr in der Früh’ unterwegs. Erste
vor den Sicherheitsbeamten der Stadtverwaltung Station ist die städtische Mülldeponie Gioto. Hier
wegzulaufen. Die vertreiben die Kinder aus der In- treffen die beiden Straßensozialarbeiter Kinder und
nenstadt, wenn sie sich dort ihre tägliche Mahlzeit Jugendliche an, die kein Zuhause haben – und inzwi-
beschaffen – aus den Müllsäcken, durch Betteln oder schen ihre Klienten sind. Wenn die Mülllaster anrol-
durch Mundraub. len, sortieren sie alles, was noch verwertbar er-
Viele Kinder, die auf der Straße leben, kommen scheint: Metall, Plastik, Reifen, Elektronikschrott,
wie Nicolas aus sozial vernachlässigten Familien. Die Dosen, Batteriesäure. Essbares wandert in den
> DIE HILFE DER CARITAS IN ZAHLEN
In Deutschland leben rund 20.000 Kinder auf der Straße
– in Kenia über 250.000. Weltweit wird die Zahl der
Straßenkinder auf 83 Millionen geschätzt. Allein in der
Stadt Nakuru leben rund 3.000 Straßenkinder.
Seit Beginn des Projekts im Jahr 1976 wurden mithilfe
von Caritas international rund 2.450 Kinder und Ju-
gendliche begleitet und in die Gesellschaft reinte-
griert – großteils mit einem Schulabschluss. Einige
der ehemaligen Straßenkinder studieren inzwischen an
einer kenianischen Universität.
Weltweit unterstützte Caritas international im vergan-
genen Jahr 213 Projekte für Kinder und Jugendliche
mit mehr als 8,3 Millionen Euro. Die Schwerpunkte lie-
gen im Gesundheits- und im Bildungssektor.
Soziale Arbeit weltweit Kenia Caritasinternational Jahresbericht 2011
19. 18-19_Kenia 21.05.12 09:46 Seite 19
Somalia
Uganda
Kenia
Nakuru
Nairobi
stepmap.de
Tansania
19
2
Kenia: 580.000 km groß, 39 Millionen Einwohner
Bis zu zwei Euro täglich
verdienen sich die Straßenkinder,
indem sie Müll sortieren.
Mund. „Verletzen kann man sich leicht an den Abfäl- eine posttraumatische Behandlung ein. Ziel ist die
len aus den Krankenhäusern. Da tritt man schnell Reintegration in die Familien oder in eine Pflegefami-
einmal in eine alte Injektionsnadel“, meint Geoffrey zu lie. Aufklärungsarbeit über HIV/Aids und Drogenkon-
den Gesundheitsrisiken. Bis zu zwei Euro am Tag sum sind Teil des Unterrichts, meist werden dabei
lassen sich so verdienen – genug für eine Portion auch die Eltern einbezogen.
Maisgrieß. Berufliche Aus- und Weiterbildungen
Der 18-jährige Geoffrey ist der Kontakt- „Nach der Schule ergänzen das Programm. Die Straßen-
mann für Joseph und John, wenn sie hier kinder werden Automechaniker, Schlos-
ist die Straße
die Straßenkinder suchen. Er ist eines von ser oder Webdesigner. Einige schaffen
2.450 Kindern, die von den Sozialarbeitern
keine Option mehr es bis zur Universität. Es ist oft mühsam,
„rekrutiert“ wurden. Zwei Jahre ging er in für dein Leben.“ das Recht der Straßenkinder auf Bildung
eine Straßenkinderschule, die von Caritas und Gesundheit durchzusetzen. „Hier
international unterstützt wird. In den Tageszentren muss die gesamte Gemeinde verantwortlich handeln
Mwangaza und St. Francis werden derzeit rund 80 und den Kindern eine Chance geben“, sagt Basil Mu-
Kinder von ausgebildeten Sozialarbeiterinnen auf eine nyao, Koordinator des Sozialprogramms der Diözese.
reguläre Schule vorbereitet. Hier erfahren die Kinder Aufklärung über die Situation und die Rechte der Kin-
Achtung, Zuwendung und Bestätigung. Therapie-An- der ist daher wichtiger Teil der Arbeit. Sie erfolgt im
gebote wie Malen, Handwerken, Sport und Spiele Radio oder auf öffentlichen Foren, am „Tag des afrika-
strukturieren den Alltag. Die Begleitung schließt oft nischen Kindes“ und auf Kinderkonferenzen. n
> PORTRÄT
Njokis Job ist auf der Müllhalde, sie die weiterführende Schule. Die Sozialarbeiter stellten
ihre Chance ist die Schule den Kontakt zur Schule her, führten Gespräche mit der
Schulleitung und zahlen 80 Prozent der Schulgebühren,
Die sechzehnjährige Phyillis sammelt in Gioto, der städ- solange die Familie den Rest aufbringt. An schulfreien
tischen Müllhalde Nakurus, Metallreste aus dem Lade- Tagen sammelt Njoki Abfall im Wert von rund 200 Schil-
gut des Lasters mit der Aufschrift „God gives“. Njoki ling (zwei Euro). Ihre Mutter unterstützt sie darin.
lebt mit ihrer Mutter und vier Geschwistern in einem Damit ist sich Njoki sicher, dass ihre Mutter auf ihrer
aus Planen gebauten Haus – mitten auf dem Müllberg. Seite steht und ihre Pläne gutheißt. Alle finden diese
Als sie vor vier Jahren John von der Diözese kennen- Vereinbarung und geteilte Verantwortung richtig.
lernte, der ihr ein Ohr und konkrete Unterstützung an-
geboten hat, änderte sich ihr Leben: Es gab plötzlich Reportagen über das Straßenkinderprojekt in Nakuru
eine Zukunft jenseits des Abfallberges. Jetzt besucht auf www.caritas-international.de/85062.html
Caritasinternational Jahresbericht 2011 Soziale Arbeit weltweit Kenia
20. 20-21_Indonesien 21.05.12 09:46 Seite 20
20 Katastrophenhilfe Soziale Arbeit weltweit Wir über uns Zahlen und Fakten
Behindertenhilfe
Schwer verletzt aus Trümmern
Viele Opfer des Erdbebens 2006 leben heute
mit körperlichen Behinderungen. Caritas in-
ternational unterstützt sie und ihre Familien.
Soziale Arbeit weltweit Indonesien Caritasinternational Jahresbericht 2011
21. 20-21_Indonesien 21.05.12 09:46 Seite 21
Malaysia
Jakarta Indonesien
stepmap.de
Australien 21
2
Indonesien: 1,9 Mio. km groß, 238 Mio. Einwohner
„Wir leben wie in einer Familie“
Die Stärkung der Rechte von Behinderten und einer inklusiven Gesellschaft sind Ziele der
Caritas in Indonesien. Die Projekte haben zu einem Bewusstseinswandel beigetragen.
S eit seiner frühen Kindheit leidet Sri Mulyo an den
Folgen einer Kinderlähmung. Als Jugendlicher litt
er nicht nur körperlich darunter, sondern auch see-
lisch. Weil ihm andere Jungen und Mädchen auf-
grund seiner Behinderung nichts zutrauten, verlor er
sein Selbstvertrauen und wurde äußerst schüchtern.
Dennoch wollte er sich seine zwei größten Träume
nicht nehmen lassen. Er wollte, so schwor er sich,
einmal ein guter Bogenschütze werden. Und ein en-
gagierter Menschenrechtler. Vielleicht gerade auf-
grund seiner eigenen Erfahrungen entwickelte er eine
besonders hohe Sensibilität für Menschen, die nicht
mit Respekt behandelt werden. Selbstbewusstsein stärken
Dass er sich beide Träume verwirklichen konnte Gezielte Förderung behinderter
Kinder in Indonesien.
und aus ihm heute ein selbstbewusster junger Mann
geworden ist, ist vor allem seinen Erfahrungen mit
zwei Hilfsorganisationen in Indonesien zu verdanken, beigetragen. Dieses Projekt hat die Menschen einan-
mit denen Caritas international kooperiert: der Behin- der nähergebracht und dazu geführt, dass sie jetzt
dertenrechtsorganisation Persatuan Penyandang Ca- wie in einer großen Familie zusammenleben.“
cat Indonesia (PPCI – übersetzt: Verbund von Men- Was den zweiten Traum, das Bogenschießen,
schen mit Behinderung Indonesiens) und der Caritas angeht, so nahm Sri Mulyo 2011 an den Paralym-
der Erzdiözese Semarang (Karina KAS). pischen Spielen Asiens in Solo/Indonesien teil. Er
„Bei PPCI“, erzählt Sri Mulyo, „in meiner Heimat, gewann zwar keine Medaille, überzeugte aber mit
dem indonesischen Regierungsbezirk Klaten, wurde beeindruckenden Leistungen. Seine Selbstein-
mir klar, wie wenig die Gesellschaft über Behinderung schätzung nach den Spielen ist ganz Ausdruck sei-
und die damit verbundenen Fragen weiß und wie nes neu gewonnenen Selbstbewusstseins: „Beim
wichtig es daher ist, ein entsprechendes Bewusst- nächsten Mal“, prophezeit er, „hole ich Gold.“ n
sein zu schaffen.“
Dieser Bewusstseinsarbeit hat sich Sri Mulyo mit > DIE HILFE DER CARITAS IN ZAHLEN
Herz und Seele verschrieben, seit er nach dem
schweren Erdbeben auf der Insel Java 2006 bei der Indonesien ist sehr häufig von Erdbeben, Vulkan-
Caritas Indonesien die gemeinwesenorientierte Arbeit ̈
ausbruchen und Seebeben betroffen. Entsprechend hoch
unterstützt. Die kommunalen Behörden stellten ein ist die Zahl der Caritas-Projekte (2011: 41; insgesamt
Stück Land zur Verfügung, das Menschen mit Behin- 1,21 Millionen Euro). In der Behindertenhilfe wurden
im vergangenen Jahr 400.000 Euro umgesetzt, davon
derung bewirtschaften können. Sri Mulyo und seine
̈
130.000 aus Mitteln des Bundesministeriums fur wirt-
Kolleg(inn)en leiten sie und auch Menschen ohne Be-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
hinderung dabei in biologischem Landbau und der ̈
Weltweit unterstutzt Caritas international 83 Projekte
Fischzucht an. „Auf diese Weise“, freut sich Sri Mu- ̈
für und mit Menschen mit Behinderung uber insge-
lyo, „haben wir hier schon viel zum Zusammenleben samt 3,3 Millionen Euro.
von behinderten und nicht-behinderten Menschen
Caritasinternational Jahresbericht 2011 Soziale Arbeit weltweit Indonesien
22. 22-23_Kuba 21.05.12 09:47 Seite 22
22 Katastrophenhilfe Soziale Arbeit weltweit Wir über uns Zahlen und Fakten
Seniorenarbeit
„30 Grad plus – 30 Grad minus“
Weltweit nimmt die Zahl der Senioren zu. Was bedeutet dies für die Gesellschaften in
ärmeren Ländern? Seniorenprogramme der Caritas in Osteuropa und Lateinamerika
gehen unterschiedliche Wege.
Weltweit steigt die Zahl der über 60-Jährigen; nach oder anderen Krankheiten gestorben sind. Auf der
UN-Angaben werden bis 2050 etwa 80 Prozent der Se- anderen Seite sind alte Menschen bei Katastrophen
nioren in einkommensschwachen Ländern leben. Dies besonders schwer betroffen. Diese vielfältigen Ent-
hat gravierende Auswirkungen auf die Gesellschafts- wicklungen beeinflussen auch die Arbeit von Caritas
und Sozialstrukturen auch der Länder des Südens, international. Das Hilfswerk der deutschen Caritas
fällt ihnen doch oft eine Schlüsselrolle im sozialen führt in vielen Ländern und Regionen Seniorenpro-
Leben zu. Senioren übernehmen zunehmend Aufgaben, gramme durch – und setzte dazu 2011 in 85 Projekten
die junge Leute nicht mehr leisten können, weil sie in fast vier Millionen Euro ein. Andrea Hitzemann,
den Städten arbeiten. In vielen Fällen erziehen Groß- Leiterin des Referats Lateinamerika/Europa, erläutert
eltern die Kinder, deren Eltern in Kriegen, an Aids die unterschiedlichen Ansätze in der Seniorenarbeit.
Was ist das Lateinamerikanische Netzwerk Gerontologie?
Andrea Hitzemann: In diesem Netzwerk haben wir uns
mit unseren Partnern aus Chile, Kuba, Mexiko, Panama
und Peru zusammengeschlossen. Es geht um einen fachli-
chen Austausch in der Seniorenarbeit über Ländergrenzen
hinweg – mithilfe einer gemeinsamen Website, durch
Fortbildungen und über regelmäße Treffen. Nicht nur wir
und unsere Partner sehen in dieser Art der Kooperation
viele Vorteile. Das Projekt wird auch durch das Bundesmi-
nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung – BMZ – gefördert.
Wieso ist eine solche Netzwerkarbeit über Länder-
grenzen hinweg so wichtig?
Hitzemann: Neben dem sehr effektiven fachlichen
Austausch geht es darum, die Regierungen und
die Gesellschaften für das Thema zu sensibilisie-
ren. Eine solche politische und Lobbyarbeit funk-
tioniert besser im Verbund. Die Voraussetzungen
in den verschiedenen Ländern sind ähnlich: Der
Anteil der Menschen über 60 steigt stetig, dazu
kommt die wachsende Verstädterung.
Wieso spielt die Verstädterung eine Rolle in der
Seniorenarbeit?
Den Zusammenhalt stärken Hitzemann: Die Verstädterung geht ja einher mit
In der Ukraine und anderen osteuropäischen
einer Veränderung des gesamten Lebens. In Städ-
Staaten fehlt es oft an sozialen Strukturen.
ten spielen traditionelle Strukturen wie im Dorf
Soziale Arbeit weltweit Kuba/Ukraine Caritasinternational Jahresbericht 2011
23. 22-23_Kuba 21.05.12 09:48 Seite 23
stepmap.de
23
Starkes soziales Miteinander:
In Kuba hat das Gemeindeleben
einen hohen Wert – auch im Alter.
mit dem familiären und sozialen Zusammenhalt eine ge- Ukraine leben Senioren dagegen häufig allein – im
ringere Rolle. Auf der anderen Seite nutzen ältere Men- schlechten Fall in einer kalten Plattenbauwohnung. Hier
schen die Infrastruktur der Städte – von der U-Bahn bis organisiert Caritas oft die Hauskrankenpflege. Das ist si-
zum Theater. Seniorengerechtes Wohnen, Partizipation, cherlich ein wenig vereinfacht dargestellt, trifft aber den
aber auch Gewalt gegen Senioren sind Themen, die in der Kern und lässt sich auch in Zahlen fassen: Im kubani-
Gesellschaft diskutiert werden müssen. Daher organisiert schen Seniorenprogramm arbeiten 3.000 Freiwillige mit,
das Netzwerk beispielsweise Veranstaltungen in Schulen, in der Ukraine müssen wir Freiwillige mühsam suchen.
um Kindern das Leben der Senioren näherzubringen.
Womit erklären Sie sich diese Gegensätze?
Caritas unterstützt seit Jahren die Seniorenarbeit in Kuba. Hitzemann: Im Realsozialismus Osteuropas war
Gibt es einen „sozialistischen Weg“ in diesem Bereich? fast alles institutionalisiert, bis heute wird
Hitzemann: Es sind weniger die Gesellschaftsmodelle als ehrenamtliches, gemeinsames Handeln kri-
die Traditionen, die den Unterschied ausmachen. Das Le- tisch beäugt und selten gefördert. In La- „Voneinander lernen“
Andrea Hitzemann sieht Möglich-
ben von Senioren in Kuba und in der Ukraine beispiels- teinamerika dagegen – auch in Kuba – wird keiten eines internationalen
weise unterscheidet sich gravierend, während ich in La- das Gemeindeleben dagegen seit jeher Austauschs in der Seniorenarbeit.
teinamerika mehr Parallelen als Unterschiede sehe. Es groß geschrieben. Und auch wenn es banal
gibt dort eine lange Tradition des Miteinanders, während klingt: Das Klima spielt tatsächlich eine große Rolle.
dieses in Osteuropa oftmals erst aufgebaut werden muss.
Sehen Sie dennoch Möglichkeiten des Austauschs?
Wie äußern sich diese Unterschiede? Hitzemann: Unbedingt. Die Kolleginnen und Kollegen aus
Hitzemann: Auf den Punkt gebraucht würde ich sagen: Kuba haben ein Interesse signalisiert an unseren Konzep-
zwischen 30 Grad über und 30 Grad unter null. Auf Kuba ten der Hauskrankenpflege, die vorbildhaft sind in vielen
nehmen viele Senioren aktiv am sozialen Leben teil, das osteuropäischen Staaten. Umgekehrt wäre es zum Beispiel
oft im Freien stattfindet. Es gibt viele Gemeindefeste, für ukrainische Fachkräfte der Seniorenarbeit interessant
gemeinsame Essen oder Musikveranstaltungen. In der zu sehen, wie Freiwilligenprogramme laufen können. n
> DIE HILFE DER CARITAS IN ZAHLEN
Seniorenarbeit Ukraine Seniorenarbeit Kuba und Lateinamerika
Der Schwerpunkt der Seniorenarbeit von Caritas interna- Seit Anfang der 1990er Jahre bietet die Cáritas Cubana
tional in der Ukraine liegt in der häuslichen Pflege. Mit- ein Seniorenprogramm an, um Familienangehörige und
arbeiter der Caritas Ukraine betreuen Pflegebedürftige Freiwillige aus Pfarrgemeinden in der Seniorenarbeit zu
medizinisch und helfen bei der Organisation des Alltags schulen und zu unterstützen. Caritas international fördert
durch Essen auf Rädern, Putzen oder Fahrdienste. Über diese Arbeit. Um das Know-how der Seniorenarbeit auf
den Zeitraum 2008 bis 2013 setzt das Hilfswerk der dem Kontinent auszutauschen, wurde 1999 das Latein-
deutschen Caritas dabei mehr als eine Million Euro um. amerikanische Netzwerk Gerontologie gegründet, das
Im Rahmen der Home Care Working Group wird der Aus- Caritas international durch Mittel des Bundesministeri-
tausch im Bereich Häusliche Pflege zwischen Caritas-Ein- ums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
richtungen in ganz Osteuropa gefördert. (BMZ) mit bislang ca. 2,2 Mio. Euro unterstützt hat.
Caritasinternational Jahresbericht 2011 Soziale Arbeit weltweit Kuba/Ukraine