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Festschrift anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des BLLV
Impressum

Herausgeber:
Bayerischer Lehrer- und
Lehrerinnenverband (BLLV)
Bavariaring 37
80336 München

Redaktion:
Dieter Reithmeier

Text Geschichte des BLLV:
Dieter Reithmeier

Grafik:
creativ3 werbeagentur gmbh

Fotos:
BLLV, Studio Roeder

Druck:
OrtmannTe@m Ainring



2. erweiterte Auflage
Festschrift anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des BLLV




Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband
Inhalt

Klaus Wenzel
Aufbrechen – 150 Jahre für Bildung als Menschenrecht	                 // 6

Dr. h. c. Albin Dannhäuser
Umbruch der Gesellschaft – Aufbruch als moderner Gesamtverband	      // 10

Dr. h. c. Wilhelm Ebert
Aufbruch zur Demokratie – der Wiederaufbau des BLLV nach 1945 	      // 12

Dr. Ludwig Spaenle	                                                  // 14
Geschichte und Verantwortung

Karl Heiß
Aufruf zur Gründung eines „Bayerischen Lehrervereins“	               // 24
Die Gründungsversammlung im historischen Reichssaal zu Regensburg	   // 26
Eröffnungsrede des Achdorfer Volksschullehrers Karl Heiß	            // 32

Aufbruch – Widerstand – Stärke
Die Geschichte des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes	     // 38

Max Liedtke
Die Bedeutung des BLLV in der Bayerischen Bildungsgeschichte	        // 72
Aufbrechen
       150 Jahre für Bildung als Menschenrecht

            Als sich am 27. Dezember 1861 annähernd 200 Lehrer anschickten, in Regensburg den
            Bayerischen Lehrerverein zu gründen, lagen schon 40 Jahre des Kampfes für eine ge-
            meinsame Selbsthilfeorganisation hinter ihnen. Einige der Gründungsmitglieder erinnerten
            sich noch daran, dass schon 1823 in Nürnberg Johann Konrad Grißhammer einen ersten
            Versuch unternommen hatte, einen überkonfessionellen „Allgemeinen Lehrerverein für
            Baiern“ aus der Taufe zu heben, der aber zehn Jahre später wieder verboten wurde. Andere
            der 1861 in Regensburg Anwesenden waren selbst dabei gewesen, als 1848 in Schwa-
            bach in den kurzen Jahren des freiheitlichen Aufbruchs, der als Vormärz bezeichnet wird,
            erneut ein Anlauf zu einer Vereinsgründung genommen wurde. 180 Lehrer beauftragten
            auf dieser Versammlung den Nürnberger Lehrerverein, einen „Zentral-Volksschullehrer-
            verein“ zu gründen, der die bereits existierenden 35 Ortsvereine von Lehrern in Bayern
            zusammenführen sollte. Bereits 1849 aber gab es obrigkeitliche Androhungen von
            Dienstentlassungen. Später wurden tatsächlich Entlassungen von Lehrervereinsmit-
            gliedern ausgesprochen, lokale Mitgliedsvereine verboten und Gefängnisstrafen verhängt.
            Weil der Zentral-Volksschullehrerverein sich auf seiner Versammlung am 22. Juni 1850
            u. a. mit dem Verhältnis von Staat, Kirche und Schule auseinandersetzen wollte, wurde er
            am 4. Juni 1850 kurzerhand als politischer Verein klassifiziert und aufgelöst. Die Zeichen
            standen auf Restauration, denn es war „politischen Vereinen und solchen, die sich mit
            öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen“ verboten, „sich mit anderen solchen Vereinen
            zu einem gegliederten Ganzen zu vereinen“.

            Die Gründung
            1861 nun war die Stunde gekommen – die Stunde zu einem neuen AUFBRUCH. Zwei
            Verbote lagen zurück, aber die Idee der Bildung und des Zusammenhalts aller Lehrer
            war stärker. Dem ambitionierten niederbayerischen Volksschullehrer Karl Heiß ist dieser
            neue Aufbruch zu verdanken. Dazu gehörte nicht nur besonderer Mut, sondern auch eine
            tragfähige, ausgereifte pädagogische und professionelle Vision. Im Rückblick wirkt es wie
            klug vorbereitet: Heiß hatte im Jahr 1860, als der Herausgeber und Chefredakteur der
            „Bayerischen Schulzeitung“ Michael Oechsner Publikationsverbot erhielt, die Redaktion
            der Zeitschrift, die in keinem Lehrerhaushalt fehlte, übernommen. Dort veröffentlichte
            er im August 1861 den Gründungsaufruf. Dass er auf der Regensburger Gründungsver-
            sammlung dann zum 1. Vorsitzenden gewählt wurde, war folgerichtig.



// 6
Die Vorbereitungszeit von 1860 bis 1861 ist auch im historischen Rückblick mit ganzen
20 Monaten sehr kurz. Das heißt, die Zeit war reif. Es gab bereits zahlreiche örtliche
Zusammenschlüsse, die sich nach einem überregionalen Zusammenschluss sehnten.
Sie waren die Ansprechpartner von Heiß. Diese Ortsvereine waren gut organisiert und
entsandten ihre in Mitgliederversammlungen gewählten Bevollmächtigten im Dezember
1861nach Regensburg. Der Erfolg der dritten Gründung war durchschlagend. Innerhalb
von nur zehn Jahren war die Mitgliederzahl bereits auf über 5 000 angewachsen.

Die Vision
Wenn wir heute zurückblicken, dann stellt sich die Frage, was den Kern dieser Organisation
ausmacht, die heute mit über 55 000 Mitgliedern aus allen Schularten und zahlreichen Lehr-
amtsstudenten und Pensionisten so großen Zuspruch findet. Hierzu empfiehlt es sich, die
Antrittsrede von Karl Heiß zu lesen, die aus diesem Grunde in dieser Festschrift abgedruckt
ist. Mit der damals dringend notwendigen Vorsicht und Zurückhaltung – die Versammlung
wurde genau beobachtet und ein erneutes Verbot musste dringend verhindert werden – sind
wichtige Teile des Selbstverständnisses des BLLV bereits angesprochen.

Bildung ist nicht teilbar. Die Bildung aller jungen Menschen sollte die zentrale Aufgabe
der Lehrerschaft und des BLLV sein: „Wir glauben ganz sicher, dass die Erziehung und
Veredlung des Menschen eine gemeinsame Sache und unter allen Bestrebungen des
menschlichen Geistes den ersten Rang einnehmen werde“, sagte Heiß. Der Vorrang der
Bildung aller jungen Menschen ohne soziale Differenzierung und Ausgrenzung ist unser
Bestreben bis heute. Wenn eine Schule oder ein Schulsystem Kinder sozial ausgrenzt,
stehen wir dagegen auf. In diesem Sinne muss Bildung die Gesellschaft zusammenführen
und zu gegenseitigem Respekt und Anerkennung bereits unter den Kindern führen.

Die Lehrerschaft hat eine gemeinsame Aufgabe über Konfessionen und Schularten hin-
weg. Heiß umschreibt dies noch ganz vorsichtig: „Als eine bedauernswerte Erscheinung muss
auch angesehen werden, dass zwischen uns und dem Stande, welcher doch in Bezug auf seinen
Beruf uns so nahe steht, im Allgemeinen wenigstens eine große Kluft besteht, wie sie wohl
in keinem andern Lande vorkommen dürfte.“ Das Miteinander aller Pädagogen und Lehrer
wünscht er sich ausdrücklich, auch wenn dies zu seiner Zeit noch sehr vermessen klang.



                                                                                              7 //
Heiß lädt alle ein – auch die Lehrer an Gymnasien und an den Oberrealschulen – die Visi-
       on der Bildung als ein zentrales Menschenrecht gemeinsam Wirklichkeit werden zu lassen
       und zwar einer ganzheitlichen Bildung, nicht nur der wissenschaftlichen. Zu diesem Mitei-
       nander gehörte damals auch, dass der BLLV von der Stunde seiner Gründung an alle
       Kollegen in seinen Reihen aufnahm, unabhängig davon ob sie evangelisch, katholisch
       oder „israelitisch“ waren – ein Fakt, der über Jahrzehnte zu den heftigsten Anfeindungen
       führte. Der Glaube an ein gemeinsames Professions- und Berufsverständnis aller Lehrer
       prägt heute mehr denn je die Arbeit des BLLV, denn angesichts der radikalen gesellschaft-
       lichen Veränderungen, mit denen wir konfrontiert sind, sind unterschiedliche Professions-
       verständnisse anachronistisch und überholt.

       Lehrer sind die Experten in der Schule. Ihnen gebührt deshalb Respekt und Anerken-
       nung. Der BLLV glaubt an die Würde und die Kompetenz der Praxis. Lehrer stehen in
       einer besonderen Verantwortung. Dazu gehört auch, dass sie in vielen Fragen der Schul-
       gestaltung und der Schulentwicklung selbst entscheiden können müssen. Von Anfang an
       war das Thema der Eigenverantwortung und der Mitgestaltung ein zentrales Thema des
       BLLV. Karl Heiß prangert einen Missstand an, der auch heute noch zu beobachten ist:
       „Man möchte wohl sagen, dass sich zu viele um die Schule bekümmern; denn fast alles
       glaubt sich berufen, der Schule und dem Lehrer zu diktieren und jeder will die Schule nach
       seiner Facon haben.“ Konkret fordert er dann: „Freilich ist notwendig, dass die Volksschule
       einige Selbstständigkeit erhalte, dass besonders die Lehrorgane in der Ausübung ihres
       Amtes gleich andern Ständen gesetzlich geschützt werden“. Darüber hinaus fordert er
       eine bessere Ausbildung, und von den Kollegen selbst kontinuierliche Fortbildung, hohes
       Verantwortungsbewusstsein und ein durchaus selbstkritisches Professionsverständnis.

       Der Auftrag
       Der BLLV definiert sich aus der Vision einer Bildung für alle und eines gemeinsamen
       Professionsverständnisses aller Lehrer. Die Geschichte des BLLV zeigt, dass dieses Ziel
       zeitlos ist. Es muss immer wieder bewusst gemacht, aber auch immer wieder neu defi-
       niert, mit konkretem Inhalt gefüllt und erkämpft werden.




// 8
Der BLLV hat mit Ausnahme seiner dunklen Geschichte im Nazideutschland immer seine
Unabhängigkeit gewahrt – von gesellschaftlichen Interessengruppen, von den Kirchen
und von den Regierungen. Unabhängigkeit darf nicht Überheblichkeit heißen, sondern
erfordert Dialogbereitschaft mit allen und konstruktive Teilnahme am öffentlichen Diskurs
über Schule und Bildung. Wir werben bei Politikern, Eltern, in der Öffentlichkeit und auch
in den eigenen Reihen für unsere Überzeugungen und für unsere Vision. Und wir hoffen,
möglichst viele Menschen und Entscheidungsträger in unserer Gesellschaft dafür zu be-
geistern und sich mit uns dafür einzusetzen.

Karl Heiß und seine Mitstreiter haben Geschichte geschrieben, die bis heute ausstrahlt. Ge-
nerationen von Lehrern und Lehrerinnen in Bayern war der BLLV berufspolitische, berufs-
wissenschaftliche und kollegiale Heimat. Karl Heiß und seine Mitstreiter haben uns im BLLV
ein großes Erbe hinterlassen: unabhängig und selbstkritisch unsere Aufgabe als eine der
wichtigsten Berufsgruppen in unserer Gesellschaft zu erfüllen und dabei nicht aus dem Auge
zu verlieren, dass wir für die Zukunft der Gesellschaft eine große Verantwortung tragen.

Im Jahr der 150-Jahr-Feiern des BLLV wollen wir uns stolz an die faszinierende Geschich-
te des BLLV erinnern und mutig die großen Herausforderungen der Zukunft annehmen.




Klaus Wenzel
Präsident des BLLV seit 2007




                                                                                              9 //
Umbruch der Gesellschaft –
        Aufbruch als moderner Gesamtverband

                  Die Vision des BLLV von einem demokratischen, leistungsfähigen und sozial gerechten
                  Bildungswesen gewann in den letzten drei Jahrzehnten eine neue Dimension. Sie war
                  und ist vor allem herausgefordert durch einen epochalen gesellschaftlichen Umbruch,
                  durch die digitale Informationsexplosion und den globalen Wettbewerb. Allerdings sahen
                  wir uns konfrontiert mit übermächtigen Kräften der strukturellen Restauration, mit rück-
                  läufigen Bildungsfinanzen und mit der Bedrohung der Professionalität und des Status der
                  Lehrerinnen und Lehrer.

                  Deshalb leistete der BLLV durch neue Wirkungsformen offensive Aufklärungs­ rbeit und
                                                                                                 a
                  erhöhte den öffentlichen Druck, z. B. durch kritische bildungspolitische Foren, durch die
                  Mobilisierung der Kollegen und Kolleginnen, der BLLV-Kreis- und Bezirksverbände und
                  der Eltern durch bisher nie erreichte Massen­ etitionen mit über 100 000 Unterschriften,
                                                               p
                  durch machtvolle Großdemonstrationen mit bis zu 15 000 Teilnehmern, durch die Grün-
                  dung des breiten Bildungsbündnisses Forum Bildungspolitik in Bayern. Damit gelang es,
                  die Blockade in der Bildungsfinanzierung wenigstens aufzubrechen – wenngleich Bayern
                  im internationalen Vergleich zu den PISA-Spitzenländern immer noch weit zurückliegt.

                  Nicht gelungen ist dagegen ein innovativer Schub in der Schulpolitik, wie er sich nach der
                  wiedergewonnenen Einheit Deutschlands durch die Neugestaltung des Schulwesens in
                  den neuen Bundesländern aufgedrängt hätte. Im Gegenteil: In Bayern wurde die Restau-
                  ration der Schulstrukturen verschärft. Deshalb sah sich der BLLV zu einem Schulvolks­­
                  begehren gezwungen. Dieses verfehlte zwar die erforderliche Mehrheit, aber die pädago­ i­
                                                                                                         g
                  schen und schulpolitischen Warnungen des BLLV wurden zwischenzeitlich in fataler Weise
                  bestätigt. Darüber hinaus hat der BLLV als unabhängige und selbstbewusste Bildungs­
                  organisation an Überzeugungskraft gewonnen, mit der er seine Vision eines sozial gerech-
                  ten und regional stimmigen Schulwesens weiter vorantreiben kann.




// 10
Um die Zukunftsfähigkeit des BLLV zu sichern, öffnete er sich als Gesamtverband für
alle Lehrämter und Erziehergruppen. Er entwickelte ein modernes Erscheinungsbild, ein
professionelles Management und neue Dienstleistungssegmente für seine Mitglieder:
Er pflegt zeitgerechte, interaktive Formen der digitalen Information und Kommunikation.
Er verstärkte Beratung und Rechtsschutz, gründete eine eigene Fortbildungsakademie
– auch zur Schulung seines Verbandsnachwuchses. Er unterhält ein exklusives Institut
für Gesundheit in pädagogischen Berufen und verfügt über einen leistungsfähigen Wirt-
schafts- und Reisedienst. Seiner besonderen sozialen Verantwortung wird er durch ein
international tätiges Kinderhilfswerk gerecht.

Mit berechtigtem Stolz darf ich feststellen: Als mitgliederstärkste Bildungs- und Berufs­
organisation überzeugt der BLLV durch Kompetenz, Unabhängigkeit und Solidarität. Es ist
mir eine Ehre, dass auch ich dazu beitragen durfte.




Dr. h. c. Albin Dannhäuser
Ehrenpräsident
Präsident des BLLV von 1984 bis 2007




                                                                                            11 //
Aufbruch zur Demokratie –
        der wiederaufbau des BLLV nach 1945

                Meiner Generation war es aufgetragen, nach dem 2. Weltkrieg den Weg aus der Dik-
                tatur des Dritten Reiches in die neue Demokratie und die Öffnung zu den Ländern der
                „freien Welt“ zu bahnen.

                Die Kämpfe um die Lösung schulpolitischer Nöte ließen Alt und Jung zusammenwach-
                sen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war die Eingliederung der Flüchtlings- und
                heimatvertriebenen Lehrer und Lehrerinnen eine wichtige kollegiale Herausforderung.

                Hilfreich für den BLLV waren anfänglich die Forderungen der Erziehungsabteilung der
                amerikanischen Besatzungsmacht, die unseren eigenen entsprachen. Jedoch blieb die
                Schulpolitik der 50er bis zum Ende der 60er Jahre geprägt vom Kampf zwischen eman-
                zipatorischen und politisch beharrenden Kräften. Die Trennung der Schüler und Lehrer
                nach Konfessionen wurde neu etabliert und verfestigt.

                1954 gelang es mir, mit der außerparlamentarischen Kraft des BLLV, dass eine bay-
                erische Regierung gebildet wurde auf der Grundlage unserer bildungspolitischen For-
                derungen. In den Jahren dieser Viererkoalition (ohne CSU) von 1954-1957 veränderte
                sich das Verständnis für eine zukunftsorientierte Schule in den Parteien und relevan-
                ten Gruppen der Öffentlichkeit. Unser Verband wurde zu einem anerkannten und nicht
                (mehr) zu vernachlässigenden bildungspolitischen Faktor.

                Unter Einsatz seiner berufswissenschaftlichen Autorität und seines gewachsenen bil-
                dungspolitischen Gewichts kämpfte der BLLV um die akademische Bildung von Volks-
                schullehrern und -lehrerinnen. In einem historischen Durchbruch wurde vom Landtag
                1958 einstimmig ein Lehrerbildungsgesetz verabschiedet, mit dem ein Jahrhundert
                ständischer Diskriminierung endete.

                Nach zehn Jahren weiteren Ringens wurde 1968 mit einem wesentlich vom BLLV ini-
                tiierten Text über einen Volksentscheid die Bayerische Verfassung geändert. Der BLLV
                erreichte damit die Abschaffung der strikt nach Konfessionen getrennten staatlichen
                Bekenntnisschulen zu Gunsten einer für alle Schüler und Lehrer gemeinsamen „Christ-
                lichen Schule“.



// 12
Um den gesellschaftlichen Status des BLLV zu erhalten und zu steigern, hatte ich 1959
eine Professionalisierung der BLLV-Führungsstruktur mit hauptamtlichen Mitarbeitern
initiiert. Meine Nachfolger haben jeder auf seine Weise die Bedeutung des BLLV als
Bildungsverband, der die historisch überholte Aufteilung in schulartspezifische Interes-
sen überwunden hat, gestärkt und ausgebaut.

Die weitere Zunahme an Mitgliedern und öffentlicher Bedeutung des BLLV erfüllt mich
mit großer Zufriedenheit. Stolz bin ich auch, dass der BLLV entgegen mancher politischer
Versuchungen und interner Bestrebungen seinen Grundprinzipien treu geblieben ist, allen
voran seiner Unabhängigkeit von Parteien, Kirchen und bildungsfremden Einflüssen.

Vor 50 Jahren hatte ich das Privileg, als Erster Vorsitzender im Regensburger Reichssaal
die 100-Jahr-Feier des BLLV mitzugestalten. In dankbarer Freude auch die 150-Jahr-
Feier noch zu erleben, gratuliere ich zu diesem Jubiläum und wünsche dem BLLV
weiterhin reichen Erfolg.




Dr. h. c. Wilhelm Ebert
Ehrenpräsident
Präsident des BLLV von 1955 bis 1962
und von 1967 bis 1984




                                                                                           13 //
Geschichte und Verantwortung
                 zum Jubiläum des BLLV

                 Dr. Ludwig Spaenle

                 150 Jahre Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband – dieses Jubiläum bezeich-
                 net einen Zeitraum, der zwei Jahrhundertwenden überspannt. Ich freue mich, dieses
                 besondere Jubiläum im Kontext der reichen Zeit-, Bildungs- und Verbandsgeschichte
                 des BLLV zu würdigen, was mir als Historiker nahe und besonders am Herzen liegt.
                 Geschichte ist nichts Abgelegtes unter Staub und Spinnweben im Antiquitätenladen
                 fernab unserer heutigen Verhältnisse. Geschichte ist mit dem niederländischen Historiker
                 Johan Huizinga die Rechenschaftsablage von uns Gegenwärtigen über die Bedingungen
                 des Gewordenen – und zwar in einem durchaus grundsätzlich wertenden Sinn. Es geht
                 um Verantwortung, um Einsichten aus der Vergangenheit für eine humane Zukunft.

                 Ursprünge des BLLV

                 Wenn der BLLV seines 150-jährigen Bestehens und damit auch seiner Anfänge zu Be-
                 ginn der 60er Jahre des vorletzten Jahrhunderts gedenkt, dann richten sich die Blicke
                 über einen langen Zeitraum zurück. Wir fokussieren eine Welt, die zunächst von unserer
                 heutigen ganz verschieden anmutet, die aber zugleich durch erstaunliche Analogien ge-
                 kennzeichnet ist:

                 ••  um einen haben wir es mit einer Welt grundlegender technisch-ökonomischer
                    Z
                    Umstellungen zu tun. Das Stichwort „Industrielle Revolution“ bezeichnet durchaus
                    zutreffend das damalige Aufbrechen bisheriger agrarisch-ständischer Verhältnisse.

                 ••  inzu kommt die Veränderung der politischen Umstände: Die Anfänge des BLLV –
                    H
                    damals noch BLV, Bayerischer Lehrerverein – fallen in eine Zeit vielfacher Gründun-
                    gen von Verbänden, aber auch von Vereinen und Gesellschaften, ob Turner, Feu-
                    erwehren oder Sänger. Auch und gerade im monarchischen und alles andere als
                    bereits demokratischen Staat entwickelt sich so etwas wie eine Bürgergesellschaft.




// 14
••  ugleich geht es um die Legitimation des Staates selbst: Es wird nicht nur um
   Z
   Verfassungsordnungen, um Wahlrecht und Partizipation gerungen, es entstehen
   zudem Fraktionen und Parteien.

••  s geht auch um die Frage der Rückbindung, manche würden auch sagen Abhängig-
   E
   keit, von Staat und Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu religiösen Überzeugungen und
   religiösen Bekenntnissen. Einer liberalen, sich als aufgeklärt verstehenden Grundrich-
   tung steht eine nach dem Zeitalter der Französischen Revolution durchaus erstarkte,
   sehr unmittelbare Volksfrömmigkeit gegenüber, wie sie der lange in München lehrende
   Historiker Franz Schnabel in seiner Deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts
   anschaulich darstellte. Die Reichsgründung von 1871 ist sozusagen der deutlichs-
   te Ausdruck dieses Spannungsverhältnisses – im Übrigen aber keineswegs nur auf
   deutschem Boden, sondern als damalige Tendenz in großen Teilen Europas, in Italien
   etwa in der Auseinandersetzung zwischen dem neuen italienischen Nationalstaat und
   dem Heiligen Stuhl. Besonders militant begegnet er uns in Frankreich, wo sich dann
   zu Beginn des 20. Jahrhunderts der laizistische Staat mit voller Vehemenz durchsetzt,
   die Trennung von Staat und Kirche in rigider Weise kodifiziert. Und auch hier spie-
   len Schule und Lehrer eine besondere Rolle: Die dritte französische Republik wertet
   nach der Niederlage von 1871 gegen Preußen-Deutschland sehr bewusst die Rolle
   von Schule und Lehrer auf, in Lehrerbildung, -besoldung und Identität des pädago-
   gischen Berufes, um die Modernisierung der eigenen Gesellschaft wie insbesondere
   ihre Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu befördern.

Der Kampf um die Befreiung des Schulwesens und zumal der Lehrerschaft von Bevor-
mundung und um ihre berufliche wie intellektuelle Aufwertung ist somit, bei unterschied-
lichen Schwerpunkten wie Anlässen, damals geradezu ein europäischer Kampf.




                                                                                            15 //
Die Gründung des BLV fällt also in eine Zeit vielfacher Gärungen und Umbrüche. Dass
        der Bestand von Staat und Gesellschaft in existenzieller Weise von Bildungspolitik und
        Bildungswesen abhängt, wird während des 19. Jahrhunderts zum Allgemeingut – nicht
        nur, weil die Industrielle Revolution Kompetenzerfordernisse stellt, die es so vorher nicht
        gab. Es geht auch, viel elementarer, darum, von Unmündigkeit zu Mündigkeit zu gelan-
        gen, höhere Bildungsstandards für alle Menschen und in allen Regionen durchzusetzen
        und, wenn auch gewiss nicht schon in unserem heutigen ausgeformten Verständnis,
        auch Staatsbürger heranzubilden.

        Das Bayern der sechziger Jahre des vorletzten Jahrhunderts ist ja bereits seit 1818
        ein Verfassungsstaat, ein Staat, der den politischen Diskurs und den politischen Wett-
        bewerb kennt. Und es ist ein Staat, der sich zwar anders, aber durchaus auf ähnliche
        Weise wie heute, selbst im Wettbewerb befindet: Fünf Jahre später, im Juli 1866, findet
        der letzte innerdeutsche Krieg statt: die Auseinandersetzung zwischen Preußen auf der
        einen und Österreich mit seinen Verbündeten, darunter Bayern, auf der anderen Seite.
        Es ging um die Frage, wie und mit wem eine künftige deutsche Einheit zu erreichen sei.
        Das Sprichwort sagt, Preußen habe den Erfolg weniger seiner militärisch wichtigsten In-
        novation, dem sogenannten Zündnadelgewehr, zu verdanken gehabt, sondern – gesell-
        schaftspolitisch – dem preußischen Volksschullehrer bzw. „Schulmeister“ in der Diktion
        von damals. Denn durch ihn seien die mobilisierten Wehrpflichtigen zu eigenständigem,
        verantwortungsbewusstem wie effizientem Handeln fähig gewesen – Kompetenzen, die
        heute gewiss nicht minder nachgefragt sind. Ob die Preußen damals den Österreichern
        in dieser Hinsicht tatsächlich deutlich voraus waren, sei dahingestellt. Das Beispiel zeigt
        aber jedenfalls, wie wichtig der Erfolg des Bildungswesens für den Erfolg von Staaten
        und Gesellschaften insgesamt ist und dass sich dafür jegliche Investition lohnt; und diese
        Erkenntnis ist unbestreitbar dauerhaft gültig.




// 16
Bei allen einschneidenden Wandlungen der Gesellschaft im 19. Jahrhundert: Sie war
noch eine Klassengesellschaft. Der Volksschullehrer war kein Akademiker. Er war damit
nicht – was damals unerhört viel zählte – „satisfaktionsfähig“, also würdig genug, um
zum Duell gefordert zu werden oder selbst zu fordern. Auch diese aus heutiger Sicht
Skurrilität einer militanten Männergesellschaft zeigt im übrigen, wie grundlegend sich
unsere Gesellschaft geändert hat. Ausbildung und Bezahlung des sogenannten Volks-
schullehrerstandes lagen damals weit zurück. Dazu wurde die kirchliche Schulaufsicht,
die es bis zum Ende der Monarchie gab, als Fremdbestimmung empfunden.

Die bayerischen Volksschullehrer hatten also viele gute Gründe, sich vor 150 Jahren
eine neue und schlagkräftige organisatorische Plattform zu schaffen. Und wenn man
damals und heute vergleicht, so schwierig das eben auch ist, so lässt sich jedenfalls
bilanzieren: Eine erfolgreichere Verbandsgründung dürfte es in der neueren bayerischen
Geschichte schwerlich gegeben haben!

Zur Geschichte des Bildungswesens bis zur Wiedergründung des BLV 1946

Umgekehrt lässt sich heute sagen und bilanzieren: Die bayerische Geschichte insge-
samt findet gerade in der Geschichte des Bildungswesens, in den Wechselfällen von
Fortschritt und Emanzipation auf der einen Seite, aber auch von Niedergang und totali-
tärer Zerstörung auf der anderen ihren besonders signifikanten Niederschlag.

Zentrale Entwicklungen wie die Umformung des Staates, die Notwendigkeit inhaltlicher
wie formaler Höherqualifizierung, die revolutionär gewandelte Rolle der Frau, die stete
Weiterentwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses und schließlich die Transzendierung
nationaler Grenzen durch europäische Integration wie Globalisierung: Diese beherr-
schenden säkularen Trends haben das Bildungswesen geprägt und umgekehrt. Und sie
haben zugleich das jeweilige Bild von Schüler und Lehrer wesentlich beeinflusst.




                                                                                          17 //
Durch den nationalsozialistischen Staatsstreich vom 9. März 1933 wurde Bayern für
        über 12 Jahre seiner Eigenstaatlichkeit beraubt. Die Gleichschaltung der Länder bedeu-
        tete nicht zuletzt eine Gleichschaltung ihrer Bildungspolitiken. Deutschland war nie so
        zentralisiert wie in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur von 1933 bis 1945. Der
        nationalsozialistische Unitarismus vermittelte in seiner Bildungspolitik flächendeckend
        den Ungeist von Gottlosigkeit, von Antisemitismus und Rassenwahn, von Geopolitik und
        von Imperialismus. Reflexion und kritisches Denken, heute zentrale Bildungsziele, soll-
        ten möglichst unterbunden werden – Ausdruck eines auch bildungspolitischen Totalita-
        rismus. Und in dieses Bild gehört auch, dass es für Vielfalt, Pluralität und eigenständige
        Interessenwahrnehmung keinen Platz mehr geben durfte:

        Auch der BLV verlor seine Eigenständigkeit. Ideologisch war naturgemäß der „Natio-
        nalsozialistische Lehrerbund“ (NSLB) Partner, ja Bestandteil des Regimes, in dessen
        unmittelbarer „Gefolgschaft“, so die Sprache des sogenannten Dritten Reiches – unter
        der Führung des braunen Musterpädagogen, Gauleiters („Gau Bayerische Ostmark“
        aus Oberfranken und der Oberpfalz) und schließlich seit März 1933 Bayerischen Kul-
        tusministers Hans Schemm. Der BLV wurde am 1. Juli 1934 korporativ der „Abteilung
        Wirtschaft und Recht“ im NSLB angefügt, sein weithin nur noch formales Eigenleben
        endete mit Wirkung vom 31. Dezember 1937. Die Lehrer selbst wurden Reichsbeamte,
        die Volksschullehrer dabei auf dem Besoldungsniveau des gehobenen Dienstes. Von
        einer wissenschaftlich fundierten Ausbildung blieb man weiter entfernt denn je.

        Ein Höhepunkt der Selbstvergötzung des Regimes war die Entfernung der Kruzifixe aus
        den Klassenzimmern im Jahr 1941. Viele jetzt Hochbetagte in unserem Land erinnern
        sich heute noch daran. Gegen keine Maßnahme des Regimes im Bildungsbereich gab
        es soviel Widerspruch, Resistenz, ja Widerstand wie eben gegen dieses Vorgehen. Es
        konnte und sollte vor allem symbolisieren: Der Mensch als Wesen mit eigener Persona-
        lität, mit einer Rückbindung an eine transzendente Dimension, hatte aus dem Bewusst-
        sein zu verschwinden. Totalitäre Allmachtsphantasien können keinen Raum für sittliche
        wie intellektuelle Autonomie dulden.




// 18
Umgekehrt liegt in dieser fundamentalen Erkenntnis zugleich die stete Mahnung an
jede Bildungspolitik, die sich in einem sittlichen Bezugsrahmen sieht, die Würde wie die
Personalität des Menschen an die erste Stelle zu setzen. Das heißt zugleich: Der Res-
pekt vor dem Menschen steht vor dem Zweck, vor der Rolle und vor der Funktion. Der
Mensch ist nicht Objekt, im übrigen auch nicht für ökonomische Zwecke – woran man
heute in Zeiten unentwegt beschworener, manchmal wie zum Mantra erhobener Globa-
lisierung sehr nachhaltig erinnern muss – sondern seine Würde und seine Individualität
gehen jeder Zweckbestimmung voraus. So verbietet sich etwa, wenn Sie mir diesen
auf unsere Gegenwart bezogenen Hinweis gestatten, ein Begriff wie „Humankapital“
ethisch eigentlich wie von selbst. Humanität, Rechtlichkeit und Demokratie setzen
zwingend diese Einsichten voraus – auch und vor allem als dauerhaft gültige Voraus-
setzungen des verfassungsmäßigen und politischen Neubeginns nach 1945.

Leistungen des Verbandes seit der Wiedergründung 1946

1946 erfolgte die Wiedergründung des BLV, der im Jahre 1951 in BLLV umbenannt
wurde, nachdem bereits seit 1878 auch Lehrerinnen Mitglied werden konnten.
Die bayerische Geschichte in der Nachkriegszeit ist, auch und gerade im innerdeut-
schen Vergleich, weit überdurchschnittlich eine Modernisierungsgeschichte. Es geht vor
allem um
••  ine sogenannte überholende Modernisierung. Sie machte aus einem im innerdeut-
   e
   schen Vergleich zurückliegenden Agrarland ein Land neuester Industrien auf hohem For-
   schungsniveau – gewissermaßen an den alten, schwerindustriellen Revieren an Rhein,
   Ruhr und Saar vorbei: Wenn Sie so wollen „High Tech“ statt rauchender Schlote;
••  ie Entwicklung eines spezifisch bayerischen Staats- und Gesellschafts-
   d
   modells, das auf dem Zusammenhang von Modernität und Identität gründet und das
   viel zur gesellschaftlichen Stabilität wie Prosperität unseres Landes bis in die Gegen-
   wart – und hoffentlich auch in die Zukunft – beigetragen hat.




                                                                                             19 //
Eine der wichtigsten Voraussetzungen waren und sind die gravierenden Innovationen,
        die das bayerische Bildungswesen in den bislang rund zwei Generationen Nachkriegs-
        geschichte unseres Landes erfuhr.

        Diese bayerische Bildungsgeschichte ist keine Harmoniegeschichte gewesen und sie
        wird es vermutlich auch in Zukunft nicht sein können. Sie präsentiert sich vielmehr in
        mehrfacher Hinsicht auch als demokratische Streitgeschichte. Insofern sehe ich hier
        aber ein positives Moment: Der lösungsorientierte Konflikt ist in der Demokratie nicht
        etwa ungeliebt-unvermeidlich, nein, er ist innovativ, er mobilisiert intellektuelle Potentiale
        und er legitimiert die Entscheidungen, die am Ende getroffen werden. Auf dieser langen
        Wegstrecke war der BLLV in dieser bayerischen Bildungs- wie in der bayerischen Lan-
        desgeschichte insgesamt ein ganz wesentlicher Akteur – und es spricht alles dafür, dass
        sich daran auch in der Zukunft nichts ändern wird.

        Eine der essentiellen Voraussetzungen war – und bleibt – seine parteipolitische Unab-
        hängigkeit. Das heißt zugleich gewiss nicht, dass er gerade nach seinem Selbstver-
        ständnis nicht in den bildungs- und gesellschaftspolitischen Konflikten der Zeit Partei
        ergriffen hätte und ergreift.

        Lassen Sie mich an einem Beispiel zeigen, dass auf sehr indirekte Weise, meine eigene
        Partei, die CSU, davon vermutlich sogar einmal wesentlich profitiert hat:
        Ausgangspunkt ist die sogenannte Viererkoalition in Bayern von 1954 bis 1957. Bei
        deren Gründung spielte – da sind sich die Historiker in allen Lagern einig – der dama-
        lige BLLV-Vorsitzende Wilhelm Ebert eine wesentliche, vielleicht entscheidende Rolle,
        insbesondere weil es ihm um die damals zentralen bildungspolitischen Anliegen ging,
        darunter an erster Stelle um die Weiterentwicklung der Lehrerbildung. Diese Koalition
        währte nur drei Jahre und danach gelangte eine regenerierte CSU wieder in die Regie-
        rungsverantwortung. Ihr erst gelang dann 1958 eine Neuregelung der Lehrerbildung mit
        an die Universitäten angebundenen pädagogischen Hochschulen. Im Übrigen zeigt das
        Beispiel auch, dass Modernisierung einen Prozess darstellt. Sie gelangt eben nie an ein
        definitives Ende. Der Status von 1958 ist selbstverständlich seit langem gewissermaßen
        aufgehobene Vergangenheit: Lehrerbildung als Teil des Universitätsprofils ist heute eine
        Selbstverständlichkeit.


// 20
Die zweite große Zäsur bezeichnet eine Konstellation rund ein Jahrzehnt später. Ich
meine die Auseinandersetzung um Konfessionsschule wie (christliche) Gemeinschafts-
schule. Auch diese Auseinandersetzung der ausgehenden sechziger Jahre steht in einer
langen Kontinuität bayerischer Geschichte über die Zäsur von 1918 hinweg: So war
bereits 1869/70, also acht Jahre nach Gründung des BLV, der damalige bayerische
Ministerpräsident Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst an einem Schulgesetz gescheitert,
das die geistliche Schulaufsicht zurückführen sollte – gegenüber einer dezidiert katho-
lisch-ländlichen Majorität nach Neuwahlen, der sogenannten „Patriotenpartei“, in der
Zweiten Kammer des Bayerischen Landtages. Diese sehr spezifisch bayerische Mehr-
heit begegnete dem damaligen liberalistischen Fortschrittsdenken der Ministerialbüro-
kratie höchst misstrauisch – in Ludwig Thomas „Filserbriefen“ findet diese Konstellation
ihre erheiternde, historisch aber zugleich wohlbegründete Fortführung.

Ziemlich genau ein Jahrhundert später, 1968/69, war es vor allem der Kooperation
zwischen dem damaligen BLLV-Präsidenten Wilhelm Ebert und Franz-Josef Strauß zu
verdanken, dass der Streit um die Bekenntnisschule nicht in einem weiteren Kultur-
kampf eskalierte, der die Atmosphäre im Lande hätte vergiften können. Statt einer
sehr heftigen Auseinandersetzung zwischen SPD und FDP wie BLLV auf der einen
und CSU wie weitgehend der Katholischen Kirche auf der anderen Seite gelang die
Durchsetzung des Modells der christlichen Gemeinschaftsschule in einer Fassung für
den Volksentscheid vom 7. Juli 1968, auf die sich schließlich die tragenden politischen
Kräfte im Land verständigt hatten. Es war im übrigen eine Zeit, in der auf Bundesebene
in einer Großen Koalition von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger mit Vizekanzler Willy
Brandt gesamtgesellschaftliche sogenannte „konzertierte Aktionen“ – also kollektive Ab-
stimmungsprozesse der in Staat und Gesellschaft verantwortlichen Kräfte – vielfach und
erfolgreich praktiziert wurden.




                                                                                           21 //
Innovation bedarf sowohl des demokratischen Streites wie auch des demokratischen
        Miteinanders. Franz Josef Strauß, Wilhelm Ebert und Hans Maier, letzterer von 1970
        bis 1986 Mitglied der Bayerischen Staatsregierung, bildeten für die Folgezeit ein Trio,
        das die Bildungs- wie die Landespolitik nicht selten streitig, aber eben auch effizient und
        bei allen Beteiligten engagiert prägte: Hans Maier schreibt in seinen im Frühjahr 2011
        erschienenen Memoiren, dass Ebert einerseits Strauß mit Unterlagen über eine angeb-
        lich zu rigide, ja disziplinierende Personalpolitik des Kultusministeriums gegenüber der
        Lehrerschaft versorgte, was im Ministerrat mancherlei Ärger produzierte.

        Dagegen verbündete Maier sich dann mit der CSU-Landtagsfraktion – insgesamt be-
        merkenswerte und auch sehr bayerisch-saftige Bündnisstrukturen. Zugleich aber gab
        Ebert zu Maiers Ausscheiden aus der Staatsregierung 1986 eigens einen Empfang
        – gewiss, um Verbundenheit gegenüber der großen gemeinsamen Sache und, mit
        Noblesse, Respekt vor dem Menschen zu bekunden, bei allen Divergenzen in Sach-
        problemen – so soll es sein.

        Im BLLV folgte dann die Ära Dannhäuser von 1984 bis 2007. Ebert und Dannhäuser
        waren auf ihre je eigene Weise ungemein erfolgreich. Aber schon die Zeitumstände mach-
        ten es unvermeidlich, dass Inhalte und Vorgehensweisen sich deutlich unterschieden –
        Zunächst, auch noch im Schatten der Nachkriegszeit, die quantitativen Bedingungen wie
        Erfolge: Mehr Schüler, dafür mehr Lehrer. Seit Mitte der sechziger Jahre stand dies unter
        dem Primat einer sogenannten Mobilisierung von Bildungsreserven vor allem im ländlichen
        Raum. Hinzu kamen die Akademisierung des Lehrerberufs und seine Statusaufwertung.

        Hingegen die Agenda seit den neunziger Jahren: Wahrnehmung des demografischen
        Wandels, Migration, Relativierung nationaler Grenzen und zunehmende Internationalität
        als Referenzebene für Bildung und Bildungsevaluation, dazu die Revolution in Medien
        und Kommunikation.




// 22
Die Tugend der Verantwortungsethik

Die Vergangenheit hält, zumal für unübersichtliche und schwierige Zeiten – ich nenne
nur die Stichworte Migration und Globalisierung – keine Rezepte bereit, die sich
schematisch anwenden ließen. Aber die Vergangenheit lehrt uns eben doch, welche
Grundsätze und Verhaltensweisen unabdingbar sind, um ein Gemeinwesen verantwort-
lich und human entwickeln zu können.

Max Weber spricht in diesem Zusammenhang von der Tugend der „Verantwortungsethik“,
also einer Haltung, die das sittlich Gebotene mit dem Machbaren vernünftig und vermit-
telbar zusammenzubringen sucht, die also weder mit dem Kopf durch die Wand will noch
standpunktlos-beliebig kurzfristigen und auch nur vermeintlichen Nutzen erstrebt.

Verantwortungsbewusstsein gepaart mit einem besonderen Selbstbewusstsein hat den
BLLV über den Zeitraum von nunmehr fünf Generationen ausgezeichnet.

Ich bin sicher, dass Bayern auch künftig auf dieses Kapital zu bauen vermag.




Dr. Ludwig Spaenle
Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus




                                                                                         23 //
Aufruf zur Gründung
        eines „Bayerischen Lehrervereines“

                   Bayerische Schulzeitung 22. August 1861

                   Fast in den meisten deutschen Staaten bestehen schon Lehrervereine und es lässt sich
                   nicht leugnen, dass sie sowohl zur Kräftigung des Lehrerstandes als auch zur Hebung
                   der Volksschule ungemein viel beitragen; es ist ihnen auch rühmend nachzusagen, dass
                   sie frei von Parteigetriebe eifrigst bestrebt sind, das vorgesteckte Ziel zu erreichen und
                   dabei stets das intellektuelle und moralische Gedeihen der vaterländischen Jugend im
                   Auge zu behalten.

                   Überall, wo solche Vereine existieren, bemerkt man ein reges und tätiges Leben unter
                   der Lehrerwelt; man kann sich überzeugen, dass die Lehrer vom korporativen Geiste
                   durchdrungen, ohne Ausnahme für das Interesse der Schule einstehen und wirklich Gro-
                   ßes leisten. Es ist auch ganz natürlich, dass nur mit vereinter Kraft Großes erreicht und
                   die einem Stande auferlegten Pflichten vollkommen erfüllt werden können. Mögen die
                   einzelnen Glieder noch so tüchtig sein, erst durch die Vereinigung zu einem Ganzen, zu
                   einem Körper wird es ihnen möglich, mit Heftigkeit aufzutreten und durch das harmonische
                   Zusammenwirken das Gelingen des Werkes herbeizuführen. Andere Stände halten schon
                   lange an dem Grundsatze „viribus unitis“ fest und mit dem besten Erfolge. Gestählt von
                   Innen, sind sie geachtet von Außen und selbst die Regierungen berücksichtigen möglichst
                   ihre wohl motivierten Anträge und Bitten. Wir erinnern hier nur an die Handelskammern,
                   die Gewerbevereine, die Apotheker-Gremien, die agronomischen Vereine etc.

                   Sollen nun wir Lehrer immer und in Ewigkeit isoliert und ohne Vertretung bleiben; wir, die
                   wir für eine höchst wichtige, auf das Volkswohl sehr großen Einfluss ausübende Sache –
                   für die Volkserziehung einzustehen haben; wir, die wir nur durch gehobene Achtung mit
                   Erfolg unserm Berufe uns widmen können und wir, die wir auf Grund unserer Praxis und
                   Erfahrung ein nicht ganz zu ignorierendes Urteil abzugeben vermöchten! – Haben wir nicht
                   gerade in der Gegenwart so recht das Bedürfnis nach Einigung gefühlt? Sollen wir nun
                   nicht zur Realisierung eines bereits gehegten Wunsches schreiten?




// 24
Auf denn, teure Amtsbrüder, in allen Gauen unsers lieben Vaterlandes! Zeigt Euch als
Männer, die für ihr Amt begeistert sind; gründet einen „Bayerischen Lehrerverein“, der frei
von jeder politischen Tendenz nur das Wohl der Schule und der vaterländischen Jugend
im Auge behält. Seid gewiss, dass Euer edles Streben vom herrlichsten Erfolge gekrönt
sein wird, und dass Regierung und Volk mit Vertrauen auf Euch schauen werden, die Ihr
es durch die Tat beweiset, dass Euch heilig Euer Beruf und dass Ihr mit ganzer Kraft ein-
stehet für Volk, Thron und Altar!



Am 16. August 1861
Kollegialen Handschlag!
Die Redaktion der „Bayerischen Schulzeitung“
Karl Heiß




                                                                                              25 //
Die Gründungsversammlung
        im historischen reichssaal zu Regensburg

                    Die Versammlung bayerischer Schullehrer behufs der Gründung eines bayerischen
                    Volksschullehrer-Vereines in Regensburg am 27. Dezember 1861 (Auszüge)

                    Wenn man teuere Freunde zur Ausführung eines wichtigen Werkes in die Ferne sendet,
                    so ist man sehr gespannt auf deren Zurückkunft, und sind sie endlich wieder in der Heimat
                    angelangt, so fallen Fragen auf Fragen und Alles möchte wissen, wie es gegangen und
                    ob die Sache gelungen. Auch ich glaube schon die Frage so Vieler zu vernehmen: „Was
                    ist denn in Regensburg alles geschehen?“

                    Nun, nur etwas Geduld, ich werde getreulich erzählen. Wenn ich mit dem Wetter beginne,
                    so dürfen die lieben Leser nicht Wortarmut vermuten, oder glauben, ich werde wässerig,
                    wie Knigge sagt; allein es waren eben gar so schöne Wintertage und die liebe Sonne
                    schien so mild auf uns herab, als ob sie sich freute, dass auch wir uns einmal als Brüder
                    begegnen wollen.

                    Die meisten von uns kamen schon Donnerstag, den 26. Dezember, in Regensburg an. Wir
                    wurden von den dortigen Herren Kollegen und von denen in Stadtamhof in der herzlichsten
                    Weise empfangen und freundlich in die Gasthöfe begleitet. Abends 7 Uhr trafen wir im
                    kleinen Neuhaussaal zu einer Vorbesprechung zusammen.

                    Nachdem man sich gegenseitig begrüßt hatte, wobei es natürlich an freudigen Über-
                    raschungen nicht fehlte, setzte ich in einer kurzen Anrede den Zweck der Vorberatung
                    auseinander, bemerkte, dass zwei Statuten-Entwürfe für den bayerischen Volksschul-
                    lehrer-Verein vorliegen und unter die Anwesenden verteilt werden, damit sie sich darüber
                    schlüssig machen könnten, welcher von beiden bei der Hauptversammlung als Grund-
                    lage zu dienen hätte, und hieß endlich die Versammelten herzlich willkommen. Hierauf
                    ergriff Herr Lehrer Marschall das Wort, verbreitete sich über den von ihm angefertigten
                    Statuten-Entwurf und legte der Versammlung an’s Herz, dem begonnenen Werke durch
                    Eintracht die Krone aufzusetzen. Herr Lehrer Stöckl von Landsberg, der Verfasser des
                    zweiten Statuten-Entwurfes, erklärte sodann, dass er, weil beide Entwürfe prinzipiell
                    nicht weit von einander abweichen, den seinen zurückziehe, sich jedoch vorbehalte, bei
                    der Hauptversammlung einige Modifikationen anzubringen. Hierauf beschloss die Ver-
                    sammlung einstimmig, den Entwurf des Herrn Marschall als Grundlage bei der Haupt-
                    Konferenz anzunehmen.
// 26
Nun wurde zur Feststellung der Geschäftsordnung geschritten und beschlossen:
1.  ür die Hauptversammlung sind zwei Vorsitzende, zwei Schriftführer und
   F
   ein Beisitzer zu wählen. Die Wahl kann durch Akklamation geschehen.
2.  n den Beratungen können sich sämtliche anwesende Lehrer beteiligen;
   A
   beschlussfähig sind aber nur die Bevollmächtigten.
3. Die Abstimmungen erfolgen durch Aufstehen und Sitzenbleiben; bei zweifelhafter
   
   Gegenprobe oder bei wichtigen Fragen durch Namensaufruf oder Stimmzettel,
   je nach Entscheid des Vorsitzenden.
4.  arüber, welche Gegenstände zurückzustellen seien, wenn die Zeit zur Erledigung
   D
   aller nicht ausreicht, entscheidet die Versammlung; die Reihenfolge der Gegenstände
   aber wird vom Präsidium festgesetzt.
5.  er Vorsitzende hat das Recht, einen Gegenstand zum Schluss zu bringen, wenn sich
   D
   die Mehrzahl der Stimmberechtigten dafür ausspricht.
6.  er Vorsitzende erteilt das Wort nach der Reihenfolge der Anmeldungen.
   D
7.  erselbe hat das Recht einem Redner das Wort zu entziehen, wenn er vom Gegen-
   D
   stand abschweift, Ungehöriges vorbringt, oder zu viel Zeit für sich in Anspruch nimmt.

Bezüglich der Tagesordnung wurde festgesetzt:
1. Beginn der Konferenz: 9 Uhr morgens
2.  röffnung der Versammlung durch einen Vortrag des Redakteurs der
   E
   Bayerischen Schulzeitung
3. Wahl des Präsidiums
4. Prüfung der Vollmachten
5. Beratung und Beschlussfassung über den Statuten-Entwurf
6. Wahl des Hauptausschusses
7. Wahl des Vereinsorganes.
8. Beratung über den Ort und die Zeit der nächsten 1. Hauptversammlung.

Nachdem somit die Aufgabe der Vorversammlung erfüllt war, verkehrten die Anwesenden
in gemütlicher Weise noch einige Zeit und so gegen 11 Uhr trennte man sich, um der
Ruhe zu pflegen, damit man den folgenden Tag mit neuer Kraft beginnen könne.




                                                                                            27 //
Noch an diesem Abende wurden Einzeichnungsbogen sowohl für die Herren Bevollmäch-
        tigten als auch für die übrigen Herren Teilnehmer aufgelegt, um diese Verzeichnisse durch
        die Güte eines Regensburger Kollegen noch in der Nacht autographiert, so dass sie schon
        am andern Morgen in die Hände der Versammelten gegeben werden konnten.

        Ein von Herrn Lehrer Stöckl in Landsberg entworfenes ausgeführtes und an diesem Abende
        zur Einsicht aufgelegtes Tableau erregte sowohl bezüglich dessen symbolischer Anord-
        nung als auch dessen herrlicher Vollendung allgemeine Bewunderung. In dasselbe werden
        die Namen der Herren Bevollmächtigten, als der Gründer des Vereines, aufgenommen.
        Das Original bleibt Vereinseigentum und in den Händen des jeweiligen 1. Vorstandes. Es
        wird dasselbe jedoch auch durch Farbendruck vervielfältigt und haben sich bereits schon
        viele der in Regensburg anwesenden Lehrer hierauf subskribiert. Es lässt sich auch nicht
        zweifeln, dass es bald in die Hände der zweiten Vereinsmitglieder übergeben wird, umso
        mehr der Preis bei großer Beteiligung sehr niedrig zu stehen kommt.



// 28
Am Haupttage (27. Dez.) versammelten wir uns präzis 9 Uhr morgens in dem alten und
ehrwürdigen Rathause der Stadt Regensburg, woselbst uns durch die Güte des hoch-
löblichen Stadtmagistrates der sogenannte Lottosaal zu unserer Verhandlung eingeräumt
wurde. Nachdem der Kommissär, der rechtskundige Magistratsrat Herr Mahr, erschienen
war, eröffnete ich die Versammlung und sprach mich in einem längern Vortrage über den
Zweck und das Ziel des zu gründenden Vereines aus.

Hierauf folgte die Wahl des Präsidiums. Zum 1. Vorsitzenden wurde der Berichterstatter,
zum 2. Vorsitzenden Herrn Lehrer Wölfel in Nürnberg, zum 1. Schriftführer Herr Lehrer
Marschall, Vertreter der Stadt Würzburg, zum 2. Schriftführer Herr Seminarlehrer Blum-
berger in Freising und zum Beisitzer Herr Lehrer Sturm in Stadtamhof, sämtliche per
Akklamation gewählt. Hierauf wurden die Vollmachten der Herren Bevollmächtigten durch
das Präsidium geprüft und zu den Akten genommen.

Ehe zur Beratung der Statuten geschritten wurde, stellte der Vorsitzende die Frage an die
Anwesenden: „Soll ein bayerischer Volksschullehrer-Verein gegründet werden?“ Ein ent-
schiedenes „Ja“ tönte durch den ganzen Saal.

Sodann ging es an die Beratung der Statuten. Nachdem diese Beratung beendigt, schritt
man zur Wahl des Hauptausschusses, welche statutengemäß auf der Hauptversammlung
und zwar mittels Stimmenzettel und bei absoluter Mehrheit erfolgen muss.
Nachdem der ganze Gang der Verhandlungen zu Protokoll konstatiert und dieses von den
Mitgliedern des Präsidiums unterzeichnet worden war, erteilte der 1. Vorsitzende dem
Rektor der Versammlung, Herrn Lehrer und Jubilarius Schultheiß in Nürnberg das Wort.
Derselbe belobte die Versammlung wegen ihres parlamentarischen Taktes, äußerte seine
Freude darüber, dass es ihm, dem 78-jährigen Greise, vergönnt war, an dem Werke der
Eintracht und Liebe mitzubauen, sprach den heißen Wunsch aus, es möge des Himmels
Segen mit dem jungen Vereine immerdar sein. Sodann wies er hin auf die Segnungen
deren sich unser Vaterland unter dem Schutze einer wohlwollenden Regierung zu erfreuen
hat, Segnungen, von welchen auch dem Lehrerstande ein gut Teil zufließe und schloss
mit einem Hoch auf Seine Majestät unsern allergnädigsten König, Max II., in welches die
ganze Versammlung mit Begeisterung einstimmte.



                                                                                            29 //
Somit war die Verhandlung beendigt. Der Hauptausschuss begab sich hierauf zu dem
        stellvertretenden Bürgermeister, Herrn Rechtsrat Mayr, um die Gründung des Vereines zu
        melden, das Verzeichnis der Mitglieder des Hauptausschusses zu übergeben und zugleich
        den wärmsten Dank für das freundliche Entgegenkommen des Stadtmagistrates auszu-
        sprechen. Herr Rat Mayr bemerkte, dass er einen Verein, der eine solch edle Tendenz
        verfolge, mit Freuden begrüße und ihm das vollste Gedeihen wünsche.

        Am Abend des genannten Tages war auch eine Produktion des Regensburger Liederkran-
        zes, wozu wir sämtliche eingeladen waren. Die einzelnen Stücke wurden mit wahrer Meis-
        terschaft durchgeführt und die Unterhaltung war eine so angenehme und erfrischende,
        dass wir uns erst in später Stunde von einander trennten. Zu geeigneter Zeit wurde dem
        verehrlichen Liederkranze von Herrn Lehrer Marschall in gut gewählten Worten herzlicher
        Dank für die besondere Aufmerksamkeit ausgesprochen und dieser Toast von Seite des
        Vorstandes des Liederkranzes, Herrn Assessor Steffaneli, in freundlicher Weise erwiesen
        und als Gegengruß den anwesenden Lehrern der Singspruch des Liederkranzes in vollem
        Chor dargebracht. Am 28. Dez., morgens, versammelten sich die meisten der städtischen
        und fremden Lehrer im Gasthause zum Wirt, um noch vor dem Scheiden ein Paar Stunden
        gemütlich und herzlich mit einander verkehren zu können. In heiterer Stimmung verbrachte
        man diese Zeit und man begegnete sich mit einer Innigkeit, die nur aus wahrem kollegiali-
        schen Bewusstsein fließen konnte. Auch wurden auf die hohe Kammer der Abgeordneten,
        den Magistrat der Stadt Regensburg, Herrn Rechtsrat Mayr, auf die Regensburger und
        Stadtamhofer Kollegen, den Gründer und Verleger des Vereinsblattes, den Vorstand des
        Vereines und auf die daheim weilenden Amtsbrüder Toaste ausgebracht. Als dann Herr
        Lehrer Kutschmann von Vilshofen von Herrn Landtags-Abgeordneten Föckerer freundlichen
        Gruß und den herzlichen Wunsch überbrachte, es möge der Verein blühen und gedeihen,
        ließ man allsogleich ein Telegramm an diesen warmen Vertreter unseres Standes abgehen,
        in welchem ihm für sein stets bewiesenes Wohlwollen innigster Dank gesagt wurde.




// 30
Endlich nahte die Stunde der Trennung und nur hart ging man von einander. Alle schieden
wir jedoch von der alten Ratisblonà mit dem herrlichen Gefühle, für eine edle Sache gear-
beitet und unvergessliche Tage verlebt zu haben. – Und jetzt noch einen kleinen Nachtrag.
Die Beratung am Haupttage dauerte ununterbrochen von Morgens 9 Uhr bis Nachmittags
3 Uhr. Es waren nahezu 200 Teilnehmer aus den verschiedenen Kreisen gegenwärtig
und haben dieselben circa 1 500 Lehrer Bayerns repräsentiert. Rechnet man hiezu noch
jene Bezirke, welche zwar keinen Bevollmächtigten gesendet, ihren Beitritt aber bestimmt
erklärt haben, so darf man jetzt schon 2 000 Mitglieder rechnen, und es lässt sich mit
Gewissheit annehmen, dass sich die Beitritts-Erklärungen mit jedem Tag mehren.

Achdorf, bei Landshut, den 1. Januar 1862
Der 1. Vorstand des Bayerischen Volks-Schullehrer-Vereins Karl Heiß




                                                                                            31 //
Eröffnungsrede
        des achdorfer lehrers Karl HeiSS

                       Einleitungsvortrag des Schullehrers und Redakteurs der Bayerischen Schulzeitung,
                       Karl Heiß zu Achdorf, gehalten bei der Versammlung bevollmächtigter Schullehrer
                       Bayerns zu Regensburg am 27. Dezember 1861

                       Meine Herren!
                       Am 16. Aug. legte ich den Samen der Konzentration in die Herzen meiner lieben Amts­
                       brüder mit dem vollsten Vertrauen, dass er tiefe Wurzeln schlage, und doch nicht ohne
                       Bangen, es möchte eine ungeweihte Hand dessen Wachstum zu verhindern suchen. Ist nun
                       das Letztere wirklich eingetroffen, da man von einer Seite, von der man es am wenig­ ten
                                                                                                            s
                       vermuten konnte, durch ätzende Stoffe dem Humus alle Tragfähigkeit benehmen wollte,
                       so schoss dessen ungeachtet der Keim üppig empor, und schon nach wenigen Monaten
                       haben wir einen lebensfrischen Baum vor uns, dessen Äste weithin durch die Gauen un-
                       sers Vaterlandes reichen, und dessen ausgebildete Krone die herrlichsten Früchte erwar-
                       ten lässt. Meine Herren! Schauen wir etwas in die Zukunft und betrachten wir die Früchte,
                       welche unsern mit aller Sorgfalt gepflegten Baum zieren.

                       Vor allem ist es die Frucht des Gemeinsinns. wenn wir so in unserm Stande Umschau hal-
                       ten, so finden wir nicht überall diese Tugend. Mögen nun hieran die Verhältnisse außer uns
                       in vielfacher Hinsicht die Schuld tragen, soviel ist gewiss, dass es auch bei uns an ech-
                       ter, wahrer Harmonie fehlt. Wir haben nämlich Standesgenossen, die sich selbst an den
                       edelsten Bestrebungen ihrer Amtsbrüder nicht beteiligen, weil sie nach dem Anspruche
                       Horaz: „Wen die Götter hassen, den machen Sie zum Schulmeister“ überall nur Kalamität
                       erblicken und sich und ihre Kollegen als Sündenbock anderer Stände betrachten. Wieder
                       andere sind zwar begeistert für ihren Beruf, wurden aber schon schroff enttäuscht, und
                       sind deshalb von Misstrauen so übermannt, dass sie sich passiv verhalten, wenn es gleich-
                       wohl die heiligsten Standesinteressen betrifft. Außer diesen finden sich welche, die sich
                       aller Kollegialität entschlagen und ihren eigenen Weg gehen, unbekümmert, ob er auch
                       der rechte sei; welche kein gemeinsames Ziel kennen und deshalb auch kein Bedürfnis
                       fühlen, mit ihren Amtsbrüdern gleichen Schritt zu halten. …




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33 //
Ich möchte doch sagen, dass der Gemeinsinn auch bei uns noch sehr der Vervollkomm-
        nung bedarf. Wir haben zu wenig Sympathie; wir betrachten uns großenteils bloß als ein-
        zelne Glieder und nicht als geschlossene Kette und doch haben wir alle nur ein Ziel!
        Unsere Aufgabe ist daher von nun an, des Gemeinsinns zu pflegen. Stets müssen wir
        der schönen Worte Schillers eingedenk sein: „Immer strebe zum Ganzen, und kannst du
        selber sein Ganzes werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!“

        Alle unsere Bestrebungen gelten daher den Amtsbrüdern, dem ganzen Stande; nicht eng-
        herzig seien unser Wissen und unsere Erfahrungen verschlossen in unserm Innern; nein,
        alles werde zum Gemeingute des ganzen Standes. Teilnahme, Wärme, Liebe durchdringe
        uns alle und heilig sei uns die Standes-Ehre. Meine Herren! Werfen wir uns nicht selbst
        weg durch unwürdiges und unmännliches Betragen; bedenken wir, dass wir Glieder eines
        öffentlichen Standes sind und dass es die Standes-Ehre gilt. Wenn wir nun so zur tatkräf-
        tigen Korporation heranwachsen, wenn wir alle zusammenstehen wie ein Mann, wenn
        wahre, innige Kollegialität in uns tief gewurzelt hat, so wird uns auch erhöhte geistige Tat-
        kräftigkeit und erfolgreiche Erfüllung unseres Berufes als reife Frucht entgegenwinken.




// 34
Keinem Stande ist die Fortbildung und geistige Tätigkeit wohl dringender geboten, als
dem Lehrerstande. Sind es schon die äußeren Umstände, das Leben der Meisten auf
dem Lande, die seltene Berührung mit Gebildeten anderer Stände, ja selbst mit Standes­
genossen, welche den Lehrer zwingen wenigstens im geistigen Verkehr mit der gebildeten
Welt zu bleiben, wenn er nicht, wie man gewöhnlich sagt, verbauern und versauern will,
so verlangt dieses noch gebieterischer sein Beruf. Ein altes Sprichwort sagt: „Stillstand
ist Rückschritt“ und wie wahr ist dieser Satz. Welche verderbliche Folge zeiht nicht dieses
„Stillstehen“ bei dem Lehrer nach sich. Anstatt Leben in seine Schule zu bringen, bringt er
Monotonie in dieselbe und seine Gleichgültigkeit, sein Kaltsinn pflanzen sich auf die Kin-
der fort. Ein Lehrer, welcher seine Fortbildung vernachlässigt, ist eine Schale ohne Kern,
eine Frucht ohne Saft und Geschmack und seine Schule gleicht einer Haide auf der man
vergebens üppige Gewächse und wohlriechende Blumen sucht. …

Es sei ferne von mir, vor fremden Türen kehren zu wollen, allein das muss ich doch bemer-
ken, dass manche unter den Lehrern ihre nicht besonders große Amtstätigkeit mit dem
Scheingrunde beschönigen wollen. Weihen wir unsere ganze Kraft unsern Standesoblie-
genheiten, wenden wir uns mit Ausdauer und Liebe unserm schönen Amte zu, welches
uns die Veredlung der Jugend zur Pflicht macht. Stets wollen wir der Pflicht eingedenk
sein, welche jedem Gebildeten auferlegt ist, den in Finsternis Lebenden dem wahren
Lichte zuzuführen.

Freilich ist notwendig, dass die Volksschule einige Selbstständigkeit erhalte, dass beson­
ders die Lehrorgane in der Ausübung ihres Amtes gleich andern Ständen gesetzlich ge-
schützt werden und eine feste Stellung angewiesen bekommen. Seit jener Zeit nämlich,
in welcher man uns aus dem Zunftverbande gebracht hat (die Münchner Lehrer waren
damals die ersten, welche dagegen protestierten) sind wir als gasförmige Waffe, ja als kör-
perlose Wesen in sozialer Beziehung zu betrachten; denn es fehlt uns jede sichere Basis in
der Gesellschaft. Es gibt wohl keinen Stand, welcher auf der einen Seite so viele Pflichten
und auf der andern so wenig oder gar keine Rechte hat, als der Schullehrerstand. …




                                                                                              35 //
Man möchte wohl sagen, dass sich zu viele um die Schule bekümmern; denn fast alles
        glaubt sich berufen, der Schule und dem Lehrer zu diktieren und jeder will die Schule
        nach seiner Facon haben. Sehr treffend bemerkt ein gewiegter Schulmann unserer Zeit:
        Jeder sieht die Volksschule von seinem Standpunkte an. Wer gern Honigschnittchen isst,
        dem soll die Volksschule Bienenzucht treiben, dem einen soll sie drechseln, dem andern
        Obst pflanzen, dem dritten Seide spinnen, einem Vierten erscheint sie als ein Anti-Brannt-
        weininstitut, einem Fünften als ein Zuchthaus zur Verbesserung verdorbener Kinder. Dem
        Gelehrten ist ihr Treiben zu oberflächlich, dem Unwissenden zu gründlich. Wer zählt die
        Wünsche, die auf diesem Gebiete laut geworden sind. Das ist natürlich nicht das rechte
        Interesse und eine solche Teilnahme schadet soviel als gänzliche Abneigung, und dass
        die Volksschule auch ihre Gegner hat, ist längst erwiesen. Es gibt sogar unter den Glie-
        dern der gebildeten Stände welche, die die Volksschule als ein ganz überflüssiges Institut
        betrachten und welche die Lehrer an Schulen, weil sie keine höhere Ausbildung erhalten
        haben, durchweg als Ignoranten ansehen. Jene sollten freilich bedenken, dass sich ohne
        Volksschule bald alle Bande der Ordnung lösen müssen. Ebenso sollten sie wissen, dass,
        wenn auch die Ausbildung der Lehrer nicht von allen Mängeln frei zu sprechen ist, sie
        doch die allgemeine Bildung fördert und dass jeder strebsame Lehrer vorwärts trachtet
        und deshalb doch nicht so ganz als Idiot gelten dürfte.

        Als eine bedauernswerte Erscheinung muss auch angesehen werden, dass zwischen uns
        und dem Stande, welcher doch in Bezug auf seinen Beruf uns so nahe steht*, im All-
        gemeinen wenigstens eine große Kluft besteht, wie sie wohl in keinem andern Lande
        vorkommen dürfte und doch könnten diese wissenschaftlich gebildeten Männer soviel zur
        Hebung der Volksschule und der Lehrer an derselben beitragen. Diesem gegenüber ha-
        ben wir aber, und Gott sei es gedankt auch Freunde, recht viele und aufrichtige Freunde,
        Freunde in den verschiedenen Ständen; allein diese konnten bis jetzt nicht mit Kraft auf
        uns und unsere Verhältnisse einwirken, weil sie keinen festen Boden hatten.

        Unser Lehrerverein soll nun das allgemeine Interesse erwecken. Wir müssen nämlich
        selbst die Hand bieten, wir müssen zeigen, dass uns an der Schule und an der Ausbildung
        des Volkes Alles gelegen ist; wir müssen die Erfolge laut sprechen lassen, dann wird der
        Volksschule auch von Außen mehr Beachtung geschenkt werden. …



// 36
Meine Herren! Groß ist die Aufgabe, die wir uns stellen; allein vermöchten wir sie auch
bei dem besten Willen und rastlosesten Streben nicht durchzuführen; aber wir hoffen mit
Zuversicht auf Unterstützung; wir glauben ganz sicher, dass die Erziehung und Veredlung
des Menschen eine gemeinsame Sache und unter allen Bestrebungen des menschlichen
Geistes den ersten Rang einnehmen werde.

Und nun seien Sie herzlichst und tausendmal gegrüßt, meine Herren! die Sie dem Rufe
Ihres Mitbruders so freudig gefolgt sind, die sie nicht den weiten Weg, nicht anderweitige
Hindernisse gescheut haben, sondern ohne rechts und links zu schauen herbeigeeilt sind,
ein Werk zu gründen, das von den segensreichsten Folgen sein wird. Wenn wir auch,
meine Herren! nicht heute oder morgen schon diese herrlichen Früchte genießen kön-
nen, ja wenn es sogar manchen von uns nicht vergönnt wäre, je von diesen Früchten zu
kosten; wir tragen doch alle das Bewusstsein in uns, für eine edle Sache stet und warm
eingestanden zu sein und unserem Berufe all unsere Kraft zugewendet zu haben. Es ist
erhebend, so viele wackere Kämpen hier vereinigt zu sehen, und Dank, herzlichen Dank
Ihnen Allen, die Sie hier versammelt sind. O, ich möchte Jeden aus Ihnen umarmen, und
innig an die Brust drücken.

Und nun, meine Herren! frisch an’s Werk, es wird gelingen.




* gemeint sind Gymnasiallehrer

                                                                                             37 //
Aufbruch – Widerstand – Stärke
        Die Geschichte des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes




                                                                                       1848
        1823                                                                           Auf der 2. Allgemeinen Lehrerver-
        Der Nürnberger Lehrer Johann                                                   sammlung in Schwabach im Jahr
        Konrad Grißhammer ruft am              1833                                    1848 mit ca. 180 Teilnehmern
        15. November 1823 zur Gründung         Der „Allgemeine Lehrerverein für        wird der Nürnberger Lehrerverein
        des ersten „Allgemeinen Lehrer-        Baiern“ wird verboten, da der Staat     beauftragt, einen „Zentral-Volks-
        vereins für Baiern“ auf. Zweck des     nach den Erfahrungen mit dem            schullehrerverein“ zu gründen, der
        überkonfessionellen Vereins ist „die   „Hambacher Fest“ keine Lehrer-          die nachweislich existierenden
        Fortbildung und Vervollkommnung        fortbildung ohne staatliche Aufsicht    35 Zweigvereine in ganz Bayern
        der Mitglieder in ihrem Beruf“. Da     duldet. Am 26. Januar 1833 findet       zusammenführen soll. Die Ver-
        wegen der fehlenden Verkehrs-          die letzte Sitzung statt. Zu diesem     sammlung geht auf einen „An
        verbindungen noch keine über-          Zeitpunkt hatte der Verein 243 Mit-     sämtliche Volksschullehrer Bay-
        regionalen Treffen möglich sind,       glieder aus mindestens 6 der 7 heu-     erns“ gerichteten Aufruf der Nürn-
        erscheint 1825 als „verbindendes       tigen Bezirke Bayerns, außerdem         berger und Fürther Lehrerschaft
        Mittel“ des Vereins die Zeitschrift    hatten sich Ortsvereine gebildet. Der   vom 12.3.1848 zurück. Darin sind
        „Der Volksschullehrerverein“.          Schwerpunkt lag in Nordbayern.          erstmals die zentralen bildungs-




        1806	
             Bayern wird Königreich            1834	
                                                    Höhepunkt der Restaura-            1848	
                                                                                            Märzunruhen der
        1825	
             Ludwig I wird König                    tion: Prozesswelle gegen                Studenten in München
                                                    liberale Wortführer                     Rücktritt Ludwigs I.,
        1831	
             Einführung der                                                                 Nachfolger wird Max II.
             Pressezensur,                     1840	
                                                    Verbot der Kinderarbeit in
             Verschärfung des                       Fabriken
             Vereinsrechts


// 38
1850
                                       Der Druck auf den „Zentral-
                                       Volksschullehrerverein“ und seine
                                       Zweigverbände von Seiten des
                                       Staates und der Kirche beginnt
                                       unmittelbar nach der Vereinsgrün-
                                       dung. Nach dem Bayerischen
                                       Vereinsgesetz vom 26. Februar
                                       1850 ist es „politischen Vereinen
                                       und solchen, die sich mit öffentli-
                                       chen Angelegenheiten beschäfti-
                                       gen“, verboten, „sich mit anderen
                                       solchen Vereinen zu einem ge-
politischen Forderungen aufge-         gliederten Ganzen zu vereinen.“
führt, die später auch in der Denk-    Bereits 1849 gibt es obrigkeitliche
schrift des BLV (1863) erscheinen:     Androhungen von Dienstentlas-
„1. Freie Stellung der Volksschule     sungen. Es werden tatsächlich
und ihrer Lehrer. 2. Gleichstellung    Entlassungen von Lehrervereins-
der Lehrer mit den Staatsdienern.      mitgliedern ausgesprochen, lokale
3. ... wissenschaftliche Bildung der   Mitgliedsvereine werden verboten,      1851
Lehrer. 4. Vertretung des Standes      Gefängnisstrafen verhängt. Weil        In Bayern gibt es 96 Lateinschulen
... durch Standesglieder. 5. Revi-     der Zentral-Volksschullehrerverein     (Unterstufe des Gymnasiums), 28
sion des Lehrplans ... mit Beizie-     sich auf seiner Versammlung am         Gymnasien und 10 Lyceen (höhere
hung der Lehrer. 6. Verwandlung        22. Juni 1850 u. a. mit dem Ver-       Töchterschule), mit insgesamt etwa
des Schulgeldes in eine allgemeine     hältnis von Staat, Kirche und Schule   11 000 Schülern. Daneben existie-
Umlage. 7. Gehaltsverbesserung         auseinandersetzen wollte, wird er      ren 7 113 Volksschulen – viele da-
der Lehrer. ... 9. Verleihung eines    am 4. Juni 1850 als politischer        von einklassige Landschulen – mit
allgemeinen Schulgesetzes.“            Verein klassifiziert und aufgelöst.    einer knappen Million Schüler.




1849	
     Phase der Liberalisierung:                                               1854	 Todesstrafe wird
                                                                                   Die
     Pressefreiheit, öffentliche                                                   das letzte Mal in Bayern
     Gerichtsverfahren, freies                                                     vollzogen
     Wahl­ esetz, freies Versamm­
          g                                                                   1856	
                                                                                   Schulpflicht wird auf sieben
     lungs- und Vereinigungsrecht                                                  Jahre verlängert
	Erste Wahl zur Kammer
  der Abgeordneten (später
  Bayerischer Landtag)
                                                                                                                   39 //
1861
                                              Am 22. August 1861 ruft der
                                              Achdorfer Lehrer Karl Heiß zur
                                              Gründung des Bayerischen Leh-
        1857                                  rervereins auf. Der Gründungsauf-
        Im Normativ über die Bildung der      ruf erscheint in der „Bayerischen
        Schullehrer wird die Lehrer­ ildung
                                    b         Schulzeitung“.
        neu geordnet. Im Mittelpunkt steht    Der Aufruf stößt bayernweit auf
        das Bestreben Königs Max II, „den     große Resonanz. Am 27. Dezem-
        Lehrstoff der Schullehrerbildung      ber 1861 versammeln sich etwa
        auf sein angemessenes, häufig         200 Lehrer aus ganz Bayern im
        überschrittenes Maß“ zurückzufüh-     Reichstagssaal des Regensburger
        ren, um die Lehrer vor „Wissens-      Rathauses und gründen den Bay-
        dünkel, Anmaßung, Unzufrieden-        erischen Lehrerverein. Karl Heiß
        heit und Ungehorsam“ zu schüt-        wird zum 1. Vorsitzenden gewählt.
        zen, die Folge einer übertriebenen    Vereinsorgan wird die bereits seit
        Verstandesbildung seien. Hierzu       1857 existierende „Bayerische
        gehört auch das Verbot der Lek-       Schulzeitung“. Der BLV versteht
        türe der pädagogischen Schrif-        sich von Anfang an als überkon-
        ten Friedrich Adolf Diesterwegs       fessionell. In seinen Reihen finden
        und anderer fortschrittlicher Pä­     katholische, evangelische und „is-
        dagogen.                              raelitische“ Lehrer ihre Heimat.




        1859	
             Eisenbahnlinie Nürnberg –        1861	
                                                   Wilhelm I wird König von         1862	  tto Graf Bismarck wird
                                                                                          O
             Regensburg eröffnet                   Preußen                                Ministerpräsident und
        	Charles Darwin veröffent­icht
                                   l          	Beginn des amerikanischen                 Außenminister
          sein Werk „Die Ent­ te­ ung
                             s h                Bürgerkriegs                        	Bismarck löst das preußi-
          der Arten“ und begründet                                                    sche Abgeordnetenhaus
          damit die Evo­utionstheorie
                       l                                                              auf


// 40
1863
Der Bayerische Lehrerverein veröf-
fentlicht die erste 80-seitige Denk-
schrift mit dem Titel „Denkschrift be-
treffend die Zusammenstellung von
Materialien zu einem allergnädigst                                                                                     1866
zu erlassenden vollständigen Geset-                                              1864                                  Der Hauptausschuss des BLV be-
ze für die Volksschulen in Bayern“.      In der Denkschrift steht der zentrale   Drei der Gründungsmitglieder des      schließt, eine eigene Vereinszeit-
                                         Satz für das Selbstverständnis des      BLV rufen in München das Baye-        schrift mit dem Titel „Bayerische
Kernanliegen der Denkschrift sind        BLV bis in unsere Zeit: „Die Umge-      rische Lehrerwaisenstift ins Leben.   Lehrerzeitung“    herauszugeben.
»»  ie Institutionalisierung der
   d                                     staltung der Lehrerbildung muss als     Den zahlreichen Lehrerwaisen soll     Die erste Ausgabe erscheint am
   Volksschule als Staatsanstalt,        der Kern- und Angelpunkt der ge-        die Stiftung „ … das Elternhaus       3. Januar 1867.
»»  ie Rechtsstellung des Lehrers
   d                                     samten Schulfrage erklärt werden.       ersetzen durch Unterbringung in
   als „öffentlicher Diener“             Die Lehrerbildung ist das Zentrum,      geeigneten Familien oder in schon     Die bayerische Regierung erlässt
   (Beamter),                            in welchem alle Fäden der Schulre-      bestehenden Erziehungsinstituten      ein neues Normativ für die Lehrer-
»»  er Verzicht auf die geistliche
   d                                     form nach fachlichen und personel-      oder eigens zu errichtenden, kon-     bildung, das wesentliche Forderun-
   Lokalschulaufsicht,                   len Beziehungen zusammenlaufen.“        fessionell getrennten Erziehungs-     gen des BLV aufgreift. Es löst das
»»  ie Modernisierung der
   d                                     Die Denkschrift wird Ende Oktober       anstalten. …“                         restriktive Lehrerbildungsnormativ
   Volksbildung und                      1863 dem „Hohen Staatsministe-                                                aus dem Jahr 1857 ab. Allerdings
»»  ie nachhaltige Verbesserung
   d                                     rium des Innern für Kirchen- und        Der Bayerische Lehrerverein hat       ist die Lehrerbildung weiterhin nach
   der Lehrerbildung.                    Schulangelegenheiten“ überreicht.       4 193 Mitglieder.                     Konfessionen getrennt.




1863 	 ründung der bayerischen
      G                                                                          1864 	 udwig II wird im Alter von
                                                                                       L                               1866 	 rieg Österreich-Preußen.
                                                                                                                             K
      Fortschrittspartei                                                               18 Jahren König                       Bayern kämpft an der Seite
	Ferdinand Lasalle gründet                                                      1865	
                                                                                      Ende des amerikanischen                Österreichs
  in Leipzig den Allgemeinen                                                          Bürgerkriegs und                 	      Sieg Preußens
  Deutschen Arbeiterverein                                                            Abschaffung der Sklaverei
  (ADAV)                                                                              in den USA


                                                                                                                                                              41 //
1875
        1867                                                                                                            Der 1. Vorsitzende des BLV Karl
        Auf der 3. Hauptversammlung           nissen und distanziert sich offen                                         Heiß wird zum Kreisschulinspektor
        des BLV in Augsburg umreißt der       von einem Schulverständnis, das                                           in München berufen. Aus diesem
        1. Vorsitzende Karl Heiß die Grund-   konfessionell oder weltanschaulich                                        Grunde gibt er sein Amt ab. Auf
        linien des Verbandsverständnisses:    geleitet ist.                                                             der Hauptversammlung des BLV
        „Die Pädagogen sollten sich weder                                                                               im August 1875 in Kaiserslautern
        konfessionell noch nach Ständen       Da das Volksschulwesen bislang                                            wird der Geisenfelder Lehrer Max
        von einander absperren. Hätte         nicht in Form eines Gesetzes,                                             Koppenstätter offiziell zum neuen
        man auf gewisser Seite dies be-       sondern nur durch Verordnungen                                            1. Vorsitzenden gewählt.
        achtet, so hätte der Schulstreit      geregelt war, wird von der Staats-
        nicht mit solcher Erbitterung und     regierung im Landtag ein Schul­                                           Der Bayerische Lehrerverein grün-
        von ihr mit solcher Unkenntnis der    gesetz eingebracht, das wesentliche                                       det die Kinder- und Jugendzeit-
        Errungenschaften der neueren          Teile der Denkschrift des BLV aus                                         schrift „Jugendlust“, „... um dem
        wissenschaftlichen Pädagogik ge-      dem Jahr 1863 übernimmt. Zent-                                            Verlangen der Jugend nach einer
        führt werden können.“ Hintergrund     ral sind hierbei eine Stärkung des                                        guten Lektüre Rechung zu tragen.“
        ist ein kulturkampfähnlicher Streit   Staates gegenüber der Kirche                                              Heute erscheint die Kinder- und
        um die Frage der Rolle der Kirche     durch Überwindung der geistlichen                                         Jugendzeitschrift bundesweit un-
        und des Staates in der Schule. Er     Schulaufsicht und die Überwindung                                         ter dem Namen „Floh“ und „Floh-
        wird mit massiven Anfeindungen        der konfessionellen Trennung. Das                                         kiste“. In Bayern ist sie bis heute
        und Verleumdungen von Vertretern      Gesetz trifft auf massiven Wider-                                         eine der wichtigsten pädagogi-
        der evangelischen und der katho-      stand der Kirchen, die auch die                                           schen Kinderzeitschriften.
        lischen Kirche gegen den BLV          Bevölkerung mobilisieren und wird
        geführt. Der BLV orientiert sich      1869 im Landtag von der kirchlich-                                        Der Bayerische Lehrerverein hat
        an wissenschaftlichen Erkennt-        konservativen Mehrheit abgelehnt.                                         7 172 Mitglieder.




        1867 	 eichstagswahlen in
              R                               1869 	 ründung der klerikal-kon-
                                                    G                               1870 	 ayern kämpft an der Seite
                                                                                          B                             1875	
                                                                                                                             Einführung der Zivilehe im
              Preußen                               servativen Zentrumspartei             Preußens gegen Frankreich          deutschen Reich
        1868	
             Einführung eines neuen           	August Bebel und Wilhelm            1871 	 roklamation des Deutschen
                                                                                          P                             1877	  ie Serienproduktion von
                                                                                                                              D
             Heimatrechts und der               Liebknecht gründen die                    Kaiserreichs                        Gartenzwergen wird aufge-
             Gewerbefreiheit in Bayern.         Sozialdemokratische Arbei-                Bayern verliert Autonomie           nommen
                                                terpartei (SDAP)                    1873 	Schulsprengelverordnung


// 42
1878
                                                                    Auf der 7. Hauptversammlung des
                                                                    BLV in Passau wird eine Öffnung
                                                                    des Verbandes für andere Lehrer-
                                                                    gruppen, Frauen und Interessierte
                                                                    beschlossen. Im Antrag heißt es:
                                                                    „Die Aufnahme in den Verein er-
                                                                    halten sämtliche Mitglieder des
                                                                    Schullehrerstandes, gleichviel ob
                                                                    sie ständige, unständige oder in       1883
                                                                    Ruhestand versetzte Lehrer oder        Die Verordnung zur Einrichtung
                                                                    Lehrerinnen sind. Auch Lehrer und      der Volksschulen tritt in Kraft.
                                                                    Lehrerinnen an höheren, sowie an       Die konfessionell getrennten Be-
                                                                    Privatbildungsanstalten, Geistliche,   kenntnisschulen werden erneut als
                                                                    sodann gebildete Per-sonen aus         Regelschule festgeschrieben. Da-
                                                                    anderen Ständen und beiderlei          mit scheitern die Bestrebungen des
                                                                    Geschlechtes können als Mitglie-       BLV, eine konfessionsunabhängige
                                                                    der beitreten“                         Simultanschule durchzusetzen.




1878	
     Sozialistengesetze verbie-     1883	
                                         Auswanderungswelle         1884 	 ründung deutscher
                                                                          G                                1887	 Würzburg wird das erste
                                                                                                                In
     ten sozialistische Organisa-        erreicht ihren Höhepunkt         Kolonien Süd-West-Afrika              Telefonnetz eingerichtet
     tionen                              (464 000 Personen)               (heute Namibia)                  1888	
                                                                                                                Wilhelm II wird deutscher
	Abschaffung der Kinder­           	Krankenversicherung wird      1886 	 ntmündigung und Tod
                                                                          E                                     Kaiser
  arbeit                              per Gesetz zur Pflichtver­          Ludwigs II
                                      sicherung                           Prinzregent Luitpold wird
                                                                          König

                                                                                                                                                43 //
1889
        Der 1. Vorsitzende Max Koppen-
        stätter stirbt am 24. Mai 1889.
        Johann Baptist Schubert wird auf
        der 11. Hauptversammlung des
        BLV in Landshut im Jahr 1890 als
        Vorsitzender gewählt.

        Schubert ist ein überzeugter Ver-
        fechter der Trennung von Staat                                                                  1896
        und Kirche ebenso wie von Schu-                                                                 Die allgemeine Unterstützungs-
        le und Kirche und von Pädagogik                                                                 kasse wird gegründet. Sie soll in
        und Theologie. Es gelingt ihm trotz                                                             besonderen Notfällen Familien
        zahlreicher Trennungsversuche von                                                               helfen, wenn durch lange Krank-
        konfessioneller Seite den Bayeri-                                                               heit oder Tod des Ernährers oder
        schen Lehrerverein geschlossen zu                                                               durch Krankheit der Lehrerwitwe
        halten und ihn als überkonfessio-                                                               die Familien in Not gerieten. Die
        nellen Lehrerverein für Katholiken,                                                             Unterstützungskasse hilft auch
        Protestanten und „Kollegen israeli-                                                             erwerbsbeschränkten und erwerbs-
        tischen Glaubens“ zu bewahren.                                                                  unfähigen Lehrerwaisen.




        1890	 Rücktritt Bismarcks             1893	
                                                   Sozialdemokraten und    1895	
                                                                                Georg Kerschensteiner   1896	
                                                                                                             Gründung des Satireblattes
        	Sozialistengesetz wird                   Bauernbund werden            wird Stadtschulrat           Simplicissimus in München
          aufgehoben                               zum ersten Mal in den   	Gründung des Bayerischen   	Erste olympische Spiele
                                                   Landtag gewählt           Bauernverbandes              der Neuzeit in Athen
        1891	 Verbot der Sonntagsarbeit
                                              1894	
                                                   Bauernrevolte in der
                                                   Oberpfalz


// 44
1905
                                                                              Auf seiner Hauptversammlung in
                                                                              Bayreuth widmet sich der BLV
                                                                              intensiv der Frage der staatlichen
                                                                              Fachaufsicht und wendet sich er-
                                                                              neut gegen den Einfluss der Kirche
1900                                                                          auf die Schule. Des Weiteren for-
Der BLV-Hauptausschuss gründet                                                dert der BLV das Verbot des niede-
am 15.11.1900 das „Institut des                                               ren Kirchendienstes für Lehrer. In
Rechtsschutzes“ auch Rechts-          1902                                    der Folge kommt es erneut zu ei-
schutzkommission genannt. Damit       Der Bayerische Lehrerverein richtet     ner scharfen Kampagne der Ultra­
steht allen BLV-Mitgliedern kosten-   einen Haftpflichtschutz für Mitglie-    montanen und der katholischen
freier Rechtsschutz zu. Arbeitsbe-    der des BLV ein, der die Mitglieder     Kirche gegen den BLV.
ginn ist der 1. Januar 1901. Dies     gegen ungerechtfertigte Forderun-
ist die Grundlegung der aktuellen     gen bei vorgeblicher Haftung vertritt   Der Bayerische Lehrerverein rich-
Rechtsabteilung des BLLV, die heute   und bei erwiesener Schuld eine an-      tet einen „Mobiliar-Feuerversiche-
ein zentraler Aufgabenbereich des     gemessene Entschädigung leistet.        rungs-Verein“ (Feuerschutzverein)
BLLV ist. Der BLLV ist heute der                                              für bayerische Lehrer ein. Er wird
einzige Lehrerverband in Bayern mit   Der Bayerische Lehrerverein hat         im Jahr 1909 durch eine Einbruch-
hauptamtlichen Juristen.              12 863 Mitglieder.                      diebstahlversicherung ergänzt.




1900	  as Bürgerliche Gesetz-
      D                               1903 	n Bayern werden Frauen
                                            I                                 1905	
                                                                                   Ludwig Thoma veröffentlich
      buch (BGB) tritt in Kraft             zum Hochschulstudium                   die Lausbubengeschichten
                                            zugelassen                        1906	
                                                                                   Neues Gesetz erlaubt
	      Pariser Weltausstellung
                                      	Verbindliche Einführung                    direkte Wahl der Landtags-
	Volkszählung zählt                    von Rechtschreibregeln                     abgeordneten
  56 345 014 Deutsche,
  davon 6 176 057 Bayern                                                      	Gründung der Volks-
                                                                                hochschule durch Georg
                                                                                Kerschensteiner
                                                                                                                   45 //
1908
        In München gründen am 9. Mai           Im Zusammenhang mit der Dis­
        1908 Mitglieder des Verbandes          kussion um ein neues Beamten­
        Paedagogia die Arbeitsgemein-          gesetz wird auch die deutliche          1909                                   1910
        schaft Bayerischer Junglehrer (ABJ).   Verbesserung der Lehrergehälter         Der Hauptausschuss des BLV             Der Münchner Lehrerverein grün-
        Grund ist das gemeinsame Ziel, die     diskutiert. Es kommt zu einer           beschließt den Kauf von Schloss        det in enger Absprache mit dem
        materielle Notlage der Junglehrer      kontro­ ersen Auseinandersetzung
                                                      v                                Fürstenstein in Berchtesgaden. In      BLV am 10. März 1910 das Päda-
        zu überwinden. Am 16. Mai bereits      innerhalb des BLV zur Höhe der          den folgenden Jahren wird es um-       gogisch-Psychologische Institut.
        werden die Anliegen der Vorstand-      Gehaltsforderungen, zur Frage der       gebaut zu einem Lehrererholungs-       Spiritus Rector und Leiter ist der
        schaft des BLV vorgetragen. Über       unterschiedlichen Gehälter für Stadt-   heim. Da in dieser Zeit für Lehrer     prominente Pädagoge Privatdozent
        die materielle Besserstellung hin-     und Landlehrer und zur politischen      kaum Möglichkeiten einer Sommer-       Dr. Alois Fischer. Die Eröffnung
        aus definiert die ABJ als Ziel, „die   Strategie. Auf einer Versammlung        frische bestehen, wird das Schloss     des Instituts findet am 20. Okto-
        grundlegende Beschäftigung mit         in München, an der 4 000 Lehrer         in den Alpen zu einem beliebten        ber 1911 statt. Das Institut dient
        moderner Pädagogik, Schulpolitik       teilnehmen, wird die zukünftige         Urlaubsziel. In und unmittelbar nach   der fachlichen Professionalisierung
        und Volkswirtschaft“.                  Marschroute festgelegt, die zur Ge-     der Kriegszeit dient es auch Mit-      und Qualifizierung der Lehrer-
        Ab 1. Januar 1911 erscheint die        haltsdenkschrift des BLV im Jahr        gliedern, die als Soldaten im Krieg    schaft. 1997 wurde es in die Aka-
        „Deutsche Junglehrerzeitung“.          1909 führt.                             waren, als Erholungsheim.              demie des BLLV übergeführt.




        1908	 n Bayern existieren
              I                                1909	  ine in München vorge­
                                                     E                                 	 Mehrheit der Arbeiter-
                                                                                         Die                                  1910 	 reisinnige und Demo-
                                                                                                                                    F
              80 000 Fernsprech-                     legte Untersuchung von              familien ist unterernährt.                 kraten vereinigen sich zur
              anschlüsse                             Arbeiterfamilien erschüttert      	 den Landtagswahlen
                                                                                         Bei                                        Fortschrittlichen Volkspartei
        	 dem neuen Gemeinde-
          Mit                                        die Öffentlichkeit: Von dem         bleibt Zentrum die stärkste          1911	 Preußen führt man die
                                                                                                                                   In
          wahlrecht wird in Bayern                   Verdienst eines gelernten           Partei in Bayern                          Unterrichtsstunde mit 45
          die Verhältniswahl (Wahl­                  Arbeiters kann nur eine                                                       Minuten ein
          listen) eingeführt.                        Familie von bis zu drei
                                                     Kinder leben.
// 46
Aufbrechen - Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des BLLV
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Aufbrechen - Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des BLLV
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Aufbrechen - Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des BLLV

  • 1. Festschrift anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des BLLV
  • 2. Impressum Herausgeber: Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) Bavariaring 37 80336 München Redaktion: Dieter Reithmeier Text Geschichte des BLLV: Dieter Reithmeier Grafik: creativ3 werbeagentur gmbh Fotos: BLLV, Studio Roeder Druck: OrtmannTe@m Ainring 2. erweiterte Auflage
  • 3. Festschrift anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des BLLV Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband
  • 4.
  • 5. Inhalt Klaus Wenzel Aufbrechen – 150 Jahre für Bildung als Menschenrecht // 6 Dr. h. c. Albin Dannhäuser Umbruch der Gesellschaft – Aufbruch als moderner Gesamtverband // 10 Dr. h. c. Wilhelm Ebert Aufbruch zur Demokratie – der Wiederaufbau des BLLV nach 1945 // 12 Dr. Ludwig Spaenle // 14 Geschichte und Verantwortung Karl Heiß Aufruf zur Gründung eines „Bayerischen Lehrervereins“ // 24 Die Gründungsversammlung im historischen Reichssaal zu Regensburg // 26 Eröffnungsrede des Achdorfer Volksschullehrers Karl Heiß // 32 Aufbruch – Widerstand – Stärke Die Geschichte des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes // 38 Max Liedtke Die Bedeutung des BLLV in der Bayerischen Bildungsgeschichte // 72
  • 6. Aufbrechen 150 Jahre für Bildung als Menschenrecht Als sich am 27. Dezember 1861 annähernd 200 Lehrer anschickten, in Regensburg den Bayerischen Lehrerverein zu gründen, lagen schon 40 Jahre des Kampfes für eine ge- meinsame Selbsthilfeorganisation hinter ihnen. Einige der Gründungsmitglieder erinnerten sich noch daran, dass schon 1823 in Nürnberg Johann Konrad Grißhammer einen ersten Versuch unternommen hatte, einen überkonfessionellen „Allgemeinen Lehrerverein für Baiern“ aus der Taufe zu heben, der aber zehn Jahre später wieder verboten wurde. Andere der 1861 in Regensburg Anwesenden waren selbst dabei gewesen, als 1848 in Schwa- bach in den kurzen Jahren des freiheitlichen Aufbruchs, der als Vormärz bezeichnet wird, erneut ein Anlauf zu einer Vereinsgründung genommen wurde. 180 Lehrer beauftragten auf dieser Versammlung den Nürnberger Lehrerverein, einen „Zentral-Volksschullehrer- verein“ zu gründen, der die bereits existierenden 35 Ortsvereine von Lehrern in Bayern zusammenführen sollte. Bereits 1849 aber gab es obrigkeitliche Androhungen von Dienstentlassungen. Später wurden tatsächlich Entlassungen von Lehrervereinsmit- gliedern ausgesprochen, lokale Mitgliedsvereine verboten und Gefängnisstrafen verhängt. Weil der Zentral-Volksschullehrerverein sich auf seiner Versammlung am 22. Juni 1850 u. a. mit dem Verhältnis von Staat, Kirche und Schule auseinandersetzen wollte, wurde er am 4. Juni 1850 kurzerhand als politischer Verein klassifiziert und aufgelöst. Die Zeichen standen auf Restauration, denn es war „politischen Vereinen und solchen, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen“ verboten, „sich mit anderen solchen Vereinen zu einem gegliederten Ganzen zu vereinen“. Die Gründung 1861 nun war die Stunde gekommen – die Stunde zu einem neuen AUFBRUCH. Zwei Verbote lagen zurück, aber die Idee der Bildung und des Zusammenhalts aller Lehrer war stärker. Dem ambitionierten niederbayerischen Volksschullehrer Karl Heiß ist dieser neue Aufbruch zu verdanken. Dazu gehörte nicht nur besonderer Mut, sondern auch eine tragfähige, ausgereifte pädagogische und professionelle Vision. Im Rückblick wirkt es wie klug vorbereitet: Heiß hatte im Jahr 1860, als der Herausgeber und Chefredakteur der „Bayerischen Schulzeitung“ Michael Oechsner Publikationsverbot erhielt, die Redaktion der Zeitschrift, die in keinem Lehrerhaushalt fehlte, übernommen. Dort veröffentlichte er im August 1861 den Gründungsaufruf. Dass er auf der Regensburger Gründungsver- sammlung dann zum 1. Vorsitzenden gewählt wurde, war folgerichtig. // 6
  • 7. Die Vorbereitungszeit von 1860 bis 1861 ist auch im historischen Rückblick mit ganzen 20 Monaten sehr kurz. Das heißt, die Zeit war reif. Es gab bereits zahlreiche örtliche Zusammenschlüsse, die sich nach einem überregionalen Zusammenschluss sehnten. Sie waren die Ansprechpartner von Heiß. Diese Ortsvereine waren gut organisiert und entsandten ihre in Mitgliederversammlungen gewählten Bevollmächtigten im Dezember 1861nach Regensburg. Der Erfolg der dritten Gründung war durchschlagend. Innerhalb von nur zehn Jahren war die Mitgliederzahl bereits auf über 5 000 angewachsen. Die Vision Wenn wir heute zurückblicken, dann stellt sich die Frage, was den Kern dieser Organisation ausmacht, die heute mit über 55 000 Mitgliedern aus allen Schularten und zahlreichen Lehr- amtsstudenten und Pensionisten so großen Zuspruch findet. Hierzu empfiehlt es sich, die Antrittsrede von Karl Heiß zu lesen, die aus diesem Grunde in dieser Festschrift abgedruckt ist. Mit der damals dringend notwendigen Vorsicht und Zurückhaltung – die Versammlung wurde genau beobachtet und ein erneutes Verbot musste dringend verhindert werden – sind wichtige Teile des Selbstverständnisses des BLLV bereits angesprochen. Bildung ist nicht teilbar. Die Bildung aller jungen Menschen sollte die zentrale Aufgabe der Lehrerschaft und des BLLV sein: „Wir glauben ganz sicher, dass die Erziehung und Veredlung des Menschen eine gemeinsame Sache und unter allen Bestrebungen des menschlichen Geistes den ersten Rang einnehmen werde“, sagte Heiß. Der Vorrang der Bildung aller jungen Menschen ohne soziale Differenzierung und Ausgrenzung ist unser Bestreben bis heute. Wenn eine Schule oder ein Schulsystem Kinder sozial ausgrenzt, stehen wir dagegen auf. In diesem Sinne muss Bildung die Gesellschaft zusammenführen und zu gegenseitigem Respekt und Anerkennung bereits unter den Kindern führen. Die Lehrerschaft hat eine gemeinsame Aufgabe über Konfessionen und Schularten hin- weg. Heiß umschreibt dies noch ganz vorsichtig: „Als eine bedauernswerte Erscheinung muss auch angesehen werden, dass zwischen uns und dem Stande, welcher doch in Bezug auf seinen Beruf uns so nahe steht, im Allgemeinen wenigstens eine große Kluft besteht, wie sie wohl in keinem andern Lande vorkommen dürfte.“ Das Miteinander aller Pädagogen und Lehrer wünscht er sich ausdrücklich, auch wenn dies zu seiner Zeit noch sehr vermessen klang. 7 //
  • 8. Heiß lädt alle ein – auch die Lehrer an Gymnasien und an den Oberrealschulen – die Visi- on der Bildung als ein zentrales Menschenrecht gemeinsam Wirklichkeit werden zu lassen und zwar einer ganzheitlichen Bildung, nicht nur der wissenschaftlichen. Zu diesem Mitei- nander gehörte damals auch, dass der BLLV von der Stunde seiner Gründung an alle Kollegen in seinen Reihen aufnahm, unabhängig davon ob sie evangelisch, katholisch oder „israelitisch“ waren – ein Fakt, der über Jahrzehnte zu den heftigsten Anfeindungen führte. Der Glaube an ein gemeinsames Professions- und Berufsverständnis aller Lehrer prägt heute mehr denn je die Arbeit des BLLV, denn angesichts der radikalen gesellschaft- lichen Veränderungen, mit denen wir konfrontiert sind, sind unterschiedliche Professions- verständnisse anachronistisch und überholt. Lehrer sind die Experten in der Schule. Ihnen gebührt deshalb Respekt und Anerken- nung. Der BLLV glaubt an die Würde und die Kompetenz der Praxis. Lehrer stehen in einer besonderen Verantwortung. Dazu gehört auch, dass sie in vielen Fragen der Schul- gestaltung und der Schulentwicklung selbst entscheiden können müssen. Von Anfang an war das Thema der Eigenverantwortung und der Mitgestaltung ein zentrales Thema des BLLV. Karl Heiß prangert einen Missstand an, der auch heute noch zu beobachten ist: „Man möchte wohl sagen, dass sich zu viele um die Schule bekümmern; denn fast alles glaubt sich berufen, der Schule und dem Lehrer zu diktieren und jeder will die Schule nach seiner Facon haben.“ Konkret fordert er dann: „Freilich ist notwendig, dass die Volksschule einige Selbstständigkeit erhalte, dass besonders die Lehrorgane in der Ausübung ihres Amtes gleich andern Ständen gesetzlich geschützt werden“. Darüber hinaus fordert er eine bessere Ausbildung, und von den Kollegen selbst kontinuierliche Fortbildung, hohes Verantwortungsbewusstsein und ein durchaus selbstkritisches Professionsverständnis. Der Auftrag Der BLLV definiert sich aus der Vision einer Bildung für alle und eines gemeinsamen Professionsverständnisses aller Lehrer. Die Geschichte des BLLV zeigt, dass dieses Ziel zeitlos ist. Es muss immer wieder bewusst gemacht, aber auch immer wieder neu defi- niert, mit konkretem Inhalt gefüllt und erkämpft werden. // 8
  • 9. Der BLLV hat mit Ausnahme seiner dunklen Geschichte im Nazideutschland immer seine Unabhängigkeit gewahrt – von gesellschaftlichen Interessengruppen, von den Kirchen und von den Regierungen. Unabhängigkeit darf nicht Überheblichkeit heißen, sondern erfordert Dialogbereitschaft mit allen und konstruktive Teilnahme am öffentlichen Diskurs über Schule und Bildung. Wir werben bei Politikern, Eltern, in der Öffentlichkeit und auch in den eigenen Reihen für unsere Überzeugungen und für unsere Vision. Und wir hoffen, möglichst viele Menschen und Entscheidungsträger in unserer Gesellschaft dafür zu be- geistern und sich mit uns dafür einzusetzen. Karl Heiß und seine Mitstreiter haben Geschichte geschrieben, die bis heute ausstrahlt. Ge- nerationen von Lehrern und Lehrerinnen in Bayern war der BLLV berufspolitische, berufs- wissenschaftliche und kollegiale Heimat. Karl Heiß und seine Mitstreiter haben uns im BLLV ein großes Erbe hinterlassen: unabhängig und selbstkritisch unsere Aufgabe als eine der wichtigsten Berufsgruppen in unserer Gesellschaft zu erfüllen und dabei nicht aus dem Auge zu verlieren, dass wir für die Zukunft der Gesellschaft eine große Verantwortung tragen. Im Jahr der 150-Jahr-Feiern des BLLV wollen wir uns stolz an die faszinierende Geschich- te des BLLV erinnern und mutig die großen Herausforderungen der Zukunft annehmen. Klaus Wenzel Präsident des BLLV seit 2007 9 //
  • 10. Umbruch der Gesellschaft – Aufbruch als moderner Gesamtverband Die Vision des BLLV von einem demokratischen, leistungsfähigen und sozial gerechten Bildungswesen gewann in den letzten drei Jahrzehnten eine neue Dimension. Sie war und ist vor allem herausgefordert durch einen epochalen gesellschaftlichen Umbruch, durch die digitale Informationsexplosion und den globalen Wettbewerb. Allerdings sahen wir uns konfrontiert mit übermächtigen Kräften der strukturellen Restauration, mit rück- läufigen Bildungsfinanzen und mit der Bedrohung der Professionalität und des Status der Lehrerinnen und Lehrer. Deshalb leistete der BLLV durch neue Wirkungsformen offensive Aufklärungs­ rbeit und a erhöhte den öffentlichen Druck, z. B. durch kritische bildungspolitische Foren, durch die Mobilisierung der Kollegen und Kolleginnen, der BLLV-Kreis- und Bezirksverbände und der Eltern durch bisher nie erreichte Massen­ etitionen mit über 100 000 Unterschriften, p durch machtvolle Großdemonstrationen mit bis zu 15 000 Teilnehmern, durch die Grün- dung des breiten Bildungsbündnisses Forum Bildungspolitik in Bayern. Damit gelang es, die Blockade in der Bildungsfinanzierung wenigstens aufzubrechen – wenngleich Bayern im internationalen Vergleich zu den PISA-Spitzenländern immer noch weit zurückliegt. Nicht gelungen ist dagegen ein innovativer Schub in der Schulpolitik, wie er sich nach der wiedergewonnenen Einheit Deutschlands durch die Neugestaltung des Schulwesens in den neuen Bundesländern aufgedrängt hätte. Im Gegenteil: In Bayern wurde die Restau- ration der Schulstrukturen verschärft. Deshalb sah sich der BLLV zu einem Schulvolks­­ begehren gezwungen. Dieses verfehlte zwar die erforderliche Mehrheit, aber die pädago­ i­ g schen und schulpolitischen Warnungen des BLLV wurden zwischenzeitlich in fataler Weise bestätigt. Darüber hinaus hat der BLLV als unabhängige und selbstbewusste Bildungs­ organisation an Überzeugungskraft gewonnen, mit der er seine Vision eines sozial gerech- ten und regional stimmigen Schulwesens weiter vorantreiben kann. // 10
  • 11. Um die Zukunftsfähigkeit des BLLV zu sichern, öffnete er sich als Gesamtverband für alle Lehrämter und Erziehergruppen. Er entwickelte ein modernes Erscheinungsbild, ein professionelles Management und neue Dienstleistungssegmente für seine Mitglieder: Er pflegt zeitgerechte, interaktive Formen der digitalen Information und Kommunikation. Er verstärkte Beratung und Rechtsschutz, gründete eine eigene Fortbildungsakademie – auch zur Schulung seines Verbandsnachwuchses. Er unterhält ein exklusives Institut für Gesundheit in pädagogischen Berufen und verfügt über einen leistungsfähigen Wirt- schafts- und Reisedienst. Seiner besonderen sozialen Verantwortung wird er durch ein international tätiges Kinderhilfswerk gerecht. Mit berechtigtem Stolz darf ich feststellen: Als mitgliederstärkste Bildungs- und Berufs­ organisation überzeugt der BLLV durch Kompetenz, Unabhängigkeit und Solidarität. Es ist mir eine Ehre, dass auch ich dazu beitragen durfte. Dr. h. c. Albin Dannhäuser Ehrenpräsident Präsident des BLLV von 1984 bis 2007 11 //
  • 12. Aufbruch zur Demokratie – der wiederaufbau des BLLV nach 1945 Meiner Generation war es aufgetragen, nach dem 2. Weltkrieg den Weg aus der Dik- tatur des Dritten Reiches in die neue Demokratie und die Öffnung zu den Ländern der „freien Welt“ zu bahnen. Die Kämpfe um die Lösung schulpolitischer Nöte ließen Alt und Jung zusammenwach- sen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war die Eingliederung der Flüchtlings- und heimatvertriebenen Lehrer und Lehrerinnen eine wichtige kollegiale Herausforderung. Hilfreich für den BLLV waren anfänglich die Forderungen der Erziehungsabteilung der amerikanischen Besatzungsmacht, die unseren eigenen entsprachen. Jedoch blieb die Schulpolitik der 50er bis zum Ende der 60er Jahre geprägt vom Kampf zwischen eman- zipatorischen und politisch beharrenden Kräften. Die Trennung der Schüler und Lehrer nach Konfessionen wurde neu etabliert und verfestigt. 1954 gelang es mir, mit der außerparlamentarischen Kraft des BLLV, dass eine bay- erische Regierung gebildet wurde auf der Grundlage unserer bildungspolitischen For- derungen. In den Jahren dieser Viererkoalition (ohne CSU) von 1954-1957 veränderte sich das Verständnis für eine zukunftsorientierte Schule in den Parteien und relevan- ten Gruppen der Öffentlichkeit. Unser Verband wurde zu einem anerkannten und nicht (mehr) zu vernachlässigenden bildungspolitischen Faktor. Unter Einsatz seiner berufswissenschaftlichen Autorität und seines gewachsenen bil- dungspolitischen Gewichts kämpfte der BLLV um die akademische Bildung von Volks- schullehrern und -lehrerinnen. In einem historischen Durchbruch wurde vom Landtag 1958 einstimmig ein Lehrerbildungsgesetz verabschiedet, mit dem ein Jahrhundert ständischer Diskriminierung endete. Nach zehn Jahren weiteren Ringens wurde 1968 mit einem wesentlich vom BLLV ini- tiierten Text über einen Volksentscheid die Bayerische Verfassung geändert. Der BLLV erreichte damit die Abschaffung der strikt nach Konfessionen getrennten staatlichen Bekenntnisschulen zu Gunsten einer für alle Schüler und Lehrer gemeinsamen „Christ- lichen Schule“. // 12
  • 13. Um den gesellschaftlichen Status des BLLV zu erhalten und zu steigern, hatte ich 1959 eine Professionalisierung der BLLV-Führungsstruktur mit hauptamtlichen Mitarbeitern initiiert. Meine Nachfolger haben jeder auf seine Weise die Bedeutung des BLLV als Bildungsverband, der die historisch überholte Aufteilung in schulartspezifische Interes- sen überwunden hat, gestärkt und ausgebaut. Die weitere Zunahme an Mitgliedern und öffentlicher Bedeutung des BLLV erfüllt mich mit großer Zufriedenheit. Stolz bin ich auch, dass der BLLV entgegen mancher politischer Versuchungen und interner Bestrebungen seinen Grundprinzipien treu geblieben ist, allen voran seiner Unabhängigkeit von Parteien, Kirchen und bildungsfremden Einflüssen. Vor 50 Jahren hatte ich das Privileg, als Erster Vorsitzender im Regensburger Reichssaal die 100-Jahr-Feier des BLLV mitzugestalten. In dankbarer Freude auch die 150-Jahr- Feier noch zu erleben, gratuliere ich zu diesem Jubiläum und wünsche dem BLLV weiterhin reichen Erfolg. Dr. h. c. Wilhelm Ebert Ehrenpräsident Präsident des BLLV von 1955 bis 1962 und von 1967 bis 1984 13 //
  • 14. Geschichte und Verantwortung zum Jubiläum des BLLV Dr. Ludwig Spaenle 150 Jahre Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband – dieses Jubiläum bezeich- net einen Zeitraum, der zwei Jahrhundertwenden überspannt. Ich freue mich, dieses besondere Jubiläum im Kontext der reichen Zeit-, Bildungs- und Verbandsgeschichte des BLLV zu würdigen, was mir als Historiker nahe und besonders am Herzen liegt. Geschichte ist nichts Abgelegtes unter Staub und Spinnweben im Antiquitätenladen fernab unserer heutigen Verhältnisse. Geschichte ist mit dem niederländischen Historiker Johan Huizinga die Rechenschaftsablage von uns Gegenwärtigen über die Bedingungen des Gewordenen – und zwar in einem durchaus grundsätzlich wertenden Sinn. Es geht um Verantwortung, um Einsichten aus der Vergangenheit für eine humane Zukunft. Ursprünge des BLLV Wenn der BLLV seines 150-jährigen Bestehens und damit auch seiner Anfänge zu Be- ginn der 60er Jahre des vorletzten Jahrhunderts gedenkt, dann richten sich die Blicke über einen langen Zeitraum zurück. Wir fokussieren eine Welt, die zunächst von unserer heutigen ganz verschieden anmutet, die aber zugleich durch erstaunliche Analogien ge- kennzeichnet ist: •• um einen haben wir es mit einer Welt grundlegender technisch-ökonomischer Z Umstellungen zu tun. Das Stichwort „Industrielle Revolution“ bezeichnet durchaus zutreffend das damalige Aufbrechen bisheriger agrarisch-ständischer Verhältnisse. •• inzu kommt die Veränderung der politischen Umstände: Die Anfänge des BLLV – H damals noch BLV, Bayerischer Lehrerverein – fallen in eine Zeit vielfacher Gründun- gen von Verbänden, aber auch von Vereinen und Gesellschaften, ob Turner, Feu- erwehren oder Sänger. Auch und gerade im monarchischen und alles andere als bereits demokratischen Staat entwickelt sich so etwas wie eine Bürgergesellschaft. // 14
  • 15. •• ugleich geht es um die Legitimation des Staates selbst: Es wird nicht nur um Z Verfassungsordnungen, um Wahlrecht und Partizipation gerungen, es entstehen zudem Fraktionen und Parteien. •• s geht auch um die Frage der Rückbindung, manche würden auch sagen Abhängig- E keit, von Staat und Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu religiösen Überzeugungen und religiösen Bekenntnissen. Einer liberalen, sich als aufgeklärt verstehenden Grundrich- tung steht eine nach dem Zeitalter der Französischen Revolution durchaus erstarkte, sehr unmittelbare Volksfrömmigkeit gegenüber, wie sie der lange in München lehrende Historiker Franz Schnabel in seiner Deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts anschaulich darstellte. Die Reichsgründung von 1871 ist sozusagen der deutlichs- te Ausdruck dieses Spannungsverhältnisses – im Übrigen aber keineswegs nur auf deutschem Boden, sondern als damalige Tendenz in großen Teilen Europas, in Italien etwa in der Auseinandersetzung zwischen dem neuen italienischen Nationalstaat und dem Heiligen Stuhl. Besonders militant begegnet er uns in Frankreich, wo sich dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts der laizistische Staat mit voller Vehemenz durchsetzt, die Trennung von Staat und Kirche in rigider Weise kodifiziert. Und auch hier spie- len Schule und Lehrer eine besondere Rolle: Die dritte französische Republik wertet nach der Niederlage von 1871 gegen Preußen-Deutschland sehr bewusst die Rolle von Schule und Lehrer auf, in Lehrerbildung, -besoldung und Identität des pädago- gischen Berufes, um die Modernisierung der eigenen Gesellschaft wie insbesondere ihre Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu befördern. Der Kampf um die Befreiung des Schulwesens und zumal der Lehrerschaft von Bevor- mundung und um ihre berufliche wie intellektuelle Aufwertung ist somit, bei unterschied- lichen Schwerpunkten wie Anlässen, damals geradezu ein europäischer Kampf. 15 //
  • 16. Die Gründung des BLV fällt also in eine Zeit vielfacher Gärungen und Umbrüche. Dass der Bestand von Staat und Gesellschaft in existenzieller Weise von Bildungspolitik und Bildungswesen abhängt, wird während des 19. Jahrhunderts zum Allgemeingut – nicht nur, weil die Industrielle Revolution Kompetenzerfordernisse stellt, die es so vorher nicht gab. Es geht auch, viel elementarer, darum, von Unmündigkeit zu Mündigkeit zu gelan- gen, höhere Bildungsstandards für alle Menschen und in allen Regionen durchzusetzen und, wenn auch gewiss nicht schon in unserem heutigen ausgeformten Verständnis, auch Staatsbürger heranzubilden. Das Bayern der sechziger Jahre des vorletzten Jahrhunderts ist ja bereits seit 1818 ein Verfassungsstaat, ein Staat, der den politischen Diskurs und den politischen Wett- bewerb kennt. Und es ist ein Staat, der sich zwar anders, aber durchaus auf ähnliche Weise wie heute, selbst im Wettbewerb befindet: Fünf Jahre später, im Juli 1866, findet der letzte innerdeutsche Krieg statt: die Auseinandersetzung zwischen Preußen auf der einen und Österreich mit seinen Verbündeten, darunter Bayern, auf der anderen Seite. Es ging um die Frage, wie und mit wem eine künftige deutsche Einheit zu erreichen sei. Das Sprichwort sagt, Preußen habe den Erfolg weniger seiner militärisch wichtigsten In- novation, dem sogenannten Zündnadelgewehr, zu verdanken gehabt, sondern – gesell- schaftspolitisch – dem preußischen Volksschullehrer bzw. „Schulmeister“ in der Diktion von damals. Denn durch ihn seien die mobilisierten Wehrpflichtigen zu eigenständigem, verantwortungsbewusstem wie effizientem Handeln fähig gewesen – Kompetenzen, die heute gewiss nicht minder nachgefragt sind. Ob die Preußen damals den Österreichern in dieser Hinsicht tatsächlich deutlich voraus waren, sei dahingestellt. Das Beispiel zeigt aber jedenfalls, wie wichtig der Erfolg des Bildungswesens für den Erfolg von Staaten und Gesellschaften insgesamt ist und dass sich dafür jegliche Investition lohnt; und diese Erkenntnis ist unbestreitbar dauerhaft gültig. // 16
  • 17. Bei allen einschneidenden Wandlungen der Gesellschaft im 19. Jahrhundert: Sie war noch eine Klassengesellschaft. Der Volksschullehrer war kein Akademiker. Er war damit nicht – was damals unerhört viel zählte – „satisfaktionsfähig“, also würdig genug, um zum Duell gefordert zu werden oder selbst zu fordern. Auch diese aus heutiger Sicht Skurrilität einer militanten Männergesellschaft zeigt im übrigen, wie grundlegend sich unsere Gesellschaft geändert hat. Ausbildung und Bezahlung des sogenannten Volks- schullehrerstandes lagen damals weit zurück. Dazu wurde die kirchliche Schulaufsicht, die es bis zum Ende der Monarchie gab, als Fremdbestimmung empfunden. Die bayerischen Volksschullehrer hatten also viele gute Gründe, sich vor 150 Jahren eine neue und schlagkräftige organisatorische Plattform zu schaffen. Und wenn man damals und heute vergleicht, so schwierig das eben auch ist, so lässt sich jedenfalls bilanzieren: Eine erfolgreichere Verbandsgründung dürfte es in der neueren bayerischen Geschichte schwerlich gegeben haben! Zur Geschichte des Bildungswesens bis zur Wiedergründung des BLV 1946 Umgekehrt lässt sich heute sagen und bilanzieren: Die bayerische Geschichte insge- samt findet gerade in der Geschichte des Bildungswesens, in den Wechselfällen von Fortschritt und Emanzipation auf der einen Seite, aber auch von Niedergang und totali- tärer Zerstörung auf der anderen ihren besonders signifikanten Niederschlag. Zentrale Entwicklungen wie die Umformung des Staates, die Notwendigkeit inhaltlicher wie formaler Höherqualifizierung, die revolutionär gewandelte Rolle der Frau, die stete Weiterentwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses und schließlich die Transzendierung nationaler Grenzen durch europäische Integration wie Globalisierung: Diese beherr- schenden säkularen Trends haben das Bildungswesen geprägt und umgekehrt. Und sie haben zugleich das jeweilige Bild von Schüler und Lehrer wesentlich beeinflusst. 17 //
  • 18. Durch den nationalsozialistischen Staatsstreich vom 9. März 1933 wurde Bayern für über 12 Jahre seiner Eigenstaatlichkeit beraubt. Die Gleichschaltung der Länder bedeu- tete nicht zuletzt eine Gleichschaltung ihrer Bildungspolitiken. Deutschland war nie so zentralisiert wie in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur von 1933 bis 1945. Der nationalsozialistische Unitarismus vermittelte in seiner Bildungspolitik flächendeckend den Ungeist von Gottlosigkeit, von Antisemitismus und Rassenwahn, von Geopolitik und von Imperialismus. Reflexion und kritisches Denken, heute zentrale Bildungsziele, soll- ten möglichst unterbunden werden – Ausdruck eines auch bildungspolitischen Totalita- rismus. Und in dieses Bild gehört auch, dass es für Vielfalt, Pluralität und eigenständige Interessenwahrnehmung keinen Platz mehr geben durfte: Auch der BLV verlor seine Eigenständigkeit. Ideologisch war naturgemäß der „Natio- nalsozialistische Lehrerbund“ (NSLB) Partner, ja Bestandteil des Regimes, in dessen unmittelbarer „Gefolgschaft“, so die Sprache des sogenannten Dritten Reiches – unter der Führung des braunen Musterpädagogen, Gauleiters („Gau Bayerische Ostmark“ aus Oberfranken und der Oberpfalz) und schließlich seit März 1933 Bayerischen Kul- tusministers Hans Schemm. Der BLV wurde am 1. Juli 1934 korporativ der „Abteilung Wirtschaft und Recht“ im NSLB angefügt, sein weithin nur noch formales Eigenleben endete mit Wirkung vom 31. Dezember 1937. Die Lehrer selbst wurden Reichsbeamte, die Volksschullehrer dabei auf dem Besoldungsniveau des gehobenen Dienstes. Von einer wissenschaftlich fundierten Ausbildung blieb man weiter entfernt denn je. Ein Höhepunkt der Selbstvergötzung des Regimes war die Entfernung der Kruzifixe aus den Klassenzimmern im Jahr 1941. Viele jetzt Hochbetagte in unserem Land erinnern sich heute noch daran. Gegen keine Maßnahme des Regimes im Bildungsbereich gab es soviel Widerspruch, Resistenz, ja Widerstand wie eben gegen dieses Vorgehen. Es konnte und sollte vor allem symbolisieren: Der Mensch als Wesen mit eigener Persona- lität, mit einer Rückbindung an eine transzendente Dimension, hatte aus dem Bewusst- sein zu verschwinden. Totalitäre Allmachtsphantasien können keinen Raum für sittliche wie intellektuelle Autonomie dulden. // 18
  • 19. Umgekehrt liegt in dieser fundamentalen Erkenntnis zugleich die stete Mahnung an jede Bildungspolitik, die sich in einem sittlichen Bezugsrahmen sieht, die Würde wie die Personalität des Menschen an die erste Stelle zu setzen. Das heißt zugleich: Der Res- pekt vor dem Menschen steht vor dem Zweck, vor der Rolle und vor der Funktion. Der Mensch ist nicht Objekt, im übrigen auch nicht für ökonomische Zwecke – woran man heute in Zeiten unentwegt beschworener, manchmal wie zum Mantra erhobener Globa- lisierung sehr nachhaltig erinnern muss – sondern seine Würde und seine Individualität gehen jeder Zweckbestimmung voraus. So verbietet sich etwa, wenn Sie mir diesen auf unsere Gegenwart bezogenen Hinweis gestatten, ein Begriff wie „Humankapital“ ethisch eigentlich wie von selbst. Humanität, Rechtlichkeit und Demokratie setzen zwingend diese Einsichten voraus – auch und vor allem als dauerhaft gültige Voraus- setzungen des verfassungsmäßigen und politischen Neubeginns nach 1945. Leistungen des Verbandes seit der Wiedergründung 1946 1946 erfolgte die Wiedergründung des BLV, der im Jahre 1951 in BLLV umbenannt wurde, nachdem bereits seit 1878 auch Lehrerinnen Mitglied werden konnten. Die bayerische Geschichte in der Nachkriegszeit ist, auch und gerade im innerdeut- schen Vergleich, weit überdurchschnittlich eine Modernisierungsgeschichte. Es geht vor allem um •• ine sogenannte überholende Modernisierung. Sie machte aus einem im innerdeut- e schen Vergleich zurückliegenden Agrarland ein Land neuester Industrien auf hohem For- schungsniveau – gewissermaßen an den alten, schwerindustriellen Revieren an Rhein, Ruhr und Saar vorbei: Wenn Sie so wollen „High Tech“ statt rauchender Schlote; •• ie Entwicklung eines spezifisch bayerischen Staats- und Gesellschafts- d modells, das auf dem Zusammenhang von Modernität und Identität gründet und das viel zur gesellschaftlichen Stabilität wie Prosperität unseres Landes bis in die Gegen- wart – und hoffentlich auch in die Zukunft – beigetragen hat. 19 //
  • 20. Eine der wichtigsten Voraussetzungen waren und sind die gravierenden Innovationen, die das bayerische Bildungswesen in den bislang rund zwei Generationen Nachkriegs- geschichte unseres Landes erfuhr. Diese bayerische Bildungsgeschichte ist keine Harmoniegeschichte gewesen und sie wird es vermutlich auch in Zukunft nicht sein können. Sie präsentiert sich vielmehr in mehrfacher Hinsicht auch als demokratische Streitgeschichte. Insofern sehe ich hier aber ein positives Moment: Der lösungsorientierte Konflikt ist in der Demokratie nicht etwa ungeliebt-unvermeidlich, nein, er ist innovativ, er mobilisiert intellektuelle Potentiale und er legitimiert die Entscheidungen, die am Ende getroffen werden. Auf dieser langen Wegstrecke war der BLLV in dieser bayerischen Bildungs- wie in der bayerischen Lan- desgeschichte insgesamt ein ganz wesentlicher Akteur – und es spricht alles dafür, dass sich daran auch in der Zukunft nichts ändern wird. Eine der essentiellen Voraussetzungen war – und bleibt – seine parteipolitische Unab- hängigkeit. Das heißt zugleich gewiss nicht, dass er gerade nach seinem Selbstver- ständnis nicht in den bildungs- und gesellschaftspolitischen Konflikten der Zeit Partei ergriffen hätte und ergreift. Lassen Sie mich an einem Beispiel zeigen, dass auf sehr indirekte Weise, meine eigene Partei, die CSU, davon vermutlich sogar einmal wesentlich profitiert hat: Ausgangspunkt ist die sogenannte Viererkoalition in Bayern von 1954 bis 1957. Bei deren Gründung spielte – da sind sich die Historiker in allen Lagern einig – der dama- lige BLLV-Vorsitzende Wilhelm Ebert eine wesentliche, vielleicht entscheidende Rolle, insbesondere weil es ihm um die damals zentralen bildungspolitischen Anliegen ging, darunter an erster Stelle um die Weiterentwicklung der Lehrerbildung. Diese Koalition währte nur drei Jahre und danach gelangte eine regenerierte CSU wieder in die Regie- rungsverantwortung. Ihr erst gelang dann 1958 eine Neuregelung der Lehrerbildung mit an die Universitäten angebundenen pädagogischen Hochschulen. Im Übrigen zeigt das Beispiel auch, dass Modernisierung einen Prozess darstellt. Sie gelangt eben nie an ein definitives Ende. Der Status von 1958 ist selbstverständlich seit langem gewissermaßen aufgehobene Vergangenheit: Lehrerbildung als Teil des Universitätsprofils ist heute eine Selbstverständlichkeit. // 20
  • 21. Die zweite große Zäsur bezeichnet eine Konstellation rund ein Jahrzehnt später. Ich meine die Auseinandersetzung um Konfessionsschule wie (christliche) Gemeinschafts- schule. Auch diese Auseinandersetzung der ausgehenden sechziger Jahre steht in einer langen Kontinuität bayerischer Geschichte über die Zäsur von 1918 hinweg: So war bereits 1869/70, also acht Jahre nach Gründung des BLV, der damalige bayerische Ministerpräsident Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst an einem Schulgesetz gescheitert, das die geistliche Schulaufsicht zurückführen sollte – gegenüber einer dezidiert katho- lisch-ländlichen Majorität nach Neuwahlen, der sogenannten „Patriotenpartei“, in der Zweiten Kammer des Bayerischen Landtages. Diese sehr spezifisch bayerische Mehr- heit begegnete dem damaligen liberalistischen Fortschrittsdenken der Ministerialbüro- kratie höchst misstrauisch – in Ludwig Thomas „Filserbriefen“ findet diese Konstellation ihre erheiternde, historisch aber zugleich wohlbegründete Fortführung. Ziemlich genau ein Jahrhundert später, 1968/69, war es vor allem der Kooperation zwischen dem damaligen BLLV-Präsidenten Wilhelm Ebert und Franz-Josef Strauß zu verdanken, dass der Streit um die Bekenntnisschule nicht in einem weiteren Kultur- kampf eskalierte, der die Atmosphäre im Lande hätte vergiften können. Statt einer sehr heftigen Auseinandersetzung zwischen SPD und FDP wie BLLV auf der einen und CSU wie weitgehend der Katholischen Kirche auf der anderen Seite gelang die Durchsetzung des Modells der christlichen Gemeinschaftsschule in einer Fassung für den Volksentscheid vom 7. Juli 1968, auf die sich schließlich die tragenden politischen Kräfte im Land verständigt hatten. Es war im übrigen eine Zeit, in der auf Bundesebene in einer Großen Koalition von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger mit Vizekanzler Willy Brandt gesamtgesellschaftliche sogenannte „konzertierte Aktionen“ – also kollektive Ab- stimmungsprozesse der in Staat und Gesellschaft verantwortlichen Kräfte – vielfach und erfolgreich praktiziert wurden. 21 //
  • 22. Innovation bedarf sowohl des demokratischen Streites wie auch des demokratischen Miteinanders. Franz Josef Strauß, Wilhelm Ebert und Hans Maier, letzterer von 1970 bis 1986 Mitglied der Bayerischen Staatsregierung, bildeten für die Folgezeit ein Trio, das die Bildungs- wie die Landespolitik nicht selten streitig, aber eben auch effizient und bei allen Beteiligten engagiert prägte: Hans Maier schreibt in seinen im Frühjahr 2011 erschienenen Memoiren, dass Ebert einerseits Strauß mit Unterlagen über eine angeb- lich zu rigide, ja disziplinierende Personalpolitik des Kultusministeriums gegenüber der Lehrerschaft versorgte, was im Ministerrat mancherlei Ärger produzierte. Dagegen verbündete Maier sich dann mit der CSU-Landtagsfraktion – insgesamt be- merkenswerte und auch sehr bayerisch-saftige Bündnisstrukturen. Zugleich aber gab Ebert zu Maiers Ausscheiden aus der Staatsregierung 1986 eigens einen Empfang – gewiss, um Verbundenheit gegenüber der großen gemeinsamen Sache und, mit Noblesse, Respekt vor dem Menschen zu bekunden, bei allen Divergenzen in Sach- problemen – so soll es sein. Im BLLV folgte dann die Ära Dannhäuser von 1984 bis 2007. Ebert und Dannhäuser waren auf ihre je eigene Weise ungemein erfolgreich. Aber schon die Zeitumstände mach- ten es unvermeidlich, dass Inhalte und Vorgehensweisen sich deutlich unterschieden – Zunächst, auch noch im Schatten der Nachkriegszeit, die quantitativen Bedingungen wie Erfolge: Mehr Schüler, dafür mehr Lehrer. Seit Mitte der sechziger Jahre stand dies unter dem Primat einer sogenannten Mobilisierung von Bildungsreserven vor allem im ländlichen Raum. Hinzu kamen die Akademisierung des Lehrerberufs und seine Statusaufwertung. Hingegen die Agenda seit den neunziger Jahren: Wahrnehmung des demografischen Wandels, Migration, Relativierung nationaler Grenzen und zunehmende Internationalität als Referenzebene für Bildung und Bildungsevaluation, dazu die Revolution in Medien und Kommunikation. // 22
  • 23. Die Tugend der Verantwortungsethik Die Vergangenheit hält, zumal für unübersichtliche und schwierige Zeiten – ich nenne nur die Stichworte Migration und Globalisierung – keine Rezepte bereit, die sich schematisch anwenden ließen. Aber die Vergangenheit lehrt uns eben doch, welche Grundsätze und Verhaltensweisen unabdingbar sind, um ein Gemeinwesen verantwort- lich und human entwickeln zu können. Max Weber spricht in diesem Zusammenhang von der Tugend der „Verantwortungsethik“, also einer Haltung, die das sittlich Gebotene mit dem Machbaren vernünftig und vermit- telbar zusammenzubringen sucht, die also weder mit dem Kopf durch die Wand will noch standpunktlos-beliebig kurzfristigen und auch nur vermeintlichen Nutzen erstrebt. Verantwortungsbewusstsein gepaart mit einem besonderen Selbstbewusstsein hat den BLLV über den Zeitraum von nunmehr fünf Generationen ausgezeichnet. Ich bin sicher, dass Bayern auch künftig auf dieses Kapital zu bauen vermag. Dr. Ludwig Spaenle Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus 23 //
  • 24. Aufruf zur Gründung eines „Bayerischen Lehrervereines“ Bayerische Schulzeitung 22. August 1861 Fast in den meisten deutschen Staaten bestehen schon Lehrervereine und es lässt sich nicht leugnen, dass sie sowohl zur Kräftigung des Lehrerstandes als auch zur Hebung der Volksschule ungemein viel beitragen; es ist ihnen auch rühmend nachzusagen, dass sie frei von Parteigetriebe eifrigst bestrebt sind, das vorgesteckte Ziel zu erreichen und dabei stets das intellektuelle und moralische Gedeihen der vaterländischen Jugend im Auge zu behalten. Überall, wo solche Vereine existieren, bemerkt man ein reges und tätiges Leben unter der Lehrerwelt; man kann sich überzeugen, dass die Lehrer vom korporativen Geiste durchdrungen, ohne Ausnahme für das Interesse der Schule einstehen und wirklich Gro- ßes leisten. Es ist auch ganz natürlich, dass nur mit vereinter Kraft Großes erreicht und die einem Stande auferlegten Pflichten vollkommen erfüllt werden können. Mögen die einzelnen Glieder noch so tüchtig sein, erst durch die Vereinigung zu einem Ganzen, zu einem Körper wird es ihnen möglich, mit Heftigkeit aufzutreten und durch das harmonische Zusammenwirken das Gelingen des Werkes herbeizuführen. Andere Stände halten schon lange an dem Grundsatze „viribus unitis“ fest und mit dem besten Erfolge. Gestählt von Innen, sind sie geachtet von Außen und selbst die Regierungen berücksichtigen möglichst ihre wohl motivierten Anträge und Bitten. Wir erinnern hier nur an die Handelskammern, die Gewerbevereine, die Apotheker-Gremien, die agronomischen Vereine etc. Sollen nun wir Lehrer immer und in Ewigkeit isoliert und ohne Vertretung bleiben; wir, die wir für eine höchst wichtige, auf das Volkswohl sehr großen Einfluss ausübende Sache – für die Volkserziehung einzustehen haben; wir, die wir nur durch gehobene Achtung mit Erfolg unserm Berufe uns widmen können und wir, die wir auf Grund unserer Praxis und Erfahrung ein nicht ganz zu ignorierendes Urteil abzugeben vermöchten! – Haben wir nicht gerade in der Gegenwart so recht das Bedürfnis nach Einigung gefühlt? Sollen wir nun nicht zur Realisierung eines bereits gehegten Wunsches schreiten? // 24
  • 25. Auf denn, teure Amtsbrüder, in allen Gauen unsers lieben Vaterlandes! Zeigt Euch als Männer, die für ihr Amt begeistert sind; gründet einen „Bayerischen Lehrerverein“, der frei von jeder politischen Tendenz nur das Wohl der Schule und der vaterländischen Jugend im Auge behält. Seid gewiss, dass Euer edles Streben vom herrlichsten Erfolge gekrönt sein wird, und dass Regierung und Volk mit Vertrauen auf Euch schauen werden, die Ihr es durch die Tat beweiset, dass Euch heilig Euer Beruf und dass Ihr mit ganzer Kraft ein- stehet für Volk, Thron und Altar! Am 16. August 1861 Kollegialen Handschlag! Die Redaktion der „Bayerischen Schulzeitung“ Karl Heiß 25 //
  • 26. Die Gründungsversammlung im historischen reichssaal zu Regensburg Die Versammlung bayerischer Schullehrer behufs der Gründung eines bayerischen Volksschullehrer-Vereines in Regensburg am 27. Dezember 1861 (Auszüge) Wenn man teuere Freunde zur Ausführung eines wichtigen Werkes in die Ferne sendet, so ist man sehr gespannt auf deren Zurückkunft, und sind sie endlich wieder in der Heimat angelangt, so fallen Fragen auf Fragen und Alles möchte wissen, wie es gegangen und ob die Sache gelungen. Auch ich glaube schon die Frage so Vieler zu vernehmen: „Was ist denn in Regensburg alles geschehen?“ Nun, nur etwas Geduld, ich werde getreulich erzählen. Wenn ich mit dem Wetter beginne, so dürfen die lieben Leser nicht Wortarmut vermuten, oder glauben, ich werde wässerig, wie Knigge sagt; allein es waren eben gar so schöne Wintertage und die liebe Sonne schien so mild auf uns herab, als ob sie sich freute, dass auch wir uns einmal als Brüder begegnen wollen. Die meisten von uns kamen schon Donnerstag, den 26. Dezember, in Regensburg an. Wir wurden von den dortigen Herren Kollegen und von denen in Stadtamhof in der herzlichsten Weise empfangen und freundlich in die Gasthöfe begleitet. Abends 7 Uhr trafen wir im kleinen Neuhaussaal zu einer Vorbesprechung zusammen. Nachdem man sich gegenseitig begrüßt hatte, wobei es natürlich an freudigen Über- raschungen nicht fehlte, setzte ich in einer kurzen Anrede den Zweck der Vorberatung auseinander, bemerkte, dass zwei Statuten-Entwürfe für den bayerischen Volksschul- lehrer-Verein vorliegen und unter die Anwesenden verteilt werden, damit sie sich darüber schlüssig machen könnten, welcher von beiden bei der Hauptversammlung als Grund- lage zu dienen hätte, und hieß endlich die Versammelten herzlich willkommen. Hierauf ergriff Herr Lehrer Marschall das Wort, verbreitete sich über den von ihm angefertigten Statuten-Entwurf und legte der Versammlung an’s Herz, dem begonnenen Werke durch Eintracht die Krone aufzusetzen. Herr Lehrer Stöckl von Landsberg, der Verfasser des zweiten Statuten-Entwurfes, erklärte sodann, dass er, weil beide Entwürfe prinzipiell nicht weit von einander abweichen, den seinen zurückziehe, sich jedoch vorbehalte, bei der Hauptversammlung einige Modifikationen anzubringen. Hierauf beschloss die Ver- sammlung einstimmig, den Entwurf des Herrn Marschall als Grundlage bei der Haupt- Konferenz anzunehmen. // 26
  • 27. Nun wurde zur Feststellung der Geschäftsordnung geschritten und beschlossen: 1. ür die Hauptversammlung sind zwei Vorsitzende, zwei Schriftführer und F ein Beisitzer zu wählen. Die Wahl kann durch Akklamation geschehen. 2. n den Beratungen können sich sämtliche anwesende Lehrer beteiligen; A beschlussfähig sind aber nur die Bevollmächtigten. 3. Die Abstimmungen erfolgen durch Aufstehen und Sitzenbleiben; bei zweifelhafter Gegenprobe oder bei wichtigen Fragen durch Namensaufruf oder Stimmzettel, je nach Entscheid des Vorsitzenden. 4. arüber, welche Gegenstände zurückzustellen seien, wenn die Zeit zur Erledigung D aller nicht ausreicht, entscheidet die Versammlung; die Reihenfolge der Gegenstände aber wird vom Präsidium festgesetzt. 5. er Vorsitzende hat das Recht, einen Gegenstand zum Schluss zu bringen, wenn sich D die Mehrzahl der Stimmberechtigten dafür ausspricht. 6. er Vorsitzende erteilt das Wort nach der Reihenfolge der Anmeldungen. D 7. erselbe hat das Recht einem Redner das Wort zu entziehen, wenn er vom Gegen- D stand abschweift, Ungehöriges vorbringt, oder zu viel Zeit für sich in Anspruch nimmt. Bezüglich der Tagesordnung wurde festgesetzt: 1. Beginn der Konferenz: 9 Uhr morgens 2. röffnung der Versammlung durch einen Vortrag des Redakteurs der E Bayerischen Schulzeitung 3. Wahl des Präsidiums 4. Prüfung der Vollmachten 5. Beratung und Beschlussfassung über den Statuten-Entwurf 6. Wahl des Hauptausschusses 7. Wahl des Vereinsorganes. 8. Beratung über den Ort und die Zeit der nächsten 1. Hauptversammlung. Nachdem somit die Aufgabe der Vorversammlung erfüllt war, verkehrten die Anwesenden in gemütlicher Weise noch einige Zeit und so gegen 11 Uhr trennte man sich, um der Ruhe zu pflegen, damit man den folgenden Tag mit neuer Kraft beginnen könne. 27 //
  • 28. Noch an diesem Abende wurden Einzeichnungsbogen sowohl für die Herren Bevollmäch- tigten als auch für die übrigen Herren Teilnehmer aufgelegt, um diese Verzeichnisse durch die Güte eines Regensburger Kollegen noch in der Nacht autographiert, so dass sie schon am andern Morgen in die Hände der Versammelten gegeben werden konnten. Ein von Herrn Lehrer Stöckl in Landsberg entworfenes ausgeführtes und an diesem Abende zur Einsicht aufgelegtes Tableau erregte sowohl bezüglich dessen symbolischer Anord- nung als auch dessen herrlicher Vollendung allgemeine Bewunderung. In dasselbe werden die Namen der Herren Bevollmächtigten, als der Gründer des Vereines, aufgenommen. Das Original bleibt Vereinseigentum und in den Händen des jeweiligen 1. Vorstandes. Es wird dasselbe jedoch auch durch Farbendruck vervielfältigt und haben sich bereits schon viele der in Regensburg anwesenden Lehrer hierauf subskribiert. Es lässt sich auch nicht zweifeln, dass es bald in die Hände der zweiten Vereinsmitglieder übergeben wird, umso mehr der Preis bei großer Beteiligung sehr niedrig zu stehen kommt. // 28
  • 29. Am Haupttage (27. Dez.) versammelten wir uns präzis 9 Uhr morgens in dem alten und ehrwürdigen Rathause der Stadt Regensburg, woselbst uns durch die Güte des hoch- löblichen Stadtmagistrates der sogenannte Lottosaal zu unserer Verhandlung eingeräumt wurde. Nachdem der Kommissär, der rechtskundige Magistratsrat Herr Mahr, erschienen war, eröffnete ich die Versammlung und sprach mich in einem längern Vortrage über den Zweck und das Ziel des zu gründenden Vereines aus. Hierauf folgte die Wahl des Präsidiums. Zum 1. Vorsitzenden wurde der Berichterstatter, zum 2. Vorsitzenden Herrn Lehrer Wölfel in Nürnberg, zum 1. Schriftführer Herr Lehrer Marschall, Vertreter der Stadt Würzburg, zum 2. Schriftführer Herr Seminarlehrer Blum- berger in Freising und zum Beisitzer Herr Lehrer Sturm in Stadtamhof, sämtliche per Akklamation gewählt. Hierauf wurden die Vollmachten der Herren Bevollmächtigten durch das Präsidium geprüft und zu den Akten genommen. Ehe zur Beratung der Statuten geschritten wurde, stellte der Vorsitzende die Frage an die Anwesenden: „Soll ein bayerischer Volksschullehrer-Verein gegründet werden?“ Ein ent- schiedenes „Ja“ tönte durch den ganzen Saal. Sodann ging es an die Beratung der Statuten. Nachdem diese Beratung beendigt, schritt man zur Wahl des Hauptausschusses, welche statutengemäß auf der Hauptversammlung und zwar mittels Stimmenzettel und bei absoluter Mehrheit erfolgen muss. Nachdem der ganze Gang der Verhandlungen zu Protokoll konstatiert und dieses von den Mitgliedern des Präsidiums unterzeichnet worden war, erteilte der 1. Vorsitzende dem Rektor der Versammlung, Herrn Lehrer und Jubilarius Schultheiß in Nürnberg das Wort. Derselbe belobte die Versammlung wegen ihres parlamentarischen Taktes, äußerte seine Freude darüber, dass es ihm, dem 78-jährigen Greise, vergönnt war, an dem Werke der Eintracht und Liebe mitzubauen, sprach den heißen Wunsch aus, es möge des Himmels Segen mit dem jungen Vereine immerdar sein. Sodann wies er hin auf die Segnungen deren sich unser Vaterland unter dem Schutze einer wohlwollenden Regierung zu erfreuen hat, Segnungen, von welchen auch dem Lehrerstande ein gut Teil zufließe und schloss mit einem Hoch auf Seine Majestät unsern allergnädigsten König, Max II., in welches die ganze Versammlung mit Begeisterung einstimmte. 29 //
  • 30. Somit war die Verhandlung beendigt. Der Hauptausschuss begab sich hierauf zu dem stellvertretenden Bürgermeister, Herrn Rechtsrat Mayr, um die Gründung des Vereines zu melden, das Verzeichnis der Mitglieder des Hauptausschusses zu übergeben und zugleich den wärmsten Dank für das freundliche Entgegenkommen des Stadtmagistrates auszu- sprechen. Herr Rat Mayr bemerkte, dass er einen Verein, der eine solch edle Tendenz verfolge, mit Freuden begrüße und ihm das vollste Gedeihen wünsche. Am Abend des genannten Tages war auch eine Produktion des Regensburger Liederkran- zes, wozu wir sämtliche eingeladen waren. Die einzelnen Stücke wurden mit wahrer Meis- terschaft durchgeführt und die Unterhaltung war eine so angenehme und erfrischende, dass wir uns erst in später Stunde von einander trennten. Zu geeigneter Zeit wurde dem verehrlichen Liederkranze von Herrn Lehrer Marschall in gut gewählten Worten herzlicher Dank für die besondere Aufmerksamkeit ausgesprochen und dieser Toast von Seite des Vorstandes des Liederkranzes, Herrn Assessor Steffaneli, in freundlicher Weise erwiesen und als Gegengruß den anwesenden Lehrern der Singspruch des Liederkranzes in vollem Chor dargebracht. Am 28. Dez., morgens, versammelten sich die meisten der städtischen und fremden Lehrer im Gasthause zum Wirt, um noch vor dem Scheiden ein Paar Stunden gemütlich und herzlich mit einander verkehren zu können. In heiterer Stimmung verbrachte man diese Zeit und man begegnete sich mit einer Innigkeit, die nur aus wahrem kollegiali- schen Bewusstsein fließen konnte. Auch wurden auf die hohe Kammer der Abgeordneten, den Magistrat der Stadt Regensburg, Herrn Rechtsrat Mayr, auf die Regensburger und Stadtamhofer Kollegen, den Gründer und Verleger des Vereinsblattes, den Vorstand des Vereines und auf die daheim weilenden Amtsbrüder Toaste ausgebracht. Als dann Herr Lehrer Kutschmann von Vilshofen von Herrn Landtags-Abgeordneten Föckerer freundlichen Gruß und den herzlichen Wunsch überbrachte, es möge der Verein blühen und gedeihen, ließ man allsogleich ein Telegramm an diesen warmen Vertreter unseres Standes abgehen, in welchem ihm für sein stets bewiesenes Wohlwollen innigster Dank gesagt wurde. // 30
  • 31. Endlich nahte die Stunde der Trennung und nur hart ging man von einander. Alle schieden wir jedoch von der alten Ratisblonà mit dem herrlichen Gefühle, für eine edle Sache gear- beitet und unvergessliche Tage verlebt zu haben. – Und jetzt noch einen kleinen Nachtrag. Die Beratung am Haupttage dauerte ununterbrochen von Morgens 9 Uhr bis Nachmittags 3 Uhr. Es waren nahezu 200 Teilnehmer aus den verschiedenen Kreisen gegenwärtig und haben dieselben circa 1 500 Lehrer Bayerns repräsentiert. Rechnet man hiezu noch jene Bezirke, welche zwar keinen Bevollmächtigten gesendet, ihren Beitritt aber bestimmt erklärt haben, so darf man jetzt schon 2 000 Mitglieder rechnen, und es lässt sich mit Gewissheit annehmen, dass sich die Beitritts-Erklärungen mit jedem Tag mehren. Achdorf, bei Landshut, den 1. Januar 1862 Der 1. Vorstand des Bayerischen Volks-Schullehrer-Vereins Karl Heiß 31 //
  • 32. Eröffnungsrede des achdorfer lehrers Karl HeiSS Einleitungsvortrag des Schullehrers und Redakteurs der Bayerischen Schulzeitung, Karl Heiß zu Achdorf, gehalten bei der Versammlung bevollmächtigter Schullehrer Bayerns zu Regensburg am 27. Dezember 1861 Meine Herren! Am 16. Aug. legte ich den Samen der Konzentration in die Herzen meiner lieben Amts­ brüder mit dem vollsten Vertrauen, dass er tiefe Wurzeln schlage, und doch nicht ohne Bangen, es möchte eine ungeweihte Hand dessen Wachstum zu verhindern suchen. Ist nun das Letztere wirklich eingetroffen, da man von einer Seite, von der man es am wenig­ ten s vermuten konnte, durch ätzende Stoffe dem Humus alle Tragfähigkeit benehmen wollte, so schoss dessen ungeachtet der Keim üppig empor, und schon nach wenigen Monaten haben wir einen lebensfrischen Baum vor uns, dessen Äste weithin durch die Gauen un- sers Vaterlandes reichen, und dessen ausgebildete Krone die herrlichsten Früchte erwar- ten lässt. Meine Herren! Schauen wir etwas in die Zukunft und betrachten wir die Früchte, welche unsern mit aller Sorgfalt gepflegten Baum zieren. Vor allem ist es die Frucht des Gemeinsinns. wenn wir so in unserm Stande Umschau hal- ten, so finden wir nicht überall diese Tugend. Mögen nun hieran die Verhältnisse außer uns in vielfacher Hinsicht die Schuld tragen, soviel ist gewiss, dass es auch bei uns an ech- ter, wahrer Harmonie fehlt. Wir haben nämlich Standesgenossen, die sich selbst an den edelsten Bestrebungen ihrer Amtsbrüder nicht beteiligen, weil sie nach dem Anspruche Horaz: „Wen die Götter hassen, den machen Sie zum Schulmeister“ überall nur Kalamität erblicken und sich und ihre Kollegen als Sündenbock anderer Stände betrachten. Wieder andere sind zwar begeistert für ihren Beruf, wurden aber schon schroff enttäuscht, und sind deshalb von Misstrauen so übermannt, dass sie sich passiv verhalten, wenn es gleich- wohl die heiligsten Standesinteressen betrifft. Außer diesen finden sich welche, die sich aller Kollegialität entschlagen und ihren eigenen Weg gehen, unbekümmert, ob er auch der rechte sei; welche kein gemeinsames Ziel kennen und deshalb auch kein Bedürfnis fühlen, mit ihren Amtsbrüdern gleichen Schritt zu halten. … // 32
  • 34. Ich möchte doch sagen, dass der Gemeinsinn auch bei uns noch sehr der Vervollkomm- nung bedarf. Wir haben zu wenig Sympathie; wir betrachten uns großenteils bloß als ein- zelne Glieder und nicht als geschlossene Kette und doch haben wir alle nur ein Ziel! Unsere Aufgabe ist daher von nun an, des Gemeinsinns zu pflegen. Stets müssen wir der schönen Worte Schillers eingedenk sein: „Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber sein Ganzes werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!“ Alle unsere Bestrebungen gelten daher den Amtsbrüdern, dem ganzen Stande; nicht eng- herzig seien unser Wissen und unsere Erfahrungen verschlossen in unserm Innern; nein, alles werde zum Gemeingute des ganzen Standes. Teilnahme, Wärme, Liebe durchdringe uns alle und heilig sei uns die Standes-Ehre. Meine Herren! Werfen wir uns nicht selbst weg durch unwürdiges und unmännliches Betragen; bedenken wir, dass wir Glieder eines öffentlichen Standes sind und dass es die Standes-Ehre gilt. Wenn wir nun so zur tatkräf- tigen Korporation heranwachsen, wenn wir alle zusammenstehen wie ein Mann, wenn wahre, innige Kollegialität in uns tief gewurzelt hat, so wird uns auch erhöhte geistige Tat- kräftigkeit und erfolgreiche Erfüllung unseres Berufes als reife Frucht entgegenwinken. // 34
  • 35. Keinem Stande ist die Fortbildung und geistige Tätigkeit wohl dringender geboten, als dem Lehrerstande. Sind es schon die äußeren Umstände, das Leben der Meisten auf dem Lande, die seltene Berührung mit Gebildeten anderer Stände, ja selbst mit Standes­ genossen, welche den Lehrer zwingen wenigstens im geistigen Verkehr mit der gebildeten Welt zu bleiben, wenn er nicht, wie man gewöhnlich sagt, verbauern und versauern will, so verlangt dieses noch gebieterischer sein Beruf. Ein altes Sprichwort sagt: „Stillstand ist Rückschritt“ und wie wahr ist dieser Satz. Welche verderbliche Folge zeiht nicht dieses „Stillstehen“ bei dem Lehrer nach sich. Anstatt Leben in seine Schule zu bringen, bringt er Monotonie in dieselbe und seine Gleichgültigkeit, sein Kaltsinn pflanzen sich auf die Kin- der fort. Ein Lehrer, welcher seine Fortbildung vernachlässigt, ist eine Schale ohne Kern, eine Frucht ohne Saft und Geschmack und seine Schule gleicht einer Haide auf der man vergebens üppige Gewächse und wohlriechende Blumen sucht. … Es sei ferne von mir, vor fremden Türen kehren zu wollen, allein das muss ich doch bemer- ken, dass manche unter den Lehrern ihre nicht besonders große Amtstätigkeit mit dem Scheingrunde beschönigen wollen. Weihen wir unsere ganze Kraft unsern Standesoblie- genheiten, wenden wir uns mit Ausdauer und Liebe unserm schönen Amte zu, welches uns die Veredlung der Jugend zur Pflicht macht. Stets wollen wir der Pflicht eingedenk sein, welche jedem Gebildeten auferlegt ist, den in Finsternis Lebenden dem wahren Lichte zuzuführen. Freilich ist notwendig, dass die Volksschule einige Selbstständigkeit erhalte, dass beson­ ders die Lehrorgane in der Ausübung ihres Amtes gleich andern Ständen gesetzlich ge- schützt werden und eine feste Stellung angewiesen bekommen. Seit jener Zeit nämlich, in welcher man uns aus dem Zunftverbande gebracht hat (die Münchner Lehrer waren damals die ersten, welche dagegen protestierten) sind wir als gasförmige Waffe, ja als kör- perlose Wesen in sozialer Beziehung zu betrachten; denn es fehlt uns jede sichere Basis in der Gesellschaft. Es gibt wohl keinen Stand, welcher auf der einen Seite so viele Pflichten und auf der andern so wenig oder gar keine Rechte hat, als der Schullehrerstand. … 35 //
  • 36. Man möchte wohl sagen, dass sich zu viele um die Schule bekümmern; denn fast alles glaubt sich berufen, der Schule und dem Lehrer zu diktieren und jeder will die Schule nach seiner Facon haben. Sehr treffend bemerkt ein gewiegter Schulmann unserer Zeit: Jeder sieht die Volksschule von seinem Standpunkte an. Wer gern Honigschnittchen isst, dem soll die Volksschule Bienenzucht treiben, dem einen soll sie drechseln, dem andern Obst pflanzen, dem dritten Seide spinnen, einem Vierten erscheint sie als ein Anti-Brannt- weininstitut, einem Fünften als ein Zuchthaus zur Verbesserung verdorbener Kinder. Dem Gelehrten ist ihr Treiben zu oberflächlich, dem Unwissenden zu gründlich. Wer zählt die Wünsche, die auf diesem Gebiete laut geworden sind. Das ist natürlich nicht das rechte Interesse und eine solche Teilnahme schadet soviel als gänzliche Abneigung, und dass die Volksschule auch ihre Gegner hat, ist längst erwiesen. Es gibt sogar unter den Glie- dern der gebildeten Stände welche, die die Volksschule als ein ganz überflüssiges Institut betrachten und welche die Lehrer an Schulen, weil sie keine höhere Ausbildung erhalten haben, durchweg als Ignoranten ansehen. Jene sollten freilich bedenken, dass sich ohne Volksschule bald alle Bande der Ordnung lösen müssen. Ebenso sollten sie wissen, dass, wenn auch die Ausbildung der Lehrer nicht von allen Mängeln frei zu sprechen ist, sie doch die allgemeine Bildung fördert und dass jeder strebsame Lehrer vorwärts trachtet und deshalb doch nicht so ganz als Idiot gelten dürfte. Als eine bedauernswerte Erscheinung muss auch angesehen werden, dass zwischen uns und dem Stande, welcher doch in Bezug auf seinen Beruf uns so nahe steht*, im All- gemeinen wenigstens eine große Kluft besteht, wie sie wohl in keinem andern Lande vorkommen dürfte und doch könnten diese wissenschaftlich gebildeten Männer soviel zur Hebung der Volksschule und der Lehrer an derselben beitragen. Diesem gegenüber ha- ben wir aber, und Gott sei es gedankt auch Freunde, recht viele und aufrichtige Freunde, Freunde in den verschiedenen Ständen; allein diese konnten bis jetzt nicht mit Kraft auf uns und unsere Verhältnisse einwirken, weil sie keinen festen Boden hatten. Unser Lehrerverein soll nun das allgemeine Interesse erwecken. Wir müssen nämlich selbst die Hand bieten, wir müssen zeigen, dass uns an der Schule und an der Ausbildung des Volkes Alles gelegen ist; wir müssen die Erfolge laut sprechen lassen, dann wird der Volksschule auch von Außen mehr Beachtung geschenkt werden. … // 36
  • 37. Meine Herren! Groß ist die Aufgabe, die wir uns stellen; allein vermöchten wir sie auch bei dem besten Willen und rastlosesten Streben nicht durchzuführen; aber wir hoffen mit Zuversicht auf Unterstützung; wir glauben ganz sicher, dass die Erziehung und Veredlung des Menschen eine gemeinsame Sache und unter allen Bestrebungen des menschlichen Geistes den ersten Rang einnehmen werde. Und nun seien Sie herzlichst und tausendmal gegrüßt, meine Herren! die Sie dem Rufe Ihres Mitbruders so freudig gefolgt sind, die sie nicht den weiten Weg, nicht anderweitige Hindernisse gescheut haben, sondern ohne rechts und links zu schauen herbeigeeilt sind, ein Werk zu gründen, das von den segensreichsten Folgen sein wird. Wenn wir auch, meine Herren! nicht heute oder morgen schon diese herrlichen Früchte genießen kön- nen, ja wenn es sogar manchen von uns nicht vergönnt wäre, je von diesen Früchten zu kosten; wir tragen doch alle das Bewusstsein in uns, für eine edle Sache stet und warm eingestanden zu sein und unserem Berufe all unsere Kraft zugewendet zu haben. Es ist erhebend, so viele wackere Kämpen hier vereinigt zu sehen, und Dank, herzlichen Dank Ihnen Allen, die Sie hier versammelt sind. O, ich möchte Jeden aus Ihnen umarmen, und innig an die Brust drücken. Und nun, meine Herren! frisch an’s Werk, es wird gelingen. * gemeint sind Gymnasiallehrer 37 //
  • 38. Aufbruch – Widerstand – Stärke Die Geschichte des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes 1848 1823 Auf der 2. Allgemeinen Lehrerver- Der Nürnberger Lehrer Johann sammlung in Schwabach im Jahr Konrad Grißhammer ruft am 1833 1848 mit ca. 180 Teilnehmern 15. November 1823 zur Gründung Der „Allgemeine Lehrerverein für wird der Nürnberger Lehrerverein des ersten „Allgemeinen Lehrer- Baiern“ wird verboten, da der Staat beauftragt, einen „Zentral-Volks- vereins für Baiern“ auf. Zweck des nach den Erfahrungen mit dem schullehrerverein“ zu gründen, der überkonfessionellen Vereins ist „die „Hambacher Fest“ keine Lehrer- die nachweislich existierenden Fortbildung und Vervollkommnung fortbildung ohne staatliche Aufsicht 35 Zweigvereine in ganz Bayern der Mitglieder in ihrem Beruf“. Da duldet. Am 26. Januar 1833 findet zusammenführen soll. Die Ver- wegen der fehlenden Verkehrs- die letzte Sitzung statt. Zu diesem sammlung geht auf einen „An verbindungen noch keine über- Zeitpunkt hatte der Verein 243 Mit- sämtliche Volksschullehrer Bay- regionalen Treffen möglich sind, glieder aus mindestens 6 der 7 heu- erns“ gerichteten Aufruf der Nürn- erscheint 1825 als „verbindendes tigen Bezirke Bayerns, außerdem berger und Fürther Lehrerschaft Mittel“ des Vereins die Zeitschrift hatten sich Ortsvereine gebildet. Der vom 12.3.1848 zurück. Darin sind „Der Volksschullehrerverein“. Schwerpunkt lag in Nordbayern. erstmals die zentralen bildungs- 1806 Bayern wird Königreich 1834 Höhepunkt der Restaura- 1848 Märzunruhen der 1825 Ludwig I wird König tion: Prozesswelle gegen Studenten in München liberale Wortführer Rücktritt Ludwigs I., 1831 Einführung der Nachfolger wird Max II. Pressezensur, 1840 Verbot der Kinderarbeit in Verschärfung des Fabriken Vereinsrechts // 38
  • 39. 1850 Der Druck auf den „Zentral- Volksschullehrerverein“ und seine Zweigverbände von Seiten des Staates und der Kirche beginnt unmittelbar nach der Vereinsgrün- dung. Nach dem Bayerischen Vereinsgesetz vom 26. Februar 1850 ist es „politischen Vereinen und solchen, die sich mit öffentli- chen Angelegenheiten beschäfti- gen“, verboten, „sich mit anderen solchen Vereinen zu einem ge- politischen Forderungen aufge- gliederten Ganzen zu vereinen.“ führt, die später auch in der Denk- Bereits 1849 gibt es obrigkeitliche schrift des BLV (1863) erscheinen: Androhungen von Dienstentlas- „1. Freie Stellung der Volksschule sungen. Es werden tatsächlich und ihrer Lehrer. 2. Gleichstellung Entlassungen von Lehrervereins- der Lehrer mit den Staatsdienern. mitgliedern ausgesprochen, lokale 3. ... wissenschaftliche Bildung der Mitgliedsvereine werden verboten, 1851 Lehrer. 4. Vertretung des Standes Gefängnisstrafen verhängt. Weil In Bayern gibt es 96 Lateinschulen ... durch Standesglieder. 5. Revi- der Zentral-Volksschullehrerverein (Unterstufe des Gymnasiums), 28 sion des Lehrplans ... mit Beizie- sich auf seiner Versammlung am Gymnasien und 10 Lyceen (höhere hung der Lehrer. 6. Verwandlung 22. Juni 1850 u. a. mit dem Ver- Töchterschule), mit insgesamt etwa des Schulgeldes in eine allgemeine hältnis von Staat, Kirche und Schule 11 000 Schülern. Daneben existie- Umlage. 7. Gehaltsverbesserung auseinandersetzen wollte, wird er ren 7 113 Volksschulen – viele da- der Lehrer. ... 9. Verleihung eines am 4. Juni 1850 als politischer von einklassige Landschulen – mit allgemeinen Schulgesetzes.“ Verein klassifiziert und aufgelöst. einer knappen Million Schüler. 1849 Phase der Liberalisierung: 1854 Todesstrafe wird Die Pressefreiheit, öffentliche das letzte Mal in Bayern Gerichtsverfahren, freies vollzogen Wahl­ esetz, freies Versamm­ g 1856 Schulpflicht wird auf sieben lungs- und Vereinigungsrecht Jahre verlängert Erste Wahl zur Kammer der Abgeordneten (später Bayerischer Landtag) 39 //
  • 40. 1861 Am 22. August 1861 ruft der Achdorfer Lehrer Karl Heiß zur Gründung des Bayerischen Leh- 1857 rervereins auf. Der Gründungsauf- Im Normativ über die Bildung der ruf erscheint in der „Bayerischen Schullehrer wird die Lehrer­ ildung b Schulzeitung“. neu geordnet. Im Mittelpunkt steht Der Aufruf stößt bayernweit auf das Bestreben Königs Max II, „den große Resonanz. Am 27. Dezem- Lehrstoff der Schullehrerbildung ber 1861 versammeln sich etwa auf sein angemessenes, häufig 200 Lehrer aus ganz Bayern im überschrittenes Maß“ zurückzufüh- Reichstagssaal des Regensburger ren, um die Lehrer vor „Wissens- Rathauses und gründen den Bay- dünkel, Anmaßung, Unzufrieden- erischen Lehrerverein. Karl Heiß heit und Ungehorsam“ zu schüt- wird zum 1. Vorsitzenden gewählt. zen, die Folge einer übertriebenen Vereinsorgan wird die bereits seit Verstandesbildung seien. Hierzu 1857 existierende „Bayerische gehört auch das Verbot der Lek- Schulzeitung“. Der BLV versteht türe der pädagogischen Schrif- sich von Anfang an als überkon- ten Friedrich Adolf Diesterwegs fessionell. In seinen Reihen finden und anderer fortschrittlicher Pä­ katholische, evangelische und „is- dagogen. raelitische“ Lehrer ihre Heimat. 1859 Eisenbahnlinie Nürnberg – 1861 Wilhelm I wird König von 1862 tto Graf Bismarck wird O Regensburg eröffnet Preußen Ministerpräsident und Charles Darwin veröffent­icht l Beginn des amerikanischen Außenminister sein Werk „Die Ent­ te­ ung s h Bürgerkriegs Bismarck löst das preußi- der Arten“ und begründet sche Abgeordnetenhaus damit die Evo­utionstheorie l auf // 40
  • 41. 1863 Der Bayerische Lehrerverein veröf- fentlicht die erste 80-seitige Denk- schrift mit dem Titel „Denkschrift be- treffend die Zusammenstellung von Materialien zu einem allergnädigst 1866 zu erlassenden vollständigen Geset- 1864 Der Hauptausschuss des BLV be- ze für die Volksschulen in Bayern“. In der Denkschrift steht der zentrale Drei der Gründungsmitglieder des schließt, eine eigene Vereinszeit- Satz für das Selbstverständnis des BLV rufen in München das Baye- schrift mit dem Titel „Bayerische Kernanliegen der Denkschrift sind BLV bis in unsere Zeit: „Die Umge- rische Lehrerwaisenstift ins Leben. Lehrerzeitung“ herauszugeben. »» ie Institutionalisierung der d staltung der Lehrerbildung muss als Den zahlreichen Lehrerwaisen soll Die erste Ausgabe erscheint am Volksschule als Staatsanstalt, der Kern- und Angelpunkt der ge- die Stiftung „ … das Elternhaus 3. Januar 1867. »» ie Rechtsstellung des Lehrers d samten Schulfrage erklärt werden. ersetzen durch Unterbringung in als „öffentlicher Diener“ Die Lehrerbildung ist das Zentrum, geeigneten Familien oder in schon Die bayerische Regierung erlässt (Beamter), in welchem alle Fäden der Schulre- bestehenden Erziehungsinstituten ein neues Normativ für die Lehrer- »» er Verzicht auf die geistliche d form nach fachlichen und personel- oder eigens zu errichtenden, kon- bildung, das wesentliche Forderun- Lokalschulaufsicht, len Beziehungen zusammenlaufen.“ fessionell getrennten Erziehungs- gen des BLV aufgreift. Es löst das »» ie Modernisierung der d Die Denkschrift wird Ende Oktober anstalten. …“ restriktive Lehrerbildungsnormativ Volksbildung und 1863 dem „Hohen Staatsministe- aus dem Jahr 1857 ab. Allerdings »» ie nachhaltige Verbesserung d rium des Innern für Kirchen- und Der Bayerische Lehrerverein hat ist die Lehrerbildung weiterhin nach der Lehrerbildung. Schulangelegenheiten“ überreicht. 4 193 Mitglieder. Konfessionen getrennt. 1863 ründung der bayerischen G 1864 udwig II wird im Alter von L 1866 rieg Österreich-Preußen. K Fortschrittspartei 18 Jahren König Bayern kämpft an der Seite Ferdinand Lasalle gründet 1865 Ende des amerikanischen Österreichs in Leipzig den Allgemeinen Bürgerkriegs und Sieg Preußens Deutschen Arbeiterverein Abschaffung der Sklaverei (ADAV) in den USA 41 //
  • 42. 1875 1867 Der 1. Vorsitzende des BLV Karl Auf der 3. Hauptversammlung nissen und distanziert sich offen Heiß wird zum Kreisschulinspektor des BLV in Augsburg umreißt der von einem Schulverständnis, das in München berufen. Aus diesem 1. Vorsitzende Karl Heiß die Grund- konfessionell oder weltanschaulich Grunde gibt er sein Amt ab. Auf linien des Verbandsverständnisses: geleitet ist. der Hauptversammlung des BLV „Die Pädagogen sollten sich weder im August 1875 in Kaiserslautern konfessionell noch nach Ständen Da das Volksschulwesen bislang wird der Geisenfelder Lehrer Max von einander absperren. Hätte nicht in Form eines Gesetzes, Koppenstätter offiziell zum neuen man auf gewisser Seite dies be- sondern nur durch Verordnungen 1. Vorsitzenden gewählt. achtet, so hätte der Schulstreit geregelt war, wird von der Staats- nicht mit solcher Erbitterung und regierung im Landtag ein Schul­ Der Bayerische Lehrerverein grün- von ihr mit solcher Unkenntnis der gesetz eingebracht, das wesentliche det die Kinder- und Jugendzeit- Errungenschaften der neueren Teile der Denkschrift des BLV aus schrift „Jugendlust“, „... um dem wissenschaftlichen Pädagogik ge- dem Jahr 1863 übernimmt. Zent- Verlangen der Jugend nach einer führt werden können.“ Hintergrund ral sind hierbei eine Stärkung des guten Lektüre Rechung zu tragen.“ ist ein kulturkampfähnlicher Streit Staates gegenüber der Kirche Heute erscheint die Kinder- und um die Frage der Rolle der Kirche durch Überwindung der geistlichen Jugendzeitschrift bundesweit un- und des Staates in der Schule. Er Schulaufsicht und die Überwindung ter dem Namen „Floh“ und „Floh- wird mit massiven Anfeindungen der konfessionellen Trennung. Das kiste“. In Bayern ist sie bis heute und Verleumdungen von Vertretern Gesetz trifft auf massiven Wider- eine der wichtigsten pädagogi- der evangelischen und der katho- stand der Kirchen, die auch die schen Kinderzeitschriften. lischen Kirche gegen den BLV Bevölkerung mobilisieren und wird geführt. Der BLV orientiert sich 1869 im Landtag von der kirchlich- Der Bayerische Lehrerverein hat an wissenschaftlichen Erkennt- konservativen Mehrheit abgelehnt. 7 172 Mitglieder. 1867 eichstagswahlen in R 1869 ründung der klerikal-kon- G 1870 ayern kämpft an der Seite B 1875 Einführung der Zivilehe im Preußen servativen Zentrumspartei Preußens gegen Frankreich deutschen Reich 1868 Einführung eines neuen August Bebel und Wilhelm 1871 roklamation des Deutschen P 1877 ie Serienproduktion von D Heimatrechts und der Liebknecht gründen die Kaiserreichs Gartenzwergen wird aufge- Gewerbefreiheit in Bayern. Sozialdemokratische Arbei- Bayern verliert Autonomie nommen terpartei (SDAP) 1873 Schulsprengelverordnung // 42
  • 43. 1878 Auf der 7. Hauptversammlung des BLV in Passau wird eine Öffnung des Verbandes für andere Lehrer- gruppen, Frauen und Interessierte beschlossen. Im Antrag heißt es: „Die Aufnahme in den Verein er- halten sämtliche Mitglieder des Schullehrerstandes, gleichviel ob sie ständige, unständige oder in 1883 Ruhestand versetzte Lehrer oder Die Verordnung zur Einrichtung Lehrerinnen sind. Auch Lehrer und der Volksschulen tritt in Kraft. Lehrerinnen an höheren, sowie an Die konfessionell getrennten Be- Privatbildungsanstalten, Geistliche, kenntnisschulen werden erneut als sodann gebildete Per-sonen aus Regelschule festgeschrieben. Da- anderen Ständen und beiderlei mit scheitern die Bestrebungen des Geschlechtes können als Mitglie- BLV, eine konfessionsunabhängige der beitreten“ Simultanschule durchzusetzen. 1878 Sozialistengesetze verbie- 1883 Auswanderungswelle 1884 ründung deutscher G 1887 Würzburg wird das erste In ten sozialistische Organisa- erreicht ihren Höhepunkt Kolonien Süd-West-Afrika Telefonnetz eingerichtet tionen (464 000 Personen) (heute Namibia) 1888 Wilhelm II wird deutscher Abschaffung der Kinder­ Krankenversicherung wird 1886 ntmündigung und Tod E Kaiser arbeit per Gesetz zur Pflichtver­ Ludwigs II sicherung Prinzregent Luitpold wird König 43 //
  • 44. 1889 Der 1. Vorsitzende Max Koppen- stätter stirbt am 24. Mai 1889. Johann Baptist Schubert wird auf der 11. Hauptversammlung des BLV in Landshut im Jahr 1890 als Vorsitzender gewählt. Schubert ist ein überzeugter Ver- fechter der Trennung von Staat 1896 und Kirche ebenso wie von Schu- Die allgemeine Unterstützungs- le und Kirche und von Pädagogik kasse wird gegründet. Sie soll in und Theologie. Es gelingt ihm trotz besonderen Notfällen Familien zahlreicher Trennungsversuche von helfen, wenn durch lange Krank- konfessioneller Seite den Bayeri- heit oder Tod des Ernährers oder schen Lehrerverein geschlossen zu durch Krankheit der Lehrerwitwe halten und ihn als überkonfessio- die Familien in Not gerieten. Die nellen Lehrerverein für Katholiken, Unterstützungskasse hilft auch Protestanten und „Kollegen israeli- erwerbsbeschränkten und erwerbs- tischen Glaubens“ zu bewahren. unfähigen Lehrerwaisen. 1890 Rücktritt Bismarcks 1893 Sozialdemokraten und 1895 Georg Kerschensteiner 1896 Gründung des Satireblattes Sozialistengesetz wird Bauernbund werden wird Stadtschulrat Simplicissimus in München aufgehoben zum ersten Mal in den Gründung des Bayerischen Erste olympische Spiele Landtag gewählt Bauernverbandes der Neuzeit in Athen 1891 Verbot der Sonntagsarbeit 1894 Bauernrevolte in der Oberpfalz // 44
  • 45. 1905 Auf seiner Hauptversammlung in Bayreuth widmet sich der BLV intensiv der Frage der staatlichen Fachaufsicht und wendet sich er- neut gegen den Einfluss der Kirche 1900 auf die Schule. Des Weiteren for- Der BLV-Hauptausschuss gründet dert der BLV das Verbot des niede- am 15.11.1900 das „Institut des ren Kirchendienstes für Lehrer. In Rechtsschutzes“ auch Rechts- 1902 der Folge kommt es erneut zu ei- schutzkommission genannt. Damit Der Bayerische Lehrerverein richtet ner scharfen Kampagne der Ultra­ steht allen BLV-Mitgliedern kosten- einen Haftpflichtschutz für Mitglie- montanen und der katholischen freier Rechtsschutz zu. Arbeitsbe- der des BLV ein, der die Mitglieder Kirche gegen den BLV. ginn ist der 1. Januar 1901. Dies gegen ungerechtfertigte Forderun- ist die Grundlegung der aktuellen gen bei vorgeblicher Haftung vertritt Der Bayerische Lehrerverein rich- Rechtsabteilung des BLLV, die heute und bei erwiesener Schuld eine an- tet einen „Mobiliar-Feuerversiche- ein zentraler Aufgabenbereich des gemessene Entschädigung leistet. rungs-Verein“ (Feuerschutzverein) BLLV ist. Der BLLV ist heute der für bayerische Lehrer ein. Er wird einzige Lehrerverband in Bayern mit Der Bayerische Lehrerverein hat im Jahr 1909 durch eine Einbruch- hauptamtlichen Juristen. 12 863 Mitglieder. diebstahlversicherung ergänzt. 1900 as Bürgerliche Gesetz- D 1903 n Bayern werden Frauen I 1905 Ludwig Thoma veröffentlich buch (BGB) tritt in Kraft zum Hochschulstudium die Lausbubengeschichten zugelassen 1906 Neues Gesetz erlaubt Pariser Weltausstellung Verbindliche Einführung direkte Wahl der Landtags- Volkszählung zählt von Rechtschreibregeln abgeordneten 56 345 014 Deutsche, davon 6 176 057 Bayern Gründung der Volks- hochschule durch Georg Kerschensteiner 45 //
  • 46. 1908 In München gründen am 9. Mai Im Zusammenhang mit der Dis­ 1908 Mitglieder des Verbandes kussion um ein neues Beamten­ Paedagogia die Arbeitsgemein- gesetz wird auch die deutliche 1909 1910 schaft Bayerischer Junglehrer (ABJ). Verbesserung der Lehrergehälter Der Hauptausschuss des BLV Der Münchner Lehrerverein grün- Grund ist das gemeinsame Ziel, die diskutiert. Es kommt zu einer beschließt den Kauf von Schloss det in enger Absprache mit dem materielle Notlage der Junglehrer kontro­ ersen Auseinandersetzung v Fürstenstein in Berchtesgaden. In BLV am 10. März 1910 das Päda- zu überwinden. Am 16. Mai bereits innerhalb des BLV zur Höhe der den folgenden Jahren wird es um- gogisch-Psychologische Institut. werden die Anliegen der Vorstand- Gehaltsforderungen, zur Frage der gebaut zu einem Lehrererholungs- Spiritus Rector und Leiter ist der schaft des BLV vorgetragen. Über unterschiedlichen Gehälter für Stadt- heim. Da in dieser Zeit für Lehrer prominente Pädagoge Privatdozent die materielle Besserstellung hin- und Landlehrer und zur politischen kaum Möglichkeiten einer Sommer- Dr. Alois Fischer. Die Eröffnung aus definiert die ABJ als Ziel, „die Strategie. Auf einer Versammlung frische bestehen, wird das Schloss des Instituts findet am 20. Okto- grundlegende Beschäftigung mit in München, an der 4 000 Lehrer in den Alpen zu einem beliebten ber 1911 statt. Das Institut dient moderner Pädagogik, Schulpolitik teilnehmen, wird die zukünftige Urlaubsziel. In und unmittelbar nach der fachlichen Professionalisierung und Volkswirtschaft“. Marschroute festgelegt, die zur Ge- der Kriegszeit dient es auch Mit- und Qualifizierung der Lehrer- Ab 1. Januar 1911 erscheint die haltsdenkschrift des BLV im Jahr gliedern, die als Soldaten im Krieg schaft. 1997 wurde es in die Aka- „Deutsche Junglehrerzeitung“. 1909 führt. waren, als Erholungsheim. demie des BLLV übergeführt. 1908 n Bayern existieren I 1909 ine in München vorge­ E Mehrheit der Arbeiter- Die 1910 reisinnige und Demo- F 80 000 Fernsprech- legte Untersuchung von familien ist unterernährt. kraten vereinigen sich zur anschlüsse Arbeiterfamilien erschüttert den Landtagswahlen Bei Fortschrittlichen Volkspartei dem neuen Gemeinde- Mit die Öffentlichkeit: Von dem bleibt Zentrum die stärkste 1911 Preußen führt man die In wahlrecht wird in Bayern Verdienst eines gelernten Partei in Bayern Unterrichtsstunde mit 45 die Verhältniswahl (Wahl­ Arbeiters kann nur eine Minuten ein listen) eingeführt. Familie von bis zu drei Kinder leben. // 46