Die Festschrift erzählt die bewegte Geschichte des BLLV von seiner Gründung im Jahr 1861 bis 2011. Parallel zur Verbandshistorie werden auch Meilensteine der deutschen und bayerischen Geschichte schlaglichtartig beleuchtet. So lässt die Festschrift ein Stück Vergangenheit wieder lebendig werden.
5. Inhalt
Klaus Wenzel
Aufbrechen – 150 Jahre für Bildung als Menschenrecht // 6
Dr. h. c. Albin Dannhäuser
Umbruch der Gesellschaft – Aufbruch als moderner Gesamtverband // 10
Dr. h. c. Wilhelm Ebert
Aufbruch zur Demokratie – der Wiederaufbau des BLLV nach 1945 // 12
Dr. Ludwig Spaenle // 14
Geschichte und Verantwortung
Karl Heiß
Aufruf zur Gründung eines „Bayerischen Lehrervereins“ // 24
Die Gründungsversammlung im historischen Reichssaal zu Regensburg // 26
Eröffnungsrede des Achdorfer Volksschullehrers Karl Heiß // 32
Aufbruch – Widerstand – Stärke
Die Geschichte des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes // 38
Max Liedtke
Die Bedeutung des BLLV in der Bayerischen Bildungsgeschichte // 72
6. Aufbrechen
150 Jahre für Bildung als Menschenrecht
Als sich am 27. Dezember 1861 annähernd 200 Lehrer anschickten, in Regensburg den
Bayerischen Lehrerverein zu gründen, lagen schon 40 Jahre des Kampfes für eine ge-
meinsame Selbsthilfeorganisation hinter ihnen. Einige der Gründungsmitglieder erinnerten
sich noch daran, dass schon 1823 in Nürnberg Johann Konrad Grißhammer einen ersten
Versuch unternommen hatte, einen überkonfessionellen „Allgemeinen Lehrerverein für
Baiern“ aus der Taufe zu heben, der aber zehn Jahre später wieder verboten wurde. Andere
der 1861 in Regensburg Anwesenden waren selbst dabei gewesen, als 1848 in Schwa-
bach in den kurzen Jahren des freiheitlichen Aufbruchs, der als Vormärz bezeichnet wird,
erneut ein Anlauf zu einer Vereinsgründung genommen wurde. 180 Lehrer beauftragten
auf dieser Versammlung den Nürnberger Lehrerverein, einen „Zentral-Volksschullehrer-
verein“ zu gründen, der die bereits existierenden 35 Ortsvereine von Lehrern in Bayern
zusammenführen sollte. Bereits 1849 aber gab es obrigkeitliche Androhungen von
Dienstentlassungen. Später wurden tatsächlich Entlassungen von Lehrervereinsmit-
gliedern ausgesprochen, lokale Mitgliedsvereine verboten und Gefängnisstrafen verhängt.
Weil der Zentral-Volksschullehrerverein sich auf seiner Versammlung am 22. Juni 1850
u. a. mit dem Verhältnis von Staat, Kirche und Schule auseinandersetzen wollte, wurde er
am 4. Juni 1850 kurzerhand als politischer Verein klassifiziert und aufgelöst. Die Zeichen
standen auf Restauration, denn es war „politischen Vereinen und solchen, die sich mit
öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen“ verboten, „sich mit anderen solchen Vereinen
zu einem gegliederten Ganzen zu vereinen“.
Die Gründung
1861 nun war die Stunde gekommen – die Stunde zu einem neuen AUFBRUCH. Zwei
Verbote lagen zurück, aber die Idee der Bildung und des Zusammenhalts aller Lehrer
war stärker. Dem ambitionierten niederbayerischen Volksschullehrer Karl Heiß ist dieser
neue Aufbruch zu verdanken. Dazu gehörte nicht nur besonderer Mut, sondern auch eine
tragfähige, ausgereifte pädagogische und professionelle Vision. Im Rückblick wirkt es wie
klug vorbereitet: Heiß hatte im Jahr 1860, als der Herausgeber und Chefredakteur der
„Bayerischen Schulzeitung“ Michael Oechsner Publikationsverbot erhielt, die Redaktion
der Zeitschrift, die in keinem Lehrerhaushalt fehlte, übernommen. Dort veröffentlichte
er im August 1861 den Gründungsaufruf. Dass er auf der Regensburger Gründungsver-
sammlung dann zum 1. Vorsitzenden gewählt wurde, war folgerichtig.
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7. Die Vorbereitungszeit von 1860 bis 1861 ist auch im historischen Rückblick mit ganzen
20 Monaten sehr kurz. Das heißt, die Zeit war reif. Es gab bereits zahlreiche örtliche
Zusammenschlüsse, die sich nach einem überregionalen Zusammenschluss sehnten.
Sie waren die Ansprechpartner von Heiß. Diese Ortsvereine waren gut organisiert und
entsandten ihre in Mitgliederversammlungen gewählten Bevollmächtigten im Dezember
1861nach Regensburg. Der Erfolg der dritten Gründung war durchschlagend. Innerhalb
von nur zehn Jahren war die Mitgliederzahl bereits auf über 5 000 angewachsen.
Die Vision
Wenn wir heute zurückblicken, dann stellt sich die Frage, was den Kern dieser Organisation
ausmacht, die heute mit über 55 000 Mitgliedern aus allen Schularten und zahlreichen Lehr-
amtsstudenten und Pensionisten so großen Zuspruch findet. Hierzu empfiehlt es sich, die
Antrittsrede von Karl Heiß zu lesen, die aus diesem Grunde in dieser Festschrift abgedruckt
ist. Mit der damals dringend notwendigen Vorsicht und Zurückhaltung – die Versammlung
wurde genau beobachtet und ein erneutes Verbot musste dringend verhindert werden – sind
wichtige Teile des Selbstverständnisses des BLLV bereits angesprochen.
Bildung ist nicht teilbar. Die Bildung aller jungen Menschen sollte die zentrale Aufgabe
der Lehrerschaft und des BLLV sein: „Wir glauben ganz sicher, dass die Erziehung und
Veredlung des Menschen eine gemeinsame Sache und unter allen Bestrebungen des
menschlichen Geistes den ersten Rang einnehmen werde“, sagte Heiß. Der Vorrang der
Bildung aller jungen Menschen ohne soziale Differenzierung und Ausgrenzung ist unser
Bestreben bis heute. Wenn eine Schule oder ein Schulsystem Kinder sozial ausgrenzt,
stehen wir dagegen auf. In diesem Sinne muss Bildung die Gesellschaft zusammenführen
und zu gegenseitigem Respekt und Anerkennung bereits unter den Kindern führen.
Die Lehrerschaft hat eine gemeinsame Aufgabe über Konfessionen und Schularten hin-
weg. Heiß umschreibt dies noch ganz vorsichtig: „Als eine bedauernswerte Erscheinung muss
auch angesehen werden, dass zwischen uns und dem Stande, welcher doch in Bezug auf seinen
Beruf uns so nahe steht, im Allgemeinen wenigstens eine große Kluft besteht, wie sie wohl
in keinem andern Lande vorkommen dürfte.“ Das Miteinander aller Pädagogen und Lehrer
wünscht er sich ausdrücklich, auch wenn dies zu seiner Zeit noch sehr vermessen klang.
7 //
8. Heiß lädt alle ein – auch die Lehrer an Gymnasien und an den Oberrealschulen – die Visi-
on der Bildung als ein zentrales Menschenrecht gemeinsam Wirklichkeit werden zu lassen
und zwar einer ganzheitlichen Bildung, nicht nur der wissenschaftlichen. Zu diesem Mitei-
nander gehörte damals auch, dass der BLLV von der Stunde seiner Gründung an alle
Kollegen in seinen Reihen aufnahm, unabhängig davon ob sie evangelisch, katholisch
oder „israelitisch“ waren – ein Fakt, der über Jahrzehnte zu den heftigsten Anfeindungen
führte. Der Glaube an ein gemeinsames Professions- und Berufsverständnis aller Lehrer
prägt heute mehr denn je die Arbeit des BLLV, denn angesichts der radikalen gesellschaft-
lichen Veränderungen, mit denen wir konfrontiert sind, sind unterschiedliche Professions-
verständnisse anachronistisch und überholt.
Lehrer sind die Experten in der Schule. Ihnen gebührt deshalb Respekt und Anerken-
nung. Der BLLV glaubt an die Würde und die Kompetenz der Praxis. Lehrer stehen in
einer besonderen Verantwortung. Dazu gehört auch, dass sie in vielen Fragen der Schul-
gestaltung und der Schulentwicklung selbst entscheiden können müssen. Von Anfang an
war das Thema der Eigenverantwortung und der Mitgestaltung ein zentrales Thema des
BLLV. Karl Heiß prangert einen Missstand an, der auch heute noch zu beobachten ist:
„Man möchte wohl sagen, dass sich zu viele um die Schule bekümmern; denn fast alles
glaubt sich berufen, der Schule und dem Lehrer zu diktieren und jeder will die Schule nach
seiner Facon haben.“ Konkret fordert er dann: „Freilich ist notwendig, dass die Volksschule
einige Selbstständigkeit erhalte, dass besonders die Lehrorgane in der Ausübung ihres
Amtes gleich andern Ständen gesetzlich geschützt werden“. Darüber hinaus fordert er
eine bessere Ausbildung, und von den Kollegen selbst kontinuierliche Fortbildung, hohes
Verantwortungsbewusstsein und ein durchaus selbstkritisches Professionsverständnis.
Der Auftrag
Der BLLV definiert sich aus der Vision einer Bildung für alle und eines gemeinsamen
Professionsverständnisses aller Lehrer. Die Geschichte des BLLV zeigt, dass dieses Ziel
zeitlos ist. Es muss immer wieder bewusst gemacht, aber auch immer wieder neu defi-
niert, mit konkretem Inhalt gefüllt und erkämpft werden.
// 8
9. Der BLLV hat mit Ausnahme seiner dunklen Geschichte im Nazideutschland immer seine
Unabhängigkeit gewahrt – von gesellschaftlichen Interessengruppen, von den Kirchen
und von den Regierungen. Unabhängigkeit darf nicht Überheblichkeit heißen, sondern
erfordert Dialogbereitschaft mit allen und konstruktive Teilnahme am öffentlichen Diskurs
über Schule und Bildung. Wir werben bei Politikern, Eltern, in der Öffentlichkeit und auch
in den eigenen Reihen für unsere Überzeugungen und für unsere Vision. Und wir hoffen,
möglichst viele Menschen und Entscheidungsträger in unserer Gesellschaft dafür zu be-
geistern und sich mit uns dafür einzusetzen.
Karl Heiß und seine Mitstreiter haben Geschichte geschrieben, die bis heute ausstrahlt. Ge-
nerationen von Lehrern und Lehrerinnen in Bayern war der BLLV berufspolitische, berufs-
wissenschaftliche und kollegiale Heimat. Karl Heiß und seine Mitstreiter haben uns im BLLV
ein großes Erbe hinterlassen: unabhängig und selbstkritisch unsere Aufgabe als eine der
wichtigsten Berufsgruppen in unserer Gesellschaft zu erfüllen und dabei nicht aus dem Auge
zu verlieren, dass wir für die Zukunft der Gesellschaft eine große Verantwortung tragen.
Im Jahr der 150-Jahr-Feiern des BLLV wollen wir uns stolz an die faszinierende Geschich-
te des BLLV erinnern und mutig die großen Herausforderungen der Zukunft annehmen.
Klaus Wenzel
Präsident des BLLV seit 2007
9 //
10. Umbruch der Gesellschaft –
Aufbruch als moderner Gesamtverband
Die Vision des BLLV von einem demokratischen, leistungsfähigen und sozial gerechten
Bildungswesen gewann in den letzten drei Jahrzehnten eine neue Dimension. Sie war
und ist vor allem herausgefordert durch einen epochalen gesellschaftlichen Umbruch,
durch die digitale Informationsexplosion und den globalen Wettbewerb. Allerdings sahen
wir uns konfrontiert mit übermächtigen Kräften der strukturellen Restauration, mit rück-
läufigen Bildungsfinanzen und mit der Bedrohung der Professionalität und des Status der
Lehrerinnen und Lehrer.
Deshalb leistete der BLLV durch neue Wirkungsformen offensive Aufklärungs rbeit und
a
erhöhte den öffentlichen Druck, z. B. durch kritische bildungspolitische Foren, durch die
Mobilisierung der Kollegen und Kolleginnen, der BLLV-Kreis- und Bezirksverbände und
der Eltern durch bisher nie erreichte Massen etitionen mit über 100 000 Unterschriften,
p
durch machtvolle Großdemonstrationen mit bis zu 15 000 Teilnehmern, durch die Grün-
dung des breiten Bildungsbündnisses Forum Bildungspolitik in Bayern. Damit gelang es,
die Blockade in der Bildungsfinanzierung wenigstens aufzubrechen – wenngleich Bayern
im internationalen Vergleich zu den PISA-Spitzenländern immer noch weit zurückliegt.
Nicht gelungen ist dagegen ein innovativer Schub in der Schulpolitik, wie er sich nach der
wiedergewonnenen Einheit Deutschlands durch die Neugestaltung des Schulwesens in
den neuen Bundesländern aufgedrängt hätte. Im Gegenteil: In Bayern wurde die Restau-
ration der Schulstrukturen verschärft. Deshalb sah sich der BLLV zu einem Schulvolks
begehren gezwungen. Dieses verfehlte zwar die erforderliche Mehrheit, aber die pädago i
g
schen und schulpolitischen Warnungen des BLLV wurden zwischenzeitlich in fataler Weise
bestätigt. Darüber hinaus hat der BLLV als unabhängige und selbstbewusste Bildungs
organisation an Überzeugungskraft gewonnen, mit der er seine Vision eines sozial gerech-
ten und regional stimmigen Schulwesens weiter vorantreiben kann.
// 10
11. Um die Zukunftsfähigkeit des BLLV zu sichern, öffnete er sich als Gesamtverband für
alle Lehrämter und Erziehergruppen. Er entwickelte ein modernes Erscheinungsbild, ein
professionelles Management und neue Dienstleistungssegmente für seine Mitglieder:
Er pflegt zeitgerechte, interaktive Formen der digitalen Information und Kommunikation.
Er verstärkte Beratung und Rechtsschutz, gründete eine eigene Fortbildungsakademie
– auch zur Schulung seines Verbandsnachwuchses. Er unterhält ein exklusives Institut
für Gesundheit in pädagogischen Berufen und verfügt über einen leistungsfähigen Wirt-
schafts- und Reisedienst. Seiner besonderen sozialen Verantwortung wird er durch ein
international tätiges Kinderhilfswerk gerecht.
Mit berechtigtem Stolz darf ich feststellen: Als mitgliederstärkste Bildungs- und Berufs
organisation überzeugt der BLLV durch Kompetenz, Unabhängigkeit und Solidarität. Es ist
mir eine Ehre, dass auch ich dazu beitragen durfte.
Dr. h. c. Albin Dannhäuser
Ehrenpräsident
Präsident des BLLV von 1984 bis 2007
11 //
12. Aufbruch zur Demokratie –
der wiederaufbau des BLLV nach 1945
Meiner Generation war es aufgetragen, nach dem 2. Weltkrieg den Weg aus der Dik-
tatur des Dritten Reiches in die neue Demokratie und die Öffnung zu den Ländern der
„freien Welt“ zu bahnen.
Die Kämpfe um die Lösung schulpolitischer Nöte ließen Alt und Jung zusammenwach-
sen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war die Eingliederung der Flüchtlings- und
heimatvertriebenen Lehrer und Lehrerinnen eine wichtige kollegiale Herausforderung.
Hilfreich für den BLLV waren anfänglich die Forderungen der Erziehungsabteilung der
amerikanischen Besatzungsmacht, die unseren eigenen entsprachen. Jedoch blieb die
Schulpolitik der 50er bis zum Ende der 60er Jahre geprägt vom Kampf zwischen eman-
zipatorischen und politisch beharrenden Kräften. Die Trennung der Schüler und Lehrer
nach Konfessionen wurde neu etabliert und verfestigt.
1954 gelang es mir, mit der außerparlamentarischen Kraft des BLLV, dass eine bay-
erische Regierung gebildet wurde auf der Grundlage unserer bildungspolitischen For-
derungen. In den Jahren dieser Viererkoalition (ohne CSU) von 1954-1957 veränderte
sich das Verständnis für eine zukunftsorientierte Schule in den Parteien und relevan-
ten Gruppen der Öffentlichkeit. Unser Verband wurde zu einem anerkannten und nicht
(mehr) zu vernachlässigenden bildungspolitischen Faktor.
Unter Einsatz seiner berufswissenschaftlichen Autorität und seines gewachsenen bil-
dungspolitischen Gewichts kämpfte der BLLV um die akademische Bildung von Volks-
schullehrern und -lehrerinnen. In einem historischen Durchbruch wurde vom Landtag
1958 einstimmig ein Lehrerbildungsgesetz verabschiedet, mit dem ein Jahrhundert
ständischer Diskriminierung endete.
Nach zehn Jahren weiteren Ringens wurde 1968 mit einem wesentlich vom BLLV ini-
tiierten Text über einen Volksentscheid die Bayerische Verfassung geändert. Der BLLV
erreichte damit die Abschaffung der strikt nach Konfessionen getrennten staatlichen
Bekenntnisschulen zu Gunsten einer für alle Schüler und Lehrer gemeinsamen „Christ-
lichen Schule“.
// 12
13. Um den gesellschaftlichen Status des BLLV zu erhalten und zu steigern, hatte ich 1959
eine Professionalisierung der BLLV-Führungsstruktur mit hauptamtlichen Mitarbeitern
initiiert. Meine Nachfolger haben jeder auf seine Weise die Bedeutung des BLLV als
Bildungsverband, der die historisch überholte Aufteilung in schulartspezifische Interes-
sen überwunden hat, gestärkt und ausgebaut.
Die weitere Zunahme an Mitgliedern und öffentlicher Bedeutung des BLLV erfüllt mich
mit großer Zufriedenheit. Stolz bin ich auch, dass der BLLV entgegen mancher politischer
Versuchungen und interner Bestrebungen seinen Grundprinzipien treu geblieben ist, allen
voran seiner Unabhängigkeit von Parteien, Kirchen und bildungsfremden Einflüssen.
Vor 50 Jahren hatte ich das Privileg, als Erster Vorsitzender im Regensburger Reichssaal
die 100-Jahr-Feier des BLLV mitzugestalten. In dankbarer Freude auch die 150-Jahr-
Feier noch zu erleben, gratuliere ich zu diesem Jubiläum und wünsche dem BLLV
weiterhin reichen Erfolg.
Dr. h. c. Wilhelm Ebert
Ehrenpräsident
Präsident des BLLV von 1955 bis 1962
und von 1967 bis 1984
13 //
14. Geschichte und Verantwortung
zum Jubiläum des BLLV
Dr. Ludwig Spaenle
150 Jahre Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband – dieses Jubiläum bezeich-
net einen Zeitraum, der zwei Jahrhundertwenden überspannt. Ich freue mich, dieses
besondere Jubiläum im Kontext der reichen Zeit-, Bildungs- und Verbandsgeschichte
des BLLV zu würdigen, was mir als Historiker nahe und besonders am Herzen liegt.
Geschichte ist nichts Abgelegtes unter Staub und Spinnweben im Antiquitätenladen
fernab unserer heutigen Verhältnisse. Geschichte ist mit dem niederländischen Historiker
Johan Huizinga die Rechenschaftsablage von uns Gegenwärtigen über die Bedingungen
des Gewordenen – und zwar in einem durchaus grundsätzlich wertenden Sinn. Es geht
um Verantwortung, um Einsichten aus der Vergangenheit für eine humane Zukunft.
Ursprünge des BLLV
Wenn der BLLV seines 150-jährigen Bestehens und damit auch seiner Anfänge zu Be-
ginn der 60er Jahre des vorletzten Jahrhunderts gedenkt, dann richten sich die Blicke
über einen langen Zeitraum zurück. Wir fokussieren eine Welt, die zunächst von unserer
heutigen ganz verschieden anmutet, die aber zugleich durch erstaunliche Analogien ge-
kennzeichnet ist:
•• um einen haben wir es mit einer Welt grundlegender technisch-ökonomischer
Z
Umstellungen zu tun. Das Stichwort „Industrielle Revolution“ bezeichnet durchaus
zutreffend das damalige Aufbrechen bisheriger agrarisch-ständischer Verhältnisse.
•• inzu kommt die Veränderung der politischen Umstände: Die Anfänge des BLLV –
H
damals noch BLV, Bayerischer Lehrerverein – fallen in eine Zeit vielfacher Gründun-
gen von Verbänden, aber auch von Vereinen und Gesellschaften, ob Turner, Feu-
erwehren oder Sänger. Auch und gerade im monarchischen und alles andere als
bereits demokratischen Staat entwickelt sich so etwas wie eine Bürgergesellschaft.
// 14
15. •• ugleich geht es um die Legitimation des Staates selbst: Es wird nicht nur um
Z
Verfassungsordnungen, um Wahlrecht und Partizipation gerungen, es entstehen
zudem Fraktionen und Parteien.
•• s geht auch um die Frage der Rückbindung, manche würden auch sagen Abhängig-
E
keit, von Staat und Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu religiösen Überzeugungen und
religiösen Bekenntnissen. Einer liberalen, sich als aufgeklärt verstehenden Grundrich-
tung steht eine nach dem Zeitalter der Französischen Revolution durchaus erstarkte,
sehr unmittelbare Volksfrömmigkeit gegenüber, wie sie der lange in München lehrende
Historiker Franz Schnabel in seiner Deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts
anschaulich darstellte. Die Reichsgründung von 1871 ist sozusagen der deutlichs-
te Ausdruck dieses Spannungsverhältnisses – im Übrigen aber keineswegs nur auf
deutschem Boden, sondern als damalige Tendenz in großen Teilen Europas, in Italien
etwa in der Auseinandersetzung zwischen dem neuen italienischen Nationalstaat und
dem Heiligen Stuhl. Besonders militant begegnet er uns in Frankreich, wo sich dann
zu Beginn des 20. Jahrhunderts der laizistische Staat mit voller Vehemenz durchsetzt,
die Trennung von Staat und Kirche in rigider Weise kodifiziert. Und auch hier spie-
len Schule und Lehrer eine besondere Rolle: Die dritte französische Republik wertet
nach der Niederlage von 1871 gegen Preußen-Deutschland sehr bewusst die Rolle
von Schule und Lehrer auf, in Lehrerbildung, -besoldung und Identität des pädago-
gischen Berufes, um die Modernisierung der eigenen Gesellschaft wie insbesondere
ihre Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu befördern.
Der Kampf um die Befreiung des Schulwesens und zumal der Lehrerschaft von Bevor-
mundung und um ihre berufliche wie intellektuelle Aufwertung ist somit, bei unterschied-
lichen Schwerpunkten wie Anlässen, damals geradezu ein europäischer Kampf.
15 //
16. Die Gründung des BLV fällt also in eine Zeit vielfacher Gärungen und Umbrüche. Dass
der Bestand von Staat und Gesellschaft in existenzieller Weise von Bildungspolitik und
Bildungswesen abhängt, wird während des 19. Jahrhunderts zum Allgemeingut – nicht
nur, weil die Industrielle Revolution Kompetenzerfordernisse stellt, die es so vorher nicht
gab. Es geht auch, viel elementarer, darum, von Unmündigkeit zu Mündigkeit zu gelan-
gen, höhere Bildungsstandards für alle Menschen und in allen Regionen durchzusetzen
und, wenn auch gewiss nicht schon in unserem heutigen ausgeformten Verständnis,
auch Staatsbürger heranzubilden.
Das Bayern der sechziger Jahre des vorletzten Jahrhunderts ist ja bereits seit 1818
ein Verfassungsstaat, ein Staat, der den politischen Diskurs und den politischen Wett-
bewerb kennt. Und es ist ein Staat, der sich zwar anders, aber durchaus auf ähnliche
Weise wie heute, selbst im Wettbewerb befindet: Fünf Jahre später, im Juli 1866, findet
der letzte innerdeutsche Krieg statt: die Auseinandersetzung zwischen Preußen auf der
einen und Österreich mit seinen Verbündeten, darunter Bayern, auf der anderen Seite.
Es ging um die Frage, wie und mit wem eine künftige deutsche Einheit zu erreichen sei.
Das Sprichwort sagt, Preußen habe den Erfolg weniger seiner militärisch wichtigsten In-
novation, dem sogenannten Zündnadelgewehr, zu verdanken gehabt, sondern – gesell-
schaftspolitisch – dem preußischen Volksschullehrer bzw. „Schulmeister“ in der Diktion
von damals. Denn durch ihn seien die mobilisierten Wehrpflichtigen zu eigenständigem,
verantwortungsbewusstem wie effizientem Handeln fähig gewesen – Kompetenzen, die
heute gewiss nicht minder nachgefragt sind. Ob die Preußen damals den Österreichern
in dieser Hinsicht tatsächlich deutlich voraus waren, sei dahingestellt. Das Beispiel zeigt
aber jedenfalls, wie wichtig der Erfolg des Bildungswesens für den Erfolg von Staaten
und Gesellschaften insgesamt ist und dass sich dafür jegliche Investition lohnt; und diese
Erkenntnis ist unbestreitbar dauerhaft gültig.
// 16
17. Bei allen einschneidenden Wandlungen der Gesellschaft im 19. Jahrhundert: Sie war
noch eine Klassengesellschaft. Der Volksschullehrer war kein Akademiker. Er war damit
nicht – was damals unerhört viel zählte – „satisfaktionsfähig“, also würdig genug, um
zum Duell gefordert zu werden oder selbst zu fordern. Auch diese aus heutiger Sicht
Skurrilität einer militanten Männergesellschaft zeigt im übrigen, wie grundlegend sich
unsere Gesellschaft geändert hat. Ausbildung und Bezahlung des sogenannten Volks-
schullehrerstandes lagen damals weit zurück. Dazu wurde die kirchliche Schulaufsicht,
die es bis zum Ende der Monarchie gab, als Fremdbestimmung empfunden.
Die bayerischen Volksschullehrer hatten also viele gute Gründe, sich vor 150 Jahren
eine neue und schlagkräftige organisatorische Plattform zu schaffen. Und wenn man
damals und heute vergleicht, so schwierig das eben auch ist, so lässt sich jedenfalls
bilanzieren: Eine erfolgreichere Verbandsgründung dürfte es in der neueren bayerischen
Geschichte schwerlich gegeben haben!
Zur Geschichte des Bildungswesens bis zur Wiedergründung des BLV 1946
Umgekehrt lässt sich heute sagen und bilanzieren: Die bayerische Geschichte insge-
samt findet gerade in der Geschichte des Bildungswesens, in den Wechselfällen von
Fortschritt und Emanzipation auf der einen Seite, aber auch von Niedergang und totali-
tärer Zerstörung auf der anderen ihren besonders signifikanten Niederschlag.
Zentrale Entwicklungen wie die Umformung des Staates, die Notwendigkeit inhaltlicher
wie formaler Höherqualifizierung, die revolutionär gewandelte Rolle der Frau, die stete
Weiterentwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses und schließlich die Transzendierung
nationaler Grenzen durch europäische Integration wie Globalisierung: Diese beherr-
schenden säkularen Trends haben das Bildungswesen geprägt und umgekehrt. Und sie
haben zugleich das jeweilige Bild von Schüler und Lehrer wesentlich beeinflusst.
17 //
18. Durch den nationalsozialistischen Staatsstreich vom 9. März 1933 wurde Bayern für
über 12 Jahre seiner Eigenstaatlichkeit beraubt. Die Gleichschaltung der Länder bedeu-
tete nicht zuletzt eine Gleichschaltung ihrer Bildungspolitiken. Deutschland war nie so
zentralisiert wie in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur von 1933 bis 1945. Der
nationalsozialistische Unitarismus vermittelte in seiner Bildungspolitik flächendeckend
den Ungeist von Gottlosigkeit, von Antisemitismus und Rassenwahn, von Geopolitik und
von Imperialismus. Reflexion und kritisches Denken, heute zentrale Bildungsziele, soll-
ten möglichst unterbunden werden – Ausdruck eines auch bildungspolitischen Totalita-
rismus. Und in dieses Bild gehört auch, dass es für Vielfalt, Pluralität und eigenständige
Interessenwahrnehmung keinen Platz mehr geben durfte:
Auch der BLV verlor seine Eigenständigkeit. Ideologisch war naturgemäß der „Natio-
nalsozialistische Lehrerbund“ (NSLB) Partner, ja Bestandteil des Regimes, in dessen
unmittelbarer „Gefolgschaft“, so die Sprache des sogenannten Dritten Reiches – unter
der Führung des braunen Musterpädagogen, Gauleiters („Gau Bayerische Ostmark“
aus Oberfranken und der Oberpfalz) und schließlich seit März 1933 Bayerischen Kul-
tusministers Hans Schemm. Der BLV wurde am 1. Juli 1934 korporativ der „Abteilung
Wirtschaft und Recht“ im NSLB angefügt, sein weithin nur noch formales Eigenleben
endete mit Wirkung vom 31. Dezember 1937. Die Lehrer selbst wurden Reichsbeamte,
die Volksschullehrer dabei auf dem Besoldungsniveau des gehobenen Dienstes. Von
einer wissenschaftlich fundierten Ausbildung blieb man weiter entfernt denn je.
Ein Höhepunkt der Selbstvergötzung des Regimes war die Entfernung der Kruzifixe aus
den Klassenzimmern im Jahr 1941. Viele jetzt Hochbetagte in unserem Land erinnern
sich heute noch daran. Gegen keine Maßnahme des Regimes im Bildungsbereich gab
es soviel Widerspruch, Resistenz, ja Widerstand wie eben gegen dieses Vorgehen. Es
konnte und sollte vor allem symbolisieren: Der Mensch als Wesen mit eigener Persona-
lität, mit einer Rückbindung an eine transzendente Dimension, hatte aus dem Bewusst-
sein zu verschwinden. Totalitäre Allmachtsphantasien können keinen Raum für sittliche
wie intellektuelle Autonomie dulden.
// 18
19. Umgekehrt liegt in dieser fundamentalen Erkenntnis zugleich die stete Mahnung an
jede Bildungspolitik, die sich in einem sittlichen Bezugsrahmen sieht, die Würde wie die
Personalität des Menschen an die erste Stelle zu setzen. Das heißt zugleich: Der Res-
pekt vor dem Menschen steht vor dem Zweck, vor der Rolle und vor der Funktion. Der
Mensch ist nicht Objekt, im übrigen auch nicht für ökonomische Zwecke – woran man
heute in Zeiten unentwegt beschworener, manchmal wie zum Mantra erhobener Globa-
lisierung sehr nachhaltig erinnern muss – sondern seine Würde und seine Individualität
gehen jeder Zweckbestimmung voraus. So verbietet sich etwa, wenn Sie mir diesen
auf unsere Gegenwart bezogenen Hinweis gestatten, ein Begriff wie „Humankapital“
ethisch eigentlich wie von selbst. Humanität, Rechtlichkeit und Demokratie setzen
zwingend diese Einsichten voraus – auch und vor allem als dauerhaft gültige Voraus-
setzungen des verfassungsmäßigen und politischen Neubeginns nach 1945.
Leistungen des Verbandes seit der Wiedergründung 1946
1946 erfolgte die Wiedergründung des BLV, der im Jahre 1951 in BLLV umbenannt
wurde, nachdem bereits seit 1878 auch Lehrerinnen Mitglied werden konnten.
Die bayerische Geschichte in der Nachkriegszeit ist, auch und gerade im innerdeut-
schen Vergleich, weit überdurchschnittlich eine Modernisierungsgeschichte. Es geht vor
allem um
•• ine sogenannte überholende Modernisierung. Sie machte aus einem im innerdeut-
e
schen Vergleich zurückliegenden Agrarland ein Land neuester Industrien auf hohem For-
schungsniveau – gewissermaßen an den alten, schwerindustriellen Revieren an Rhein,
Ruhr und Saar vorbei: Wenn Sie so wollen „High Tech“ statt rauchender Schlote;
•• ie Entwicklung eines spezifisch bayerischen Staats- und Gesellschafts-
d
modells, das auf dem Zusammenhang von Modernität und Identität gründet und das
viel zur gesellschaftlichen Stabilität wie Prosperität unseres Landes bis in die Gegen-
wart – und hoffentlich auch in die Zukunft – beigetragen hat.
19 //
20. Eine der wichtigsten Voraussetzungen waren und sind die gravierenden Innovationen,
die das bayerische Bildungswesen in den bislang rund zwei Generationen Nachkriegs-
geschichte unseres Landes erfuhr.
Diese bayerische Bildungsgeschichte ist keine Harmoniegeschichte gewesen und sie
wird es vermutlich auch in Zukunft nicht sein können. Sie präsentiert sich vielmehr in
mehrfacher Hinsicht auch als demokratische Streitgeschichte. Insofern sehe ich hier
aber ein positives Moment: Der lösungsorientierte Konflikt ist in der Demokratie nicht
etwa ungeliebt-unvermeidlich, nein, er ist innovativ, er mobilisiert intellektuelle Potentiale
und er legitimiert die Entscheidungen, die am Ende getroffen werden. Auf dieser langen
Wegstrecke war der BLLV in dieser bayerischen Bildungs- wie in der bayerischen Lan-
desgeschichte insgesamt ein ganz wesentlicher Akteur – und es spricht alles dafür, dass
sich daran auch in der Zukunft nichts ändern wird.
Eine der essentiellen Voraussetzungen war – und bleibt – seine parteipolitische Unab-
hängigkeit. Das heißt zugleich gewiss nicht, dass er gerade nach seinem Selbstver-
ständnis nicht in den bildungs- und gesellschaftspolitischen Konflikten der Zeit Partei
ergriffen hätte und ergreift.
Lassen Sie mich an einem Beispiel zeigen, dass auf sehr indirekte Weise, meine eigene
Partei, die CSU, davon vermutlich sogar einmal wesentlich profitiert hat:
Ausgangspunkt ist die sogenannte Viererkoalition in Bayern von 1954 bis 1957. Bei
deren Gründung spielte – da sind sich die Historiker in allen Lagern einig – der dama-
lige BLLV-Vorsitzende Wilhelm Ebert eine wesentliche, vielleicht entscheidende Rolle,
insbesondere weil es ihm um die damals zentralen bildungspolitischen Anliegen ging,
darunter an erster Stelle um die Weiterentwicklung der Lehrerbildung. Diese Koalition
währte nur drei Jahre und danach gelangte eine regenerierte CSU wieder in die Regie-
rungsverantwortung. Ihr erst gelang dann 1958 eine Neuregelung der Lehrerbildung mit
an die Universitäten angebundenen pädagogischen Hochschulen. Im Übrigen zeigt das
Beispiel auch, dass Modernisierung einen Prozess darstellt. Sie gelangt eben nie an ein
definitives Ende. Der Status von 1958 ist selbstverständlich seit langem gewissermaßen
aufgehobene Vergangenheit: Lehrerbildung als Teil des Universitätsprofils ist heute eine
Selbstverständlichkeit.
// 20
21. Die zweite große Zäsur bezeichnet eine Konstellation rund ein Jahrzehnt später. Ich
meine die Auseinandersetzung um Konfessionsschule wie (christliche) Gemeinschafts-
schule. Auch diese Auseinandersetzung der ausgehenden sechziger Jahre steht in einer
langen Kontinuität bayerischer Geschichte über die Zäsur von 1918 hinweg: So war
bereits 1869/70, also acht Jahre nach Gründung des BLV, der damalige bayerische
Ministerpräsident Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst an einem Schulgesetz gescheitert,
das die geistliche Schulaufsicht zurückführen sollte – gegenüber einer dezidiert katho-
lisch-ländlichen Majorität nach Neuwahlen, der sogenannten „Patriotenpartei“, in der
Zweiten Kammer des Bayerischen Landtages. Diese sehr spezifisch bayerische Mehr-
heit begegnete dem damaligen liberalistischen Fortschrittsdenken der Ministerialbüro-
kratie höchst misstrauisch – in Ludwig Thomas „Filserbriefen“ findet diese Konstellation
ihre erheiternde, historisch aber zugleich wohlbegründete Fortführung.
Ziemlich genau ein Jahrhundert später, 1968/69, war es vor allem der Kooperation
zwischen dem damaligen BLLV-Präsidenten Wilhelm Ebert und Franz-Josef Strauß zu
verdanken, dass der Streit um die Bekenntnisschule nicht in einem weiteren Kultur-
kampf eskalierte, der die Atmosphäre im Lande hätte vergiften können. Statt einer
sehr heftigen Auseinandersetzung zwischen SPD und FDP wie BLLV auf der einen
und CSU wie weitgehend der Katholischen Kirche auf der anderen Seite gelang die
Durchsetzung des Modells der christlichen Gemeinschaftsschule in einer Fassung für
den Volksentscheid vom 7. Juli 1968, auf die sich schließlich die tragenden politischen
Kräfte im Land verständigt hatten. Es war im übrigen eine Zeit, in der auf Bundesebene
in einer Großen Koalition von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger mit Vizekanzler Willy
Brandt gesamtgesellschaftliche sogenannte „konzertierte Aktionen“ – also kollektive Ab-
stimmungsprozesse der in Staat und Gesellschaft verantwortlichen Kräfte – vielfach und
erfolgreich praktiziert wurden.
21 //
22. Innovation bedarf sowohl des demokratischen Streites wie auch des demokratischen
Miteinanders. Franz Josef Strauß, Wilhelm Ebert und Hans Maier, letzterer von 1970
bis 1986 Mitglied der Bayerischen Staatsregierung, bildeten für die Folgezeit ein Trio,
das die Bildungs- wie die Landespolitik nicht selten streitig, aber eben auch effizient und
bei allen Beteiligten engagiert prägte: Hans Maier schreibt in seinen im Frühjahr 2011
erschienenen Memoiren, dass Ebert einerseits Strauß mit Unterlagen über eine angeb-
lich zu rigide, ja disziplinierende Personalpolitik des Kultusministeriums gegenüber der
Lehrerschaft versorgte, was im Ministerrat mancherlei Ärger produzierte.
Dagegen verbündete Maier sich dann mit der CSU-Landtagsfraktion – insgesamt be-
merkenswerte und auch sehr bayerisch-saftige Bündnisstrukturen. Zugleich aber gab
Ebert zu Maiers Ausscheiden aus der Staatsregierung 1986 eigens einen Empfang
– gewiss, um Verbundenheit gegenüber der großen gemeinsamen Sache und, mit
Noblesse, Respekt vor dem Menschen zu bekunden, bei allen Divergenzen in Sach-
problemen – so soll es sein.
Im BLLV folgte dann die Ära Dannhäuser von 1984 bis 2007. Ebert und Dannhäuser
waren auf ihre je eigene Weise ungemein erfolgreich. Aber schon die Zeitumstände mach-
ten es unvermeidlich, dass Inhalte und Vorgehensweisen sich deutlich unterschieden –
Zunächst, auch noch im Schatten der Nachkriegszeit, die quantitativen Bedingungen wie
Erfolge: Mehr Schüler, dafür mehr Lehrer. Seit Mitte der sechziger Jahre stand dies unter
dem Primat einer sogenannten Mobilisierung von Bildungsreserven vor allem im ländlichen
Raum. Hinzu kamen die Akademisierung des Lehrerberufs und seine Statusaufwertung.
Hingegen die Agenda seit den neunziger Jahren: Wahrnehmung des demografischen
Wandels, Migration, Relativierung nationaler Grenzen und zunehmende Internationalität
als Referenzebene für Bildung und Bildungsevaluation, dazu die Revolution in Medien
und Kommunikation.
// 22
23. Die Tugend der Verantwortungsethik
Die Vergangenheit hält, zumal für unübersichtliche und schwierige Zeiten – ich nenne
nur die Stichworte Migration und Globalisierung – keine Rezepte bereit, die sich
schematisch anwenden ließen. Aber die Vergangenheit lehrt uns eben doch, welche
Grundsätze und Verhaltensweisen unabdingbar sind, um ein Gemeinwesen verantwort-
lich und human entwickeln zu können.
Max Weber spricht in diesem Zusammenhang von der Tugend der „Verantwortungsethik“,
also einer Haltung, die das sittlich Gebotene mit dem Machbaren vernünftig und vermit-
telbar zusammenzubringen sucht, die also weder mit dem Kopf durch die Wand will noch
standpunktlos-beliebig kurzfristigen und auch nur vermeintlichen Nutzen erstrebt.
Verantwortungsbewusstsein gepaart mit einem besonderen Selbstbewusstsein hat den
BLLV über den Zeitraum von nunmehr fünf Generationen ausgezeichnet.
Ich bin sicher, dass Bayern auch künftig auf dieses Kapital zu bauen vermag.
Dr. Ludwig Spaenle
Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus
23 //
24. Aufruf zur Gründung
eines „Bayerischen Lehrervereines“
Bayerische Schulzeitung 22. August 1861
Fast in den meisten deutschen Staaten bestehen schon Lehrervereine und es lässt sich
nicht leugnen, dass sie sowohl zur Kräftigung des Lehrerstandes als auch zur Hebung
der Volksschule ungemein viel beitragen; es ist ihnen auch rühmend nachzusagen, dass
sie frei von Parteigetriebe eifrigst bestrebt sind, das vorgesteckte Ziel zu erreichen und
dabei stets das intellektuelle und moralische Gedeihen der vaterländischen Jugend im
Auge zu behalten.
Überall, wo solche Vereine existieren, bemerkt man ein reges und tätiges Leben unter
der Lehrerwelt; man kann sich überzeugen, dass die Lehrer vom korporativen Geiste
durchdrungen, ohne Ausnahme für das Interesse der Schule einstehen und wirklich Gro-
ßes leisten. Es ist auch ganz natürlich, dass nur mit vereinter Kraft Großes erreicht und
die einem Stande auferlegten Pflichten vollkommen erfüllt werden können. Mögen die
einzelnen Glieder noch so tüchtig sein, erst durch die Vereinigung zu einem Ganzen, zu
einem Körper wird es ihnen möglich, mit Heftigkeit aufzutreten und durch das harmonische
Zusammenwirken das Gelingen des Werkes herbeizuführen. Andere Stände halten schon
lange an dem Grundsatze „viribus unitis“ fest und mit dem besten Erfolge. Gestählt von
Innen, sind sie geachtet von Außen und selbst die Regierungen berücksichtigen möglichst
ihre wohl motivierten Anträge und Bitten. Wir erinnern hier nur an die Handelskammern,
die Gewerbevereine, die Apotheker-Gremien, die agronomischen Vereine etc.
Sollen nun wir Lehrer immer und in Ewigkeit isoliert und ohne Vertretung bleiben; wir, die
wir für eine höchst wichtige, auf das Volkswohl sehr großen Einfluss ausübende Sache –
für die Volkserziehung einzustehen haben; wir, die wir nur durch gehobene Achtung mit
Erfolg unserm Berufe uns widmen können und wir, die wir auf Grund unserer Praxis und
Erfahrung ein nicht ganz zu ignorierendes Urteil abzugeben vermöchten! – Haben wir nicht
gerade in der Gegenwart so recht das Bedürfnis nach Einigung gefühlt? Sollen wir nun
nicht zur Realisierung eines bereits gehegten Wunsches schreiten?
// 24
25. Auf denn, teure Amtsbrüder, in allen Gauen unsers lieben Vaterlandes! Zeigt Euch als
Männer, die für ihr Amt begeistert sind; gründet einen „Bayerischen Lehrerverein“, der frei
von jeder politischen Tendenz nur das Wohl der Schule und der vaterländischen Jugend
im Auge behält. Seid gewiss, dass Euer edles Streben vom herrlichsten Erfolge gekrönt
sein wird, und dass Regierung und Volk mit Vertrauen auf Euch schauen werden, die Ihr
es durch die Tat beweiset, dass Euch heilig Euer Beruf und dass Ihr mit ganzer Kraft ein-
stehet für Volk, Thron und Altar!
Am 16. August 1861
Kollegialen Handschlag!
Die Redaktion der „Bayerischen Schulzeitung“
Karl Heiß
25 //
26. Die Gründungsversammlung
im historischen reichssaal zu Regensburg
Die Versammlung bayerischer Schullehrer behufs der Gründung eines bayerischen
Volksschullehrer-Vereines in Regensburg am 27. Dezember 1861 (Auszüge)
Wenn man teuere Freunde zur Ausführung eines wichtigen Werkes in die Ferne sendet,
so ist man sehr gespannt auf deren Zurückkunft, und sind sie endlich wieder in der Heimat
angelangt, so fallen Fragen auf Fragen und Alles möchte wissen, wie es gegangen und
ob die Sache gelungen. Auch ich glaube schon die Frage so Vieler zu vernehmen: „Was
ist denn in Regensburg alles geschehen?“
Nun, nur etwas Geduld, ich werde getreulich erzählen. Wenn ich mit dem Wetter beginne,
so dürfen die lieben Leser nicht Wortarmut vermuten, oder glauben, ich werde wässerig,
wie Knigge sagt; allein es waren eben gar so schöne Wintertage und die liebe Sonne
schien so mild auf uns herab, als ob sie sich freute, dass auch wir uns einmal als Brüder
begegnen wollen.
Die meisten von uns kamen schon Donnerstag, den 26. Dezember, in Regensburg an. Wir
wurden von den dortigen Herren Kollegen und von denen in Stadtamhof in der herzlichsten
Weise empfangen und freundlich in die Gasthöfe begleitet. Abends 7 Uhr trafen wir im
kleinen Neuhaussaal zu einer Vorbesprechung zusammen.
Nachdem man sich gegenseitig begrüßt hatte, wobei es natürlich an freudigen Über-
raschungen nicht fehlte, setzte ich in einer kurzen Anrede den Zweck der Vorberatung
auseinander, bemerkte, dass zwei Statuten-Entwürfe für den bayerischen Volksschul-
lehrer-Verein vorliegen und unter die Anwesenden verteilt werden, damit sie sich darüber
schlüssig machen könnten, welcher von beiden bei der Hauptversammlung als Grund-
lage zu dienen hätte, und hieß endlich die Versammelten herzlich willkommen. Hierauf
ergriff Herr Lehrer Marschall das Wort, verbreitete sich über den von ihm angefertigten
Statuten-Entwurf und legte der Versammlung an’s Herz, dem begonnenen Werke durch
Eintracht die Krone aufzusetzen. Herr Lehrer Stöckl von Landsberg, der Verfasser des
zweiten Statuten-Entwurfes, erklärte sodann, dass er, weil beide Entwürfe prinzipiell
nicht weit von einander abweichen, den seinen zurückziehe, sich jedoch vorbehalte, bei
der Hauptversammlung einige Modifikationen anzubringen. Hierauf beschloss die Ver-
sammlung einstimmig, den Entwurf des Herrn Marschall als Grundlage bei der Haupt-
Konferenz anzunehmen.
// 26
27. Nun wurde zur Feststellung der Geschäftsordnung geschritten und beschlossen:
1. ür die Hauptversammlung sind zwei Vorsitzende, zwei Schriftführer und
F
ein Beisitzer zu wählen. Die Wahl kann durch Akklamation geschehen.
2. n den Beratungen können sich sämtliche anwesende Lehrer beteiligen;
A
beschlussfähig sind aber nur die Bevollmächtigten.
3. Die Abstimmungen erfolgen durch Aufstehen und Sitzenbleiben; bei zweifelhafter
Gegenprobe oder bei wichtigen Fragen durch Namensaufruf oder Stimmzettel,
je nach Entscheid des Vorsitzenden.
4. arüber, welche Gegenstände zurückzustellen seien, wenn die Zeit zur Erledigung
D
aller nicht ausreicht, entscheidet die Versammlung; die Reihenfolge der Gegenstände
aber wird vom Präsidium festgesetzt.
5. er Vorsitzende hat das Recht, einen Gegenstand zum Schluss zu bringen, wenn sich
D
die Mehrzahl der Stimmberechtigten dafür ausspricht.
6. er Vorsitzende erteilt das Wort nach der Reihenfolge der Anmeldungen.
D
7. erselbe hat das Recht einem Redner das Wort zu entziehen, wenn er vom Gegen-
D
stand abschweift, Ungehöriges vorbringt, oder zu viel Zeit für sich in Anspruch nimmt.
Bezüglich der Tagesordnung wurde festgesetzt:
1. Beginn der Konferenz: 9 Uhr morgens
2. röffnung der Versammlung durch einen Vortrag des Redakteurs der
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Bayerischen Schulzeitung
3. Wahl des Präsidiums
4. Prüfung der Vollmachten
5. Beratung und Beschlussfassung über den Statuten-Entwurf
6. Wahl des Hauptausschusses
7. Wahl des Vereinsorganes.
8. Beratung über den Ort und die Zeit der nächsten 1. Hauptversammlung.
Nachdem somit die Aufgabe der Vorversammlung erfüllt war, verkehrten die Anwesenden
in gemütlicher Weise noch einige Zeit und so gegen 11 Uhr trennte man sich, um der
Ruhe zu pflegen, damit man den folgenden Tag mit neuer Kraft beginnen könne.
27 //
28. Noch an diesem Abende wurden Einzeichnungsbogen sowohl für die Herren Bevollmäch-
tigten als auch für die übrigen Herren Teilnehmer aufgelegt, um diese Verzeichnisse durch
die Güte eines Regensburger Kollegen noch in der Nacht autographiert, so dass sie schon
am andern Morgen in die Hände der Versammelten gegeben werden konnten.
Ein von Herrn Lehrer Stöckl in Landsberg entworfenes ausgeführtes und an diesem Abende
zur Einsicht aufgelegtes Tableau erregte sowohl bezüglich dessen symbolischer Anord-
nung als auch dessen herrlicher Vollendung allgemeine Bewunderung. In dasselbe werden
die Namen der Herren Bevollmächtigten, als der Gründer des Vereines, aufgenommen.
Das Original bleibt Vereinseigentum und in den Händen des jeweiligen 1. Vorstandes. Es
wird dasselbe jedoch auch durch Farbendruck vervielfältigt und haben sich bereits schon
viele der in Regensburg anwesenden Lehrer hierauf subskribiert. Es lässt sich auch nicht
zweifeln, dass es bald in die Hände der zweiten Vereinsmitglieder übergeben wird, umso
mehr der Preis bei großer Beteiligung sehr niedrig zu stehen kommt.
// 28
29. Am Haupttage (27. Dez.) versammelten wir uns präzis 9 Uhr morgens in dem alten und
ehrwürdigen Rathause der Stadt Regensburg, woselbst uns durch die Güte des hoch-
löblichen Stadtmagistrates der sogenannte Lottosaal zu unserer Verhandlung eingeräumt
wurde. Nachdem der Kommissär, der rechtskundige Magistratsrat Herr Mahr, erschienen
war, eröffnete ich die Versammlung und sprach mich in einem längern Vortrage über den
Zweck und das Ziel des zu gründenden Vereines aus.
Hierauf folgte die Wahl des Präsidiums. Zum 1. Vorsitzenden wurde der Berichterstatter,
zum 2. Vorsitzenden Herrn Lehrer Wölfel in Nürnberg, zum 1. Schriftführer Herr Lehrer
Marschall, Vertreter der Stadt Würzburg, zum 2. Schriftführer Herr Seminarlehrer Blum-
berger in Freising und zum Beisitzer Herr Lehrer Sturm in Stadtamhof, sämtliche per
Akklamation gewählt. Hierauf wurden die Vollmachten der Herren Bevollmächtigten durch
das Präsidium geprüft und zu den Akten genommen.
Ehe zur Beratung der Statuten geschritten wurde, stellte der Vorsitzende die Frage an die
Anwesenden: „Soll ein bayerischer Volksschullehrer-Verein gegründet werden?“ Ein ent-
schiedenes „Ja“ tönte durch den ganzen Saal.
Sodann ging es an die Beratung der Statuten. Nachdem diese Beratung beendigt, schritt
man zur Wahl des Hauptausschusses, welche statutengemäß auf der Hauptversammlung
und zwar mittels Stimmenzettel und bei absoluter Mehrheit erfolgen muss.
Nachdem der ganze Gang der Verhandlungen zu Protokoll konstatiert und dieses von den
Mitgliedern des Präsidiums unterzeichnet worden war, erteilte der 1. Vorsitzende dem
Rektor der Versammlung, Herrn Lehrer und Jubilarius Schultheiß in Nürnberg das Wort.
Derselbe belobte die Versammlung wegen ihres parlamentarischen Taktes, äußerte seine
Freude darüber, dass es ihm, dem 78-jährigen Greise, vergönnt war, an dem Werke der
Eintracht und Liebe mitzubauen, sprach den heißen Wunsch aus, es möge des Himmels
Segen mit dem jungen Vereine immerdar sein. Sodann wies er hin auf die Segnungen
deren sich unser Vaterland unter dem Schutze einer wohlwollenden Regierung zu erfreuen
hat, Segnungen, von welchen auch dem Lehrerstande ein gut Teil zufließe und schloss
mit einem Hoch auf Seine Majestät unsern allergnädigsten König, Max II., in welches die
ganze Versammlung mit Begeisterung einstimmte.
29 //
30. Somit war die Verhandlung beendigt. Der Hauptausschuss begab sich hierauf zu dem
stellvertretenden Bürgermeister, Herrn Rechtsrat Mayr, um die Gründung des Vereines zu
melden, das Verzeichnis der Mitglieder des Hauptausschusses zu übergeben und zugleich
den wärmsten Dank für das freundliche Entgegenkommen des Stadtmagistrates auszu-
sprechen. Herr Rat Mayr bemerkte, dass er einen Verein, der eine solch edle Tendenz
verfolge, mit Freuden begrüße und ihm das vollste Gedeihen wünsche.
Am Abend des genannten Tages war auch eine Produktion des Regensburger Liederkran-
zes, wozu wir sämtliche eingeladen waren. Die einzelnen Stücke wurden mit wahrer Meis-
terschaft durchgeführt und die Unterhaltung war eine so angenehme und erfrischende,
dass wir uns erst in später Stunde von einander trennten. Zu geeigneter Zeit wurde dem
verehrlichen Liederkranze von Herrn Lehrer Marschall in gut gewählten Worten herzlicher
Dank für die besondere Aufmerksamkeit ausgesprochen und dieser Toast von Seite des
Vorstandes des Liederkranzes, Herrn Assessor Steffaneli, in freundlicher Weise erwiesen
und als Gegengruß den anwesenden Lehrern der Singspruch des Liederkranzes in vollem
Chor dargebracht. Am 28. Dez., morgens, versammelten sich die meisten der städtischen
und fremden Lehrer im Gasthause zum Wirt, um noch vor dem Scheiden ein Paar Stunden
gemütlich und herzlich mit einander verkehren zu können. In heiterer Stimmung verbrachte
man diese Zeit und man begegnete sich mit einer Innigkeit, die nur aus wahrem kollegiali-
schen Bewusstsein fließen konnte. Auch wurden auf die hohe Kammer der Abgeordneten,
den Magistrat der Stadt Regensburg, Herrn Rechtsrat Mayr, auf die Regensburger und
Stadtamhofer Kollegen, den Gründer und Verleger des Vereinsblattes, den Vorstand des
Vereines und auf die daheim weilenden Amtsbrüder Toaste ausgebracht. Als dann Herr
Lehrer Kutschmann von Vilshofen von Herrn Landtags-Abgeordneten Föckerer freundlichen
Gruß und den herzlichen Wunsch überbrachte, es möge der Verein blühen und gedeihen,
ließ man allsogleich ein Telegramm an diesen warmen Vertreter unseres Standes abgehen,
in welchem ihm für sein stets bewiesenes Wohlwollen innigster Dank gesagt wurde.
// 30
31. Endlich nahte die Stunde der Trennung und nur hart ging man von einander. Alle schieden
wir jedoch von der alten Ratisblonà mit dem herrlichen Gefühle, für eine edle Sache gear-
beitet und unvergessliche Tage verlebt zu haben. – Und jetzt noch einen kleinen Nachtrag.
Die Beratung am Haupttage dauerte ununterbrochen von Morgens 9 Uhr bis Nachmittags
3 Uhr. Es waren nahezu 200 Teilnehmer aus den verschiedenen Kreisen gegenwärtig
und haben dieselben circa 1 500 Lehrer Bayerns repräsentiert. Rechnet man hiezu noch
jene Bezirke, welche zwar keinen Bevollmächtigten gesendet, ihren Beitritt aber bestimmt
erklärt haben, so darf man jetzt schon 2 000 Mitglieder rechnen, und es lässt sich mit
Gewissheit annehmen, dass sich die Beitritts-Erklärungen mit jedem Tag mehren.
Achdorf, bei Landshut, den 1. Januar 1862
Der 1. Vorstand des Bayerischen Volks-Schullehrer-Vereins Karl Heiß
31 //
32. Eröffnungsrede
des achdorfer lehrers Karl HeiSS
Einleitungsvortrag des Schullehrers und Redakteurs der Bayerischen Schulzeitung,
Karl Heiß zu Achdorf, gehalten bei der Versammlung bevollmächtigter Schullehrer
Bayerns zu Regensburg am 27. Dezember 1861
Meine Herren!
Am 16. Aug. legte ich den Samen der Konzentration in die Herzen meiner lieben Amts
brüder mit dem vollsten Vertrauen, dass er tiefe Wurzeln schlage, und doch nicht ohne
Bangen, es möchte eine ungeweihte Hand dessen Wachstum zu verhindern suchen. Ist nun
das Letztere wirklich eingetroffen, da man von einer Seite, von der man es am wenig ten
s
vermuten konnte, durch ätzende Stoffe dem Humus alle Tragfähigkeit benehmen wollte,
so schoss dessen ungeachtet der Keim üppig empor, und schon nach wenigen Monaten
haben wir einen lebensfrischen Baum vor uns, dessen Äste weithin durch die Gauen un-
sers Vaterlandes reichen, und dessen ausgebildete Krone die herrlichsten Früchte erwar-
ten lässt. Meine Herren! Schauen wir etwas in die Zukunft und betrachten wir die Früchte,
welche unsern mit aller Sorgfalt gepflegten Baum zieren.
Vor allem ist es die Frucht des Gemeinsinns. wenn wir so in unserm Stande Umschau hal-
ten, so finden wir nicht überall diese Tugend. Mögen nun hieran die Verhältnisse außer uns
in vielfacher Hinsicht die Schuld tragen, soviel ist gewiss, dass es auch bei uns an ech-
ter, wahrer Harmonie fehlt. Wir haben nämlich Standesgenossen, die sich selbst an den
edelsten Bestrebungen ihrer Amtsbrüder nicht beteiligen, weil sie nach dem Anspruche
Horaz: „Wen die Götter hassen, den machen Sie zum Schulmeister“ überall nur Kalamität
erblicken und sich und ihre Kollegen als Sündenbock anderer Stände betrachten. Wieder
andere sind zwar begeistert für ihren Beruf, wurden aber schon schroff enttäuscht, und
sind deshalb von Misstrauen so übermannt, dass sie sich passiv verhalten, wenn es gleich-
wohl die heiligsten Standesinteressen betrifft. Außer diesen finden sich welche, die sich
aller Kollegialität entschlagen und ihren eigenen Weg gehen, unbekümmert, ob er auch
der rechte sei; welche kein gemeinsames Ziel kennen und deshalb auch kein Bedürfnis
fühlen, mit ihren Amtsbrüdern gleichen Schritt zu halten. …
// 32
34. Ich möchte doch sagen, dass der Gemeinsinn auch bei uns noch sehr der Vervollkomm-
nung bedarf. Wir haben zu wenig Sympathie; wir betrachten uns großenteils bloß als ein-
zelne Glieder und nicht als geschlossene Kette und doch haben wir alle nur ein Ziel!
Unsere Aufgabe ist daher von nun an, des Gemeinsinns zu pflegen. Stets müssen wir
der schönen Worte Schillers eingedenk sein: „Immer strebe zum Ganzen, und kannst du
selber sein Ganzes werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!“
Alle unsere Bestrebungen gelten daher den Amtsbrüdern, dem ganzen Stande; nicht eng-
herzig seien unser Wissen und unsere Erfahrungen verschlossen in unserm Innern; nein,
alles werde zum Gemeingute des ganzen Standes. Teilnahme, Wärme, Liebe durchdringe
uns alle und heilig sei uns die Standes-Ehre. Meine Herren! Werfen wir uns nicht selbst
weg durch unwürdiges und unmännliches Betragen; bedenken wir, dass wir Glieder eines
öffentlichen Standes sind und dass es die Standes-Ehre gilt. Wenn wir nun so zur tatkräf-
tigen Korporation heranwachsen, wenn wir alle zusammenstehen wie ein Mann, wenn
wahre, innige Kollegialität in uns tief gewurzelt hat, so wird uns auch erhöhte geistige Tat-
kräftigkeit und erfolgreiche Erfüllung unseres Berufes als reife Frucht entgegenwinken.
// 34
35. Keinem Stande ist die Fortbildung und geistige Tätigkeit wohl dringender geboten, als
dem Lehrerstande. Sind es schon die äußeren Umstände, das Leben der Meisten auf
dem Lande, die seltene Berührung mit Gebildeten anderer Stände, ja selbst mit Standes
genossen, welche den Lehrer zwingen wenigstens im geistigen Verkehr mit der gebildeten
Welt zu bleiben, wenn er nicht, wie man gewöhnlich sagt, verbauern und versauern will,
so verlangt dieses noch gebieterischer sein Beruf. Ein altes Sprichwort sagt: „Stillstand
ist Rückschritt“ und wie wahr ist dieser Satz. Welche verderbliche Folge zeiht nicht dieses
„Stillstehen“ bei dem Lehrer nach sich. Anstatt Leben in seine Schule zu bringen, bringt er
Monotonie in dieselbe und seine Gleichgültigkeit, sein Kaltsinn pflanzen sich auf die Kin-
der fort. Ein Lehrer, welcher seine Fortbildung vernachlässigt, ist eine Schale ohne Kern,
eine Frucht ohne Saft und Geschmack und seine Schule gleicht einer Haide auf der man
vergebens üppige Gewächse und wohlriechende Blumen sucht. …
Es sei ferne von mir, vor fremden Türen kehren zu wollen, allein das muss ich doch bemer-
ken, dass manche unter den Lehrern ihre nicht besonders große Amtstätigkeit mit dem
Scheingrunde beschönigen wollen. Weihen wir unsere ganze Kraft unsern Standesoblie-
genheiten, wenden wir uns mit Ausdauer und Liebe unserm schönen Amte zu, welches
uns die Veredlung der Jugend zur Pflicht macht. Stets wollen wir der Pflicht eingedenk
sein, welche jedem Gebildeten auferlegt ist, den in Finsternis Lebenden dem wahren
Lichte zuzuführen.
Freilich ist notwendig, dass die Volksschule einige Selbstständigkeit erhalte, dass beson
ders die Lehrorgane in der Ausübung ihres Amtes gleich andern Ständen gesetzlich ge-
schützt werden und eine feste Stellung angewiesen bekommen. Seit jener Zeit nämlich,
in welcher man uns aus dem Zunftverbande gebracht hat (die Münchner Lehrer waren
damals die ersten, welche dagegen protestierten) sind wir als gasförmige Waffe, ja als kör-
perlose Wesen in sozialer Beziehung zu betrachten; denn es fehlt uns jede sichere Basis in
der Gesellschaft. Es gibt wohl keinen Stand, welcher auf der einen Seite so viele Pflichten
und auf der andern so wenig oder gar keine Rechte hat, als der Schullehrerstand. …
35 //
36. Man möchte wohl sagen, dass sich zu viele um die Schule bekümmern; denn fast alles
glaubt sich berufen, der Schule und dem Lehrer zu diktieren und jeder will die Schule
nach seiner Facon haben. Sehr treffend bemerkt ein gewiegter Schulmann unserer Zeit:
Jeder sieht die Volksschule von seinem Standpunkte an. Wer gern Honigschnittchen isst,
dem soll die Volksschule Bienenzucht treiben, dem einen soll sie drechseln, dem andern
Obst pflanzen, dem dritten Seide spinnen, einem Vierten erscheint sie als ein Anti-Brannt-
weininstitut, einem Fünften als ein Zuchthaus zur Verbesserung verdorbener Kinder. Dem
Gelehrten ist ihr Treiben zu oberflächlich, dem Unwissenden zu gründlich. Wer zählt die
Wünsche, die auf diesem Gebiete laut geworden sind. Das ist natürlich nicht das rechte
Interesse und eine solche Teilnahme schadet soviel als gänzliche Abneigung, und dass
die Volksschule auch ihre Gegner hat, ist längst erwiesen. Es gibt sogar unter den Glie-
dern der gebildeten Stände welche, die die Volksschule als ein ganz überflüssiges Institut
betrachten und welche die Lehrer an Schulen, weil sie keine höhere Ausbildung erhalten
haben, durchweg als Ignoranten ansehen. Jene sollten freilich bedenken, dass sich ohne
Volksschule bald alle Bande der Ordnung lösen müssen. Ebenso sollten sie wissen, dass,
wenn auch die Ausbildung der Lehrer nicht von allen Mängeln frei zu sprechen ist, sie
doch die allgemeine Bildung fördert und dass jeder strebsame Lehrer vorwärts trachtet
und deshalb doch nicht so ganz als Idiot gelten dürfte.
Als eine bedauernswerte Erscheinung muss auch angesehen werden, dass zwischen uns
und dem Stande, welcher doch in Bezug auf seinen Beruf uns so nahe steht*, im All-
gemeinen wenigstens eine große Kluft besteht, wie sie wohl in keinem andern Lande
vorkommen dürfte und doch könnten diese wissenschaftlich gebildeten Männer soviel zur
Hebung der Volksschule und der Lehrer an derselben beitragen. Diesem gegenüber ha-
ben wir aber, und Gott sei es gedankt auch Freunde, recht viele und aufrichtige Freunde,
Freunde in den verschiedenen Ständen; allein diese konnten bis jetzt nicht mit Kraft auf
uns und unsere Verhältnisse einwirken, weil sie keinen festen Boden hatten.
Unser Lehrerverein soll nun das allgemeine Interesse erwecken. Wir müssen nämlich
selbst die Hand bieten, wir müssen zeigen, dass uns an der Schule und an der Ausbildung
des Volkes Alles gelegen ist; wir müssen die Erfolge laut sprechen lassen, dann wird der
Volksschule auch von Außen mehr Beachtung geschenkt werden. …
// 36
37. Meine Herren! Groß ist die Aufgabe, die wir uns stellen; allein vermöchten wir sie auch
bei dem besten Willen und rastlosesten Streben nicht durchzuführen; aber wir hoffen mit
Zuversicht auf Unterstützung; wir glauben ganz sicher, dass die Erziehung und Veredlung
des Menschen eine gemeinsame Sache und unter allen Bestrebungen des menschlichen
Geistes den ersten Rang einnehmen werde.
Und nun seien Sie herzlichst und tausendmal gegrüßt, meine Herren! die Sie dem Rufe
Ihres Mitbruders so freudig gefolgt sind, die sie nicht den weiten Weg, nicht anderweitige
Hindernisse gescheut haben, sondern ohne rechts und links zu schauen herbeigeeilt sind,
ein Werk zu gründen, das von den segensreichsten Folgen sein wird. Wenn wir auch,
meine Herren! nicht heute oder morgen schon diese herrlichen Früchte genießen kön-
nen, ja wenn es sogar manchen von uns nicht vergönnt wäre, je von diesen Früchten zu
kosten; wir tragen doch alle das Bewusstsein in uns, für eine edle Sache stet und warm
eingestanden zu sein und unserem Berufe all unsere Kraft zugewendet zu haben. Es ist
erhebend, so viele wackere Kämpen hier vereinigt zu sehen, und Dank, herzlichen Dank
Ihnen Allen, die Sie hier versammelt sind. O, ich möchte Jeden aus Ihnen umarmen, und
innig an die Brust drücken.
Und nun, meine Herren! frisch an’s Werk, es wird gelingen.
* gemeint sind Gymnasiallehrer
37 //
38. Aufbruch – Widerstand – Stärke
Die Geschichte des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes
1848
1823 Auf der 2. Allgemeinen Lehrerver-
Der Nürnberger Lehrer Johann sammlung in Schwabach im Jahr
Konrad Grißhammer ruft am 1833 1848 mit ca. 180 Teilnehmern
15. November 1823 zur Gründung Der „Allgemeine Lehrerverein für wird der Nürnberger Lehrerverein
des ersten „Allgemeinen Lehrer- Baiern“ wird verboten, da der Staat beauftragt, einen „Zentral-Volks-
vereins für Baiern“ auf. Zweck des nach den Erfahrungen mit dem schullehrerverein“ zu gründen, der
überkonfessionellen Vereins ist „die „Hambacher Fest“ keine Lehrer- die nachweislich existierenden
Fortbildung und Vervollkommnung fortbildung ohne staatliche Aufsicht 35 Zweigvereine in ganz Bayern
der Mitglieder in ihrem Beruf“. Da duldet. Am 26. Januar 1833 findet zusammenführen soll. Die Ver-
wegen der fehlenden Verkehrs- die letzte Sitzung statt. Zu diesem sammlung geht auf einen „An
verbindungen noch keine über- Zeitpunkt hatte der Verein 243 Mit- sämtliche Volksschullehrer Bay-
regionalen Treffen möglich sind, glieder aus mindestens 6 der 7 heu- erns“ gerichteten Aufruf der Nürn-
erscheint 1825 als „verbindendes tigen Bezirke Bayerns, außerdem berger und Fürther Lehrerschaft
Mittel“ des Vereins die Zeitschrift hatten sich Ortsvereine gebildet. Der vom 12.3.1848 zurück. Darin sind
„Der Volksschullehrerverein“. Schwerpunkt lag in Nordbayern. erstmals die zentralen bildungs-
1806
Bayern wird Königreich 1834
Höhepunkt der Restaura- 1848
Märzunruhen der
1825
Ludwig I wird König tion: Prozesswelle gegen Studenten in München
liberale Wortführer Rücktritt Ludwigs I.,
1831
Einführung der Nachfolger wird Max II.
Pressezensur, 1840
Verbot der Kinderarbeit in
Verschärfung des Fabriken
Vereinsrechts
// 38
39. 1850
Der Druck auf den „Zentral-
Volksschullehrerverein“ und seine
Zweigverbände von Seiten des
Staates und der Kirche beginnt
unmittelbar nach der Vereinsgrün-
dung. Nach dem Bayerischen
Vereinsgesetz vom 26. Februar
1850 ist es „politischen Vereinen
und solchen, die sich mit öffentli-
chen Angelegenheiten beschäfti-
gen“, verboten, „sich mit anderen
solchen Vereinen zu einem ge-
politischen Forderungen aufge- gliederten Ganzen zu vereinen.“
führt, die später auch in der Denk- Bereits 1849 gibt es obrigkeitliche
schrift des BLV (1863) erscheinen: Androhungen von Dienstentlas-
„1. Freie Stellung der Volksschule sungen. Es werden tatsächlich
und ihrer Lehrer. 2. Gleichstellung Entlassungen von Lehrervereins-
der Lehrer mit den Staatsdienern. mitgliedern ausgesprochen, lokale
3. ... wissenschaftliche Bildung der Mitgliedsvereine werden verboten, 1851
Lehrer. 4. Vertretung des Standes Gefängnisstrafen verhängt. Weil In Bayern gibt es 96 Lateinschulen
... durch Standesglieder. 5. Revi- der Zentral-Volksschullehrerverein (Unterstufe des Gymnasiums), 28
sion des Lehrplans ... mit Beizie- sich auf seiner Versammlung am Gymnasien und 10 Lyceen (höhere
hung der Lehrer. 6. Verwandlung 22. Juni 1850 u. a. mit dem Ver- Töchterschule), mit insgesamt etwa
des Schulgeldes in eine allgemeine hältnis von Staat, Kirche und Schule 11 000 Schülern. Daneben existie-
Umlage. 7. Gehaltsverbesserung auseinandersetzen wollte, wird er ren 7 113 Volksschulen – viele da-
der Lehrer. ... 9. Verleihung eines am 4. Juni 1850 als politischer von einklassige Landschulen – mit
allgemeinen Schulgesetzes.“ Verein klassifiziert und aufgelöst. einer knappen Million Schüler.
1849
Phase der Liberalisierung: 1854 Todesstrafe wird
Die
Pressefreiheit, öffentliche das letzte Mal in Bayern
Gerichtsverfahren, freies vollzogen
Wahl esetz, freies Versamm
g 1856
Schulpflicht wird auf sieben
lungs- und Vereinigungsrecht Jahre verlängert
Erste Wahl zur Kammer
der Abgeordneten (später
Bayerischer Landtag)
39 //
40. 1861
Am 22. August 1861 ruft der
Achdorfer Lehrer Karl Heiß zur
Gründung des Bayerischen Leh-
1857 rervereins auf. Der Gründungsauf-
Im Normativ über die Bildung der ruf erscheint in der „Bayerischen
Schullehrer wird die Lehrer ildung
b Schulzeitung“.
neu geordnet. Im Mittelpunkt steht Der Aufruf stößt bayernweit auf
das Bestreben Königs Max II, „den große Resonanz. Am 27. Dezem-
Lehrstoff der Schullehrerbildung ber 1861 versammeln sich etwa
auf sein angemessenes, häufig 200 Lehrer aus ganz Bayern im
überschrittenes Maß“ zurückzufüh- Reichstagssaal des Regensburger
ren, um die Lehrer vor „Wissens- Rathauses und gründen den Bay-
dünkel, Anmaßung, Unzufrieden- erischen Lehrerverein. Karl Heiß
heit und Ungehorsam“ zu schüt- wird zum 1. Vorsitzenden gewählt.
zen, die Folge einer übertriebenen Vereinsorgan wird die bereits seit
Verstandesbildung seien. Hierzu 1857 existierende „Bayerische
gehört auch das Verbot der Lek- Schulzeitung“. Der BLV versteht
türe der pädagogischen Schrif- sich von Anfang an als überkon-
ten Friedrich Adolf Diesterwegs fessionell. In seinen Reihen finden
und anderer fortschrittlicher Pä katholische, evangelische und „is-
dagogen. raelitische“ Lehrer ihre Heimat.
1859
Eisenbahnlinie Nürnberg – 1861
Wilhelm I wird König von 1862 tto Graf Bismarck wird
O
Regensburg eröffnet Preußen Ministerpräsident und
Charles Darwin veröffenticht
l Beginn des amerikanischen Außenminister
sein Werk „Die Ent te ung
s h Bürgerkriegs Bismarck löst das preußi-
der Arten“ und begründet sche Abgeordnetenhaus
damit die Evoutionstheorie
l auf
// 40
41. 1863
Der Bayerische Lehrerverein veröf-
fentlicht die erste 80-seitige Denk-
schrift mit dem Titel „Denkschrift be-
treffend die Zusammenstellung von
Materialien zu einem allergnädigst 1866
zu erlassenden vollständigen Geset- 1864 Der Hauptausschuss des BLV be-
ze für die Volksschulen in Bayern“. In der Denkschrift steht der zentrale Drei der Gründungsmitglieder des schließt, eine eigene Vereinszeit-
Satz für das Selbstverständnis des BLV rufen in München das Baye- schrift mit dem Titel „Bayerische
Kernanliegen der Denkschrift sind BLV bis in unsere Zeit: „Die Umge- rische Lehrerwaisenstift ins Leben. Lehrerzeitung“ herauszugeben.
»» ie Institutionalisierung der
d staltung der Lehrerbildung muss als Den zahlreichen Lehrerwaisen soll Die erste Ausgabe erscheint am
Volksschule als Staatsanstalt, der Kern- und Angelpunkt der ge- die Stiftung „ … das Elternhaus 3. Januar 1867.
»» ie Rechtsstellung des Lehrers
d samten Schulfrage erklärt werden. ersetzen durch Unterbringung in
als „öffentlicher Diener“ Die Lehrerbildung ist das Zentrum, geeigneten Familien oder in schon Die bayerische Regierung erlässt
(Beamter), in welchem alle Fäden der Schulre- bestehenden Erziehungsinstituten ein neues Normativ für die Lehrer-
»» er Verzicht auf die geistliche
d form nach fachlichen und personel- oder eigens zu errichtenden, kon- bildung, das wesentliche Forderun-
Lokalschulaufsicht, len Beziehungen zusammenlaufen.“ fessionell getrennten Erziehungs- gen des BLV aufgreift. Es löst das
»» ie Modernisierung der
d Die Denkschrift wird Ende Oktober anstalten. …“ restriktive Lehrerbildungsnormativ
Volksbildung und 1863 dem „Hohen Staatsministe- aus dem Jahr 1857 ab. Allerdings
»» ie nachhaltige Verbesserung
d rium des Innern für Kirchen- und Der Bayerische Lehrerverein hat ist die Lehrerbildung weiterhin nach
der Lehrerbildung. Schulangelegenheiten“ überreicht. 4 193 Mitglieder. Konfessionen getrennt.
1863 ründung der bayerischen
G 1864 udwig II wird im Alter von
L 1866 rieg Österreich-Preußen.
K
Fortschrittspartei 18 Jahren König Bayern kämpft an der Seite
Ferdinand Lasalle gründet 1865
Ende des amerikanischen Österreichs
in Leipzig den Allgemeinen Bürgerkriegs und Sieg Preußens
Deutschen Arbeiterverein Abschaffung der Sklaverei
(ADAV) in den USA
41 //
42. 1875
1867 Der 1. Vorsitzende des BLV Karl
Auf der 3. Hauptversammlung nissen und distanziert sich offen Heiß wird zum Kreisschulinspektor
des BLV in Augsburg umreißt der von einem Schulverständnis, das in München berufen. Aus diesem
1. Vorsitzende Karl Heiß die Grund- konfessionell oder weltanschaulich Grunde gibt er sein Amt ab. Auf
linien des Verbandsverständnisses: geleitet ist. der Hauptversammlung des BLV
„Die Pädagogen sollten sich weder im August 1875 in Kaiserslautern
konfessionell noch nach Ständen Da das Volksschulwesen bislang wird der Geisenfelder Lehrer Max
von einander absperren. Hätte nicht in Form eines Gesetzes, Koppenstätter offiziell zum neuen
man auf gewisser Seite dies be- sondern nur durch Verordnungen 1. Vorsitzenden gewählt.
achtet, so hätte der Schulstreit geregelt war, wird von der Staats-
nicht mit solcher Erbitterung und regierung im Landtag ein Schul Der Bayerische Lehrerverein grün-
von ihr mit solcher Unkenntnis der gesetz eingebracht, das wesentliche det die Kinder- und Jugendzeit-
Errungenschaften der neueren Teile der Denkschrift des BLV aus schrift „Jugendlust“, „... um dem
wissenschaftlichen Pädagogik ge- dem Jahr 1863 übernimmt. Zent- Verlangen der Jugend nach einer
führt werden können.“ Hintergrund ral sind hierbei eine Stärkung des guten Lektüre Rechung zu tragen.“
ist ein kulturkampfähnlicher Streit Staates gegenüber der Kirche Heute erscheint die Kinder- und
um die Frage der Rolle der Kirche durch Überwindung der geistlichen Jugendzeitschrift bundesweit un-
und des Staates in der Schule. Er Schulaufsicht und die Überwindung ter dem Namen „Floh“ und „Floh-
wird mit massiven Anfeindungen der konfessionellen Trennung. Das kiste“. In Bayern ist sie bis heute
und Verleumdungen von Vertretern Gesetz trifft auf massiven Wider- eine der wichtigsten pädagogi-
der evangelischen und der katho- stand der Kirchen, die auch die schen Kinderzeitschriften.
lischen Kirche gegen den BLV Bevölkerung mobilisieren und wird
geführt. Der BLV orientiert sich 1869 im Landtag von der kirchlich- Der Bayerische Lehrerverein hat
an wissenschaftlichen Erkennt- konservativen Mehrheit abgelehnt. 7 172 Mitglieder.
1867 eichstagswahlen in
R 1869 ründung der klerikal-kon-
G 1870 ayern kämpft an der Seite
B 1875
Einführung der Zivilehe im
Preußen servativen Zentrumspartei Preußens gegen Frankreich deutschen Reich
1868
Einführung eines neuen August Bebel und Wilhelm 1871 roklamation des Deutschen
P 1877 ie Serienproduktion von
D
Heimatrechts und der Liebknecht gründen die Kaiserreichs Gartenzwergen wird aufge-
Gewerbefreiheit in Bayern. Sozialdemokratische Arbei- Bayern verliert Autonomie nommen
terpartei (SDAP) 1873 Schulsprengelverordnung
// 42
43. 1878
Auf der 7. Hauptversammlung des
BLV in Passau wird eine Öffnung
des Verbandes für andere Lehrer-
gruppen, Frauen und Interessierte
beschlossen. Im Antrag heißt es:
„Die Aufnahme in den Verein er-
halten sämtliche Mitglieder des
Schullehrerstandes, gleichviel ob
sie ständige, unständige oder in 1883
Ruhestand versetzte Lehrer oder Die Verordnung zur Einrichtung
Lehrerinnen sind. Auch Lehrer und der Volksschulen tritt in Kraft.
Lehrerinnen an höheren, sowie an Die konfessionell getrennten Be-
Privatbildungsanstalten, Geistliche, kenntnisschulen werden erneut als
sodann gebildete Per-sonen aus Regelschule festgeschrieben. Da-
anderen Ständen und beiderlei mit scheitern die Bestrebungen des
Geschlechtes können als Mitglie- BLV, eine konfessionsunabhängige
der beitreten“ Simultanschule durchzusetzen.
1878
Sozialistengesetze verbie- 1883
Auswanderungswelle 1884 ründung deutscher
G 1887 Würzburg wird das erste
In
ten sozialistische Organisa- erreicht ihren Höhepunkt Kolonien Süd-West-Afrika Telefonnetz eingerichtet
tionen (464 000 Personen) (heute Namibia) 1888
Wilhelm II wird deutscher
Abschaffung der Kinder Krankenversicherung wird 1886 ntmündigung und Tod
E Kaiser
arbeit per Gesetz zur Pflichtver Ludwigs II
sicherung Prinzregent Luitpold wird
König
43 //
44. 1889
Der 1. Vorsitzende Max Koppen-
stätter stirbt am 24. Mai 1889.
Johann Baptist Schubert wird auf
der 11. Hauptversammlung des
BLV in Landshut im Jahr 1890 als
Vorsitzender gewählt.
Schubert ist ein überzeugter Ver-
fechter der Trennung von Staat 1896
und Kirche ebenso wie von Schu- Die allgemeine Unterstützungs-
le und Kirche und von Pädagogik kasse wird gegründet. Sie soll in
und Theologie. Es gelingt ihm trotz besonderen Notfällen Familien
zahlreicher Trennungsversuche von helfen, wenn durch lange Krank-
konfessioneller Seite den Bayeri- heit oder Tod des Ernährers oder
schen Lehrerverein geschlossen zu durch Krankheit der Lehrerwitwe
halten und ihn als überkonfessio- die Familien in Not gerieten. Die
nellen Lehrerverein für Katholiken, Unterstützungskasse hilft auch
Protestanten und „Kollegen israeli- erwerbsbeschränkten und erwerbs-
tischen Glaubens“ zu bewahren. unfähigen Lehrerwaisen.
1890 Rücktritt Bismarcks 1893
Sozialdemokraten und 1895
Georg Kerschensteiner 1896
Gründung des Satireblattes
Sozialistengesetz wird Bauernbund werden wird Stadtschulrat Simplicissimus in München
aufgehoben zum ersten Mal in den Gründung des Bayerischen Erste olympische Spiele
Landtag gewählt Bauernverbandes der Neuzeit in Athen
1891 Verbot der Sonntagsarbeit
1894
Bauernrevolte in der
Oberpfalz
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45. 1905
Auf seiner Hauptversammlung in
Bayreuth widmet sich der BLV
intensiv der Frage der staatlichen
Fachaufsicht und wendet sich er-
neut gegen den Einfluss der Kirche
1900 auf die Schule. Des Weiteren for-
Der BLV-Hauptausschuss gründet dert der BLV das Verbot des niede-
am 15.11.1900 das „Institut des ren Kirchendienstes für Lehrer. In
Rechtsschutzes“ auch Rechts- 1902 der Folge kommt es erneut zu ei-
schutzkommission genannt. Damit Der Bayerische Lehrerverein richtet ner scharfen Kampagne der Ultra
steht allen BLV-Mitgliedern kosten- einen Haftpflichtschutz für Mitglie- montanen und der katholischen
freier Rechtsschutz zu. Arbeitsbe- der des BLV ein, der die Mitglieder Kirche gegen den BLV.
ginn ist der 1. Januar 1901. Dies gegen ungerechtfertigte Forderun-
ist die Grundlegung der aktuellen gen bei vorgeblicher Haftung vertritt Der Bayerische Lehrerverein rich-
Rechtsabteilung des BLLV, die heute und bei erwiesener Schuld eine an- tet einen „Mobiliar-Feuerversiche-
ein zentraler Aufgabenbereich des gemessene Entschädigung leistet. rungs-Verein“ (Feuerschutzverein)
BLLV ist. Der BLLV ist heute der für bayerische Lehrer ein. Er wird
einzige Lehrerverband in Bayern mit Der Bayerische Lehrerverein hat im Jahr 1909 durch eine Einbruch-
hauptamtlichen Juristen. 12 863 Mitglieder. diebstahlversicherung ergänzt.
1900 as Bürgerliche Gesetz-
D 1903 n Bayern werden Frauen
I 1905
Ludwig Thoma veröffentlich
buch (BGB) tritt in Kraft zum Hochschulstudium die Lausbubengeschichten
zugelassen 1906
Neues Gesetz erlaubt
Pariser Weltausstellung
Verbindliche Einführung direkte Wahl der Landtags-
Volkszählung zählt von Rechtschreibregeln abgeordneten
56 345 014 Deutsche,
davon 6 176 057 Bayern Gründung der Volks-
hochschule durch Georg
Kerschensteiner
45 //
46. 1908
In München gründen am 9. Mai Im Zusammenhang mit der Dis
1908 Mitglieder des Verbandes kussion um ein neues Beamten
Paedagogia die Arbeitsgemein- gesetz wird auch die deutliche 1909 1910
schaft Bayerischer Junglehrer (ABJ). Verbesserung der Lehrergehälter Der Hauptausschuss des BLV Der Münchner Lehrerverein grün-
Grund ist das gemeinsame Ziel, die diskutiert. Es kommt zu einer beschließt den Kauf von Schloss det in enger Absprache mit dem
materielle Notlage der Junglehrer kontro ersen Auseinandersetzung
v Fürstenstein in Berchtesgaden. In BLV am 10. März 1910 das Päda-
zu überwinden. Am 16. Mai bereits innerhalb des BLV zur Höhe der den folgenden Jahren wird es um- gogisch-Psychologische Institut.
werden die Anliegen der Vorstand- Gehaltsforderungen, zur Frage der gebaut zu einem Lehrererholungs- Spiritus Rector und Leiter ist der
schaft des BLV vorgetragen. Über unterschiedlichen Gehälter für Stadt- heim. Da in dieser Zeit für Lehrer prominente Pädagoge Privatdozent
die materielle Besserstellung hin- und Landlehrer und zur politischen kaum Möglichkeiten einer Sommer- Dr. Alois Fischer. Die Eröffnung
aus definiert die ABJ als Ziel, „die Strategie. Auf einer Versammlung frische bestehen, wird das Schloss des Instituts findet am 20. Okto-
grundlegende Beschäftigung mit in München, an der 4 000 Lehrer in den Alpen zu einem beliebten ber 1911 statt. Das Institut dient
moderner Pädagogik, Schulpolitik teilnehmen, wird die zukünftige Urlaubsziel. In und unmittelbar nach der fachlichen Professionalisierung
und Volkswirtschaft“. Marschroute festgelegt, die zur Ge- der Kriegszeit dient es auch Mit- und Qualifizierung der Lehrer-
Ab 1. Januar 1911 erscheint die haltsdenkschrift des BLV im Jahr gliedern, die als Soldaten im Krieg schaft. 1997 wurde es in die Aka-
„Deutsche Junglehrerzeitung“. 1909 führt. waren, als Erholungsheim. demie des BLLV übergeführt.
1908 n Bayern existieren
I 1909 ine in München vorge
E Mehrheit der Arbeiter-
Die 1910 reisinnige und Demo-
F
80 000 Fernsprech- legte Untersuchung von familien ist unterernährt. kraten vereinigen sich zur
anschlüsse Arbeiterfamilien erschüttert den Landtagswahlen
Bei Fortschrittlichen Volkspartei
dem neuen Gemeinde-
Mit die Öffentlichkeit: Von dem bleibt Zentrum die stärkste 1911 Preußen führt man die
In
wahlrecht wird in Bayern Verdienst eines gelernten Partei in Bayern Unterrichtsstunde mit 45
die Verhältniswahl (Wahl Arbeiters kann nur eine Minuten ein
listen) eingeführt. Familie von bis zu drei
Kinder leben.
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