1. DIE ZEIT 25.4.2008 − 14:31 [http://www.zeit.de/online/2008/18/silversurfer]
Internet
Versilberung im Netz
Es gibt SchülerVZ, StudiVZ, Xing − doch was ist mit den Älteren im
Internet? Sie ziehen gewaltig nach: Die sogenannten Silversurfer gelten
als neue Goldgrube im Netz.
Von Carolin Ströbele
Ursula ist jeden Tag online. "Ich stehe auf, mache mich fertig und schaue, was es Neues gibt", sagt sie.
Ursula, pensionierte Ärztin und 67 Jahre alt, ist seit sieben Jahren Mitglied bei seniorentreff.de. Früher, sagt
sie, sei das Internet "eine kalte, anonyme Geschichte" für sie gewesen. Heute freut sie sich, wenn sie einen
Bekannten im Forum trifft. "Das gehört inzwischen zu meinem Leben."
Etwa 15 Prozent der Deutschen bewegen sich in Beziehungs− oder Kontaktnetzwerken im Internet,
sogenannten Communities oder Social Networks. Zunächst denkt man dabei vor allem an Treffpunkte für
junge Leute wie SchülerVZ, StudiVZ, Lokalisten oder Facebook. Doch allein in den vergangenen Monaten
gingen zahlreiche Portale für "Best−Ager" online: Sie nennen sich Platinnetz, iquarius.de oder fiftiesnet.de
und richten sich an die Zielgruppe der über 50−jährigen Internetnutzer, die sogenannten Silversurfer.
Seniorentreff.de war neben feierabend.de eines der ersten Portale dieser Art in Deutschland. 1998 wurde die
Seite gegründet, seit 2000 betreibt sie der Freiburger Biologieprofessor Karl−Friedrich Fischbach. "Anfangs
wurden wir etwas belächelt", erinnert sich der 60−Jährige. Senioren und Internet – das waren Ende der
Neunziger noch zwei Welten, die unvereinbar schienen.
Dass sich das massiv geändert hat, beweisen die jüngsten Studien. 2007 bewegten sich laut
ARD/ZDF−Online−Studie erstmals mehr Über−60−Jährige als Unter−20−Jährige im Netz. Die größten
Zuwachsraten verzeichneten Frauen und Über−50−Jährige. Haben die "Alten" den Anschluss geschafft?
"Auf jeden Fall", sagt Marc Drüner, Medien−Professor an der Berliner Steinbeis Universität und
Geschäftsführer einer auf Medien spezialisierten Unternehmensberatung. "Wir haben fast fünf Millionen
Deutsche im Netz, die wir als 'Silversurfer' bezeichnen." Eine repräsentative Studie von Drüners Instituts fand
heraus, dass sich das Verhalten der Über−60−jährigen User von dem der jüngeren Netzbesucher kaum
unterscheidet: "Im Durchschnitt gehen 19,6 Prozent der Deutschen einmal täglich ins Internet, bei den
'Silversurfern' sind es 18,4 Prozent." Die "Alten" werden außerdem immer aktiver: Mehr als sieben Prozent
der "Silversurfer" (im Vergleich: elf Prozent des Bundesdurchschnitts) stellen eigene Inhalte wie Fotos,
Videos oder Textbeiträge ins Netz.
"Anfangs haben uns alle gesagt, selbst produzierte Inhalte der Nutzer (User generated content) würden bei
dieser Zielgruppe nie funktionieren", erzählt Heike Helfenstein vom Portal Platinnetz, an dem der
Holtzbrinck−Verlag beteiligt ist. Ältere Menschen, so hieß es, seien passive Mediennutzer, die gewohnt seien,
sich vom Fernseher berieseln zu lassen. Die Realität sah ganz anders aus: "Unsere User waren extrem aktiv,
wir haben etwa 40.000 Foreneinträge pro Woche", berichtet Helfenstein. Inzwischen ist Platinnetz.de ein
klassisches Web−2.0−Portal, das sich äußerlich kaum von anderen Communities unterscheidet.
Für die Werbeindustrie wird die Zielgruppe "50 plus" zunehmend wichtig. Die Branchenzeitschrift Werben
und Verkaufen widmete dem Thema einen Schwerpunkt in ihrer jüngsten Ausgabe. Besonderes Augenmerk
lag auf der zunehmenden Internet−Aktivität älterer Menschen. Im europäischen Vergleich erweisen sich die
deutschen Senioren zwar als etwas zögerlicher beim Online−Shopping, dafür kaufen sie aber im Internet
vorwiegend teure Artikel wie Urlaubsreisen, Bücher und Elektronikwaren ein.
2. Der Anstieg älterer Nutzer ist für Karen Heumann, Strategie−Chefin im Vorstand der Werbeagentur Jung von
Matt, "ein weiterer Beweis dafür, dass das Internet ein Medium ist, das perfekt für diese Zielgruppe gemacht
ist". Anders als die rein nutzungsorientierten Surfer hätten Rentner Zeit, sich mit dem Internet zu
beschäftigen, so Heumann. "Mir fällt immer wieder auf, wie begeisterungsfähig ältere Menschen sind, wenn
sie erst einmal entdeckt haben, was im Internet alles steckt."
Sind die "Silversurfer" also die neue Goldgrube für die Werbung? Von "neu" könne eigentlich nicht die Rede
sein, sagt Heumann, "es sind ja immer noch die gleichen Menschen, die wir seit 30 Jahren bewerben. Die
'Goldgrube' liegt darin, Antworten auf die speziellen Bedürfnisse der Älteren zu finden und vor allem, die
entsprechenden Produkte für sie zu entwickeln." Ihre Prognose: "Man wird Zielgruppen künftiger viel mehr
über Geistesgemeinschaften oder Haltungen definieren als über das Alter und man wird stärker darauf achten,
dass eine Marke 'demografiefest' ist."
Die meisten "Best Ager" wollen sich ohnehin nicht in ein bestimmtes Alterskorsett pressen lassen, bestätigt
Heike Helfenstein von platinnetz.de. "Mit dem Begriff 'Senioren' konnten sich bei unseren Umfragen nur drei
Prozent der Befragten identifizieren. Die meisten fühlten sich mindestens 15 Jahre jünger." Platinnetz.de
spricht Menschen ab 40 an und ist damit eine der "jüngeren" Plattformen im "Silversurfer"−Bereich.
Gerade diese Altersgruppe sei besonders darauf aus, neue Kontakte zu knüpfen, sagt Helfenstein. "Viele
haben etwa nach einer Scheidung Freunde und Bekannte verloren und suchen jetzt nach Gleichgesinnten, mit
denen sie am Wochenende etwas unternehmen können." Anders als bei Studenten− oder Schülernetzwerken,
bei denen sich die Beteiligten häufig schon kennen und sich dann im Netz wieder treffen, laufe es bei den
"Best Agern" genau umgekehrt, sagt Helfenstein: "Sie lernen sich im Netz kennen und treffen sich dann in der
realen Welt."
Selbst für die, die nicht mehr mobil genug sind, ihre Kontakte in der realen Welt zu pflegen, können
Internet−Foren und Blogs eine attraktive Kommunikationsmöglichkeit sein. Seniorenresidenzen kommen
verstärkt den Wünschen ihrer Bewohner nach einem Breitbandanschluss nach. "Jeder siebte Bewohner in
unseren Wohnstiften hat bereits einen DSL−Zugang", sagt Christina Maria Krahnke von der Augustinum
Gruppe in München. "Bei Neuankömmlingen ist es schon fast Standard."
Das Augustinum hat sogar einen eigenen Blogger: Uwe Neumann, 73, sieht sich als Sprachrohr für die
insgesamt 21 Augustinum−Einrichtungen in Deutschland. In seinem Blog Neumanns Welt befasst er sich mit
Themen wie gesunder Ernährung oder den „10 Tipps zum besseren Busfahren“ aber auch mit politischen
Fragen wie der Rentendebatte. "Ich versuche, die Leute ins Netz zu bringen", sagt der Werbetexter.
Er finde es manchmal erstaunlich, sagt Neumann, wer seiner Nachbarn computeraffin sei und wer nicht. "Da
gibt es ehemalige Marketingdirektoren, die nicht einmal einen PC besitzen und dann wiederum ältere Damen,
die regelmäßig mit ihren Kindern und Enkeln in Südafrika mailen." Damit begegnet der Blogger den gleichen
Problemen wie Werber und Online−Anbieter: denn die "Silbersurfer" sind eben eines nicht: eine homogene
Gruppe.
ZEIT online, 24.04.2008