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Wie groß soll er denn sein?
Körpertausch für einen Tag: Die Kinodokumentation „Man for a Day“ be-
gleitet Frauen, die in einem Workshop lernen, ein Kerl zu sein. Das ist nicht
nur erhellend, sondern zeigt auch: Das Spiel mit den Geschlechterrollen
kann großen Spaß machen.
von Daniel Sander



     Schon Herbert Grönemeyer wusste, dass das nicht so einfach     den Kursteilnehmerinnen. Die wirken so, als hätte sie der Wind
ist mit der Männlichkeit. In seiner als Pop-Song getarnten Ge-      aus allen Richtungen zufällig herbei geweht, denn im normalen
schlechter-Theorie „Männer“ listete er 1984 all die Eigenschaften   Leben hätte wahrscheinlich keine mit der anderen je zu tun: die
auf, die auch heute noch mit ganzen Kerlen assoziiert werden        Politikberaterin Eva-Marie zum Beispiel, die sich im Gegensatz
(„weinen heimlich“, „baggern wie blöde“, „lügen am Telefon“,        zu ihrem Freund ein Kind wünscht und sich nach der inneren
„schon als Baby blau“ etc.), nur um im Refrain zu dem Schluss       Ruhe sehnt, die sie bei Männern für gegeben hält. Die lesbische
zu kommen, dass das Konzept Mann eher Erfindung als Tatsa-          Mode-Designerin Tal aus Israel, die sich vorkommt wie eine Drag
che sein muss - schließlich würden Männer ja „als Kind schon        Queen, wenn sie sich mal femininer anzieht. Die allein erziehen-
auf Mann geeicht“. Das Mannsein kommt laut Grönemeyer also          de Mutter Theresa, die ein Männerbild sucht, das sie ihren Söh-
nicht von alleine, es wird beigebracht. Was im Lied wie im Le-      nen vermitteln kann. Oder die ehemalige Schönheitskönigin Su-
ben zur unausweichlichen und unbeantwortbaren Frage führt:          sann, die es zur Miss Oberhavel, Miss Ostpregnitz-Ruppin und
„Wann ist ein Mann ein Mann?“                                       zur Miss Uckermark gebracht hat, immer an die falschen Typen
     Aus der Frage hat Diane Torr eine ganze Karriere gemacht.      gerät, und für die Männer ein großes Buch mit Fragezeichen sind.
Die in Kanada geborene und in Schottland aufgewachsene Per-              Es ist rührend zu beobachten, wie sie zusammen schüchtern
formance-Künstlerin und Aktivistin hat vor über 30 Jahren in        die ersten Schritte in Richtung Mann gehen. Wie sie auf der Stra-
New York als Gogo-Tänzerin angefangen, fand das aber schnell        ße zu Forschungszwecken ahnungslose männliche Passanten ob-
langweilig, weil man da „mit den zehn immer gleichen Bewegun-       servieren. Wie sie sich ein Alter Ego ausdenken, das ein spezielles
gen arbeitet, die man auch in zehn Minuten gelernt hat“. Viel       Outfit braucht, einen Look und einen Gang. Wie sie sich Sorgen
mehr interessierten sie die Zuschauer, die Männer. Warum gu-        um die Frisuren machen, denn Diane Torr erlaubt es nicht, die
cken die sich das an, was fühlen die, was wollen die eigentlich?    langen Haare unter einem Hut oder einer Mütze zu verstecken
Um das herauszufinden, sah sie nur einen Weg: selbst ein Mann       („Das würde ein Mann niemals tun“), und fordert: kurz, mit viel
zu werden.                                                          Gel, oder im Pferdeschwanz.
     Und so ging sie danach nicht mehr als Mieze im durchsichti-         Manche der Frauen erhoffen sich von dem Experiment ein-
gen BH auf die Bühne, sondern als Danny King, der schmierige        fach, Männer besser zu verstehen. Andere sehen es als die Gele-
Macho im schlecht sitzenden Anzug. Oder als Mr. EE, der not-        genheit, gleichzeitig die typischen Rollenmuster der Frau zu be-
geile Stripper. Und sie erfand einen Workshop, der auch anderen     greifen und ihnen entkommen zu können. Und tatsächlich geben
Frauen die Möglichkeit geben sollte, ihren inneren Mann zu er-      alle am Ende auf ihre Art ziemlich glaubwürdige Männer ab: Tal
forschen.                                                           als Marco, TEva-Maria als Christian, Theresa als Klimafolgen-
     Wie das funktioniert, kann sich nun jeder in Katharina Pe-     forscher Christian und niemand so sehr wie Susann als prolliger
ters‘ Dokumentarfilm „Man for a Day“ ansehen. Die deutsche          Mechatroniker und Breakdancer Andi.
Regisseurin ist seit Jahrzehnten mit Torr befreundet und konnte          Es sind keine Parodien und keine Wunschvorstellungen.
sie überzeugen, einen von Torrs Workshops in Berlin mit der Ka-     Die von den Frauen erfundenen Männer sind keine, die sie selbst
mera zu begleiten. Und das ist ein großes Glück, denn der Film      besonders mögen oder hassen. Sie wollen nur echt sein, und sie
beweist nicht nur, dass Männlichkeit eine Frage des Trainings       schaffen es. Laut Diane Torr gibt es da übrigens einen ganz es-
sein kann, sondern dass Gender-Forschung entgegen aller Vor-        sentiellen Punkt: „Ihr müsst euch überlegen, wie groß euer Penis
urteile keine Ideologiemaschine für männerhassende Hardcore-        sein soll.“
Feministinnen ist. Tatsächlich kann sie sogar Spaß machen.                                                                 spiegel.de
     Und dass „Man for a Day“ so viel Spaß macht, liegt neben der
stets sympathischen und gut gelaunten Diane Torr vor allem an

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