Insbesondere zur Vor- und Nachhandelstransparenz gemäss INFRAG
Dr. iur. Ansgar Schott, LL.M.
Dr. Sc. Math. (ETH), Dr. iur. Markus Winkler
FRORIEP blog.froriep.com
2. Dezember 2015 | Seite 2
NEUE TRANSPARENZVORSCHRIFTEN FÜR
HANDELSPLÄTZE
INSBESONDERE ZUR VOR- UND
NACHHANDELSTRANSPARENZ GEMÄSS FINFRAG
Dr. iur. Ansgar Schott, LL.M. /
Dr. Sc. Math. (ETH), Dr. iur. Markus Winkler
Dezember 2015
3. Dezember 2015 | Seite 3
WIRTSCHAFTLICHER HINTERGRUND
Zwei Phasen der Handelstransparenz
Vorhandelstransparenz soll Anleger in die Lage versetzen, jederzeit die Konditionen eines
von ihnen ins Auge gefassten Geschäfts zu beurteilen
Nachhandelstransparenz informiert über die Einzelheiten der abgeschlossenen Geschäfte
und gestattet eine nachträgliche Überprüfung der Konditionen (vgl. Präambel (44) MiFID)
Transparenzpflicht des Handelsplatzes
betrifft Informationen über Abschlüsse und Absichten der Marktteilnehmer, nicht dagegen
Informationen bzgl. Emittenten (anders etwa Ad hoc-Publizität)
Pflicht des Handelsplatzes
4. Dezember 2015 | Seite 4
WIRTSCHAFTLICHER HINTERGRUND
Warum Transparenz?
von grösster Bedeutung für die Preisfindung und -bildung auf den Märkten, sowohl nach
der Hypothese des effizienten Marktes wie auch etwa der "Behavioral Finance"-Theorie
Botschaft anerkennt dies ohne weitere Diskussion und weist auch auf das Vertrauen der
Öffentlichkeit in die Fairness und die Funktionsfähigkeit des Wertpapiermarktes (vgl.
Botschaft FinfraG, S. 7532)
Kritik
höhere Transparenz führt zu höherer Volatilität: Je mehr Information zur Verfügung steht,
desto häufiger und schneller lassen sich getroffene Entscheidungen neu fällen oder
revidieren (vgl. etwa Madhavan, Market Microstructure, A Practitioner's Guide, FAJ
Sept./Okt. 2002, 38 mwH)
bietet weites Spielfeld für Hochfrequenzhandel
Gefahr, dass Händler in grossen Positionen von transparenten an weniger transparente
Handelsplätze migrieren
führt zur Fragmentierung des Handels
5. Dezember 2015 | Seite 5
BISHER: TRANSPARENZPFLICHTEN GEMÄSS BEHG
Art. 5 Abs. 3 BEHG
Börse “[…] stellt sicher, dass alle Angaben, die für die Transparenz des Effektenhandels
erforderlich sind, öffentlich bekannt gemacht werden. Dies gilt namentlich für
Kursinformationen über die gehandelten Effekten, Angaben über den Umsatz der Effekten im
börslichen und ausserbörslichen Handel, sowie die Bezeichnung der Gesellschaften, für
welche die Angebotspflicht nach den Artikeln 32 und 52 nicht gilt oder der Grenzwert auf über
331/3 Prozent angehoben wurde“
Wurde vereinzelt als Pflicht nur zur Nachhandelstransparenz verstanden
6. Dezember 2015 | Seite 6
NEUORDNUNG NACH FINFRAG
Nebst Nachhandelstransparenz auch Vorhandelstransparenz
Pflicht der Bezeichnung der Gesellschaften, für welche Angebotspflicht nicht gilt etc.,
ergibt sich neu aus Art. 21 FinfraG
Gilt für alle Handelsplätze (s. Definition in Art. 26 FinfraG), dh
Börsen und
multilaterale Handelssysteme
für die organisierten Handelssysteme gelten weniger weitgehende Vorschriften (Art. 46
FinfraG). Nach Art. 42 FinfraV gelten immerhin bei multilateralem Handel in einem
organisierten Handelssystem sinngemäss die Vorschriften für Handelsplätze
Pflicht des Handels von Derivaten über Handelsplätze (Art. 111 FinfraG)
Konsequenz: Erweiterung der Handelstransparenz
7. Dezember 2015 | Seite 7
NEUORDNUNG NACH FINFRAG
Gilt für alle Effekten
grundsätzlich gleiche Regelung wie unter Art. 3-11 MiFIR
konzeptioneller Unterschied:
• MiFIR unterscheidet zwischen «Eigenkapitalinstrumenten» (Aktien, Aktienzertifikate,
ETF, Zertifikate und vergleichbare Finanzinstrumenten) und
«Nichteigenkapitalinstrumente» (Schuldverschreibungen, strukturierte Finanzprodukte,
Emissionszertifikate und Derivate)
• FinfraG/FinfraV unterscheidet zwischen Aktien und «anderen Effekten»
• führt jedoch inhaltlich kaum zu Differenzen, da FinfraV die Unterschiede materiell
wieder ausgleicht (namentlich indem Ausnahme- und Aufschubmöglichkeiten für beide
Kategorien gelten; vgl. Übersicht auf S. 23)
aber: Vorhandelstransparenz für andere Effekten als Aktien wurde gestrichen (s.
nachfolgen)
8. Dezember 2015 | Seite 8
NEUORDNUNG NACH FINFRAG
Konkretisierung durch FinfraV und Selbstregulierung
Delegation an Bundesrat: «unter Berücksichtigung anerkannter internationaler Standards
und der ausländischen Rechtsordnung» (Art. 29 Abs. 3 FinfraG)
FinfraV steht auf Stufe MiFIR
«letzte Meile» durch Reglemente der Handelsplätze, die von der FINMA zu genehmigen
sind (Art. 27 Abs. 3 FinfraG)
somit Festhalten am Prinzip der Selbstregulierung der Handelsplätze
9. Dezember 2015 | Seite 9
VORHANDELSTRANSPARENZ BEI AKTIEN
Regelung und Ziel
«Der Handelsplatz veröffentlicht die aktuellen Geld- und Briefkurse für Aktien und andere
Effekten sowie die Tiefe der Handelspositionen zu diesen Kursen
(Vorhandelstransparenz)» (Art. 29 Abs. 1 FinfraG)
Ziel der gesetzgeberischen Angleichung an MiFIR (Botschaft FinfraG, S. 7533)
10. Dezember 2015 | Seite 10
VORHANDELSTRANSPARENZ BEI AKTIEN
Inhalt der Veröffentlichung
Geld- und Briefkurse sowie
«Tiefe» der Handelspositionen (Art. 29 Abs. 1 FinfraG)
134,084 42.64 59,100 42.65
477,634 42.63 184,969 42.66
387,190 42.62 195,682 42.67
190,780 42.61 372,964 42.68
250,441 42.60 300,630 42.69
252,286 42.59 162,506 42.70
[...] [...]
11. Dezember 2015 | Seite 11
VORHANDELSTRANSPARENZ BEI AKTIEN
Inhalt der Veröffentlichung (Forts.)
für “die fünf besten Geld- und Briefkurse das Volumen der Aufträge sowie die Aktien“ (Art.
27 Abs. 2 FinfraV)
gemeint ist wohl: „für die fünf besten Geld- und Briefkurse für jede Aktie die aggregierte
Zahl der Aufträge sowie der Aktien, die sie auf jedem Kursniveau vertreten“ (so Art. 17(2)
Verordnung (EG) Nr. 1287/2006)
EU-Recht differenziert dagegen zwischen verschiedenen Marktmodellen (Art. 17(2),(3) der
Verordnung (EG) Nr. 1287/2006)
• beim Order-Buchhandelssystem nach Auktionsverfahren («order driven market») gilt
obige Regel
• beim quotierungsgetriebenen Handelssystem («quote driven market») gilt: besten
Geld- und Briefkurs eines jeden Market-Makers mit den betreffenden Volumina
12. Dezember 2015 | Seite 12
VORHANDELSTRANSPARENZ BEI AKTIEN
Zeitpunkt
dt. Text: „aktuelle“ Kurse; fr. Text“: „au temps réel“
Grundsatz der Echtzeit-Transparenz
Veröffentlichung kontinuierlich während der üblichen Handelszeiten (Art. 27 Abs. 1
FinfraV)
Vgl. Art. 3(1) MiFIR; ebenso Art. 8(1) MiFIR
Transparenzerfordernis erfüllt
sobald Daten auf Website zum Abruf zur Verfügung stehen
Abruf darf kostenpflichtig sein
13. Dezember 2015 | Seite 13
VORHANDELSTRANSPARENZ BEI AKTIEN
Vorhandelstransparenz bei Interessenbekundigungen («IB») (Art. 27 Abs. 3
FinfraV)
dienen idR der Abklärung der Liquidität für beabsichtigte, meist grössere Geschäfte, bevor
Kursofferten und Aufträge ins Handelssystem eingegeben werden
gehen regelmässig nur an ausgewählte Adressaten, die als Gegenpartei in Frage kommen
gemäss EU-Regelung müssen die IB «verbindlich» sein (Art. 3(1) MiFIR)
• verbindlich meint, sobald Mitteilung eines Teilnehmers alle für eine Einigung auf den
Handelsabschluss erforderlichen Angaben enthält (Art. 2(1) Nr. 33 MiFIR)
• missglückte Bezeichnung; besser der engl. Terminus «actionable indication of interest»
sollte entsprechend auch für die IB nach FinfraG gelten
14. Dezember 2015 | Seite 14
VORHANDELSTRANSPARENZ BEI AKTIEN
Fakultative Ausnahmen von der Veröffentlichungspflicht (Art. 27 Abs. 4 FinfraV):
bei Referenzkurssystemen, sofern breite Veröffentlichung und Verlässlichkeit («reference
price waiver»)
bei Systemen, die ausschliesslich bereits ausgehandelte Geschäfte formalisieren
(«negotiated trade waiver»)
bei Aufträgen mittels eines Auftragsverwaltungssystems des Handelsplatzes («order
management facility waiver»)
bei im Vergleich zum marktüblichen Geschäftsumfang grossen Aufträgen («large in scale
waiver»)
Vgl. Art. 4 MiFIR; ESMA, Waivers from Pre-trade Transparency, 12 April 2012
15. Dezember 2015 | Seite 15
VORHANDELSTRANSPARENZ BEI ANDEREN EFFEKTEN
Für den Handel in anderen Effekten als Aktien ist die Vorhandelstransparenz nur
auf der Grundlage einer entsprechenden durch den Bundesrat zu erlassenden
Verordnung gefordert (Art. 29 Abs. 3 lit. a FinfraG)
Der Bundesrat beabsichtigte ursprünglich, die Pflicht zur Vorhandelstransparenz auf
sämtliche Arten von Effekten auszudehnen. In der Anhörung zur E-FinfraV sprach
sich eine Mehrheit der Teilnehmer dafür aus, die Vorhandelstransparenz für andere
Effekten als Aktien erst einzuführen, wenn sich entsprechende Bestimmungen des
Auslands (EU) in der Praxis beweisen konnten (Anhörungsbericht FinfraV, S. 4)
Der entsprechende Art. 27 FinfraV wurde in der Folge vorderhand gestrichen
«Die Finanzkrise hat Schwachstellen in der Art und Weise offenbart, wie
Informationen über Handelsmöglichkeiten mit und Kurse von anderen
Finanzinstrumenten als Aktien für Marktteilnehmer verfügbar gemacht werden […]»
(Präambel (14) MiFIR)
insbes. der «fixed income»-Markt zeichnet sich aber durch geringere
Handelsfrequenzen und höhere Durchschnittsvolumen aus
16. Dezember 2015 | Seite 16
VORHANDELSTRANSPARENZ – ÜBERSICHT
Angebot /
IB
Ausnahme?
- «reference price waiver»
- «negotiated trade waiver»
- «management facility waiver»
- «large in scale waiver»
JA – keine
Veröffentlichung
NEIN –
Veröffentlichung
17. Dezember 2015 | Seite 17
NACHHANDELSTRANSPARENZ
Regelung
Handelsplatz «[…] veröffentlicht zudem umgehend Informationen zu den am Handelsplatz
getätigten Abschlüssen und zu den ihm gemeldeten ausserhalb des Handelsplatzes
getätigten Abschlüssen in sämtlichen zum Handel zugelassenen Effekten
(Nachhandelstransparenz). Zu veröffentlichen sind namentlich der Preis, das Volumen und
der Zeitpunkt der Abschlüsse» (Art. 29 Abs. 2 FinfraG; vgl. Art. 6 und 11 MiFIR)
Exkurs: Meldepflicht der Teilnehmer
Teilnehmer haben die für die Transparenz des Effektenhandels erforderlichen Meldungen
zu erstatten
gilt auch für Finanzinstrumente mit zum Handel zugelassenen Effekten als Basiswert
Inhalt der Meldung: Volumen, Zeitpunkt, Kurs, Identität des Kunden etc.
Meldefrist: gemäss Reglement der Handelsplätze
Adressat: Handelsplatz, an dem die Effekten zum Handel zugelassen sind
Vgl. Art. 39 FinfraG, Art. 37 FinfraV, Art. 2 ff. FinfraV-FINMA (bisher: Art. 15 Abs. 2, 3 BEHG)
18. Dezember 2015 | Seite 18
NACHHANDELSTRANSPARENZ
Inhalt
Kurs, Volumen und Zeitpunkt der Geschäfte
betr. sämtliche am Handelsplatz getätigten Abschlüsse sowie die gemeldeten Abschlüsse,
die ausserhalb des Handelsplatzes getätigt wurden
keine Unterscheidung zwischen Aktien und anderen Effekten
Zeitpunkt
«umgehend» (Art. 29 Abs. 2 FinfraG)
«so nah in Echtzeit wie technisch möglich» (Art. 6(1) und 10(1) MiFIR)
maximal drei Minuten unter MiFID I (Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1287/2006)
19. Dezember 2015 | Seite 19
NACHHANDELSTRANSPARENZ
Aufschub möglich (Art. 28 Abs. 4 FinfraV)
Regelung
• bei Geschäften mit im Vergleich zum marktüblichen Geschäftsumfang grossen
Volumen
• bei Geschäften, (i) die über einen für die Effekte typischen Umfang hinausgehen, (ii)
bei denen ein Liquiditätsgeber unangemessenen Risiken ausgesetzt würde, und (iii)
sofern berücksichtigt wird, ob es sich um einen Klein- oder Grossanleger (Begriff?)
handelt
• bei Fehlen eines liquiden Marktes
Ratio
• kein Marktteilnehmer sollen Rückschlüsse auf Positionen anderer Marktteilnehmer
ziehen können
• und dennoch sollen Kleinkunden relevante Informationen zur Preisbildung zur
Verfügung stehen (Erläuterungsbericht FinfraV, S. 16)
20. Dezember 2015 | Seite 20
NACHHANDELSTRANSPARENZ – ÜBERSICHT
Abschluss
NEIN –
Veröffentlichung
JA –
Aufschub der
Veröffentlichung
Aufschub?
- gr. Volumen
- für Effekte untyp.
gr. Volumen
- illiquider Markt
über HP
Meldung
an HP
ausserhalb
der HP
21. Dezember 2015 | Seite 21
ÜBERSICHT EU – CH
MFIR
Vorhandelstransparenz Nachhandelstransparenz
EK N-EK EK N-EK
Veröffentlichung Veröffentlichung Veröffentlichung Veröffentlichung
Kurse Kurse Geschäfte Geschäfte
IB IB Echtzeit Echtzeit
Ausnahmen Ausnahmen Aufschub Aufschub
Referenzpreis Grosses Volumen Grosses Volumen Grosses Volumen
Ausgehandelt Order Management Untypisch gross
Grosses Volumen IB: untypisch gross Kein liquider Markt
Order Management Derivate o. HP
Derivate n.f. GP
Kein liquider Markt
FinfraV
Vorhandelstransparenz Nachhandelstransparenz
Aktien Andere Aktien Andere
Veröffentlichung "gestrichen" Veröffentlichung Veröffentlichung
Kurse Geschäfte Geschäfte
IB Umgehend Umgehend
Ausnahmen Aufschub Aufschub
Referenzpreis Grosses Volumen Grosses Volumen
Ausgehandelt Untypisch gross Untypisch gross
Grosses Volumen Kein liquider Markt Kein liquider Markt
Order Management
Beachte: EK/N-EK ? Aktien/Andere
Quelle: Froriep
22. Dezember 2015 | Seite 22
GENERELLE AUSNAHMEN
Vor- und Nachhandelstransparenz gilt im Allgemeinen nicht für Effektengeschäfte
von Bund, Kantonen, Gemeinden, Zentralbanken, BIZ etc. (Art. 29 FinfraV)
sofern im Rahmen öffentlicher Aufgaben und nicht zu Anlagezwecken getätigt
23. Dezember 2015 | Seite 23
INKRAFTTRETEN
Art. 129 Abs. 1 FinfraV sieht vor, dass Vorschriften zur Vor- und
Nachhandelstransparenz gemäss Art. 27 und Art. 28 Abs. 2–42 spätestens 12
Monate nach Inkrafttreten der Verordnung (am 1.1.16) zu erfüllen sind
Vorhandelstransparenz bei «anderen Effekten»
wie erwähnt, vorerst gestrichen
warten auf Konkretisierung der EU-Regelung durch ESMA
24. Dezember 2015 | Seite 24
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