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1. Sudetendeutsche Zeitung
Folge 34 | 24. 8. 2012 AKTUELL · ZEITGESCHICHTE 5
K ürzlich schickte Petr Bílek, Redakteur der tschechischen Illustrierten
„Maxim“, Peter Barton, dem Leiter des Sudetendeutschen Büros in Prag,
den Beitrag „Gewalttätige Vertreibung rückwärts“ mit dem Untertitel „Er-
xim“ veröffentlichte sie sowohl in tschechischer als auch in deutscher Spra-
che. Die Bildtexte und die Randnotizen sind gespickt mit Hieben auf die
frühere und auf die gegenwärtige tschechische Gesellschaft. Der Ort der
„*30. November 1788, † 23. September 1960“ sowie eine alte Fotografie
der Dorfmitte mit der Kirche. Der 23. September 1960 ist der Tag, an dem
die tschechischen Behörden die Dorfkirche und die Schule sprengten. Da-
neue oder stirb!“, der in der Juni-Ausgabe der Illustrierten erschienen war. Handlung ist keine Fiktion, und die Informationen über das geschleifte Fu- mit hatten sie das einst sudetendeutsche Dorf endgültig ausgelöscht. Der
Diese zweiseitige Bildergeschichte ist eine bitterböse Satire auf die Vertrei- gau im Kreis Schluckenau entsprechen den Tatsachen. Seit dem 23. Septem- Schlußsatz am rechten Rand der Bildergeschichte endet mit den Worten:
bung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat und auf deren Folgen. „Ma- ber 2000 erinnert ein schlichtes Holzkreuz an das Dorf. Es trägt die Inschrift „Aus heutiger Sicht war es unmoralisch.“ nh
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Höhnisch grinsend emp- sich jeder von zu Hause mitge- Viele von ihnen schlugen ohne re Kinder nur ja nicht im Stich zu den wach. Wenn er jetzt schwach Freundschaftsdienst dankbar
fingen sie die deutschen nommen hatte. Der Wachmann- Erbarmen mit allem, was ihnen lassen, daran gehindert. werden würde – wofür hätte er an.
„Nazi-Schweine“. Vie- schaft wurde Essen und Trin- in die Hände kam, auf ihre Opfer Dann trennte man sie. Elsa dann die ganzen schrecklichen Nach einigen Minuten er-
le von ihnen konnten die ken mit einem Versorgungsfahr- ein und bewarfen sie mit Steinen durfte zwar ihre Kinder und den Kriegsjahre gekämpft? Rasch reichten drei weitere Pioniere
teuflische Vorfreude nicht ver- zeug nachgeliefert. Niemand und anderen hgroben Gegen- Franzi behalten, der Rest der Fa- setzte er die Pistole ab, sicher- Richards Deckung. In kürzester
bergen, es den verhaßten und wurde lebend zurückgelassen. ständen. So mancher Deutsche milie wurde aber in andere Ba- te sie und steckte sie wieder in Zeit knüpften die Soldaten aus
arroganten „Anglicky“ endlich Wer nicht mehr konnte, wurde hat dabei auf schändliche Weise racken verschleppt. Bevor sie die sein Koppel. Er holte das bereits Zeltbahnen zwei provisorische
heimzuzahlen. Schließlich war es ohne mit der Wimper zu zucken sein Leben verloren. Baracken beziehen durften, muß- völlig deformierte Foto von El- Tragen, mit deren Hilfe man ihn
an der Zeit, ihnen zu zeigen, wer erschossen. Allmählich mach- Von den oberen Etagen der ten sie einen Raum durchlaufen, sa und den Kindern aus seiner und Fritzels Leichnam in die Pio-
hier wirklich das Sagen hatte. te sich unter den Vertriebenen Stadthäuser schüttete man allen wo sie gezwungen wurden, sich Brusttasche und vergaß für ei- nierstellungen zurückbrachte.
Elsa war mit ihren Kindern Wut, Angst und Verzweiflung möglichen Müll und Unrat, ver- vollständig zu entkleiden. Alles nige Minuten die immer stärker In dem von den Deutschen ge-
auch unter den zusammengetrie- breit, denn mittlerweile glaubten dorbene Lebensmittel und Fä- wurde ihnen abgenommen. Ihre werdenden Schmerzen seiner haltenen Stadtgebieten von Po-
benen. Ebenfalls mit dabei waren selbst die Optimisten nicht mehr kalien über die zum Teil zu To- Kleider, der Schmuck, sofern ih- Verletzungen und das tobende sen gab es das Fort Winiary, ei-
ihre Eltern, Tante Milie und On- an einen guten Kampfgetüm- nen Festungsbau aus dem 19.
Eine harte Zeit
kel Hans. Milie hatte ihre Wert- Ausgang die- mel um sich Jahrhundert. Das war eine An-
gegenstände im sicheren Wald- ser Gewaltak- herum. lage, wie sie zur damaligen Zeit
versteck gelassen. Sie wußte tion. Doch ab- nach militärisch-strategischen
genau, daß im Moment des Pak- Nach zwei rupt wurde Gesichtspunkten in vielen grö-
kens jeder ihrer Schritte von den unendlich lan- er aus seinen ßeren Städten errichtet worden
tschechischen Nachbarn beob-
achtet wurde. Lieber sollte ihr
Hab und Gut im Boden verfau-
gen
und
Tagen
Näch-
ten erreichten
Von Richard Wauschek Träumen ge-
rissen, als sich
plötzlich ei-
waren. Ziegelbauweise, mehrere
Stockwerke in die Erde reichend
und zwei Etagen überirdisch. In
len, als daß sie es freiwillig – sie völlig er- ner der Pio- diesem Bollwerk hatte die deut-
oder aus Dummheit – irgend- schöpft die Vororte von Brünn. de erschöpften Männer, Frauen nen dieser nicht schon vorher ge- niere von der Kohlenstellung ne- sche Stadtkommandantur von
jemandem von denen überlas- Wer von ihnen dachte, daß das und Kinder. Es war ein Spießru- raubt worden war, alle Papiere, ben ihm in Deckung warf. Er war Posen neben einem Lazarett ihr
sen hätte. Daß sie ihre Heimat so schlimmste nun überstanden tenlauf, der seinesgleichen such- Fotos und Dokumente, einfach über und über mit Kohlenstaub Hauptquartier eingerichtet. In
schnell nicht wiedersehen sollte, sei, sah sich sehr bald getäuscht. te. Die Ankunft in der Kleidov- alles. Darauf hin wurde jeder von bedeckt und sah aus, als wäre er dieses Lazarett hatten die Pionie-
ahnte sie bereits. Auch Brünn war von der Roten ka schien zunächst wie eine Er- Kopf bis Fuß mit einem eklig rie- durch einen Kamin gefahren. Die re Richard gebracht und ihm, be-
Als endlich alle zusammen wa- Armee erobert worden, und auch lösung für die Überlebenden chenden Pulver, das angeblich Pioniere hatten das Schicksal ih- vor sie sich wieder in Richtung
ren, mußten sie sich hinterein- hier begannen wahre Treibjag- dieses Gewaltmarsches. Elsa und der Desinfizierung dienen soll- rer beiden Panzerkameraden be- ihrer Stellungen davonmachten,
ander aufstellen. Nicht mehr als den auf deutsche Staatsangehö- ihre Familie hatten die Strapazen, te, eingestäubt. Nach dieser ent- obachtet, und so war es für sie versprochen, Fritzl mit einem or-
vier Personen durften nebenein- rige. Aus allen Richtungen wur- wenn auch völlig am Ende ihrer würdigenden Prozedur bekam selbstverständlich, daß sie, so- dentlichen Soldatengrab die letz-
ander gehen. Elsa schob den Kin- den die Deutschen zusammen- physischen und psychischen Lei- jeder Häftling, als solche wurden bald es die Gefechtslage zuließ, te Ehre zu erweisen.
derwagen von Edith. Links und getrieben und durch die Straßen stungsfähigkeit, überstanden. sie nun bezeichnet, von einem ihren Kampfgefährten zu Hilfe Das Lazarett war hoffnungslos
rechts von ihr liefen ihre beiden gejagt, nachdem man sie aus ih- Doch das Martyrium nahm wahllos aufgeschütteten Haufen kamen. überfüllt. Nahezu an allem man-
Buben Manfred und Bernd. Der ren Wohnungen und Häusern kein Ende. Das Zwangsarbeitsla- alter Lumpen ein Bündel vorge- Nachdem sie die feindliche gelte es. Überall lagen unter un-
Franzi hatte außerdem den Man- geworfen und all ihre Habselig- ger war in den Arbeiterbaracken legt, aus dem heraus sie sich wie- Mörserstellung lokalisiert hat- zumutbaren Bedingungen dicht
fred an der Hand genommen und keiten geraubt hatte. Die russi- des ehemaligen Flugmotoren- der ankleiden durften. Um die ten, war es ihnen gelungen, die- gedrängt verstümmelte Solda-
ging direkt neben dem Straßen- schen Eroberer ließen die Tsche- werkes Ostmark in Brünn einge- Demütigungen komplett zu ma- se durch einen Stoßtrupp aus- ten auf den harten, kalten Stein-
rand. Knapp sechzig Kilometer chen gewähren. Nur in Ausnah- richtet. Auf einem mit Stachel- chen, versah man noch jeden Ge- zuschalten. Beinahe parallel da- böden. Wenn man Glück hatte,
Fußmarsch lagen nun vor ihnen, men beteiligten sie sich an dem drahtverhau gesicherten Bereich fangenen, mit zwei völlig unter- zu brachte man die russischen konnte man einen mit feuchtem,
denn sie sollten zurück in die verbrecherischen Treiben. des Fabrikgeländes wurden alle schiedlichen Schuhen. So ausge- Scharfschützen im Bahnhofsge- fauligem Stroh bedeckten frei-
Landeshauptstadt Brünn getrie- Der Vertriebenenzug, in dem zusammengepfercht. Es war am rüstet, durften dann endlich alle bäude, die auf Richard und Fritzl en Winkel und eine alte Pferde-
ben werden. sich Elsa mit ihren Angehöri- späten Nachmittag des zweiten ihre zugewiesenen Großraumba- geschossen hatten, mit einer ge- decke ergattern. Richards Wun-
Es war eine unbeschreibliche gen befand, wurde nun in Rich- Tages, nachdem dieser Wahnsinn racken beziehen. ballten Ladung zum Schweigen. de war, Gott sei Dank, noch von
Strapaze. Die jungen Schergen, tung Kleidovka, einem Zwangs- begonnen hatte. Wieder muß- Ortswechsel: Plötzlich wur- Der Retter, der neben Richard seinen Rettern versorgt worden,
die selbst nichts außer ihren Waf- arbeitslager am anderen Ende ten sie sich in endlose Schlangen de Richard bewußt, was er gera- lag, gehörte zu dem Trupp, der denn das wenige Sanitätsperso-
fen zu tragen hatten, trieben ih- der Stadt, getrieben. Dazu mußte vor den ihnen zugewiesenen Ba- de beabsichtigte. Bilder von El- die Scharfschützen getötet hat- nal vor Ort konnte nur noch drin-
re Opfer unbarmherzig an. Auf nahezu das gesamte Stadtgebiet racken aufstellen. Elsa war schon sa und den Kindern tauchten vor te. Er war seinen Mitkämp- gend notwendige Amputationen
Frauen, Kinder und Alte wurde durchquert werden. Überall wur- mehrmals der Ohnmacht nahe, ihm auf. Erinnerungen an den fern vorausgeeilt, um, falls er- vornehmen. Alle anderen Verlet-
keinerlei Rücksicht genommen. den sie von haßerfüllten, krei- wurde aber immer wieder durch letzten Heimaturlaub im Herbst forderlich, Erste Hilfe leisten zungen mußten in Eigenregie be-
Als Verpflegung gab es nur, was schenden Tschechen begleitet. den unbezwingbaren Willen, ih- des vergangenen Jahres wur- zu können. Richard nahm den handelt werden. Fortsetzung folgt