1. Kriminalistik 2/2010 Psychologie 81
RECHT AKTUELL
Abhören eines Gesprächs in Kraftfahrzeug
1. Das in § 100c Abs. 6 StPO normierte
relative Beweisverwertungsverbot,
das eine Verwertung von
Gesprächen mit Angehörigen in einer
Wohnung nur nach besonderer
Prüfung der Verhältnismäßigkeit
zulässt, lässt sich auf ein Gespräch
eines Angehörigen mit einem Dritten
in einem Pkw nicht übertragen.
2. Ein im Rahmen der akustischen
Überwachung eines Kraftfahrzeuges
aufgezeichnetes Gespräch darf
deshalb auch dann verwertet werden,
wenn ein zur Verweigerung
des Zeugnisses berechtigter Angehöriger
den Angeklagten in diesem
Gespräch belastet hat.
Anmerkung:
Der Beschwerdeführer (B) ist u. a. wegen
erpresserischen Menschenraubs in Tat-einheit
mit schwerer räuberischer Erpres-sung
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
fünf Jahren und acht Monaten verurteilt
worden. B liegt zur Last, gemeinsam mit
einem Mittäter eine Sparkasse überfallen
zu haben. Von der Tatbeteiligung des B
– der zu den Vorwürfen keine Angaben
gemacht hatte – überzeugte sich das
Gericht maßgeblich anhand mehrerer
Gespräche zwischen dem Mittäter und
dem Bruder des B, die im Pkw des Bru-ders
des Beschwerdeführers geführt und
aufgrund einer prozessual ordnungsge-mäßen
richterlichen Anordnung nach
§ 100f Abs. 2, 3 StPO im Rahmen eines
anderweitigen Ermittlungsverfahrens von
der Kriminalpolizei überwacht und pro-tokolliert
wurden. Den dort gefallenen
Äußerungen des Bruders des B entnahm
die Strafkammer, dass B seinerzeit an der
Tat beteiligt gewesen sei. In der Haupt-verhandlung
verweigerte der Bruder des
B das Zeugnis nach § 52 Abs. 1 Nr. 3
StPO. Sein Gesprächspartner bestritt eine
Tatbeteiligung des B. B widersprach der
Verwertung der abgehörten Gespräche in
der Hauptverhandlung erfolglos. Mit der
fristgerecht eingegangenen Verfassungs-beschwerde
rügt B die Verletzung von
Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i. V. mit
Art. 20 Abs. 3 GG.
Der Senat hat die Verfassungsbe-schwerde
als unbegründet eingestuft
und nicht zur Entscheidung angenom-men.
Prüfungsmaßstab sei in erster Linie
das Recht des Beschuldigten auf ein fai-res
Verfahren. Dieses wurzele im Rechts-staatsprinzip
in Verbindung mit den Frei-heitsrechten
des GG, insbesondere in dem
durch ein Strafverfahren bedrohten Recht
auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz
2 GG) und in Art. 1 Abs. 1 GG, der es ver-biete,
den Menschen zum bloßen Objekt
eines staatlichen Verfahrens herabzuwür-digen
und den Staat zu korrektem und
fairem Verfahren verpflichte. Eine Verlet-zung
des Rechts auf ein faires Verfahren
liege erst dann vor, wenn eine Gesamt-schau
auf das Verfahrensrecht – auch in
seiner Auslegung und Anwendung durch
die Gerichte – ergibt, dass rechtsstaatlich
zwingende Folgerungen nicht gezogen
worden sind oder rechtsstaatlich Unver-zichtbares
preisgegeben worden sei. In-sofern
sei jedoch zu bedenken, dass jedes
Beweiserhebungs- und -verwertungsver-bot
die Beweismöglichkeiten der Strafver-folgungsbehörden
zur Erhärtung oder Wi-derlegung
des Verdachts strafbarer Hand-lungen
einschränke und so die Findung
einer materiell richtigen und gerechten
Entscheidung beeinträchtige; von Verfas-sungs
wegen stelle ein Beweisverwer-tungsverbot
mithin eine begründungsbe-dürftige
Ausnahme dar. Der Senat lehnt
einen solchen Ausnahmetatbestand bei
der hier vorliegenden Konstellation ab.
Zwar gehöre Schutz des Angehörigenver-hältnisses
(vgl. § 52 Abs. 1, Abs. 3, § 97
Abs. 1, § 100c Abs. 6, § 252 StPO) in sei-nem
Kernbestand zu den rechtsstaatlich
unverzichtbaren Erfordernissen eines fai-ren
Verfahrens. Dieser Kernbestand wäre
möglicherweise berührt, wenn das Zeug-nisverweigerungsrecht
nach § 52 StPO
angetastet würde, dessen Zweck nicht
nur darin liege, Loyalitäts- und Gewissens-konflikte
des Zeugen zu vermeiden , son-dern
das auch Interessen des Angeklagten
schütze. Diese Ausprägung des Angehöri-genschutzes
setze jedoch zunächst immer
eine Vernehmungssituation voraus, weil
es sonst an der Konfliktsituation fehle, bei
der das „Zeugnis“- Verweigerungsrecht
gerade ansetze. Fairnessgesichtspunkte
sprächen zudem dafür, dem Staat auch
eine bewusste Umgehung des Zeugnis-verweigerungsrechts
durch eine gezielte
Ausforschung zeugnisverweigerungsbe-rechtigter
Personen außerhalb von Ver-nehmungssituationen,
etwa durch V- Per-sonen,
zu verwehren. Hier handele es sich
indessen nur um Zufallsergebnisse einer
in anderer Sache angeordneten akusti-schen
Überwachung. Es sei auch nicht
geboten, die Abwägungsregelung des
§ 100c Abs. 6 StPO auf die vorliegende
Konstellation zu übertragen. Das dort
statuierte relative Beweisverwertungsver-bot
rechtfertige sich aus der Vermutung,
dass Gespräche, die in der Wohnung des
Beschuldigten mit Angehörigen geführt
werden, oftmals den Kernbereich persön-licher
Lebensgestaltung des Beschuldigten
betreffen und daher eines verstärkten –
wenn auch nicht absoluten – Schutzes vor
staatlicher Ausforschung bedürfen. Diese
Vermutung lasse sich auf die vorliegende
Situation – Gespräch eines Angehörigen
mit einem Dritten in einem Pkw – nicht
übertragen.
BVerfG, Beschl.v. 15. 10. 2009 – 2 BvR
2438/08
jv