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Dr. rer. nat. Patrick Heckeler
Diplom-Informatiker / Patentanwalt / European Patent Attorney
Europäisches Patentrecht
Patentierbarkeit von Simulationsverfahren
Vorlage an die große Beschwerdekammer
T 0489/14, TBK 3.5.07 vom 22. Februar 2019
Link: https://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/pdf/t140489ex1.pdf
28. März 2019 1
Bezeichnung der EP-Anmeldung 03793825.5:
„SIMULATION DER BEWEGUNG VON AUTONOMEN
ENTITÄTEN DURCH EINE UMGEBUNG“
Genauer gesagt geht es um die Simulation des
Bewegungsverhaltens von Fußgängern in einem Gebäude.
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Sachverhalt
28. März 2019 2
Zurückweisung der EP-Anmeldung:
• Ohne Stand der Technik zu würdigen, hat die Prüfungsabteilung
die Anmeldung mangels erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ)
zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders
(Connor, James Douglas).
Die Beschwerdekammer entscheidet nicht, sondern
formuliert drei Fragen zur Vorlage an die große
Beschwerdekammer.
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Sachverhalt
28. März 2019 3
Vorlagefrage 1
„Kann die computerimplementierte Simulation eines technischen
Systems oder Prozesses hinsichtlich der Beurteilung erfinderischer
Tätigkeit ein technisches Problem durch Erzeugen eines
technischen Effekts lösen, der über die Implementierung der
Simulation auf einem Computer hinausgeht, wenn die
computerimplementierte Simulation als solche beansprucht wird?“
Vereinfacht: Können die Schritte eines computerimplementierten
Simulationsverfahrens zur Lösung eines technischen Problems mit
technischen Mitteln beitragen?
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Sachverhalt
28. März 2019 4
Vorlagefrage 2
„Wenn die Antwort auf die erste Frage ja lautet, welches sind die
relevanten Kriterien für die Beurteilung, ob eine
computerimplementierte Simulation, die als solche beansprucht
wird, ein technisches Problem löst? Ist es insbesondere eine
hinreichende Bedingung, dass die Simulation zumindest teilweise
auf technischen Grundlagen des simulierten Systems oder
Prozesses basiert?“
Vereinfacht: Kann ein computerimplementiertes
Simulationsverfahren die nötige Technizität des simulierten
Systems erben?
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Sachverhalt
28. März 2019 5
Vorlagefrage 3
„Was sind die Antworten auf die erste und zweite Frage, wenn die
computerimplementierte Simulation im Rahmen eines
Designprozesses, insbesondere zur Überprüfung eines Designs,
beansprucht wird?“
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Sachverhalt
28. März 2019 6
A computer-implemented method of modelling pedestrian crowd movement in an
environment, the method comprising:
• simulating movement of a plurality of pedestrians through the environment, wherein simulating
movement of each pedestrian comprises:
• providing a provisional path (9) through a model of the environment from a current location (6) to an intended destination (7);
• Gefolgt von einigen Verfahrensschritten, die algorithmisch bestimmen, wie sich die „pedestrians“ von einer „current location“
zu einer „intended destination“ bewegen.
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß
Hauptantrag in „abstrakter“ Form
28. März 2019 7
Fig. 2 der Anmeldung
A method of designing a building structure, the method comprising:
• providing a model of said building structure;
• simulating movement of a plurality of pedestrians through said building structure using a
computer, wherein simulating movement of each pedestrian step comprises:
• providing a provisional path (9) through a model of the environment from a current location (6) to an intended destination (7);
• Gefolgt von einigen Verfahrensschritten, die algorithmisch bestimmen, wie sich die „pedestrians“ von einer „current location“
zu einer „intended destination“ bewegen.
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß
Hilfsantrag IV in „abstrakter“ Form
28. März 2019 8
Fig. 2 der Anmeldung
Der Anmelder führt aus:
• Die Anmeldung basiere, zumindest teilweise, auf der Erkenntnis, dass
menschliche Interaktion auf die gleiche Weise ausgedrückt und modelliert
werden könne wie physische Interaktionen.
• Das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag erzeuge einen technischen
Effekt in Form einer genaueren Simulation der Bewegung von Gruppen von
Menschen.
• Anspruch 1 nach Hilfsantrag IV würde hervorheben, dass das beanspruchte
Verfahren nicht bloß mit „Stift und Papier“ durchgeführt werden könne. Es soll
explizit eine Gebäudestruktur entworfen werden.
• Der Anmelder stützt sich insbesondere auf die Entscheidung T 1227/05, wonach
die Simulation einer elektronischen Schaltung als patentfähig befunden wurde.
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Argumentation des Anmelders
28. März 2019 9
Die der T 1227/05 zugrunde liegende Anmeldung betrifft eine
numerische Simulation einer elektronischen Schaltung.
Die Kammer führte aus:
• Die beanspruchte Simulation erfülle technische Aufgaben, die für eine moderne
Ingenieurstätigkeit typisch sind.
• Sie erlaube eine realitätsnahe Vorhersage des Verhaltens eines entworfenen
Schaltkreises.
• Mit dem beanspruchten Verfahren könne eine umfangreiche Klasse von Entwürfen
virtuell getestet und auf erfolgversprechende Kandidaten durchsucht werden,
bevor mit einer aufwendigen Herstellung von Schaltkreisen begonnen wird.
→ Stichwort: Geschwindigkeitsvorteil der Simulation
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
T 1227/05 (Circuit simulation I/Infineon Technologies)
28. März 2019 10
• Dies wäre ohne technische Hilfe eines Simulationsverfahren nicht möglich.
• Ferner würde im Regelfall keine rein mathematisch-gedankliches Modell
existieren, welches eine solch schnelle Vorhersage erlaube.
→Simulationsverfahren ist technisch
→Seine Schritte können zur erfinderischen Tätigkeit beitragen
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
T 1227/05 (Circuit simulation I/Infineon Technologies)
28. März 2019 11
Die Kammer sieht gewisse Ähnlichkeiten zur T 1227/05:
• Die vorliegende Anmeldung simuliere die Leistungsfähigkeit eines Gebäudes.
• Ferner seien Umgebungen, wie z. B. Gebäude, durch welche sich
Menschen/Fußgänger bewegen, technisch.
→ Ähnlichkeit zu einer elektronischen Schaltung
• Das „Verhalten“ eines Gebäudes beim Hindurchbewegen von Fußgängern sei eine
technische Eigenschaft.
• Obwohl die Bewegung eines Fußgängers weitestgehend von dessen subjektiven
Entscheidungen abhinge, so spielten doch physische Eigenschaften eine
wesentliche Rolle, da ein Fußgänger beispielsweise nicht durch Wände gehen kann.
→ Ähnlichkeit zu einer elektronischen Schaltung
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Argumentation der Kammer
28. März 2019 12
• Ein Gebäude (z. B. einen Bahnhof) zu entwickeln, welches eine Vielzahl von
Menschen in kurzer Zeit (z. B. in einer Notsituation) schnell verlassen können,
falle zudem in den Aufgabenbereich eines Ingenieurs.
Die T 1227/05 würde folglich das Anliegen des Beschwerdeführers
unterstützen. Allerdings ist die Beschwerdekammer nicht
von der in der T 1227/05 vorgetragenen Argumentation überzeugt:
• Sowohl eine Schaltung als auch eine Umgebung (z.B. eines Gebäudes) seien
technische Gegenstände.
• Deren Simulation sei jedoch nur ein gedankliche Tätigkeit (nur mit Stift und
Papier ausführbar) und somit nicht technisch.
• Ferner könne der Umstand, dass eine gedankliche Tätigkeit durch ihre
Implementierung innerhalb eines Computers schneller ausgeführt werden
könne, nicht zu deren technischem Charakter beitragen.
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Argumentation der Kammer
28. März 2019 13
• Um einen technischen Effekt begründen zu können, bedürfe es einer direkten
Verbindung zur physischen Realität.
• Weder die simulierte Schaltung gemäß der T 1227/05 noch die Simulation einer Umgebung gemäß
der vorliegenden Anmeldung existierten in der Realität, denn sie seien nur virtuelle Modelle.
• Zu Hilfsantrag IV (Entwurf einer Gebäudestruktur): Nach Auffassung der Kammer
seien Designänderungen nur eine gedankliche Tätigkeit des Entwerfers und führten
kausal nicht zu einer verbesserten Gebäudestruktur beim tatsachlichen Bau.
• Die immer größer werdende Bedeutung von numerischen Simulationen könne aber
nach Auffassung der Kammer – entgegen der T 1227/05 – nicht beeinflussen, ob
deren Verfahrensschritte zur Lösung eines technischen Problems mit technischen
Mitteln dienen können.
→ Die Kammer formuliert die eingangs genannten drei Fragen zur Vorlage an
die große Beschwerdekammer.
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Argumentation der Kammer
28. März 2019 14
Die Simulation technischer Systeme sollte patentfähig sein!
• Warum? Im Zeitalter der künstlichen Intelligenz scheint es nicht
angebracht, auf die „Verbindung in die reale, physische Welt“ im
Anspruchswortlaut zu bestehen.
• Zwei Lösungswege:
• Juristisch „sauber“ formulieren, warum im Lichte der bisherigen CII-
Rechtsprechung die Simulation technischer Systeme patentfähig ist
(ist mir nicht gelungen!).
• Am „grünen Tisch“ festlegen, dass, unabhängig von der bisherigen CII-
Rechtsprechung, Verfahren zur Simulation von technischen Systemen
patentfähig sind.
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Zur Anregung der Diskussion:
Meine persönliche Meinung
28. März 2019 15
→ Schafft separaten „Topf“ für Simulationen von
technischen Systemen. Praktikabel?
Vorliegender Fall:
Kein technisches System, da hier keine Umgebung
(kein Gebäude) simuliert wird, sondern nur das
menschliche Verhalten → nicht technisch!
EUROPÄISCHES PATENTRECHT
Zur Anregung der Diskussion:
Meine persönliche Meinung
28. März 2019 16
BARDEHLE.COM
BARDEHLE PAGENBERG
Partnerschaft mbB
Prinzregentenplatz 7
81675 München
"IP Law Firm of the Year" and "Law Firm of the Year for Trademarks &
Unfair Competition" 2018 – awarded by JUVE
"Germany Trade Mark Firm of the Year" 2018 – honored by Managing IP
"TOP-KANZLEI Patentrecht 2017" – awarded by WirtschaftsWoche
"Law Firm of the Year" 2016 for Intellectual Property Law – named by
Best Lawyers® and Handelsblatt
Patrick Heckeler
patrick.heckeler@bardehle.de
12.04.2019
linkedin.com/in/dr-patrick-heckeler
BARDEHLE.COM
BARDEHLE PAGENBERG
Partnerschaft mbB
Prinzregentenplatz 7
81675 München
"IP Law Firm of the Year" and "Law Firm of the Year for Trademarks &
Unfair Competition" 2018 – awarded by JUVE
"Germany Trade Mark Firm of the Year" 2018 – honored by Managing IP
"TOP-KANZLEI Patentrecht 2017" – awarded by WirtschaftsWoche
"Law Firm of the Year" 2016 for Intellectual Property Law – named by
Best Lawyers® and Handelsblatt
12.04.2019

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Europäisches Patentrecht: Patentierbarkeit von Simulationsverfahren

  • 1. Dr. rer. nat. Patrick Heckeler Diplom-Informatiker / Patentanwalt / European Patent Attorney Europäisches Patentrecht Patentierbarkeit von Simulationsverfahren Vorlage an die große Beschwerdekammer T 0489/14, TBK 3.5.07 vom 22. Februar 2019 Link: https://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/pdf/t140489ex1.pdf 28. März 2019 1
  • 2. Bezeichnung der EP-Anmeldung 03793825.5: „SIMULATION DER BEWEGUNG VON AUTONOMEN ENTITÄTEN DURCH EINE UMGEBUNG“ Genauer gesagt geht es um die Simulation des Bewegungsverhaltens von Fußgängern in einem Gebäude. EUROPÄISCHES PATENTRECHT Sachverhalt 28. März 2019 2
  • 3. Zurückweisung der EP-Anmeldung: • Ohne Stand der Technik zu würdigen, hat die Prüfungsabteilung die Anmeldung mangels erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ) zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders (Connor, James Douglas). Die Beschwerdekammer entscheidet nicht, sondern formuliert drei Fragen zur Vorlage an die große Beschwerdekammer. EUROPÄISCHES PATENTRECHT Sachverhalt 28. März 2019 3
  • 4. Vorlagefrage 1 „Kann die computerimplementierte Simulation eines technischen Systems oder Prozesses hinsichtlich der Beurteilung erfinderischer Tätigkeit ein technisches Problem durch Erzeugen eines technischen Effekts lösen, der über die Implementierung der Simulation auf einem Computer hinausgeht, wenn die computerimplementierte Simulation als solche beansprucht wird?“ Vereinfacht: Können die Schritte eines computerimplementierten Simulationsverfahrens zur Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln beitragen? EUROPÄISCHES PATENTRECHT Sachverhalt 28. März 2019 4
  • 5. Vorlagefrage 2 „Wenn die Antwort auf die erste Frage ja lautet, welches sind die relevanten Kriterien für die Beurteilung, ob eine computerimplementierte Simulation, die als solche beansprucht wird, ein technisches Problem löst? Ist es insbesondere eine hinreichende Bedingung, dass die Simulation zumindest teilweise auf technischen Grundlagen des simulierten Systems oder Prozesses basiert?“ Vereinfacht: Kann ein computerimplementiertes Simulationsverfahren die nötige Technizität des simulierten Systems erben? EUROPÄISCHES PATENTRECHT Sachverhalt 28. März 2019 5
  • 6. Vorlagefrage 3 „Was sind die Antworten auf die erste und zweite Frage, wenn die computerimplementierte Simulation im Rahmen eines Designprozesses, insbesondere zur Überprüfung eines Designs, beansprucht wird?“ EUROPÄISCHES PATENTRECHT Sachverhalt 28. März 2019 6
  • 7. A computer-implemented method of modelling pedestrian crowd movement in an environment, the method comprising: • simulating movement of a plurality of pedestrians through the environment, wherein simulating movement of each pedestrian comprises: • providing a provisional path (9) through a model of the environment from a current location (6) to an intended destination (7); • Gefolgt von einigen Verfahrensschritten, die algorithmisch bestimmen, wie sich die „pedestrians“ von einer „current location“ zu einer „intended destination“ bewegen. EUROPÄISCHES PATENTRECHT Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag in „abstrakter“ Form 28. März 2019 7 Fig. 2 der Anmeldung
  • 8. A method of designing a building structure, the method comprising: • providing a model of said building structure; • simulating movement of a plurality of pedestrians through said building structure using a computer, wherein simulating movement of each pedestrian step comprises: • providing a provisional path (9) through a model of the environment from a current location (6) to an intended destination (7); • Gefolgt von einigen Verfahrensschritten, die algorithmisch bestimmen, wie sich die „pedestrians“ von einer „current location“ zu einer „intended destination“ bewegen. EUROPÄISCHES PATENTRECHT Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag IV in „abstrakter“ Form 28. März 2019 8 Fig. 2 der Anmeldung
  • 9. Der Anmelder führt aus: • Die Anmeldung basiere, zumindest teilweise, auf der Erkenntnis, dass menschliche Interaktion auf die gleiche Weise ausgedrückt und modelliert werden könne wie physische Interaktionen. • Das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag erzeuge einen technischen Effekt in Form einer genaueren Simulation der Bewegung von Gruppen von Menschen. • Anspruch 1 nach Hilfsantrag IV würde hervorheben, dass das beanspruchte Verfahren nicht bloß mit „Stift und Papier“ durchgeführt werden könne. Es soll explizit eine Gebäudestruktur entworfen werden. • Der Anmelder stützt sich insbesondere auf die Entscheidung T 1227/05, wonach die Simulation einer elektronischen Schaltung als patentfähig befunden wurde. EUROPÄISCHES PATENTRECHT Argumentation des Anmelders 28. März 2019 9
  • 10. Die der T 1227/05 zugrunde liegende Anmeldung betrifft eine numerische Simulation einer elektronischen Schaltung. Die Kammer führte aus: • Die beanspruchte Simulation erfülle technische Aufgaben, die für eine moderne Ingenieurstätigkeit typisch sind. • Sie erlaube eine realitätsnahe Vorhersage des Verhaltens eines entworfenen Schaltkreises. • Mit dem beanspruchten Verfahren könne eine umfangreiche Klasse von Entwürfen virtuell getestet und auf erfolgversprechende Kandidaten durchsucht werden, bevor mit einer aufwendigen Herstellung von Schaltkreisen begonnen wird. → Stichwort: Geschwindigkeitsvorteil der Simulation EUROPÄISCHES PATENTRECHT T 1227/05 (Circuit simulation I/Infineon Technologies) 28. März 2019 10
  • 11. • Dies wäre ohne technische Hilfe eines Simulationsverfahren nicht möglich. • Ferner würde im Regelfall keine rein mathematisch-gedankliches Modell existieren, welches eine solch schnelle Vorhersage erlaube. →Simulationsverfahren ist technisch →Seine Schritte können zur erfinderischen Tätigkeit beitragen EUROPÄISCHES PATENTRECHT T 1227/05 (Circuit simulation I/Infineon Technologies) 28. März 2019 11
  • 12. Die Kammer sieht gewisse Ähnlichkeiten zur T 1227/05: • Die vorliegende Anmeldung simuliere die Leistungsfähigkeit eines Gebäudes. • Ferner seien Umgebungen, wie z. B. Gebäude, durch welche sich Menschen/Fußgänger bewegen, technisch. → Ähnlichkeit zu einer elektronischen Schaltung • Das „Verhalten“ eines Gebäudes beim Hindurchbewegen von Fußgängern sei eine technische Eigenschaft. • Obwohl die Bewegung eines Fußgängers weitestgehend von dessen subjektiven Entscheidungen abhinge, so spielten doch physische Eigenschaften eine wesentliche Rolle, da ein Fußgänger beispielsweise nicht durch Wände gehen kann. → Ähnlichkeit zu einer elektronischen Schaltung EUROPÄISCHES PATENTRECHT Argumentation der Kammer 28. März 2019 12
  • 13. • Ein Gebäude (z. B. einen Bahnhof) zu entwickeln, welches eine Vielzahl von Menschen in kurzer Zeit (z. B. in einer Notsituation) schnell verlassen können, falle zudem in den Aufgabenbereich eines Ingenieurs. Die T 1227/05 würde folglich das Anliegen des Beschwerdeführers unterstützen. Allerdings ist die Beschwerdekammer nicht von der in der T 1227/05 vorgetragenen Argumentation überzeugt: • Sowohl eine Schaltung als auch eine Umgebung (z.B. eines Gebäudes) seien technische Gegenstände. • Deren Simulation sei jedoch nur ein gedankliche Tätigkeit (nur mit Stift und Papier ausführbar) und somit nicht technisch. • Ferner könne der Umstand, dass eine gedankliche Tätigkeit durch ihre Implementierung innerhalb eines Computers schneller ausgeführt werden könne, nicht zu deren technischem Charakter beitragen. EUROPÄISCHES PATENTRECHT Argumentation der Kammer 28. März 2019 13
  • 14. • Um einen technischen Effekt begründen zu können, bedürfe es einer direkten Verbindung zur physischen Realität. • Weder die simulierte Schaltung gemäß der T 1227/05 noch die Simulation einer Umgebung gemäß der vorliegenden Anmeldung existierten in der Realität, denn sie seien nur virtuelle Modelle. • Zu Hilfsantrag IV (Entwurf einer Gebäudestruktur): Nach Auffassung der Kammer seien Designänderungen nur eine gedankliche Tätigkeit des Entwerfers und führten kausal nicht zu einer verbesserten Gebäudestruktur beim tatsachlichen Bau. • Die immer größer werdende Bedeutung von numerischen Simulationen könne aber nach Auffassung der Kammer – entgegen der T 1227/05 – nicht beeinflussen, ob deren Verfahrensschritte zur Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln dienen können. → Die Kammer formuliert die eingangs genannten drei Fragen zur Vorlage an die große Beschwerdekammer. EUROPÄISCHES PATENTRECHT Argumentation der Kammer 28. März 2019 14
  • 15. Die Simulation technischer Systeme sollte patentfähig sein! • Warum? Im Zeitalter der künstlichen Intelligenz scheint es nicht angebracht, auf die „Verbindung in die reale, physische Welt“ im Anspruchswortlaut zu bestehen. • Zwei Lösungswege: • Juristisch „sauber“ formulieren, warum im Lichte der bisherigen CII- Rechtsprechung die Simulation technischer Systeme patentfähig ist (ist mir nicht gelungen!). • Am „grünen Tisch“ festlegen, dass, unabhängig von der bisherigen CII- Rechtsprechung, Verfahren zur Simulation von technischen Systemen patentfähig sind. EUROPÄISCHES PATENTRECHT Zur Anregung der Diskussion: Meine persönliche Meinung 28. März 2019 15
  • 16. → Schafft separaten „Topf“ für Simulationen von technischen Systemen. Praktikabel? Vorliegender Fall: Kein technisches System, da hier keine Umgebung (kein Gebäude) simuliert wird, sondern nur das menschliche Verhalten → nicht technisch! EUROPÄISCHES PATENTRECHT Zur Anregung der Diskussion: Meine persönliche Meinung 28. März 2019 16
  • 17. BARDEHLE.COM BARDEHLE PAGENBERG Partnerschaft mbB Prinzregentenplatz 7 81675 München "IP Law Firm of the Year" and "Law Firm of the Year for Trademarks & Unfair Competition" 2018 – awarded by JUVE "Germany Trade Mark Firm of the Year" 2018 – honored by Managing IP "TOP-KANZLEI Patentrecht 2017" – awarded by WirtschaftsWoche "Law Firm of the Year" 2016 for Intellectual Property Law – named by Best Lawyers® and Handelsblatt Patrick Heckeler patrick.heckeler@bardehle.de 12.04.2019 linkedin.com/in/dr-patrick-heckeler
  • 18. BARDEHLE.COM BARDEHLE PAGENBERG Partnerschaft mbB Prinzregentenplatz 7 81675 München "IP Law Firm of the Year" and "Law Firm of the Year for Trademarks & Unfair Competition" 2018 – awarded by JUVE "Germany Trade Mark Firm of the Year" 2018 – honored by Managing IP "TOP-KANZLEI Patentrecht 2017" – awarded by WirtschaftsWoche "Law Firm of the Year" 2016 for Intellectual Property Law – named by Best Lawyers® and Handelsblatt 12.04.2019