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Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Institut für Sprach-, Medien- und Musikwissenschaft | Abteilung Medienwissenschaft

Filmische Produktionsphasen und Kinomarkt Brasiliens
in Anbetracht des Zusammenhangs zwischen Filmemachern und staatlicher Kulturpolitik

Abschlussprüfung im Modul AV3 | Medienkulturen im historischen Prozess
Titel der Veranstaltung: Der politische Film | SS 11
Seminarleiterin: Prof. Dr. Ursula von Keitz
Betreuerin: Dr. Ines Steiner
Studierende: Vivian Martins Nogueria Napoles

November 2013

	
  

	
  
 

Eigenständigkeitserklärung

Hiermit bestätige ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen
als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen der Arbeit, die dem Wortlaut oder
dem Sinn nach anderen Werken (dazu zählen auch Internetquellen) entnommen sind, wurden
unter Angabe der Quelle kenntlich gemacht.

Vivian Martins Nogueria Napoles

	
  

	
  
 

Filmische Produktionsphasen und Kinomarkt Brasiliens
in Anbetracht des Zusammenhangs zwischen Filmemachern und staatlicher Kulturpolitik

Der brasilianische Staat, seinerzeit regiert von neoliberaler Bundesregierung, beschloss in den
frühen 1990er Jahren das Ende der finanziellen Förderung der einheimischen Filmindustrie.
Eines der Ergebnisse dieser Maßnahme war der sehr starke Einbruch der inländischen
Filmproduktion. Seitdem analysieren Branchenexperten sorgfältig den Zusammenhang
zwischen der Tätigkeit der nationalen Filmemacher und den einzelnen kulturpolitischen
Maßnahmen seitens der jeweiligen Staatsregierung. Zu diesem Thema argumentiert Simis
(2010), dass es charakteristische Verhaltensweisen sowohl auf Seiten der Filmemacher als
auch auf Seiten der jeweiligen Staatsregierung gibt, welche sich zyklisch im Laufe der Zeit in
abgewandelten Formen wiederholen. Als Beispiele können laut Simis (2010) einerseits die
Kämpfe der Filmemacher untereinander um die Rolle der Finanzierung durch die
brasilianische Regierung genannt werden, und andererseits die kulturpolitischen Maßnahmen
durch die Staatsregierung, die sich meist als protektionistisch bezeichnen lassen.
Aufbauend auf den Ideen von Simis (2010) handelt es sich hierbei um eine Studie über vier
inländische Produktionsphasen der Kinematographie in Brasilien des zwanzigsten
Jahrhunderts, wobei ästhetische und thematische Aspekte dieser Phasen im Zusammenhang
zur zeitgenössischen Anzahl inländischer produzierter Filme als auch ihre Akzeptanz beim
Publikum und bei der jeweiligen Staatsregierung verglichen werden. Ziel der vorliegenden
Arbeit ist es hervorzuheben, welche Charakterzüge zwischen den vier historischen filmischen
Produktionsphasen im Rahmen der oben genannten Aspekte ähnlich sind. Diese filmischen
Produktionsphasen erhalten die folgenden Titel: Bela Época; Carnavalescas und Chanchadas;
Cinema Novo; Pornochanchada.

Schlüsselwörter:
Filmische Produktionsphasen Brasiliens; Kinomarkt Brasiliens; brasilianischer Filmmarkt;
staatliche Kulturpolitik Brasiliens; brasilianisches Kino; brasilianische Filmgeschichte.

Vivian Martins Nogueria Napoles | November 2013

	
  

	
  
 

Inhaltsverzeichnis
	
  
	
  
1.	
  Einleitung	
  
.......................................................................................................................................	
  1	
  
2.	
  Brasilianische	
  Filmemacher	
  und	
  Staatsregierung	
  ..........................................................	
  3	
  
2.1	
  Einheimischer	
  Kultursektor	
  ...........................................................................................................	
  4	
  
2.2	
  Forderungen	
  und	
  Maßnahmen	
  ......................................................................................................	
  5	
  
2.2.1 Gesetze	
  ................................................................................................................................................................	
  6	
  
2.2.2 Finanzierung	
  .....................................................................................................................................................	
  9	
  
3.	
  Brasilianisches	
  Kino	
  ...............................................................................................................	
  10	
  
3.1	
  Das	
  Nationalgefühl	
  ..........................................................................................................................	
  11	
  
3.2	
  Kinematographische	
  Produktionsphasen	
  ..............................................................................	
  13	
  
3.2.1 Bela Época	
  ......................................................................................................................................................	
  13	
  
3.2.2 Carnavalescas und Chanchadas	
  ...............................................................................................................	
  15	
  
3.2.3 Cinema Novo	
  .................................................................................................................................................	
  17	
  
3.2.4 Pornochanchada	
  ............................................................................................................................................	
  20	
  
4.	
  Entwicklung	
  des	
  brasilianischen	
  Kinomarktes	
  .............................................................	
  24	
  
4.1	
  Bis	
  1930	
  ..............................................................................................................................................	
  26	
  
4.2	
  Die	
  1930er,	
  1940er	
  und	
  1950er	
  Jahre	
  .....................................................................................	
  28	
  
4.3	
  Die	
  1960er	
  Jahre	
  ..............................................................................................................................	
  29	
  
4.4	
  Die	
  1970er	
  Jahre	
  ..............................................................................................................................	
  30	
  
5.	
  Ähnliche	
  Charakterzüge	
  ........................................................................................................	
  32	
  
6.	
  Schlussbetrachtung	
  und	
  Ausblick	
  ......................................................................................	
  34	
  
Quellenverzeichnis	
  ......................................................................................................................	
  36	
  
Film-­‐Index	
  .......................................................................................................................................	
  38	
  
Anhang	
  .............................................................................................................................................	
  39	
  
	
  

	
  

	
  
 

1. Einleitung

Nach einer großen Rezession, mit der die brasilianische Filmindustrie in den frühen 1990er
Jahren konfrontiert wurde, sind Studien angesichts der Wiederbelebung des nationalen
Kultursektors dringend erforderlich geworden. Zwei Elemente können beispielhaft aus dem
Zusammenhang zwischen den Forderungen brasilianischer Filmemacher und der jeweiligen
Kulturpolitik der einzelnen brasilianischen Staatsregierung herausgestellt werden: (a) die
teilweise extreme finanzielle Abhängigkeit, in der sich oftmals Fachleute dieses kulturellen
Sektors im Verhältnis zum Bundesstaat Brasiliens befanden; (b) der protektionistische
Charakter diverser staatlicher Maßnahmen, die an die inländische Filmindustrie gerichtet
wurden (Simis 2010).
Vor diesem Hintergrund handelt es sich hierbei um eine Studie über vier inländische
Produktionsphasen der Kinematographie in Brasilien des zwanzigsten Jahrhunderts, wobei
ästhetische und thematische Aspekte dieser Phasen im Zusammenhang zur zeitgenössischen
Anzahl inländischer produzierter Filme als auch ihre Akzeptanz beim Publikum und bei der
jeweiligen Staatsregierung verglichen werden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es
hervorzuheben,

welche

Charakterzüge

zwischen

den

vier

historischen

filmischen

Produktionsphasen im Rahmen der oben genannten Aspekte ähnlich sind. Diese filmische
Produktionsphasen erhalten den folgende Titel: Bela Época; Carnavalescas und Chanchadas;
Cinema Novo; Pornochanchada.
Die Beziehung zwischen den Experten kinematographischer Tätigkeit und der brasilianischen
Staatsregierung begann im Jahr 1894 mit der Ankunft des ersten kinematographischen
Apparats in Brasilien (Souza 2013). Dieser war laut Souza (2013) ein von dem USAmerikaner Thomas Alva Edison entwickelter Apparat namens ‚Kinetoskop’. Das
Kinetoskop wurde von dem in der Tschechoslowakei geborenen Juden Frederico Finger nach
Brasilien gebracht (Souza 2013). Für den Betrieb von Geräten wie diesem, das häufig in
Verbindung mit dem ‚Grammophon’ verwendet wurde1, war eine gute Energieversorgung
notwendig (Souza 2013), aber in brasilianischen Städten war dies allerdings damals nicht der
Fall.
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
1

Beider wurden ersetzt, erst durch das ‚Kinetophone’ und danach um ca. 1897 durch das ‚Vitascope’ (Souza
2013).
1

	
  
 
Die Stadt Rio de Janeiro wurde z. B. erst 1908 an das Stromnetz angeschlossen (Gomes 1996).
Von daher war zu dieser Zeit die Verteilung der Energie in Brasilien in der Regel mittels
Generatoren artikuliert (Gomes 1996). Somit war seitdem eine enge Beziehung zwischen den
lokalen Beamten und den Fachleuten der Kinematographie notwendig, da die lokalen
Beamten diejenigen waren, die zu dieser Zeit die Verteilung von Strom in den Städten
ermöglichten (Souza 2013). Vor allem aus diesem Grund war in diesem Land die Beziehung
zwischen Kinoexperten und Staatsregierung zu Beginn der filmischen Tätigkeit von einem
Abhängigkeitsverhältnis seitens der Kinematographie geprägt.
Der Ausschnitt unter Bezugnahme auf die aktuelle Phase der brasilianischen Filmproduktion
wiederum – genannt ‚Kino der Wideraufnahmen’ oder ‚Post-Embrafilme Era’2 u.a. – liegt vor
allem in der Relevanz von den Folgen zweier Ereignisse aus den frühen 1990er Jahren: (a)
das Ende der ‚Brasilianischen staatlichen Filmgesellschaft (Embrafilme)’ 3 , damals
verantwortlich für die Produktion und den Vertrieb der fast gesamten einheimischen Filme;
(b) die Degradierung des damaligen ‚Kulturministeriums (MinC)’ 4 auf den Status eines
nationalen ‚Sekretariats’ (Leite 2005, Almeida Jr. 2001).
Zwischen den beiden oben angesprochen historischen Zeitpunkten des Kinos in Brasilien
wird das Thema der vorliegenden Studie hauptsächlich erörtert. In Kapitel 2 wird der
Zusammenhang zwischen den Forderungen einheimischer Filmemacher und der staatlichen
Kulturpolitik dargelegt. In Kapitel 3 werden ästhetische und thematische Aspekte aus vier
filmischen Produktionsphasen dargestellt. In diesem Zusammenhang wird sowohl die
Akzeptanz seitens des inländischen Publikums als auch der brasilianischen Staatsregierung
gegenüber diesen filmischen Phasen in Betracht gezogen. Das Kapitel 4 besteht aus der
Darlegung einer Analyse der inländischen Marktentwicklung der nationalen Kinematographie,
die aus der Perspektive der hier infrage stehenden kinematographischen Phasen betrachtet
wird.
In Kapitel 5 wird abschließend eine zeitlich chronologische Analyse durchgeführt. Dabei
werden ähnliche Charakterzüge der Dynamik zwischen filmischen Produktionsphasen und
dem jeweiligen Kinomarkt mit Blick auf den Zusammenhang zwischen den Forderungen
einheimischer Filmemachern und der staatlichen Kulturpolitik dieses Landes vergleichend
betrachtet.
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
2

Auf Portugiesisch ‚Cinema de Retomada‚ oder ‚Era Pós-Embrafilme’.
Auf Portugiesisch ‚Empresa Brasileira de Filmes S/A (Embrafilme)’ (1969-1990).
4
Auf Portugiesisch ‚Ministério da Cultura (MinC)’.
3

2

	
  
 

2. Brasilianische Filmemacher und Staatsregierung

Die Filmproduktion ist Teil des staatlichen brasilianischen Kultursektors. Diese liegt
heutzutage in der Verantwortung des ‚Kulturministeriums (MinC)’ des Landes, jedoch lag
zwischen 1930 und 1953 in der Verantwortung des damaligen ‚Brasilianischen Bildungs- und
Gesundheitsministeriums’5, in den Jahren 1953 bis 1985 in der des ‚Brasilianischen Bildungsund Kulturministeriums (MEC)’6 und von 1985 bis 1989 in der des ‚Kulturministeriums
(MinC)’ (Ministério da Cultura 2013). Im Jahr 1990 wurde das ‚Kulturministerium’ auf den
Status eines ‚Sekretariats’ degradiert, wurde jedoch im Jahre 1993 wieder in den Status eines
staatlichen ‚Ministeriums’ gehoben (Ministério da Cultura 2013).
Die aktuelle Position der staatlichen Kulturpolitik Brasiliens wurde von Rubim (2010)
analysiert, wobei ihre Entwicklung in der Weise so differenziert wurde, dass drei Traditionen
skizzieret wurde, nämlich ‚die Tradition der Abwesenheit’, ‚des Autoritarismus’, ‚der
Unbeständigkeit’, wobei sich die letzte Tradition als Ergebnis der Summe von der Tradition
der Abwesenheit mit der des Autoritarismus betrachten lässt (Rubim 2010).
Unter der theoretischen Perspektive des Begriffskonzeptes ‚Kulturpolitik’, ist Rubim (2010)
der Meinung, dass es legitim ist, sich über Kulturpolitik in einem Land zu unterhalten, wenn
es sich dabei u.a. sowohl um gemeinsame und systematische Interventionen als auch um
gemeinsame Arbeiten und Ziele handelt. Der Autor vertritt die Meinung, dass Brasilien unter
der Abwesenheit von einheimischen Kulturpolitikern bis zum Jahre 1930 gelitten hat. Die
Staatsregierung Brasiliens hat laut Rubim (2010) ab diesem Jahr durch die Einrichtung des
‚Brasilianischen Bildungs- und Gesundheitsministeriums’ so viele Maßnahmen im Rahmen
des Kultursektors des Landes durchgesetzt, dass es ab diesem Zeitpunkt in der Geschichte
legitim ist, über inländische Kulturpolitik in Brasilien zu sprechen.
In diesem Sinne wird dann der Zusammenhang zwischen Forderungen der inländischen
Filmemacher und der staatlichen Kulturpolitik erörtert, wodurch die Maßnahmen der
brasilianischen Staatsregierung angesichts des Kultursektors des Landes zunächst generell
betrachtet werden.
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
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Auf Portugiesisch ,Ministério de Educação e Saúde Pública’.
Auf Portugiesisch ,Ministério da Educação e Cultura (MEC)’.
3

	
  
 
2.1 Einheimischer Kultursektor
Die Staatsregierung Brasiliens wird von Chauí (1995, 2001) als liberal, autoritär, populistisch
und neoliberal in ihrem Verhalten gegenüber dem einheimischem Kultursektor beschrieben.
Für die vorliegende Arbeit ist es vor allem bedeutend, den autoritären Charakter der
Staatsregierung gegenüber dem Kultursektor des Landes zu erörtern. Darunter versteht die
Autorin, dass „wenn sich der Bundesstaat selbst sowohl als offizieller Kulturproduzent als
auch als Kontrollorgan der kulturellen Produktion der Zivilgesellschaft darstellt“ (Chauí 1995,
81)7, sich dieser Bundesstaat als autoritärer Staat positioniert.
Laut Chauí (1995) entspricht diese Art des Umgangs genau der Haltung der brasilianischen
Staatsregierung gegenüber dem Kultursektor des Landes seit Beginn der 1930er Jahre, als der
damalige Staatspräsident Getúlio Vargas eine inländische Filmproduktion von Lehrfilmen
förderte. Seitdem hat sich die Art und Weise des Umgangs mit dem Kultursektor des Landes
seitens der Staatsregierung nicht wirklich geändert (Chauí 1995). Andererseits befinden sich
zwischen dem Zusammenhang von der Staatsregierung mit dem Kultursektor die Position der
Kulturexperten, die sich selbst im Rahmen einer Tradition als individuelles oder kooperatives
Klientel betrachten und für sich vor allem Subventionen und finanzielle Partnerschaften von
der Staatsregierung erhofften (Chauí 1995).
Die traditionell starke Beziehung zwischen autoritäreren Staatsregierungen und kultureller
Politik in Brasilien wurde auch von Rubim (2010) diskutiert. Er betrachtet dabei den Zeitraum
zwischen 1943 und 1945 als ‚Meilenstein der Einführung dieser Tradition’, als die
kinematographische Gesetzgebung in diesem Land umgesetzt und das ‚Einheimische Institut
der Lehrfilme (INCE)’8 gegründet wurden. In den Jahren 1964 und 1985 wurde Brasilien von
einer Militärdiktatur regiert, wodurch sich laut Rubim (2010) die Beziehung zwischen Militär
und Kultur in drei verschiedene Zeitabschnitte unterteilen lässt.
Der erste Abschnitt umfasst die Jahre 1964 bis 1968 und lässt sich als eine Phase der
unsystematischen Zensurpräsenz interpretieren, wobei jedoch inländische kulturelle
Bewegungen immer noch zu verzeichnen waren (Rubim 2010). Nach Ansicht des Autors
wurden in diesem Zeitraum sowohl die Telekommunikationsinfrastruktur als auch die ersten
kulturellen Kriterien in Brasilien eingeführt. Diese sind vor allem „die Verwirklichung der
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
7

Auf Portugiesisch „Estado se apresenta como produtor oficial de cultura e censor da produção cultural da
sociedade civil” (Chauí 1995, 81).
8
Auf Portugiesisch ,Instituto Nacional de Cinema Educativo (INCE)’ (1936).	
  
4

	
  
 
Militärregierungen, die die audiovisuellen Medien streng kontrollierten, wobei versucht
wurde, eine symbolische Einbindung des Landes nach der Vereinbarung der damaligen
Sicherheitspolitik zu schaffen“ (Rubim 2010, 57).9
Die Phase zwischen 1968 und 1974 entspricht laut dem Autor der brutalsten Zeit der
Militärdiktatur in Brasilien. Diese Zeit ist als ‚Moment der kulturellen Leere’ in dem Land
bekannt geworden, als eine starke Repression seitens der brasilianischen Staatsregierung auf
die inländische kulturelle Produktion ausgeübt wurde (Rubim 2010). Jedoch ist in diesem
Zeitraum hinsichtlich der Filmproduktion keine ‚Leere’ zu beobachten. Laut Rubim (2010)
war die einheimische Filmproduktion durch die ,Cinema Marginal’ Bewegung doch sehr aktiv,
als die Filme der ‚Cinema Novo’ Bewegung sowie der Art ‚Pornochanchada’ u.a. auch
produziert wurden.
Die abschließende Periode des Zusammenspiels zwischen Militär und Kultur umfasst laut
Rubim (2010) die Jahre 1974 bis 1985. Diese Zeit wird durch den langsamen Wandel der
Militärregierung hin zu einer demokratischen Regierung charakterisiert, jedoch war zur
gleichen Zeit die Kulturpolitik sehr stark vom Autoritarismus geprägt (Rubim 2010, Simis
2010). In dieser Zeit wurden viele staatliche Institutionen gegründet und Maßnahmen
getroffen, z. B. wurde der erste ‚Einheimische Kulturplan (PNC)’ 10 aufgestellt und der
‚Einheimische Rat des Kinos (Concine)’11 ins Leben gerufen (Rubim 2010, Simis 2010).
Als die Militärdiktatur in Brasilien im Jahre 1985 zu Ende ging, wurde der Kultursektor
unabhängig und es wurde ein Kulturministerium geschaffen, das jedoch in der ersten Dekade
von einer starken Instabilität geprägt war (Rubim 2010). Laut Rubim wurde das
Kulturministerium alleine zwischen 1985 und 1994 von zehn verschiedenen Personen geleitet,
bzw. von durchschnittlich einem neuen Machthaber pro Jahr.

2.2 Forderungen und Maßnahmen
In Hinblick auf die Betrachtung der staatlichen Maßnahmen, die durch die inländische
kinematographische Tätigkeit gelenkt wurden, orientiert sich Simis (2010) nicht an
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
9

Auf Portugiesisch „realizações dos governos militares, que controlam rigidamente os meios audiovisuais e
buscam integrar simbolicamente o país, de acordo com a política de segurança nacional” (Rubim 2010, 57).
10
Auf Portugiesisch ,Plano Nacional de Cultura (PNC)’ (1975).
11
Auf Portugiesisch ‚Conselho Nacional de Cinema (Concine)’ (1976).

	
  

5

	
  
 
theoretischen Grundlagen über das Begriffskonzept ‚Kulturpolitik’, wie es bei Rubim (2010)
der Fall ist. Die andere Perspektivierung dieses Themas bei Simis (2010) ist dadurch
verursacht, dass sie nicht die staatlichen Kulturmaßnahmen an sich erforscht, sondern die
Zusammenhänge zwischen den Forderungen seitens der inländischen Filmemacher und der
staatlichen Kulturpolitik, die in Form von staatlichen Maßnahmen an den kinematographische
Sektor des Landes gerichtet wurden.
Dabei analysiert Simis (2010), für die Erhebung von kinematographischen Produktionsphasen
in diesem Land, die Wichtigkeit sowohl einiger staatlicher Maßnahmen als auch mancher
Forderungen der brasilianischen Filmemacher, nämlich: (a) die Forderungen der Filmemacher
nach staatlichen protektionistischen Maßnahmen, d.h. die Verpflichtung der Kinobetreiber,
eine Mindestanzahl einheimischer Filme zu zeigen12; (b) die finanzielle Abhängigkeit seitens
der einheimischen Filmemacher gegenüber der Förderungen der Staatsregierung und von
daher die entsprechende finanzielle Förderung, die an die inländische Filmindustrie seitens
der Staatsregierung gerichtet wurden.

2.2.1 Gesetze
Die Bestimmung zur obligatorischen Aufführung einheimischer Filme in den Kinosälen
Brasiliens geht auf ein erstes Gesetz13 aus dem Jahre 1932 zurück (Simis 2010). Im gleichen
Jahr setzte die Staatsregierung eine Zollgebühr fest, die den Import von unbelichtetem
Rohfilmen erleichtern sollte, weil dieser Import dadurch zehnmal billiger als der Import der
schon belichtetem Filmen war (Simis 2010). Beide staatlichen Maßnahmen lassen sich als
protektionistisch bezeichnen, mittels derer die inländische gegenüber den ausländischen
Filmproduktionen in Brasilien bevorzugt werden sollte (Simis 2010).
In der Tat wurde laut der Autorin ab dem Jahr 1934 das erste Gesetzdekret dieser Art wirklich
praktiziert. Dieses Gesetz in allen seinen Varianten wird von manchen Forschern als eine
staatliche Reaktionskette gegenüber den Forderungen der Filmemacher staatlicher
protektionistischer Maßnahmen interpretiert (Simis 2010, Gomes 1996). In diesem
Zusammenhang verbündeten sich laut Simis und Gomes die inländischen Filmemacher
Brasiliens im Laufe der 1920er und 1930er Jahre zum Protest gegen den unlauteren
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
12

Diese staatlichen Gesetzt ist auch als ‚Markt Reserve’ oder ‚Bildschirm Quote’ bekannt (auf Portugiesisch
‚Reserva de Mercado’ oder ‚Cota de Tela’) (Simis 2010).
13
Die Entwicklung diese staatliche Maßnahme lässt sich im Laufe der Jahre anhand einer Tabelle verfolgen.
Sieh hierzu Anhang 1.
6

	
  
 
Wettbewerb mit ausländischen Filmen. Dieser Protest wurde auch über Zeitschriften
ausgetragen, insbesondere dem Magazin ‚Cineart’, über die z. B. Filmexperten ihre
Forderungen und Wünsche publizierten (Gomes 1996). In diesem Sinn wandelten sich die
ersten Forderungen der Filmemacher in einer Kampfkampagne, die unter der Leitung von
Ademar Gonzaga und Pedro Lima durchgeführt wurde und bei der staatliche Eingriffe in die
kinematographische Aktivität stark gefordert wurden (Simis 2010).
Anfang der 1930er Jahre wurde laut Simis (2010) der ‚Brasilianische Filmvertrieb’14 vor
allem mit dem Ziel gegründet, die Durchsetzung der Vorführungsverpflichtung einheimischer
Filme in den Kinos zu überwachen. In diesem Zusammenhang wurde im Jahr 1936 noch das
‚Einheimische Institut der Lehrfilme’ 15 eingeführt – „die erste und langlebige staatliche
Agentur, die nach der brasilianischen Kinematographie eingerichtet wurde“ (Leite 2005,
36).16 Mittels des INCE wurden vom Staat in Auftrag gegebene Filme produziert und „dank
staatlicher Maßnahmen wie dieser wurde Getúlio Vargas als „Vater des brasilianischen
Kinos“ angesehen“ (Leite 2005, 39).17 In den 1930er Jahren setzte sich in verschiedenen
Ländern, bspw. in Italien unter der Regierung Mussolinis, die Meinung durch, dass Bücher
durch Filme ersetzt und diese als Lernmittel genutzt werden könnten (Leite 2005). Diese Idee
wurde nicht nur seitens der Staatregierung in Brasilien verteidigt. Die damaligen bekanntesten
brasilianischen Filmemacher waren der gleichen Meinung.
Als gute Beispiele lassen sich Humberto Mauro und Carmem Santos nennen, die sich
wünschten, dass „die Staatsregierung sich zu einem großen Beschützer der inländischen
Filmproduktion entwickle“ (Leite 2005, 39).18 Humberto Mauro war laut Leite in den 1930er
Jahren der bekannteste Filmregisseur Brasiliens und ist im Laufe dieses Jahrzehnt zur
bedeutendsten Person des Institut INCE geworden. Er war mehr als zehn Jahre für das INCE
tätig und hat eine der wichtigsten Serien von Lehrfilmen dieses Landes, eine Serie vom
Dokumentarfilm namens	
  BRASILIANAS (BRA, R: Humberto Mauro) produziert (Leite 2005).
Während der 1930er und 1940er Jahre war die kinematographische Aktivität Brasiliens sehr
stark bürokratisiert (Simis 2010). Dies geschah, meint Simis, vor allem, weil nur ein Drittel
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
14

Auf Portugiesisch ‚Distribuidora de Filmes Brasileiros (DFB)’.
Auf Portugiesisch ‚Instituto Nacional de Cinema Educativo (INCE)’ (1936).
16
Auf Portugiesisch „primeiro e mais duradouro órgão estatal voltado para o cinema brasileiro” (Leite 2005, 36).
17
Auf Portugiesisch „medidas como esta contribuíram para que Getúlio Vargas fosse considerado „o pai do
cinema brasileiro”“ (Leite 2005, 39).
18
Auf Portugiesisch „transformar o Estado em um grande mecenas, protetor das atividades nacionais” (Leite
2005, 39).
7
15

	
  
 
der

Filmvorführer

das

Gesetz

zur

Protektion

der

obligatorischen

einheimischen

Filmvorführung respektierte und sich die Medien ihrerseits stark gegen dieses Gesetz
positionierten.
Die Zensur durch die Staatsregierung auf die kinematographische Aktivität wurde ab dem
Jahre 1934 in die Verantwortung der ‚Abteilung für Propaganda und kulturelle Verbreitung
(DPDC)’19 und ab 1939 in die der ‚Abteilung für Presse und Propaganda (DIP)’20 gegeben
(Leite 2005). In den 1940er Jahren wird besonders eine Bemühung seitens der staatlichen
Maßnahmen auf dem Kinomarkt des Landes beobachtet, die im Endeffekt die inländische
Filmproduktion nicht beschützte (Simis 2010). Simis ist der Meinung, dass sich die
Entwicklung der brasilianischen Filmproduktion und die Entwicklung staatlicher Maßnahmen
gegenseitig beeinflussen und gleichzeitig Ursache und Wirkung der jeweils anderen
Entwicklung sind, so die Autorin:
Die Bildschirm-Quote kam daher der inländischen Filmproduktionen zugute,
sodass ungefähr 50 nationale Filme ab dem Jahr 1968 produziert worden sind.
Ohne Zweifel erreichte diese Quote die Zahl von 140 Tagen im Jahre 1978
nachdem im selben Jahr die ersten hundert einheimischen Filme produziert
wurden (Simis 2010, 154).21
Zu Beginn der 1950er Jahre, so Simis (2010), wurde das Gesetze über die
Vorführungsverpflichtung einheimischer Filme modifiziert, weil die große Mehrheit der
nationalen Studios, die in den 1940er Jahren gegründet wurden, extreme Schwierigkeiten
hatten weiter aktiv zu bleiben und profitable zu arbeiten. Aus diesem Grund haben laut Simis
die Filmemacher die Staatsregierung unter Druck gesetzt, wodurch eine Gesetzesänderung
verabschiedet wurde. Zusätzlich wurde noch ein Vertreter des ‚Einheimischen Syndikats der
kinematographischen Industrie’22 ernannt, das die Durchsetzung des Gesetzes überwachen
sollte (Simis 2010). Das Gesetzes aus dem Jahre 1952 schrieb vor: „wenn es der Fall wäre,
dass das Kino ein wöchentliches Programm hätte, müssten sechs inländische Filme vorgeführt
werden; wenn es zwei wöchentliche Programme wären, dann zwölf; wenn drei, achtzehn
usw.“ (Simis 2010, 152). 23 Trotz dieser Gesetzesänderung wurde erst zur Zeit der
Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 ein systematischer und expressiver Anstieg an
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
19

Auf Portugiesisch ‚Departamento de Propaganda e Difusão Cultural (DPDC)’.
Auf Portugiesisch ‚Departamento de Imprensa e Propaganda (DIP)’.
21
Auf Portugiesisch „Assim, a cota de tela certamente contribuiu para incentivar uma produção de mais de meia
centenas de filmes, a partir de 1968, e sem dúvida chegou aos 140 dias, em 1978, após termos produzido, nesse
mesmo ano, a primeira centena” (Simis 2010, 154).
22
Auf Portugiesische ‚Sindicato Nacional da Indústria Cinematográfica’.
23
Auf Portugiesisch „Com isso, se o cinema tem um programa semanal, seis filmes deveriam ser nacionais; se
tem dois, 12; se tem três, 18; e assim por diante” (Simis 2010, 152).
8
20

	
  
 
Filmproduktion spürbar, bspw. zeigt dies der Vergleich zwischen 1969 und dem Jahr 1978:
1969 mussten an 63 Tagen im Jahr einheimische Filme gezeigt werden, 1978 waren es schon
140 Tagen (Simis 2010).
Zur Zeit der Militärdiktatur wurden das ‚Einheimische Institut für Kino (INC)’ (1966-1975) 24
und der ‚Einheimische Rat des Kinos (Concine)’25 gegründet (Rubim 2010, Simis 2010). Das
Institut INCE, 1936 ins Leben gerufen, wurde dann von dem Institut INC abgelöst, wobei laut
Simis (2010) das INC für die Formulierung und Durchsetzung staatlicher Maßnahmen
bezüglich der Produktion, des Exportes und der Vorführung der einheimischen Filme
verantwortlich wurde. Ziel des INC war vor allem die Entwicklung der nationalen
Filmindustrie (Simis 2010). In diesem Sinne war die Bedeutung staatlicher Maßnahmen
angesichts der finanziellen Förderung kinematographischer Tätigkeiten selbst sowieso enorm.
Darüber hinaus kann das Ende aller staatlichen Förderungen, die des nationalen Filmsektors
bis 1990 erhielt, als gutes Beispiel aufgeführt werden, da sich durch das Ende finanzieller
Unterstützungen seitens der Staatsregierung die einheimischen Filmemacher nicht mehr in der
Lage befanden, Filme zu produzieren.

2.2.2 Finanzierung
Eine der weiteren Verantwortlichkeit des Institutes INC lag in der Verleihung von Preisen
oder in der direkten finanziellen Förderung der einheimischen Filmproduktion (Simis 2010).
Ein Teil des Geldes, womit dieses Institut seine Funktionen erfüllte, stammte laut Simis aus
den Aktivitäten der ausländischen Filmvertriebe, wie bspw. in Form von Steuergeldern. Im
Jahre 1969 gründete die Staatsregierung die ‚Brasilianische staatliche Filmgesellschaft
(Embrafilme)’26, die das Institut INC ihrerseits allmählich ersetzte, wodurch der Einfluss der
Staatsregierung auf die Tätigkeiten in der Filmindustrie des Landes drastisch erhöht wurde
(Simis 2010, Leite 2005). Dies geschah besonders im Laufe der 1970er Jahre und hatte
erhebliche Auswirkungen, die sich bspw. mit der zunehmenden Anzahl nationaler Filme
belegen lassen (Simis 2010).
Staatliche Förderungen der kinematographischen Aktivitäten kommen in verschiedenen
Formen vor. Beispiele dafür sind das aktuelle ‚Programm zur Unterstützung der Entwicklung

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
24

Auf Portugiesisch ‚Instituto Nacional de Cinema (INC)’ (1966).
Auf Portugiesisch ‚Conselho Nacional de Cinema (Concine)’ (1979).
26
Auf Portugiesisch ‚Empresa Brasileira de Filmes S/A (Embrafilme)’ (1969-1990).
25

9

	
  
 
einheimischer Kinos (Prodecine)’

27

und die ‚Finanzierungsfonds der einheimischen

Filmindustrie (Funcine)’ 28 (Simis 2010). Daneben sind staatliche Förderungen an die
filmische Szene des Landes auch in Form von Filmfestivals oder von Preisverleihungen
gerichtet. Beispiele dafür sind der Preis namens ‚Prêmio Resgate’ aus den frühen 1990er
Jahre, sowie die direkte Finanzierung filmischer Aktivitäten durch die Staatsregierung in den
frühen Jahren des 20. Jahrhunderts anlässlich der ‚Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit
Brasiliens’ (Morettin 2010, Simis 2010).
Dabei hatte die damalige Staatsregierung in 1922 und 1923 eine große Geldsumme in die
Produktion von Filmen, die Landschaftsaufnahmen oder Szenen vom landwirtschaftlichen
und industriellen Leben Brasiliens zeigten, investiert (Morettin 2010). Dazu wurde laut dem
Autor ein Komitee eingerichtet, das für die Bestimmung der Leitlinien zu den Themen, die in
diesen

Filmen

angesprochen

werden

sollten,

verantwortlich

war.

Der

gesamte

Produktionsprozess dieser Filme wurde dann von diesem Komitee bestimmt, wobei der Film
NO

PAÍS DAS

AMAZONAS (BRA, 1922, R: Agesiliau de Araújo und Silvio Santos) den

goldenen Preis gewann (Morettin 2010).

3. Brasilianisches Kino

In diesem Kapitel werden vier kinematographische Produktionsphasen des 20. Jahrhunderts
näher untersucht. Sie lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: (a) diejenige, die der ersten
Periode intensiver inländischer Filmproduktion entspricht, bekannt als ‚Die schöne Epoche
des brasilianischen Kinos’ oder einfach ‚Die schöne Epoche’29 – Bezeichnung von Vicente de
Paula Aguilar (Gomes 1996); (b) jene, die durch eine Produktion von Filmen, die einer
ähnlichen Thematik und Ästhetik aufweisen, gekennzeichnet ist und die als brasilianischen
Filmgenres generell hierbei mittels der Titel ‚Carnavalescas und Chanchadas’, ‚Cinema Novo’
und ‚Pornochanchada’ betrachtet werden.
Dieses Kapitel orientiert sich hauptsächlich und argumentativ an den Arbeiten von Bernardet
(2009) und Gomes (1996). Gomes war ein aktiver Filmkritiker, der der Generation der im
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
27

Auf Portugiesisch ‚Programa de Apoio ao Desenvolvimento do Cinema Nacional (Prodecine)’.
Auf Portugiesisch ‚Fundos de Financiamento da Indústria Cinematográfica Nacional (Funcines)’.
29
Auf Portugiesisch ,Bela Época do Cinema Brasileiro’ oder einfach ‚Bela Época’, oder noch wie es Schumann
(1988) beschreibt ‚Die goldene Epoche des ersten Aufschwungs’.
10
28

	
  
 
Jahre 1941 gegründeten Zeitschrift ‚Klima’ sowie dem damaligen bekannten ‚Clube de
Cinema’ angehörte, beide mit Sitz in São Paulo (Oricchio 2003). Bernardet (2009) seinerseits
war selbst ein Freund von Gomes und orientiert sich u.a. auch an Gomes (1996). Gomes war
laut Oricchio (2003) die erste Person, der es gelang den Film als intellektuelles Medium in
Brasilien zu etablieren. Das folgende Zitat, das in akademischen Studien häufig auftaucht und
in dem es um das ‚Nationalgefühl’ geht, wurde von ihm verfasst. So der Autor:
Wir sind keine Europäer oder Nordamerikaner, sondern Inhaber einer eigenen
Kultur, nichts ist uns fremd, denn alles ist. Die mühsame Schaffung von uns
selbst entwickelt sich in der dünnen Dialektik zwischen dem Nicht-Sein und
dem Sein eines Anderen. Der brasilianische Film beteiligt sich an dem
Mechanismus und gleichzeitig ändert sich dieser Mechanismus durch unsere
kreative Inkompetenz etwas zu kopieren. Das filmische Phänomen in Brasilien
bezeugt und skizziert viele nationale Unbeständigkeit (Gomes 1996, 90).30
Nachfolgend wird die Problematik des Nationalgefühls im historischen Kontext der
Kinematographie in Brasilien erörtert. Dies in Anbetracht der Tatsache, dass die Suche nach
einer eigenen brasilianischen Filmsprache, sowohl unter den Filmemachern als auch der
Staatsregierung seit Beginn dieser Aktivität im Brasilien diskutiert wird.

3.1 Das Nationalgefühl
Der Nationalstaat lässt sich durch „die politische Unabhängigkeit, bzw. die politische
Souveränität sowie durch die legale territoriale Einheit“ (Chauí 2001, 9) 31 eines Staates
definieren. Diese Definition ist in theoretischen Debatten sehr präsent, wo brasilianischen
Filmemachern versuchen die eigene Souveränität ihrer Filmproduktion gegenüber den
ausländischen Produktion im Land zu erreichen. Dieser Prozess dauert immer noch an.
Aus diesem Kontext heraus können verschiedene Momente in der Kinogeschichte des Landes,
indem einen großen Appell im Rahmen der nationalen Einheit innerhalb der Kinematographie
verteidigt wurde, veranschaulicht werden (Rosa 2007). Es ist daher als eine Verteidigung
einer singulären Art und Weise des Filmemachens zu verstehen, die auf der Ebene einer
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
30

Auf Portugiesisch „Não somos europeus nem americanos do norte, mas destituídos de cultura original, nada
nos é estrangeiro, pois tudo o é. A penosa construção de nós mesmos se desenvolve na dialética rarefeita entre o
não ser e o ser outro. O filme brasileiro participa do mecanismo e o altera através de nossa incompetência
criativa em copiar. O fenômeno cinematográfico no Brasil testemunha e delineia muita vicissitude nacional”
(Gomes 1996, 90).
31
Auf Portugiesisch „definida pela independência ou soberania política e pela unidade territorial legal“ (Chauí
2001, 9).
11

	
  
 
primären Ästhetik hervorgehoben sein könnte, eigen, gemeinsam, homogen und einmalig, d.h.
die nationale Ästhetik einer Filmproduktion. Kurz gesagt, Filme, die von brasilianischen
Unternehmen und nach Art des brasilianischen Landes produziert und vertrieben wurden.
Hierbei lassen sich zwei Manifeste, die auf internationaler Ebene Bedeutung erlangen,
zitieren: ,Towards a third cinema’ (Solanas/Octavio 2013) und ,Le cinéma s’insurge’ (Etats
Generaux de Cinema 2013). Das ,Dritte Kino’ ist, laut Gomes (1996), eine spezielle
Auffassung des Filmemachens, die besonders in den 1960er Jahren von Branchenexperten aus
verschiedenen Länder der ,Dritten Welt’ stark debattiert wurde. Dabei handelte es sich vor
allem um die Verteidigung der Hegemonie der nationalen Filmproduktion innerhalb dieser
Länder gegenüber ausländischen Produkten sowie um die Suche nach einer nationalen
Identität im Rahmen der Filmsprache (Deutsches Historisches Museum 2013). Die Logik der
Bewegung des ,Dritten Kinos’ entspricht besonders den Filmen, die in Afrika, Lateinamerika
(bspw. Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko), Indien und in einigen arabischen Ländern
(z. B. Ägypten) gedreht wurden (Gomes 1996).
Mit einem starken politischen Inhalt thematisierte diese Bewegung bspw. die dichotome
Diskussion über die ‚Länder der Kolonisatoren’ und die ‚kolonialisierten Länder’, unter der
Bekämpfung sogenannter imperialistischer Regierungen wie z. B. die der Vereinigten Staaten
von Amerika (USA) (Solanas/Octavio 2013). Die Verfolgung und Verteidigung einer
nationalen Filmästhetik, sowie der Vorherrschaft der nationalen Filmproduktion im
inländischen Filmmarkt, ist immer noch in Brasilien wahrnehmbar. Ebenso aktuell ist die
Idealisierung des ‚nationalen Ichs’.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Film POLICARPO QUARESMA: HERÓI DO BRASIL (BRA, 1998,
R: Paulo Thiago) veröffentlicht wurde und genau dieses Thema erörtert (Oricchio 2003).
Hierbei handelt es sich um die Verfilmung eines extrem nationalistischen literarischen
Werkes, das Lima Barreto anfangs des 20. Jahrhunderts schrieb. Oricchio (2003) meint, dass
nationalistische Themen, Ideen oder Ideologien sich deshalb so lange in Brasilien beobachten
lassen und immer noch so präsent sind, dass dieses literarische Werk des frühen 20.
Jahrhunderts 75 Jahre nach seiner Veröffentlichung thematisch immer noch sehr aktuell
erscheint.

12

	
  
 
3.2 Kinematographische Produktionsphasen
Die brasilianische Filmproduktion begann in der ersten Dekade des zwanzigsten Jahrhunderts,
als es noch keinen echten kinematographischen Markt gab (Simis 2010). Trotz alledem
wurden zwischen 1887 und 1907 schon circa 151 Filme im Land gedreht (Simis 2010). Über
die folgenden Jahre hinweg wird im Rahmen der Filmgeschichte Brasiliens geschrieben, dass
die Zahl inländischer Filmproduktionen größer als die Zahl der ausländischer Filme, die
damals im Land zu sehen waren, war (Leite 2005, Gomes 1996).
Obwohl der erste Kinosaal in Brasilien im Jahr 1887 eingeweiht wurde, sind brasilianische
Städte erst 1907 ans Stromnetz angeschlossen worden, als sich die Anzahl der Kinosäle im
Land schnell erhöhte (Souza 2009, Gomes 1996). Um ca. 1907 erweiterten die
Branchenexperten intensiver ihre Aktivitäten bzgl. der einheimischen Filmproduktion, denn
bis zu diesem Zeitpunkt führten sie fast ausschließlich ausländische Filme auf (Gomes 1996).
Diese Epoche wird als der „erste Ausbruch der brasilianischen Kinematographie“ (Gomes
1996, 91)32 gekennzeichnet.

3.2.1 Bela Época
‚Die schöne Epoche des brasilianischen Kinos’ umfasst nach Simis (2010) die Jahre 1908 bis
1913 aber für Bernardet (2009), Leite (2005), Gomes (1996) und Schumann (1988) umfasst
diese Epoche den Zeitraum von 1907 bis 1911. Diese Phase zeichnet sich durch den
Übergang von einer starken nationalen Kurzfilmproduktion, die fast immer dokumentarische
Eigenschaften hatte, auf die Herstellung von längeren und fiktionalen Filmen aus (Gomes
1996). Der Übergang vom kurzen Format im ‚Cinema of Attractions’, in dem in einer Art
Nummernprogramm eine Reihe von kurzen Filmen nacheinander im Kino gezeigt wurde, zum
langformatigen Spielfilm, also von Produktionen, die eher narrativ organisiert waren und mit
Montage operierten, vollzieht sich in Europa und den USA ebenfalls in der Zeit von 1908 bis
1913.
Die ersten erfolgreichen Filme stammten aus dem Genre des Thrillers, danach standen Filme,
die einer Adaptation aus dem Genre der ‚Musikzeitschriften’ mit aktuellen Themen
entsprachen (Gomes 1996). Außerdem gab es noch ein großes und abwechslungsreiches
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
32

Auf Portugiesisch „primeiro surto cinematográfico brasileiro” (Gomes 1996, 91).
13

	
  
 
Angebot von Filmen aus dem dramatischen und komischen Genre sowie viele Melodramen
und Produktionen, die zum Zweck hatten, die städtische Gewohnheit des Menschen zu
kritisieren (Gomes 1996). Diese Zeit wurde von Bernardet (2009) auch als eine Epoche von
großer Produktion von Thrillern, die auf damaligen wahren Verbrechen basierten,
umschrieben. Von daher gab es viele „Polizeisatiren, die eine Adaptation von dem
erfolgreichen Genre des Theaters auf die Kinoleinwand gebracht haben, d.h. Filme, die auf
Opern und Operetten basierten“ (Bernardet 2009, 128).33
Diese Filme befassten sich mit Themen, die die Stadt in der damaligen Zeit
interessierte – Krimis, Politik und andere Unterhaltungen – sie waren in ihrer
Art nicht nur brasilianisch in der Wahl der Themen, sondern auch in der
geringen Geschicklichkeit, mit der sie die ausländischen Filmapparate
behandelten. [...] Tatsache ist, dass kein zeitgenössisches ausländisches
Produkt je den Triumph erreichte, den die damaligen inländischen
Filmproduktionen erzielt haben (Gomes 1996, 91).34
Ein weiteres Merkmal dieser Epoche ist laut Leite (2005) die starke Übereinstimmung
zwischen

Filmproduzent

und

Filmvorführer.

Simis

(2010)

führt

folgende

zwei

Übereinstimmungen auf: zwischen Filmproduzent und Filmvorführer, wobei manchmal der
Filmproduzent selbst der Filmvorführer war, und zwischen den Zuschauern und den
inländischen Filmproduktionen, denn in diesem Zeitraum hat die nationale Filmproduktion
das Zuschauerinteresse stark geweckt. Bedingt durch die Filmproduktionen von
musikalischen Filmkomödien, wurde erst in den 1930er Jahren wieder ein Sympathiezuwachs
bezüglich der inländischen Zuschauer registriert (Bernardet 2009).
Nach Gomes (1996) wurden in der Zeit der Bela Época die damaligen Journalisten und
Theaterexperten auch als Drehbuchautoren und Filmregisseure tätig, aber da sie jedoch
allmählich in ihre ursprünglichen Berufe zurückkehrten, kam es zum Kollaps der inländischen
Filmproduktion. Über das Ende der Bela Época schrieb Leite (2005) seinerseits, dass die
damaligen zwei Hauptgenres der brasilianischen Kinematographie, gemeint sind hier die
‚Musikalischen Filmen’ und die ‚Zeitschriften des Jahres’35, nicht mehr von den Zuschauern
positiv angenommen wurden. Im Jahr 1912 wurde dann nur eine inländische fiktionale
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
33

Auf Portugiesisch „policiais baseados em crimes que ocupavam a opinião pública no momento, sátiras
policiais que esticavam para o cinema um gênero de muito sucesso no teatro, filmes baseados em óperas e
operetas” (Bernardet 2009, 128).
34
Auf Portugiesisch „Esses filmes em torno de assuntos que no momento interessavam a cidade – crimes,
política e outros divertimentos – não eram fautores de brasilianismos apenas na escolha dos temas, mas também
na pouca habilidade com que era manuseada o instrumental estrangeiro. [...] O fato é que nenhum produto
importado conheceu o triunfo de bilheteria desse ou daquele filme brasileiro” (Gomes 1996, 91).
35
Auf Portugiesisch ,Filmes Cantantes e Revista de Ano’ (Leite 2005).
14

	
  
 
Filmproduktion registriert (Gomes 1996) und die inländischen Filme wurden erst wieder
Mitte der 1920er Jahre in einer große nennenswerte Zahl produziert (Simis 2010).

3.2.2 Carnavalescas und Chanchadas
Der erste vollständig gesprochene brasilianische Film namens ACABARAM-SE

OS

OTÁRIOS

(BRA, 1929, R: Luiz de Barros) 36 wird von vielen Forschern als der Vorläufer des
brasilianischen Filmgenres ‚Chanchada’ betrachtet (Leite 2005). Die Filmkomödien des Typs
‚Carnavalesca und Chanchada’ befassen sich mit den zahlreichen komödiantischen
Musikfilmen aus den 1930er, 1940er und 1950er Jahren (Gomes 1996). Zwischen 1930 und
1960 stehen in Brasilien laut diesem Autor viele bedeutsame politische Ereignisse, wie zum
Beispiel den kommunistische Putsch. Trotzdem wurde bei dieser Art von Komödien nur die
Teilnahme Brasiliens am zweiten Weltkrieg thematisiert (Gomes 1996).
Dabei handelte es sich um populäre Komödien, die relativ vulgär waren, die oft als Musicals
umgesetzt wurden, und die einen großen Erfolg bei einem Teil der einheimischen Zuschauer
erreichten (Gomes 1996). Die Carnavalescas sind eine Art Hollywood Musicals, die aber mit
Karnevalsmusiken bearbeitet wurden und die Chanchadas lassen sich als eine Erweiterung der
Carnavalescas betrachten (Bernardet 2009, Leite 2005). Die Filme der Art Chanchada waren
oftmals „Parodien auf US-amerikanische Filme, die kurz zuvor in Brasilien veröffentlicht
wurden wie bspw. Sansão e Dalila von Cecil B. De Mille [...] oder High Noon, der in
Brasilien unter dem Titel Matar ou morrer lief” (Bernardet 2009, 115-116).37
Die musikalischen Komödien, besonders des Typs Carnavalesca, dominierten laut Bernardet
(2009) die Filmproduktionen des Studios ‚Cinédia’, mit Sitzt in Rio de Janeiro, das in den
frühen 1930er Jahren gegründet wurde. Bei den Filmen dieses Studios handelte es sich
größtenteils auch um Wochenschauen und Dokumentarfilme (Cinédie 2013). Von daher
widmete sich dieses Studios durch die ersten 20 Jahre seiner kinematographischer Produktion
den wichtigsten Geschehnissen von Rio de Janeiro (Gomes 1996). Von großer Relevanz
lassen sich zwei musikalische Filmkomödien bei der Produktion der Art Carnavalesca dieses
Studios nennen: A

VOZ DO CARNAVAL

(BRA, 1933, R: Adhemar Gonzaga und Humberto

Mauro) und ALLÔ, ALLÔ BRASIL (BRA, 1935, R: Wallace Downey, João de Barros und A.
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
36

Am 1929 unter der Regie von Luiz de Barros veröffentlich (Leite 2005).
Auf Portugiesisch „paródias de filmes americanos lançados pouco antes no Brasil, respectivamente Sansão e
Dalila, de Cecil B. de Mille (ou Cecilio de Milho, conforme Carnaval Atlântida, 1952) e High Nonn, que no
Brasil recebeu o título de Matar ou morrer“ (Bernardet 2009, 115-116).
15
37

	
  
 
Ribeiro, Musik: Charles Whally) (Cinédia 2013, Leite 2005). Im US-amerikanischen Kino, in
Hollywood-Produktionen, fungiert Brasilien als exotischer Schauplatz für Musicals; in einem
frühen Musical mit dem Titel FLYING

DOWN TO

RIO (USA, 1933, R: Thornton Freeland,

Musik: Max Steiner) mit Fred Astaire, wird in Tanzszenen explizit offensichtlich, wie der
US-amerikanische Tap-Dancer auf die lokalen Rhythmen in Rio zurückgreift und diese
‚übersetzend‘ in sein eigenes Repertoire integriert.
Die kinematographische Aktivität in Brasilien ist durch die Konzentration der nationalen
Filmproduktionen in Rio de Janeiro und São Paulo geprägt, was bis zum heutigen Tage der
Realität entspricht (Observatório Brasileiro do Cinema e do Audiovisual 2013). Dies zeichnet
sich bspw. durch die Filmproduktionen aus den Jahren 1933 bis 1949 aus. In dieser Zeit
wurden ca. 130 Filme im Land gedreht, wobei

90% dieser Filme aus Rio de Janeiro

stammten (Gomes 1996). Außer dem Studio Cinédia produzierte das Studio ‚Atlântida’, 1941
gegründet, zahlreiche Filmkomödien und war dabei das erfolgreichste Filmstudio der
Filmproduktion von Chanchada (Bernardet 2009).38 Das Chanchada war eine
Imitation westlicher Muster des Musicals und des Lustspiels ein spezifisch
brasilianisches Genre mit derart lokaler Ausprägung, dass es – anders als der
argentinische Tangofilm oder der mexikanische Melodrama (rancheras), die
etwa gleichzeitig den lateinamerikanischen Markt füllten – keine Verbreitung
auf dem übrigen Kontinent fand (Schumann 1988, 18-19).
Obwohl diese Filme und deren Figuren die öffentliche Aufmerksamkeit geweckt und eine
große Anzahl inländischer Zuschauer gewonnen hatten, erlangte dieser Filmgattung einen
Misserfolg unter den brasilianischen Kritikern und den Mächtigen dieses Landes (Bernardet
2009, Gomes 1996). Die Figuren, wie z. B. diejenigen die von Oscarito, Grande Otelo, Zé
Trindade und Derci Goncalves gespielt wurden, wurden von den Kritikern als sehr grotesk
und vulgär wahrgenommen (Gomes 1996).
Im Laufe der 1950er Jahre waren die Filme des Typs Chanchada immer noch erfolgreich,
aber dann besonders in São Paulo, wo sie von Amácio Mazzaroppi produziert wurden (Gomes
1996). Der Autor ist der Meinung, dass das Studio Cinédia seine Anziehungskraft bei den
Zuschauern verlor, weil im Laufe der 1950er Jahre das Fernsehen immer mehr an Bedeutung
gewann. Eine ähnliche Meinung teilt auch Bernardet (2009) über das Ende der musikalischen
Komödien der Art Chanchada. Den großen Publikumserfolg und den Misserfolg unter den
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
38

	
  

Siehe hierzu Agência Nacional do Cinema (Ancine) (2013a).
16

	
  
 
zeitgenössischen Kritikern und den Mächtigen des Landes erlebte die brasilianische ‚Cinema
Novo’ Bewegung nicht wirklich.

3.2.3 Cinema Novo
Die kinematographische Produktionsphase, die sich in Brasilien in den 1960er Jahren unter
dem Namen ‚Cinema Novo’ entwickelte, ist bezüglich der einheimischen Filmproduktionen
wahrscheinlich diejenigen, die bis jetzt am häufigsten erforscht wurde. Eine Tatsache ist
jedoch, dass die Filme der Art der Cinema Novo Bewegung39 in den großen Kinosälen des
Landes grundsätzlich nicht aufgeführt wurden. Die damaligen inländischen Filmvorführer
zeigten laut Bernardet (2009) diese Filme sehr ungerne, mit dem Argument, dass sie den
Zuschauern nicht gut gefielen und von daher ihre Produktion von Anfang an zu einem
finanziellen Misserfolg führte. Natürlich gab es einige Ausnahmen, wie z. B. das Film
MACUNAÍMA (BRA, 1969, R: Joaquim Pedro de Andrade), der einen großen Publikumserfolg
verzeichnet hat (Leite 2005). Im Endeffekt ist es einer der Wünsche mancher Regisseure der
Cinema Novo Bewegung gewesen, meint der Autor, am Rand der Filmindustrie zu stehen,
denn sie wollten mittels ihres Filmes eine politische und ästhetische Revolution durchführen,
die beiden Projekte [politisch und ästhetisch] implizierten, neben anderen
Aspekten, das Ausprobieren einer neuen filmischen Zeitwahrnehmung und
einem neuen filmischen Gedankenkriterium, die den kommerziellen Filmen,
d.h. produzierten Filmen mit Befriedigungs- und Unterhaltungsabsicht, bis
dahin fremd waren (Leite 2005, 103).40
Die Cinema Novo Bewegung hat ihre Wurzeln in der Veröffentlichung einer großen Anzahl
von Filmen in der Region um Bahia im Nordosten Brasiliens, wobei sie in der ersten Hälfte
der 1960er Jahre fast nur in dieser Region im Landes produziert wurden (Gomes 1996). 1961
veröffentlichte der Regisseur Glauber Rocha, der laut Leite (2005) zur großen Ikone der
Cinema Novo Bewegung wurde, seinen ersten Film namens BARRAVENTO (BRA, 1961, R:
Glauber Rocha). Dieser ersten Filmproduktion Glauber Rochas folgte die Produktion seines
erfolgreichsten Filmes namens DEUS E O DIABO NA TERRA DO SOL (BRA, 1964, R: Glauber
Rocha), „der die berühmteste Utopie des brasilianisches Kinos formulierte: Das Sertão wird

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
39

Auf Portugiesisch Movimento Cinemanovista.
Auf Portugiesisch „os dois projetos [político e estético] implicavam, entre outros aspectos, a experimentação
de uma nova concepção de tempo e uma lógica para o pensamento, estranhas aos filmes de apelo comercial,
voltados em sua maioria para a gratificação e o entretenimento” (Leite 2005, 103).
17
40

	
  
 
zu Meer und das Meer zum Sertão“ (Nagib 2006, 25).41 Die Filmproduktionen des Typs
Cinema Novo wurden fast nur in Rio de Janeiro gedreht, wobei dort sowohl intellektuelle und
idealistische Regisseure wie bspw. Paulo Cesar Sarraceri, Ruy Guerra, Carlos Diegues und
Leon Hirzman tätig waren (Gomes 1996).42
Der Film DEUS E O DIABO NA TERRA DO SOL lässt sich als gutes Beispiel zur Charakterisierung
der Cinema Novo Bewegung verwenden, in der Weise, dass dieser Film von den
Filmekritikern oftmals erörtert wurde, fand jedoch unter dem einheimischen Publikum kaum
Erfolg. „Die hermetische Filmsprache und der Formalismus des Regisseurs haben den
Wahrnehmungszugang der Zuschauer fast versperrt“ (Leite 2005, 103). Damit meinte Leite,
dass die Zuschauer damals die filmischen Inhalte nicht verstanden haben. Bernardet (2009)
teilt die gleiche Meinung, dass die große Zahl einheimischer Kinogänger, welche damals in
die Kinos strömten, die Filme des Cinema Novo nicht verstehen konnten und sich deshalb
diese Art von Filmen nicht weiter anschauten. Fakt ist, dass die Filmemacher der Cinema
Novo Bewegung ihre Filme mittels des Gewinns in den Kinokassen nicht finanzieren konnten
(Bernardet 2009).
Diese Art der Filmproduktion lässt sich im Rahmen der Filmegeschichte Brasiliens als sehr
wichtig betrachten, insbesondere im Rahmen ihrer ästhetischen Filmsprache (Leite 2005).
Außerdem hat diese Produktionsphase die Aufmerksamkeit der damaligen ausländischen
Branchenexperten stark gelenkt (Bernardet 2009). Dies geschah wahrscheinlich, weil sich
nationalistische Ideale und das Streben nach nationalem Fortschritt seitens der brasilianischen
Filmemacher der Cinema Novo Bewegung parallel zu den Idealen der internationalen ‚Dritten
Kino’ Bewegung entwickelten. Eigentlich lassen sich die Filme, die bei der Cinema Novo
Bewegung produziert wurden, als ‚Zweites Kino’ oder ‚Autorenfilm’ im Rahmen Octavios
Genitos Aussagen im Video Octavio Getino (1935-2012) (TC 0.00.30-0.01.14) betrachten.
Dies, weil es bei den Filmemachern der Cinema Novo Bewegung um einen Kompromiss
angesichts der Zuschauer nicht wirklich ging, wie es der Fall bei der Filmproduktion des
‚Dritten Kinos’ war. Ganz im Gegenteil, die Filmemacher der Cinema Novo Bewegung hatten
laut Bernardet (2009) den grundlegenden Wunsch sich selbst dem Publikum zu widersetzen,
unter dem Argument, dass „die Regisseure, die größtenteils mit dem Publikum einverstanden

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
41

Auf Portugiesisch „Em 1964, Deus e o diabo na terra do sol formulou a utopia mais famosa do cinema
brasileiro: O sertão vai virar mar e o mar vai virar sertão” (Nagib 2006, 25).
42
Mehr über brasilianische Regisseure des 20. Jahrhunderts bei Schumann (1988).
18

	
  
 
waren, bestimmte soziale Funktionen haben, aber keine erforderlichen Intellektuellen
sind“ (Bernardet 2009, 224).43
Die Entwicklung dieser Bewegung wurde von Leite (2005) systematisch analysiert, wobei sie
in drei bestimmte Perioden nach thematischen Kriterien unterteilt wurde, die den Zeiträumen
von 1962 bis 1964, von 1965 bis 1966, und von 1967 bis 1969 entsprechen. Leite (2005) ist
der Meinung, dass im Laufe der Jahre 1962 bis 1964 die Regisseure der Cinema Novo
Bewegung versuchten, die Menschlichkeit auf der gesellschaftlichen Ebene mittels der Filme
zu erklären (Leite 2005). In diesem Zeitraum hebt dieser Autor die Veröffentlichung der
Filme VIDAS SECAS (BRA, 1963, R: Nelson Pereira dos Santos), OS FUZIS (BRA/ARG, 1964 ,
R: Ruy Guerra) und PORTO DE CAXIAS (BRA, 1962, R: Paulo Cesar Saraceni) hervor.
Aus der thematischen Perspektive heraus ist es merkwürdig, dass in diesem Zeitraum fast alle
produzierten Filme der Art Cinema Novo das Agrar-System Brasiliens, wie auch das Elend
der Bauern und die verschiedenen Systeme der Unterdrückung im Land zur Diskussion
brachten (Bernardet 2009). Die Figuren dieser Filme bildeten das damalige Agrar-Universum
Brasiliens in der Art und Weise, dass ein Teil der wirtschaftlich herrschenden Klassen in
Brasilien, nämlich die ländliche Bourgeoise, kritisiert wurde, wobei jedoch die industrielle
Bourgeoise nicht kritisiert wurde, weil diese die Cinema Novo Bewegung sponserte
(Bernardet 2009).
Bis 1964 konnten die ‚cinemanovistischen’ Filmemacher finanziell nur mit Hilfe von
Bankkrediten und Förderungen seitens der ‚Kommission für Beihilfe der Filmindustrie
(Caic)’44 bestehen (Bernardet 2009). Am Ende der 1960er Jahre erhielten die Filmemacher der
Cinema Novo Bewegung neue Schutzmechanismen von der damaligen militärischen
Staatsregierung (Leite 2005). In diesem Sinne meint Bernardet (2009), dass die Filmemacher
dieser kulturellen Bewegung die sozialen Wiedersprüche in Brasilien im Rahmen des sozialen
Klassenkamps erörterten, sodass sie ideologisch mit dem damaligen ‚Hoch Institut für
brasilianische Studie (Iseb)’45 verbunden waren, wobei eines der Ziele dieses Instituts der
elitäre und industrielle-nationale Fortschritt war.

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
43

Auf Portugiesisch „O autor que está de acordo com a grande maioria do público, tem determinada função
social, não é, porém, um intelectual necessário” (Bernardet 2009, 224).
44
Auf Portugiesisch ,Comissão de Auxílio à Indústria Cinematográfica (Caic)’.
45
Auf Portugiesisch ,Instituto Superior de Estudos Brasileiros (Iseb)’ (1955-1964).
19

	
  
 
Die sozialen Wiedersprüche der großen Städte Brasiliens wurden im Verlauf der Jahre 1965
und 1966 bei den Filmen der Art Cinema Novo thematisiert (Leite 2005). Genau zu diesem
Zeitpunkt hat der Regisseur Glauber Rocha das große Ideal dieser Bewegung in Form des
Manifestes ‚Eine Ästhetik des Hungers’46 veröffentlicht (Silva 2011). Damals wurden u.a. die
Filme SÃO PAULO, SOCIEDADE ANÔNIMA (BRA, 1965, R: Luiz Sérgio Person) und A GRANDE
CIDADE

(BRA, 1966, R: Cacá Diegues) bekannt (Leite 2005). Außerdem wurden nach der

Veröffentlichung des Filmes O DESAFIO (BRA, 1964, R: Paulo César Saraceni) viele Filme
produziert, in denen der soziale Klassenkampf weiter zur Diskussion gestellt wurde, z. B.
TERRA

EM TRANSE

(BRA, 1967, R: Glauber Rocha), O

Gustavo Dahl) und OS

INCONFIDENTES

BRAVO GUERREIRO

(BRA, 1968, R:

(BRA/ITA, 1972, R: Joaquim Pedro de Andrade)

(Bernardet 2009).
Durch die Filmproduktionen aus den Jahren 1967 bis 1969 wurde dann die Opposition
zwischen Filmemachern der Cinema Novo Bewegung und dem einheimischen Publikum
evident (Leite 2005). In diesem Zeitraum „waren die tiefe Selbstkritik die Hauptmerkmale
dieser Art von Filmen, die sowohl die inländischen Intellektuellen als auch die linke Seite der
inländischen Politiker und selbst die Ideologie der Cinema Novo Bewegung betraf“ (Leite
2005, 101).47
Entgegen aller ideologischen und idealistischen Sozialkritiken die mittels der Filme des Typs
Cinema Novo erörtert wurden, lässt sich die Produktionsphase ‚Pornochanchada’ betrachten.

3.2.4 Pornochanchada
Obwohl die große Mehrheit der einheimischen Filme in der Stadt Rio de Janeiro gedreht
wurden, spielt die Stadt São Paulo für die inländischen Filmeaktivitäten auch eine große Rolle.
Einige wichtige Regisseure, die in Rio de Janeiro sehr aktiv waren, haben bspw. ihre Karriere
in der Stadt São Paulo begonnen (Aggio 2005). Unter ihnen Walter Hugo Khouri und
Anselmo Duarte, die auch sehr aktiv in den 1960er Jahren waren, aber die Ideologie der
Filmemacher der Cinema Novo Bewegung nicht teilten (Agio 2005).

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
46

Auf Portugiesich ‚Uma estética da fome’(1965).	
  
Auf Portugiesisch „teve como característica principal a profunda autocrítica, não apenas da atuação dos
intelectuais e da esquerda na história recente do país, mas do próprio Cinema Novo” (Leite 2005, 101).
20
47

	
  
 
In den 1960er und 1970er Jahren war São Paulo „die Stadt, in der sich aus kulturpolitischen
Perspektiven am meisten tat“ (Aggio 2005, 88). Diese Stadt war damals die Bühne sowohl für
die Einführung mehrerer sogenannter ‚Cineclubes’, als auch für häufigere Debatten über die
nationale Kinematographie z. B. an Universitäten und in ausgedruckter Form wie in
Zeitschriften, die damals auf nationaler Ebene sehr bekannt wurden (Aggio 2005, Leite 2005).
In São Paulo erschien auch die erste nationale ‚Cinemateca’ Brasiliens, sodass im Jahr 1952
mit Hilfe staatlicher Förderungen die ‚Cinemateca der Stadt São Paulo’ im modernen
Kunstmuseum dieser Stadt eingeweiht wurde (Aggio 2005).
In diesem Zusammenhang tauchten die Filme der Art Chanchada aus den Filmproduktionen
der 1970er Jahre wieder auf, jedoch thematisch besonders umgeformt, von daher eine
erotische Variante der Chanchada, die ‚Pornochanchada’ genannt wurde: „eine der
originellsten filmischen Bewegung der kinematographischen Geschichte Brasiliens“ (Leite
2005, 107).48 Anders als die Filme nach der Art Chanchada wurden die Pornochanchadas
grundsätzlich in der Stadt São Paulo gedreht, besonders im Zentrum dieser Stadt und genau in
einer Region, die damals als ‚Müllmund’49 bekannt war (Leite 2005).
Der Filmgenre Pornochanchada lässt sich vor allem als dramatisch charakterisieren und
wurde in Brasilien als ‚Komödie von Gewohnheiten’50 populär bekannt (Bernardet 2009). Der
Autor ist der Meinung, dass diese Filme vor allem die Zuschauer zum Lachen bringen
versuchten: „Das platte Lustspiel und die musikalische Klamotte, die nun mit erotischen
Ingredienzien versetzt zum Lust-Stück wurden und das spekulative Etikett, PornoChanchadas erhielten” (Schumann 1988, 33). In der ersten Hälfte der 1970er Jahre erlebten
die Filme der Art Pornochanchada so einen großen Publikumserfolg, dass sich unter ihnen
„einer der fünfundzwanzig größten Publikumserfolge des Landes befindet“ (Simis 2010,
156).51
Es waren kaputte Typen, die Müßiggang demonstrierten und nichts von Arbeit
und Anstrengung hielten, die sich nur für sich interessierten, um mancherlei
Spiele zu treiben, unter denen das des Bäumchen-wechsle-dich das beliebteste
war, wo Geld und Potenz regierten, der schiere Egoismus und die pure
Sexualität (Schumann 1988, 33).
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
48

Auf Portugiesisch „um dos movimentos mais originais da história do cinema nacional“ (Leite 2005, 107).
Auf Portugiesisch ,Boca do Lixo’.
50
Auf Portugiesisch ,Comédia de Costumes’.
51
Auf Portugiesisch „a pornochanchada é o gênero que tem grande sucesso, figurando entre as 25 maiores
bilheterias do cinema nacional“ (Simis 2010, 156).
21
49

	
  
 
Nach Bernardet (2009) haben sich die Regisseure der Filme des Typs Pornochanchada vom
realen Leben inspirieren lassen. Der Autor ist seinerseits der Ansicht, dass diese Art von
Filmen auch konservative Ideale mitgeteilt haben, z. B. in dem Kontext eines Happyends, wo
Mann und Frau zusammen blieben. Die produzierten Filme der Filmemacher aus dem
‚Müllmund’ São Paulos befassten sich nicht nur mit der Filmeproduktion des Typs
Pornochanchada. Leite (2005) berichtet, dass gleichzeitig auch das Genre Thriller in großen
Mengen produziert wurden. Besonders charakteristisch für die Aktivitäten der Filmemacher
der ‚Müllmund’ Region waren „die Förderungen in mittelwertige Filmproduktionen. Diese
Filme entsprachen angemessenen artistischen und technischen Verfahrensweisen“ (Leite 2005,
108). 52 Die Filme aus der ‚Müllmund’ Region wurden im Endeffekt fast nur mit dem
entsprechenden Zuschauererfolg bezahlt (Leite 2005).
In diesem Zusammenhang waren die Filmproduktionen der Art Pornochanchada diejenigen,
die damals großenteils die Aufmerksamkeit der einheimischen Branchenexperten geweckt
haben (Bernardet 2009). Einerseits in Bezug auf die Wirkung dieser Filmegattung auf die
inländische Gesellschaft, anderseits auf die große Anzahl der produzierten Filme dieser Art
(Leite 2005). Dieser Autor meint, dass eine große Menge von Zuschauern ins Kino gegangen
sind, um die Filme des Typs Pornochanchada anzuschauen, aber gleichzeitig positionierten
sich die Staatsregierung und die hohe Bourgeoise Brasiliens gegen die Filmproduktion dieser
Art. Der Kampf gegen die Filmproduktion von Pornochanchada war in der Mitte der 1970er
Jahre so stark, dass „ein Protestmarsch in der Stadt Curitiba mit dem Slogan „Die Familie
gegen die Pornochanchada“ stattfand“ (Leite 2005, 109).53
Diese Art von Filmproduktion unterscheidet sich erheblich von der des Typs Cinema Novo.
Gutes Beispiel dafür ist die Art und Weise, durch die die Dynamik zwischen Zuschauer und
Filmgenre aufgebaut wurde. In diesem Zusammenhang meint Bernardet (2009), dass die
Pornochanchadas vor allem beabsichtigte, die Zuschauer zum Lachen zu bringen, wobei eine
unsichere experimentelle Filmsprache nicht in Frage kam, vor allem weil es sich dabei um
eine kommerzielle Unternehmung handelte (Bernardet 2009).
Obwohl diese einheimische Produktionsphase als Pornochanchada betitelt wurde,
„pornografisch, unanständig, schamlos, waren eher die sozialen Verhältnisse [...], die
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
52

Auf Portugiesisch „investimento em produções médias, em geral com razoável acabamento artístico e
técnico“ (Leie 2005, 108).
53
Auf Portugiesisch „Na cidade de Curitiba, por exemplo, foi organizada em meados dos anos 1970 uma marcha
que teve como lema “A família contra a pornochanchada”” (Leite 2005, 109).
22

	
  
 
Beziehungen, die ihre Helden pflegten; denn sie wiedersprachen den offiziellen Appellen von
der Solidargemeinschaft aller Brasilianer“ (Schumann 1988, 33). Fakt ist, dass die erste
explizite Sex-Szene erst im Jahr 1982 in dem Film COISAS ERÓTICAS (BRA, 1981, R: Laente
Calicchio und Raffaele Rossi) in einem brasilianischen Kino gezeigt wurde, zu einer Zeit als
die brasilianische Staatsregierung schon in einer demokratischen und ideologischen
Richtungen war, und sich das Land in einer großen ökonomischen Krise befand (Leite 2005).
In diesem Kontext fand die Filmproduktion der Art Pornochanchada ihr Ende. Manche
Branchenexperten betrachten dieses Endes als das Ergebnis der Einführung von expliziten
Sex-Szenen in den brasilianischen Kinos (Bernardet 2009, Leite 2005). Da die
Filmproduktion der Filmemacher aus dem ‚Müllmund’ São Paulos kaum von der
Staatsregierung gefördert wurde, ist Leite (2005) der Meinung, dass die Produktion dieser
Filme einer echter inländischen industriellen Filmproduktion ähnelt. Sie wurden
„ausschließlich von privatem Kapital gefördert, wodurch sie von den Risiken eines echten
kinematographischen Marktes geprägt waren“ (Leite 2005, 109).54
Parallel zu der Produktion von Filmen des Typs Pornochanchada wurden laut Leite (2005)
Filme der Art ‚Cinema Marginal’ gedreht – um circa 1968 bis 1973, sowohl in Rio de Janeiro
als auch in São Paulo. Nach diesem Autor entspricht die Cinema Marginal Bewegung auch
einer wichtigen inländischen Filmbewegung, die von modernistischen Ideen beeinflusst
wurde, besonders von der kulturellen Bewegung namens ‚Antropofagia’, die durch die
Bewegung namens ‚Tropikalismus’ in Brasilien wiederentdeckt wurde. Außerdem
entwickelte sich die Filmproduktion der Art Pornochanchada gleichzeitig mit der Einführung
der ‚Staatlichen Unternehmen des Brasilianischen Kinos (Embrafilme)’.
Im gleichen Zeitraum gründete das Bildungsministerium eine besondere Auszeichnung für
Filmproduktionen, die einer Adaptation von einheimischen literarischen Werken entsprachen,
aber dabei kamen nur literarische Werke im Frage, die von verstorbenen Autoren stammten
(Bernardet 2009). Somit meint dieser Autor, vermeidet die damalige militärische
Staatsregierung Kritiken seitens der Filmmacher um das aktuelle Geschehen im Land.
Im weiteren Verlauf wird die Entwicklung des einheimischen Filmmarktes mit Blick auf vier
verschiedene Zeiträume betrachtet, die sich bei den hierbei erörterten filmischen
Produktionsphasen als zeitgenössisch behandeln lassen.
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
54

Auf Portugiesisch „eram apoiados exclusivamente por capitais privados e, dessa forma, submetidos aos riscos
do mercado cinematográfico“ (Leite 2005, 109).
23

	
  
 

4. Entwicklung des brasilianischen Kinomarktes

Einleitend ist festzuhalten, dass laut dem ‚Brasilianischem Amt für Geographie und Statistik
(IBGE)’55 die Einwohnerzahl Brasiliens vom ersten Jahr der Erfassung an, 1872, bis heute
konstant gestiegen ist (siehe unten Abb. 1 mit weiterführenden Informationen im Anhang 2).
Diese Tatsache ist wichtig, um bspw. einen Rückgang an Kinobesuchern nicht mit einem
möglichen Rückgang der Einwohnerzahl in Verbindung zu bringen.

Abb. 1: Gesamteinwohnerzahl (Brasilien 1872-1996); Quelle: Instituto Brasileiro de Geografia
e Estatísticas (IBGE) (2013); eigene Darstellung

Grundsätzlich werden hierbei noch zwei Aspekte bezüglich der brasilianischen Filmindustrie
beleuchtet: Die Anzahl der Kinosäle im Land in den Jahren 1933 bis 2000 (siehe hierzu Abb.
2 mit weiterführenden Informationen im Anhang 3) sowie die Entwicklung der
Kinobesucherzahlen für die Jahre 1937 bis 1985 (siehe hierzu Abb. 3 mit weiterführenden
Informationen im Anhang 4).

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
55

Auf Portugiesisch ‚Instituto Brasileiro de Geografia e Estatísticas (IBGE)’ (2013).
24

	
  
 

Abb. 2: Anzahl der Kinosäle (Brasilien 1933-2000); Quelle: von 1969 bis 1988 Concine,
Recherche von José Eufrauzino de Souza, von 1989 bis 2000 Filme B nach Simis (2010, 161162); eigene Darstellung

Abb. 3: Anzahl der Kinobesucher (Brasilien 1937-1985); Quelle: von 1937 bis 1964 AEB und
IBGE nach Simis (2010, 163), von 1971 bis 1998 Filme B nach Ministério da Cultura (MinC)
(1999, 253-256); eigene Darstellung

Wie Abb. 2 zu entnehmen ist, hat die Anzahl der Kinosäle in den Jahren 1933 bis 1955
konstant zugenommen und erreichte im Jahre 1955 eine Größe von knapp über 3.000
Kinosälen. Eine ähnliche Entwicklung trifft, siehe oben Abb. 3, praktisch auch auf die
Besucherzahlen zu, die vom ersten Jahr der Beobachtung 1937 bis zum Jahre 1957 ebenfalls
stark zugenommen haben. Die einzige Ausnahme bildet der Zeitraum zwischen den Jahren
1949 und 1950, als diese rückläufig waren (ca. 5 Millionen weniger). Dieser Rückgang ist
hier jedoch zu vernachlässigen, haben sich doch in den darauf folgenden sieben Jahren die
25

	
  
 
Besucherzahlen von 180 Millionen im Jahre 1950 auf 344 Millionen im Jahre 1957 fast
verdoppelt. Diese starke Zunahme geht mit der de facto Verdoppelung der Kinosäle in den
Jahren 1946 bis 1955 einher. Für die 1930er bis Mitte der 1950er Jahre lässt sich daher
festhalten, dass sowohl die Anzahl der Kinosäle als auch die Besucherzahlen überaus stark
zugenommen haben.
Für die Zeit der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 werden in den Abb. 2 und Abb. 3
jeweils ähnliche Entwicklungen registriert. Besonders im Zeitraum der zweiten Hälfte der
1960er Jahre, die unter die ersten Jahre der Militärdiktatur fallen, nimmt sowohl die Anzahl
der Kinosäle als auch die Anzahl der Kinobesucher stark ab. Bis in die Mitte der 1970er Jahre
nimmt ihre jeweilige Größe aber wieder deutlich zu.
Im Zeitraum 1969 bis 1975 verdoppelt sich praktisch die Anzahl der Kinosäle, wobei 1975
das Jahr mit der höchsten jemals registrierten Anzahl an Kinosälen (3.276) in dem der
Untersuchung zugrunde liegenden Zeitraum 1933 bis 2000 ist. Auch die Zahl der
Kinobesucher ist in den 1970er Jahren mit durchschnittlich 200 Millionen Menschen pro Jahr
sehr beachtlich, wobei ihre Zahl allerdings hinter den in den 1950er und 1960er Jahren
beobachteten Besucherzahlen zurückliegt. Die Anzahl der Kinobesucher im Laufe der 1970er
Jahre bewegt sich dennoch auf relativ hohem Niveau, verglichen mit der Anzahl sowohl aus
vorherigen als auch späteren Jahrzehnten.

4.1 Bis 1930
In den ersten Jahrzehnten der kinematographischen Aktivität in Brasilien, besonders jedoch in
den Jahren, die auch die ‚Bela Época’ von circa 1907 bis 1911 einschließen, finden laut
Gomes (1996) und Simis (2009) einheimische Filme, trotz bestehender qualitativer
technischer Defizite verglichen zu ausländischen Produktionen, überaus großen Erfolg beim
brasilianischen Publikum. Gemäß Simis (2009) hat die brasilianische Filmindustrie in den
Jahren 1908 bis 1913 die Gesamtanzahl von 963 Filmen hervorgebracht, wie Abb. 4 zu
entnehmen ist (siehe hierzu ausführliche Daten im Anhang 5).
Ein großer Teil dieser Produktionen beschränkt sich jedoch auf dokumentarische Kurzfilme
(768 Filme) mit Landschaftsaufnahmen aus Brasilien, sowie zu gut einem Viertel (240 Filme)
Filme mit längerer Spieldauer und Spielfilme (Simis 2009). OS

ESTRANGULADORES

(BRA,

1908, R: Francisco Marzullo), mit über 800 Vorführungen in zwei Monaten, und PAZ E AMOR
26

	
  
 
(BRA, 1910, R: Alberto Moreira), mehr als 900 Mal im Land gezeigt, gehören zu den
erfolgreichsten Filmen dieser Zeit (Simis 2009). In den Jahren 1909 und 1910, als im ganzen
Land zahlreiche Kinos eröffnet und die ersten Filmstudios gegründet wurden, sind laut
Schumann (1988) nicht weniger als 200 einheimische Produktionen entstanden. Simis (2010)
ihrerseits schildert, dass im Jahre 1909 mit 224 Filmen die höchste Anzahl an inländischen
produzierten Filmen in den Jahren 1897 bis 1930 registriert wurde.

Abb. 4: Anzahl inländischer produzierter Kinofilme (Brasilien 1897-1930); Quelle: von 1897
bis 1930 Simis (2008a, 302) nach Simis (2010, 138-139); eigene Darstellung

Der letztliche Anstieg der Produktion einheimischer Spielfilme während der ‚Bela Época’,
wie Gomes (1996) behauptet, kann unter Zugrundelegung von Abb. 5 nicht nachgewiesen
werden (siehe hierzu ausführliche Daten im Anhang 6). Laut Simis (2010) wurden im Jahre
1922 gerade einmal 9 einheimische Spielfilme produziert, wobei zwischen 1910 und 1915
jeweils nur eine einzige Produktion pro Jahr zu verzeichnen war. Auch wurden beispielsweise
1916, Kurz- und Spielfilme zusammengerechnet, ca. drei Mal weniger Filme produziert als
noch 1910. Bei alleiniger Betrachtung der Jahre 1910 bis 1913, die laut Simis (2010) noch zur
‚Bela Época’ gehören, kommt es zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Anzahl der gezählten
Filme halbiert sich praktisch von 177 im Jahre 1910 auf gerade einmal 91 Produktionen im
Jahre 1913.
Tatsächlich verbleibt jedoch aus den Informationen der Abb. 5 der deutliche Eindruck einer
Vormachtstellung der produzierten Kurzfilme sowie der Rückgang einheimischer
Produktionen vom Jahre 1910 an. Dass die Zahl der produzierten Filme um 1910 geringer
wird, liegt sicher auch an dem medieninternen Umbruch vom kurzen Format zum langen
Format, Filme, insbesondere fiktionale Filme, mit einer abendfüllenden Länge, sind
wesentlich

aufwändiger

und

eben

auch

kostenintensiver

in

der

Produktion
27

	
  

als
 
Kurzfilmproduktionen. Erst 1925 wird mit 193 registrierten Filmen erstmals mehr produziert
als zu Beobachtungsbeginn. In Anbetracht der Wichtigkeit der erfassten Daten von Simis
(2010) bzw. Gomes (1996) muss jedoch immer in Betracht gezogen werden, dass sich Werte
je nach Quelle widersprechen oder große Unterschiede aufweisen können, was ein Vergleich
der Daten Simis (2010) (siehe Anhang 7) mit denen von Ministério da Cultura (MinC) (1999)
(siehe Anhang 8) zeigt. Dies ist bspw. möglich, indem entweder einerseits nur Filme in die
Zählung einfließen, die in den Kinos im ganzen Land gezeigt werden, oder andererseits alle
Filme erfasst werden, unabhängig davon, ob sie einer breiten Öffentlichkeit präsentiert
werden oder nicht.

Abb. 5: Anzahl inländischer produzierter Kinofilme (Brasilien 1910-1930); Quelle: Simis
(2008a, 302) nach Simis (2010, 138-139 und 147); eigene Darstellung

4.2 Die 1930er, 1940er und 1950er Jahre
Für die 1930er, 1940er und 1950er Jahre ist ein stufenweiser Anstieg der Produktion
einheimischer Filme festzustellen. Die Produktion an Filmen ist in den 1930er und 1940er
Jahren mit 102 bzw. 103 Filmen praktisch identisch gewesen. Im Vergleich zu den 1920er
Jahren entspricht dies einem Rückgang um 26%, da in jener Dekade 139 Filme produziert
wurden. In den 1950er Jahren wurden bereits 282 einheimische Produktionen verzeichnet,
was im Vergleich zu den 103 Filmen in den 1940er Jahren eine Zunahme um 173% bedeutet.
Gomes (1996) wiederum zählt für die Jahre 1933 bis 1949 die Menge von 130 einheimischen
Produktionen, wobei er hervorhebt, dass circa 90% davon in Rio de Janeiro produziert
wurden.
28

	
  
 

Abb. 6: Summe inländischer produzierter Spielfilme (Brasilien 1910-1988); Quelle: nach
Simis (2010, 147-150)56; eigene Darstellung

Aus den Daten der Abb. 6 geht hervor, dass in den 1930er bis 1950er Jahren in Brasilien 487
Filme und von 1933 bis 1949, insgesamt 154 Filme gedreht wurden. Für diese Jahre lässt sich
noch ein Vergleich der in brasilianischen Kinos gezeigten einheimischen und ausländischen
Produktionen anstellen: „1941 wurden dort 460 Spielfilme präsentiert, von denen vier
einheimische Produktionen waren; 1942: 409/1; 1943: 362/6; 1953: 578/34; 1954: 490/21
(Zahlen entnommen aus Cine Repórter)” (Bernardet 2009, 22).57 Laut Bernardet „ist bis in die
1950er Jahre hinein jeder Film ein völlig neuer Film gewesen, ohne Präzedenzfall” (Bernardet
2009, 99-100)58, so dass beispielsweise zwischen den 1910er und 1920er Jahren diverse
Veröffentlichungen von Filmen jeweils als ‚erste einheimische Produktion’ angekündigt
wurden. Erst durch die zahlreichen Filmproduktionen des neuen, sich im inländischen
entwickelnden Genres ‚Chanchada’ orientierten sich die einheimischen Filmemacher nicht
mehr nur an ausländischen Produktionen als bislang einzige kulturelle Referenz, sondern
entwickelten ihre eigene Darstellungsstrategie und Ästhetik (Bernardet 2009).

4.3 Die 1960er Jahre
Wie aus Abb. 6 zu entnehmen ist, sind in den 1960er Jahren stetig mehr einheimische
Filmproduktionen zu verzeichnen gewesen. In diesem Jahrzehnt wurden insgesamt 340 Filme
gedreht. Während in den 1960er Jahren im Durchschnitt jährlich 34 Filme produziert wurden,
sind es zwischen den 1930er bis 1950er Jahren im Schnitt jährlich 16 Filme gewesen.
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
56

Siehe hierzu ausführliche Quellendetails im Anhang 7.
Auf Portugiesisch „em 1941, foram lançados no Brasil 460 filmes de longa-metragem, dos quais quatro
brasileiros: 1942: 409/1; 1943: 362/6; 1953: 578/34; 1954: 490/21 (dados do Cine Repórter)“ (Bernardet 2009,
22).
58
Auf Portugiesisch „mas até a década de 1950 cada filme novo era um filme novo, sem
precedentes“ (Bernardet 2009, 99-100).
29
57

	
  
 
Verglichen mit den 1950er Jahren sind in den 1960er Jahren 20% mehr Filmproduktionen zu
verzeichnen, was im Vergleich zu den vorherigen und besonders darauffolgenden Jahrzehnten
keinen so großen Anstieg darstellt.

4.4 Die 1970er Jahre
Die 1970er Jahre, als die ‚Pornochanchada’ produziert wurde, sind die letzte in dieser Arbeit
beleuchteten Jahre und es ist die Dekade, über die die meisten Daten vorliegen. In praktisch
allen Aspekten wurden in diesem Jahrzehnt Bestmarken aufgestellt, wie z. B.: (a) die meiste
Anzahl an Kinos – mit 3.276 Kinos im Jahre 1975; (b) sie ist eine der Dekaden mit der
höchsten Anzahl an Kinogängern in Brasilien – nur in den 1950er und zu Beginn der 1960er
Jahre sind mehr Besucher in die Kinos geströmt; (c) sie weist die meisten einheimischen
Filmproduktionen auf, 820, von allen hier in Frage kommenden Jahrzehnten (Simis 2010).
Diese letzte Zahl für sich genommen ist schon deshalb besonders bemerkenswert, da sie
praktisch dem entspricht, was zusammen in den vier Jahrzehnten der 1930er bis 1960er Jahre
verzeichnet wurde, nämlich 827 Filme. Und während im Durchschnitt in den 1930er bis
1950er Jahren gerade einmal 16 einheimische Filme pro Jahr gedreht wurden, waren es in den
1960er Jahren bereits 34 Filme pro Jahr. Ihre Zahl stieg in den 1970er Jahren auf
durchschnittlich 82 Filme, was einem Anstieg zum vorherigen Jahrzehnt um 141% entspricht.
In Abb. 7 wird am Beispiel der 1970er Jahre noch einmal offenkundig, wie sehr für einzelne
Jahre die Daten je nach Quelle abweichen. Ein Vergleich der Summen der jeweiligen
Erhebungen bei Simis (2010) und Ministério da Cultura (MinC) (1999) zeigt jedoch, dass
hierbei die Abweichungen über das ganze Jahrzehnt nicht besonders signifikant sind. In
seinen Ausführungen geht Ministério da Cultura (MinC) (1999) gegenüber Simis (2010)
darüber hinaus einen Schritt weiter und vergleicht die jeweilige Anzahl der einheimischen mit
den ausländischen Filmen, außerdem auch die erfasste Besucherzahl für inländische und
ausländische Filme, wie aus den Abb. 8 (siehe hierzu detaillierte Daten in Anhang 8) und Abb.
9 (siehe hierzu auch Anhang 9) zu entnehmen sind.
Anzahl neuer inländischer Kinofilme auf dem brasilianischen Markt
Jahr
Simis (2010)
Ministério da Cultura (MinC) (1999)
Differenz
1971-1979
737
699
38
1978
100
81
19
1979
93
104
11
Abb. 7: Anzahl neuer inländischer produzierter Kinofilme auf dem brasilianischen Markt;
Quelle: eigene Darstellung
30

	
  
 

Abb. 8: Anzahl der Kinofilme auf dem brasilianischen Markt (Brasilien 1971-1985); Quelle:
Filme B nach Ministério da Cultura (MinC) (1999); eigene Darstellung

Abb. 9: Anzahl der Kinobesucher (Brasilien 1971-1985); Quelle: Filme B nach Ministério da
Cultura (MinC) (1999); eigene Darstellung

Aus Abb. 8 geht eindeutig die Vormachtstellung der ausländischen gegenüber den
inländischen Filmproduktionen hervor. In den Jahren 1975 bis 1978 haben jedoch, siehe
Anhang 9, inländische Filme kontinuierlich mehr und mehr Zuschauer in die Kinos gelockt,
während auf der anderen Seite ausländische Filme sehr stark an Publikumsinteresse eingebüßt
haben. Das nachlassende Interesse an ausländischen Filmen hat jedoch nicht dazu geführt,
dass ihre Zahl in diesen Jahren geringer wurde, so wurde im Vergleich zu inländischen
Filmen nach wie vor ein Vielfaches (im Schnitt ca. 3:1) an ausländischen Filmen in den Kinos
gezeigt.
Die wachsende Popularität inländischer Filmproduktionen in den 1970ern Jahren deckt sich
laut Ministério da Cultura (MinC) (1999) auch mit den Beobachtungen Bernardets (2009).
31

	
  
 
Eine wachsende Sympathie der Zuschauer gegenüber einheimischen Filmen zur Zeit der
Filmproduktion der Art ‚Pornochanchada’ stellen ebenfalls Leite (2005) und Simis (2010) fest.
Filme wie A VIÚVA VIRGEM (BRA, 1972, R: Carlos Rovai) waren laut Simis (2010) oder AS
MULHERES AMAM POR CONVENIÊNCIA
ERÓTICAS (BRA,

(BRA, 1972, R: Roberto Mauro),

AS CANGACEIRAS

1974, R: Roberto Mauro), A ILHA DOS PRAZERES PROÍBIDOS (BRA, 1979, R:

Carlos Reichenbach) so genannte Kassenschlager, die über eine halbe Million Zuschauer in
die Kinos lockten (Leite 2005).

5. Ähnliche Charakterzüge

Innerhalb der einzelnen Phasen der Geschichte der Filmproduktion in Brasilien lassen sich
hinsichtlich der Dynamik zwischen thematischen und ästhetischen Aspekten und dem
jeweiligen zeitgenössischen Hintergrund – der Kinomarkt, die Forderungen der Filmemacher,
und die kulturpolitische Maßnahmen – einige Charakterzüge in Ihrer Ähnlichkeit hervorheben.
Dabei wurde als besonders interessant beobachtet, dass in den Epochen ‚Bela Época’,
‚Carnavalescas und Chanchadas’ sowie der ‚Pornochanchada’, trotz aller jeweiligen
thematischen und ästhetischen Besonderheiten, sowohl die Zahl der Kinos im Land, als auch
die Anzahl inländischer Filmproduktionen und ihr Publikumserfolg stark zugenommen haben.
Von Bernardet (2009) wurde mehrmals erwähnt, dass die in der Bela Época und der
Pornochanchada gedrehten Filme ähnliche Elemente aufweisen, da sie zeitgenössische
Geschehnisse des alltäglichen Lebens zum Thema gemacht haben. Auch die musikalischen
Filmkomödien weisen bei der Realitätsbetrachtung Ähnlichkeiten zu den Filmen aus der Bela
Época und der Pornochanchada auf, obwohl sich diese Produktionen auf der Ebene der
zeitgenössischen filmischen Wirklichkeit eher an den Hollywood-Musicals orientierten und
viele Filme ihre US-amerikanischen Vorbilder parodierten (Gomes 1996).
Es gibt keinerlei Informationen über konkrete staatliche finanzielle Unterstützungen an
Filmproduktionen zur Zeit der Bela Época. Gleichzeitig gibt es jedoch auch keinerlei
Aufzeichnungen darüber, dass der Staat seinerseits gegenüber der Filmbranche finanzielle
Unterstützung abgelehnt hat. Offenkundig ist jedoch, dass sich der brasilianische Staat sowohl
von den musikalischen Filmkomödien der Art Chanchanda als auch von seiner Variante
Pornochanchada nicht überzeugt zeigte, wie Bernardet (2009) am Beispiel des Filmstudios
32

	
  
 
‚Atlântida’ berichtet, welches hauptsächlich Filme des Typs Chanchada drehte. Den Kritikern
stieß übel auf, dass besonders die Filme der Art Chanchada nur simple Instinkte des
Publikums angesprochen und nur zum reinen Zweck der Produktion von so genannten
Kassenschlagern gedient haben (Gomes 1996).
In diesem Zusammenhang ist zu beobachten, dass sich der Staat sowohl in der Epoche der
musikalischen Filmkomödien als auch zu Zeiten der Pornochanchada ähnlich verhielt und
bspw. nicht nur die Produktion von Lehrfilmen, sondern auch Filme, die das Nationalgefühl
wecken sollten, förderte. Darüber hinaus sind jedoch beide kinematographische Phasen von
einer besonders starken Kontrolle durch die staatlichen Organe mittels direkter Zensur der
Filmproduktionen durchzogen (siehe hierzu detaillierte Daten in Anhang 10). In den 1930er
Jahren wurde die INCE (1932) aufgebaut, als der Staat auf die Produktion von Lehrfilmen
drängte, und in den 1960er und 1970er Jahren wurden die INC (1966), die Embrafilme (1969)
und die Concine (1979) ins Leben gerufen (Simis 2010, Rosa 2007). Der Zweck dieser
Organe war unter anderem die Verwaltung der Fördermittel, der Vertrieb der
Filmproduktionen und die systematische Kontrolle der Filmproduktionen (Simis 2010).
Das ‚Cinema Novo’ hat sich in praktisch allen hier behandelten Aspekten durch solche
ausgezeichnet, die im völligen Gegensatz zu denen der drei anderen Phasen stehen: (a) auf
thematischer Ebene durch eine sehr intensive, aber partielle Sozialkritik hinsichtlich der
Klassenkämpfe; (b) auf ästhetischer Ebene vor allem durch eine experimentelle Filmsprache;
(c) des weiteren hinsichtlich der Akzeptanz durch das einheimische Publikum, nämlich mit
der Folge eines sehr großen Misserfolgs an den Kinokassen; (d) sowie abschließend bezüglich
der Unterstützung der Staatsregierung, die sich an dieser Art des Filmemachens finanziell
beteiligte, obwohl sie sie auch gleichzeitig stark mittels Zensur kontrollierte.

33

	
  
 

6. Schlussbetrachtung und Ausblick

Es ist festzuhalten, dass mit Ausnahme der Anfänge des 20. Jahrhunderts mit
seiner relativen Vielfalt an Filmgenres (uns ist nicht ein Film aus dieser Zeit
bekannt) nur die musikalischen, karnevalistischen und erotischen
Filmkomödien Filme regelmäßig produziert wurden und eine guten
Publikumserfolg verzeichneten. Bis auf die Cangaço-Filme, mit einem
allerdings relativ kurzen Ausbruch, wurde kein anderes Genre, sei es Drama
oder Abenteuerfilme, systematisch produziert (Bernardet 2009, 128-129).59
Thematische und ästhetische Aspekte der im 20. Jahrhundert produzierten einheimischen
Filme wurden aus der Perspektive der vier historischen Produktionsphasen der
Kinematographie in Brasilien erörtert. Dadurch ist der Frage nachgegangen worden, welche
jeweiligen Resonanzen sie am zeitgenössischen Kinomarkt Brasiliens hervorgerufen haben.
Anhand weiterer Aspekte des brasilianischen Kinomarktes wurde der Erfolg beim Publikum
im jeweiligen Zeitraum beleuchtet. Ebenso wurden die einzelnen historischen Phasen in
solche mit und ohne staatliche Unterstützung unterschieden. Dadurch wurden ähnliche
Charakterzüge

zwischen

den

erörterten

Produktionsphasen

hervorgehoben

und

in

Zusammenhang gebracht. Bei der Durchführung der vorliegenden Studie gab es das Problem
des Mangels frei zugänglicher Daten über die Marktentwicklung der brasilianischen
Filmindustrie. Heutzutage sind Unternehmen wie ‚Filme B’ und ‚Agencia Nacional de
Cinema (Ancine)’ diejenigen, die über die seriösesten Datenbestände verfügen. Jedoch ist es
leider so, dass diese Daten über Filme B (2013) nicht kostenlos zu beziehen sind und die
Agencia Nacional de Cinema (Ancine) (2013) wiederum viel mehr Daten über die jüngere
Geschichte sammelt. Dadurch, dass über einen sehr breiten Zeitraum der brasilianischen
Filmgeschichte gesprochen wurde, konnte an verschiedenen Stellen keine tiefergehende
Analyse geführt werden.
Von dieser Arbeit ausgehend ist festzuhalten, dass protektionistische Maßnahmen, die auf
eine Mindestanzahl an Vorführungen einheimischer Filme im Land abzielten, in keiner Weise
eine alleinige Garantie zur Entwicklung der großen Zahl von Filmproduktionen waren. Diese
Tatsache lässt sich beispielhaft anhand des Phänomens des Chanchadas belegen, und ihre
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
59

Auf Portugiesisch „É de notar que, com exceção do início do século XX, que tinha uma relativa variedade de
gêneros cinematográficos (mas não conhecemos nenhum desses filmes), foi somente a comédia, musical,
carnavalesca, erótica, que teve uma produção regular e obteve boa receptividade por parte do grande público.
Nenhum outro gênero, dramático, de aventura, seja lá o que for, com exceção do relativamente escasso surto de
filmes de cangaço, conheceu uma produção sistemática” (Bernardet 2009, 128-129).
34

	
  
 
Wichtigkeit wurde mehrmals von Bernardet (2009) behandelt. Sicherlich haben
protektionistische Maßnahmen der Verbreitung der Chanchadas geholfen, als wichtigster
Faktor für ihren Erfolg und ihre Beliebtheit beim Publikum lassen sie sich jedoch nicht
betrachten (Bernardet 2009). Im Grunde genommen ist der zahlenmäßige Anstieg dieser
Filmproduktionen vor allem ihrem Erfolg an den Kinokassen geschuldet, erst dadurch sind
immer weiter Filme dieses Genres realisiert worden. Zu differenzierten Ergebnissen gelangt
man bei der Betrachtung des Cinema Novo. Dies profitierte auch von den oben erwähnten
protektionistischen Maßnahmen, seine Filme erreichten jedoch im Allgemeinen weder das
nationale Publikumsinteresse noch das Interesse der inländischen Kinobetreiber. In sehr
kurzer Zeit wurde eine Vielzahl an Filmen produziert, jedoch hatte dies keine positive
Resonanz auf dem einheimischen Kinomarkt. Die Produktion der Filme des Cinema Novo
war darüber hinaus überaus stark von Krediten aus der Bankwirtschaft, von Privatpersonen
und auch vom Staat abhängig. Diese finanzielle Abhängigkeit hat wahrscheinlich einen
beachtlichen Teil der in den Filmen dargestellten Thematik, eine starke aber partielle
Sozialkritik, beeinflusst.
Ohne Zweifel hat die Verpflichtung, eine bestimmte Mindestanzahl einheimischer Filme in
Kinos zeigen zu müssen, einen positiven Effekt auf die Entwicklung der nationalen
filmischen Aktivität ausgeübt. Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass
Unterschiede hinsichtlich der Höhe der Einfuhrzölle auf schon belichtete Filme einen
positiven Effekt auf die Gesamtzahl der Filmproduktionen in dem Land hatten, wie Simis
(2010) schilderte. Bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Filmemachern und
staatlicher Kulturpolitik soll aber die Dynamik zwischen den produzierten Filmen und dem
einheimischen

Publikum

Untersuchungsziel

nicht

hat,

die

unterschätzt

werden,

besonders

Entwicklungsprozesse

der

wenn

man

zum

kinematographischen

Produktionsphasen im Land zu analysieren.
Es ist vor allem der kontinuierliche Publikumserfolg einiger einheimischer Filmproduktionen
gewesen, der die positive Entwicklung in den verschiedenen kinematographischen
Produktionsphasen ermöglicht hat. Dies gilt sicherlich für zwei der vier hier untersuchten
Produktionsphasen bzw. einheimischen Filmgenres, nämlich die musikalischen Komödien der
Art Carnavalescas und Chanchadas und die Pornochanchada, d.h. diejenigen, die weniger
abhängig von staatlichen Mitteln waren (Bernardet 2009). Sie entwickelten und festigten sich
ohne

finanzielle

staatliche

Unterstützung

in

der

Geschichte

der

einheimischen

Kinematographie vor allem dank des Publikumserfolges, den ihre Filme erreichten.
35

	
  
Filmische Produktionsphasen und Kinomarkt Brasiliens
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Filmische Produktionsphasen und Kinomarkt Brasiliens

  • 1.   Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Sprach-, Medien- und Musikwissenschaft | Abteilung Medienwissenschaft Filmische Produktionsphasen und Kinomarkt Brasiliens in Anbetracht des Zusammenhangs zwischen Filmemachern und staatlicher Kulturpolitik Abschlussprüfung im Modul AV3 | Medienkulturen im historischen Prozess Titel der Veranstaltung: Der politische Film | SS 11 Seminarleiterin: Prof. Dr. Ursula von Keitz Betreuerin: Dr. Ines Steiner Studierende: Vivian Martins Nogueria Napoles November 2013    
  • 2.   Eigenständigkeitserklärung Hiermit bestätige ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen der Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken (dazu zählen auch Internetquellen) entnommen sind, wurden unter Angabe der Quelle kenntlich gemacht. Vivian Martins Nogueria Napoles    
  • 3.   Filmische Produktionsphasen und Kinomarkt Brasiliens in Anbetracht des Zusammenhangs zwischen Filmemachern und staatlicher Kulturpolitik Der brasilianische Staat, seinerzeit regiert von neoliberaler Bundesregierung, beschloss in den frühen 1990er Jahren das Ende der finanziellen Förderung der einheimischen Filmindustrie. Eines der Ergebnisse dieser Maßnahme war der sehr starke Einbruch der inländischen Filmproduktion. Seitdem analysieren Branchenexperten sorgfältig den Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der nationalen Filmemacher und den einzelnen kulturpolitischen Maßnahmen seitens der jeweiligen Staatsregierung. Zu diesem Thema argumentiert Simis (2010), dass es charakteristische Verhaltensweisen sowohl auf Seiten der Filmemacher als auch auf Seiten der jeweiligen Staatsregierung gibt, welche sich zyklisch im Laufe der Zeit in abgewandelten Formen wiederholen. Als Beispiele können laut Simis (2010) einerseits die Kämpfe der Filmemacher untereinander um die Rolle der Finanzierung durch die brasilianische Regierung genannt werden, und andererseits die kulturpolitischen Maßnahmen durch die Staatsregierung, die sich meist als protektionistisch bezeichnen lassen. Aufbauend auf den Ideen von Simis (2010) handelt es sich hierbei um eine Studie über vier inländische Produktionsphasen der Kinematographie in Brasilien des zwanzigsten Jahrhunderts, wobei ästhetische und thematische Aspekte dieser Phasen im Zusammenhang zur zeitgenössischen Anzahl inländischer produzierter Filme als auch ihre Akzeptanz beim Publikum und bei der jeweiligen Staatsregierung verglichen werden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es hervorzuheben, welche Charakterzüge zwischen den vier historischen filmischen Produktionsphasen im Rahmen der oben genannten Aspekte ähnlich sind. Diese filmischen Produktionsphasen erhalten die folgenden Titel: Bela Época; Carnavalescas und Chanchadas; Cinema Novo; Pornochanchada. Schlüsselwörter: Filmische Produktionsphasen Brasiliens; Kinomarkt Brasiliens; brasilianischer Filmmarkt; staatliche Kulturpolitik Brasiliens; brasilianisches Kino; brasilianische Filmgeschichte. Vivian Martins Nogueria Napoles | November 2013    
  • 4.   Inhaltsverzeichnis     1.  Einleitung   .......................................................................................................................................  1   2.  Brasilianische  Filmemacher  und  Staatsregierung  ..........................................................  3   2.1  Einheimischer  Kultursektor  ...........................................................................................................  4   2.2  Forderungen  und  Maßnahmen  ......................................................................................................  5   2.2.1 Gesetze  ................................................................................................................................................................  6   2.2.2 Finanzierung  .....................................................................................................................................................  9   3.  Brasilianisches  Kino  ...............................................................................................................  10   3.1  Das  Nationalgefühl  ..........................................................................................................................  11   3.2  Kinematographische  Produktionsphasen  ..............................................................................  13   3.2.1 Bela Época  ......................................................................................................................................................  13   3.2.2 Carnavalescas und Chanchadas  ...............................................................................................................  15   3.2.3 Cinema Novo  .................................................................................................................................................  17   3.2.4 Pornochanchada  ............................................................................................................................................  20   4.  Entwicklung  des  brasilianischen  Kinomarktes  .............................................................  24   4.1  Bis  1930  ..............................................................................................................................................  26   4.2  Die  1930er,  1940er  und  1950er  Jahre  .....................................................................................  28   4.3  Die  1960er  Jahre  ..............................................................................................................................  29   4.4  Die  1970er  Jahre  ..............................................................................................................................  30   5.  Ähnliche  Charakterzüge  ........................................................................................................  32   6.  Schlussbetrachtung  und  Ausblick  ......................................................................................  34   Quellenverzeichnis  ......................................................................................................................  36   Film-­‐Index  .......................................................................................................................................  38   Anhang  .............................................................................................................................................  39        
  • 5.   1. Einleitung Nach einer großen Rezession, mit der die brasilianische Filmindustrie in den frühen 1990er Jahren konfrontiert wurde, sind Studien angesichts der Wiederbelebung des nationalen Kultursektors dringend erforderlich geworden. Zwei Elemente können beispielhaft aus dem Zusammenhang zwischen den Forderungen brasilianischer Filmemacher und der jeweiligen Kulturpolitik der einzelnen brasilianischen Staatsregierung herausgestellt werden: (a) die teilweise extreme finanzielle Abhängigkeit, in der sich oftmals Fachleute dieses kulturellen Sektors im Verhältnis zum Bundesstaat Brasiliens befanden; (b) der protektionistische Charakter diverser staatlicher Maßnahmen, die an die inländische Filmindustrie gerichtet wurden (Simis 2010). Vor diesem Hintergrund handelt es sich hierbei um eine Studie über vier inländische Produktionsphasen der Kinematographie in Brasilien des zwanzigsten Jahrhunderts, wobei ästhetische und thematische Aspekte dieser Phasen im Zusammenhang zur zeitgenössischen Anzahl inländischer produzierter Filme als auch ihre Akzeptanz beim Publikum und bei der jeweiligen Staatsregierung verglichen werden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es hervorzuheben, welche Charakterzüge zwischen den vier historischen filmischen Produktionsphasen im Rahmen der oben genannten Aspekte ähnlich sind. Diese filmische Produktionsphasen erhalten den folgende Titel: Bela Época; Carnavalescas und Chanchadas; Cinema Novo; Pornochanchada. Die Beziehung zwischen den Experten kinematographischer Tätigkeit und der brasilianischen Staatsregierung begann im Jahr 1894 mit der Ankunft des ersten kinematographischen Apparats in Brasilien (Souza 2013). Dieser war laut Souza (2013) ein von dem USAmerikaner Thomas Alva Edison entwickelter Apparat namens ‚Kinetoskop’. Das Kinetoskop wurde von dem in der Tschechoslowakei geborenen Juden Frederico Finger nach Brasilien gebracht (Souza 2013). Für den Betrieb von Geräten wie diesem, das häufig in Verbindung mit dem ‚Grammophon’ verwendet wurde1, war eine gute Energieversorgung notwendig (Souza 2013), aber in brasilianischen Städten war dies allerdings damals nicht der Fall.                                                                                                                 1 Beider wurden ersetzt, erst durch das ‚Kinetophone’ und danach um ca. 1897 durch das ‚Vitascope’ (Souza 2013). 1  
  • 6.   Die Stadt Rio de Janeiro wurde z. B. erst 1908 an das Stromnetz angeschlossen (Gomes 1996). Von daher war zu dieser Zeit die Verteilung der Energie in Brasilien in der Regel mittels Generatoren artikuliert (Gomes 1996). Somit war seitdem eine enge Beziehung zwischen den lokalen Beamten und den Fachleuten der Kinematographie notwendig, da die lokalen Beamten diejenigen waren, die zu dieser Zeit die Verteilung von Strom in den Städten ermöglichten (Souza 2013). Vor allem aus diesem Grund war in diesem Land die Beziehung zwischen Kinoexperten und Staatsregierung zu Beginn der filmischen Tätigkeit von einem Abhängigkeitsverhältnis seitens der Kinematographie geprägt. Der Ausschnitt unter Bezugnahme auf die aktuelle Phase der brasilianischen Filmproduktion wiederum – genannt ‚Kino der Wideraufnahmen’ oder ‚Post-Embrafilme Era’2 u.a. – liegt vor allem in der Relevanz von den Folgen zweier Ereignisse aus den frühen 1990er Jahren: (a) das Ende der ‚Brasilianischen staatlichen Filmgesellschaft (Embrafilme)’ 3 , damals verantwortlich für die Produktion und den Vertrieb der fast gesamten einheimischen Filme; (b) die Degradierung des damaligen ‚Kulturministeriums (MinC)’ 4 auf den Status eines nationalen ‚Sekretariats’ (Leite 2005, Almeida Jr. 2001). Zwischen den beiden oben angesprochen historischen Zeitpunkten des Kinos in Brasilien wird das Thema der vorliegenden Studie hauptsächlich erörtert. In Kapitel 2 wird der Zusammenhang zwischen den Forderungen einheimischer Filmemacher und der staatlichen Kulturpolitik dargelegt. In Kapitel 3 werden ästhetische und thematische Aspekte aus vier filmischen Produktionsphasen dargestellt. In diesem Zusammenhang wird sowohl die Akzeptanz seitens des inländischen Publikums als auch der brasilianischen Staatsregierung gegenüber diesen filmischen Phasen in Betracht gezogen. Das Kapitel 4 besteht aus der Darlegung einer Analyse der inländischen Marktentwicklung der nationalen Kinematographie, die aus der Perspektive der hier infrage stehenden kinematographischen Phasen betrachtet wird. In Kapitel 5 wird abschließend eine zeitlich chronologische Analyse durchgeführt. Dabei werden ähnliche Charakterzüge der Dynamik zwischen filmischen Produktionsphasen und dem jeweiligen Kinomarkt mit Blick auf den Zusammenhang zwischen den Forderungen einheimischer Filmemachern und der staatlichen Kulturpolitik dieses Landes vergleichend betrachtet.                                                                                                                 2 Auf Portugiesisch ‚Cinema de Retomada‚ oder ‚Era Pós-Embrafilme’. Auf Portugiesisch ‚Empresa Brasileira de Filmes S/A (Embrafilme)’ (1969-1990). 4 Auf Portugiesisch ‚Ministério da Cultura (MinC)’. 3 2  
  • 7.   2. Brasilianische Filmemacher und Staatsregierung Die Filmproduktion ist Teil des staatlichen brasilianischen Kultursektors. Diese liegt heutzutage in der Verantwortung des ‚Kulturministeriums (MinC)’ des Landes, jedoch lag zwischen 1930 und 1953 in der Verantwortung des damaligen ‚Brasilianischen Bildungs- und Gesundheitsministeriums’5, in den Jahren 1953 bis 1985 in der des ‚Brasilianischen Bildungsund Kulturministeriums (MEC)’6 und von 1985 bis 1989 in der des ‚Kulturministeriums (MinC)’ (Ministério da Cultura 2013). Im Jahr 1990 wurde das ‚Kulturministerium’ auf den Status eines ‚Sekretariats’ degradiert, wurde jedoch im Jahre 1993 wieder in den Status eines staatlichen ‚Ministeriums’ gehoben (Ministério da Cultura 2013). Die aktuelle Position der staatlichen Kulturpolitik Brasiliens wurde von Rubim (2010) analysiert, wobei ihre Entwicklung in der Weise so differenziert wurde, dass drei Traditionen skizzieret wurde, nämlich ‚die Tradition der Abwesenheit’, ‚des Autoritarismus’, ‚der Unbeständigkeit’, wobei sich die letzte Tradition als Ergebnis der Summe von der Tradition der Abwesenheit mit der des Autoritarismus betrachten lässt (Rubim 2010). Unter der theoretischen Perspektive des Begriffskonzeptes ‚Kulturpolitik’, ist Rubim (2010) der Meinung, dass es legitim ist, sich über Kulturpolitik in einem Land zu unterhalten, wenn es sich dabei u.a. sowohl um gemeinsame und systematische Interventionen als auch um gemeinsame Arbeiten und Ziele handelt. Der Autor vertritt die Meinung, dass Brasilien unter der Abwesenheit von einheimischen Kulturpolitikern bis zum Jahre 1930 gelitten hat. Die Staatsregierung Brasiliens hat laut Rubim (2010) ab diesem Jahr durch die Einrichtung des ‚Brasilianischen Bildungs- und Gesundheitsministeriums’ so viele Maßnahmen im Rahmen des Kultursektors des Landes durchgesetzt, dass es ab diesem Zeitpunkt in der Geschichte legitim ist, über inländische Kulturpolitik in Brasilien zu sprechen. In diesem Sinne wird dann der Zusammenhang zwischen Forderungen der inländischen Filmemacher und der staatlichen Kulturpolitik erörtert, wodurch die Maßnahmen der brasilianischen Staatsregierung angesichts des Kultursektors des Landes zunächst generell betrachtet werden.                                                                                                                 5 6 Auf Portugiesisch ,Ministério de Educação e Saúde Pública’. Auf Portugiesisch ,Ministério da Educação e Cultura (MEC)’. 3  
  • 8.   2.1 Einheimischer Kultursektor Die Staatsregierung Brasiliens wird von Chauí (1995, 2001) als liberal, autoritär, populistisch und neoliberal in ihrem Verhalten gegenüber dem einheimischem Kultursektor beschrieben. Für die vorliegende Arbeit ist es vor allem bedeutend, den autoritären Charakter der Staatsregierung gegenüber dem Kultursektor des Landes zu erörtern. Darunter versteht die Autorin, dass „wenn sich der Bundesstaat selbst sowohl als offizieller Kulturproduzent als auch als Kontrollorgan der kulturellen Produktion der Zivilgesellschaft darstellt“ (Chauí 1995, 81)7, sich dieser Bundesstaat als autoritärer Staat positioniert. Laut Chauí (1995) entspricht diese Art des Umgangs genau der Haltung der brasilianischen Staatsregierung gegenüber dem Kultursektor des Landes seit Beginn der 1930er Jahre, als der damalige Staatspräsident Getúlio Vargas eine inländische Filmproduktion von Lehrfilmen förderte. Seitdem hat sich die Art und Weise des Umgangs mit dem Kultursektor des Landes seitens der Staatsregierung nicht wirklich geändert (Chauí 1995). Andererseits befinden sich zwischen dem Zusammenhang von der Staatsregierung mit dem Kultursektor die Position der Kulturexperten, die sich selbst im Rahmen einer Tradition als individuelles oder kooperatives Klientel betrachten und für sich vor allem Subventionen und finanzielle Partnerschaften von der Staatsregierung erhofften (Chauí 1995). Die traditionell starke Beziehung zwischen autoritäreren Staatsregierungen und kultureller Politik in Brasilien wurde auch von Rubim (2010) diskutiert. Er betrachtet dabei den Zeitraum zwischen 1943 und 1945 als ‚Meilenstein der Einführung dieser Tradition’, als die kinematographische Gesetzgebung in diesem Land umgesetzt und das ‚Einheimische Institut der Lehrfilme (INCE)’8 gegründet wurden. In den Jahren 1964 und 1985 wurde Brasilien von einer Militärdiktatur regiert, wodurch sich laut Rubim (2010) die Beziehung zwischen Militär und Kultur in drei verschiedene Zeitabschnitte unterteilen lässt. Der erste Abschnitt umfasst die Jahre 1964 bis 1968 und lässt sich als eine Phase der unsystematischen Zensurpräsenz interpretieren, wobei jedoch inländische kulturelle Bewegungen immer noch zu verzeichnen waren (Rubim 2010). Nach Ansicht des Autors wurden in diesem Zeitraum sowohl die Telekommunikationsinfrastruktur als auch die ersten kulturellen Kriterien in Brasilien eingeführt. Diese sind vor allem „die Verwirklichung der                                                                                                                 7 Auf Portugiesisch „Estado se apresenta como produtor oficial de cultura e censor da produção cultural da sociedade civil” (Chauí 1995, 81). 8 Auf Portugiesisch ,Instituto Nacional de Cinema Educativo (INCE)’ (1936).   4  
  • 9.   Militärregierungen, die die audiovisuellen Medien streng kontrollierten, wobei versucht wurde, eine symbolische Einbindung des Landes nach der Vereinbarung der damaligen Sicherheitspolitik zu schaffen“ (Rubim 2010, 57).9 Die Phase zwischen 1968 und 1974 entspricht laut dem Autor der brutalsten Zeit der Militärdiktatur in Brasilien. Diese Zeit ist als ‚Moment der kulturellen Leere’ in dem Land bekannt geworden, als eine starke Repression seitens der brasilianischen Staatsregierung auf die inländische kulturelle Produktion ausgeübt wurde (Rubim 2010). Jedoch ist in diesem Zeitraum hinsichtlich der Filmproduktion keine ‚Leere’ zu beobachten. Laut Rubim (2010) war die einheimische Filmproduktion durch die ,Cinema Marginal’ Bewegung doch sehr aktiv, als die Filme der ‚Cinema Novo’ Bewegung sowie der Art ‚Pornochanchada’ u.a. auch produziert wurden. Die abschließende Periode des Zusammenspiels zwischen Militär und Kultur umfasst laut Rubim (2010) die Jahre 1974 bis 1985. Diese Zeit wird durch den langsamen Wandel der Militärregierung hin zu einer demokratischen Regierung charakterisiert, jedoch war zur gleichen Zeit die Kulturpolitik sehr stark vom Autoritarismus geprägt (Rubim 2010, Simis 2010). In dieser Zeit wurden viele staatliche Institutionen gegründet und Maßnahmen getroffen, z. B. wurde der erste ‚Einheimische Kulturplan (PNC)’ 10 aufgestellt und der ‚Einheimische Rat des Kinos (Concine)’11 ins Leben gerufen (Rubim 2010, Simis 2010). Als die Militärdiktatur in Brasilien im Jahre 1985 zu Ende ging, wurde der Kultursektor unabhängig und es wurde ein Kulturministerium geschaffen, das jedoch in der ersten Dekade von einer starken Instabilität geprägt war (Rubim 2010). Laut Rubim wurde das Kulturministerium alleine zwischen 1985 und 1994 von zehn verschiedenen Personen geleitet, bzw. von durchschnittlich einem neuen Machthaber pro Jahr. 2.2 Forderungen und Maßnahmen In Hinblick auf die Betrachtung der staatlichen Maßnahmen, die durch die inländische kinematographische Tätigkeit gelenkt wurden, orientiert sich Simis (2010) nicht an                                                                                                                 9 Auf Portugiesisch „realizações dos governos militares, que controlam rigidamente os meios audiovisuais e buscam integrar simbolicamente o país, de acordo com a política de segurança nacional” (Rubim 2010, 57). 10 Auf Portugiesisch ,Plano Nacional de Cultura (PNC)’ (1975). 11 Auf Portugiesisch ‚Conselho Nacional de Cinema (Concine)’ (1976).   5  
  • 10.   theoretischen Grundlagen über das Begriffskonzept ‚Kulturpolitik’, wie es bei Rubim (2010) der Fall ist. Die andere Perspektivierung dieses Themas bei Simis (2010) ist dadurch verursacht, dass sie nicht die staatlichen Kulturmaßnahmen an sich erforscht, sondern die Zusammenhänge zwischen den Forderungen seitens der inländischen Filmemacher und der staatlichen Kulturpolitik, die in Form von staatlichen Maßnahmen an den kinematographische Sektor des Landes gerichtet wurden. Dabei analysiert Simis (2010), für die Erhebung von kinematographischen Produktionsphasen in diesem Land, die Wichtigkeit sowohl einiger staatlicher Maßnahmen als auch mancher Forderungen der brasilianischen Filmemacher, nämlich: (a) die Forderungen der Filmemacher nach staatlichen protektionistischen Maßnahmen, d.h. die Verpflichtung der Kinobetreiber, eine Mindestanzahl einheimischer Filme zu zeigen12; (b) die finanzielle Abhängigkeit seitens der einheimischen Filmemacher gegenüber der Förderungen der Staatsregierung und von daher die entsprechende finanzielle Förderung, die an die inländische Filmindustrie seitens der Staatsregierung gerichtet wurden. 2.2.1 Gesetze Die Bestimmung zur obligatorischen Aufführung einheimischer Filme in den Kinosälen Brasiliens geht auf ein erstes Gesetz13 aus dem Jahre 1932 zurück (Simis 2010). Im gleichen Jahr setzte die Staatsregierung eine Zollgebühr fest, die den Import von unbelichtetem Rohfilmen erleichtern sollte, weil dieser Import dadurch zehnmal billiger als der Import der schon belichtetem Filmen war (Simis 2010). Beide staatlichen Maßnahmen lassen sich als protektionistisch bezeichnen, mittels derer die inländische gegenüber den ausländischen Filmproduktionen in Brasilien bevorzugt werden sollte (Simis 2010). In der Tat wurde laut der Autorin ab dem Jahr 1934 das erste Gesetzdekret dieser Art wirklich praktiziert. Dieses Gesetz in allen seinen Varianten wird von manchen Forschern als eine staatliche Reaktionskette gegenüber den Forderungen der Filmemacher staatlicher protektionistischer Maßnahmen interpretiert (Simis 2010, Gomes 1996). In diesem Zusammenhang verbündeten sich laut Simis und Gomes die inländischen Filmemacher Brasiliens im Laufe der 1920er und 1930er Jahre zum Protest gegen den unlauteren                                                                                                                 12 Diese staatlichen Gesetzt ist auch als ‚Markt Reserve’ oder ‚Bildschirm Quote’ bekannt (auf Portugiesisch ‚Reserva de Mercado’ oder ‚Cota de Tela’) (Simis 2010). 13 Die Entwicklung diese staatliche Maßnahme lässt sich im Laufe der Jahre anhand einer Tabelle verfolgen. Sieh hierzu Anhang 1. 6  
  • 11.   Wettbewerb mit ausländischen Filmen. Dieser Protest wurde auch über Zeitschriften ausgetragen, insbesondere dem Magazin ‚Cineart’, über die z. B. Filmexperten ihre Forderungen und Wünsche publizierten (Gomes 1996). In diesem Sinn wandelten sich die ersten Forderungen der Filmemacher in einer Kampfkampagne, die unter der Leitung von Ademar Gonzaga und Pedro Lima durchgeführt wurde und bei der staatliche Eingriffe in die kinematographische Aktivität stark gefordert wurden (Simis 2010). Anfang der 1930er Jahre wurde laut Simis (2010) der ‚Brasilianische Filmvertrieb’14 vor allem mit dem Ziel gegründet, die Durchsetzung der Vorführungsverpflichtung einheimischer Filme in den Kinos zu überwachen. In diesem Zusammenhang wurde im Jahr 1936 noch das ‚Einheimische Institut der Lehrfilme’ 15 eingeführt – „die erste und langlebige staatliche Agentur, die nach der brasilianischen Kinematographie eingerichtet wurde“ (Leite 2005, 36).16 Mittels des INCE wurden vom Staat in Auftrag gegebene Filme produziert und „dank staatlicher Maßnahmen wie dieser wurde Getúlio Vargas als „Vater des brasilianischen Kinos“ angesehen“ (Leite 2005, 39).17 In den 1930er Jahren setzte sich in verschiedenen Ländern, bspw. in Italien unter der Regierung Mussolinis, die Meinung durch, dass Bücher durch Filme ersetzt und diese als Lernmittel genutzt werden könnten (Leite 2005). Diese Idee wurde nicht nur seitens der Staatregierung in Brasilien verteidigt. Die damaligen bekanntesten brasilianischen Filmemacher waren der gleichen Meinung. Als gute Beispiele lassen sich Humberto Mauro und Carmem Santos nennen, die sich wünschten, dass „die Staatsregierung sich zu einem großen Beschützer der inländischen Filmproduktion entwickle“ (Leite 2005, 39).18 Humberto Mauro war laut Leite in den 1930er Jahren der bekannteste Filmregisseur Brasiliens und ist im Laufe dieses Jahrzehnt zur bedeutendsten Person des Institut INCE geworden. Er war mehr als zehn Jahre für das INCE tätig und hat eine der wichtigsten Serien von Lehrfilmen dieses Landes, eine Serie vom Dokumentarfilm namens  BRASILIANAS (BRA, R: Humberto Mauro) produziert (Leite 2005). Während der 1930er und 1940er Jahre war die kinematographische Aktivität Brasiliens sehr stark bürokratisiert (Simis 2010). Dies geschah, meint Simis, vor allem, weil nur ein Drittel                                                                                                                 14 Auf Portugiesisch ‚Distribuidora de Filmes Brasileiros (DFB)’. Auf Portugiesisch ‚Instituto Nacional de Cinema Educativo (INCE)’ (1936). 16 Auf Portugiesisch „primeiro e mais duradouro órgão estatal voltado para o cinema brasileiro” (Leite 2005, 36). 17 Auf Portugiesisch „medidas como esta contribuíram para que Getúlio Vargas fosse considerado „o pai do cinema brasileiro”“ (Leite 2005, 39). 18 Auf Portugiesisch „transformar o Estado em um grande mecenas, protetor das atividades nacionais” (Leite 2005, 39). 7 15  
  • 12.   der Filmvorführer das Gesetz zur Protektion der obligatorischen einheimischen Filmvorführung respektierte und sich die Medien ihrerseits stark gegen dieses Gesetz positionierten. Die Zensur durch die Staatsregierung auf die kinematographische Aktivität wurde ab dem Jahre 1934 in die Verantwortung der ‚Abteilung für Propaganda und kulturelle Verbreitung (DPDC)’19 und ab 1939 in die der ‚Abteilung für Presse und Propaganda (DIP)’20 gegeben (Leite 2005). In den 1940er Jahren wird besonders eine Bemühung seitens der staatlichen Maßnahmen auf dem Kinomarkt des Landes beobachtet, die im Endeffekt die inländische Filmproduktion nicht beschützte (Simis 2010). Simis ist der Meinung, dass sich die Entwicklung der brasilianischen Filmproduktion und die Entwicklung staatlicher Maßnahmen gegenseitig beeinflussen und gleichzeitig Ursache und Wirkung der jeweils anderen Entwicklung sind, so die Autorin: Die Bildschirm-Quote kam daher der inländischen Filmproduktionen zugute, sodass ungefähr 50 nationale Filme ab dem Jahr 1968 produziert worden sind. Ohne Zweifel erreichte diese Quote die Zahl von 140 Tagen im Jahre 1978 nachdem im selben Jahr die ersten hundert einheimischen Filme produziert wurden (Simis 2010, 154).21 Zu Beginn der 1950er Jahre, so Simis (2010), wurde das Gesetze über die Vorführungsverpflichtung einheimischer Filme modifiziert, weil die große Mehrheit der nationalen Studios, die in den 1940er Jahren gegründet wurden, extreme Schwierigkeiten hatten weiter aktiv zu bleiben und profitable zu arbeiten. Aus diesem Grund haben laut Simis die Filmemacher die Staatsregierung unter Druck gesetzt, wodurch eine Gesetzesänderung verabschiedet wurde. Zusätzlich wurde noch ein Vertreter des ‚Einheimischen Syndikats der kinematographischen Industrie’22 ernannt, das die Durchsetzung des Gesetzes überwachen sollte (Simis 2010). Das Gesetzes aus dem Jahre 1952 schrieb vor: „wenn es der Fall wäre, dass das Kino ein wöchentliches Programm hätte, müssten sechs inländische Filme vorgeführt werden; wenn es zwei wöchentliche Programme wären, dann zwölf; wenn drei, achtzehn usw.“ (Simis 2010, 152). 23 Trotz dieser Gesetzesänderung wurde erst zur Zeit der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 ein systematischer und expressiver Anstieg an                                                                                                                 19 Auf Portugiesisch ‚Departamento de Propaganda e Difusão Cultural (DPDC)’. Auf Portugiesisch ‚Departamento de Imprensa e Propaganda (DIP)’. 21 Auf Portugiesisch „Assim, a cota de tela certamente contribuiu para incentivar uma produção de mais de meia centenas de filmes, a partir de 1968, e sem dúvida chegou aos 140 dias, em 1978, após termos produzido, nesse mesmo ano, a primeira centena” (Simis 2010, 154). 22 Auf Portugiesische ‚Sindicato Nacional da Indústria Cinematográfica’. 23 Auf Portugiesisch „Com isso, se o cinema tem um programa semanal, seis filmes deveriam ser nacionais; se tem dois, 12; se tem três, 18; e assim por diante” (Simis 2010, 152). 8 20  
  • 13.   Filmproduktion spürbar, bspw. zeigt dies der Vergleich zwischen 1969 und dem Jahr 1978: 1969 mussten an 63 Tagen im Jahr einheimische Filme gezeigt werden, 1978 waren es schon 140 Tagen (Simis 2010). Zur Zeit der Militärdiktatur wurden das ‚Einheimische Institut für Kino (INC)’ (1966-1975) 24 und der ‚Einheimische Rat des Kinos (Concine)’25 gegründet (Rubim 2010, Simis 2010). Das Institut INCE, 1936 ins Leben gerufen, wurde dann von dem Institut INC abgelöst, wobei laut Simis (2010) das INC für die Formulierung und Durchsetzung staatlicher Maßnahmen bezüglich der Produktion, des Exportes und der Vorführung der einheimischen Filme verantwortlich wurde. Ziel des INC war vor allem die Entwicklung der nationalen Filmindustrie (Simis 2010). In diesem Sinne war die Bedeutung staatlicher Maßnahmen angesichts der finanziellen Förderung kinematographischer Tätigkeiten selbst sowieso enorm. Darüber hinaus kann das Ende aller staatlichen Förderungen, die des nationalen Filmsektors bis 1990 erhielt, als gutes Beispiel aufgeführt werden, da sich durch das Ende finanzieller Unterstützungen seitens der Staatsregierung die einheimischen Filmemacher nicht mehr in der Lage befanden, Filme zu produzieren. 2.2.2 Finanzierung Eine der weiteren Verantwortlichkeit des Institutes INC lag in der Verleihung von Preisen oder in der direkten finanziellen Förderung der einheimischen Filmproduktion (Simis 2010). Ein Teil des Geldes, womit dieses Institut seine Funktionen erfüllte, stammte laut Simis aus den Aktivitäten der ausländischen Filmvertriebe, wie bspw. in Form von Steuergeldern. Im Jahre 1969 gründete die Staatsregierung die ‚Brasilianische staatliche Filmgesellschaft (Embrafilme)’26, die das Institut INC ihrerseits allmählich ersetzte, wodurch der Einfluss der Staatsregierung auf die Tätigkeiten in der Filmindustrie des Landes drastisch erhöht wurde (Simis 2010, Leite 2005). Dies geschah besonders im Laufe der 1970er Jahre und hatte erhebliche Auswirkungen, die sich bspw. mit der zunehmenden Anzahl nationaler Filme belegen lassen (Simis 2010). Staatliche Förderungen der kinematographischen Aktivitäten kommen in verschiedenen Formen vor. Beispiele dafür sind das aktuelle ‚Programm zur Unterstützung der Entwicklung                                                                                                                 24 Auf Portugiesisch ‚Instituto Nacional de Cinema (INC)’ (1966). Auf Portugiesisch ‚Conselho Nacional de Cinema (Concine)’ (1979). 26 Auf Portugiesisch ‚Empresa Brasileira de Filmes S/A (Embrafilme)’ (1969-1990). 25 9  
  • 14.   einheimischer Kinos (Prodecine)’ 27 und die ‚Finanzierungsfonds der einheimischen Filmindustrie (Funcine)’ 28 (Simis 2010). Daneben sind staatliche Förderungen an die filmische Szene des Landes auch in Form von Filmfestivals oder von Preisverleihungen gerichtet. Beispiele dafür sind der Preis namens ‚Prêmio Resgate’ aus den frühen 1990er Jahre, sowie die direkte Finanzierung filmischer Aktivitäten durch die Staatsregierung in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts anlässlich der ‚Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit Brasiliens’ (Morettin 2010, Simis 2010). Dabei hatte die damalige Staatsregierung in 1922 und 1923 eine große Geldsumme in die Produktion von Filmen, die Landschaftsaufnahmen oder Szenen vom landwirtschaftlichen und industriellen Leben Brasiliens zeigten, investiert (Morettin 2010). Dazu wurde laut dem Autor ein Komitee eingerichtet, das für die Bestimmung der Leitlinien zu den Themen, die in diesen Filmen angesprochen werden sollten, verantwortlich war. Der gesamte Produktionsprozess dieser Filme wurde dann von diesem Komitee bestimmt, wobei der Film NO PAÍS DAS AMAZONAS (BRA, 1922, R: Agesiliau de Araújo und Silvio Santos) den goldenen Preis gewann (Morettin 2010). 3. Brasilianisches Kino In diesem Kapitel werden vier kinematographische Produktionsphasen des 20. Jahrhunderts näher untersucht. Sie lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: (a) diejenige, die der ersten Periode intensiver inländischer Filmproduktion entspricht, bekannt als ‚Die schöne Epoche des brasilianischen Kinos’ oder einfach ‚Die schöne Epoche’29 – Bezeichnung von Vicente de Paula Aguilar (Gomes 1996); (b) jene, die durch eine Produktion von Filmen, die einer ähnlichen Thematik und Ästhetik aufweisen, gekennzeichnet ist und die als brasilianischen Filmgenres generell hierbei mittels der Titel ‚Carnavalescas und Chanchadas’, ‚Cinema Novo’ und ‚Pornochanchada’ betrachtet werden. Dieses Kapitel orientiert sich hauptsächlich und argumentativ an den Arbeiten von Bernardet (2009) und Gomes (1996). Gomes war ein aktiver Filmkritiker, der der Generation der im                                                                                                                 27 Auf Portugiesisch ‚Programa de Apoio ao Desenvolvimento do Cinema Nacional (Prodecine)’. Auf Portugiesisch ‚Fundos de Financiamento da Indústria Cinematográfica Nacional (Funcines)’. 29 Auf Portugiesisch ,Bela Época do Cinema Brasileiro’ oder einfach ‚Bela Época’, oder noch wie es Schumann (1988) beschreibt ‚Die goldene Epoche des ersten Aufschwungs’. 10 28  
  • 15.   Jahre 1941 gegründeten Zeitschrift ‚Klima’ sowie dem damaligen bekannten ‚Clube de Cinema’ angehörte, beide mit Sitz in São Paulo (Oricchio 2003). Bernardet (2009) seinerseits war selbst ein Freund von Gomes und orientiert sich u.a. auch an Gomes (1996). Gomes war laut Oricchio (2003) die erste Person, der es gelang den Film als intellektuelles Medium in Brasilien zu etablieren. Das folgende Zitat, das in akademischen Studien häufig auftaucht und in dem es um das ‚Nationalgefühl’ geht, wurde von ihm verfasst. So der Autor: Wir sind keine Europäer oder Nordamerikaner, sondern Inhaber einer eigenen Kultur, nichts ist uns fremd, denn alles ist. Die mühsame Schaffung von uns selbst entwickelt sich in der dünnen Dialektik zwischen dem Nicht-Sein und dem Sein eines Anderen. Der brasilianische Film beteiligt sich an dem Mechanismus und gleichzeitig ändert sich dieser Mechanismus durch unsere kreative Inkompetenz etwas zu kopieren. Das filmische Phänomen in Brasilien bezeugt und skizziert viele nationale Unbeständigkeit (Gomes 1996, 90).30 Nachfolgend wird die Problematik des Nationalgefühls im historischen Kontext der Kinematographie in Brasilien erörtert. Dies in Anbetracht der Tatsache, dass die Suche nach einer eigenen brasilianischen Filmsprache, sowohl unter den Filmemachern als auch der Staatsregierung seit Beginn dieser Aktivität im Brasilien diskutiert wird. 3.1 Das Nationalgefühl Der Nationalstaat lässt sich durch „die politische Unabhängigkeit, bzw. die politische Souveränität sowie durch die legale territoriale Einheit“ (Chauí 2001, 9) 31 eines Staates definieren. Diese Definition ist in theoretischen Debatten sehr präsent, wo brasilianischen Filmemachern versuchen die eigene Souveränität ihrer Filmproduktion gegenüber den ausländischen Produktion im Land zu erreichen. Dieser Prozess dauert immer noch an. Aus diesem Kontext heraus können verschiedene Momente in der Kinogeschichte des Landes, indem einen großen Appell im Rahmen der nationalen Einheit innerhalb der Kinematographie verteidigt wurde, veranschaulicht werden (Rosa 2007). Es ist daher als eine Verteidigung einer singulären Art und Weise des Filmemachens zu verstehen, die auf der Ebene einer                                                                                                                 30 Auf Portugiesisch „Não somos europeus nem americanos do norte, mas destituídos de cultura original, nada nos é estrangeiro, pois tudo o é. A penosa construção de nós mesmos se desenvolve na dialética rarefeita entre o não ser e o ser outro. O filme brasileiro participa do mecanismo e o altera através de nossa incompetência criativa em copiar. O fenômeno cinematográfico no Brasil testemunha e delineia muita vicissitude nacional” (Gomes 1996, 90). 31 Auf Portugiesisch „definida pela independência ou soberania política e pela unidade territorial legal“ (Chauí 2001, 9). 11  
  • 16.   primären Ästhetik hervorgehoben sein könnte, eigen, gemeinsam, homogen und einmalig, d.h. die nationale Ästhetik einer Filmproduktion. Kurz gesagt, Filme, die von brasilianischen Unternehmen und nach Art des brasilianischen Landes produziert und vertrieben wurden. Hierbei lassen sich zwei Manifeste, die auf internationaler Ebene Bedeutung erlangen, zitieren: ,Towards a third cinema’ (Solanas/Octavio 2013) und ,Le cinéma s’insurge’ (Etats Generaux de Cinema 2013). Das ,Dritte Kino’ ist, laut Gomes (1996), eine spezielle Auffassung des Filmemachens, die besonders in den 1960er Jahren von Branchenexperten aus verschiedenen Länder der ,Dritten Welt’ stark debattiert wurde. Dabei handelte es sich vor allem um die Verteidigung der Hegemonie der nationalen Filmproduktion innerhalb dieser Länder gegenüber ausländischen Produkten sowie um die Suche nach einer nationalen Identität im Rahmen der Filmsprache (Deutsches Historisches Museum 2013). Die Logik der Bewegung des ,Dritten Kinos’ entspricht besonders den Filmen, die in Afrika, Lateinamerika (bspw. Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko), Indien und in einigen arabischen Ländern (z. B. Ägypten) gedreht wurden (Gomes 1996). Mit einem starken politischen Inhalt thematisierte diese Bewegung bspw. die dichotome Diskussion über die ‚Länder der Kolonisatoren’ und die ‚kolonialisierten Länder’, unter der Bekämpfung sogenannter imperialistischer Regierungen wie z. B. die der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) (Solanas/Octavio 2013). Die Verfolgung und Verteidigung einer nationalen Filmästhetik, sowie der Vorherrschaft der nationalen Filmproduktion im inländischen Filmmarkt, ist immer noch in Brasilien wahrnehmbar. Ebenso aktuell ist die Idealisierung des ‚nationalen Ichs’. Ein gutes Beispiel dafür ist das Film POLICARPO QUARESMA: HERÓI DO BRASIL (BRA, 1998, R: Paulo Thiago) veröffentlicht wurde und genau dieses Thema erörtert (Oricchio 2003). Hierbei handelt es sich um die Verfilmung eines extrem nationalistischen literarischen Werkes, das Lima Barreto anfangs des 20. Jahrhunderts schrieb. Oricchio (2003) meint, dass nationalistische Themen, Ideen oder Ideologien sich deshalb so lange in Brasilien beobachten lassen und immer noch so präsent sind, dass dieses literarische Werk des frühen 20. Jahrhunderts 75 Jahre nach seiner Veröffentlichung thematisch immer noch sehr aktuell erscheint. 12  
  • 17.   3.2 Kinematographische Produktionsphasen Die brasilianische Filmproduktion begann in der ersten Dekade des zwanzigsten Jahrhunderts, als es noch keinen echten kinematographischen Markt gab (Simis 2010). Trotz alledem wurden zwischen 1887 und 1907 schon circa 151 Filme im Land gedreht (Simis 2010). Über die folgenden Jahre hinweg wird im Rahmen der Filmgeschichte Brasiliens geschrieben, dass die Zahl inländischer Filmproduktionen größer als die Zahl der ausländischer Filme, die damals im Land zu sehen waren, war (Leite 2005, Gomes 1996). Obwohl der erste Kinosaal in Brasilien im Jahr 1887 eingeweiht wurde, sind brasilianische Städte erst 1907 ans Stromnetz angeschlossen worden, als sich die Anzahl der Kinosäle im Land schnell erhöhte (Souza 2009, Gomes 1996). Um ca. 1907 erweiterten die Branchenexperten intensiver ihre Aktivitäten bzgl. der einheimischen Filmproduktion, denn bis zu diesem Zeitpunkt führten sie fast ausschließlich ausländische Filme auf (Gomes 1996). Diese Epoche wird als der „erste Ausbruch der brasilianischen Kinematographie“ (Gomes 1996, 91)32 gekennzeichnet. 3.2.1 Bela Época ‚Die schöne Epoche des brasilianischen Kinos’ umfasst nach Simis (2010) die Jahre 1908 bis 1913 aber für Bernardet (2009), Leite (2005), Gomes (1996) und Schumann (1988) umfasst diese Epoche den Zeitraum von 1907 bis 1911. Diese Phase zeichnet sich durch den Übergang von einer starken nationalen Kurzfilmproduktion, die fast immer dokumentarische Eigenschaften hatte, auf die Herstellung von längeren und fiktionalen Filmen aus (Gomes 1996). Der Übergang vom kurzen Format im ‚Cinema of Attractions’, in dem in einer Art Nummernprogramm eine Reihe von kurzen Filmen nacheinander im Kino gezeigt wurde, zum langformatigen Spielfilm, also von Produktionen, die eher narrativ organisiert waren und mit Montage operierten, vollzieht sich in Europa und den USA ebenfalls in der Zeit von 1908 bis 1913. Die ersten erfolgreichen Filme stammten aus dem Genre des Thrillers, danach standen Filme, die einer Adaptation aus dem Genre der ‚Musikzeitschriften’ mit aktuellen Themen entsprachen (Gomes 1996). Außerdem gab es noch ein großes und abwechslungsreiches                                                                                                                 32 Auf Portugiesisch „primeiro surto cinematográfico brasileiro” (Gomes 1996, 91). 13  
  • 18.   Angebot von Filmen aus dem dramatischen und komischen Genre sowie viele Melodramen und Produktionen, die zum Zweck hatten, die städtische Gewohnheit des Menschen zu kritisieren (Gomes 1996). Diese Zeit wurde von Bernardet (2009) auch als eine Epoche von großer Produktion von Thrillern, die auf damaligen wahren Verbrechen basierten, umschrieben. Von daher gab es viele „Polizeisatiren, die eine Adaptation von dem erfolgreichen Genre des Theaters auf die Kinoleinwand gebracht haben, d.h. Filme, die auf Opern und Operetten basierten“ (Bernardet 2009, 128).33 Diese Filme befassten sich mit Themen, die die Stadt in der damaligen Zeit interessierte – Krimis, Politik und andere Unterhaltungen – sie waren in ihrer Art nicht nur brasilianisch in der Wahl der Themen, sondern auch in der geringen Geschicklichkeit, mit der sie die ausländischen Filmapparate behandelten. [...] Tatsache ist, dass kein zeitgenössisches ausländisches Produkt je den Triumph erreichte, den die damaligen inländischen Filmproduktionen erzielt haben (Gomes 1996, 91).34 Ein weiteres Merkmal dieser Epoche ist laut Leite (2005) die starke Übereinstimmung zwischen Filmproduzent und Filmvorführer. Simis (2010) führt folgende zwei Übereinstimmungen auf: zwischen Filmproduzent und Filmvorführer, wobei manchmal der Filmproduzent selbst der Filmvorführer war, und zwischen den Zuschauern und den inländischen Filmproduktionen, denn in diesem Zeitraum hat die nationale Filmproduktion das Zuschauerinteresse stark geweckt. Bedingt durch die Filmproduktionen von musikalischen Filmkomödien, wurde erst in den 1930er Jahren wieder ein Sympathiezuwachs bezüglich der inländischen Zuschauer registriert (Bernardet 2009). Nach Gomes (1996) wurden in der Zeit der Bela Época die damaligen Journalisten und Theaterexperten auch als Drehbuchautoren und Filmregisseure tätig, aber da sie jedoch allmählich in ihre ursprünglichen Berufe zurückkehrten, kam es zum Kollaps der inländischen Filmproduktion. Über das Ende der Bela Época schrieb Leite (2005) seinerseits, dass die damaligen zwei Hauptgenres der brasilianischen Kinematographie, gemeint sind hier die ‚Musikalischen Filmen’ und die ‚Zeitschriften des Jahres’35, nicht mehr von den Zuschauern positiv angenommen wurden. Im Jahr 1912 wurde dann nur eine inländische fiktionale                                                                                                                 33 Auf Portugiesisch „policiais baseados em crimes que ocupavam a opinião pública no momento, sátiras policiais que esticavam para o cinema um gênero de muito sucesso no teatro, filmes baseados em óperas e operetas” (Bernardet 2009, 128). 34 Auf Portugiesisch „Esses filmes em torno de assuntos que no momento interessavam a cidade – crimes, política e outros divertimentos – não eram fautores de brasilianismos apenas na escolha dos temas, mas também na pouca habilidade com que era manuseada o instrumental estrangeiro. [...] O fato é que nenhum produto importado conheceu o triunfo de bilheteria desse ou daquele filme brasileiro” (Gomes 1996, 91). 35 Auf Portugiesisch ,Filmes Cantantes e Revista de Ano’ (Leite 2005). 14  
  • 19.   Filmproduktion registriert (Gomes 1996) und die inländischen Filme wurden erst wieder Mitte der 1920er Jahre in einer große nennenswerte Zahl produziert (Simis 2010). 3.2.2 Carnavalescas und Chanchadas Der erste vollständig gesprochene brasilianische Film namens ACABARAM-SE OS OTÁRIOS (BRA, 1929, R: Luiz de Barros) 36 wird von vielen Forschern als der Vorläufer des brasilianischen Filmgenres ‚Chanchada’ betrachtet (Leite 2005). Die Filmkomödien des Typs ‚Carnavalesca und Chanchada’ befassen sich mit den zahlreichen komödiantischen Musikfilmen aus den 1930er, 1940er und 1950er Jahren (Gomes 1996). Zwischen 1930 und 1960 stehen in Brasilien laut diesem Autor viele bedeutsame politische Ereignisse, wie zum Beispiel den kommunistische Putsch. Trotzdem wurde bei dieser Art von Komödien nur die Teilnahme Brasiliens am zweiten Weltkrieg thematisiert (Gomes 1996). Dabei handelte es sich um populäre Komödien, die relativ vulgär waren, die oft als Musicals umgesetzt wurden, und die einen großen Erfolg bei einem Teil der einheimischen Zuschauer erreichten (Gomes 1996). Die Carnavalescas sind eine Art Hollywood Musicals, die aber mit Karnevalsmusiken bearbeitet wurden und die Chanchadas lassen sich als eine Erweiterung der Carnavalescas betrachten (Bernardet 2009, Leite 2005). Die Filme der Art Chanchada waren oftmals „Parodien auf US-amerikanische Filme, die kurz zuvor in Brasilien veröffentlicht wurden wie bspw. Sansão e Dalila von Cecil B. De Mille [...] oder High Noon, der in Brasilien unter dem Titel Matar ou morrer lief” (Bernardet 2009, 115-116).37 Die musikalischen Komödien, besonders des Typs Carnavalesca, dominierten laut Bernardet (2009) die Filmproduktionen des Studios ‚Cinédia’, mit Sitzt in Rio de Janeiro, das in den frühen 1930er Jahren gegründet wurde. Bei den Filmen dieses Studios handelte es sich größtenteils auch um Wochenschauen und Dokumentarfilme (Cinédie 2013). Von daher widmete sich dieses Studios durch die ersten 20 Jahre seiner kinematographischer Produktion den wichtigsten Geschehnissen von Rio de Janeiro (Gomes 1996). Von großer Relevanz lassen sich zwei musikalische Filmkomödien bei der Produktion der Art Carnavalesca dieses Studios nennen: A VOZ DO CARNAVAL (BRA, 1933, R: Adhemar Gonzaga und Humberto Mauro) und ALLÔ, ALLÔ BRASIL (BRA, 1935, R: Wallace Downey, João de Barros und A.                                                                                                                 36 Am 1929 unter der Regie von Luiz de Barros veröffentlich (Leite 2005). Auf Portugiesisch „paródias de filmes americanos lançados pouco antes no Brasil, respectivamente Sansão e Dalila, de Cecil B. de Mille (ou Cecilio de Milho, conforme Carnaval Atlântida, 1952) e High Nonn, que no Brasil recebeu o título de Matar ou morrer“ (Bernardet 2009, 115-116). 15 37  
  • 20.   Ribeiro, Musik: Charles Whally) (Cinédia 2013, Leite 2005). Im US-amerikanischen Kino, in Hollywood-Produktionen, fungiert Brasilien als exotischer Schauplatz für Musicals; in einem frühen Musical mit dem Titel FLYING DOWN TO RIO (USA, 1933, R: Thornton Freeland, Musik: Max Steiner) mit Fred Astaire, wird in Tanzszenen explizit offensichtlich, wie der US-amerikanische Tap-Dancer auf die lokalen Rhythmen in Rio zurückgreift und diese ‚übersetzend‘ in sein eigenes Repertoire integriert. Die kinematographische Aktivität in Brasilien ist durch die Konzentration der nationalen Filmproduktionen in Rio de Janeiro und São Paulo geprägt, was bis zum heutigen Tage der Realität entspricht (Observatório Brasileiro do Cinema e do Audiovisual 2013). Dies zeichnet sich bspw. durch die Filmproduktionen aus den Jahren 1933 bis 1949 aus. In dieser Zeit wurden ca. 130 Filme im Land gedreht, wobei 90% dieser Filme aus Rio de Janeiro stammten (Gomes 1996). Außer dem Studio Cinédia produzierte das Studio ‚Atlântida’, 1941 gegründet, zahlreiche Filmkomödien und war dabei das erfolgreichste Filmstudio der Filmproduktion von Chanchada (Bernardet 2009).38 Das Chanchada war eine Imitation westlicher Muster des Musicals und des Lustspiels ein spezifisch brasilianisches Genre mit derart lokaler Ausprägung, dass es – anders als der argentinische Tangofilm oder der mexikanische Melodrama (rancheras), die etwa gleichzeitig den lateinamerikanischen Markt füllten – keine Verbreitung auf dem übrigen Kontinent fand (Schumann 1988, 18-19). Obwohl diese Filme und deren Figuren die öffentliche Aufmerksamkeit geweckt und eine große Anzahl inländischer Zuschauer gewonnen hatten, erlangte dieser Filmgattung einen Misserfolg unter den brasilianischen Kritikern und den Mächtigen dieses Landes (Bernardet 2009, Gomes 1996). Die Figuren, wie z. B. diejenigen die von Oscarito, Grande Otelo, Zé Trindade und Derci Goncalves gespielt wurden, wurden von den Kritikern als sehr grotesk und vulgär wahrgenommen (Gomes 1996). Im Laufe der 1950er Jahre waren die Filme des Typs Chanchada immer noch erfolgreich, aber dann besonders in São Paulo, wo sie von Amácio Mazzaroppi produziert wurden (Gomes 1996). Der Autor ist der Meinung, dass das Studio Cinédia seine Anziehungskraft bei den Zuschauern verlor, weil im Laufe der 1950er Jahre das Fernsehen immer mehr an Bedeutung gewann. Eine ähnliche Meinung teilt auch Bernardet (2009) über das Ende der musikalischen Komödien der Art Chanchada. Den großen Publikumserfolg und den Misserfolg unter den                                                                                                                 38   Siehe hierzu Agência Nacional do Cinema (Ancine) (2013a). 16  
  • 21.   zeitgenössischen Kritikern und den Mächtigen des Landes erlebte die brasilianische ‚Cinema Novo’ Bewegung nicht wirklich. 3.2.3 Cinema Novo Die kinematographische Produktionsphase, die sich in Brasilien in den 1960er Jahren unter dem Namen ‚Cinema Novo’ entwickelte, ist bezüglich der einheimischen Filmproduktionen wahrscheinlich diejenigen, die bis jetzt am häufigsten erforscht wurde. Eine Tatsache ist jedoch, dass die Filme der Art der Cinema Novo Bewegung39 in den großen Kinosälen des Landes grundsätzlich nicht aufgeführt wurden. Die damaligen inländischen Filmvorführer zeigten laut Bernardet (2009) diese Filme sehr ungerne, mit dem Argument, dass sie den Zuschauern nicht gut gefielen und von daher ihre Produktion von Anfang an zu einem finanziellen Misserfolg führte. Natürlich gab es einige Ausnahmen, wie z. B. das Film MACUNAÍMA (BRA, 1969, R: Joaquim Pedro de Andrade), der einen großen Publikumserfolg verzeichnet hat (Leite 2005). Im Endeffekt ist es einer der Wünsche mancher Regisseure der Cinema Novo Bewegung gewesen, meint der Autor, am Rand der Filmindustrie zu stehen, denn sie wollten mittels ihres Filmes eine politische und ästhetische Revolution durchführen, die beiden Projekte [politisch und ästhetisch] implizierten, neben anderen Aspekten, das Ausprobieren einer neuen filmischen Zeitwahrnehmung und einem neuen filmischen Gedankenkriterium, die den kommerziellen Filmen, d.h. produzierten Filmen mit Befriedigungs- und Unterhaltungsabsicht, bis dahin fremd waren (Leite 2005, 103).40 Die Cinema Novo Bewegung hat ihre Wurzeln in der Veröffentlichung einer großen Anzahl von Filmen in der Region um Bahia im Nordosten Brasiliens, wobei sie in der ersten Hälfte der 1960er Jahre fast nur in dieser Region im Landes produziert wurden (Gomes 1996). 1961 veröffentlichte der Regisseur Glauber Rocha, der laut Leite (2005) zur großen Ikone der Cinema Novo Bewegung wurde, seinen ersten Film namens BARRAVENTO (BRA, 1961, R: Glauber Rocha). Dieser ersten Filmproduktion Glauber Rochas folgte die Produktion seines erfolgreichsten Filmes namens DEUS E O DIABO NA TERRA DO SOL (BRA, 1964, R: Glauber Rocha), „der die berühmteste Utopie des brasilianisches Kinos formulierte: Das Sertão wird                                                                                                                 39 Auf Portugiesisch Movimento Cinemanovista. Auf Portugiesisch „os dois projetos [político e estético] implicavam, entre outros aspectos, a experimentação de uma nova concepção de tempo e uma lógica para o pensamento, estranhas aos filmes de apelo comercial, voltados em sua maioria para a gratificação e o entretenimento” (Leite 2005, 103). 17 40  
  • 22.   zu Meer und das Meer zum Sertão“ (Nagib 2006, 25).41 Die Filmproduktionen des Typs Cinema Novo wurden fast nur in Rio de Janeiro gedreht, wobei dort sowohl intellektuelle und idealistische Regisseure wie bspw. Paulo Cesar Sarraceri, Ruy Guerra, Carlos Diegues und Leon Hirzman tätig waren (Gomes 1996).42 Der Film DEUS E O DIABO NA TERRA DO SOL lässt sich als gutes Beispiel zur Charakterisierung der Cinema Novo Bewegung verwenden, in der Weise, dass dieser Film von den Filmekritikern oftmals erörtert wurde, fand jedoch unter dem einheimischen Publikum kaum Erfolg. „Die hermetische Filmsprache und der Formalismus des Regisseurs haben den Wahrnehmungszugang der Zuschauer fast versperrt“ (Leite 2005, 103). Damit meinte Leite, dass die Zuschauer damals die filmischen Inhalte nicht verstanden haben. Bernardet (2009) teilt die gleiche Meinung, dass die große Zahl einheimischer Kinogänger, welche damals in die Kinos strömten, die Filme des Cinema Novo nicht verstehen konnten und sich deshalb diese Art von Filmen nicht weiter anschauten. Fakt ist, dass die Filmemacher der Cinema Novo Bewegung ihre Filme mittels des Gewinns in den Kinokassen nicht finanzieren konnten (Bernardet 2009). Diese Art der Filmproduktion lässt sich im Rahmen der Filmegeschichte Brasiliens als sehr wichtig betrachten, insbesondere im Rahmen ihrer ästhetischen Filmsprache (Leite 2005). Außerdem hat diese Produktionsphase die Aufmerksamkeit der damaligen ausländischen Branchenexperten stark gelenkt (Bernardet 2009). Dies geschah wahrscheinlich, weil sich nationalistische Ideale und das Streben nach nationalem Fortschritt seitens der brasilianischen Filmemacher der Cinema Novo Bewegung parallel zu den Idealen der internationalen ‚Dritten Kino’ Bewegung entwickelten. Eigentlich lassen sich die Filme, die bei der Cinema Novo Bewegung produziert wurden, als ‚Zweites Kino’ oder ‚Autorenfilm’ im Rahmen Octavios Genitos Aussagen im Video Octavio Getino (1935-2012) (TC 0.00.30-0.01.14) betrachten. Dies, weil es bei den Filmemachern der Cinema Novo Bewegung um einen Kompromiss angesichts der Zuschauer nicht wirklich ging, wie es der Fall bei der Filmproduktion des ‚Dritten Kinos’ war. Ganz im Gegenteil, die Filmemacher der Cinema Novo Bewegung hatten laut Bernardet (2009) den grundlegenden Wunsch sich selbst dem Publikum zu widersetzen, unter dem Argument, dass „die Regisseure, die größtenteils mit dem Publikum einverstanden                                                                                                                 41 Auf Portugiesisch „Em 1964, Deus e o diabo na terra do sol formulou a utopia mais famosa do cinema brasileiro: O sertão vai virar mar e o mar vai virar sertão” (Nagib 2006, 25). 42 Mehr über brasilianische Regisseure des 20. Jahrhunderts bei Schumann (1988). 18  
  • 23.   waren, bestimmte soziale Funktionen haben, aber keine erforderlichen Intellektuellen sind“ (Bernardet 2009, 224).43 Die Entwicklung dieser Bewegung wurde von Leite (2005) systematisch analysiert, wobei sie in drei bestimmte Perioden nach thematischen Kriterien unterteilt wurde, die den Zeiträumen von 1962 bis 1964, von 1965 bis 1966, und von 1967 bis 1969 entsprechen. Leite (2005) ist der Meinung, dass im Laufe der Jahre 1962 bis 1964 die Regisseure der Cinema Novo Bewegung versuchten, die Menschlichkeit auf der gesellschaftlichen Ebene mittels der Filme zu erklären (Leite 2005). In diesem Zeitraum hebt dieser Autor die Veröffentlichung der Filme VIDAS SECAS (BRA, 1963, R: Nelson Pereira dos Santos), OS FUZIS (BRA/ARG, 1964 , R: Ruy Guerra) und PORTO DE CAXIAS (BRA, 1962, R: Paulo Cesar Saraceni) hervor. Aus der thematischen Perspektive heraus ist es merkwürdig, dass in diesem Zeitraum fast alle produzierten Filme der Art Cinema Novo das Agrar-System Brasiliens, wie auch das Elend der Bauern und die verschiedenen Systeme der Unterdrückung im Land zur Diskussion brachten (Bernardet 2009). Die Figuren dieser Filme bildeten das damalige Agrar-Universum Brasiliens in der Art und Weise, dass ein Teil der wirtschaftlich herrschenden Klassen in Brasilien, nämlich die ländliche Bourgeoise, kritisiert wurde, wobei jedoch die industrielle Bourgeoise nicht kritisiert wurde, weil diese die Cinema Novo Bewegung sponserte (Bernardet 2009). Bis 1964 konnten die ‚cinemanovistischen’ Filmemacher finanziell nur mit Hilfe von Bankkrediten und Förderungen seitens der ‚Kommission für Beihilfe der Filmindustrie (Caic)’44 bestehen (Bernardet 2009). Am Ende der 1960er Jahre erhielten die Filmemacher der Cinema Novo Bewegung neue Schutzmechanismen von der damaligen militärischen Staatsregierung (Leite 2005). In diesem Sinne meint Bernardet (2009), dass die Filmemacher dieser kulturellen Bewegung die sozialen Wiedersprüche in Brasilien im Rahmen des sozialen Klassenkamps erörterten, sodass sie ideologisch mit dem damaligen ‚Hoch Institut für brasilianische Studie (Iseb)’45 verbunden waren, wobei eines der Ziele dieses Instituts der elitäre und industrielle-nationale Fortschritt war.                                                                                                                 43 Auf Portugiesisch „O autor que está de acordo com a grande maioria do público, tem determinada função social, não é, porém, um intelectual necessário” (Bernardet 2009, 224). 44 Auf Portugiesisch ,Comissão de Auxílio à Indústria Cinematográfica (Caic)’. 45 Auf Portugiesisch ,Instituto Superior de Estudos Brasileiros (Iseb)’ (1955-1964). 19  
  • 24.   Die sozialen Wiedersprüche der großen Städte Brasiliens wurden im Verlauf der Jahre 1965 und 1966 bei den Filmen der Art Cinema Novo thematisiert (Leite 2005). Genau zu diesem Zeitpunkt hat der Regisseur Glauber Rocha das große Ideal dieser Bewegung in Form des Manifestes ‚Eine Ästhetik des Hungers’46 veröffentlicht (Silva 2011). Damals wurden u.a. die Filme SÃO PAULO, SOCIEDADE ANÔNIMA (BRA, 1965, R: Luiz Sérgio Person) und A GRANDE CIDADE (BRA, 1966, R: Cacá Diegues) bekannt (Leite 2005). Außerdem wurden nach der Veröffentlichung des Filmes O DESAFIO (BRA, 1964, R: Paulo César Saraceni) viele Filme produziert, in denen der soziale Klassenkampf weiter zur Diskussion gestellt wurde, z. B. TERRA EM TRANSE (BRA, 1967, R: Glauber Rocha), O Gustavo Dahl) und OS INCONFIDENTES BRAVO GUERREIRO (BRA, 1968, R: (BRA/ITA, 1972, R: Joaquim Pedro de Andrade) (Bernardet 2009). Durch die Filmproduktionen aus den Jahren 1967 bis 1969 wurde dann die Opposition zwischen Filmemachern der Cinema Novo Bewegung und dem einheimischen Publikum evident (Leite 2005). In diesem Zeitraum „waren die tiefe Selbstkritik die Hauptmerkmale dieser Art von Filmen, die sowohl die inländischen Intellektuellen als auch die linke Seite der inländischen Politiker und selbst die Ideologie der Cinema Novo Bewegung betraf“ (Leite 2005, 101).47 Entgegen aller ideologischen und idealistischen Sozialkritiken die mittels der Filme des Typs Cinema Novo erörtert wurden, lässt sich die Produktionsphase ‚Pornochanchada’ betrachten. 3.2.4 Pornochanchada Obwohl die große Mehrheit der einheimischen Filme in der Stadt Rio de Janeiro gedreht wurden, spielt die Stadt São Paulo für die inländischen Filmeaktivitäten auch eine große Rolle. Einige wichtige Regisseure, die in Rio de Janeiro sehr aktiv waren, haben bspw. ihre Karriere in der Stadt São Paulo begonnen (Aggio 2005). Unter ihnen Walter Hugo Khouri und Anselmo Duarte, die auch sehr aktiv in den 1960er Jahren waren, aber die Ideologie der Filmemacher der Cinema Novo Bewegung nicht teilten (Agio 2005).                                                                                                                 46 Auf Portugiesich ‚Uma estética da fome’(1965).   Auf Portugiesisch „teve como característica principal a profunda autocrítica, não apenas da atuação dos intelectuais e da esquerda na história recente do país, mas do próprio Cinema Novo” (Leite 2005, 101). 20 47  
  • 25.   In den 1960er und 1970er Jahren war São Paulo „die Stadt, in der sich aus kulturpolitischen Perspektiven am meisten tat“ (Aggio 2005, 88). Diese Stadt war damals die Bühne sowohl für die Einführung mehrerer sogenannter ‚Cineclubes’, als auch für häufigere Debatten über die nationale Kinematographie z. B. an Universitäten und in ausgedruckter Form wie in Zeitschriften, die damals auf nationaler Ebene sehr bekannt wurden (Aggio 2005, Leite 2005). In São Paulo erschien auch die erste nationale ‚Cinemateca’ Brasiliens, sodass im Jahr 1952 mit Hilfe staatlicher Förderungen die ‚Cinemateca der Stadt São Paulo’ im modernen Kunstmuseum dieser Stadt eingeweiht wurde (Aggio 2005). In diesem Zusammenhang tauchten die Filme der Art Chanchada aus den Filmproduktionen der 1970er Jahre wieder auf, jedoch thematisch besonders umgeformt, von daher eine erotische Variante der Chanchada, die ‚Pornochanchada’ genannt wurde: „eine der originellsten filmischen Bewegung der kinematographischen Geschichte Brasiliens“ (Leite 2005, 107).48 Anders als die Filme nach der Art Chanchada wurden die Pornochanchadas grundsätzlich in der Stadt São Paulo gedreht, besonders im Zentrum dieser Stadt und genau in einer Region, die damals als ‚Müllmund’49 bekannt war (Leite 2005). Der Filmgenre Pornochanchada lässt sich vor allem als dramatisch charakterisieren und wurde in Brasilien als ‚Komödie von Gewohnheiten’50 populär bekannt (Bernardet 2009). Der Autor ist der Meinung, dass diese Filme vor allem die Zuschauer zum Lachen bringen versuchten: „Das platte Lustspiel und die musikalische Klamotte, die nun mit erotischen Ingredienzien versetzt zum Lust-Stück wurden und das spekulative Etikett, PornoChanchadas erhielten” (Schumann 1988, 33). In der ersten Hälfte der 1970er Jahre erlebten die Filme der Art Pornochanchada so einen großen Publikumserfolg, dass sich unter ihnen „einer der fünfundzwanzig größten Publikumserfolge des Landes befindet“ (Simis 2010, 156).51 Es waren kaputte Typen, die Müßiggang demonstrierten und nichts von Arbeit und Anstrengung hielten, die sich nur für sich interessierten, um mancherlei Spiele zu treiben, unter denen das des Bäumchen-wechsle-dich das beliebteste war, wo Geld und Potenz regierten, der schiere Egoismus und die pure Sexualität (Schumann 1988, 33).                                                                                                                 48 Auf Portugiesisch „um dos movimentos mais originais da história do cinema nacional“ (Leite 2005, 107). Auf Portugiesisch ,Boca do Lixo’. 50 Auf Portugiesisch ,Comédia de Costumes’. 51 Auf Portugiesisch „a pornochanchada é o gênero que tem grande sucesso, figurando entre as 25 maiores bilheterias do cinema nacional“ (Simis 2010, 156). 21 49  
  • 26.   Nach Bernardet (2009) haben sich die Regisseure der Filme des Typs Pornochanchada vom realen Leben inspirieren lassen. Der Autor ist seinerseits der Ansicht, dass diese Art von Filmen auch konservative Ideale mitgeteilt haben, z. B. in dem Kontext eines Happyends, wo Mann und Frau zusammen blieben. Die produzierten Filme der Filmemacher aus dem ‚Müllmund’ São Paulos befassten sich nicht nur mit der Filmeproduktion des Typs Pornochanchada. Leite (2005) berichtet, dass gleichzeitig auch das Genre Thriller in großen Mengen produziert wurden. Besonders charakteristisch für die Aktivitäten der Filmemacher der ‚Müllmund’ Region waren „die Förderungen in mittelwertige Filmproduktionen. Diese Filme entsprachen angemessenen artistischen und technischen Verfahrensweisen“ (Leite 2005, 108). 52 Die Filme aus der ‚Müllmund’ Region wurden im Endeffekt fast nur mit dem entsprechenden Zuschauererfolg bezahlt (Leite 2005). In diesem Zusammenhang waren die Filmproduktionen der Art Pornochanchada diejenigen, die damals großenteils die Aufmerksamkeit der einheimischen Branchenexperten geweckt haben (Bernardet 2009). Einerseits in Bezug auf die Wirkung dieser Filmegattung auf die inländische Gesellschaft, anderseits auf die große Anzahl der produzierten Filme dieser Art (Leite 2005). Dieser Autor meint, dass eine große Menge von Zuschauern ins Kino gegangen sind, um die Filme des Typs Pornochanchada anzuschauen, aber gleichzeitig positionierten sich die Staatsregierung und die hohe Bourgeoise Brasiliens gegen die Filmproduktion dieser Art. Der Kampf gegen die Filmproduktion von Pornochanchada war in der Mitte der 1970er Jahre so stark, dass „ein Protestmarsch in der Stadt Curitiba mit dem Slogan „Die Familie gegen die Pornochanchada“ stattfand“ (Leite 2005, 109).53 Diese Art von Filmproduktion unterscheidet sich erheblich von der des Typs Cinema Novo. Gutes Beispiel dafür ist die Art und Weise, durch die die Dynamik zwischen Zuschauer und Filmgenre aufgebaut wurde. In diesem Zusammenhang meint Bernardet (2009), dass die Pornochanchadas vor allem beabsichtigte, die Zuschauer zum Lachen zu bringen, wobei eine unsichere experimentelle Filmsprache nicht in Frage kam, vor allem weil es sich dabei um eine kommerzielle Unternehmung handelte (Bernardet 2009). Obwohl diese einheimische Produktionsphase als Pornochanchada betitelt wurde, „pornografisch, unanständig, schamlos, waren eher die sozialen Verhältnisse [...], die                                                                                                                 52 Auf Portugiesisch „investimento em produções médias, em geral com razoável acabamento artístico e técnico“ (Leie 2005, 108). 53 Auf Portugiesisch „Na cidade de Curitiba, por exemplo, foi organizada em meados dos anos 1970 uma marcha que teve como lema “A família contra a pornochanchada”” (Leite 2005, 109). 22  
  • 27.   Beziehungen, die ihre Helden pflegten; denn sie wiedersprachen den offiziellen Appellen von der Solidargemeinschaft aller Brasilianer“ (Schumann 1988, 33). Fakt ist, dass die erste explizite Sex-Szene erst im Jahr 1982 in dem Film COISAS ERÓTICAS (BRA, 1981, R: Laente Calicchio und Raffaele Rossi) in einem brasilianischen Kino gezeigt wurde, zu einer Zeit als die brasilianische Staatsregierung schon in einer demokratischen und ideologischen Richtungen war, und sich das Land in einer großen ökonomischen Krise befand (Leite 2005). In diesem Kontext fand die Filmproduktion der Art Pornochanchada ihr Ende. Manche Branchenexperten betrachten dieses Endes als das Ergebnis der Einführung von expliziten Sex-Szenen in den brasilianischen Kinos (Bernardet 2009, Leite 2005). Da die Filmproduktion der Filmemacher aus dem ‚Müllmund’ São Paulos kaum von der Staatsregierung gefördert wurde, ist Leite (2005) der Meinung, dass die Produktion dieser Filme einer echter inländischen industriellen Filmproduktion ähnelt. Sie wurden „ausschließlich von privatem Kapital gefördert, wodurch sie von den Risiken eines echten kinematographischen Marktes geprägt waren“ (Leite 2005, 109).54 Parallel zu der Produktion von Filmen des Typs Pornochanchada wurden laut Leite (2005) Filme der Art ‚Cinema Marginal’ gedreht – um circa 1968 bis 1973, sowohl in Rio de Janeiro als auch in São Paulo. Nach diesem Autor entspricht die Cinema Marginal Bewegung auch einer wichtigen inländischen Filmbewegung, die von modernistischen Ideen beeinflusst wurde, besonders von der kulturellen Bewegung namens ‚Antropofagia’, die durch die Bewegung namens ‚Tropikalismus’ in Brasilien wiederentdeckt wurde. Außerdem entwickelte sich die Filmproduktion der Art Pornochanchada gleichzeitig mit der Einführung der ‚Staatlichen Unternehmen des Brasilianischen Kinos (Embrafilme)’. Im gleichen Zeitraum gründete das Bildungsministerium eine besondere Auszeichnung für Filmproduktionen, die einer Adaptation von einheimischen literarischen Werken entsprachen, aber dabei kamen nur literarische Werke im Frage, die von verstorbenen Autoren stammten (Bernardet 2009). Somit meint dieser Autor, vermeidet die damalige militärische Staatsregierung Kritiken seitens der Filmmacher um das aktuelle Geschehen im Land. Im weiteren Verlauf wird die Entwicklung des einheimischen Filmmarktes mit Blick auf vier verschiedene Zeiträume betrachtet, die sich bei den hierbei erörterten filmischen Produktionsphasen als zeitgenössisch behandeln lassen.                                                                                                                 54 Auf Portugiesisch „eram apoiados exclusivamente por capitais privados e, dessa forma, submetidos aos riscos do mercado cinematográfico“ (Leite 2005, 109). 23  
  • 28.   4. Entwicklung des brasilianischen Kinomarktes Einleitend ist festzuhalten, dass laut dem ‚Brasilianischem Amt für Geographie und Statistik (IBGE)’55 die Einwohnerzahl Brasiliens vom ersten Jahr der Erfassung an, 1872, bis heute konstant gestiegen ist (siehe unten Abb. 1 mit weiterführenden Informationen im Anhang 2). Diese Tatsache ist wichtig, um bspw. einen Rückgang an Kinobesuchern nicht mit einem möglichen Rückgang der Einwohnerzahl in Verbindung zu bringen. Abb. 1: Gesamteinwohnerzahl (Brasilien 1872-1996); Quelle: Instituto Brasileiro de Geografia e Estatísticas (IBGE) (2013); eigene Darstellung Grundsätzlich werden hierbei noch zwei Aspekte bezüglich der brasilianischen Filmindustrie beleuchtet: Die Anzahl der Kinosäle im Land in den Jahren 1933 bis 2000 (siehe hierzu Abb. 2 mit weiterführenden Informationen im Anhang 3) sowie die Entwicklung der Kinobesucherzahlen für die Jahre 1937 bis 1985 (siehe hierzu Abb. 3 mit weiterführenden Informationen im Anhang 4).                                                                                                                 55 Auf Portugiesisch ‚Instituto Brasileiro de Geografia e Estatísticas (IBGE)’ (2013). 24  
  • 29.   Abb. 2: Anzahl der Kinosäle (Brasilien 1933-2000); Quelle: von 1969 bis 1988 Concine, Recherche von José Eufrauzino de Souza, von 1989 bis 2000 Filme B nach Simis (2010, 161162); eigene Darstellung Abb. 3: Anzahl der Kinobesucher (Brasilien 1937-1985); Quelle: von 1937 bis 1964 AEB und IBGE nach Simis (2010, 163), von 1971 bis 1998 Filme B nach Ministério da Cultura (MinC) (1999, 253-256); eigene Darstellung Wie Abb. 2 zu entnehmen ist, hat die Anzahl der Kinosäle in den Jahren 1933 bis 1955 konstant zugenommen und erreichte im Jahre 1955 eine Größe von knapp über 3.000 Kinosälen. Eine ähnliche Entwicklung trifft, siehe oben Abb. 3, praktisch auch auf die Besucherzahlen zu, die vom ersten Jahr der Beobachtung 1937 bis zum Jahre 1957 ebenfalls stark zugenommen haben. Die einzige Ausnahme bildet der Zeitraum zwischen den Jahren 1949 und 1950, als diese rückläufig waren (ca. 5 Millionen weniger). Dieser Rückgang ist hier jedoch zu vernachlässigen, haben sich doch in den darauf folgenden sieben Jahren die 25  
  • 30.   Besucherzahlen von 180 Millionen im Jahre 1950 auf 344 Millionen im Jahre 1957 fast verdoppelt. Diese starke Zunahme geht mit der de facto Verdoppelung der Kinosäle in den Jahren 1946 bis 1955 einher. Für die 1930er bis Mitte der 1950er Jahre lässt sich daher festhalten, dass sowohl die Anzahl der Kinosäle als auch die Besucherzahlen überaus stark zugenommen haben. Für die Zeit der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 werden in den Abb. 2 und Abb. 3 jeweils ähnliche Entwicklungen registriert. Besonders im Zeitraum der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, die unter die ersten Jahre der Militärdiktatur fallen, nimmt sowohl die Anzahl der Kinosäle als auch die Anzahl der Kinobesucher stark ab. Bis in die Mitte der 1970er Jahre nimmt ihre jeweilige Größe aber wieder deutlich zu. Im Zeitraum 1969 bis 1975 verdoppelt sich praktisch die Anzahl der Kinosäle, wobei 1975 das Jahr mit der höchsten jemals registrierten Anzahl an Kinosälen (3.276) in dem der Untersuchung zugrunde liegenden Zeitraum 1933 bis 2000 ist. Auch die Zahl der Kinobesucher ist in den 1970er Jahren mit durchschnittlich 200 Millionen Menschen pro Jahr sehr beachtlich, wobei ihre Zahl allerdings hinter den in den 1950er und 1960er Jahren beobachteten Besucherzahlen zurückliegt. Die Anzahl der Kinobesucher im Laufe der 1970er Jahre bewegt sich dennoch auf relativ hohem Niveau, verglichen mit der Anzahl sowohl aus vorherigen als auch späteren Jahrzehnten. 4.1 Bis 1930 In den ersten Jahrzehnten der kinematographischen Aktivität in Brasilien, besonders jedoch in den Jahren, die auch die ‚Bela Época’ von circa 1907 bis 1911 einschließen, finden laut Gomes (1996) und Simis (2009) einheimische Filme, trotz bestehender qualitativer technischer Defizite verglichen zu ausländischen Produktionen, überaus großen Erfolg beim brasilianischen Publikum. Gemäß Simis (2009) hat die brasilianische Filmindustrie in den Jahren 1908 bis 1913 die Gesamtanzahl von 963 Filmen hervorgebracht, wie Abb. 4 zu entnehmen ist (siehe hierzu ausführliche Daten im Anhang 5). Ein großer Teil dieser Produktionen beschränkt sich jedoch auf dokumentarische Kurzfilme (768 Filme) mit Landschaftsaufnahmen aus Brasilien, sowie zu gut einem Viertel (240 Filme) Filme mit längerer Spieldauer und Spielfilme (Simis 2009). OS ESTRANGULADORES (BRA, 1908, R: Francisco Marzullo), mit über 800 Vorführungen in zwei Monaten, und PAZ E AMOR 26  
  • 31.   (BRA, 1910, R: Alberto Moreira), mehr als 900 Mal im Land gezeigt, gehören zu den erfolgreichsten Filmen dieser Zeit (Simis 2009). In den Jahren 1909 und 1910, als im ganzen Land zahlreiche Kinos eröffnet und die ersten Filmstudios gegründet wurden, sind laut Schumann (1988) nicht weniger als 200 einheimische Produktionen entstanden. Simis (2010) ihrerseits schildert, dass im Jahre 1909 mit 224 Filmen die höchste Anzahl an inländischen produzierten Filmen in den Jahren 1897 bis 1930 registriert wurde. Abb. 4: Anzahl inländischer produzierter Kinofilme (Brasilien 1897-1930); Quelle: von 1897 bis 1930 Simis (2008a, 302) nach Simis (2010, 138-139); eigene Darstellung Der letztliche Anstieg der Produktion einheimischer Spielfilme während der ‚Bela Época’, wie Gomes (1996) behauptet, kann unter Zugrundelegung von Abb. 5 nicht nachgewiesen werden (siehe hierzu ausführliche Daten im Anhang 6). Laut Simis (2010) wurden im Jahre 1922 gerade einmal 9 einheimische Spielfilme produziert, wobei zwischen 1910 und 1915 jeweils nur eine einzige Produktion pro Jahr zu verzeichnen war. Auch wurden beispielsweise 1916, Kurz- und Spielfilme zusammengerechnet, ca. drei Mal weniger Filme produziert als noch 1910. Bei alleiniger Betrachtung der Jahre 1910 bis 1913, die laut Simis (2010) noch zur ‚Bela Época’ gehören, kommt es zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Anzahl der gezählten Filme halbiert sich praktisch von 177 im Jahre 1910 auf gerade einmal 91 Produktionen im Jahre 1913. Tatsächlich verbleibt jedoch aus den Informationen der Abb. 5 der deutliche Eindruck einer Vormachtstellung der produzierten Kurzfilme sowie der Rückgang einheimischer Produktionen vom Jahre 1910 an. Dass die Zahl der produzierten Filme um 1910 geringer wird, liegt sicher auch an dem medieninternen Umbruch vom kurzen Format zum langen Format, Filme, insbesondere fiktionale Filme, mit einer abendfüllenden Länge, sind wesentlich aufwändiger und eben auch kostenintensiver in der Produktion 27   als
  • 32.   Kurzfilmproduktionen. Erst 1925 wird mit 193 registrierten Filmen erstmals mehr produziert als zu Beobachtungsbeginn. In Anbetracht der Wichtigkeit der erfassten Daten von Simis (2010) bzw. Gomes (1996) muss jedoch immer in Betracht gezogen werden, dass sich Werte je nach Quelle widersprechen oder große Unterschiede aufweisen können, was ein Vergleich der Daten Simis (2010) (siehe Anhang 7) mit denen von Ministério da Cultura (MinC) (1999) (siehe Anhang 8) zeigt. Dies ist bspw. möglich, indem entweder einerseits nur Filme in die Zählung einfließen, die in den Kinos im ganzen Land gezeigt werden, oder andererseits alle Filme erfasst werden, unabhängig davon, ob sie einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden oder nicht. Abb. 5: Anzahl inländischer produzierter Kinofilme (Brasilien 1910-1930); Quelle: Simis (2008a, 302) nach Simis (2010, 138-139 und 147); eigene Darstellung 4.2 Die 1930er, 1940er und 1950er Jahre Für die 1930er, 1940er und 1950er Jahre ist ein stufenweiser Anstieg der Produktion einheimischer Filme festzustellen. Die Produktion an Filmen ist in den 1930er und 1940er Jahren mit 102 bzw. 103 Filmen praktisch identisch gewesen. Im Vergleich zu den 1920er Jahren entspricht dies einem Rückgang um 26%, da in jener Dekade 139 Filme produziert wurden. In den 1950er Jahren wurden bereits 282 einheimische Produktionen verzeichnet, was im Vergleich zu den 103 Filmen in den 1940er Jahren eine Zunahme um 173% bedeutet. Gomes (1996) wiederum zählt für die Jahre 1933 bis 1949 die Menge von 130 einheimischen Produktionen, wobei er hervorhebt, dass circa 90% davon in Rio de Janeiro produziert wurden. 28  
  • 33.   Abb. 6: Summe inländischer produzierter Spielfilme (Brasilien 1910-1988); Quelle: nach Simis (2010, 147-150)56; eigene Darstellung Aus den Daten der Abb. 6 geht hervor, dass in den 1930er bis 1950er Jahren in Brasilien 487 Filme und von 1933 bis 1949, insgesamt 154 Filme gedreht wurden. Für diese Jahre lässt sich noch ein Vergleich der in brasilianischen Kinos gezeigten einheimischen und ausländischen Produktionen anstellen: „1941 wurden dort 460 Spielfilme präsentiert, von denen vier einheimische Produktionen waren; 1942: 409/1; 1943: 362/6; 1953: 578/34; 1954: 490/21 (Zahlen entnommen aus Cine Repórter)” (Bernardet 2009, 22).57 Laut Bernardet „ist bis in die 1950er Jahre hinein jeder Film ein völlig neuer Film gewesen, ohne Präzedenzfall” (Bernardet 2009, 99-100)58, so dass beispielsweise zwischen den 1910er und 1920er Jahren diverse Veröffentlichungen von Filmen jeweils als ‚erste einheimische Produktion’ angekündigt wurden. Erst durch die zahlreichen Filmproduktionen des neuen, sich im inländischen entwickelnden Genres ‚Chanchada’ orientierten sich die einheimischen Filmemacher nicht mehr nur an ausländischen Produktionen als bislang einzige kulturelle Referenz, sondern entwickelten ihre eigene Darstellungsstrategie und Ästhetik (Bernardet 2009). 4.3 Die 1960er Jahre Wie aus Abb. 6 zu entnehmen ist, sind in den 1960er Jahren stetig mehr einheimische Filmproduktionen zu verzeichnen gewesen. In diesem Jahrzehnt wurden insgesamt 340 Filme gedreht. Während in den 1960er Jahren im Durchschnitt jährlich 34 Filme produziert wurden, sind es zwischen den 1930er bis 1950er Jahren im Schnitt jährlich 16 Filme gewesen.                                                                                                                 56 Siehe hierzu ausführliche Quellendetails im Anhang 7. Auf Portugiesisch „em 1941, foram lançados no Brasil 460 filmes de longa-metragem, dos quais quatro brasileiros: 1942: 409/1; 1943: 362/6; 1953: 578/34; 1954: 490/21 (dados do Cine Repórter)“ (Bernardet 2009, 22). 58 Auf Portugiesisch „mas até a década de 1950 cada filme novo era um filme novo, sem precedentes“ (Bernardet 2009, 99-100). 29 57  
  • 34.   Verglichen mit den 1950er Jahren sind in den 1960er Jahren 20% mehr Filmproduktionen zu verzeichnen, was im Vergleich zu den vorherigen und besonders darauffolgenden Jahrzehnten keinen so großen Anstieg darstellt. 4.4 Die 1970er Jahre Die 1970er Jahre, als die ‚Pornochanchada’ produziert wurde, sind die letzte in dieser Arbeit beleuchteten Jahre und es ist die Dekade, über die die meisten Daten vorliegen. In praktisch allen Aspekten wurden in diesem Jahrzehnt Bestmarken aufgestellt, wie z. B.: (a) die meiste Anzahl an Kinos – mit 3.276 Kinos im Jahre 1975; (b) sie ist eine der Dekaden mit der höchsten Anzahl an Kinogängern in Brasilien – nur in den 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre sind mehr Besucher in die Kinos geströmt; (c) sie weist die meisten einheimischen Filmproduktionen auf, 820, von allen hier in Frage kommenden Jahrzehnten (Simis 2010). Diese letzte Zahl für sich genommen ist schon deshalb besonders bemerkenswert, da sie praktisch dem entspricht, was zusammen in den vier Jahrzehnten der 1930er bis 1960er Jahre verzeichnet wurde, nämlich 827 Filme. Und während im Durchschnitt in den 1930er bis 1950er Jahren gerade einmal 16 einheimische Filme pro Jahr gedreht wurden, waren es in den 1960er Jahren bereits 34 Filme pro Jahr. Ihre Zahl stieg in den 1970er Jahren auf durchschnittlich 82 Filme, was einem Anstieg zum vorherigen Jahrzehnt um 141% entspricht. In Abb. 7 wird am Beispiel der 1970er Jahre noch einmal offenkundig, wie sehr für einzelne Jahre die Daten je nach Quelle abweichen. Ein Vergleich der Summen der jeweiligen Erhebungen bei Simis (2010) und Ministério da Cultura (MinC) (1999) zeigt jedoch, dass hierbei die Abweichungen über das ganze Jahrzehnt nicht besonders signifikant sind. In seinen Ausführungen geht Ministério da Cultura (MinC) (1999) gegenüber Simis (2010) darüber hinaus einen Schritt weiter und vergleicht die jeweilige Anzahl der einheimischen mit den ausländischen Filmen, außerdem auch die erfasste Besucherzahl für inländische und ausländische Filme, wie aus den Abb. 8 (siehe hierzu detaillierte Daten in Anhang 8) und Abb. 9 (siehe hierzu auch Anhang 9) zu entnehmen sind. Anzahl neuer inländischer Kinofilme auf dem brasilianischen Markt Jahr Simis (2010) Ministério da Cultura (MinC) (1999) Differenz 1971-1979 737 699 38 1978 100 81 19 1979 93 104 11 Abb. 7: Anzahl neuer inländischer produzierter Kinofilme auf dem brasilianischen Markt; Quelle: eigene Darstellung 30  
  • 35.   Abb. 8: Anzahl der Kinofilme auf dem brasilianischen Markt (Brasilien 1971-1985); Quelle: Filme B nach Ministério da Cultura (MinC) (1999); eigene Darstellung Abb. 9: Anzahl der Kinobesucher (Brasilien 1971-1985); Quelle: Filme B nach Ministério da Cultura (MinC) (1999); eigene Darstellung Aus Abb. 8 geht eindeutig die Vormachtstellung der ausländischen gegenüber den inländischen Filmproduktionen hervor. In den Jahren 1975 bis 1978 haben jedoch, siehe Anhang 9, inländische Filme kontinuierlich mehr und mehr Zuschauer in die Kinos gelockt, während auf der anderen Seite ausländische Filme sehr stark an Publikumsinteresse eingebüßt haben. Das nachlassende Interesse an ausländischen Filmen hat jedoch nicht dazu geführt, dass ihre Zahl in diesen Jahren geringer wurde, so wurde im Vergleich zu inländischen Filmen nach wie vor ein Vielfaches (im Schnitt ca. 3:1) an ausländischen Filmen in den Kinos gezeigt. Die wachsende Popularität inländischer Filmproduktionen in den 1970ern Jahren deckt sich laut Ministério da Cultura (MinC) (1999) auch mit den Beobachtungen Bernardets (2009). 31  
  • 36.   Eine wachsende Sympathie der Zuschauer gegenüber einheimischen Filmen zur Zeit der Filmproduktion der Art ‚Pornochanchada’ stellen ebenfalls Leite (2005) und Simis (2010) fest. Filme wie A VIÚVA VIRGEM (BRA, 1972, R: Carlos Rovai) waren laut Simis (2010) oder AS MULHERES AMAM POR CONVENIÊNCIA ERÓTICAS (BRA, (BRA, 1972, R: Roberto Mauro), AS CANGACEIRAS 1974, R: Roberto Mauro), A ILHA DOS PRAZERES PROÍBIDOS (BRA, 1979, R: Carlos Reichenbach) so genannte Kassenschlager, die über eine halbe Million Zuschauer in die Kinos lockten (Leite 2005). 5. Ähnliche Charakterzüge Innerhalb der einzelnen Phasen der Geschichte der Filmproduktion in Brasilien lassen sich hinsichtlich der Dynamik zwischen thematischen und ästhetischen Aspekten und dem jeweiligen zeitgenössischen Hintergrund – der Kinomarkt, die Forderungen der Filmemacher, und die kulturpolitische Maßnahmen – einige Charakterzüge in Ihrer Ähnlichkeit hervorheben. Dabei wurde als besonders interessant beobachtet, dass in den Epochen ‚Bela Época’, ‚Carnavalescas und Chanchadas’ sowie der ‚Pornochanchada’, trotz aller jeweiligen thematischen und ästhetischen Besonderheiten, sowohl die Zahl der Kinos im Land, als auch die Anzahl inländischer Filmproduktionen und ihr Publikumserfolg stark zugenommen haben. Von Bernardet (2009) wurde mehrmals erwähnt, dass die in der Bela Época und der Pornochanchada gedrehten Filme ähnliche Elemente aufweisen, da sie zeitgenössische Geschehnisse des alltäglichen Lebens zum Thema gemacht haben. Auch die musikalischen Filmkomödien weisen bei der Realitätsbetrachtung Ähnlichkeiten zu den Filmen aus der Bela Época und der Pornochanchada auf, obwohl sich diese Produktionen auf der Ebene der zeitgenössischen filmischen Wirklichkeit eher an den Hollywood-Musicals orientierten und viele Filme ihre US-amerikanischen Vorbilder parodierten (Gomes 1996). Es gibt keinerlei Informationen über konkrete staatliche finanzielle Unterstützungen an Filmproduktionen zur Zeit der Bela Época. Gleichzeitig gibt es jedoch auch keinerlei Aufzeichnungen darüber, dass der Staat seinerseits gegenüber der Filmbranche finanzielle Unterstützung abgelehnt hat. Offenkundig ist jedoch, dass sich der brasilianische Staat sowohl von den musikalischen Filmkomödien der Art Chanchanda als auch von seiner Variante Pornochanchada nicht überzeugt zeigte, wie Bernardet (2009) am Beispiel des Filmstudios 32  
  • 37.   ‚Atlântida’ berichtet, welches hauptsächlich Filme des Typs Chanchada drehte. Den Kritikern stieß übel auf, dass besonders die Filme der Art Chanchada nur simple Instinkte des Publikums angesprochen und nur zum reinen Zweck der Produktion von so genannten Kassenschlagern gedient haben (Gomes 1996). In diesem Zusammenhang ist zu beobachten, dass sich der Staat sowohl in der Epoche der musikalischen Filmkomödien als auch zu Zeiten der Pornochanchada ähnlich verhielt und bspw. nicht nur die Produktion von Lehrfilmen, sondern auch Filme, die das Nationalgefühl wecken sollten, förderte. Darüber hinaus sind jedoch beide kinematographische Phasen von einer besonders starken Kontrolle durch die staatlichen Organe mittels direkter Zensur der Filmproduktionen durchzogen (siehe hierzu detaillierte Daten in Anhang 10). In den 1930er Jahren wurde die INCE (1932) aufgebaut, als der Staat auf die Produktion von Lehrfilmen drängte, und in den 1960er und 1970er Jahren wurden die INC (1966), die Embrafilme (1969) und die Concine (1979) ins Leben gerufen (Simis 2010, Rosa 2007). Der Zweck dieser Organe war unter anderem die Verwaltung der Fördermittel, der Vertrieb der Filmproduktionen und die systematische Kontrolle der Filmproduktionen (Simis 2010). Das ‚Cinema Novo’ hat sich in praktisch allen hier behandelten Aspekten durch solche ausgezeichnet, die im völligen Gegensatz zu denen der drei anderen Phasen stehen: (a) auf thematischer Ebene durch eine sehr intensive, aber partielle Sozialkritik hinsichtlich der Klassenkämpfe; (b) auf ästhetischer Ebene vor allem durch eine experimentelle Filmsprache; (c) des weiteren hinsichtlich der Akzeptanz durch das einheimische Publikum, nämlich mit der Folge eines sehr großen Misserfolgs an den Kinokassen; (d) sowie abschließend bezüglich der Unterstützung der Staatsregierung, die sich an dieser Art des Filmemachens finanziell beteiligte, obwohl sie sie auch gleichzeitig stark mittels Zensur kontrollierte. 33  
  • 38.   6. Schlussbetrachtung und Ausblick Es ist festzuhalten, dass mit Ausnahme der Anfänge des 20. Jahrhunderts mit seiner relativen Vielfalt an Filmgenres (uns ist nicht ein Film aus dieser Zeit bekannt) nur die musikalischen, karnevalistischen und erotischen Filmkomödien Filme regelmäßig produziert wurden und eine guten Publikumserfolg verzeichneten. Bis auf die Cangaço-Filme, mit einem allerdings relativ kurzen Ausbruch, wurde kein anderes Genre, sei es Drama oder Abenteuerfilme, systematisch produziert (Bernardet 2009, 128-129).59 Thematische und ästhetische Aspekte der im 20. Jahrhundert produzierten einheimischen Filme wurden aus der Perspektive der vier historischen Produktionsphasen der Kinematographie in Brasilien erörtert. Dadurch ist der Frage nachgegangen worden, welche jeweiligen Resonanzen sie am zeitgenössischen Kinomarkt Brasiliens hervorgerufen haben. Anhand weiterer Aspekte des brasilianischen Kinomarktes wurde der Erfolg beim Publikum im jeweiligen Zeitraum beleuchtet. Ebenso wurden die einzelnen historischen Phasen in solche mit und ohne staatliche Unterstützung unterschieden. Dadurch wurden ähnliche Charakterzüge zwischen den erörterten Produktionsphasen hervorgehoben und in Zusammenhang gebracht. Bei der Durchführung der vorliegenden Studie gab es das Problem des Mangels frei zugänglicher Daten über die Marktentwicklung der brasilianischen Filmindustrie. Heutzutage sind Unternehmen wie ‚Filme B’ und ‚Agencia Nacional de Cinema (Ancine)’ diejenigen, die über die seriösesten Datenbestände verfügen. Jedoch ist es leider so, dass diese Daten über Filme B (2013) nicht kostenlos zu beziehen sind und die Agencia Nacional de Cinema (Ancine) (2013) wiederum viel mehr Daten über die jüngere Geschichte sammelt. Dadurch, dass über einen sehr breiten Zeitraum der brasilianischen Filmgeschichte gesprochen wurde, konnte an verschiedenen Stellen keine tiefergehende Analyse geführt werden. Von dieser Arbeit ausgehend ist festzuhalten, dass protektionistische Maßnahmen, die auf eine Mindestanzahl an Vorführungen einheimischer Filme im Land abzielten, in keiner Weise eine alleinige Garantie zur Entwicklung der großen Zahl von Filmproduktionen waren. Diese Tatsache lässt sich beispielhaft anhand des Phänomens des Chanchadas belegen, und ihre                                                                                                                 59 Auf Portugiesisch „É de notar que, com exceção do início do século XX, que tinha uma relativa variedade de gêneros cinematográficos (mas não conhecemos nenhum desses filmes), foi somente a comédia, musical, carnavalesca, erótica, que teve uma produção regular e obteve boa receptividade por parte do grande público. Nenhum outro gênero, dramático, de aventura, seja lá o que for, com exceção do relativamente escasso surto de filmes de cangaço, conheceu uma produção sistemática” (Bernardet 2009, 128-129). 34  
  • 39.   Wichtigkeit wurde mehrmals von Bernardet (2009) behandelt. Sicherlich haben protektionistische Maßnahmen der Verbreitung der Chanchadas geholfen, als wichtigster Faktor für ihren Erfolg und ihre Beliebtheit beim Publikum lassen sie sich jedoch nicht betrachten (Bernardet 2009). Im Grunde genommen ist der zahlenmäßige Anstieg dieser Filmproduktionen vor allem ihrem Erfolg an den Kinokassen geschuldet, erst dadurch sind immer weiter Filme dieses Genres realisiert worden. Zu differenzierten Ergebnissen gelangt man bei der Betrachtung des Cinema Novo. Dies profitierte auch von den oben erwähnten protektionistischen Maßnahmen, seine Filme erreichten jedoch im Allgemeinen weder das nationale Publikumsinteresse noch das Interesse der inländischen Kinobetreiber. In sehr kurzer Zeit wurde eine Vielzahl an Filmen produziert, jedoch hatte dies keine positive Resonanz auf dem einheimischen Kinomarkt. Die Produktion der Filme des Cinema Novo war darüber hinaus überaus stark von Krediten aus der Bankwirtschaft, von Privatpersonen und auch vom Staat abhängig. Diese finanzielle Abhängigkeit hat wahrscheinlich einen beachtlichen Teil der in den Filmen dargestellten Thematik, eine starke aber partielle Sozialkritik, beeinflusst. Ohne Zweifel hat die Verpflichtung, eine bestimmte Mindestanzahl einheimischer Filme in Kinos zeigen zu müssen, einen positiven Effekt auf die Entwicklung der nationalen filmischen Aktivität ausgeübt. Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Unterschiede hinsichtlich der Höhe der Einfuhrzölle auf schon belichtete Filme einen positiven Effekt auf die Gesamtzahl der Filmproduktionen in dem Land hatten, wie Simis (2010) schilderte. Bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Filmemachern und staatlicher Kulturpolitik soll aber die Dynamik zwischen den produzierten Filmen und dem einheimischen Publikum Untersuchungsziel nicht hat, die unterschätzt werden, besonders Entwicklungsprozesse der wenn man zum kinematographischen Produktionsphasen im Land zu analysieren. Es ist vor allem der kontinuierliche Publikumserfolg einiger einheimischer Filmproduktionen gewesen, der die positive Entwicklung in den verschiedenen kinematographischen Produktionsphasen ermöglicht hat. Dies gilt sicherlich für zwei der vier hier untersuchten Produktionsphasen bzw. einheimischen Filmgenres, nämlich die musikalischen Komödien der Art Carnavalescas und Chanchadas und die Pornochanchada, d.h. diejenigen, die weniger abhängig von staatlichen Mitteln waren (Bernardet 2009). Sie entwickelten und festigten sich ohne finanzielle staatliche Unterstützung in der Geschichte der einheimischen Kinematographie vor allem dank des Publikumserfolges, den ihre Filme erreichten. 35