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Stefanie	
  Panke



Medientheorien
Ein Beitrag zum medienbasierten Lernen
Im	
   Zuge	
   der	
   medialen	
   Durchdringung	
   aller	
   Lebensbereiche	
   sind	
   Medien	
   zum	
   Gegenstand	
   vieler	
   Wissen-­‐
schaHen	
  geworden.	
  MedientheoreCsche	
  Betrachtungen	
  finden	
  sich	
  unter	
  anderem	
  in	
  PublizisCk	
  und	
  Kom-­‐
munikaConswissenschaH,	
   Soziologie,	
   Politologie,	
   Philosophie	
   und	
   LiteraturwissenschaH.	
   Neben	
   univer-­‐
salen	
  MediendebaEen	
  gibt	
  es	
  Diskurse	
  zu	
  Einzelmedien	
  und	
  je	
  nach	
  PerspekCve	
  treten	
  ästheCscher	
  Aus-­‐
druck,	
   erzieherisches	
   PotenCal,	
   gesellschaHliche	
   Auswirkungen	
   oder	
   individuelles	
   Erleben	
   in	
   den	
   Fokus.
Verschiedene	
  DefiniConen	
  des	
  Medienbegriffs	
  stellen	
  entweder	
  Technik,	
  FunkCon	
  oder	
  Inhalte	
  in	
  den	
  Vor-­‐
dergrund.	
   Folglich	
   kann	
   von	
   „der“	
   Medientheorie	
   nicht	
   die	
   Rede	
   sein	
   (Kloock	
   &	
   Spahr,	
   2000).	
   Lernziel
dieses	
   Kapitels	
   ist	
   es,	
   ausgewählte	
   medientheoreCsche	
   Fragestellungen	
   und	
   Ansätze	
   in	
   ihrer	
   Bedeutung
für	
   das	
   Lehren	
   und	
   Lernen	
   mit	
   digitalen	
   Medien	
   zu	
   erschließen.	
   Wenn	
   Computer	
   und	
   Internet	
   einem	
   „tra-­‐
diConellen“	
  Lernmedium	
  wie	
  dem	
  Buch	
  oder	
  der	
  Overheadfolie	
  vorgezogen	
  werden,	
  so	
  sollte	
  der	
  Grund	
  in
den	
   jeweils	
   spezifischen	
   EigenschaHen	
   und	
   Fähigkeiten	
   des	
   Mediums	
   liegen.	
   Wer	
   reflekCert,	
   inwieweit
Medien	
  eine	
  Grundbedingung	
  unseres	
  Denkens	
  und	
  Handelns	
  darstellen,	
  gewinnt	
  an	
  Urteilsvermögen	
  hin-­‐
sichtlich	
  der	
  Chancen	
  und	
  Grenzen	
  spezifischer	
  Medien	
  im	
  InformaCons-­‐	
  und	
  KommunikaConsalltag.	
  Me-­‐
dientheorien	
   eröffnen	
   zudem	
   eine	
   historische	
   PerspekCve	
   auf	
   aktuelle	
   DebaEen	
   um	
   Gefahren	
   und	
   Poten-­‐
Cale	
  virtueller	
  Welten.	
  




Quelle:	
  Stefanie	
  Panke




                                                                                      #medientheorie
                                                                                      #spezial
                                                                                             	
  
                                                                                      #theorieforschung

                                                                                      Version	
  vom	
  1.	
  Februar	
  2011



                                                                            Für	
  dieses	
  Kapitel	
  wird	
  noch	
  ein	
  Pate	
  gesucht,
  Jetzt Pate werden!                                              mehr	
  InformaConen	
  unter:	
  hEp://l3t.eu/patenschaH
2	
  —	
  Lehrbuch	
  für	
  Lernen	
  und	
  Lehren	
  mit	
  Technologien	
  (L3T)


                                                                                                   Medien sind aus unserem Lernalltag nicht wegzu-
1. Metaphern,	
  Medien	
  und	
  Dekonstruk4on:	
  „There	
  is
                                                                                                denken. Der Bedarf an einer „pädagogischen Me-
nothing	
  outside	
  the	
  text“	
  	
  
                                                                                                dientheorie“ wurde 2006 in der Kommission Medien-
Eine Metapher ist ein sprachlicher Ausdruck, bei dem                                            pädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erzie-
ein Wort aus seinem Bedeutungszusammenhang in                                                   hungswissenschaft durch die Gründung einer
einen anderen Kontext übertragen und als Bild ver-                                              „Theorie-AG“ entsprochen (Fromme & Sesink,
wendet wird. Wir benutzen ganz selbstverständlich                                               2008). Torsten Meyer hat sich wiederholt mit der
im alltäglichen Sprachgebrauch verschiedene Meta-                                               Frage befasst, was ein pädagogisches Medium sei –
phern im Zusammenhang mit (neuen) Medien: Aus-                                                  und kritisiert „die Zielvorstellung“, eine „kritisch
drücke wie Datenautobahn, Netz-Surfer, Informati-                                               emanzipatorischen Einstellung“ gegenüber „den
onsflut, Cyberspace, globales Dorf, Datenmeer,                                                  Medien“ hervorzubringen, damit „ich mein Ich“ auch
Computervirus und Cyberpiraterie kommen uns                                                     in der „Mediengesellschaft“ noch ohne „Medien“
flüssig über die Lippen, doch was genau meinen wir                                              bilden kann“. Diese beruht aus seiner Sicht auf der
damit?                                                                                          Fehleinschätzung, „Bildung wäre auch ohne Bezug
                                                                                                auf „Medien“ denkbar“(Meyer, 2002, S. 27).
         „There	
   is	
   nothing	
   outside	
   the	
   text“,	
   eine	
   ProklamaCon
   !     von	
   Jaques	
   Derrida,	
   verweist	
   darauf,	
   dass	
   unser                      Wenn	
  wir	
  im	
  Bildungskontext	
  von	
  „Medien“	
  sprechen,
         Wissen	
   sprachlich	
   codiert	
   ist.	
   Wir	
   können	
   nur	
   in
         Medien	
   über	
   Medien	
   nachdenken,	
   in	
   Sprache	
   über                   !   meinen	
   wir	
   in	
   der	
   Regel	
   „technische	
   Medien“,	
   wie
                                                                                                      zum	
   Beispiel	
   Film	
   und	
   Computer,	
   die	
   eine	
   eigen-­‐
         Sprache	
   reden.	
   Wir	
   können	
   uns	
   daher	
   keinen	
   neu-­‐                ständige	
   Medienwirklichkeit	
   erzeugen.	
   Im	
   Gegensatz
         tralen	
   Beobachtungsstandpunkt	
   suchen.	
   Der	
   Dekon-­‐                           dazu	
   steht	
   ein	
   universeller	
   Medienbegriff,	
   der	
   in	
   kul-­‐
         strukCvismus,	
   ein	
   Begriff	
   den	
   Jaques	
   Derrida	
   in	
   den               turwissenschaHlichen	
   Mediendiskursen	
   ebenfalls	
   ver-­‐
         sechziger	
   Jahren	
   in	
   Paris	
   prägte,	
   richtet	
   die	
   Aufmerk-­‐         breitet	
   ist.	
   Ein	
   Beispiel	
   ist	
   Marshall	
   McLuhans	
   Vor-­‐
         samkeit	
   auf	
   die	
   genaue	
   Lektüre	
   von	
   Metaphern	
   und                 stellung	
   von	
   Medien	
   als	
   Erweiterungen	
   des	
   Men-­‐
         Bildern.	
                                                                                   schen.	
  	
  

    „Deconstructive readings focus – intently, obses-
sively – on the metaphors writers use to make their                                                 Marshall McLuhans These aus den frühen 1960er
points. Their purpose is to demonstrate, through                                                Jahren, „das Medium ist die Botschaft“ genießt bis
comparisons of a work's arguments and its meta-                                                 heute eine große Popularität. McLuhan versteht
phors, that writers contradict themselves – not just                                            Medien als funktionale Erweiterungen des mensch-
occasionally, but invariably – and that these contra-                                           lichen Körpers. In dieser Sichtweise kann selbst ein
dictions reflect deep fissures in the very foundations                                          Flugzeug, Geld oder die Elektrizität zum Medium
of Western culture. In other words, deconstruction                                              werden (Vollbrecht, 2005). McLuhans universelles
claims to have uncovered serious problems in the way                                            Bild des Organersatzes begründete einen eigenen me-
Plato and Hemingway and you and I think about                                                   dienwissenschaftlichen Ansatz, der Medien einen
matters ranging from truth and friendship to po-                                                Werkzeugcharakter zuschreibt. Medien werden als
litics.“ (Stephens, 1991, o.S.).                                                                „Instrumente zur Veränderung von Wirklichkeit“ in-
    Der Dekonstruktivismus sieht den inneren Wider-                                             terpretiert (Sandbothe, 2003). Diese so genannten
spruch als Teil der Conditio Humana, als eine anthro-                                           „anthromorphen“ Ansätze stellen den Menschen in
pologische Grundkonstante. Brüche und Wider-                                                    den Mittelpunkt und sehen Medien als Werkzeug
sprüche in unserem Medienverständnis gibt es                                                    oder eben als Prothesen des menschlichen Körpers,
reichlich. Nicht nur streiten die Gelehrten, was denn                                           Computer werden zu „global vernetzten Prothesen
eine geeignete Definition von „Medien“ eigentlich                                               der Sinne“ (Coy, 1994, 37).
sei, auch scheiden sich die Geister in der Bewertung                                                Kritiker finden, diese Sichtweise greife zu kurz. So
von neuen Medientechnologien: Sind sie Heilsbringer                                             sieht Lutz Ellrich (2005) es als vordringlichste
oder Teufelsbote? Bringen Medien Menschen näher                                                 Aufgabe der Medienphilosophie „die Organersatz-
zusammen oder lassen sie uns vereinsamen? Machen                                                theorie zu hinterfragen und generell die notorische
sie schlau oder dumm? Beginnen wir zunächst mit                                                 Anthropomorphisierung technischer Errungen-
dem Medienbegriff. Um das Wechselspiel von                                                      schaften zu bekämpfen“ (S. 343). Was ist der Ur-
Medium, Botschaft, Adressat, Sender, Störung und                                                sprung solch kampfeslustiger Polemik? Die techni-
Empfang zu beschreiben, hat die Kommunikations-                                                 schen Medien, beispielsweise Internet und Fernsehen,
und Medienwissenschaft eine Vielzahl phantasievoller                                            haben großen Anteil an der Wirklichkeitsvorstellung
Anleihen, Vergleiche und Metaphern hervorgebracht.                                              unserer Kultur. Die Art und Weise, wie technische
Medientheorien.	
  Ein	
  Beitrag	
  zum	
  medienbasierten	
  Lernen—	
  3


Medien unsere Wirklichkeit durchdringen und                                                      anders gesagt, das Online-Lernen kein Thema mehr
formen ist so komplex, dass sie nicht von Individuen                                             ist. Ein Widerspruch, an dessen Dekonstruktion
gesteuert wird, sondern sowohl in Produktion als                                                 Jaques Derrida Gefallen gefunden hätte.
auch Rezeption ein kulturelles Kollektiv widerspiegelt
                                                                                                 2. Neue	
  Medien	
  zwischen	
  Gefahr	
  und	
  Chance:	
  Romane
(Hartmann, 2003). Medien sind also nicht nur Organ
                                                                                                 als	
  Opiumrauch
oder Werkzeug der Welterschließung, sondern er-
zeugen gleichzeitig eine Medienwelt, die uns als „me-
diale Wirklichkeit“ bzw. „Medienöffentlichkeit“ im                                                       Neue	
   Medien	
   haben	
   stets	
   sowohl	
   utopisch-­‐verklä-­‐
Alltag umgibt. Medien sind keineswegs neutrale
Überträger von Information, sondern konstituieren
                                                                                                    !    rende	
   und	
   als	
   auch	
   dystopisch-­‐warnende	
   Prognosen
                                                                                                         evoziert.	
   Die	
   Angst	
   vor	
   dem	
   Werteverfall	
   begleitet
das Kommunizierte selbst: „zum einen erhält nur was                                                      jedes	
  neue	
  Medium,	
  vom	
  Buch	
  bis	
  zum	
  Internet.	
  
kommuniziert, mitgeteilt und überliefert werden
kann, eine Bedeutung, und zum anderen formt die                                                      So wurde noch bis Ende des 19. Jahrhunderts vor
Gestalt der Mitteilung (eine Handschrift, ein ge-                                                den Konsequenzen der Lektüre von Romanen ge-
drucktes Buch, ein technisches Bild) auch ihren                                                  warnt (Postner, 2005). Edward Shorthouse vergleicht
Inhalt“ (Kloock & Spahr, 2000, 9).                                                               im Jahr 1892 Romanleser mit Opiumrauchern:
   In Kommunikations- und Medienwissenschaft hat                                                     „Even the better class of fiction fills the mind
sich ein globaler Medienbegriff wie von McLuhan                                                  with absurd emotions about unreal imaginary totally
vertreten in der Breite nicht durchgesetzt. Stattdessen                                          fictitious heroes and heroines who never existed or
wird meist zwischen Sprache und technischen                                                      ever will exist and too often with immoral thoughts
Medien unterschieden.                                                                            and suggestions. […] The habitual novel reader like
                                                                                                 the sensation theatre goer, the concert hall attender
                                                                                                 or like the inebriate or opium smoker must ever have
      Eine	
   klassische	
   Einteilung	
   der	
   Medienwelt	
   geht	
   auf                 some fresh excitement. […] Novel Readers can weep
  !   Harry	
   Pross	
   zurück	
   (1972).	
   Dieser	
   differenziert	
   zwi-­‐
      schen	
   Primärmedien,	
   die	
   nicht	
   technisch	
   vermiEelt
                                                                                                 with gush and false Sentiment over the entirely ima-
      sind,	
  wie	
  die	
  direkte	
  Rede,	
  Sekundärmedien	
  bei	
  denen                  ginary sorrows of a bogus hero or heroine who never
      der	
  Technikeinsatz	
  auf	
  der	
  Senderseite	
  liegt,	
  etwa	
  der                existed but will not give a Shilling to alleviate actual
      Buchdruck	
   und	
   TerCärmedien,	
   bei	
   der	
   sowohl	
   für	
   Pro-­‐          distress or destitution around them.“ (S. 670)
      dukCon	
   wie	
   RezepCon	
   technische	
   Apparaturen	
   nöCg                            Was Shorthouse an der Romanlektüre kritisiert,
      sind,	
  beispielsweise	
  Fernsehen	
  und	
  Internet.	
                                 wird später in der Medienwissenschaft unter den Be-
                                                                                                 griffen „Immersion“ und „parasoziale Beziehungen“
   Ein Grund warum es schwer fällt, Medien be-                                                   diskutiert: Das völlige Eintauchen in eine mediale
grifflich zu fassen, ist ihre Flüchtigkeit. Für die Me-                                          Realität und das Kommunikationsverhältnis zu fiktio-
dienwissenschaftlerin Sybille Krämer (2008) ist die                                              nalen oder unerreichbaren Charakteren (bspw. Prot-
Figur des Nachrichtenboten in der Antike eine Perso-                                             agonisten einer Fernsehserie, Nachrichtensprecher-
nifizierung des Medienbegriffs: Wenn der Bote eine                                               /innen). In aller Regel ist es ein harmloses Ver-
Meldung überträgt, tritt er nicht als eigenständiger                                             gnügen, in den Abenteuern von Harry Potter zu ver-
Akteur auf, sondern bleibt stets im Hintergrund.                                                 sinken oder Helga Beimer aus der Lindenstraße als
                                                                                                 „Mutter der Nation“ anzusehen. Die Fiktion ist we-
      Nur	
  wenn	
  es	
  eine	
  Störung	
  in	
  der	
  reibungslosen	
  Über-­‐              niger anspruchsvoll als der Umgang mit realen Per-
  !   tragung	
   gibt,	
   wird	
   die	
   Materialität	
   des	
   Mediums	
   be-­‐
      wusst.	
   Ansonsten	
   hat	
   das	
   VermiEelte	
   als	
   UnmiEel-­‐
                                                                                                 sonen: Ein Mausklick schließt das Computerpro-
                                                                                                 gramm, per Knopfdruck ist der Fernseher aus und
      bares	
   zu	
   erscheinen.	
   Medien	
   werden	
   also	
   erst	
   dann              mit einem Knall das Buch zugeschlagen – und die
      sichtbar,	
   wenn	
   sie	
   nicht	
   funkConieren,	
   gestört	
   sind                Geschichte steht, ohne nachtragend zu sein, bei
      oder	
  nicht	
  beherrscht	
  werden.	
  
                                                                                                 Bedarf jeder Zeit wieder zur Verfügung. Kein
                                                                                                 Wunder also, dass wir Medienkonsum entspannend
   Daraus ergibt sich ein Paradox im Diskurs um                                                  finden.
netzbasiertes Lernen und Lehren. Es gibt diesen                                                      Ab wann gleitet diese Entspannung in ein Abhän-
Diskurs, eben weil das Lernen und Lehren mit Tech-                                               gigkeitsverhältnis ab? Ein Krankheitsbild „Online-
nologien noch nicht reibungslos funktioniert – netz-                                             sucht“ ist nach dem Drogen- und Suchtbericht der
basierte Lehre ist dann erfolgreich etabliert, wenn die                                          Bundesregierung (2009) wissenschaftlich bislang
Medien wieder in den Hintergrund treten oder,                                                    nicht definiert, weshalb auch keine aussagekräftigen
                                                                                                 Statistiken vorliegen. Dennoch werden von den Ver-
4	
  —	
  Lehrbuch	
  für	
  Lernen	
  und	
  Lehren	
  mit	
  Technologien	
  (L3T)



   In der Praxis : Digital geprägte Kinderwelt
   Ein	
  Projekt	
  des	
  griechischen	
  Bildungsministeriums	
  soll	
  Eltern           „Second	
   Life“,	
   das	
   Gespräch	
   im	
   Online-­‐Chat	
   oder	
   das	
   Fa-­‐
   und	
  Erzieher	
  darin	
  unterstützen,	
  einen	
  realisCschen	
  Blick	
  für        cebook-­‐Profil,	
   erkundet	
   um	
   die	
   eigenen	
   Erwartungen	
   und
   die	
  digital	
  geprägten	
  Lebenswelten	
  von	
  Kindern	
  und	
  Jugend-­‐         Befürchtungen	
   mit	
   dem	
   Online-­‐Geschehen	
   zu	
   vergleichen.
   lichen	
   zu	
   erhalten.	
   In	
   20	
   Trainingseinheiten	
   werden	
   gezielt   hEp://inetrisks.cC.gr/	
  
   Szenarien	
  wie	
  der	
  Aufenthalt	
  in	
  der	
  virtuellen	
  3D-­‐Umgebung


fassern des Berichts drei bis sieben Prozent der Inter-                                      heitet, die das Lernen per Computer und Internet be-
netnutzer/innen als Onlinesüchtige charakterisiert.                                          gleitet haben. Ende der 90er Jahre prognostizierte ein
Mediengeschichtlich ist die Angst vor dem Ver-                                               Expertengremium der Bertelsmannstiftung, die tradi-
schwinden in der fiktionalen Welt bereits im 19. Jahr-                                       tionelle Hochschule sei im Begriff zu verschwinden.
hundert in der Figur des Don Quijote beschrieben.                                            Im Jahr 2005 sollten Bildungsbroker als Makler auf
Nach Lektüre zahlreicher Abenteuerromane wird                                                dem durch Angebot und Nachfrage regulierten Markt
„der sinnreiche Junker Don Quijote von der                                                   der Online-Studiengänge führen: „Was findet ein ty-
Mancha“ zum Ritter, der gegen Windmühlen kämpft.                                             pischer Studienanfänger – nennen wir ihn Thomas S.
In der Medienwissenschaft ist seit den Arbeiten von                                          – in naher Zukunft vor? Wird sein erster Gedanke
Blumer und Katz (1974) anerkannt, dass der Medien-                                           sein, sich eine Hochschule nach ihrem allgemeinen
konsum zweckrational erfolgt. Nach dem Prinzip                                               Renommee auszusuchen? Wird er sie lieber in einer
„uses and gratifications“ sind Nutzung und Nutzen                                            Großstadt oder eher in einem Städtchen besuchen
miteinander verwoben. Die Mediennutzung gerät                                                wollen? Soll seine erste Alma Mater eher in der Nähe
dann in Schieflage, wenn die Bedürfnislage aus dem                                           (wegen der Freundin) oder doch lieber weiter fort
Gleichgewicht ist.                                                                           (wegen der Eltern) liegen? Nichts dergleichen wird
   Im Februar 2008 wird erstmals der Fernsehwer-                                             ihn beschäftigen. Stattdessen wird Thomas S. das In-
bespot „Wo lebst Du“, der EU-finanzierten Kam-                                               ternet absuchen, um sich – mit Hilfe verschiedener
pagne klicksafe ausgestrahlt. Die Botschaft lautet:                                          Online-Bildungsbroker – über die weltweit angebo-
„Wer nur noch in der digitalen Welt lebt, lebt nicht                                         tenen Kurse und Abschlüsse zu informieren. [...] Se-
mehr in der richtigen.“ Die „Sensibilisierungskam-                                           minare und Vorlesungen, Kurse und Betreuung
pagne zur Förderung der Medienkompetenz“ hat                                                 werden als multimediale Websites oder als „training
klare Vorstellungen, wie der Umgang mit Internet                                             in the box“ angeboten.“ (S. 18).
und Social Software auszusehen hat – weniger ist
mehr, o n l i n e gepflegte Beziehungen sind keine                                                     Die	
   Studienwahl	
   per	
   „Online-­‐Bildungsbroker“	
   ist	
   kei-­‐
„echten“ Freundschaften und digitale Kommuni-
kation ist prinzipiell dem Austausch Angesicht zu
                                                                                                !      neswegs	
   Realität	
   geworden.	
   Vielmehr	
   zeigt	
   sich,	
   dass
                                                                                                       neue	
  Medien	
  in	
  der	
  Lehre	
  das	
  Repertoire	
  der	
  Lehrme-­‐
Angesicht unterlegen. Forschungen zu computerver-                                                      thoden	
   ergänzen,	
   stellenweise	
   auch	
   verändern,	
   aber
                                                                                                       keineswegs	
   ersetzen.	
   Dies	
   wird	
   in	
   den	
   KommunikaC-­‐
mittelter Kommunikation bestätigen diese pauschalen                                                    onswissenschaHen	
   als	
   „Riepelsches	
   Gesetz“	
   be-­‐
Annahmen allerdings nicht. Computervermittelte                                                         zeichnet.	
  
Kommunikation ist nicht defizitär gegenüber face-to-
face-Kommunikation, sondern weist eigene Quali-
täten auf. Unterschiedliche technologische Ausprä-                                                      Links	
  zum	
  Text,	
  sowie	
  auch	
  weiterführende	
  finden	
  Sie
gungen ermöglichen eine Bandbreite an Ausdrucks-
formen, die wiederum hinsichtlich ihrer kommunika-
                                                                                                !       in	
  der	
  L3T	
  Gruppe	
  bei	
  Mister	
  Wong	
  unter	
  Verwendung
                                                                                                        der	
  Hashtags	
  #l3t	
  #medientheorie
tiven Expressivität und Zielsetzung eine hohe Va-
rianz aufweisen. Wie der Kommunikationswissen-                                                  Riepel, Historiker und Journalist, formuliert 1913
schaftler Rice (1999) bemerkt „new media are often                                           in seiner Dissertation ein „Grundgesetz der Ent-
compared to, or critiqued from, a privileged, arti-                                          wicklung des Nachrichtenwesens“ das nach wie vor
factual, idealized notion of interpersonal communi-                                          in der kommunikationswissenschaftlichen Debatte
cation“ (S. 26). Wichtiger als das Medium ist die „Me-                                       vielfach zitiert wird. Demnach komplementierten
dialität“, also die Art und Weise, wie wir Medien in                                         neue Übertragungstechniken die alten, verdrängen sie
spezifischen Situationen gebrauchen (Krämer, 2008).                                          dagegen selten völlig. So machten in einer aktuellen
   Ebenso wenig wie heraufbeschworene Gefahren                                               ethnographischen Studie die australischen Forscher
haben sich die euphorischen Erwartungen bewahr-                                              Margot MacNeill und Ming Ming Diao (2010) die
Medientheorien.	
  Ein	
  Beitrag	
  zum	
  medienbasierten	
  Lernen—	
  5


überraschende Entdeckung, dass an ihrem Campus                                                   Diskussion um Web 2.0. Diese Ko-Evolution von
die Studierenden trotz Lernmanagementsystem und                                                  Anwendung und Herstellung wird in der Forschung
moderner Kommunikationsmedien den Münz-                                                          zur Technikgenese (engl. „social construction of
sprecher auf dem Unigelände am liebsten nutzten,                                                 technology“ auch „social informatics“) untersucht.
um sich bei ihren Professoren zu melden.                                                         Demzufolge ist die Implementierung neuer Techno-
                                                                                                 logien das Ergebnis von Verhandlungsprozessen und
3. Das	
  Neue	
  an	
  den	
  Neuen	
  Medien	
  
                                                                                                 Handlungen verschiedener sozialer Akteure mit indi-
Im vorangegangenen Abschnitt wurde auf Parallelen                                                viduellen Zielstellungen, Interessen und unterschied-
in der gesellschaftlichen Bewertung von Buchdruck                                                lichen infrastrukturellen und kulturellen Hinter-
und Internet verwiesen. Wie ähnlich, wie unter-                                                  gründen. Der virtuelle Raum transzendiert nicht den
schiedlich sind beide Medien? Anders gefragt: Was                                                realen Raum, sondern drückt eine soziale und gesell-
bedeutet es, wenn wir lesend und schreibend, produ-                                              schaftliche Realität aus. Der Medienforscher Rob
zierend und rezipierend, im Netz unterwegs sind?                                                 Kling hat in den 1990er Jahren begonnen, aus sozio-
Was ist das Neue an den neuen Medien und wie lange                                               logischer Perspektive digitale Informations- und
ist dieses Attribut eigentlich noch zeitgemäß?                                                   Kommunikationstechnologien in Organisationen zu
                                                                                                 untersuchen und dabei ein so genanntes „Web-
                                                                                                 Modell“ entwickelt. Soziale Rollen, vorhandene Infra-
         Computer	
   und	
   Internet	
   sind	
   Medien,	
   die	
   sich	
   zwi-­‐
                                                                                                 strukturen und zeitliche Verläufe wirken zusammen,
   !     schen	
   den	
   Polen	
   Massen-­‐	
   bzw.	
   Individualmedium	
   be-­‐
         wegen.	
  Alle	
  Rezipienten	
  nutzen,	
  wenn	
  auch	
  über	
  ver-­‐              wenn sich ein neues Kommunikationsmedium durch-
         schiedene	
   Zugangswege	
   (Browser,	
   Plasormen	
   und                           setzt – oder wieder verschwindet (Kling, 1991).
         Provider)	
   dasselbe	
   Netz.	
   GleichzeiCg	
   verfügen                               Technische Errungenschaften sind nicht nur
         Nutzer/innen	
   über	
   individuelle	
   Filter	
   und	
   Zugänge,                  „Möglichkeitsmaschinen“ (Großklaus, 1997), sondern
         zum	
   Beispiel	
   RSS-­‐Feeds,	
   Bookmarks,	
   subskribierte                      ziehen auch Einschränkungen nach sich. Walter Ben-
         Mailinglisten,	
   Avatare	
   und	
   Agenten,	
   Portalmitglied-­‐
                                                                                                 jamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner
         schaHen,	
   etc.	
   Faßler	
   (1999)	
   hat	
   für	
   diesen	
   Umstand
         den	
  Begriff	
  „MassenIndividualMedium“	
  geprägt.	
  Elek-­‐                        technischen Reproduzierbarkeit“ aus dem Jahr 1939
         tronischer	
  Text	
  ist	
  prinzipiell	
  wandelbar,	
  der	
  Zugang	
  zu           reflektiert die umwälzenden Wirkungen des Films
         PublikaConsmöglichkeiten	
   nicht	
   exklusiv	
   und	
   die                         und anderer technischer Medien auf die Kunst und
         Rückkopplung	
   des	
   Lesers	
   durch	
   die	
   Vernetzung	
   je-­‐              zieht Rückschlüsse auf deren Stellung und Funktion
         derzeit	
  möglich.	
                                                                   innerhalb der Gesellschaft. Die Möglichkeit der mas-
                                                                                                 senhaften Reproduktion führt zum Verlust der
   Wie gut verstehen wir dieses „MassenIndividual-                                               „Aura“ eines Kunstwerks.
Medium“? In der ersten Ausgabe des Magazins „New                                                     „Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion
Media & Society“ stellt Herausgeber Roger Silver-                                                fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks –
stone 1999 die Frage, was denn eigentlich das Neue                                               sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich
an den neuen Medien sei:                                                                         befindet. […] Das Hier und Jetzt des Originals macht
   „To ask the question‚ What’s new about new                                                    den Begriff seiner Echtheit aus. […] Während das
media?’ is, of course, to ask a question about the rela-                                         Echte aber der manuellen Reproduktion gegenüber,
tionship between continuity and change; a question                                               die von ihm im Regelfalle als Fälschung abgestempelt
that requires an investigation into the complexities of                                          wurde, seine volle Autorität bewahrt, ist das der tech-
innovation as both a technological and a social                                                  nischen Reproduktion gegenüber nicht der Fall. […]
process […] Do new media create new meanings?                                                    Die Kathedrale verlässt ihren Platz, um in dem
Do they enable or disable social and cultural change?                                            Studio eines Kunstfreundes Aufnahme zu finden; das
How are we to disentangle the various components                                                 Chorwerk, das in einem Saal oder unter freiem
of media and technology change as they affect, or are                                            Himmel exekutiert wurde, lässt sich in einem Zimmer
presumed to affect, organizations, the political                                                 vernehmen“(Benjamin, 1939, 4).
process, global commerce, everyday life? What is this                                                Benjamins ästhetische Überlegungen – einer theo-
space called cyber?“ (Silverstone, 1999, 10-11)                                                  retischen Linse gleich – ermöglichen uns die Effekte
   Technische Innovation und soziale Praxis wirken                                               der Digitaltechnologie in Hinblick auf die Erlebnis-
zusammen und geben gemeinsam digitalen Netz-                                                     qualität in medial vermittelten Lernsituationen zu be-
medien eine Gestalt – auch aus diesem Grund sind                                                 trachten. So geht beispielsweise bei der Aufzeichnung
die von Silverstone aufgeworfenen Fragen kei-                                                    von Lehrveranstaltungen das Ursprüngliche eines
neswegs als gelöst zu betrachten, sondern begegnen                                               Vortrags in Teilen verloren. Das erklärt, warum Stu-
uns in neuem Gewand immer wieder, aktuell in der                                                 dierende trotzdem noch in den Hörsaal gehen, wenn
6	
  —	
  Lehrbuch	
  für	
  Lernen	
  und	
  Lehren	
  mit	
  Technologien	
  (L3T)



   In der Praxis : Ringvorlesung „Medien und Bidlung“
   „Eine	
  Pädagogik,	
  die	
  ohne	
  MiEel	
  und	
  MiEler	
  auskommt	
  –	
  un-­‐        stellte	
   Ringvorlesung	
   erkundet	
   das	
   interdisziplinäre	
   Feld	
   der
   miEelbar	
   sozusagen	
   –,	
   ist	
   nicht	
   denkbar“,	
   so	
   beschreibt	
   die   Medientheorie	
  aus	
  der	
  PerspekCve	
  von	
  Philosophie	
  über	
  die
   Ringvorlesung	
  „Medien	
  und	
  Bildung“	
  die	
  Bedeutung	
  von	
  In-­‐               Kunst-­‐,	
  Medien-­‐	
  und	
  KulturwissenschaHen	
  bis	
  zur	
  InformaCk.
   formaCons-­‐	
   und	
   KommunikaConstechnologien	
   für	
   das                            hEp://www.podcampus.de/channels/47	
  
   Lehren	
   und	
   Lernen.	
   Die	
   auf	
   dem	
   Portal	
   podcampus	
   bereitge-­‐


alles im Netz verfügbar ist. Und was passiert, wenn                                                  Wenn Personen mit einer Software (inter-)agieren,
die Kopie vom Original nicht mehr unterscheidbar                                                 spielt sich eine Handlung ab, bei der der Computer
ist? Worin besteht die Aura eines Hypertextes oder                                               selbst als kommunikatives Gegenüber wahrge-
eines PDF-Dokuments? Über den Schutz von Urhe-                                                   nommen wird. Aus Sicht der Benutzer/innen agiert
berrechten hinausgehend gibt es einen Bedarf solche                                              das jeweilige Programm, was sich in Aussagen wie
Fragen konstruktiv zu erörtern.                                                                  „Ich hab gar nichts gemacht, er hat sich einfach aus-
                                                                                                 geschaltet“ oder „Word hat einen Fehler gefunden“
4. Medientheorien	
  und	
  die	
  Gestaltung	
  neuer	
  Medien
                                                                                                 widerspiegelt. (#ant) Eine Aufgabe des Interface-
   Unsere oftmals impliziten Vorstellungen von digi-                                             design liegt darin, schlüssige Charaktere zu schaffen:
talen Medien beeinflussen Interaktionsformen und                                                 „Computer-based agents, like dramatic characters, do
Gestaltungsspielräume. Auf der Schnittstelle von Li-                                             not have to think [...]; they simply have to provide a
teraturwissenschaft und Informatik sind zahlreiche                                               representation from which thought may be
Arbeiten entstanden, die sich mit der Ästhetik digi-                                             inferred“(Laurel, 1993, 57). Bei der Gestaltung von
taler Medien, Narration im Netz und „Human Com-                                                  Lerntechnologien können narrative Ansätze und dra-
puter Interaction“ befassen. Beispiele sind die Ar-                                              maturgische Inszenierungen die Interaktion mit der
beiten von Brenda Laurel, Aspen Aarseth, Janet                                                   Lernumgebung authentischer, einfacher und ange-
Murray und George Landow.                                                                        nehmer machen.
   George Landow, Professor für englische Literatur                                                  Mit der Inszenierung digitaler Welten und ihrem
und Kunstgeschichte an der Brown University, ist                                                 narrativen Potential hat sich in der Publikation
vielen seiner Fachkollegen hauptsächlich als Experte                                             „Hamlet on the Holodeck“ (1997) Janet Murray be-
für das viktorianische Zeitalter bekannt. Seine Begeis-                                          fasst. Sie identifiziert vier grundsätzliche Eigen-
terung für Hypertexte begann mit dem Online-Kurs                                                 schaften digitaler Medien – Prozeduralität, Partizi-
„The Victorian Web“, eine frei zugängliche Lernres-                                              pation, Räumlichkeit, Enzyklopädik – aus denen sie
source, die inzwischen über 40.000 Dokumente um-                                                 drei spezifische Erlebnisqualitäten virtueller Umge-
fasst. In seinen Arbeiten zu Hypertext und Hyper-                                                bungen ableitet. Durch seine Prozeduralität ist ein
media befasst er sich mit erkenntnistheoretischen                                                Computer in der Lage, Prozesse nicht nur abzu-
Fragen, die mit dem Wandel von geschlossenen Au-                                                 bilden, sondern tatsächlich ablaufen zu lassen. Inhalte
torensystemen zu offenen, hypertextuellen Systemen                                               in einem digitalen Medium können deswegen in-
einhergehen (Landow, 2006).                                                                      härent dynamisch sein, während traditionelle Medien
                                                                                                 ausschließlich statische Inhalte verbreiten können.
                                                                                                 Die zweite Eigenschaft sind Partizipationsmöglich-
         Brenda	
   Laurels	
   DissertaCon	
   prägte	
   das	
   Bild	
   des	
   „Com-­‐
                                                                                                 keiten in digitalen Umgebungen. Computeranwen-
  !      puters	
   als	
   Bühne“.	
   Diese	
   Metapher	
   lenkt	
   das	
   Au-­‐
         genmerk	
   weg	
   von	
   den	
   ProgrammrouCnen	
   des	
   Com-­‐                  dungen erzeugen Interesse, weil ihre Aktionen poten-
         puters	
   hin	
   auf	
   die	
   Handlung	
   am	
   Bildschirm	
   aus	
   der       tiell beeinflussbar sind und die Nutzer/innen in ab-
         PerspekCve	
   der	
   Benutzer/innen.	
   In	
   Laurels	
   Theater-­‐                laufende Prozesse eingreifen können. Als dritte Ei-
         metapher	
   entspricht	
   grafische	
   BenutzerschniEstelle                           genschaft von digitalen Umgebungen führt Murray
         einer	
  ‚Bühne’,	
  auf	
  der	
  sich	
  die	
  Handlung	
  vollzieht.	
  Die         die Räumlichkeit an – digitale Medien bilden
         Technologie,	
  die	
  die	
  Aufführung	
  ermöglicht,	
  ist	
  selbst
                                                                                                 „Räume“ und „Umgebungen“ in denen wir uns ori-
         gar	
  nicht	
  sichtbar,	
  sondern	
  –	
  wie	
  im	
  Theater	
  –	
  ‚hinter
         den	
  Kulissen’	
  täCg.
                                                                                                 entieren können. Murrays vierte Eigenschaft, die En-
                                                                                                 zyklopädik, zielt auf die Effizienz der Digitaltechno-
                                                                                                 logie ab, für einen Menschen unübersehbare Mengen
  Brenda Laurel erweiterte in den 1990er Jahren                                                  an Daten zu speichern, zu verarbeiten und auch zu
unser Verständnis für das Medium Computer durch                                                  präsentieren.
Rückgriff auf die Aristotelische Dramentheorie.
Medientheorien.	
  Ein	
  Beitrag	
  zum	
  medienbasierten	
  Lernen—	
  7



  In der Praxis : Der Hypertext „Pastperfect“
  Pastperfect	
   ist	
   ein	
   Hypertext	
   zu	
   GeschichtswissenschaH	
   bei                   „SchmeEerlingsthema“	
   ist,	
   sondern	
   einen	
   Platz	
   im	
   konzep-­‐
  dem	
   ProdukCon	
   und	
   Reflexion	
   Hand	
   in	
   Hand	
   gehen.	
   Der                   Conellen	
   Repertoire	
   von	
   InstrukConsdesigner/innen	
   ver-­‐
  Erfolg	
  des	
  Projekts	
  –	
  die	
  Webseite	
  gewann	
  im	
  Jahr	
  2004	
  den             dient.	
  URL:	
  hEp://www.pastperfect.at/	
  [2011-­‐01-­‐24]	
  
  MedidaPrix	
   –	
   zeigt,	
   dass	
   Medientheorie	
   kein	
   abwegiges



     Aus diesen Eigenschaften folgert Murray drei                                                      knüpfungen der Autoren/innen widerspiegelt, die
„pleasures“, also „Genüsse“ oder „Annehmlich-                                                          den eigenen Ansprüchen und Erwartungen als Leser
keiten“. Sie beginnt mit der Immersion, also dem                                                       oder „Nutzer/innen“ unter Umständen zu wider
Gefühl des „Eintauchens in eine andere Welt“. Wenn                                                     laufen. Auch wenn ein Gestalter oder eine Gestalterin
die Handlungen, die eine Person innerhalb einer digi-                                                  nicht mitteilt oder vielleicht selbst gar nicht aus-
talen Umgebung vollzieht, wahrnehmbare Folgen                                                          drücken kann, worin der Sinn eines Hyperlinks be-
und Ergebnisse hat, dann erlebt die Nutzer/in nach                                                     steht, so wird doch von den Lesern erwartet, dass sie
Murray den zweiten charakteristischen Genuss digi-                                                     spüren oder verstehen, auf welchen Pfaden der Hy-
taler Umgebungen: die sogenannte Agency. Der Be-                                                       pertext sinnvoll zu erschließen sei. Diesen Aspekt
griff beschreibt den Grad mit dem Dinge nach dem                                                       betont auch der Medientheoretiker Aspen Aarseth. In
Willen der Benutzer innerhalb einer Umgebung ge-                                                       „Cybertext. Perspectives on Ergodic Literature“ be-
staltbar sind. Die dritte von Murray identifizierte                                                    schreibt er „ergodische“ Texträume, die nur durch
Qualität digitaler Umgebungen ist die Transfor-                                                        Aufwand der Benutzer durchquert werden können
mation. So ist es in einer digitalen Umgebung                                                          (Aarseth, 1997).
möglich, einen anderen Charakter anzunehmen und
                                                                                                       5. 	
  Zusammenfassung
Facetten der eigenen Person weitgehend risikofrei zu
explorieren.                                                                                           Dieses Kapitel hat einen breiten Bogen über das fa-
   Oberflächlich betrachtet könnte man meinen,                                                         cettenreiche Feld der Medientheorien gespannt –
Computer und Internet seien eigentlich nur Distribu-                                                   vom Dekonstruktivismus Jaques Derridas über sozio-
tionskanäle für die traditionellen Medienformen                                                        technische Forschungsansätze bis hin zu medienäs-
Print, Audio und Video – es ist also nichts Neues,                                                     thetischen Vorstellungen. Welche zentralen Ergeb-
sondern „alter Wein in neuen Schläuchen“, ein                                                          nisse lassen sich abschließend festhalten? Zunächst
Vorwurf dem sich die E-Learning-Didaktik mehrfach                                                      ist da die Erkenntnis, dass implizite Vorstellungen
ausgesetzt sieht. Der Germanist und Fachdidaktiker                                                     vom Wesen der Medien unsere instruktionalen Ge-
Bernd Switalla (2001) hat in seinen Arbeiten wie-                                                      staltungsentscheidungen stets begleiten. Wenn wir
derholt erläutert, worin sich die Lektüre zwischen                                                     diese alltagstheoretischen Überzeugungen auf den
zwei Buchdeckeln von der Navigation im Internet                                                        Prüfstand setzen, gewinnen wir Distanz, um in der
unterscheidet und was daraus für die Produzenten                                                       technologisch diktierten Entwicklungslandschaft den
von Lernmedien folgt.                                                                                  Überblick zu behalten. Wer medientheoretisch reflek-
                                                                                                       tiert an das didaktische Design von medienbasierten
                                                                                                       Lernumgebungen herangeht, kann das Potenzial digi-
        Schon	
   lange	
   bevor	
   HypertexEechnologien	
   erfunden                                taler Medien besser ausschöpfen und Potentiale,
  !     waren,	
   wurden	
   Texte	
   geschrieben,	
   die	
   eine	
   non-­‐li-­‐
        neare	
  Lektüre	
  nahelegten.	
  Dazu	
  zählen	
  Arno	
  SchmiEs
                                                                                                       Nutzen, Chancen und Risiken für Lehre und Unter-
                                                                                                       richt realistisch einschätzen.
        „ZeEels	
  Traum“,	
  WiEgensteins	
  „Philosophische	
  Unter-­‐
        suchungen“	
   und	
   Lichtenbergs	
   „Sudelbuch“.	
   Nichtsde-­‐
                                                                                                           Eng damit zusammen hängt eine geschichtliche
        sotrotz	
  macht	
  es	
  einen	
  großen	
  Unterschied,	
  ob	
  wir	
  auf                  Einbettung medienbezogener Debatten. Medienum-
        dem	
   Bildschirm	
   lesen	
   oder	
   auf	
   dem	
   Papier.	
   Der	
   fran-­‐          brüche in Spätmittelalter und früher Neuzeit sind
        zösische	
  Historiker	
  Roger	
  CharCer	
  bezeichnet	
  dies	
  als                        nicht nur als ferner Spiegel unserer Gegenwart von
        die	
   „Materialität“	
   des	
   Textes	
   (CharCer	
   &	
   Cavallo,                      Interesse. Es handelt sich um eine Epoche, die als
        1999).                                                                                         Versuchslabor zum Verhältnis alter und neuer Medien
                                                                                                       betrachtet werden kann (Burkhardt & Werkstetter,
   Des Weiteren bewegen wir uns in Hypertexten in                                                      2005). Medienhistorisches und medientheoretisches
einem Verweisraum, den ein anderer über den Text                                                       Hintergrundwissen erlaubt, die Gestaltungsspiel-
gelegt hat und welcher entsprechend assoziative Ver-
8	
  —	
  Lehrbuch	
  für	
  Lernen	
  und	
  Lehren	
  mit	
  Technologien	
  (L3T)


räume neuer Lehr- und Lernmedien konstruktiv zu                                              tentiale digitaler Lernumgebungen pauschal zu beur-
nutzen, anstatt sie technikfeindlich zu ignorieren oder                                      teilen, wird es Zeit, das Medienhandeln ins Zentrum
technikgläubig zu verspielen.                                                                zu setzen.
    Wer über Medien debattiert, sollte ein Auge für                                          Literatur
geeignete Metaphern entwickeln und gleichzeitig in
der Lage sein, Metaphern und Bilder zu dekonstru-                                            ▸ Aarseth, E.J. (1997). Cybertext: Perspectives on Ergodic Lite-
ieren und für Brüche und Widersprüche in der Me-                                               rature. Baltimore/London: John Hopkins University Press.
dienwahrnehmung offen zu bleiben. Medientheore-                                                URL: http://www.hf.uib.no/cybertext/Ergodic.html [2010-10-
tische Ansätze können Impulse für die konkrete Ge-                                             02].
staltung geben. Laurels Bild des „Computers als                                              ▸ Benjamin. W. (1939). Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techni-
Bühne“ bildet aus anwendungsbezogener Sicht einen                                              schen Reproduzierbarkeit. URL: http://walterbenjamin.omini-
nachvollziehbaren Ansatz für die Interfacegestaltung.                                          verdi.org/wp-content/kunstwerkbenjamin.pdf [2010-10-02].
Statt die Prozeduren des Rechners „aufzuführen“                                              ▸ Bertelsmann Stiftung & Heinz Nixdorf Stiftung (2001).
sollten Nutzer/innen die Handlung verstehen                                                    Studium online. Hochschulentwicklung durch neue Medien.
können. In diesem Zusammenhang kommt Janet                                                     Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, URL: http://www.-
Murrays Bild des Computers als unendlicher Enzy-                                               bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-86B05F6C-70-
klopädie in den Sinn – eine Eigenschaft, die der di-                                           CAA8CC/bst/hs.xsl/publikationen_29336.htm [2010-10-02].
daktischen Reduktion in Lernumgebungen nicht                                                 ▸ Blumler J. G. & E. Katz (1974). The Uses of Mass Communi-
immer zuträglich ist.                                                                          cation. Newbury Park, CA: Sage.
    Aus medientheoretischen Erkenntnissen ergeben                                            ▸ Bundesregierung Deutschland (2009). Drogen- und Suchtbe-
sich praktische Konsequenzen, die für die Ent-                                                 richt 2009. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit, URL:
wicklung von Lernumgebungen gelten. Statt sich                                                 http://www.bmg.bund.de/fileadmin/redaktion/pdf_misc/mo-
selbstverständlich an durch Printmedien tradierten                                             derne-drogenpolitik-drogenbericht-2009.pdf [2011-01-05].
Organisationsprinzipien wie Seiten, Fußnoten, An-                                            ▸ Burkhardt, J. & Werkstetter, C. (2005). Kommunikation und
merkungen und Kapitel zu orientieren, lohnt es sich                                            Medien in der Frühen Neuzeit. München: Oldenbourg.
einen offenen Blick für Gestaltungsmöglichkeiten zu                                          ▸ Cervantes, S. M. (1615). Der sinnreiche Junker Don Quijote
entwickeln (Switalla, 2001). Neben der Immersion                                               von der Mancha. URL: http://books.google.de/books?
sollte das Augenmerk dabei vor allem auf dem Be-                                               id=y_P_b-
reich Agency liegen – die Lernenden sollen das Ge-                                             UVZ20C&printsec=frontcover&source=gbs_atb#v=onepage
schehen aktiv beeinflussen können. Allerdings ist                                              &q&f=false [2010-10-02], 47-48.
keine Lernumgebung per se eine konstruktivistische                                           ▸ Chartier, R. & Cavallo, G.. (1999). Die Welt des Lesens. Von
Wunderwaffe. Hier gilt es Medium und Medialität zu                                             der Schriftrolle zum Bildschirm. Frankfurt am Main: Campus.
unterscheiden: Es kommt weniger auf die Eigen-                                               ▸ Derrida, J. & Roudinesco, E. (2006). Woraus wird Morgen ge-
schaften des Artefakts an, sondern mehr auf die In-                                            macht sein? Ein Dialog. Stuttgart: Klett-Cotta.
strumentalisierung durch die Lernenden. Statt die Po-                                        ▸ Ellrich, L. (2005). Medienphilosophie des Computers. In: M.
                                                                                               Sandbothe & L. Nagl (Hrsg.), Systematische Medienphilo-
         Reflexionsaufgaben:                                                                    sophie, Berlin, URL: http://www.uni-koeln.de/phil-

  ?       ▸ Was	
  halten	
  Sie	
  von	
  Edward	
  Shorthouses	
  Vorwurf,
            Medienkonsumenten	
   seien	
   eher	
   vom	
   Schicksal	
   fik-­‐
                                                                                               fak/thefife/ellrich/computerphilosophie.htm [2010-10-02],
                                                                                               343-358.
            Conaler	
   Gestalten	
   zu	
   Tränen	
   gerührt	
   als	
   dazu             ▸ Fromme, J. & Sesink, W. (2008). Pädagogische Medientheorie.
            bereit	
  tatsächliche	
  Missstände	
  zu	
  bekämpfen?                           Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
          ▸ Jedes	
  Medium	
  öffnet	
  eine	
  spezifische	
  PerspekCve                     ▸ Großklaus, G. (1997). Medien-Zeit Medien-Raum. Zum
            auf	
   unsere	
   Umwelt.	
   Medialitätsbewusstsein	
   be-­‐
                                                                                               Wandel der raumzeitlichen Wahrnehmung in der Moderne.
            deutet,	
   das	
   eigene	
   Medienhandeln	
   kriCsch	
   zu	
   re-­‐
            flekCeren.	
   Führen	
   Sie	
   einen	
   Tag	
   lang	
   Protokoll              Frankfurt am Main.
            über	
  Ihren	
  Medienalltag!	
                                                 ▸ Kling, R: (1991). Computerization and Social Transformation.
          ▸ Inwieweit	
   ähnelt	
   die	
   Lektüre	
   von	
   Romanen	
   der	
   In-­‐     URL: http://rkcsi.indiana.edu/archive/kling/pubs/STHV-
            terakCon	
   mit	
   Computerspielen?	
   Erzählern	
   Sie	
   die                92B.htm [2010-10-02].
            Geschichte	
   eines	
   modernen	
   Don	
   Quijote!	
   In-­‐                 ▸ Kloock, D. & Spahr, A. (2000). Medientheorien. Eine Ein-
            wieweit	
  bieten	
  Medien	
  gleichzeiCg	
  Zugang	
  zur	
  und
                                                                                               führung. München: Wilhelm Fink Verlag.
            Rückzug	
  von	
  der	
  Welt?
                                                                                             ▸ Krämer, S. (2008). Medium, Bote, Übertragung: Kleine Meta-
          ▸ Verflüssigung	
   und	
   Entgrenzung	
   sind	
   zentrale	
   Me-­‐
            taphern	
   bei	
   der	
   Beschreibung	
   digitaler	
   Medien.                 physik der Medialität. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
            Nehmen	
  Sie	
  kriCsch	
  Stellung	
  zu	
  den	
  Begriffen	
  „In-­‐          ▸ Knie, A. (1997). Technik als gesellschaftliche Konstruktion, In-
            formaCon	
  Overflow“	
  und	
  „Globales	
  Dorf“.	
                               stitutionen als soziale Maschinen. In: Dierkes, M. (Hrsg.), Tech-
Medientheorien.	
  Ein	
  Beitrag	
  zum	
  medienbasierten	
  Lernen—	
  9


    nikgenese. Befunde aus einem Forschungsprogramm. Berlin:           ▸ Sandbothe, M. (2003). Was ist Medienphilosophie?. In: Zeit-
    Edition Sigma, 225-243.                                              schrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 48/2,
▸   Landow, G. P. (2006). Hypertext 3.0 Critical Theory and New          URL: http://www.sandbothe.net/346.html [2010-10-02], 195-
    Media in an Era of Globalization: Critical Theory and New            206.
    Media in a Global Era (Parallax, Re-Visions of Culture and So-     ▸ Silverstone, R. (1999). What’s new about new media?. In: New
    ciety). Baltimore: The Johns Hopkins University Press.               Media & Society, 1(1), 10-12.
▸   McLuhan, M. (1966). Understanding Media: The Extension of          ▸ Stephens, M. (1991). Deconstructing Jaques Derrida. The Most
    Man. London: MIT Press.                                              Reviled Professor in the World Defends His Diabolically Dif-
▸   MacNeill, M. & Diao, M. M. (2010). Student uses of IT in             ficult Theory. URL:
    learning: an ethnographic study. IADIS International Confe-          http://www.nyu.edu/classes/stephens/Jacques%20Derrida
    rence e-Learning 2010. 307-314.                                      %20-%20LAT%20page.htm [2010-10-02].
▸   Meyer, T. (2002). Interfaces, Medien, Bildung : Paradigmen         ▸ Switalla, B. (2001). Lernen in Zeiten des Internets. In: S.J.
    einer pädagogischen Medientheorie. Bielefeld: Transcript             Schmidt (Hrsg.), Lernen im Zeitalter des Internets. Grundlagen
    Verlag.                                                              Probleme, Perspektiven., Bozen: Pädagogisches Institut, 115-
▸   Murray, J. H. (1997). Hamlet on the Holodeck: the Future of          137.
    Narrative in Cyberspace. The Free Press.                           ▸ Vollbrecht, R. 2005: Stichwort: Medien. In: L. Mikos, L. & C.
▸   Pross, H. (1972). Medienforschung. Film, Funk, Presse, Fern-         Wegener (Hrsg.). Qualitative Medienforschung. Ein Handbuch.
    sehen. Darmstadt: Verlag Habel.                                      Konstanz: UTB, 29-39.
▸   Rice, R.E. (1999). Artifacts and paradoxes in new media. In:
    New Media and Society, 1(1), 24-32.

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Medientheorien - Ein Beitrag zum medienbasierten Lernen

  • 1. Stefanie  Panke Medientheorien Ein Beitrag zum medienbasierten Lernen Im   Zuge   der   medialen   Durchdringung   aller   Lebensbereiche   sind   Medien   zum   Gegenstand   vieler   Wissen-­‐ schaHen  geworden.  MedientheoreCsche  Betrachtungen  finden  sich  unter  anderem  in  PublizisCk  und  Kom-­‐ munikaConswissenschaH,   Soziologie,   Politologie,   Philosophie   und   LiteraturwissenschaH.   Neben   univer-­‐ salen  MediendebaEen  gibt  es  Diskurse  zu  Einzelmedien  und  je  nach  PerspekCve  treten  ästheCscher  Aus-­‐ druck,   erzieherisches   PotenCal,   gesellschaHliche   Auswirkungen   oder   individuelles   Erleben   in   den   Fokus. Verschiedene  DefiniConen  des  Medienbegriffs  stellen  entweder  Technik,  FunkCon  oder  Inhalte  in  den  Vor-­‐ dergrund.   Folglich   kann   von   „der“   Medientheorie   nicht   die   Rede   sein   (Kloock   &   Spahr,   2000).   Lernziel dieses   Kapitels   ist   es,   ausgewählte   medientheoreCsche   Fragestellungen   und   Ansätze   in   ihrer   Bedeutung für   das   Lehren   und   Lernen   mit   digitalen   Medien   zu   erschließen.   Wenn   Computer   und   Internet   einem   „tra-­‐ diConellen“  Lernmedium  wie  dem  Buch  oder  der  Overheadfolie  vorgezogen  werden,  so  sollte  der  Grund  in den   jeweils   spezifischen   EigenschaHen   und   Fähigkeiten   des   Mediums   liegen.   Wer   reflekCert,   inwieweit Medien  eine  Grundbedingung  unseres  Denkens  und  Handelns  darstellen,  gewinnt  an  Urteilsvermögen  hin-­‐ sichtlich  der  Chancen  und  Grenzen  spezifischer  Medien  im  InformaCons-­‐  und  KommunikaConsalltag.  Me-­‐ dientheorien   eröffnen   zudem   eine   historische   PerspekCve   auf   aktuelle   DebaEen   um   Gefahren   und   Poten-­‐ Cale  virtueller  Welten.   Quelle:  Stefanie  Panke #medientheorie #spezial   #theorieforschung Version  vom  1.  Februar  2011 Für  dieses  Kapitel  wird  noch  ein  Pate  gesucht, Jetzt Pate werden! mehr  InformaConen  unter:  hEp://l3t.eu/patenschaH
  • 2. 2  —  Lehrbuch  für  Lernen  und  Lehren  mit  Technologien  (L3T) Medien sind aus unserem Lernalltag nicht wegzu- 1. Metaphern,  Medien  und  Dekonstruk4on:  „There  is denken. Der Bedarf an einer „pädagogischen Me- nothing  outside  the  text“     dientheorie“ wurde 2006 in der Kommission Medien- Eine Metapher ist ein sprachlicher Ausdruck, bei dem pädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erzie- ein Wort aus seinem Bedeutungszusammenhang in hungswissenschaft durch die Gründung einer einen anderen Kontext übertragen und als Bild ver- „Theorie-AG“ entsprochen (Fromme & Sesink, wendet wird. Wir benutzen ganz selbstverständlich 2008). Torsten Meyer hat sich wiederholt mit der im alltäglichen Sprachgebrauch verschiedene Meta- Frage befasst, was ein pädagogisches Medium sei – phern im Zusammenhang mit (neuen) Medien: Aus- und kritisiert „die Zielvorstellung“, eine „kritisch drücke wie Datenautobahn, Netz-Surfer, Informati- emanzipatorischen Einstellung“ gegenüber „den onsflut, Cyberspace, globales Dorf, Datenmeer, Medien“ hervorzubringen, damit „ich mein Ich“ auch Computervirus und Cyberpiraterie kommen uns in der „Mediengesellschaft“ noch ohne „Medien“ flüssig über die Lippen, doch was genau meinen wir bilden kann“. Diese beruht aus seiner Sicht auf der damit? Fehleinschätzung, „Bildung wäre auch ohne Bezug auf „Medien“ denkbar“(Meyer, 2002, S. 27). „There   is   nothing   outside   the   text“,   eine   ProklamaCon ! von   Jaques   Derrida,   verweist   darauf,   dass   unser Wenn  wir  im  Bildungskontext  von  „Medien“  sprechen, Wissen   sprachlich   codiert   ist.   Wir   können   nur   in Medien   über   Medien   nachdenken,   in   Sprache   über ! meinen   wir   in   der   Regel   „technische   Medien“,   wie zum   Beispiel   Film   und   Computer,   die   eine   eigen-­‐ Sprache   reden.   Wir   können   uns   daher   keinen   neu-­‐ ständige   Medienwirklichkeit   erzeugen.   Im   Gegensatz tralen   Beobachtungsstandpunkt   suchen.   Der   Dekon-­‐ dazu   steht   ein   universeller   Medienbegriff,   der   in   kul-­‐ strukCvismus,   ein   Begriff   den   Jaques   Derrida   in   den turwissenschaHlichen   Mediendiskursen   ebenfalls   ver-­‐ sechziger   Jahren   in   Paris   prägte,   richtet   die   Aufmerk-­‐ breitet   ist.   Ein   Beispiel   ist   Marshall   McLuhans   Vor-­‐ samkeit   auf   die   genaue   Lektüre   von   Metaphern   und stellung   von   Medien   als   Erweiterungen   des   Men-­‐ Bildern.   schen.     „Deconstructive readings focus – intently, obses- sively – on the metaphors writers use to make their Marshall McLuhans These aus den frühen 1960er points. Their purpose is to demonstrate, through Jahren, „das Medium ist die Botschaft“ genießt bis comparisons of a work's arguments and its meta- heute eine große Popularität. McLuhan versteht phors, that writers contradict themselves – not just Medien als funktionale Erweiterungen des mensch- occasionally, but invariably – and that these contra- lichen Körpers. In dieser Sichtweise kann selbst ein dictions reflect deep fissures in the very foundations Flugzeug, Geld oder die Elektrizität zum Medium of Western culture. In other words, deconstruction werden (Vollbrecht, 2005). McLuhans universelles claims to have uncovered serious problems in the way Bild des Organersatzes begründete einen eigenen me- Plato and Hemingway and you and I think about dienwissenschaftlichen Ansatz, der Medien einen matters ranging from truth and friendship to po- Werkzeugcharakter zuschreibt. Medien werden als litics.“ (Stephens, 1991, o.S.). „Instrumente zur Veränderung von Wirklichkeit“ in- Der Dekonstruktivismus sieht den inneren Wider- terpretiert (Sandbothe, 2003). Diese so genannten spruch als Teil der Conditio Humana, als eine anthro- „anthromorphen“ Ansätze stellen den Menschen in pologische Grundkonstante. Brüche und Wider- den Mittelpunkt und sehen Medien als Werkzeug sprüche in unserem Medienverständnis gibt es oder eben als Prothesen des menschlichen Körpers, reichlich. Nicht nur streiten die Gelehrten, was denn Computer werden zu „global vernetzten Prothesen eine geeignete Definition von „Medien“ eigentlich der Sinne“ (Coy, 1994, 37). sei, auch scheiden sich die Geister in der Bewertung Kritiker finden, diese Sichtweise greife zu kurz. So von neuen Medientechnologien: Sind sie Heilsbringer sieht Lutz Ellrich (2005) es als vordringlichste oder Teufelsbote? Bringen Medien Menschen näher Aufgabe der Medienphilosophie „die Organersatz- zusammen oder lassen sie uns vereinsamen? Machen theorie zu hinterfragen und generell die notorische sie schlau oder dumm? Beginnen wir zunächst mit Anthropomorphisierung technischer Errungen- dem Medienbegriff. Um das Wechselspiel von schaften zu bekämpfen“ (S. 343). Was ist der Ur- Medium, Botschaft, Adressat, Sender, Störung und sprung solch kampfeslustiger Polemik? Die techni- Empfang zu beschreiben, hat die Kommunikations- schen Medien, beispielsweise Internet und Fernsehen, und Medienwissenschaft eine Vielzahl phantasievoller haben großen Anteil an der Wirklichkeitsvorstellung Anleihen, Vergleiche und Metaphern hervorgebracht. unserer Kultur. Die Art und Weise, wie technische
  • 3. Medientheorien.  Ein  Beitrag  zum  medienbasierten  Lernen—  3 Medien unsere Wirklichkeit durchdringen und anders gesagt, das Online-Lernen kein Thema mehr formen ist so komplex, dass sie nicht von Individuen ist. Ein Widerspruch, an dessen Dekonstruktion gesteuert wird, sondern sowohl in Produktion als Jaques Derrida Gefallen gefunden hätte. auch Rezeption ein kulturelles Kollektiv widerspiegelt 2. Neue  Medien  zwischen  Gefahr  und  Chance:  Romane (Hartmann, 2003). Medien sind also nicht nur Organ als  Opiumrauch oder Werkzeug der Welterschließung, sondern er- zeugen gleichzeitig eine Medienwelt, die uns als „me- diale Wirklichkeit“ bzw. „Medienöffentlichkeit“ im Neue   Medien   haben   stets   sowohl   utopisch-­‐verklä-­‐ Alltag umgibt. Medien sind keineswegs neutrale Überträger von Information, sondern konstituieren ! rende   und   als   auch   dystopisch-­‐warnende   Prognosen evoziert.   Die   Angst   vor   dem   Werteverfall   begleitet das Kommunizierte selbst: „zum einen erhält nur was jedes  neue  Medium,  vom  Buch  bis  zum  Internet.   kommuniziert, mitgeteilt und überliefert werden kann, eine Bedeutung, und zum anderen formt die So wurde noch bis Ende des 19. Jahrhunderts vor Gestalt der Mitteilung (eine Handschrift, ein ge- den Konsequenzen der Lektüre von Romanen ge- drucktes Buch, ein technisches Bild) auch ihren warnt (Postner, 2005). Edward Shorthouse vergleicht Inhalt“ (Kloock & Spahr, 2000, 9). im Jahr 1892 Romanleser mit Opiumrauchern: In Kommunikations- und Medienwissenschaft hat „Even the better class of fiction fills the mind sich ein globaler Medienbegriff wie von McLuhan with absurd emotions about unreal imaginary totally vertreten in der Breite nicht durchgesetzt. Stattdessen fictitious heroes and heroines who never existed or wird meist zwischen Sprache und technischen ever will exist and too often with immoral thoughts Medien unterschieden. and suggestions. […] The habitual novel reader like the sensation theatre goer, the concert hall attender or like the inebriate or opium smoker must ever have Eine   klassische   Einteilung   der   Medienwelt   geht   auf some fresh excitement. […] Novel Readers can weep ! Harry   Pross   zurück   (1972).   Dieser   differenziert   zwi-­‐ schen   Primärmedien,   die   nicht   technisch   vermiEelt with gush and false Sentiment over the entirely ima- sind,  wie  die  direkte  Rede,  Sekundärmedien  bei  denen ginary sorrows of a bogus hero or heroine who never der  Technikeinsatz  auf  der  Senderseite  liegt,  etwa  der existed but will not give a Shilling to alleviate actual Buchdruck   und   TerCärmedien,   bei   der   sowohl   für   Pro-­‐ distress or destitution around them.“ (S. 670) dukCon   wie   RezepCon   technische   Apparaturen   nöCg Was Shorthouse an der Romanlektüre kritisiert, sind,  beispielsweise  Fernsehen  und  Internet.   wird später in der Medienwissenschaft unter den Be- griffen „Immersion“ und „parasoziale Beziehungen“ Ein Grund warum es schwer fällt, Medien be- diskutiert: Das völlige Eintauchen in eine mediale grifflich zu fassen, ist ihre Flüchtigkeit. Für die Me- Realität und das Kommunikationsverhältnis zu fiktio- dienwissenschaftlerin Sybille Krämer (2008) ist die nalen oder unerreichbaren Charakteren (bspw. Prot- Figur des Nachrichtenboten in der Antike eine Perso- agonisten einer Fernsehserie, Nachrichtensprecher- nifizierung des Medienbegriffs: Wenn der Bote eine /innen). In aller Regel ist es ein harmloses Ver- Meldung überträgt, tritt er nicht als eigenständiger gnügen, in den Abenteuern von Harry Potter zu ver- Akteur auf, sondern bleibt stets im Hintergrund. sinken oder Helga Beimer aus der Lindenstraße als „Mutter der Nation“ anzusehen. Die Fiktion ist we- Nur  wenn  es  eine  Störung  in  der  reibungslosen  Über-­‐ niger anspruchsvoll als der Umgang mit realen Per- ! tragung   gibt,   wird   die   Materialität   des   Mediums   be-­‐ wusst.   Ansonsten   hat   das   VermiEelte   als   UnmiEel-­‐ sonen: Ein Mausklick schließt das Computerpro- gramm, per Knopfdruck ist der Fernseher aus und bares   zu   erscheinen.   Medien   werden   also   erst   dann mit einem Knall das Buch zugeschlagen – und die sichtbar,   wenn   sie   nicht   funkConieren,   gestört   sind Geschichte steht, ohne nachtragend zu sein, bei oder  nicht  beherrscht  werden.   Bedarf jeder Zeit wieder zur Verfügung. Kein Wunder also, dass wir Medienkonsum entspannend Daraus ergibt sich ein Paradox im Diskurs um finden. netzbasiertes Lernen und Lehren. Es gibt diesen Ab wann gleitet diese Entspannung in ein Abhän- Diskurs, eben weil das Lernen und Lehren mit Tech- gigkeitsverhältnis ab? Ein Krankheitsbild „Online- nologien noch nicht reibungslos funktioniert – netz- sucht“ ist nach dem Drogen- und Suchtbericht der basierte Lehre ist dann erfolgreich etabliert, wenn die Bundesregierung (2009) wissenschaftlich bislang Medien wieder in den Hintergrund treten oder, nicht definiert, weshalb auch keine aussagekräftigen Statistiken vorliegen. Dennoch werden von den Ver-
  • 4. 4  —  Lehrbuch  für  Lernen  und  Lehren  mit  Technologien  (L3T) In der Praxis : Digital geprägte Kinderwelt Ein  Projekt  des  griechischen  Bildungsministeriums  soll  Eltern „Second   Life“,   das   Gespräch   im   Online-­‐Chat   oder   das   Fa-­‐ und  Erzieher  darin  unterstützen,  einen  realisCschen  Blick  für cebook-­‐Profil,   erkundet   um   die   eigenen   Erwartungen   und die  digital  geprägten  Lebenswelten  von  Kindern  und  Jugend-­‐ Befürchtungen   mit   dem   Online-­‐Geschehen   zu   vergleichen. lichen   zu   erhalten.   In   20   Trainingseinheiten   werden   gezielt hEp://inetrisks.cC.gr/   Szenarien  wie  der  Aufenthalt  in  der  virtuellen  3D-­‐Umgebung fassern des Berichts drei bis sieben Prozent der Inter- heitet, die das Lernen per Computer und Internet be- netnutzer/innen als Onlinesüchtige charakterisiert. gleitet haben. Ende der 90er Jahre prognostizierte ein Mediengeschichtlich ist die Angst vor dem Ver- Expertengremium der Bertelsmannstiftung, die tradi- schwinden in der fiktionalen Welt bereits im 19. Jahr- tionelle Hochschule sei im Begriff zu verschwinden. hundert in der Figur des Don Quijote beschrieben. Im Jahr 2005 sollten Bildungsbroker als Makler auf Nach Lektüre zahlreicher Abenteuerromane wird dem durch Angebot und Nachfrage regulierten Markt „der sinnreiche Junker Don Quijote von der der Online-Studiengänge führen: „Was findet ein ty- Mancha“ zum Ritter, der gegen Windmühlen kämpft. pischer Studienanfänger – nennen wir ihn Thomas S. In der Medienwissenschaft ist seit den Arbeiten von – in naher Zukunft vor? Wird sein erster Gedanke Blumer und Katz (1974) anerkannt, dass der Medien- sein, sich eine Hochschule nach ihrem allgemeinen konsum zweckrational erfolgt. Nach dem Prinzip Renommee auszusuchen? Wird er sie lieber in einer „uses and gratifications“ sind Nutzung und Nutzen Großstadt oder eher in einem Städtchen besuchen miteinander verwoben. Die Mediennutzung gerät wollen? Soll seine erste Alma Mater eher in der Nähe dann in Schieflage, wenn die Bedürfnislage aus dem (wegen der Freundin) oder doch lieber weiter fort Gleichgewicht ist. (wegen der Eltern) liegen? Nichts dergleichen wird Im Februar 2008 wird erstmals der Fernsehwer- ihn beschäftigen. Stattdessen wird Thomas S. das In- bespot „Wo lebst Du“, der EU-finanzierten Kam- ternet absuchen, um sich – mit Hilfe verschiedener pagne klicksafe ausgestrahlt. Die Botschaft lautet: Online-Bildungsbroker – über die weltweit angebo- „Wer nur noch in der digitalen Welt lebt, lebt nicht tenen Kurse und Abschlüsse zu informieren. [...] Se- mehr in der richtigen.“ Die „Sensibilisierungskam- minare und Vorlesungen, Kurse und Betreuung pagne zur Förderung der Medienkompetenz“ hat werden als multimediale Websites oder als „training klare Vorstellungen, wie der Umgang mit Internet in the box“ angeboten.“ (S. 18). und Social Software auszusehen hat – weniger ist mehr, o n l i n e gepflegte Beziehungen sind keine Die   Studienwahl   per   „Online-­‐Bildungsbroker“   ist   kei-­‐ „echten“ Freundschaften und digitale Kommuni- kation ist prinzipiell dem Austausch Angesicht zu ! neswegs   Realität   geworden.   Vielmehr   zeigt   sich,   dass neue  Medien  in  der  Lehre  das  Repertoire  der  Lehrme-­‐ Angesicht unterlegen. Forschungen zu computerver- thoden   ergänzen,   stellenweise   auch   verändern,   aber keineswegs   ersetzen.   Dies   wird   in   den   KommunikaC-­‐ mittelter Kommunikation bestätigen diese pauschalen onswissenschaHen   als   „Riepelsches   Gesetz“   be-­‐ Annahmen allerdings nicht. Computervermittelte zeichnet.   Kommunikation ist nicht defizitär gegenüber face-to- face-Kommunikation, sondern weist eigene Quali- täten auf. Unterschiedliche technologische Ausprä- Links  zum  Text,  sowie  auch  weiterführende  finden  Sie gungen ermöglichen eine Bandbreite an Ausdrucks- formen, die wiederum hinsichtlich ihrer kommunika- ! in  der  L3T  Gruppe  bei  Mister  Wong  unter  Verwendung der  Hashtags  #l3t  #medientheorie tiven Expressivität und Zielsetzung eine hohe Va- rianz aufweisen. Wie der Kommunikationswissen- Riepel, Historiker und Journalist, formuliert 1913 schaftler Rice (1999) bemerkt „new media are often in seiner Dissertation ein „Grundgesetz der Ent- compared to, or critiqued from, a privileged, arti- wicklung des Nachrichtenwesens“ das nach wie vor factual, idealized notion of interpersonal communi- in der kommunikationswissenschaftlichen Debatte cation“ (S. 26). Wichtiger als das Medium ist die „Me- vielfach zitiert wird. Demnach komplementierten dialität“, also die Art und Weise, wie wir Medien in neue Übertragungstechniken die alten, verdrängen sie spezifischen Situationen gebrauchen (Krämer, 2008). dagegen selten völlig. So machten in einer aktuellen Ebenso wenig wie heraufbeschworene Gefahren ethnographischen Studie die australischen Forscher haben sich die euphorischen Erwartungen bewahr- Margot MacNeill und Ming Ming Diao (2010) die
  • 5. Medientheorien.  Ein  Beitrag  zum  medienbasierten  Lernen—  5 überraschende Entdeckung, dass an ihrem Campus Diskussion um Web 2.0. Diese Ko-Evolution von die Studierenden trotz Lernmanagementsystem und Anwendung und Herstellung wird in der Forschung moderner Kommunikationsmedien den Münz- zur Technikgenese (engl. „social construction of sprecher auf dem Unigelände am liebsten nutzten, technology“ auch „social informatics“) untersucht. um sich bei ihren Professoren zu melden. Demzufolge ist die Implementierung neuer Techno- logien das Ergebnis von Verhandlungsprozessen und 3. Das  Neue  an  den  Neuen  Medien   Handlungen verschiedener sozialer Akteure mit indi- Im vorangegangenen Abschnitt wurde auf Parallelen viduellen Zielstellungen, Interessen und unterschied- in der gesellschaftlichen Bewertung von Buchdruck lichen infrastrukturellen und kulturellen Hinter- und Internet verwiesen. Wie ähnlich, wie unter- gründen. Der virtuelle Raum transzendiert nicht den schiedlich sind beide Medien? Anders gefragt: Was realen Raum, sondern drückt eine soziale und gesell- bedeutet es, wenn wir lesend und schreibend, produ- schaftliche Realität aus. Der Medienforscher Rob zierend und rezipierend, im Netz unterwegs sind? Kling hat in den 1990er Jahren begonnen, aus sozio- Was ist das Neue an den neuen Medien und wie lange logischer Perspektive digitale Informations- und ist dieses Attribut eigentlich noch zeitgemäß? Kommunikationstechnologien in Organisationen zu untersuchen und dabei ein so genanntes „Web- Modell“ entwickelt. Soziale Rollen, vorhandene Infra- Computer   und   Internet   sind   Medien,   die   sich   zwi-­‐ strukturen und zeitliche Verläufe wirken zusammen, ! schen   den   Polen   Massen-­‐   bzw.   Individualmedium   be-­‐ wegen.  Alle  Rezipienten  nutzen,  wenn  auch  über  ver-­‐ wenn sich ein neues Kommunikationsmedium durch- schiedene   Zugangswege   (Browser,   Plasormen   und setzt – oder wieder verschwindet (Kling, 1991). Provider)   dasselbe   Netz.   GleichzeiCg   verfügen Technische Errungenschaften sind nicht nur Nutzer/innen   über   individuelle   Filter   und   Zugänge, „Möglichkeitsmaschinen“ (Großklaus, 1997), sondern zum   Beispiel   RSS-­‐Feeds,   Bookmarks,   subskribierte ziehen auch Einschränkungen nach sich. Walter Ben- Mailinglisten,   Avatare   und   Agenten,   Portalmitglied-­‐ jamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner schaHen,   etc.   Faßler   (1999)   hat   für   diesen   Umstand den  Begriff  „MassenIndividualMedium“  geprägt.  Elek-­‐ technischen Reproduzierbarkeit“ aus dem Jahr 1939 tronischer  Text  ist  prinzipiell  wandelbar,  der  Zugang  zu reflektiert die umwälzenden Wirkungen des Films PublikaConsmöglichkeiten   nicht   exklusiv   und   die und anderer technischer Medien auf die Kunst und Rückkopplung   des   Lesers   durch   die   Vernetzung   je-­‐ zieht Rückschlüsse auf deren Stellung und Funktion derzeit  möglich.   innerhalb der Gesellschaft. Die Möglichkeit der mas- senhaften Reproduktion führt zum Verlust der Wie gut verstehen wir dieses „MassenIndividual- „Aura“ eines Kunstwerks. Medium“? In der ersten Ausgabe des Magazins „New „Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion Media & Society“ stellt Herausgeber Roger Silver- fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks – stone 1999 die Frage, was denn eigentlich das Neue sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich an den neuen Medien sei: befindet. […] Das Hier und Jetzt des Originals macht „To ask the question‚ What’s new about new den Begriff seiner Echtheit aus. […] Während das media?’ is, of course, to ask a question about the rela- Echte aber der manuellen Reproduktion gegenüber, tionship between continuity and change; a question die von ihm im Regelfalle als Fälschung abgestempelt that requires an investigation into the complexities of wurde, seine volle Autorität bewahrt, ist das der tech- innovation as both a technological and a social nischen Reproduktion gegenüber nicht der Fall. […] process […] Do new media create new meanings? Die Kathedrale verlässt ihren Platz, um in dem Do they enable or disable social and cultural change? Studio eines Kunstfreundes Aufnahme zu finden; das How are we to disentangle the various components Chorwerk, das in einem Saal oder unter freiem of media and technology change as they affect, or are Himmel exekutiert wurde, lässt sich in einem Zimmer presumed to affect, organizations, the political vernehmen“(Benjamin, 1939, 4). process, global commerce, everyday life? What is this Benjamins ästhetische Überlegungen – einer theo- space called cyber?“ (Silverstone, 1999, 10-11) retischen Linse gleich – ermöglichen uns die Effekte Technische Innovation und soziale Praxis wirken der Digitaltechnologie in Hinblick auf die Erlebnis- zusammen und geben gemeinsam digitalen Netz- qualität in medial vermittelten Lernsituationen zu be- medien eine Gestalt – auch aus diesem Grund sind trachten. So geht beispielsweise bei der Aufzeichnung die von Silverstone aufgeworfenen Fragen kei- von Lehrveranstaltungen das Ursprüngliche eines neswegs als gelöst zu betrachten, sondern begegnen Vortrags in Teilen verloren. Das erklärt, warum Stu- uns in neuem Gewand immer wieder, aktuell in der dierende trotzdem noch in den Hörsaal gehen, wenn
  • 6. 6  —  Lehrbuch  für  Lernen  und  Lehren  mit  Technologien  (L3T) In der Praxis : Ringvorlesung „Medien und Bidlung“ „Eine  Pädagogik,  die  ohne  MiEel  und  MiEler  auskommt  –  un-­‐ stellte   Ringvorlesung   erkundet   das   interdisziplinäre   Feld   der miEelbar   sozusagen   –,   ist   nicht   denkbar“,   so   beschreibt   die Medientheorie  aus  der  PerspekCve  von  Philosophie  über  die Ringvorlesung  „Medien  und  Bildung“  die  Bedeutung  von  In-­‐ Kunst-­‐,  Medien-­‐  und  KulturwissenschaHen  bis  zur  InformaCk. formaCons-­‐   und   KommunikaConstechnologien   für   das hEp://www.podcampus.de/channels/47   Lehren   und   Lernen.   Die   auf   dem   Portal   podcampus   bereitge-­‐ alles im Netz verfügbar ist. Und was passiert, wenn Wenn Personen mit einer Software (inter-)agieren, die Kopie vom Original nicht mehr unterscheidbar spielt sich eine Handlung ab, bei der der Computer ist? Worin besteht die Aura eines Hypertextes oder selbst als kommunikatives Gegenüber wahrge- eines PDF-Dokuments? Über den Schutz von Urhe- nommen wird. Aus Sicht der Benutzer/innen agiert berrechten hinausgehend gibt es einen Bedarf solche das jeweilige Programm, was sich in Aussagen wie Fragen konstruktiv zu erörtern. „Ich hab gar nichts gemacht, er hat sich einfach aus- geschaltet“ oder „Word hat einen Fehler gefunden“ 4. Medientheorien  und  die  Gestaltung  neuer  Medien widerspiegelt. (#ant) Eine Aufgabe des Interface- Unsere oftmals impliziten Vorstellungen von digi- design liegt darin, schlüssige Charaktere zu schaffen: talen Medien beeinflussen Interaktionsformen und „Computer-based agents, like dramatic characters, do Gestaltungsspielräume. Auf der Schnittstelle von Li- not have to think [...]; they simply have to provide a teraturwissenschaft und Informatik sind zahlreiche representation from which thought may be Arbeiten entstanden, die sich mit der Ästhetik digi- inferred“(Laurel, 1993, 57). Bei der Gestaltung von taler Medien, Narration im Netz und „Human Com- Lerntechnologien können narrative Ansätze und dra- puter Interaction“ befassen. Beispiele sind die Ar- maturgische Inszenierungen die Interaktion mit der beiten von Brenda Laurel, Aspen Aarseth, Janet Lernumgebung authentischer, einfacher und ange- Murray und George Landow. nehmer machen. George Landow, Professor für englische Literatur Mit der Inszenierung digitaler Welten und ihrem und Kunstgeschichte an der Brown University, ist narrativen Potential hat sich in der Publikation vielen seiner Fachkollegen hauptsächlich als Experte „Hamlet on the Holodeck“ (1997) Janet Murray be- für das viktorianische Zeitalter bekannt. Seine Begeis- fasst. Sie identifiziert vier grundsätzliche Eigen- terung für Hypertexte begann mit dem Online-Kurs schaften digitaler Medien – Prozeduralität, Partizi- „The Victorian Web“, eine frei zugängliche Lernres- pation, Räumlichkeit, Enzyklopädik – aus denen sie source, die inzwischen über 40.000 Dokumente um- drei spezifische Erlebnisqualitäten virtueller Umge- fasst. In seinen Arbeiten zu Hypertext und Hyper- bungen ableitet. Durch seine Prozeduralität ist ein media befasst er sich mit erkenntnistheoretischen Computer in der Lage, Prozesse nicht nur abzu- Fragen, die mit dem Wandel von geschlossenen Au- bilden, sondern tatsächlich ablaufen zu lassen. Inhalte torensystemen zu offenen, hypertextuellen Systemen in einem digitalen Medium können deswegen in- einhergehen (Landow, 2006). härent dynamisch sein, während traditionelle Medien ausschließlich statische Inhalte verbreiten können. Die zweite Eigenschaft sind Partizipationsmöglich- Brenda   Laurels   DissertaCon   prägte   das   Bild   des   „Com-­‐ keiten in digitalen Umgebungen. Computeranwen- ! puters   als   Bühne“.   Diese   Metapher   lenkt   das   Au-­‐ genmerk   weg   von   den   ProgrammrouCnen   des   Com-­‐ dungen erzeugen Interesse, weil ihre Aktionen poten- puters   hin   auf   die   Handlung   am   Bildschirm   aus   der tiell beeinflussbar sind und die Nutzer/innen in ab- PerspekCve   der   Benutzer/innen.   In   Laurels   Theater-­‐ laufende Prozesse eingreifen können. Als dritte Ei- metapher   entspricht   grafische   BenutzerschniEstelle genschaft von digitalen Umgebungen führt Murray einer  ‚Bühne’,  auf  der  sich  die  Handlung  vollzieht.  Die die Räumlichkeit an – digitale Medien bilden Technologie,  die  die  Aufführung  ermöglicht,  ist  selbst „Räume“ und „Umgebungen“ in denen wir uns ori- gar  nicht  sichtbar,  sondern  –  wie  im  Theater  –  ‚hinter den  Kulissen’  täCg. entieren können. Murrays vierte Eigenschaft, die En- zyklopädik, zielt auf die Effizienz der Digitaltechno- logie ab, für einen Menschen unübersehbare Mengen Brenda Laurel erweiterte in den 1990er Jahren an Daten zu speichern, zu verarbeiten und auch zu unser Verständnis für das Medium Computer durch präsentieren. Rückgriff auf die Aristotelische Dramentheorie.
  • 7. Medientheorien.  Ein  Beitrag  zum  medienbasierten  Lernen—  7 In der Praxis : Der Hypertext „Pastperfect“ Pastperfect   ist   ein   Hypertext   zu   GeschichtswissenschaH   bei „SchmeEerlingsthema“   ist,   sondern   einen   Platz   im   konzep-­‐ dem   ProdukCon   und   Reflexion   Hand   in   Hand   gehen.   Der Conellen   Repertoire   von   InstrukConsdesigner/innen   ver-­‐ Erfolg  des  Projekts  –  die  Webseite  gewann  im  Jahr  2004  den dient.  URL:  hEp://www.pastperfect.at/  [2011-­‐01-­‐24]   MedidaPrix   –   zeigt,   dass   Medientheorie   kein   abwegiges Aus diesen Eigenschaften folgert Murray drei knüpfungen der Autoren/innen widerspiegelt, die „pleasures“, also „Genüsse“ oder „Annehmlich- den eigenen Ansprüchen und Erwartungen als Leser keiten“. Sie beginnt mit der Immersion, also dem oder „Nutzer/innen“ unter Umständen zu wider Gefühl des „Eintauchens in eine andere Welt“. Wenn laufen. Auch wenn ein Gestalter oder eine Gestalterin die Handlungen, die eine Person innerhalb einer digi- nicht mitteilt oder vielleicht selbst gar nicht aus- talen Umgebung vollzieht, wahrnehmbare Folgen drücken kann, worin der Sinn eines Hyperlinks be- und Ergebnisse hat, dann erlebt die Nutzer/in nach steht, so wird doch von den Lesern erwartet, dass sie Murray den zweiten charakteristischen Genuss digi- spüren oder verstehen, auf welchen Pfaden der Hy- taler Umgebungen: die sogenannte Agency. Der Be- pertext sinnvoll zu erschließen sei. Diesen Aspekt griff beschreibt den Grad mit dem Dinge nach dem betont auch der Medientheoretiker Aspen Aarseth. In Willen der Benutzer innerhalb einer Umgebung ge- „Cybertext. Perspectives on Ergodic Literature“ be- staltbar sind. Die dritte von Murray identifizierte schreibt er „ergodische“ Texträume, die nur durch Qualität digitaler Umgebungen ist die Transfor- Aufwand der Benutzer durchquert werden können mation. So ist es in einer digitalen Umgebung (Aarseth, 1997). möglich, einen anderen Charakter anzunehmen und 5.  Zusammenfassung Facetten der eigenen Person weitgehend risikofrei zu explorieren. Dieses Kapitel hat einen breiten Bogen über das fa- Oberflächlich betrachtet könnte man meinen, cettenreiche Feld der Medientheorien gespannt – Computer und Internet seien eigentlich nur Distribu- vom Dekonstruktivismus Jaques Derridas über sozio- tionskanäle für die traditionellen Medienformen technische Forschungsansätze bis hin zu medienäs- Print, Audio und Video – es ist also nichts Neues, thetischen Vorstellungen. Welche zentralen Ergeb- sondern „alter Wein in neuen Schläuchen“, ein nisse lassen sich abschließend festhalten? Zunächst Vorwurf dem sich die E-Learning-Didaktik mehrfach ist da die Erkenntnis, dass implizite Vorstellungen ausgesetzt sieht. Der Germanist und Fachdidaktiker vom Wesen der Medien unsere instruktionalen Ge- Bernd Switalla (2001) hat in seinen Arbeiten wie- staltungsentscheidungen stets begleiten. Wenn wir derholt erläutert, worin sich die Lektüre zwischen diese alltagstheoretischen Überzeugungen auf den zwei Buchdeckeln von der Navigation im Internet Prüfstand setzen, gewinnen wir Distanz, um in der unterscheidet und was daraus für die Produzenten technologisch diktierten Entwicklungslandschaft den von Lernmedien folgt. Überblick zu behalten. Wer medientheoretisch reflek- tiert an das didaktische Design von medienbasierten Lernumgebungen herangeht, kann das Potenzial digi- Schon   lange   bevor   HypertexEechnologien   erfunden taler Medien besser ausschöpfen und Potentiale, ! waren,   wurden   Texte   geschrieben,   die   eine   non-­‐li-­‐ neare  Lektüre  nahelegten.  Dazu  zählen  Arno  SchmiEs Nutzen, Chancen und Risiken für Lehre und Unter- richt realistisch einschätzen. „ZeEels  Traum“,  WiEgensteins  „Philosophische  Unter-­‐ suchungen“   und   Lichtenbergs   „Sudelbuch“.   Nichtsde-­‐ Eng damit zusammen hängt eine geschichtliche sotrotz  macht  es  einen  großen  Unterschied,  ob  wir  auf Einbettung medienbezogener Debatten. Medienum- dem   Bildschirm   lesen   oder   auf   dem   Papier.   Der   fran-­‐ brüche in Spätmittelalter und früher Neuzeit sind zösische  Historiker  Roger  CharCer  bezeichnet  dies  als nicht nur als ferner Spiegel unserer Gegenwart von die   „Materialität“   des   Textes   (CharCer   &   Cavallo, Interesse. Es handelt sich um eine Epoche, die als 1999). Versuchslabor zum Verhältnis alter und neuer Medien betrachtet werden kann (Burkhardt & Werkstetter, Des Weiteren bewegen wir uns in Hypertexten in 2005). Medienhistorisches und medientheoretisches einem Verweisraum, den ein anderer über den Text Hintergrundwissen erlaubt, die Gestaltungsspiel- gelegt hat und welcher entsprechend assoziative Ver-
  • 8. 8  —  Lehrbuch  für  Lernen  und  Lehren  mit  Technologien  (L3T) räume neuer Lehr- und Lernmedien konstruktiv zu tentiale digitaler Lernumgebungen pauschal zu beur- nutzen, anstatt sie technikfeindlich zu ignorieren oder teilen, wird es Zeit, das Medienhandeln ins Zentrum technikgläubig zu verspielen. zu setzen. Wer über Medien debattiert, sollte ein Auge für Literatur geeignete Metaphern entwickeln und gleichzeitig in der Lage sein, Metaphern und Bilder zu dekonstru- ▸ Aarseth, E.J. (1997). Cybertext: Perspectives on Ergodic Lite- ieren und für Brüche und Widersprüche in der Me- rature. Baltimore/London: John Hopkins University Press. dienwahrnehmung offen zu bleiben. Medientheore- URL: http://www.hf.uib.no/cybertext/Ergodic.html [2010-10- tische Ansätze können Impulse für die konkrete Ge- 02]. staltung geben. Laurels Bild des „Computers als ▸ Benjamin. W. (1939). Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techni- Bühne“ bildet aus anwendungsbezogener Sicht einen schen Reproduzierbarkeit. URL: http://walterbenjamin.omini- nachvollziehbaren Ansatz für die Interfacegestaltung. verdi.org/wp-content/kunstwerkbenjamin.pdf [2010-10-02]. Statt die Prozeduren des Rechners „aufzuführen“ ▸ Bertelsmann Stiftung & Heinz Nixdorf Stiftung (2001). sollten Nutzer/innen die Handlung verstehen Studium online. Hochschulentwicklung durch neue Medien. können. In diesem Zusammenhang kommt Janet Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, URL: http://www.- Murrays Bild des Computers als unendlicher Enzy- bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-86B05F6C-70- klopädie in den Sinn – eine Eigenschaft, die der di- CAA8CC/bst/hs.xsl/publikationen_29336.htm [2010-10-02]. daktischen Reduktion in Lernumgebungen nicht ▸ Blumler J. G. & E. Katz (1974). The Uses of Mass Communi- immer zuträglich ist. cation. Newbury Park, CA: Sage. Aus medientheoretischen Erkenntnissen ergeben ▸ Bundesregierung Deutschland (2009). Drogen- und Suchtbe- sich praktische Konsequenzen, die für die Ent- richt 2009. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit, URL: wicklung von Lernumgebungen gelten. Statt sich http://www.bmg.bund.de/fileadmin/redaktion/pdf_misc/mo- selbstverständlich an durch Printmedien tradierten derne-drogenpolitik-drogenbericht-2009.pdf [2011-01-05]. Organisationsprinzipien wie Seiten, Fußnoten, An- ▸ Burkhardt, J. & Werkstetter, C. (2005). Kommunikation und merkungen und Kapitel zu orientieren, lohnt es sich Medien in der Frühen Neuzeit. München: Oldenbourg. einen offenen Blick für Gestaltungsmöglichkeiten zu ▸ Cervantes, S. M. (1615). Der sinnreiche Junker Don Quijote entwickeln (Switalla, 2001). Neben der Immersion von der Mancha. URL: http://books.google.de/books? sollte das Augenmerk dabei vor allem auf dem Be- id=y_P_b- reich Agency liegen – die Lernenden sollen das Ge- UVZ20C&printsec=frontcover&source=gbs_atb#v=onepage schehen aktiv beeinflussen können. Allerdings ist &q&f=false [2010-10-02], 47-48. keine Lernumgebung per se eine konstruktivistische ▸ Chartier, R. & Cavallo, G.. (1999). Die Welt des Lesens. Von Wunderwaffe. Hier gilt es Medium und Medialität zu der Schriftrolle zum Bildschirm. Frankfurt am Main: Campus. unterscheiden: Es kommt weniger auf die Eigen- ▸ Derrida, J. & Roudinesco, E. (2006). Woraus wird Morgen ge- schaften des Artefakts an, sondern mehr auf die In- macht sein? Ein Dialog. Stuttgart: Klett-Cotta. strumentalisierung durch die Lernenden. Statt die Po- ▸ Ellrich, L. (2005). Medienphilosophie des Computers. In: M. Sandbothe & L. Nagl (Hrsg.), Systematische Medienphilo- Reflexionsaufgaben: sophie, Berlin, URL: http://www.uni-koeln.de/phil- ? ▸ Was  halten  Sie  von  Edward  Shorthouses  Vorwurf, Medienkonsumenten   seien   eher   vom   Schicksal   fik-­‐ fak/thefife/ellrich/computerphilosophie.htm [2010-10-02], 343-358. Conaler   Gestalten   zu   Tränen   gerührt   als   dazu ▸ Fromme, J. & Sesink, W. (2008). Pädagogische Medientheorie. bereit  tatsächliche  Missstände  zu  bekämpfen? Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. ▸ Jedes  Medium  öffnet  eine  spezifische  PerspekCve ▸ Großklaus, G. (1997). Medien-Zeit Medien-Raum. Zum auf   unsere   Umwelt.   Medialitätsbewusstsein   be-­‐ Wandel der raumzeitlichen Wahrnehmung in der Moderne. deutet,   das   eigene   Medienhandeln   kriCsch   zu   re-­‐ flekCeren.   Führen   Sie   einen   Tag   lang   Protokoll Frankfurt am Main. über  Ihren  Medienalltag!   ▸ Kling, R: (1991). Computerization and Social Transformation. ▸ Inwieweit   ähnelt   die   Lektüre   von   Romanen   der   In-­‐ URL: http://rkcsi.indiana.edu/archive/kling/pubs/STHV- terakCon   mit   Computerspielen?   Erzählern   Sie   die 92B.htm [2010-10-02]. Geschichte   eines   modernen   Don   Quijote!   In-­‐ ▸ Kloock, D. & Spahr, A. (2000). Medientheorien. Eine Ein- wieweit  bieten  Medien  gleichzeiCg  Zugang  zur  und führung. München: Wilhelm Fink Verlag. Rückzug  von  der  Welt? ▸ Krämer, S. (2008). Medium, Bote, Übertragung: Kleine Meta- ▸ Verflüssigung   und   Entgrenzung   sind   zentrale   Me-­‐ taphern   bei   der   Beschreibung   digitaler   Medien. physik der Medialität. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Nehmen  Sie  kriCsch  Stellung  zu  den  Begriffen  „In-­‐ ▸ Knie, A. (1997). Technik als gesellschaftliche Konstruktion, In- formaCon  Overflow“  und  „Globales  Dorf“.   stitutionen als soziale Maschinen. In: Dierkes, M. (Hrsg.), Tech-
  • 9. Medientheorien.  Ein  Beitrag  zum  medienbasierten  Lernen—  9 nikgenese. Befunde aus einem Forschungsprogramm. Berlin: ▸ Sandbothe, M. (2003). Was ist Medienphilosophie?. In: Zeit- Edition Sigma, 225-243. schrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 48/2, ▸ Landow, G. P. (2006). Hypertext 3.0 Critical Theory and New URL: http://www.sandbothe.net/346.html [2010-10-02], 195- Media in an Era of Globalization: Critical Theory and New 206. Media in a Global Era (Parallax, Re-Visions of Culture and So- ▸ Silverstone, R. (1999). What’s new about new media?. In: New ciety). Baltimore: The Johns Hopkins University Press. Media & Society, 1(1), 10-12. ▸ McLuhan, M. (1966). Understanding Media: The Extension of ▸ Stephens, M. (1991). Deconstructing Jaques Derrida. The Most Man. London: MIT Press. Reviled Professor in the World Defends His Diabolically Dif- ▸ MacNeill, M. & Diao, M. M. (2010). Student uses of IT in ficult Theory. URL: learning: an ethnographic study. IADIS International Confe- http://www.nyu.edu/classes/stephens/Jacques%20Derrida rence e-Learning 2010. 307-314. %20-%20LAT%20page.htm [2010-10-02]. ▸ Meyer, T. (2002). Interfaces, Medien, Bildung : Paradigmen ▸ Switalla, B. (2001). Lernen in Zeiten des Internets. In: S.J. einer pädagogischen Medientheorie. Bielefeld: Transcript Schmidt (Hrsg.), Lernen im Zeitalter des Internets. Grundlagen Verlag. Probleme, Perspektiven., Bozen: Pädagogisches Institut, 115- ▸ Murray, J. H. (1997). Hamlet on the Holodeck: the Future of 137. Narrative in Cyberspace. The Free Press. ▸ Vollbrecht, R. 2005: Stichwort: Medien. In: L. Mikos, L. & C. ▸ Pross, H. (1972). Medienforschung. Film, Funk, Presse, Fern- Wegener (Hrsg.). Qualitative Medienforschung. Ein Handbuch. sehen. Darmstadt: Verlag Habel. Konstanz: UTB, 29-39. ▸ Rice, R.E. (1999). Artifacts and paradoxes in new media. In: New Media and Society, 1(1), 24-32.