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onSeattlekommtTimKofflerein-
fachnichtweg.Versuchthateres,
ein paarmal schon. Als junger
Mannzogder40-jährigeFitness-
trainer nach Brisbane in Austra-
lien, dann nach Los Angeles. Die
grandiosenSträndekonntenihnnichthal-
ten.SelbstdieSonnenicht,Mangelwarein
der Heimatstadt, wo es an 140 Tagen im
Jahr regnet und der Himmel an 220 Tagen
zumindestwolkenverhangenist.„Ichhabe
Seattle jeden Tag vermisst“, sagt Koffler.
„DieMenschen,dieArchitektur,dieBerge,
dieBäume.“Unddannkamerebenwieder
nach Hause.
An diesem Tag scheint die Sonne in
­Seattle.Koffler sitzt auf der Dachterrasse
­seines Apartmenthauses in Southlake
Union, im Süden der Stadt, die ihm hier
richtiggehendzuFüßenliegt.AmHorizont
hinter ihm thront wie ein Gemälde der
schneebedeckte Gipfel des 4392 Meter
­hohen Vulkans Mount Rainiers. Koffler
nickt.„IchkannnichtohneSeattle“,sagter
nocheinmal,drücktdenSatzinsGespräch
wie einen offiziellen Stempel.
EineStadt,diesüchtigmacht,also.Einst
war sie nicht viel mehr als die Kulisse zu
einem abgetakelten Industriehafen,heu-
te gehört Seattle zu den trendigsten Me-
tropolenderUSA.Sieistliberal,fortschritt-
lich,öko,sexy.Und wie zu allen guten und
schlechten Zeiten wunderschön gelegen
im Nordwesten des Landes am Puget
Sound,demriesigenSundhinzumPazifik,
am Mount Rainier mit seinen Gletschern
und dem nur ein paar Meilen entfernten
Nationalpark Olympic Mountain. Eine
Stadt mit hoher Lebensqualität. Nicht so
dreckig,hektischundkaputtwieNewYork,
nicht so schwitzig und anstrengend wie
Los Angeles oder San Francisco.
Boom und Wandel
ErfolgreichistSeattleobendrein.Hierbaut
BoeingdenKarbonfliegerDreamliner,be-
gann Starbucks seinen Siegeszug um die
Welt,schraubte Bill Gates in einer Garage
seinen ersten Computer zusammen.Hier
prägte Kurt Cobain mit Nirvana den
Grunge, startete Amazon, das gerade ein
neuesHauptquartierbautund17 000Leu-
teeinstellenwill,seinenAufstiegalsInter-
nethändler. Facebook, Google und der
Webhoster GoDaddy sind mit Niederlas-
sungen in die Stadt gezogen.Das lockt
Mehr Sein als ScheinSeattle sehen und bleiben: Die Heimatstadt von Microsoft, Amazon, Grunge und
amerikanischer Café-Kultur hat sich ihren hemdsärmeligen Charme bewahrt, es riecht
nach Kaffee, Meer und oft auch nach Regen. Eine verlockende Mischung
Kleine Fluchten:
Erholung liegt
in Seattle ganz
nah, zum Bei-
spiel am Ufer des
Lake Union im
Gas Works Park
Von Alexandra Kraft; Fotos: Tegra Stone Nuess
12.11.2015 149
 KULTUR-MAGAZIN
REISE
4
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1/2 Seitequer
213x140mm
Inhalt
Anschnitt:
X-5,Y-3mm
tionmobile.com
Easy Street Cafe:
eines von vielen ex­
zellenten Kaffeehäu­
sern in Seattle, gehört
zu einem Platten­
laden. 4559 California
Ave. SW, Tel. +1/ 206/
938 32 79, www.easys­
treetonline.com/cafe
Erleben
Center for Wooden
Boats: Der Blick vom
Lake Union aus auf
die Stadt zählt zu den
schönsten überhaupt.
Hier kann man sich
schöne Segel- oder
Ruderboote, Kayaks
oder Kanus aus Holz
ausleihen. 1010 Valley
Street, www.cwb.org
The Great Wheel: Wer
sich nicht aufs Wasser
wagt, kann auch mit
dem Riesenrad an der
Elliot Bay fahren und
so auf Seattle und den
Puget Sound schauen.
1301 Alaskan Way,
www.seattlegreat­
wheel.com
Undergroundtour: ein
Ausflug in die Zeiten
des Goldrausches. Die
Tour führt unter die
Straßen Seattles und
gewährt überraschen­
de Einblicke in die
Geschichte der Stadt.
608 First Ave./
Pioneer Square, www.
undergroundtour.com
REI: Seattle und Um­
land sind ein Outdoor­
paradies. Alles, was
man für einen Aufent­
halt im Freien braucht,
kann man bei diesem
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oder kaufen. 222 Yale
Ave. N, www.rei.com
Experience Music
Project: Das von Frank
Gehry entworfene Ge­
bäude beheimatet die
weltweit zweitgrößte
Ausstellung zur Ge­
schichte der Pop- und
Rockmusik. Seattle
Center, 325 5th Ave N,
Übernachten
Inn at the Market: Das
Hotel am Pike Place
Market punktet mit
schönen Möbeln und
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innatthemarket.com
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ges B & B. Bei gutem
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bulldog.com
Greenlake Guesthou­
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und Clubviertel Capi­
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St., Tel. +1/206/ 557 72
73, www.statesidese­
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Seattle Biscuit Com­
pany: Auch in Seattle
sind Foodtrucks sehr
populär. Dieses Unter­
nehmen ist für sein
Frühstück bekannt.
Wo der Truck hält, er­
fahren Sie unter seatt­
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Marination Ma Kai:
Steigen Sie in Down­
town ins Wassertaxi
an Pier 50 und landen
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front-Restaurant Ma
Kai macht es möglich.
1660 Harbor Ave. SW,
Tel. +1/206/328 82 26,
www.marina
TIPPS
Treiben lassen
Hotels, Restaurants, Sehens­
wertes und mehr in Seattle
vorallemjungeMenschenan,inzwischen
bilden die 25- bis 34-Jährigen die größte
Bevölkerungsgruppe der knapp 650 000
Einwohner. Amerikanische Wirtschafts-
zeitungen spekulieren, die Stadt könnte
dem Silicon Valley den Rang ablaufen.
SchonjetztzähltSeattlezudenzehninno-
vativstenStädtenweltweit.DiefürdieUSA
geringeArbeitslosenquotevonknappdrei
Prozent soll weiter sinken. Seit Anfang
des Jahres gilt in Seattle ein gesetzlicher
Mindestlohnvon15Dollar,doppeltsoviel
wie im Rest des Landes.Die Stadt kann es
sich leisten: Seattle ist reich. Boom und
Wandel sind überall sichtbar.Apartment-
häuser und Büros entstehen in großer
Geschwindigkeit,kaumeinMonatvergeht,
in dem nicht neue Klubs, Cafés und Res-
taurants eröffnet werden. Dazwischen
spektakuläreGebäudewiederGlasbauder
städtischen Bibliothek, entworfen vom
Stararchitekten Rem Koolhaas.
Der Metropole am Pazifik – nebenbei
auch Kaffeehauptstadt der USA mit etwa
100 Röstereien – ist es bei allem Wandel
gelungen,ihreSeelezubewahren;dieGen-
trifizierung hat ihren Charakter nicht
grundlegend verändert. Die Stadt hat
einenhemdsärmeligenCharme,derinder
Zeit des Klondike-Goldrausches geprägt
wurde.DerspülteumdieWendezwischen
dem 19.und 20.Jahrhundert massenweise
Haudegen in die Stadt.Manche Seattliers
verdankenihresympathischenEckenund
Kanten wohl diesen abenteuerlustigen
Vorfahren.
ManprotzthiernichtmitseinemWohl-
stand.Sogar Manager fahren mit Nahver-
kehrsbussen oder mit dem Fahrrad zur
Arbeit.Seattle ist eine der wenigen Städte
im PS-verrückten Amerika, die über ein
hervorragend ausgebautes Netz an Rad­
wegen verfügt. Beim Job trägt man eher
T-Shirts, Jeans und Turnschuhe als Drei-
reiher oder teure Kostüme, sicher auch
eine Folge des Umstands,dass die hier so
präsenten IT-und Internetunternehmen
in T-Shirt und Hoodie gesteuert werden.
Im Szeneviertel Capitol Hill sind die
Zebrastreifen in den Regenbogenfarben
derSchwulenbewegunggestrichen.Mari-
huana ist längst legal,kein Thema. Sogar
die Meerjungfrau auf dem Starbucks-
Logo darf hier noch ihre nackten Brüste
zeigen,die anderswo auf Werbeschildern
durch langes Haar verdeckt werden müs-
sen.
„DieMenschenhiersehendasLebenlo-
ckerer.Wir sind einfach anders“,sagt Blair
Robbins,62.Die Filmemacherin steht auf
dem Ponton ihres Hausboots, neben ihr
EhemannBobBurk,67,undSandori,derFa-
milienhund.BlairundBoberlebtenSeatt-
lesAufstiegmit.Heutehabensiedenbes-
tenBlickaufdieSkyline.IhrHausbootliegt
in der ersten Reihe auf dem Lake Union,
demgroßenBinnenseemitteninderStadt.
AmHauseingangziehtgeradeeinTaucher
FässerunterWasser.„Wirhabeneineneue
Tür bekommen,die ist so schwer,dass wir
jetzt die Schieflage ausgleichen müssen“,
erklärt Blair.Bob,ein Unternehmer,der in
den 80er Jahren aus San Diego kam,sagt:
„WirsindinSeattlegeblieben,weilwirhier
dieperfekteMischungausStadtundNatur
haben.“
Dann erzählt er davon,wie er gelegent-
lich nachts aufsteht,sich auf die Terrasse
stellt und hinüberschaut auf Downtown.
RechtsdieSpaceNeedle,ein190Meterho-
her Turm, das Wahrzeichen Seattles, ge-
baut zur Weltausstellung 1962. Links die
Hochhäuser. „Wenn wir uns umdrehen,
­sehenwirBergeundWälder.“Wannimmer
diebeidenZeithaben,paddelnsiemitdem
KanuoderdemSurfboardlos,wiesoviele,
diehierleben.GeradehabensiesichFahr-
rädermitgroßenSchwimmreifengekauft,
um damit über den See zu radeln. „Wir
wohnenaufeinemriesigenOutdoorspiel-
platz“,sagt Bob.
Gekommen, um zu bleiben
KatelynGoodheartzogvoreinemJahraus
Buffalo im Bundesstaat New York an die
amerikanischeNordwestküste.Die26-Jäh-
rige arbeitet als Schiffslotsin bei der­
Coast Guard, ihr Büro ist am Pier 36 am
­Hafen. Direkt daneben legen die grün-
weißenAutofährenvondenumliegenden
Inseln im 20-Minuten Takt an.„Ich kom-
me immer hierher, bevor ich zur Arbeit
gehe“,sagtGoodheart.Dannschautsieden
Menschenzu,wiesieein-undaussteigen,
und atmet die salzige Luft ein.„Die Leute
sind hier offener“,sagt sie,das gefalle ihr.
Als der Oberste Gerichtshof vor einigen
Wochen die Homoehe erlaubt hat, habe
die ganze Stadt gefeiert. „Alle lagen sich
freudig in den Armen – Schwule,Lesben,
Heteros.“
Das Neue erschreckt hier niemanden.
Manistebenoptimistisch–vielleichtauch
daseinErbederGoldschürfer,diejavoller
Hoffnung hierher kamen. Der Optimis-
musziehtsichbisindieFreizeitgestaltung.
Ach ja,der Regen.„Ich trainiere trotzdem
viel mit meinen Kunden draußen“, sagt
­Fitnesscoach Tim Koffler. Außerdem sei
das ja nicht wirklich Regen, sondern nur
Nieseln.SodenktderSeattlier.Denn:„Wer
in den vielen dunklen Tagen ohne Sonne
seine gute Laune nicht verliert,der muss
doch besonders sein.“ 2
Der Stadt
am Pazifik
ist es ge­
lungen, ihre
Seele zu
bewahren
Erste Adresse für selbst gemachtes Eis: Molly
Moon (o.). Der Pike Place Market wurde 1907
eröffnet (m.). Blair Robbins und Bob Burk leben
auf einem Hausboot (u.l.). Fitnesstrainer Tim
Koffler zeigt Arme, Beine und Hund auf der
Dachterrasse seines Apartmenthauses (u. r.)
150 12.11.2015
 KULTUR-MAGAZIN

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  • 1. V onSeattlekommtTimKofflerein- fachnichtweg.Versuchthateres, ein paarmal schon. Als junger Mannzogder40-jährigeFitness- trainer nach Brisbane in Austra- lien, dann nach Los Angeles. Die grandiosenSträndekonntenihnnichthal- ten.SelbstdieSonnenicht,Mangelwarein der Heimatstadt, wo es an 140 Tagen im Jahr regnet und der Himmel an 220 Tagen zumindestwolkenverhangenist.„Ichhabe Seattle jeden Tag vermisst“, sagt Koffler. „DieMenschen,dieArchitektur,dieBerge, dieBäume.“Unddannkamerebenwieder nach Hause. An diesem Tag scheint die Sonne in ­Seattle.Koffler sitzt auf der Dachterrasse ­seines Apartmenthauses in Southlake Union, im Süden der Stadt, die ihm hier richtiggehendzuFüßenliegt.AmHorizont hinter ihm thront wie ein Gemälde der schneebedeckte Gipfel des 4392 Meter ­hohen Vulkans Mount Rainiers. Koffler nickt.„IchkannnichtohneSeattle“,sagter nocheinmal,drücktdenSatzinsGespräch wie einen offiziellen Stempel. EineStadt,diesüchtigmacht,also.Einst war sie nicht viel mehr als die Kulisse zu einem abgetakelten Industriehafen,heu- te gehört Seattle zu den trendigsten Me- tropolenderUSA.Sieistliberal,fortschritt- lich,öko,sexy.Und wie zu allen guten und schlechten Zeiten wunderschön gelegen im Nordwesten des Landes am Puget Sound,demriesigenSundhinzumPazifik, am Mount Rainier mit seinen Gletschern und dem nur ein paar Meilen entfernten Nationalpark Olympic Mountain. Eine Stadt mit hoher Lebensqualität. Nicht so dreckig,hektischundkaputtwieNewYork, nicht so schwitzig und anstrengend wie Los Angeles oder San Francisco. Boom und Wandel ErfolgreichistSeattleobendrein.Hierbaut BoeingdenKarbonfliegerDreamliner,be- gann Starbucks seinen Siegeszug um die Welt,schraubte Bill Gates in einer Garage seinen ersten Computer zusammen.Hier prägte Kurt Cobain mit Nirvana den Grunge, startete Amazon, das gerade ein neuesHauptquartierbautund17 000Leu- teeinstellenwill,seinenAufstiegalsInter- nethändler. Facebook, Google und der Webhoster GoDaddy sind mit Niederlas- sungen in die Stadt gezogen.Das lockt Mehr Sein als ScheinSeattle sehen und bleiben: Die Heimatstadt von Microsoft, Amazon, Grunge und amerikanischer Café-Kultur hat sich ihren hemdsärmeligen Charme bewahrt, es riecht nach Kaffee, Meer und oft auch nach Regen. Eine verlockende Mischung Kleine Fluchten: Erholung liegt in Seattle ganz nah, zum Bei- spiel am Ufer des Lake Union im Gas Works Park Von Alexandra Kraft; Fotos: Tegra Stone Nuess 12.11.2015 149  KULTUR-MAGAZIN REISE 4
  • 2. Anzeige 1/2 Seitequer 213x140mm Inhalt Anschnitt: X-5,Y-3mm tionmobile.com Easy Street Cafe: eines von vielen ex­ zellenten Kaffeehäu­ sern in Seattle, gehört zu einem Platten­ laden. 4559 California Ave. SW, Tel. +1/ 206/ 938 32 79, www.easys­ treetonline.com/cafe Erleben Center for Wooden Boats: Der Blick vom Lake Union aus auf die Stadt zählt zu den schönsten überhaupt. Hier kann man sich schöne Segel- oder Ruderboote, Kayaks oder Kanus aus Holz ausleihen. 1010 Valley Street, www.cwb.org The Great Wheel: Wer sich nicht aufs Wasser wagt, kann auch mit dem Riesenrad an der Elliot Bay fahren und so auf Seattle und den Puget Sound schauen. 1301 Alaskan Way, www.seattlegreat­ wheel.com Undergroundtour: ein Ausflug in die Zeiten des Goldrausches. Die Tour führt unter die Straßen Seattles und gewährt überraschen­ de Einblicke in die Geschichte der Stadt. 608 First Ave./ Pioneer Square, www. undergroundtour.com REI: Seattle und Um­ land sind ein Outdoor­ paradies. Alles, was man für einen Aufent­ halt im Freien braucht, kann man bei diesem Ausrüster ausleihen oder kaufen. 222 Yale Ave. N, www.rei.com Experience Music Project: Das von Frank Gehry entworfene Ge­ bäude beheimatet die weltweit zweitgrößte Ausstellung zur Ge­ schichte der Pop- und Rockmusik. Seattle Center, 325 5th Ave N, Übernachten Inn at the Market: Das Hotel am Pike Place Market punktet mit schönen Möbeln und einer Dachterrasse. DZ ab ca. 200 Dollar, 86 Pine St., Tel. +1/ 206/443 36 00, www. innatthemarket.com Sleeping Bulldog: uri­ ges B & B. Bei gutem Wetter können Gäste die Olympic Moun­ tains sehen. DZ/F ab ca. 140 Dollar, 816 19th Ave. S, Tel. +1/206/325 02 02, www.sleeping­ bulldog.com Greenlake Guesthou­ se: Die Zimmer des Holzhauses aus dem Jahr 1920 sind mit viel Liebe zum Detail ein­ gerichtet. DZ/F ab ca. 140 Dollar, 7630 Green Lake Dr. N, Tel. +1/206/ 729 87 00, www.greenlakeguest­ house.com Essen und trinken Stateside: Franzö­ sisch-vietnamesisches Essen in kühler Atmo­ sphäre. Im Kneipen- und Clubviertel Capi­ tol Hill. 300 East Pike St., Tel. +1/206/ 557 72 73, www.statesidese­ attle.com Seattle Biscuit Com­ pany: Auch in Seattle sind Foodtrucks sehr populär. Dieses Unter­ nehmen ist für sein Frühstück bekannt. Wo der Truck hält, er­ fahren Sie unter seatt­ lebiscuitcompany.com Marination Ma Kai: Steigen Sie in Down­ town ins Wassertaxi an Pier 50 und landen Sie 15 Minuten später in Hawaii. Das Water­ front-Restaurant Ma Kai macht es möglich. 1660 Harbor Ave. SW, Tel. +1/206/328 82 26, www.marina TIPPS Treiben lassen Hotels, Restaurants, Sehens­ wertes und mehr in Seattle vorallemjungeMenschenan,inzwischen bilden die 25- bis 34-Jährigen die größte Bevölkerungsgruppe der knapp 650 000 Einwohner. Amerikanische Wirtschafts- zeitungen spekulieren, die Stadt könnte dem Silicon Valley den Rang ablaufen. SchonjetztzähltSeattlezudenzehninno- vativstenStädtenweltweit.DiefürdieUSA geringeArbeitslosenquotevonknappdrei Prozent soll weiter sinken. Seit Anfang des Jahres gilt in Seattle ein gesetzlicher Mindestlohnvon15Dollar,doppeltsoviel wie im Rest des Landes.Die Stadt kann es sich leisten: Seattle ist reich. Boom und Wandel sind überall sichtbar.Apartment- häuser und Büros entstehen in großer Geschwindigkeit,kaumeinMonatvergeht, in dem nicht neue Klubs, Cafés und Res- taurants eröffnet werden. Dazwischen spektakuläreGebäudewiederGlasbauder städtischen Bibliothek, entworfen vom Stararchitekten Rem Koolhaas. Der Metropole am Pazifik – nebenbei auch Kaffeehauptstadt der USA mit etwa 100 Röstereien – ist es bei allem Wandel gelungen,ihreSeelezubewahren;dieGen- trifizierung hat ihren Charakter nicht grundlegend verändert. Die Stadt hat einenhemdsärmeligenCharme,derinder Zeit des Klondike-Goldrausches geprägt wurde.DerspülteumdieWendezwischen dem 19.und 20.Jahrhundert massenweise Haudegen in die Stadt.Manche Seattliers verdankenihresympathischenEckenund Kanten wohl diesen abenteuerlustigen Vorfahren. ManprotzthiernichtmitseinemWohl- stand.Sogar Manager fahren mit Nahver- kehrsbussen oder mit dem Fahrrad zur Arbeit.Seattle ist eine der wenigen Städte im PS-verrückten Amerika, die über ein hervorragend ausgebautes Netz an Rad­ wegen verfügt. Beim Job trägt man eher T-Shirts, Jeans und Turnschuhe als Drei- reiher oder teure Kostüme, sicher auch eine Folge des Umstands,dass die hier so präsenten IT-und Internetunternehmen in T-Shirt und Hoodie gesteuert werden. Im Szeneviertel Capitol Hill sind die Zebrastreifen in den Regenbogenfarben derSchwulenbewegunggestrichen.Mari- huana ist längst legal,kein Thema. Sogar die Meerjungfrau auf dem Starbucks- Logo darf hier noch ihre nackten Brüste zeigen,die anderswo auf Werbeschildern durch langes Haar verdeckt werden müs- sen. „DieMenschenhiersehendasLebenlo- ckerer.Wir sind einfach anders“,sagt Blair Robbins,62.Die Filmemacherin steht auf dem Ponton ihres Hausboots, neben ihr EhemannBobBurk,67,undSandori,derFa- milienhund.BlairundBoberlebtenSeatt- lesAufstiegmit.Heutehabensiedenbes- tenBlickaufdieSkyline.IhrHausbootliegt in der ersten Reihe auf dem Lake Union, demgroßenBinnenseemitteninderStadt. AmHauseingangziehtgeradeeinTaucher FässerunterWasser.„Wirhabeneineneue Tür bekommen,die ist so schwer,dass wir jetzt die Schieflage ausgleichen müssen“, erklärt Blair.Bob,ein Unternehmer,der in den 80er Jahren aus San Diego kam,sagt: „WirsindinSeattlegeblieben,weilwirhier dieperfekteMischungausStadtundNatur haben.“ Dann erzählt er davon,wie er gelegent- lich nachts aufsteht,sich auf die Terrasse stellt und hinüberschaut auf Downtown. RechtsdieSpaceNeedle,ein190Meterho- her Turm, das Wahrzeichen Seattles, ge- baut zur Weltausstellung 1962. Links die Hochhäuser. „Wenn wir uns umdrehen, ­sehenwirBergeundWälder.“Wannimmer diebeidenZeithaben,paddelnsiemitdem KanuoderdemSurfboardlos,wiesoviele, diehierleben.GeradehabensiesichFahr- rädermitgroßenSchwimmreifengekauft, um damit über den See zu radeln. „Wir wohnenaufeinemriesigenOutdoorspiel- platz“,sagt Bob. Gekommen, um zu bleiben KatelynGoodheartzogvoreinemJahraus Buffalo im Bundesstaat New York an die amerikanischeNordwestküste.Die26-Jäh- rige arbeitet als Schiffslotsin bei der­ Coast Guard, ihr Büro ist am Pier 36 am ­Hafen. Direkt daneben legen die grün- weißenAutofährenvondenumliegenden Inseln im 20-Minuten Takt an.„Ich kom- me immer hierher, bevor ich zur Arbeit gehe“,sagtGoodheart.Dannschautsieden Menschenzu,wiesieein-undaussteigen, und atmet die salzige Luft ein.„Die Leute sind hier offener“,sagt sie,das gefalle ihr. Als der Oberste Gerichtshof vor einigen Wochen die Homoehe erlaubt hat, habe die ganze Stadt gefeiert. „Alle lagen sich freudig in den Armen – Schwule,Lesben, Heteros.“ Das Neue erschreckt hier niemanden. Manistebenoptimistisch–vielleichtauch daseinErbederGoldschürfer,diejavoller Hoffnung hierher kamen. Der Optimis- musziehtsichbisindieFreizeitgestaltung. Ach ja,der Regen.„Ich trainiere trotzdem viel mit meinen Kunden draußen“, sagt ­Fitnesscoach Tim Koffler. Außerdem sei das ja nicht wirklich Regen, sondern nur Nieseln.SodenktderSeattlier.Denn:„Wer in den vielen dunklen Tagen ohne Sonne seine gute Laune nicht verliert,der muss doch besonders sein.“ 2 Der Stadt am Pazifik ist es ge­ lungen, ihre Seele zu bewahren Erste Adresse für selbst gemachtes Eis: Molly Moon (o.). Der Pike Place Market wurde 1907 eröffnet (m.). Blair Robbins und Bob Burk leben auf einem Hausboot (u.l.). Fitnesstrainer Tim Koffler zeigt Arme, Beine und Hund auf der Dachterrasse seines Apartmenthauses (u. r.) 150 12.11.2015  KULTUR-MAGAZIN