1. FAU-Proseminar: Die Copernicanische Wende – Ein Motiv zur Entstehung der
neuzeitlichen Naturwissenschaft, 2. Sitzung, Do 27.10.11, Pierre Leich
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Antiker Heliozentrismus
Für eine Bewegung der Erde haben sich nach Copernicus Hiketas, Philolaos,
Ekfantes, die Pythagoräer und Herakid aus Pont ausgesprochen. Im
Widmungsschreiben von De revolutionibus orbium coelestium an Papst Paul III.
schreibt Copernicus:
Und ich fand tatsächlich bei Cicero: Als erster habe Nicetus die Meinung vertreten, die
Erde bewege sich. Später habe ich auch bei Plutarch gefunden, daß noch andere
dieser Meinung waren; seinen Wortlaut, damit er allen zugänglich sei, hielt ich für
richtig, hier aufzuführen: „Die anderen (meinen), die Erde stehe still, der Pythagoreer
Philolaos aber (behauptet), sie bewege sich im Kreis um das (Zentral)Feuer, über
einen geneigten Kreis in ähnlicher Art wie Sonne und Mond. Herakleides von Pontos
und der Pythagoreer Ekphantos lassen die Erde zwar eine Bewegung ausführen, aber
nicht von Ort zu Ort fortschreitend, sondern in Form einer Drehbewegung, nach Art
eines um die Achse laufenden Rades, von Sonnenuntergang in Richtung Aufgang, um
ihren eigenen Mittelpunkt.“ Hier hatte ich einen guten Ansatzpunkt gefunden und
begann von da an, auch meinerseits über Bewegbarkeit der Erde nachzudenken.1
Im Autographen war am Ende des ersten Buches „Arystarch aus Samos“ noch
erwähnt, was Copernicus später aber gestrichen hat.
1 Zitiert nach Hans Günter Zekl, Nicolaus Copernicus: Das neue Weltbild, Hamburg 1990, S. 73ff.
2. Aristarch von Samos
In der Schrift Über Größen und Entfernungen von Sonne und Mond (um 265 v.Chr.)
verschafft sich Aristarch (*um 310 v.Chr. - 230 v.Chr.) Klarheit über die Verhältnisse
in der näheren Erdumgebung. Obwohl Aristarch in dieser einzig erhaltenen
Abhandlung die Erde als ruhend annahm, soll er laut Archimedes in der Einleitung
von der König Gelon gewidmeten Abhandlung Sandrechner (Psammítes) die
heliozentrische These aufgestellt haben:
Aristarch von Samos hat Schriften mit gewissen Hypothesen herausgegeben, in
welchen sich aus den Voraussetzungen ergibt, daß das Weltall noch bei weitem größer
ist, als wir eben beschrieben haben. Denn er behauptet, daß die Fixsterne und die
Sonne unbeweglich sind, die Erde aber sich um die Sonne, die in der Mitte ihres
Laufes liege, in einer Kreislinie herumbewege, die Kugel der Fixsterne aber, die mit der
Sonne denselben Mittelpunkt habe, von solcher Ausdehnung sei, daß der Kreis, den
nach seiner Hypothese die Erde um die Sonne beschreibe, im gleichen Verhältnis zur
Entfernung von den Fixsternen stehe, wie der Kugelmittelpunkt zur Oberfläche. Daß
dies nicht möglich ist, ist klar. Denn da der Mittelpunkt der Kugel keine Ausdehnung
hat, ist von ihm auch kein Verhältnis zur Kugeloberfläche anzunehmen.2
Die doppelte Bewegung erfahren wir bei Plutarch (Über das Gesicht auf der
Mondscheibe), wo es heißt, dass sich nach Aristarch die Erde auf einem schiefen
Kreis bewegt – der bislang der Sonne zugesprochen wurde – und zugleich rotiert. In
diesem Zusammenhang spielt er auf Kleanthes – den zweiten Vorsteher der Stoa
nach Zenon – an, der in der Streitschrift Gegen Aristarch die Griechen aufgerufen
haben soll, Aristarch der Gottlosigkeit anzuklagen, weil er die Erde – den „Herd der
Welt“ – aus der Mitte und in Bewegung gesetzt habe.
Verwickle uns nur nicht in eine Anklage wegen Unglaubens, wie einst Kleanthes die
Griechen gegen Aristarch von Samos zur Anklage wegen Unglaubens aufforderte, weil
dieser den Mittelpunkt der Welt in Bewegung versetzte, um – wie er behauptete – die
Himmelserscheinungen in Einklang zu bringen. Er lehrte nämlich die Fixsternsphäre
stehe fest, die Erde aber kreise in einem geneigten Kreise und drehe sich gleichzeitig
um ihre eigene Achse.3
2 Archimedes, Die Sandrechnung, Archimedes’ Werke, eingel. u. hg. v. Thomas L. Heath, dt. v. Fritz
Kliem, Berlin 1914, S. 343; Übersetzung nach Renate Wahsner, Mensch und Kosmos. Die
copernicanische Wende, Berlin 1978, S. 125f.
3 Ps. Plutarch, De facie in orbe lunae 6, S. 923 A; zitiert nach: Alfred Stückelberger, Einführung in
die antiken Naturwissenschaften, Darmstadt 1988, S. 200.