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Schule<br />Formularbeginn<br />Formularende<br />Schulübertritt in Bayern<br />Elternwille: Fehlanzeige<br />Jedes Jahr die gleiche Tortur: Wie Bayerns Viertklässler für den Übertritt ins Gymnasium kämpfen müssen.<br />Von Arnfrid Schenk <br />Datum 2.8.2010 - 14:27 Uhr <br />© Karl-Josef Hildenbrand dpa<br />Kinder der vierten Klasse einer Grundschule in Bayern. Die Ferien haben begonnen, die Zeugnisse sind geschrieben <br />Was auch immer die Eltern euch um die Ohren hauen – denkt daran: Sie meinen nicht euch, sie meinen das System.« Den Satz hatte die Rektorin ihren Lehrerinnen zu Beginn der vierten Klasse immer wieder gesagt. Manuela Wedlich hat in den folgenden Monaten oft an diesen Satz denken müssen. Sie ist die Klassenlehrerin der 4a an der Grundschule Poing bei München. <br />Seit 2005 ist die Schleswig-Holsteinerin an der Schule, es ist ihre erste Vierte. Mit ihrer Kollegin Margot Ruthenkolk sitzt sie an einem schneelosen Januarmorgen im Lehrerzimmer und redet über das, was in den nächsten Monaten vor ihnen und ihren Schülern liegt und was sie gelegentlich »Probenwahnsinn« nennen. Insgesamt müssen im 4. Schuljahr 22 Proben geschrieben werden, 12 in Deutsch, 5 in Mathematik und 5 in HSU, in Heimat- und Sachkunde. Es bleiben vier probenfreie Wochen im Schuljahr. Proben, das sind die Klassenarbeiten, die entscheiden, wie die weitere Schulkarriere aussehen wird. Viertklässler, die einen Notenschnitt von wenigstens 2,33 schaffen, dürfen aufs Gymnasium, wer drunterliegt, kommt auf die Realschule, wer die 2,66 nicht schafft, dem bleibt die Hauptschule. So will es das Schulsystem in Bayern.<br />Die dritte Klasse sei noch schön, sagen die beiden Lehrerinnen, dann komme die vierte, und es gehe ausschließlich um das eine: den Übertritt. Das Lernen auf die Proben hin erinnere an bulimisches Lernen, erst werde gepaukt und dann das Gepaukte wieder erbrochen – und oft vergessen. Manuela Wedlich erzählt von einer Mathe-»Ex«, einem unangekündigten Test, bei dem der Schnitt ihrer Klasse auf 3,8 absackte, sonst hat die 4a Einserschnitte. Es sind Monate, in denen Eltern und Schüler nur noch Mathe, Deutsch und HSU im Kopf haben. Die anderen Fächer fallen unter den Tisch.<br />In der Elternsprechstunde geht es nur noch ums Notenfeilschen<br />Poing liegt gerade noch im Speckgürtel von München, es hat knapp 14.000 Einwohner, darunter viele Akademiker, die mit ihren Kindern aus der Stadt gezogen sind. An der Grund- und Hauptschule gibt es rund 70 Lehrer, 750 Schüler. Die Eltern seien hier nicht überzogen anspruchsvoll, erzählen die Lehrerinnen. Nicht so wie in manchen gehobenen Vierteln Münchens, wo die Eltern das Gymnasium für ihre Kinder als gegeben betrachten. Aber in den Elternsprechstunden in Poing sagen sie auch: »Auf die Hauptschule geht das Kind auf keinen Fall.« Und Margot Ruthenkolk weiß schon jetzt, dass es in den kommenden Elterngesprächen nicht mehr um Beratung gehen wird, nur noch ums »Notenfeilschen«. Sie unterrichtet seit 2001 dritte und vierte Klassen.<br />Ein Dienstagmorgen, Anfang Februar, vor der Schule liegt ordentlich Schnee. Es sind noch zweieinhalb Monate bis zu den Übertrittszeugnissen. Gebratene Putenbruststreifen stehen auf dem Speiseplan der Kantine. Hier sitzen Sandro und Benedikt, sie gehen zu Frau Ruthenkolk in die 4c, und Noah und Paola, sie sind bei Frau Wedlich in der 4a. Die vier fachsimpeln über den Probenplan. Letzte Woche haben sie ihre Zwischenberichte bekommen. Noah steht auf 2,0, Sandro, Paola und Benedikt jeweils auf 2,33. Was wollt ihr einmal werden? »Tierarzt«, sagt Sandro, »Tierärztin«, sagt auch Paola, sie hat zu Hause einen Cockerspaniel. »Tennisspieler, Forscher, Astronaut«, sagt Noah. »Elektriker« will Benedikt werden oder Sportler, Leichtathlet. Er hat einen großen Sprung gemacht, in der dritten Klasse war er auf Hauptschulkurs.<br />Nächste Woche schreiben sie eine Matheprobe. Paolas Vater hat am Wochenende viele Papiere mit Matheaufgaben mitgebracht. Paola hat blonde Haare, sie ist ein freundliches, stilles Mädchen. Sie sagt, sie habe in den letzten Monaten kaum mehr Zeit zum Spielen, außer Lernen gebe es ja noch Klavierspielen und Geräteturnen. Noah erzählt, dass seine Mutter Arbeitsblätter mit typischen Probearbeiten ausgedruckt hat. Er trägt einen weißen Pulli mit roten Streifen. Sein Lieblingsfach ist Sport. Die Hausaufgaben macht er im Hort, abends schaut noch mal seine Mutter drüber. Er würde schon gern aufs Gymnasium gehen. Und die anderen? »Auf jeden Fall will ich da hin«, sagt Sandro. »Ich will lieber auf die Real«, sagt Benedikt und zu Sandro: »Du musst 50 Vokabeln lernen am Tag auf dem Gymnasium.« Noah sagt: »Es ist aber nicht nur schwerer, du kannst nachher auch alle Berufe machen.«<br />Ein Dreier mehr heißt Hauptschule, fürchtet die Mutter<br />Die Mutter von Noah hadert mit diesem ganzen Übertrittssystem. »Wir sind voll im Übergangsstress«, hörte sie sich neulich zu anderen Müttern beim Sport sagen. Ein bisschen kann sie darüber lachen, dass sie von diesem Notenfieber gepackt wurde, obwohl sie das nie wollte. Den Schulübertritt nur an den Noten festzumachen, das sei doch nichts, sagt sie. »Was, wenn das Kind in der entscheidenden Zeit von September bis April mal eine schlechte Phase hat, sei es wegen Umzug, einer Krankheit oder wegen familiärer Probleme?«<br />Ihr Noah steht gut da. Aber man könne sich auf den Lorbeeren ja nicht ausruhen, sagt seine Mutter. In der dritten Klasse sei ein Dreier halt noch ein Dreier gewesen. Jetzt denke sie: Noch ein Dreier mehr heißt Realschule – und noch ein paar dazu Hauptschule. Sie kontrolliert regelmäßig die Hausaufgaben, schaut sich die Proben an, die Noah mit nach Hause bringt. Sie kommt aus Rheinland-Pfalz, dort zählt der Wille der Eltern. Es ist doch so, sagt sie: «Hier darf man die Regierung wählen, hat aber keine Kompetenz, zu entscheiden, auf welche Schule das eigene Kind soll.« Im föderalen Deutschland handhaben das die Länder sehr unterschiedlich, in Schleswig-Holstein etwa, Niedersachsen oder Hessen entscheiden die Eltern über die beste Schule für ihr Kind, in Sachsen, Baden-Württemberg oder Bayern die Noten und die Lehrer.<br />Seine Tochter sei verunsichert, erzählt auch Paolas Vater, ein Jurist, sie würde viel schweigen und wirke manchmal recht niedergeschlagen. Der Druck der Kinder untereinander sei groß, »wer eine schlechte Note hat, wird als Loser bezeichnet«. In der dritten Klasse sei noch eine große Fröhlichkeit da, damit sei es jetzt vorbei, wie mit dem Fallbeil abgehackt. »Man fühlt sich diesem System so ausgeliefert«, sagt er, so ohnmächtig. Das ideale Schulsystem hätte für ihn eine größere Durchlässigkeit und wäre nicht so überfrachtet mit Detailwissen. Benedikts Eltern haben ihren Sohn nach der dritten Klasse einige Male in einen lernpsychologischen Kurs geschickt. Mit Erfolg. »Wir sind schon hinterher«, sagen sie. Aber übertreiben wollen sie es nicht. Das Kind müsse auch Freizeit haben, Zeit fürs Spielen. »Nicht dass der irgendwann zurückschaut und sagt: Ich habe keine Kindheit gehabt«, sagt der Vater. »Wenn die Noten stimmen und die Lehrerin sagt, der schafft das Gymnasium mit links, dann kann er gern dahin, ansonsten auf die Realschule.«<br />Es ist März geworden, drei Schulwochen sind es noch bis zum »Tag der Verkündung am 3. Mai«, wie die Lehrer die Ausgabe der Übertrittszeugnisse leicht genervt nennen. Fünf Proben müssen noch geschrieben werden. In der Eingangshalle der Schule wirbt ein Plakat des Kultusministeriums damit, dass in Bayern 32 Wege zum Abitur führen, aber viele dieser Wege sind offenbar so verschlungen, dass sie die Eltern kaum überzeugen. Im Klassenzimmer von Frau Ruthenkolk haben Eltern die Wünsche für ihre Kinder in Form eines Kleeblatts an die Wand gehängt. »Viel Glück, viel Spaß, das schaffst du schon« steht da oder »Wir glauben an dich«. Auf einem steht: »Gutes Zeugnis, guter Übertritt, gute Schule, gute Noten«. Aus den Parallelklassen hört man von Eltern, die gar nicht mehr erst mit den Lehrern sprechen, sondern gleich zur Rektorin rennen, wenn es um notenentscheidende Punkte geht. Eine Mutter hat dabei gleich einen Anwalt eingeschaltet.<br />Der Stoff habe angezogen, sagt Manuela Wedlich, es gehe jetzt weniger ums Reproduzieren, mehr um Anwendung des Gelernten. Die Schüler werden nervös, sie rechnen ständig ihren Schnitt aus, die Mütter rechnen mit. Und werden panisch. Auch Eltern, deren Kinder mit einem Schnitt von 1,8 eigentlich auf der sicheren Seite wären, werden aufgeregt. Und es wird nachgeholfen. Nach einer Schulstudie aus dem Jahr 2006 bekommen knapp 15 Prozent der Viertklässler Nachhilfe in Deutsch, 13 Prozent in Mathe. In Deutschland geben Eltern jährlich 143 Millionen Euro aus für Nachhilfe – allein im Grundschulbereich. Viele schlüpfen selbst in die Rolle des Nachhilfelehrers. Und wenn alles nichts hilft, soll der Anwalt helfen. Laut bayerischem Lehrerverband ist der Anteil der Eltern, die wegen Noten juristisch gegen die Schule ihrer Kinder vorgehen, rasant gestiegen. Die soziale Gerechtigkeit, die dieses System eigentlich fördern will, ist längst ausgehebelt. In Bayern ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus einem Akademikerhaushalt aufs Gymnasium geht, sechsmal so groß wie bei einem Arbeiterkind.<br />Heute ist auch noch Elternsprechtag. Das sei maßlos anstrengend, sagt Manuela Wedlich. Mit den Beschimpfungen ist es bisher zwar nicht so schlimm gekommen, wie der Satz der Rektorin am Anfang des Schuljahres befürchten ließ, aber man spüre bei den Eltern eine große Anspannung. Die viele Lehrer auf sich beziehen. Paolas Vater sagt, das Schulsystem baue Frontstellungen auf zwischen Lehrern und Eltern, die keiner wolle. Es wollen ja alle das Beste fürs Kind. Und Margot Ruthenkolk erzählt: »Ich weiß schon vorher, wenn sich beide Eltern angemeldet haben, dann wollen sie um Punkte feilschen.« Dann zuckt sie die Schultern und sagt: »Was soll ich einem Kind das Gymnasium verweigern? Wenn es nach mir ginge, soll doch der Elternwille entscheiden«, und spricht damit aus, was viele ihrer Kollegen in Bayern denken.<br />Im April erzählt die Mutter von Noah, wie froh sie sein wird, wenn dieser Endspurt vorbei ist, wenn eine Vier wieder eine Note ist und kein Weltuntergang. Wenn das Kind wegen einer Erkältung auch mal zu Hause bleiben kann ohne die Sorge, entscheidenden Stoff zu verpassen. Und Paolas Vater sagt: »Wir glauben in der Zwischenzeit, dass die Realschule die bessere Lösung ist, wir hatten in den letzten Wochen doch sehr viel Stress, Paola war ein wenig kränklich, wir haben uns alle nicht wohlgefühlt.« Sie haben viel zusammen gelernt an den Wochenenden, in den Ferien, der Vater hat Übungshefte mitgebracht. Das Maß an Hausaufgaben sei sehr hoch gewesen. Wenn Paola aufs Gymnasium ginge, müsste sie ihre Hobbys aufgeben.<br />Am 3. Mai, dem »Tag der Verkündung«, blühen die Kastanien vor der Schule. Margot Ruthenkolk steht vor ihrer Klasse. Sie erklärt, dass auf jedem Übertrittszeugnis die Schularten angekreuzt sind, auf die die Schüler gehen können. Manche haben drei Kreuze, manche nur eins, das bedeutet Hauptschule. Sandro hat heute ein braunes Kapuzenshirt an, er hat drei Kreuze, ganz fest hält er das Blatt mit beiden Händen. »Ich dachte in den letzten Wochen, ich komm auf die Realschule«, sagt er. HSU 2, Mathe 3, Deutsch 2, steht auf seinem Blatt, mit einer Ergänzung: »Note HSU neigt zu 3«. Es ist ihm egal. Benedikt reibt sich vor Freude die Hände, Deutsch 2, Mathe 3, HSU 2. Er könnte aufs Gymnasium gehen, wahrscheinlich aber geht er auf die Realschule.<br />Bei zwei Mädchen ist es nicht so gut gelaufen, sie haben nur ein Kreuz auf ihrem Blatt, für die Hauptschule. Die eine zuckt nur mit den Achseln, die andere weint. Frau Ruthenkolk nimmt sie in den Arm und sagt: »Komm, du hast dich so verbessert, jetzt gibst du noch mal Gas, dann schaffst du es bald auf die Realschule.« Zwei Stockwerke weiter oben, bei Frau Wedlich in der 4a, dringen »Zeugnis! Zeugnis!«-Rufe durch die Tür. »Mit Austeilen der Übertrittszeugnisse ist das Schuljahr nicht vorbei«, mahnt die Lehrerin, »wir lernen durchaus noch was, was für Klasse fünf nützlich sein könnte.« 22 in der 4a können aufs Gymnasium, zwei auf die Real-, zwei kommen auf die Hauptschule. Paola sitzt still da und studiert ihr Zeugnis, die 2,33 hat sie geschafft. Nach den Noten könnte sie aufs Gymnasium, aber sie geht lieber auf die Realschule. Noah hat eine 2,0. »Wenn ich’s schon kann, dann geh ich auch aufs Gymnasium« sagt er.<br />Margot Ruthenkolk ist froh, dass der Probenwahnsinn für dieses Jahr ein Ende hat. Und Manuela Wedlich, die zwei sechsjährige Töchter hat, erzählt, dass sie oft zu ihrem Mann sagt: »Lass uns für die nächsten 13 Jahre in den Norden ziehen. Und erst wieder nach Bayern kommen, wenn die Kinder aus der Schule sind.«<br />Copyright: DIE ZEIT, 29.07.2010 Nr. 31<br />Adresse: http://www.zeit.de/2010/31/C-Bayern <br />
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Mit ihrer Kollegin Margot Ruthenkolk sitzt sie an einem schneelosen Januarmorgen im Lehrerzimmer und redet über das, was in den nächsten Monaten vor ihnen und ihren Schülern liegt und was sie gelegentlich »Probenwahnsinn« nennen. Insgesamt müssen im 4. Schuljahr 22 Proben geschrieben werden, 12 in Deutsch, 5 in Mathematik und 5 in HSU, in Heimat- und Sachkunde. Es bleiben vier probenfreie Wochen im Schuljahr. Proben, das sind die Klassenarbeiten, die entscheiden, wie die weitere Schulkarriere aussehen wird. Viertklässler, die einen Notenschnitt von wenigstens 2,33 schaffen, dürfen aufs Gymnasium, wer drunterliegt, kommt auf die Realschule, wer die 2,66 nicht schafft, dem bleibt die Hauptschule. So will es das Schulsystem in Bayern.<br />Die dritte Klasse sei noch schön, sagen die beiden Lehrerinnen, dann komme die vierte, und es gehe ausschließlich um das eine: den Übertritt. 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