1. Herr Buckmann, Sie haben sich per 1. November 2015
selbständig gemacht. Vermissen Sie die VBZ und die Si-
cherheit eines halbstaatlichen Beamtenjobs?
Jörg Buckmann: Ja und nein. Ich habe acht Jahre bei den
VBZ gearbeitet. Und zuvor mein ganzes Arbeitsleben bei den
SBB verbracht. Ich verlasse also nach insgesamt 30 Jahren die
Welt des öffentlichen Verkehrs. Das ist schon eine Umstellung.
Ich habe mich aber schnell an meine neue Funktion als selb-
ständiger Berater gewöhnt. Die Selbstausbeutung hat schlag-
artig zugenommen. Ich arbeite oft von Montag bis Sonntag,
kannmirdafüraberauchmalohneschlechtesGewissenspon-
tan einen freien Tag mit meiner Frau gönnen. Die grösste Än-
derung ist sicher die finanzielle Sicherheit, die wegfällt. Eines
jedoch bleibt unverändert: Ich war vorher Praktiker und ver-
stehe mich auch heute noch als Praktiker, auch wenn ich die
Seite gewechselt habe.
Warum haben Sie sich in die Selbständigkeit gewagt?
Ich fühlte mich ganz einfach reif für diesen Schritt. In letz-
terZeitkamenimmermehrAnfragenfürVorträge,Workshops
und auch für Beratungsdienstleistungen. Das machte mir rie-
sigen Spass, liess sich aber immer weniger gut in meiner Frei-
zeit unterbringen. Dann entschlossen sich die VBZ, HR dem
Finanzbereich zu unterstellen. Ich respektiere diesen Ent-
scheid, wollte ihn aber nicht mittragen, ich finde ihn grund-
falsch. Jetzt musste ich also in meiner eigenen, ganz persön-
lichen Angelegenheit Frechmut beweisen. Kurze Zeit glaubte
ich, zu alt für das Abenteuer Selbstständigkeit zu sein. Meine
100-Tage-Bilanz zeigt mir nun das Gegenteil: Die grosse
Berufserfahrung ist mein Asset, mein Auftragsbuch ist gut
gefüllt.
Wie fühlt es sich an, selbständig zu sein?
Es ist ein hammergutes Gefühl. Ich schätze es unglaublich.
Ich stehe oft um fünf Uhr morgens auf und arbeite von zu
Hauseaus,danngeheichdirektzumKundenoderinsBüro:Ich
habe einen Arbeitsplatz bei Condor Film im Seefeld mitten in
Zürich, wo ein Co-Working-Space mit sehr lebendigem Start
up-Spirit entstanden ist. Es herrscht dort ein unkomplizierter
unternehmerischer Geist, der mir sehr entspricht. Zudem reise
ich viel. Ich habe keine Meetings mehr, die nichts bringen, kei-
ne Protokolle mehr und auch die Bürokratie ist weniger gewor-
den – ausser wenn ich es mit Einkäufern zu tun habe (lacht).
Ebenso fallen gewisse Etiketten weg. So kann ich auch mal
unrasiert im Büro erscheinen. Und auch die ganzen
Tratschereien und Machtspielchen fallen plötzlich weg. Das
empfinde ich als grosse Bereicherung. Zudem habe ich in den
letztenJahrenmeineLustamSchreibenwiederentdeckt.Damit
habe ich eine Nische gefunden, in der ich aufgehen konnte und
die ich mit meiner Selbständigkeit weiter vertiefen möchte.
Apropos Schreiben: Im Januar ist im SpringerVerlag Ihr neues
Buch «Personalmarketing to go» erschienen. Was darf man
nach Ihrem Bestsellerdebüt «Personalgewinnung mit Frech-
mut und Können» mit 2000 verkauften Exemplaren von Ih-
rem zweiten Werk erwarten?
Das Buch ist eine Herzensangelegenheit. Ich will damit
zeigen, dass Employer Branding und Personalmarketing gar
nicht so kompliziert sind. Das Buch liefert keine verkopften
Ideen,sondernistbewusstsehrpraxisnahgehalten.Mitvielen
konkreten erfolgserprobten Beispielen von Firmen von Lidl
über die Baloise bis hin zu Schindler oder dem Kinderspital
Zürich. Es ist ganz klar als Inspirationsquelle gedacht und ver-
bunden mit der Aufforderung: Macht das doch nach, es ist so
einfach! Es war immer mein Traum, ein Fachbuch zu schrei-
ben, worin man zehn Minuten blättern und etwas für seinen
Berufsalltag rausziehen kann, ohne dass dafür übergrosse
Konzentration nötig ist. Das passt auch zu meiner Geschäfts-
philosophie: Ich will konkrete, praxisnahe Tipps geben, die
sichleichtumsetzenlassen.Deshalbauchdaspopuläre«togo»
im Titel.
Sie ziehen imVorwort eine Analogie zwischen den Eigenschaf-
ten, die es für gutes Personalmarketing braucht und den Ta-
lenten von Muhammad Ali. Wie soll man das verstehen?
Boxenfasziniertmich.DashabeichwohlvonmeinemVater
geerbt. Er hat frühmorgens die grossen Boxkämpfe live am
Fernsehen verfolgt und manche wohl auch auf dem Sofa ver-
schlafen.IchfindeMuhammadAlieinespannendePersönlich-
keit. Er hatte immer seine eigene Haltung, eckte auch immer
wieder mal an und wollte nicht bei allen beliebt sein. So verlor
Nach 30 Berufsjahren im öffentlichen Verkehr – zunächst bei den SBB und später bei den Verkehrs-
betrieben der Stadt Zürich (VBZ) – hat sich Personalmarketing-Rebell Jörg Buckmann selbständig gemacht.
Ein Gespräch über den Seitenwechsel, Muhammad Ali und die Zukunft der HR-Disziplin.
«Das HR-Bashing
geht mir auf den Sack»
«Es ist sicher so, dass mich nicht jeder toll
findet und mich manche Leute für arrogant
halten. Das lässt mich nicht kalt.»
Auszug aus HR Today Jan./Feb. 2016
2. er etwa seine Boxlizenz, weil er sich weigerte, als
Soldat nach Vietnam zu gehen. Boxen hat ausser-
dem viel mit Showbusiness zu tun – und insofern
auchmitPersonalmarketing.Zudemhabeichmit
zwei Partnern aus einer Bieridee heraus eine Per-
sonalmarketing-Workshop-Box entwickelt, die
sich «Buckmann boxt» nennt.
Apropos Anecken und Showbusiness: Mit Ihren
zahlreichen Bloggertätigkeiten und Auftritten
als Referent an HR-Veranstaltungen sind Sie als
scharfzüngiger «Hansdampf in allen Gassen» be-
kannt. Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, ein
notorischer Selbstdarsteller zu sein?
Es ist sicher so, dass mich nicht jeder toll fin-
det und mich manche Leute für arrogant halten.
Das lässt mich auch nicht kalt. Jeder möchte ge-
liebt und anerkannt werden. Das gilt auch für
mich. Aber wenn man so viel Visibilität in An-
spruch nimmt und sich auch mal aus dem Fens
ter lehnt – so wie ich – dann muss man mit
solchen Reaktionen umgehen können. Das ist
Teil des Geschäfts und gelingt mir mit zuneh-
mendem Alter auch immer besser.
Sie haben bekanntlich den Begriff «Frechmut»
geprägt. Wo verorten Sie den Ursprung Ihres
Frechmuts?WarenSieeigentlicheinfrechesKind?
Nein. Ich war sehr angepasst. Ich hatte
auch in der Schule keinerlei Probleme gemacht
oder gehabt – ausser mit Fräulein Uhlmann,
mehr von ihr im neuen Buch. Der Begriff
«Frechmut» ist aus dem Ärger entstanden, dass
im HR so viel gejammert wird. Gerade in der
Personalwerbung wird noch zu oft nach Aus
reden gesucht. Angesichts der Herausforde-
rungen, die auf HR zukommen, braucht es aber
definitiv mehr Mut. Was mir andererseits eben-
falls auf den Sack geht, ist das ewige HR-
Bashing. HR-Verantwortliche haben eine an-
spruchsvolle Rolle: Sie sind in einer Art «Am-
boss-Funktion» zwischen Management und
Mitarbeitenden, müssen Prozesse kennen und
im Arbeitsrecht sattelfest sein, die Lohnabrech-
nung beherrschen und gleichzeitig kommuni-
kativ und kreativ sein, das ist ein veritabler, ja
fast unmöglicher Spagat.
Fordern Sie eine stärkere Spezialisierung auf ein-
zelne HR-Disziplinen?
Das gibt es in vielen Bereichen schon. Aller-
dings gibt es kaum Personaler mit einem Marke-
ting-Hintergrund. Der typische Personaler ist
Psychologe, Jurist oder hat eine HR-Karriere
durchlaufen. Die Bedeutung von Personalmar-
keting nimmt zu, gemessen an der hohen Wich-
tigkeit sind Leute mit Marketingkompetenz aber
noch zu wenig im HR vertreten.
Aufgrund der inzwischen fast schon legendären
VBZ-Recruiting-Kampagnen gelten Sie als Pio-
nier und Innovator des Personalmarketings und
auch der klassischen Stellenanzeige. Doch wie
viel Buckmann steckt in diesen Kampagnen
wirklich,diemitderWerbeagenturRuf Lanzent-
standen sind?
Es steckt unterschiedlich viel Buckmann
drin. Ich durfte in meinem Job bei den VBZ ein
breites Themenfeld beackern. Und ich hatte das
grosse Glück, Mitarbeitende gehabt zu haben, die
sich verlässlich um HR-Kernprozesse wie etwa
die Payroll oder Personalentwicklung geküm-
mert haben. Das hat mir Zeit freigeschaufelt,
mich um den Bereich zu kümmern, der mir am
meisten Freude macht – nämlich alles, was im
weitestenSinnmitWerbungzutunhat.Sokonn-
te ich namentlich in der Personalwerbung Ak-
Jörg Buckmann (46) wird 1969 als viertes
Kind in eine «Büezerfamilie» hineinge-
boren und wächst behütet als Nachzüg-
ler in Uzwil auf. Sein Vater arbeitet im
gleichen Dorf in der Maschinenfabrik
Bühler, seine Mutter ist Hausfrau.
1985 tritt Buckmann bei der SBB eine
Bahnbetriebsdisponenten-Lehre an. In
der Allrounder-Ausbildung kommt er
auch mit Marketing und Verkaufsförde-
rung in Berührung und lernt früh, Ver-
antwortung zu übernehmen. Im dritten
Lehrjahr ist er am Bahnhof Egnach für
den Früh- und Spätdienst zuständig.
27-jährig wechselt er – inzwischen Vater
geworden – «vom Gleis ins Büro» und
tritt in Zürich als «kleiner Sachbearbei-
ter» in den Personaldienst der SBB ein.
Er bildet sich weiter zum HR-Fachmann
und Personalleiter, macht ein Nachdi-
plomstudium FH. Nach diversen HR-Funk-
tionen wird Buckmann 2004 Leiter Per
sonalpolitik von SBB Personenverkehr.
2007 wechselt er als Leiter Personal
management zu den Verkehrsbetrieben
Zürich (VBZ), wo er während acht Jahren
wirkt und neben legendären Personal-
marketing-Kampagnen sich auch als Do-
zent und Vortragsreisender einen Namen
macht. Im November 2015 wagt er mit
seiner Firma «Buckmann Gewinnt» den
Schritt in die Berater-Selbständigkeit.
Nebenbei ist er ein engagierter Blogger –
auch für HR Today – und Co-Organisator
des ersten HR Barcamps in Zürich. Jörg
Buckmann ist Vater zweier erwachsener
Töchter und 2015 erstmals Grossvater
geworden.
Zur Person
Foto:zVg
Das neue Werk von
Jörg Buckmann ist da:
Personalmarketing to go
Frechmutige Inspira-
tionen für Recruiting und
Employer Branding.
Springer Gabler 2015.
ISBN 978-3-658-11153-3
Buchtipp
Buckmann
Personal-
marketing togo
Jörg Buckmann
Personalmarketingtogo
Frechmutige Inspirationen
für Recruiting und
Employer Branding
keting to go
zeigt Jörg Buckmann auf seine ihm eigene humorvolle Weise
guter Personalwerbung: Kurze, unterhaltsame Einheiten und
r bieten Inspiration für die tägliche Praxis im Human Resources
uckmann nimmt seine Leser mit auf eine wilde Achterbahnfahrt
– Muhammad Ali, Fürst Potjomkin und Falco inklusive – und
rantwortlichen aller Ebenen, wie sie ihrem Personalmarketing
randing mit ungewöhnlichen Ideen einen Frischekick verpassen
ergewöhnliches HR-Buch zum Stöbern, Entdecken, Schmunzeln
en.
hltzudenprofiliertestenExperten,wennesumpraxisorientiertes
ing geht. Für seine aufsehenerregende Personalwerbung wurde
ach international ausgezeichnet. Sein Blog buckmanngewinnt.ch
eistgelesenen Blogs im HR-Bereich, er hält regelmäßig Vorträge
um Themenbereich Personalmarketing und Employer Branding.
sionierter Kaffeetrinker. Bei Springer Gabler erscheint von ihm
instellungssache: Personalgewinnung mit Frechmut und Können.
in dröges Fachbuch – eher wie ein guter Espresso: Ein Koffeinkick
er und reichhaltigen Aromen.
ige Buch ist ein praxistauglicher Reiseführer in eine unbekannte
und erinnert an T.C. Boyles Meisterwerk ‚Wassermusik‘, auch
nicht durch Togo fliesst.
mid, SIB Schweizerisches Institut für Betriebsökonomie, Zürich
4 6 3 8 8 8
62-46388-8
1
Auszug aus HR Today Jan./Feb. 2016
3. zente setzen und mutige Kampagnen realisieren.
Eine solche Kampagne ist immer Teamarbeit:
ZuallererstbrauchteseinenChef,derunterstützt
und fördert – was zum Glück der Fall war. Und
eine gute Werbeagentur ist ebenfalls Gold wert.
Die berühmte Frauen-Kampagne zum Beispiel
geht sicher zu einem schönen Teil auf Ruf Lanz
zurück. Die VBZ-Kampagnen sind insofern nicht
einfach nur meine Kampagnen, aber es steckt
doch schon auch viel Buckmann drin.
Wie sieht denn nun ein gutes Stelleninserat aus?
DieInfosmüssenkonzisundklarsein.Daran
scheitern bereits viele Stellenausschreibungen.
Ein gutes Inserat spricht die Zielgruppe an und
zeigt auf, was das Unternehmen zu bieten hat,
warum sich jemand für diese Stelle bewerben
soll. Leider fehlt seitens der Recruiter oft die
Lust, sich in die Zielgruppe hineinzuversetzen.
Gute Inserate sind liebevoll und mit Schmiss ge-
textet. Oft wäre es hilfreich, die Inserate einem
Profi-Texter zu geben. Denn ein Stelleninserat
muss genauso wie «normale» Werbung den
BauchunddasHerzerreichen.Daslässtsichmit
Worten, sehr gut aber auch mit Videos errei-
chen.
Sie sind ja ein Fan von Videos, neuerdings rei-
chern Sie auch Ihren HR Today-Blog mit Videos
an. Was fasziniert Sie an diesem Medium?
Ich habe schon als Bub gerne ferngesehen.
Ein gutes Video hat ähnliche Qualitäten wie der
persönliche Kontakt. Per Video lassen sich Infor-
mationen und Emotionen einfach orts- und zeit
unabhängig transportieren. Mittels Videos las-
sen sich zudem oft kleine Geschichten erzählen.
Ausserdem finde ich es faszinierend, wie man mit
SmartphonesVideosauf ansprechendemNiveau
produzieren kann.
Sie sind Blogger, Kolumnist, Buchautor, Vor-
tragsreisender, Berater und Mandatsträger –
etwa bei der neuen Jobplattform 100000jobs.ch.
Wofür schlägt Ihr Herz eigentlich am stärksten
und wo sehen Sie sich in fünf oder zehn Jahren?
Ich fahre einen Porsche und kaufe HR Today
(lacht).Nein,imErnst,ichweissesschlichtnicht.
Ich habe mich aber sicher nicht aus einer siche
ren Position heraus selbständig gemacht, um es
nur einfach mal auszuprobieren. Es war sehr
wohl ein bewusster Entscheid und ich habe in
diesen Schritt auch Geld investiert. Ich sehe mich
durchaus langfristig in der Beraterrolle, aber
auch als Speaker – unter anderem im Rahmen
der Seminarserie «HRToday Academy» (vgl. Sei-
te 25), wo ich zum Thema Personalmarketing
eine Tagung abhalten werde. Und ich möchte
auch gerne weiter Bücher schreiben, vielleicht
sogar mal einen Krimi, bei dem ein Personalchef
unter mysteriösen Umständen verschwindet.
Oder so ähnlich. ■
Yvonne Bugmann, Simon Bühler
«Leider fehlt seitens
der Recruiter oft die Lust,
sich in die Zielgruppe
hineinzuversetzen.»
ACADEMY
Personalmarketing to go
Jörg Buckmann
academy.hrtoday.ch
18.02.2016
Auszug aus HR Today Jan./Feb. 2016