1. „ERWARTUNGEN UND VORSTELLUNGEN IN DER
REGULIERUNGSPRAXIS AUS DER SICHT DER
BETROFFENEN “
IHR Sommerakademie 2015, 02.-03.07.2015, Hotel Dorint, Köln
Dr. Roland Uphoff, Fachanwalt für Medizinrecht, M.mel.
2. I. Kanzlei Dr. Roland Uphoff
II. Wie ist die Ausgangssituation auf Patientenseite?
Welche „Stolpersteine“ und Schwierigkeiten in der
Bearbeitung/Regulierung gibt es?
Wie stellen sich die Betroffenen die Regulierung vor und was
erwarten Sie?
1. Streit um die Frage, ob überhaupt Schmerzensgeld/Schadenersatz
gezahlt wird (Haftungsgrund)
2. Streit um die Frage, wie viel Schmerzensgeld/Schadenersatz zu
zahlen ist (Schadenshöhe)
III. Resümee
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Erwartungen und Vorstellungen in der Regulierungspraxis aus der Sicht der Betroffenen, IHR Sommerakademie, Köln
3. I. Büro Rechtsanwalt Dr. Roland Uphoff, Kanzlei für Geburtsscha-
densrecht und Arzthaftung
• Seit 1991 als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
ausschließlich auf Patientenseite tätig
• Wir vertreten mit fünf Anwälten derzeit 450 Arzthaftungsangelegenheiten,
hiervon 300 Familien von geburtsgeschädigten Kindern bundesweit
• Das Engagement für unsere Mandanten endet nicht mit unserer
anwaltlichen Tätigkeit u.a.
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4. II. Wie ist die Ausgangssituation auf Patientenseite?
• Mandanten kommen mit erheblichen Informationsdefiziten, unklaren
Vorstellungen und mit hohem Leidensdruck, oft mit großen Erwartungen.
Es geht den Eltern insbesondere um
• die Aufklärung des Sachverhalts und um die Beantwortung der Frage, ob
sie Schuld an der Behinderung ihres Kindes sind,
• eine mögliche Entschuldigung der Klinik, der ärztlichen Leitung und der
beteiligten Personen,
• eine angemessene, lebenslange Absicherung für das Kind („Was ist mit
unserem Kind, wenn wir nicht mehr da sind?“).
Während der Bearbeitung erfolgen regelmäßiges Informieren, Nachhaken
und Mandantentelefonate („Mandanten dürfen schwierig und anstrengend
sein“).
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5. Welche „Stolpersteine“ und Schwierigkeiten in der Bearbeitung/
Regulierung gibt es?
Außergerichtliche Korrespondenz mit Haftpflichtversicherungen ist
• für die Patienten immer nervenaufreibend, von den Versicherern oft
verzögernd und zynisch.
• langwierig: Bestritten werden der Haftungsgrund und (später) auch die
Schadenersatzhöhe.
Das gerichtliche Verfahren ist
• geprägt von Richtern, die - zum Teil - wenig motiviert und kaum bereit sind,
sich mit dem medizinischen Sachverhalt auseinanderzusetzen
• gekennzeichnet dadurch, dass es keinen „Patientenbonus“ gibt. Prozesse
werden nicht wegen Mitleids gegenüber dem geburtsgeschädigten
schwerst mehrfachbehinderten Kind gewonnen!
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6. 1. Streit um die Frage, ob überhaupt Schmerzensgeld/Schadenersatz
gezahlt wird (Haftungsgrund)
• Die Pflicht des Patienten, den Behandlungsfehler (Abweichen vom
medizinischen Standard) und den Zusammenhang mit dem eingetretenen
Gesundheitsschaden (Kausalität) zu belegen (Beweislast), ist eine hohe
Hürde.
• Haftpflichtversicherer erkennen im Grunde niemals die Haftung
(Verantwortung) an; es wird formuliert „ohne Anerkennung einer
Rechtspflicht“.
• Auch wenn die Haftung offensichtlich ist oder grobe/elementare Fehler
auf der Hand liegen, wird die Zahlung häufig verweigert.
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7. Problem des „Gutachterunwesens“ oder:
Gibt es eine Gutachtermafia?
Einige Sachverständige sind ersichtlich bestrebt, einen Behandlungsfehler
regelmäßig zu verneinen oder bestätigen nur mit erheblicher Zurückhaltung
das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers.
Es wird formuliert:
„Behandlung war suboptimal“; man hätte Maßnahmen ergreifen „sollen“;
„So ein Fehler kann passieren“;
es ist „üblich“, eine bestimmte Maßnahme nicht zu ergreifen;
der „klinische Alltag“ erlaube nicht, eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen.
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8. Fallbeispiel Leonard H.
Stellungnahme des Versicherungsmaklers E. aus D. vom 14.03.2013
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Sachverständigengutachten des Versicherungsdienstes E.,
Prof. Dr. T. vom 10.02.2012
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Einwand des Mitverschuldens
• Der Einwand des Mitverschuldens wird auch im Geburtsschadensverfahren
immer häufiger vorgetragen.
• Die Mutter/Gebärende wird als „unkooperativ“ oder sogar als „hysterisch“
bezeichnet.
11. Fallbeispiel Emilia H.
Stellungnahme der Versicherung A. aus K.
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12. Streit unter mehreren Haftpflichtversicherungen
• Die Regulierung scheitert in der Mehrzahl der Fälle dann, wenn mehrere
Haftpflichtversicherer beteiligt sind.
Keiner der beteiligten Haftpflichtversicherer erklärt sich für einstandspflichtig
oder anerkennt die Haftung, sondern verweist auf die Verantwortung und
Zuständigkeit des anderen Haftpflichtversicherers.
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13. Fallbeispiel Benjamin S.
Stellungnahme der Versicherung N. aus N. vom 16.06.2006
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14. Verzögerte Schadensbearbeitung und -regulierung
• Auch wenn die Haftung deutlich (oder sogar rechtskräftig festgestellt)
ist, wird die Bearbeitung verzögert bzw. wird die Schadensregulierung
über Jahre verschleppt.
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15. Fallbeispiel Fynn, Down-Kind
Trisomie 21 - Fynn
* 02.06.2006 Geburt
09./10.07.2006 8-fache Überdosierung eines Medikaments, nachdem der Kinderarzt das Rezept
falsch ausgestellt und der Apotheker eingelöst hat.
Nach 50-minütiger Reanimation ist das Down-Kind schwerstgeschädigt .
22.12.2006 1. Anspruchsanmeldung
29.06.2007 Zahlung von 5.000,00 €, Angebot einer Abfindung von 15.000,00 €.
11.02.2009 Detaillierte Bezifferung, Gutachten Prof. Schulte
Weitere Verhandlungen, 2 Versicherer (Kinderarzt und Apotheke) bieten zusammen max. 55.000,00 €
an, Versicherung G. aus S. und Versicherung N. aus N.
01.02.2011 Klageeinreichung bei dem LG Bonn (Schmerzensgeld und Feststellung)
09.05.2012 klagezusprechendes Urteil des LG Bonn
07.08.2013 klagezusprechendes Urteil des OLG Köln mit Feststellung der Haftung
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17. 12.09.2013 Revision und Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten
13.12.2013 Rücknahme der Revision und Nichtzulassungsbeschwerde
durch die Beklagten
30.04.2015 Rücknahme der Berufung durch die Beklagten beim OLG
05/2015 Zahlung des in 05/2012 zugesprochenen Schmerzensgeldes
Aktuell: Verhandlung über personellen und materiellen behinderungsbe-
dingten Mehrbedarf
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Erwartungen und Vorstellungen in der Regulierungspraxis aus der Sicht der Betroffenen, IHR Sommerakademie, Köln
18. Haftungsgrund und Schadenshöhe werden bestritten
• Die Strategie der Haftpflichtversicherer in den Fällen, in denen hohe
Schmerzensgelder und Schadenersatz wegen Mehraufwendungen
gefordert werden, ist sowohl der Haftungsgrund als auch die Schadens-
höhe zu bestreiten.
„Wenn wir Schadenersatz und Schmerzensgeld für das geburtsgeschädigte
Kind in Millionenhöhe zahlen sollen, so bestreiten wir erst einmal, dass
überhaupt ein Behandlungsfehler vorliegt und darüber hinaus, dass der
Pflegemehraufwand sowie das Schmerzensgeld in dieser Höhe berechtigt
sind.“
Mediation ist wegen der Schadenersatzhöhe nicht möglich.
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19. Erwartungen/Wünsche und Vorstellungen aus Sicht der Betroffenen zur
Frage, ob Schadenersatz/Schmerzensgeld überhaupt gezahlt wird:
• Fair bleiben und insbesondere kritische Gutachten anerkennen.
• Entschuldigung und Gespräch anbieten und empathisch erkennen,
dass es nicht um die Regulierung von Kfz-Blechschäden geht, sondern
um Eltern mit geburtsgeschädigten Kindern.
So auch die Erwartungshaltung des Gesetzgebers(!)
§ 630c II 2 BGB Mitwirkung der Vertragspartei:
„Sind für den Behandelnden Umstände erkennbar, die die Annahme
eines Behandlungsfehlers begründen, hat er den Patienten darüber auf
Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren zu
informieren.“
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Erwartungen und Vorstellungen in der Regulierungspraxis aus der Sicht der Betroffenen, IHR Sommerakademie, Köln
20. • „Vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen“, beispielsweise
• als Zeichen der Regulierungsbereitschaft frühzeitig Vorschusszahlungen
leisten oder
• frühzeitig (nach Vorschusszahlungen!) Reha-Management oder
Pflegebegutachtung und –beratung anbieten.
• In keinem Fall die Haftung dem Grunde nach ablehnen, wenn die
Schadenersatzhöhe zu hoch erscheint oder dem Grunde nach ablehnen,
wenn mehrere Haftpflichtversicherer beteiligt sind.
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21. 2. Streit um die Frage, wie viel Schmerzensgeld/Schadenersatz zu
zahlen ist (Schadenshöhe)
• Die Bemessung des Schmerzensgeldes ist willkürlich.
• Das Schmerzensgeld bei schwerstmehrfach cerebral geschädigten
Kindern, die ein Leben lang intensiv pflegebedürftig sind, ist mit
500.000,00 € zu niedrig.
• Die Berechnung der Pflegemehrzeiten und die Akzeptanz der durch-
geführten Therapien ist uneinheitlich. Die anerkannten/zugestandenen
Stundensätze variieren zwischen 6,00 bis 16,50 €
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22. Wie wird das Schmerzensgeld reguliert?
• Haftpflichtversicherer kennen die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung zur
Höhe des Schmerzensgeldes und argumentieren damit - beispielsweise
OLG Düsseldorf 300.000,00 bis 400.000,00 €, OLG Köln 500.000,00 €.
• Zum Teil zynische und vollkommen inakzeptable Diktion bei der
Auseinandersetzung darüber, in welcher Höhe Schmerzensgeld gezahlt
werden soll.
• Die Schmerzensgeldbemessung wird (unausgesprochen und expressis
verbis) von der Lebenserwartung des (kleinen) geburtsgeschädigten
Kindes abhängig gemacht.
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Erwartungen und Vorstellungen in der Regulierungspraxis aus der Sicht der Betroffenen, IHR Sommerakademie, Köln
23. Angelegenheit Luca S., Schreiben der WGV vom 17.12.2008
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24. Was wird tatsächlich an Schadenersatz gezahlt?
• Pflegemehrzeiten werden bestritten
• Verschiedene Therapien werden als „schulmedizinisch nicht anerkannt“,
abgelehnt.
• Auch bei sonstigen behinderungsbedingten Mehraufwendungen (Kfz und
Haus) wird hartnäckig gestritten.
• Der Stundensatz für die Entschädigung häuslicher/familiärer Pflege wird
mit zwischen 6,00 bis 12,00 € bemessen.
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Erwartungen und Vorstellungen in der Regulierungspraxis aus der Sicht der Betroffenen, IHR Sommerakademie, Köln
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Erwartungen und Vorstellungen in der Regulierungspraxis aus der Sicht der Betroffenen, IHR Sommerakademie, Köln
Fallbeispiel Michel S. aus W.
Im
Durch-
schnitt
16,50 €
26. • Die Versicherungswirtschaft spart Geld, wenn die geburtsgeschädigten
Kinder häuslich/familiär gepflegt werden.
• Die derzeitigen Kosten einer vollstationären Betreuung liegen zwischen
7.000,00 und 20.000,00 € monatlich.
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28. Wünsche/Vorstellungen bzw. Erwartungen der Betroffenen im
Hinblick auf die Schadenersatzhöhe
• Einheitliche und feste Anerkennung eines Schmerzensgeldes bei
schwerst cerebral geschädigten Kindern von mindestens 500.000,00 €.
• Anerkennen der häuslichen/familiären Pflege in Form einer
Stundenvergütung von mindestens 15,00 €.
• Frühzeitige Vorschusszahlungen in angemessener Höhe.
Die Versicherer sparen Geld, wenn das Kind frühzeitig gefördert und
therapiert wird.
• In keinem Fall Spekulation darauf, dass das Kind verstirbt (!).
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29. III. Resümee
• Die grundsätzlich lange Auseinandersetzung über den Haftungsgrund
sowie die Schadenersatzhöhe und die lange Bearbeitungszeit sind für die
Eltern nervenaufreibend und unerträglich.
• Die Regulierung muss auch mit der frühzeitigen Anweisung von Schaden-
ersatzvorschüssen die Chancen für eine Frühförderung oder auch
Rehabilitation des Kindes ermöglichen.
• Ein angemessener und fairer Umgang sowie eine empathische Diktion im
Bezug auf das Erlittene sollten unabhängig vom Bestehen einer Haftung
eine Selbstverständlichkeit sein.
• Der Versicherer muss sich kooperativ und empathisch zeigen und eine
Entschuldigung bei den Betroffenen ermöglichen.
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Erwartungen und Vorstellungen in der Regulierungspraxis aus der Sicht der Betroffenen, IHR Sommerakademie, Köln
31. „Die Eltern kommen zu uns mit ihrem Wichtigsten – ihren Kindern!“
Dr. Roland Uphoff, Master of medicine, ethics and law
Fachanwalt für Medizinrecht
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„Erwartungen und Vorstellungen in der Regulierungspraxis aus der Sicht der Betroffenen, IHR Sommerakademie, Köln