29.06.2017 | HATE SPEECH
Hass fällt nicht vom Himmel
Hetze und Diskriminierung im Social Web sind keine
Privatsache. Das macht nicht zuletzt das viel diskutierte
Netzwerkdurchsetzungsgesetz deutlich. Wo hört die
Meinungsfreiheit auf und was sind die Ursachen Hate
Speech?
1. Keynote-Rednerin Dorothee Scholz
Foto: Christina Bachmann
29.06.2017 | HATE SPEECH
Hass fällt nicht vom Himmel
Hetze und Diskriminierung im Social Web sind keine
Privatsache. Das macht nicht zuletzt das viel diskutierte
Netzwerkdurchsetzungsgesetz deutlich. Wo hört die
Meinungsfreiheit auf und was sind die Ursachen Hate
Speech?
Der Einfluss von Hate Speech dürfe nicht unterschätzt werden, mahnte
der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas
Krüger, bei der Tagung "#NetzOhneHass".
Unter seinen Zuhörern: Netzaktivisten, Pädagogen, Jugendmitarbeiter.
Die Auseinandersetzung damit gehe alle an. Dass diese mitunter
hochkomplex ist, zeigte Ulf Burmeyer auf, Jurist und Mitarbeiter der
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2. „Gesellschaft für Freiheitsrechte“. „Äußerungen im Netz zwischen
Meinungsfreiheit und Strafrecht“, hatte er seinen Vortrag genannt, in
dem er das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen beschrieb.
Meinungsfreiheit sei gerade für die da, an denen man sich reibe,
erklärte Burmeyer. Sie sei eines der zentralen Grundrechte dafür, dass
eine Demokratie funktioniere. „Was ist eigentlich eine Meinung?“, fragte
Burmeyer weiter. „Falsche Meinungen“ gebe es nicht, eine Meinung
habe letztlich eine subjektive Komponente und sei keine Tatsache, die
man beweisen könne. Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fielen
somit „Werturteile oder Tatsachenbehauptungen, soweit sie zur Bildung
von Meinungen beitragen.“ Nicht geschützt seien dagegen reine
Tatsachenbehauptungen, die nachweislich falsch seien, wie zum
Beispiel die Leugnung des Holocaust.
Nun habe der Gesetzgeber im Strafrecht Gesetze geschaffen, die der
Meinungsfreiheit Grenzen setzten. Verleumdungen, Beleidigungen,
Bedrohungen oder Volksverhetzung seien demnach strafbar. Dazu gebe
Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger
Foto: Christina Bachmann∠ ∠
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3. es eine sehr komplexe Rechtsprechung, sagte Burmeyer. „Die
Strafgesetze müssen so ausgelegt werden, dass die Meinungsfreiheit
möglichst wirksam ist.“
Gesetz gegenHassrede:revolutionäroderunnütz?
Der Jurist äußerte sich auch zum geplanten
Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Er halte besonders den Aspekt für
sinnvoll, dass soziale Netzwerke dann eine „empfangsberechtigte
Stelle“ einrichten müssten, an die sich Strafverfolgungsbehörden
wenden könnten. Abwimmelungstaktiken hätten damit ein Ende.
„Staatsanwaltschaft und Polizei bekommen einen Ansprechpartner in
Deutschland, den sie anfunken und fragen können: ‚Dieses Statement
auf Facebook ist in Deutschland strafbar. Von welcher IP-Adresse kam
das, was hat derjenige an Daten in seinem Facebook-Profil?‘ Und darauf
muss Facebook innerhalb von 48 Stunden antworten. Das ist aus
meiner Sicht eine echte Revolution.“ Bei dem Rest des Gesetzes sei er
dagegen skeptisch, ob es überhaupt etwas bringe, gestand Burmeyer.
Angstist Nährboden fürHass
Um die Psychologie des Hasses ging es in der Keynote von Dorothee
Scholz. Angst sei der Nährboden für Hass, stellte die Psychologin fest.
„Hass ist nichts, was vom Himmel fällt. Hass ist eine
Bewältigungsstrategie, hauptsächlich für das Gefühl, bedroht zu sein.“
Die Aggression in Hate-Postings habe meist nichts mit der adressierten
Person zu tun, sondern mehr damit, was für ein „Film“ in dem Sender
der Nachricht ablaufe. Der andere werde nicht mehr als Mensch
wahrgenommen, sondern sei Projektionsfläche. Bei Betroffenen richte
Hate Speech aber großen Schaden an. „Hate Speech ist psychische
Gewalt und damit mindestens so schädlich wie körperliche Gewalt.“
Scholz verwies vor dem Hintergrund der Hirnforschung darauf, dass das
limbische System im Gehirn darauf ausgerichtet sei, zu schauen, von
wo Gefahr drohe. Einmal gefasste Meinungen seien offenbar schwer zu
ändern. Auch neutrale Informationen würden entsprechend
umgedeutet und gegenteilige Informationen riefen Ärger hervor. „Das
geht in Versuchen sogar so weit: Wenn man aufgelöst hat, dass eine
gegebene Information falsch war, blieb der Einfluss dieser Information
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4. dennoch erhalten.“ Die Psychologin wünschte sich von daher mehr
„psychische Medienkompetenz“, um zu wissen, wie Angstverarbeitung
funktioniere.
Scholz ermutigte zur konstruktiven Gegenrede im Netz. Diese sei schon
allein deshalb wichtig, um zu zeigen, dass es eine oft unsichtbare Masse
gebe, die anderer Meinung sei. Denn oft entstehe ein verzerrtes Bild:
„Die lautesten Schreier, drei bis fünf Prozent, hauen 50 Prozent des
Meinungscontents raus.“ Aber es sei müßig, mit diesen Absendern auf
der inhaltlichen Ebene zu argumentieren. Vielmehr solle man die
Motive anschauen. „Wo hat der Hater Angst, dass ihm etwas
weggenommen wird?“ Das könne man kausal entkoppeln und auf das
Grundproblem eingehen. „Kann man den Leuten klarmachen: ‚Wenn du
dich damit beschäftigst, dann hast du eine Aussicht, dass deine
Interessen erfüllt werden, im Gegensatz zu diesem
Stellvertreterschlachtfeld, was du hier bespielst‘ – dann hören doch
einige zu.“ (pro)
Von: Christina Bachmann
Weiterführende Links
Experten: Maas-Gesetz ist grundgesetzwidrig (https://www.pro-
medienmagazin.de/politik/2017/06/04/experten-maas-gesetz-ist-
grundgesetzwidrig/)
Hass im Netz erreicht vor allem die Jungen (https://www.pro-
medienmagazin.de/medien/internet/2017/05/31/hass-im-netz-erreicht-vor-
allem-die-jugend/)
Diskussion im Dom über Ambivalenz des Netzes (https://www.pro-
medienmagazin.de/medien/internet/2017/05/25/guckstduhier-diskussion-
ueber-die-ambivalenz-des-netzes/)
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