Wie haben Entscheider heutzutage mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren? Ivo Hajnal, Sprachwissenschaflter an der Uni in Innsbruck, liefert die Antworten.
3. Zum Thema dieser Vorlesung
• Kernfrage: „Wie haben Entscheider heutzutage mit der Öffentlichkeit zu
kommunizieren?“:
• „Wie?“: Medialer Transport, inhaltliche Inszenierung sowie
sprachstilistische Gestaltung von Kommunikationsbotschaften.
• „Entscheider“ gemäss Typologie von Oltmanns-Diekman-Böhm 2008,
40ff:
o Dirigenten: oberste Managementebene, CEOs und Mitglieder des Vorstands.
o Solisten: mittlere Managementebene, Verantwortliche für Bereiche und
Produkte.
o Orchestermusiker: untere Managementebene, z.B. Projektverantwortliche.
• Im Folgenden soll insbesondere auf die Kommunikationsmotive und
Kommunikationsbedürfnisse der Dirigenten eingegangen werden –>
„CEO-Kommunikation“ (= „Dirigenten-Kommunikation“).
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4. „CEO-Kommunikation“
• Um die Jahrtausendwende wird der CEO – bzw. Dirigent – zu einem Teil
der Unternehmensmarke und zu einem wesentlichen Imageträger.
• Damit ist CEO-Kommunikation heute eine Funktion der klassischen
Unternehmenskommunikation. Sie erzeugt die vom Unternehmen
gewünschte Wirklichkeit und festigt das Image.
• Die Personalisierung eines Unternehmens reduziert die Komplexität: Der
CEO gibt dem Unternehmen ein Gesicht und macht es greifbar.
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5. Teil 2
Zum Wandel des Kommunikationsverhaltens aus
empirischer Sicht
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6. Die Geschichte von Mike Wilson
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10. Umkehr der geltenden Verhältnisse
• Unternehmen und Institutionen kommunizieren im Zeitalter des Web 2.0
mit Kommunikationsmitteln, die für die Individualkommunikation
geschaffen bzw. von dieser geprägt sind.
• Die Individualkommunikation wird damit zum Innovationstreiber für die
Unternehmenskommunikation.
• In der Massenkommunikation verbreiteter Content wird nicht mehr
exklusiv von Institutionen, sondern auch vom individuellen User
bestimmt.
• Diese Entwicklung kommt einer Umkehr der bisher geltenden
Verhältnisse gleich.
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11. Teil 3
Zum Wandel des Kommunikationsverhaltens aus
theoretischer Sicht
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12. Kommunikatives Handeln und Strukturen
• Unser kommunikatives Handeln erfolgt innerhalb von vorgegebenen, sich
selbst reproduzierenden Strukturen.
• Diese Strukturen bestehen aus spezifisch arrangierten Kommunikations-
regeln und -ressourcen.
• Folglich erfolgt ein Wandel des Kommunikationsverhaltens, wenn sich die
o.g. strukturbestimmenden Regeln und Ressourcen verändern
• Dies ist unbestritten der Fall: Im Zeitalter des Web 2.0 verändern sich die
Regeln und Ressourcen.
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13. Wandel als rekursiver Prozess
Quelle: A. Zerfass, Unternehmensführung und Öffentlichkeitsarbeit. Grundlegung einer Theorie der
Unternehmenskommunikation und Public Relations, 2., ergänzte Auflage, Wiesbaden 2004, 103.
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14. Symptome des Wandels
• Die klassischen Milieus, wie sie durch Werbung und Public Relations
segmentiert sind, brechen auf. Sie werden durch Communities ersetzt.
• Die individualistische Lifestyle-Kultur weicht „virtuellen“, sozialen Werten:
so etwa Authentizität, Vernetzung, Kooperationsbereitschaft u.a.m.
• Broadcasting bzw. die klassische Push-Kommunikation wird durch
Pointcasting bzw. eine vom Nutzer initiierte Pull-Kommunikation
abgelöst.
• Die Mediennutzer werden von passiven Konsumenten zu mündigen und
meinungsautonomen Multiplikatoren.
–> Die Unternehmenskommunikation im Allgemeinen wie die CEO-
Kommunikation im Speziellen steht vor völlig neuen Herausforderungen.
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15. Teil 4
CEO-Kommunikation und objektiver
Nachrichtenjournalismus
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16. Kritik am objektiven Nachrichtenjournalismus
Der objektive Nachrichtenjournalismus hat Mängel:
„Dieses Muster vereinfacht den journalistischen Entscheidungsprozess. Man
berichtet über öffentliche Vorkommnisse wie ein losgelöster, unpersönlicher,
vorurteilsloser Beobachter, ganz wie der sprichwörtliche Marsmensch. Diese
altmodische objektive Berichterstattung brauchte keinen Anker. Sie schaukelte
auf der Oberfläche der Nachrichten wie ein Tischtennisball, der einen Fluss
runtertreibt.“
(übers. von S. Weischenberg nach P. Meyer, Precision Journalism: A Reporter’s Introduction to
Social Science Methods, Indiana University Press, Bloomington/London 1973, 6ff.)
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17. Charakterisierung des objektiven Nachrichtenjournalismus
Nach den Regeln des objektiven Nachrichtenjournalismus verfasste Beiträge
wirken …
• oberflächlich: Die Trennung von Nachricht und Meinung und die
Gegenüberstellung widersprüchlicher Quellen nivellieren Konflikte und
gestatten keine vertiefte Auseinandersetzung bzw. Meinungsbildung.
• uniform: Die Themen des objektiven Nachrichtenjournalismus sind
konsequent nach den journalistischen Nachrichtenfaktoren ausgewählt
und inszeniert (Ausmass und Bedeutung beziehungsweise Nähe,
Aktualität, Human Interest).
• distanziert: Die hierarchische Anordnung von Fakten („The hard facts go
first“) lässt die Rezipienten nicht an der Entwicklung der Geschehnisse
teilnehmen.
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18. Beispiel G+J (1)
„Hamburg, 19. November 2008 – Die G+J-Wirtschaftsmedien werden
umstrukturiert. Ab März 2009 arbeitet die G+J Redaktion Wirt-
schaft von Hamburg aus für die G+J-Wirtschaftmarken CAPITAL,
IMPULSE, BÖRSE ONLINE und FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND (FTD). …
Die Standorte von CAPITAL und IMPULSE in Köln, von BÖRSE ONLINE
in München sowie die bisherigen Korrespondentenbüros der drei
Magazinredaktionen werden geschlossen. Die Verlagsabteilungen
in Köln und München waren weitgehend bereits im Sommer 2008
nach Hamburg umgezogen. …“ (Quelle: Medienmitteilung G+J)
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19. Beispiel G+J (2)
Dr. Bernd Buchholz, G+J-Vorstand und Leiter G+J Deutschland:
„Auch in der aktuellen und noch vor uns liegenden krisenhaften
Gesamtsituation glauben wir an das Potential und die positive
Perspektive unserer Wirtschaftsmedien. Wir wollen die starken
Marken unseres Wirtschaftsportfolios dauerhaft und krisensicher
als Qualitätsmedien führen. … Die Schaffung der Redaktion
Wirtschaft ist der einzige Weg, die nötigen Einsparungen durch
die Nutzung gemeinsamer Ressourcen zu erzielen und zugleich die
Identität und Qualität der Blätter zu wahren. …“ (Quelle:
Medienmitteilung G+J)
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20. Beispiel G+J (3)
Die Medienmitteilung von G+J wirkt …
• oberflächlich: Das Zitat des Vorstands dient vermeintlich als Begründung
für die Entscheidung, enthält jedoch keinerlei Abwägung.
• uniform: Die Entscheidung wird im Zitat des Vorstands allein durch harte,
betriebswirtschaftliche Fakten begründet.
• distanziert: Das „härteste“ Faktum – die Schliessung der
Redaktionsstandorte – leitet den Text ein und rückt in den Vordergrund.
Die Medienmitteilung erfüllt zwar ihren Zweck. Doch ist sie mit den Kommuni-
kationsregeln des Web 2.0 nicht kompatibel.
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22. Der Fall Apple (1)
Chart Apple Inc. (NASDAQ)
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23. Der Fall Apple (2)
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24. Der Fall Apple (3)
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25. Beispiel Apple (4)
Der Weblog-Beitrag verletzt die meisten Regeln des objektiven
Nachrichtenjournalismus:
• Informationen sind nicht von den Meinungen des Verfassers getrennt.
• Die Quelle ist nicht transparent angegeben und keiner anderslautenden
Quelle gegenübergestellt.
• Der Beitrag ist nicht gemäss der Wichtigkeit der Informationen
strukturiert.
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26. Charakteristika der Kommunikation im Web 2.0 (1)
Weblog-Einträge wenden sich vom objektiven Nachrichtenjournalismus ab. Sie
sind vielmehr …
• profiliert:
o Weblogs verzichten auf die Trennung von Nachricht und Meinung und die
Gegenüberstellung von gegensätzlichen Quellen.
o Sie vermitteln ihren Nutzern exklusive Informationen und Einschätzungen
abseits der normierten Informationsströme.
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27. Charakteristika der Kommunikation im Web 2.0 (2)
• authentisch:
o Die Themen von Weblog-Einträgen sind nicht zwingend nach den
journalistischen Nachrichtenfaktoren gewählt und inszeniert. Vielmehr
entsprechen sie den individuellen Beobachtungsmustern der Verfasser und
wirken deshalb authentisch.
o Zur Steigerung der Authentizität dienen sprachliche Stilmittel (Ich-Person und
expressive, umgangssprachliche Formulierungen).
• engagiert:
o Weblog-Beiträge verzichten auf journalistische Distanz. Vielmehr bemühen sie
sich, den Rezipienten klare Vorteile zu ermöglichen – ihnen z.B. Einblick ins
Unternehmen oder Insider-Tipps zu geben.
o Gleichzeitig reagieren ihre Verfasser unmittelbar auf Nutzer-Feedbacks
(Postings). Die Beiträge wirken deshalb glaubwürdig.
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29. Beschränkte Möglichkeiten im Web 2.0
• Die Anzahl von CEO-Blogs steigt stetig („Blogomanie“). Denn CEO-Blogs
umgehen die klassischen Gatekeeper (Journalisten); Informationen lassen
sich damit ungefiltert präsentieren.
• Allerdings können die „sozialen Medien“ des Web 2.0 die klassische
CEO-Kommunikation via Kunden‑ und Mitarbeitermagazinen bzw.
Medienarbeit nicht verdrängen:
o Sie besitzen nicht die Fähigkeit, Issues auf die Medienagenda zu setzen.
o Vielmehr leisten sie in der Vor‑ und Nachbereitung eines Issue gute Dienste, sind
also für Nischenkommunikation bestens geeignet.
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30. Corporate Blogs und Issues-Management
Quelle: A. Zerfass/D. Boelter, Die neuen Meinungsmacher. Graz 2005. , S. 96.
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31. Teil 6
Sprache und Stil im Web 2.0
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32. Zur sprachlichen Interpretation
• Wie gezeigt, führen die Regeln des objektiven Nachrichtenjournalismus
zu oberflächlichen, uniformen und distanzierten Beiträgen.
• Sofern der Leser diese Beiträge hinterfragen will, muss er eine
Interpretationsleistung erbringen („zwischen den Zeilen lesen“).
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33. Modell sprachlicher Kommunikation nach H.P. Grice
• Eine jede sprachliche Aussage besitzt eine „nicht-natürliche“, also nicht
einfach durch die semantische Wortbedeutung erschliessbare,
Bedeutung.
• Der Leser muss deshalb stetig von Neuem die Frage beantworten: „Was
meint der Verfasser (eigentlich)?.
• Damit diese Interpretationsarbeit nicht allzu aufwändig wird, haben sich
in der zwischenmenschlichen Kommunikation vier
„Konversationsmaximen“ etabliert.
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34. Konversationsmaximen nach H.P. Grice
Maximen der Quantität Maximen der Qualität
• Sei so informativ wie nötig! • Sage nichts, was du für falsch hältst!
• Sei nicht informativer als nötig! • Sage nichts, wofür dir angemessene
Gründe fehlen!
Maximen der Modalität Maxime der Relevanz
• Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks. • Sei relevant!
• Vermeide Mehrdeutigkeit!
• Fasse Dich kurz!
• Der Reihe nach!
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35. Das Kooperationsprinzip
Gemäss dem „Kooperationsprinzip“ kooperieren Kommunikationspartner,
indem sie diese Konversationsmaximen grundsätzlich befolgen:
• Der Rezipient einer Botschaft setzt die Gültigkeit der vier
Konversationsmaximen routinemässig voraus.
• Sofern die sprachstilistische Gestaltung einer Botschaft diesen Maximen
jedoch widerspricht, nimmt der Rezipient zu einem
Interpretationsverfahren (Implikaturen) Zuflucht.
• Er deutet die problematische sprachliche Äusserung dergestalt um, dass
die Konversationsmaximen wieder gelten.
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36. Beispiel Dr. B. Buchholz, Vorstand G+J
„Auch in der aktuellen und noch vor uns liegenden
• zu viel Information (Quantität)
krisenhaften Gesamtsituation glauben wir an das
• wenig relevant (Relevanz)
Potential und die positive Perspektive unserer
Wirtschaftsmedien. Wir wollen die starken Marken
unseres Wirtschaftsportfolios dauerhaft und krisensicher
• mehrdeutig (Modalität)
als Qualitätsmedien führen. … Die Schaffung der
Redaktion Wirtschaft ist der einzige Weg, die nötigen
Einsparungen durch die Nutzung gemeinsamer
Ressourcen zu erzielen und zugleich die Identität und
Qualität der Blätter zu wahren. …“ (Quelle:
Medienmitteilung G+J)
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37. Beispiel Dr. B. Buchholz, Vorstand G+J (2)
Verletzte Maxime der Quantität und Relevanz
–> Interpretation: „Der Weiterbestand der Wirtschaftsmedien steht innerhalb des
Unternehmens zur Disposition.“
Quelle: Brief des Betriebsrats Köln und München der Bertelsmann AG vom 9.1.2009
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38. Beispiel Dr. B. Buchholz, Vorstand G+J (3)
Verletzte Maxime der Modalität:
–> Interpretation: „Durch die Einsparungen entstehende Qualitätsverluste sind nicht
auszuschliessen.“
Quelle: Brief des Betriebsrats Köln und München der Bertelsmann AG vom 9.1.2009
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39. Konversationsationsmaximen als neue Stilprinzipien
• Die Kommunikationsregeln im Web 2.0 fordern vom Rezipienten keine
Interpretationsleistung.
• Auf Grund ihrer Charakteristik – profiliert, authentisch, engagiert –
kooperieren sie mit dem Rezipienten.
• Daraus ergibt sich folgender Umkehrschluss: Die Sprache der CEO-
Kommunikation hat sich in Zukunft vermehrt nach den
Konversationsmaximen zu richten.
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40. Beispiel Klaus Schwab (Executive Chairman WEF)
Quelle: www.youtube.com
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40
45. Veränderungsprozesse – die introvertierte Sichtweise (1)
Das herkömmliche Credo der Change-Kommunikation lautet:
Vordringlichste Zielgruppe bei Change-Prozessen sind die Mitarbeiter (vgl. die folgende,
„Mitarbeiter-zentrierte“ Darstellung).
Quelle: http://www.motiviert-leisten.de/organisationsentwicklung_2/unternehmen-zukunft-entwickeln-detail.htm
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45
46. Veränderungsprozesse – die introvertierte Sichtweise (2)
Der Fall „Tesla Motors“ wirft Zweifel an der introvertierten Sichtweise von
Change-Kommunikation auf:
• Unternehmen und ihre Führer stehen durch die investigative Kraft der
Blogosphäre und anderer Medien im Web 2.0 immer stärker unter Druck,
ihre Pläne und Absichten vorschnell an eine breite Öffentlichkeit zu
tragen.
• Die Weblog-Kommunikation ist selbst bei vom Change direkt Betroffenen
sehr akzeptiert. Denn ihre Charakteristika „profiliert, authentisch,
engagiert“ sind in Change-Situation besonders gefragt.
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47. Veränderungsprozesse – die extrovertierte Sichtweise
Der Fall „Tesla Motors“ regt dazu an, die herkömmlichen Mechanismen der
Change-Kommunikation in folgender Hinsicht zu überdenken. Die
Erkenntnisse zur CEO-Kommunikation führen zu folgenden Thesen:
• Change-Kommunikation muss im Zeitalter des Web 2.0 proaktiv sein, um
die Deutungshoheit über das eigene Handeln zu bewahren.
• Die Unternehmensführung hat den Change-Prozess noch vor Beginn der
ersten Massnahmen in der Öffentlichkeit zu vermarkten.
• Hierzu dient eine profiliert, authentisch und engagiert präsentierte
„Change-Story“.
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48. Teil 8
Fazit
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49. Fazit
• Die Kommunikationsregeln und ‑ressourcen wandeln sich – und damit
unser gesamtes Kommunikationsverhalten.
• Die CEO-Kommunikation klassischen Zuschnitts orientiert sich an den
Regeln des objektiven Nachrichtenjournalimus. Diese Regeln stehen aber
auf dem Prüfstand.
• Die sozialen Medien des Web 2.0 fordern Profilierung, Authentizität und
Engagement.
• In sprachstilistischer Hinsicht scheinen die Konversationsmaximen diesen
Forderungen am besten zu entsprechen. Sie könnten zu neuen
Stilprinzipien der CEO-Kommunikation werden.
• Im speziellen Rahmen der Change-Kommunikation scheint sich ein
Paradigmenwechsel zu vollziehen: CEO-Kommunikation hat Change-
Prozesse heute mehr denn je in der Öffentlichkeit zu vermarkten.
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50. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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50
51. „Medien und Sprache in der Entscheiderkommunikation“
Ringvorlesung FU Berlin, 19. Januar 2009
Sehr geehrte Damen und Herren
(–> Folie 1) Gestatten Sie, dass ich zunächst mit einigen zentralen Definitionen beginne
(–> Folie 2). Im Zentrum meines heutigen Vortrags steht die Frage: „Wie haben Ent‐
scheider heutzutage mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren?“ (–> Folie 3) Damit ver‐
stehe ich das im Titel verwendete Kompositum „Entscheiderkommunikation“ einseitig
als „Kommunikation von Entscheidern“.
Das Fragewort „wie“ bezieht sich hierbei auf den medialen Transport von Kommunika‐
tionsbotschaften, die inhaltliche Inszenierung sowie die sprachstilistische Gestaltung.
Den Begriff „Entscheider“ definiere ich nach der jüngsten Typologie von Oltmanns‐
Diekman‐Böhm: Demnach lassen sich Entscheider in drei Gruppen aufteilen:
• Dirigenten
• Solisten
• Orchestermusiker
Die Gruppe der Entscheider ist also heterogen – und heterogen sind auch ihre Kommu‐
nikationsmotive und ‐bedürfnisse. Eine Darstellung, die auf alle drei Entscheidergrup‐
pen Bezug nimmt, würde den Rahmen dieses Vortrags sprengen. Aus diesem Grunde
will ich im Folgenden das Augenmerk auf die Entscheidergruppe der Dirigenten richten
– wofür sich in den letzten Jahren der Begriff der „CEO‐Kommunikation“ eingebürgert
hat.
(–> Folie 4) Unbestritten ist der CEO – bzw. nach obiger Definition der Dirigent –um die
Jahrtausendwende zu einem Teil der Unternehmensmarke und zu einem wesentlichen
Imageträger geworden. CEO‐Kommunikation ist heute damit eine Funktion der klassi‐
schen Unternehmenskommunikation. Sie trägt im Zusammenspiel mit anderen Spielar‐
ten der Unternehmenskommunikation dazu bei, bei der Öffentlichkeit die vom Unter‐
nehmen gewünschte Wirklichkeit zu erzeugen und dadurch das Unternehmensimage zu
festigen. Der Trend zur CEO‐Kommunikation mag viele Gründe haben: Doch auf alle Fäl‐
le reduziert die Personalisierung eines Unternehmens die Komplexität. Der CEO gibt
dem Unternehmen ein Gesicht und macht es greifbar.
(–> Folie 5) Ich will damit die Ebene der Definitionen verlassen und einen ersten Schritt
in die Praxis tun. Die zu Beginn gestellte Frage – Wie haben Entscheider heutzutage mit
der Öffentlichkeit beziehungsweise untereinander zu kommunizieren?“ – scheint mir
aus einem Grund besonders relevant: Unser Kommunikationsverhalten wandelt sich für
uns alle spürbar und in bislang ungekannter Geschwindigkeit. Diese Behauptung ist
selbstverständlich eine Binsenweisheit. Dennoch lohnt es sich, sie in regelmässigen Ab‐
ständen zu wiederholen und uns die Änderung unserer Verhaltensweisen vor Augen zu
1
52. führen. Nehmen wir als Beispiel Mike Wilson. Mike war am 21. Dezember 2008 Passa‐
gier des Continental Airlines Flugs CO 1404, als das Flugzeug beim Start in Denver von
der Piste abkam und Feuer fing. Im Gegensatz zu 38 anderen Passagieren entkam Mike
dem Inferno unverletzt. Sieben Minuten nach dem Absturz – um 18.25 Uhr Ortszeit –
lancierte Mike via Handy auf der Microblogging‐Plattform Twitter eine erste Kurzmel‐
dung: (–> Folie 6) „Heilige Sch…, ich war gerade bei einem Flugzeug‐Absturz dabei!“ In
der Folge unterrichtete er die Twitter‐Gemeinde launig über seine Befindlichkeiten. So
befand Mike, dass er das nächste Mal wohl besser den Bus nehmen sollte. Und nörgelte,
die Fluglinie serviere den unversehrten Passagieren in der Lounge nicht einmal Drinks.
Die Geschichte von Mike Wilson illustriert, wie rasch und radikal sich unser Kommuni‐
kationsverhalten verändert. Die Microblog‐Plattform Twitter ist der Öffentlichkeit erst‐
mals im März 2006 vorgestellt worden. Etwas mehr als zwei Jahre später teilen wir auf
Twitter mit unseren Freunden und der ganzen Welt Erlebnisse und Eindrücke quasi in
Echtzeit – und zwar durch Kurzmitteilungen – so genannten Tweets – mit maximal 140
Zeichen Länge.
Das Beispiel Twitter ist aus einem weiteren Grunde illustrativ, der uns zum eigentlichen
Gegenstands dieses Vortrags führt: Twitter ist zwar als Anwendung für den privaten
Nutzer konzipiert. Doch inzwischen ist es als Kommunikationsmittel auch in die Unter‐
nehmens‐ und gar in die Entscheiderkommunikation übergeschwappt. Immer mehr Un‐
ternehmen „twittern“, wofür sich bereits der Trendbegriff „Corporate Twittering“ eta‐
bliert hat. (–> Folie 7) So denkt man im Dezember 2008 bei Daimler intensiv über die
Nutzung von Twitter als Unternehmensmedium nach. (–> Folie 8) General Motors ist
hier schon weiter und nutzt Tweets, um auf Einträge im Corporate Blog „Fastlane“ hin‐
zuweisen – im Falle dieser Abbildung verweist der Eintrag vom 22. Dezember 2008 dar‐
auf, dass CEO Bob Lutz in seinem Blog gerade Lesetipps über die Feiertage veröffentlicht
hat. (–> Folie 9)
Das Beispiel Twitter bestätigt eine erste generelle Beobachtung (–> Folie 10): Unter‐
nehmen und Institutionen kommunizieren im Zeitalter des Web 2.0 mit Kommunikati‐
onsmitteln, die für die Individualkommunkation geschaffen worden bzw. von der Indi‐
vidualkommunkation geprägt sind. Anders gesagt: Die Indivualkommunikation wird
zum Innovationstreiber für die Unternehmenskommunikation. Dies kommt einer Um‐
kehr der bislang geltenden Verhältnisse gleich. Denn bis zum Web 2.0 haben Organisa‐
tionen die Massenkommunikation und deren Inhalte dominiert – nun haben sich es in‐
dividuellen User als Contentlieferanten etabliert.
(–> Folie 11) Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kurzen theoretischen Exkurs. Denn
bevor wir zum eigentlichen Gegenstand der CEO‐Kommunikation gelangen, lohnt sich
ein Blick auf die theoretischen Definition des Wandels unseres Kommunikationsverhal‐
tens – (–> Folie 12) Unser Kommunikationsverhalten beziehungsweise kommunikati‐
ves Handeln bewegt sich in Strukturen, die sich durch unser kommunikatives Handeln
stetig selbst reproduzieren. Diese Strukturen bestehen ihrerseits aus spezifisch zusam‐
mengestellten Kommunikationsregeln und ‐ressourcen. Folglich wandelt sich unser
Kommunikationsverhalten, wenn sich die strukturbestimmenden Kommunikationsre‐
2
53. geln und ‐ressourcen wandeln. Das veränderte Verhalten wirkt wieder auf die Regeln
und Ressourcen zurück, und so erfolgt der Prozess stetig rekursiv. (–> Folie 13)
Wie vorher festgestellt, ist es empirisch unbestritten, dass sich im Zeitalter des Web 2.0
Kommunikationsregeln und ‐ressourcen verändern. Im Falle der Kommunikationsres‐
sourcen ist diese Feststellung trivial und ich verweise nochmals auf Twitter. Hinsichtlich
der Kommunikationsregeln werde ich diese Feststellung weiter unten zusätzlich unter‐
mauern – und dabei erläutern, dass im Web 2.0 gänzlich andere.
(–> Folie 14) Die Symptome beziehungsweise Folgen dieses Wandels, wie sie gleichzei‐
tig für die Mediengesellschaft des Web 2.0 charakteristisch sind, sind dabei augenfällig.
Sie lauten:
• Die klassischen Milieus, wie sie durch Werbung und Public Relations segmentiert
sind, brechen auf. Sie werden durch Communities ersetzt. Deren Identität konsti‐
tuiert sich kasuell über gleiche Interessen, Konsumgewohnheiten usw.
• Die individualistische Lifestyle‐Kultur hat ausgedient. Stattdessen gewinnen so‐
ziale Werte an Bedeutung: so etwa Authentizität, Vernetzung, Kooperationsbe‐
reitschaft u.a.m.
• Anstelle den Medieninhalten passiv ausgeliefert zu sein, suchen sich Mediennut‐
zer ihre Inhalte heute aktiv zusammen. Broadcasting bzw. die klassische Push‐
Kommunikation wird folglich durch Pointcasting bzw. eine vom Nutzer initiierte
Pull‐Kommunikation abgelöst.
• Dementsprechend werden die Mediennutzer von passiven Konsumenten zu
mündigen und meinungsautonomen Multiplikatoren.
Klar ist, dass diese Symptome oder Folgen die Unternehmenskommunikation im Allge‐
meinen wie die CEO‐Kommunikation im Speziellen vor neue Herausforderungen stellen.
(–> Folie 15) Lassen Sie mich nunmehr zum eigentlichen Thema CEO‐Kommunikation
zurückkehren: Welche konkreten Auswirkungen hat der eben beschriebene Paradig‐
menwechsel auf die CEO‐Kommunikation? – Zur Beantwortung dieser Frage scheint es
mir sinnvoll, uns zunächst die Grundlagen der CEO‐Kommunikation nach klassischem
Zuschnitt vor Augen zu führen. (–> Folie 16) Die CEO‐Kommunikation setzt bislang auf
die Kommunikationsregeln des objektiven Nachrichtenjournalismus. Dabei ist die Kritik
an diesem Berichterstattungsmuster seit den 70er Jahren laut hörbar. Um den Journa‐
lismus‐Forscher Philipp Meyer zu zitieren: „Dieses Muster vereinfacht den journalisti‐
schen Entscheidungsprozess. Man berichtet über öffentliche Vorkommnisse wie ein los‐
gelöster, unpersönlicher, vorurteilsloser Beobachter, ganz wie der sprichwörtliche
Marsmensch. Diese altmodische objektive Berichterstattung brauchte keinen Anker. Sie
schaukelte auf der Oberfläche der Nachrichten wie ein Tischtennisball, der einen Fluss
runtertreibt“.
Diese Kritik lässt sich wie folgt systematisieren: (–> Folie 17) Gemäss objektivem Nach‐
richtenjournalismus verfasste Beiträge wirken …
3
54. • oberflächlich: Gemäss objektivem Nachrichtenjournalismus sind Nachricht und
Meinung konsequent zu trennen; widersprüchliche Quellen sind einander gegen‐
überzustellen. Dadurch nivellieren solche Beiträge Konflikte und gestatten dem
Rezipienten keine vertiefte Auseinandersetzung bzw. Meinungsbildung.
• uniform: Die Themen des objektiven Nachrichtenjournalismus sind konsequent
nach den journalistischen Nachrichtenfaktoren ausgewählt und inszeniert. So
zählen als Selektionskriterien nur Ausmass und Bedeutung des Themas (harte
Nachrichtenfaktoren) beziehungsweise dessen Nähe, Aktualität sowie Human In‐
terest (weiche Nachrichtenfaktoren).
• distanziert: Gemäss objektivem Nachrichtenjournalismus verfasste Beiträge sind
in der Regel starr nach dem Prinzip „The hard facts go first“ (dem Prinzip der
umgekehrten Pyramide) strukturiert. Diese hierarchische Anordnung von Fakten
lässt dem Rezipienten wenig Raum, an der Entwicklung der Geschehnisse teil‐
nehmen.
Diese Kritik lässt sich an so manchen Aussagen der CEO‐Kommunikation veranschauli‐
chen. Um ein konkretes Beispiel zu nennen (–> Folie 18): Am 19. November 2008 rüt‐
telt der Verlag G+J (Gruner+Jahr) die deutsche Medienwelt mit der Ankündigung auf,
seine Wirtschaftsmedien zu fusionieren und Redaktionsstandorte in Köln und München
zu schliessen.
Die Medienmitteilung beginnt demenstprechend: „Die G+JWirtschaftsmedien werden
umstrukturiert. Ab März 2009 arbeitet die G+J Redaktion Wirtschaft von Hamburg aus für
die G+JWirtschaftmarken CAPITAL, IMPULSE, BÖRSE ONLINE und FINANCIAL TIMES
DEUTSCHLAND (FTD)“. Im Verlauf der der Medienmitteilung äussert sich Dr. Bernd
Buchholz, G+J‐Vorstand und Leiter G+J Deutschland, wie folgt (–> Folie 19): „Auch in der
aktuellen und noch vor uns liegenden krisenhaften Gesamtsituation glauben wir an das
Potential und die positive Perspektive unserer Wirtschaftsmedien. Wir wollen die starken
Marken unseres Wirtschaftsportfolios dauerhaft und krisensicher als Qualitätsmedien füh
ren. … Die Schaffung der Redaktion Wirtschaft ist der einzige Weg, die nötigen Einsparun
gen durch die Nutzung gemeinsamer Ressourcen zu erzielen und zugleich die Identität und
Qualität der Blätter zu wahren.“
Diese Medienmitteilung und CEO‐Kommunikation von G+J lässt sich wie folgt analysie‐
ren (–> Folie 20):
• Sie ist insofern oberflächlich, als das Zitat des Vorstands vermeintlich als Be‐
gründung für die Entscheidung dient, jedoch keinerlei Abwägung enthält.
• Sie ist insofern uniform, als das Zitat des Vorstands die Entscheidung allein durch
harte, betriebswirtschaftliche Fakten begründet.
• Sie ist insofern distanziert, als das „härteste“ Faktum – die Schliessung der Re‐
daktionsstandorte – den Text einleitet und damit in den Vordergrund rückt.
Selbstverständlich erfüllt die Medienmitteilung damit ihren Zweck. Doch ist sie mit den
Kommunikationsregeln des Web 2.0 nicht kompatibel.
4
55. Diese Behauptung will ich im folgenden fünften Teil untermauern (–> Folie 21). Tat‐
sächlich verhalten sich die neuen Kommunikationsformen des Web 2.0 durchwegs an‐
ders als die Unternehmens‐ und CEO‐Kommunikation klassischen Zuschnitts. Deren Re‐
geln manifestieren sich momentan am deutlichsten in Weblogs, der populärsten An‐
wendung in der Online‐Kommunikation. Um ein illustratives Beispiel zu nennen (–> Fo
lie 22): Der Aktienkurs des Computerherstellers Apple hat sich zwischen August 2008
und Januar 2009 quasi halbiert. Schuld daran sind Mutmassungen über des Gesund‐
heitszustand des Apple‐CEOs Steve Jobs, die von zahlreichen Bloggern im Netz reichlich
genährt werden. Die Meldung des Technologie‐Blogs Gizmodo vom 30 Dezember 2008
ist hierfür charakteristisch (–> Folie 23). Der Verfasser kolportiert, dass sich nach einer
bislang stets zuverlässigen Quelle der Gesundheitszustand von Steve Jobs massiv ver‐
schlechtert habe. Im gleichen Atemzug äussert er jedoch die Hoffnung, dass sich die
Meldung als falsch erweise. Um dann nachzutragen, dass Steve Jobs’ zwar Recht auf die
eigene Privatsphäre habe, die Informationspolitik des Unternehmens die Öffentlichkeit
jedoch nicht in die Irre führen dürfe (–> Folie 24). Dieser Beitrag verletzt die meisten
Regeln des objektiven Nachrichtenjournalismus (–> Folie 25): Die Informationen sind
nicht von den Meinungen des Verfassers getrennt. Die Quelle ist nicht transparent ange‐
geben und einer anderslautenden Quelle gegenübergestellt. Schliesslich ist der Eintrag
nicht gemäss der Wichtigkeit der Informationen strukturiert.
Damit steht dieser Weblog‐Eintrag für die Abkehr vom objektiven Nachrichtenjourna‐
lismus, wie sie für die neuen Kommunikationsmedien des Web 2.0 geradezu charakteri‐
stisch ist (–> Folie 26). Weblog‐Einträge sind …
• profiliert: Weblogs verzichten auf die konsequente Trennung von Nachricht und
Meinung und die Gegenüberstellung von gegensätzlichen Quellen. Dadurch er‐
wecken sie den Eindruck, ihren Nutzern exklusive Informationen und Einschät‐
zungen abseits der normierten Informationsströme zu vermitteln.
• authentisch (–> Folie 27): Die Themen von Weblog‐Einträgen sind nicht zwin‐
gend nach den journalistischen Nachrichtenfaktoren gewählt und inszeniert.
Vielmehr entsprechen sie den individuellen Beobachtungsmustern der Verfasser
und wirken deshalb authentisch. Zur Steigerung der Authentizität dienen sprach‐
liche Stilmittel wie die Ich‐Person oder expressive, umgangssprachliche Formu‐
lierungen, die dem objektiven Nachrichtenjournalismus fremd sind.
• engagiert: Weblog‐Beiträge verzichten auf journalistische Distanz. Vielmehr be‐
mühen sie sich, den Rezipienten klare Vorteile zu ermöglichen – ihnen z.B. Ein‐
blick ins Unternehmen oder Insider‐Tipps zu geben. Gleichzeitig reagieren ihre
Verfasser unmittelbar auf Nutzer‐Feedbacks (Postings). Die Beiträge wirken des‐
halb glaubwürdig.
Die Werbung hat diese Regeln längst entdeckt und auch in der CEO‐Kommunikation
verwertet. Bestes Beispiel hierfür ist die „Mr. Z.“‐Kampagne, in deren Zentrum Dieter
Zetsche in seiner Funktion als CEO von DaimlerChrysler steht. Im Zentrum der einzelnen
Werbespots steht jeweils die profilierte, authentische und engagierte Darstellung der
Person des Unternehmensführers (–> Film Folie 28).
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56. Nun zieht auch die klassische Unternehmenskommunikation nach. Die neuen Kommu‐
nikationsmedien üben bei Unternehmenskommunikatoren eine grosse Faszination aus
und wirken auch auf die CEO‐Kommunikation (–> Folie 29): Die Anzahl von CEO‐Blogs
steigt weiter an, so dass manche Beobachter bereits von einer eigentlichen „Blogoma‐
nie“ sprechen. Obschon nicht risikofrei, scheinen CEO‐Blogs neben vielen anderen einen
entscheidenden Vorteile zu bieten: Da die institutionelle Kontrolle im Web naturgemäss
gering ist, lassen sich durch CEO‐Blogs Journalisten als vermeintliche Gatekeeper umge‐
hen, die Botschaften also ungefiltert präsentieren.
Zwar ist die Prognose verfehlt, wonach CEO‐Blogs und andere Kommunikationsmedien
des Web 2.0 in Zukunft die klassische CEO‐Kommunikation via Kunden‐ und Mitarbei‐
termagazinen oder Medienarbeit verdrängen werden. Denn Weblogs besitzen wie alle
anderen „sozialen Medien“ nicht die Fähigkeit, Issues auf die Medienagenda zu setzen.
Doch leisten sie in der Vor‐ und Nachbereitung eines Issue gute Dienste, sind also für
Nischenkommunikation bestens geeignet. Ich werde am Ende meines Vortrags darlegen,
dass sie genau diese Eigenschaft für Change‐Kommunikation prädestiniert. (–> Grafik
Folie 30)
(–> Folie 31) Im Vortragstitel habe ich angekündigt, nicht nur auf die Medien, sondern
auch auf die Sprache der CEO‐Kommunikation einzugehen. Es stellt sich also die Frage:
Welche Auswirkungen besitzen die neuen Regeln der Online‐Kommunikation auf Spra‐
che und Stil der CEO‐Kommunikation? – Wie bereits festgehalten, führen die Regeln des
objektiven Nachrichtenjournalismus zu oberflächlichen, uniformen und distanzierten
Beiträgen (–> Folie 32). Sofern der Leser diese Beiträge hinterfragen will, muss er eine
Interpretationsleistung erbringen, die Beiträge also regelrecht deuten oder zwischen
den Zeilen lesen.
Aus theoretischer Sicht lässt sich dieser Vorgang mit dem Modell sprachlicher Kommu‐
nikation des britischen Sprachphilosophen Herbert Paul Grice (1915‐1988) erläutern (–
> Folie 33). Nach Grice besitzt eine jede sprachliche Aussage eine „nicht‐natürliche“,
also nicht einfach durch die semantische Wortbedeutung erschliessbare Bedeutung. Der
Leser muss deshalb stetig von Neuem die Frage beantworten: „Was meint der Verfasser
(eigentlich)? Damit diese Interpretationsarbeit nicht allzu aufwändig wird, haben sich in
der zwischenmenschlichen Kommunikation vier so genannte „Konversationsmaximen“
etabliert (–> Folie 34):
a. Maxime der Quantität: „Versuche den nötigen Informationsgehalt zu vermitteln.“
1. Mache deinen Beitrag so informativ wie nötig.
2. Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.
b. Maxime der Qualität: „Versuche, deinen Beitrag so zu gestalten, dass er wahr ist.“
1. Sage nichts, was du für falsch hältst.
2. Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen.
c. Maxime der Relevanz: „Sei relevant.“
1. Sage, was im Allgemeinen zum Thema gehört.
2. Sage nichts, was im Allgemeinen nicht zum Thema gehört.
d. Maxime der Modalität: „Sei klar.“
1. Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks.
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57. 2. Vermeide Mehrdeutigkeit.
3. Sei kurz (Vermeide unnötige Weitschweifigkeit).
4. Der Reihe nach!
Der Mechanismus läuft nun wie folgt (–> Folie 35): Gemäss dem „Kooperationsprinzip“
kooperieren Kommunikationspartner, indem sie diese Maximen grundsätzlich befolgen.
Der Rezipient einer Botschaft setzt die Gültigkeit dieser Maximen also routinemässig
voraus. Sofern die sprachstilistische Gestaltung einer Botschaft diesen Maximen jedoch
widerspricht, nimmt der Rezipient zu einem Interpretationsverfahren Zuflucht: Er deu‐
tet die problematische sprachliche Äusserung dergestalt um, dass die Konversationsma‐
ximen wieder gelten.
Um den Mechanismus dieses Kooperationsprinzips zu veranschaulichen, verweise ich
auf die bereits diskutierte Medienmitteilung von G+J. Die Äusserung des Vorstands ver‐
letzt die folgenden Maximen (–> Folie 36):
• die Maximen der Quantität und der Relevanz: Der Hinweis „Auch in der aktuellen
und noch vor uns liegenden krisenhaften Gesamtsituation glauben wir an das Po
tential und die positive Perspektive unserer Wirtschaftsmedien“ enthält unnötige
Information und ist wenig relevant. Für den Rezipienten entscheidend sind viel‐
mehr die Gründe für die massive Restrukturierung, die allerdings erst am Schluss
des Zitats genannt sind. – Im Sinne des Kooperationsprinzips provoziert dieser
Hinweis somit eine Interpretation seitens des Rezipienten im Sinne von: Die Zu‐
kunft der Wirtschaftsmedien steht innerhalb des Unternehmens zur Disposition –
ansonsten wäre dieses Bekenntnis nicht erforderlich.
• die Maxime der Modaität: Der Hinweis „Wir wollen die starken Marken unseres
Wirtschaftsportfolios dauerhaft und krisensicher als Qualitätsmedien führen“ ist
dunkel beziehungsweise mehrdeutig. Denn der Vorstand gibt keinerlei Anhalts‐
punkt, wie sich die Qualität besagter „Qualitätsmedien“ nach der Restrukturie‐
rung ergeben soll. – Im Sinne des Kooperationsprinzips provoziert dieser Hin‐
weis somit eine Interpretation seitens des Rezipienten im Sinne von: Dass durch
die Einsparungen Qualitätsverluste entstehen, ist nicht auszuschliessen.
Wenig überraschend sind beide Interpretationen in einem Schreiben des Betriebsrats
der G+J‐Eignerin, der Bertelsmann AG, an die Unternehmensführung vom 9. Januar 2009
wiederzufinden. So hält der Betriebsrat im Detail fest (–> Folie 37): „Das weitere Er
scheinen der Magazine ist nicht gesichert“. und: „Das gleiche Drama des Braindrain droht
nun den Redaktionen.“ (Folie 38).
Wie gezeigt, verhält es sich bei den Kommunikationsmedien des Web 2.0 anders: Ihre
Regeln fordern vom Rezipienten keine Interpretationsleistung. Auf Grund ihrer Charak‐
teristik – profiliert, authentisch, engagiert – kooperieren sie mit dem Rezipienten im
Grice’schen Sinne. Daraus ergibt sich folgender Umkehrschluss (–> Folie 39): Die Spra‐
che in der Unternehmens‐ wie erst recht der CEO‐Kommunikation hat sich in Zukunft
vermehrt nach den Konversationsmaximen zu richten.
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58. Tatsächlich sind erste Versuche in dieser Richtung bemerkbar. Klaus Schwab, Executive
Chairman des World Economic Forum, richtet sich im Vorfeld des diesjährigen Davoser
Treffens in Videobotschaften an die Öffentlichkeit. Seine Botschaften sind informativ,
offen, aufs Thema fokussiert und knapp gehalten (–> Film, Folie 40). – Es scheint also,
als ob die Konversationsmaximen nach H.P. Grice zu neuen Stilprinzipien der Unter‐
nehmenskommunikation werden könnten.
(–> Folie 41) Der Fall G+J zeigt den Fall einer klassischen Change‐Kommunikation. Da‐
her will ich gegen Ende das Thema „CEO‐Kommunikation und Change“ ansprechen. Oh‐
ne Zweifel nimmt die Change‐Kommunikation im Falle des kalifornischen Automobil‐
Herstellers Tesla Motors einen anderen Verlauf als bei G+J (–> Folie 42): Als ein
Klatschblog über mögliche Kündigungen informiert, greift Firmenchef Elon Musk zum
gleichen Mittel. In seinem Weblog gibt er am 15. Oktober 2008 bekannt, den Personal‐
bestand zu reduzieren und Unternehmenseinheiten zu schliessen (–> Folie 43). Aus‐
führlich und transparent orientiert er über die einzelnen Motive und Massnahmen äu‐
ssert seine Gedanken über den Zustand der amerikanischen Autoindustrie und die Rolle
seines Unternehmens. Erstaunlicherweise sind die Reaktionen der Öffentlichkeit auf
diese Ankündigung positiv, wie zahlreiche Postings beweisen (–> Folie 44).
Indem Elon Musk direkt an die Öffentlichkeit tritt, verletzt er ein Credo der Change‐
Kommunikation (–> Folie 45). Demnach hat Change‐Kommunikation introvertiert zu
sein, zunächst und in erster Linie immer mit den Mitarbeitenden zu kommunizieren. Der
Fall Tesla Motors revidiert dieses Credo, denn er zeigt zweierlei (–> Folie 46):
• Erstens stehen Unternehmen und ihre Führer durch die investigative Kraft der
Blogosphäre und anderer Medien im Web 2.0 ohnehin immer unter Druck, ihre
Pläne und Absichten vorschnell an eine breite Öffentlichkeit zu tragen.
• Zweitens scheint die Weblog‐Kommunikation selbst bei von einem Change direkt
Betroffenen sehr akzeptiert. Denn ihre Charakteristika „profiliert, authentisch,
engagiert“ sind in Change‐Situation besonders gefragt. Hierbei bewährt sich die
bereits erwähnte Tauglichkeit von Weblogs, ein Issue vorzubereiten bzw. zu lan‐
cieren
Der Fall „Tesla Motors“ und andere ähnlich gelagerte Fälle regen folglich an, die Mecha‐
nismen von Change‐Kommunikation zu überdenken (–> Folie 47). Wenden wir die von
mir heute genannten Erkenntnisse auf die Change‐Kommunikation an, so ergeben sich
die folgende Forderungen:
• Change‐Kommunikation muss im Zeitalter des Web 2.0 proaktiv sein, um die
Deutungshoheit über das eigene Handeln zu bewahren.
• Die Unternehmensführung hat den Change‐Prozess noch vor Beginn der ersten
Massnahmen in der Öffentlichkeit zu vermarkten.
• Hierzu dient eine profiliert, authentisch und engagiert präsentierte „Change‐
Story“.
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59. Es sei angefügt, dass sich die Verantwortlichen von G+J in keiner Weise an diese Forde‐
rungen gehalten habe, diejenigen von Tesla Motors umgekehrt schon.
(–> Folie 48) Damit bin ich für heute am Ende meiner Ausführungen angelangt. Ich habe
versucht, Ihnen anhand neuer Fälle einen Ausblick auf die neuen Herausforderungen
der CEO‐Kommunikation zu geben. Ich will zum Schluss ein kurzes Fazit ziehen und
meine wesentlichen Aussagen zusammenfassen (–> Folie 49):
• Die Kommunikationsregeln und ‐ressourcen wandeln sich – und damit unser ge‐
samtes Kommunikationsverhalten.
• Die CEO‐Kommunikation klassischen Zuschnitts orientiert sich an den Regeln des
objektiven Nachrichtenjournalimus. Diese Regeln stehen aber auf dem Prüfstand.
• Die sozialen Medien des Web 2.0 fordern Profilierung, Authentizität und Enga‐
gement.
• In sprachstilistischer Hinsicht scheinen die Konversationsmaximen nach H.P. Gri‐
ce diesen Forderungen am besten zu entprechen. Sie könnten – zuindest für die
Online‐Kommunikation von Unternehmen – zu neuen Stilprinzipien der CEO‐
Kommunikation werden.
• Im speziellen Rahmen der Change‐Kommunikation scheint sich ein Paradigmen‐
wechsel zu vollziehen: Die Unternehmensführung hat heute mehr denn je Chan‐
ge‐Prozesse in der Öffentlichkeit zu vermarkten.
(–> Folie 50) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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