Jörg Pfannenberg (Hg.): Veränderungskommunikation. So unterstützen Sie den Change-Prozess wirkungsvoll. 3. Auflage mit Web 2.0 und neuen Fallstudien
http://www.amazon.de/Ver%E4nderungskommunikation-unterst%FCtzen-Sie-Change-Prozess-wirkungsvoll/dp/3899813081
JP│KOM News-Service 2/14: Werkzeugkasten Investor Relations im Web 2.0
JP│KOM: Neuauflage „Veränderungskommunikation“: Styrolution – die Entstehung eines Weltmarktführers
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6 Spin-off / Mergers & Acquisitions
Styrolution – die Entstehung eines
Weltmarktführers
Christine Schönfelder und Arne Borgards
Projektsteckbrief
Unternehmen Styrolution Group GmbH
Projekt • Spin-off und Start als neues, eigenständiges Unternehmen
• Gleichzeitig Zusammenführung der wesentlichen Styrol-
kunststoffaktivitäten von BASF und INEOS: Integration von
drei Unternehmensorganisationen und -kulturen
Fokus • Schaffung einer eigenständigen, starken
Unternehmenmarke
• Bereitstellung aller Medien für die Stakeholder-
Kommunikation
• Entwicklung einer kohärenten Identität und Kultur
• Sicherung von Commitment und Veränderungsbereitschaft
der Führungskräfte und Mitarbeiter
• Überzeugung von Investoren, dass es sich lohnt
in Styrolution zu investieren
• Stablisierung und Ausbau der Kundenbeziehungen
• Positionierung in der Öffentlichkeit über die Medien
Zentrale Maßnahmen • Wettbewerbsanalyse und Research zu Kundenbedürfnissen
• Corporate-Story-Workshop des Top-Managements
• Kreation der Brand: Name, Logo, Claim, Design
• Day-1-Events an den Standorten weltweit
• Pocket Guide für Mitarbeiter
• Magazin, Newsletter und Intranet
• Infos und Tools für Führungskräfte
• Briefe an wesentliche Stakeholder zum Start
des Unternehmens
• Corporate Website, Imagebroschüre und
Unternehmenspräsentation
• Roadshow für Investoren, Gespräche mit Ratingagenturen
• Investoren-Bereich im Internet
• Bondholder-ID
• Pressemitteilungen und Presseinterviews
Das Veränderungsprojekt
Am 1. Oktober 2011 ist die Styrolution Group GmbH, mit Sitz in Frank-
furt am Main, offiziell als selbstständiges Unternehmen in der Form ei-
nes Joint Ventures von BASF und INEOS gestartet. Nach Unterzeichnung
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der entsprechenden Absichtserklärung am 30. November 2010 wurden
bereits Anfang 2011 die Styrolkunststoffaktivitäten von BASF als eigen-
ständiges Unternehmen Styrolution GmbH ausgegründet (Spin-off). Zur
Finanzierung der Unternehmenstätigkeit wurde im Mai desselben Jahres
von der künftigen Joint-Venture-Gesellschaft eine Anleihe in Höhe von
480 Millionen Euro begeben.
Der Vertrag zur Gründung des Joint Ventures wurde am 27. Mai 2011
unterzeichnet, damit begannen die Vorbereitungen für die Integration.
Von Seiten INEOS wurden zwei zuvor nicht integrierte Unternehmens
organisationen, INEOS ABS und INEOS Styrenics, in das neue Unterneh-
men eingebracht – so dass drei Unternehmensorganisationen zusam-
mengeführt werden mussten (vgl. Abbildung 48).
So entstand der weltweit führende Anbieter von Styrolkunststoffen mit
einem kombinierten Pro-forma-Umsatz von 6,4 Milliarden Euro in 2010,
3.400 Mitarbeitern und 17 Produktionsstandorten in 10 Ländern. Styro-
lution bietet ein breites Portfolio an Styrolkunststoffen an, bestehend aus
Commodities, die stark der Balance von Angebot und Nachfrage unter-
liegen, und Spezialitäten inklusive innovativer Spezialanwendungen, de-
ren Wettbewerbsfähigkeit aus einer Unique Value Proposition resultiert.
Styrolkunststoffe finden Einsatz in einer Vielzahl alltäglicher Produkte
aus den unterschiedlichsten Branchen, zum Beispiel Automobil, Elek
tronik, Bauwesen, Haushalt, Spielzeug/Sport/Freizeit, Verpackung sowie
Medizin und Gesundheit.
Abbildung 48: Entstehung von Styrolution
29.11.2010
Unter-
zeichnung
Absichts-
erklärung 6.– 11.5.2011
Investoren-
Roadshow
1.1.2011
Ausgründung
BASF Styrolution
27.5.2011
Unterzeichnung
JV-Vertrag
1.6.2011
Genehmigung
EU-Kommission
8.4.2011
Genehmigung
Federal Trade
Commission
5.4.2011
Gespräche mit
Rating-Agenturen
1.10.2011
Start als eigenständiges
Unternehmen
20112010 2012
Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1
Vorbereitung Merger
Vorbereitung
Integration
Integration
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Kommunikationssituation
Markentechnisch wurde Styrolution von Anfang an nicht als Gemein-
schaftsunternehmen mit Doppelnamen – etwa BASF INEOS Styrenics –
aufgestellt, sondern als Unternehmen mit eigenständiger Identität. Jedoch
bestehen Management und Mitarbeiterschaft des neuen Unternehmens
fast ausschließlich aus Führungskräften und Mitarbeitern der zusam-
mengeführten Unternehmensorganisationen, sie bringen ihre Normen
und Werte aus oft jahrzehntelanger Unternehmenszugehörigkeit in die
neue Organisation ein. Insbesondere einige Mitarbeiter der BASF-Styrol-
kunststoffaktivitäten fassten die Abspaltung von dem reputationsstarken
Weltmarktführer BASF teilweise als persönlich riskant auf. Die BASF-
Aktivitäten wiesen außerdem eine starke Konzern- und zentralistisch ge-
prägte Unternehmenskultur auf. Demgegenüber war die Unternehmens-
kultur der von INEOS eingebrachten Unternehmensorganisationen eher
dezentral und von zahlreichen M & A-Aktivitäten geprägt. Die Manager
und Mitarbeiter des neuen Unternehmens fragten sich natürlich, wie
sich ihre Arbeit und ihre Karrieremöglichkeiten – mit dem Einfluss des
jeweils anderen Joint-Venture-Partners – entwickeln würden.
Auch für die Kunden des neuen Unternehmens galt, dass sie zuvor oft
jahrelang in etablierten Geschäftsbeziehungen zu BASF oder INEOS ge-
standen hatten, mit entsprechenden Erwartungen an das Verhalten des
jeweiligen Geschäftspartners. Für diese Kunden bedeutete der Übergang
der Styrolkunststoffaktivitäten von BASF, INEOS ABS und INEOS Styrenics
ebenfalls einen wesentlichen Einschnitt mit Unsicherheitspotential,
zumal BASF und INEOS bei vielen Kunden die Nr. 1- und 2-Lieferanten
waren, aber auch hinsichtlich der Qualität der Geschäftsbeziehung sowie
des künftigen Produktportfolios und Servicelevels. Für die Fachöffent-
lichkeit im Bereich Chemie und in den Kundenbranchen sowie für die
Behörden in den Ländern der Geschäftstätigkeit war Styrolution anfangs
ebenfalls ein unbeschriebenes Blatt mit vielen offenen Fragen.
Das galt auch für die Ratingagenturen und für potenzielle Investoren der
bereits im Mai 2011 aufgelegten Anleihe. Die Styrolkunststoffaktivitäten
hatten vorher nicht gerade im Mittelpunkt der Finanzkommunikation
der Joint Venture-Partner gestanden. Das Unternehmen Styrolution, sei-
ne Märkte und Geschäftstreiber, aber auch Peer-Unternehmen waren bei
den relevanten Kapitalmarktteilnehmern nicht bekannt. Historische Pro-
forma-Kennzahlen waren nicht im gewünschten Maß verfügbar. Dazu
kam, dass bei der Begebung der Anleihe das Bild eines Unternehmens
aufgerichtet werden musste, das auf dem Papier zwar schon existier-
te, für das zu diesem Zeitpunkt aber nur ein umfangreicher „Letter of
Intent“ und lediglich die Genehmigung der US-amerikanischen Federal
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Trade Commission vorlag. Angesichts dieser Situation lagen Fragen nach
der Tragfähigkeit der Unternehmensstrategie, der Qualität des neuen
Managements und der Unternehmensfinanzierung nahe.
Aufgaben der Veränderungskommunikation
Auch wenn es sich im Fall von Styrolution um ein Joint Venture handelt,
bedeutete die Aufstellung eines eigenständigen Unternehmens mit ei-
ner von den beiden Eigentümern vollkommen unabhängigen Identität,
dass bereits mit dem Day 1 alle wesentlichen Inhalte sowie Medien und
Instrumente der Kommunikation für die Stakeholder einsatzfähig sein
mussten:
• Startpunkt für die Kommunikation war die Corporate Story mit klaren
Benefits für die relevanten Stakeholder.
• Die Vorbereitung für den Day 1 umfasste die aus der Corporate Story
abgeleiteten Vision (vor allem für die internen Zielgruppen), Mission
(Benefits für die Kunden) und Werte des Unternehmens. Auf dieser
Basis wurden die Unternehmens- und Leistungsmarke sowie das Corporate
Design entwickelt. Gleichzeitig wurden die Kommunikationsstrategie
ausgearbeitet und die Infrastrukturen für die Unternehmens-, Finanz-
und Marketingkommunikation aufgebaut.
• Für die Kommunikation zum Day 1 und die Wochen nach dem Launch
des neuen Unternehmens mussten alle wesentlichen Medien und
Tools für die Kommunikation bereitstehen, so dass die Kommunikati-
on gegenüber den Stakeholdern möglichst kraftvoll einsetzen konnte.
Dies reichte von der Bereitstellung der Geschäftsausstattung und der Ba-
sismedien wie Newsletter und Internet/Intranet über die Pressearbeit
bis hin zu Spezialmedien für die Investor Relations, die Kommunikation
mit Kunden und Marktpartnern sowie die intensive Mitarbeiterkommuni
kation.
Von vornherein mussten für dieses umfangreiche Kommunikationsport-
folio außerdem Steuerungs- und Controllinginstrumente installiert sein. Über
diese maßnahmentechnische Betrachtung hinaus ging es in der Start-
kommunikation von Styrolution vor allem darum,
• in der internen Kommunikation eine gemeinsame kohärente Identität zu
entwickeln und den Weg zu einer gemeinsamen Unternehmenskultur
zu ebnen. In der starken Veränderung bestand die Aufgabe der Kom-
munikation darin, Führungskräften und Mitarbeitern auch in Zeiten
gesteigerter Unsicherheit klare Orientierung zu geben und ihre Moti-
vation und ihr Commitment zu erhalten.
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• in der externen Kommunikation das Unternehmen als eigenständigen
Player und Weltmarktführer zu positionieren sowie die Kunden zu
überzeugen, dass Styrolution für sie der richtige Partner ist.
• in der Arbeit in den Industrieverbänden eine führende Rolle einzu-
nehmen, um u. a. bestimmte Interessengruppen von der Unbedenk-
lichkeit von Styrolkunststoffen wissenschaftlich zu überzeugen.
• in der Finanzkommunikation Investoren davon zu überzeugen, dass es
sich lohnt, in Styrolution zu investieren.
Kommunikationsstrategie
Content vor Maßnahmenplanung – so könnte man die Strategie für den
Aufbau der Unternehmenskommunikation von Styrolution zusammen-
fassen. Erster Schritt war die Generierung einer umfassenden Corporate
Story, die für alle Stakeholder attraktiv sein und die deren wesentliche
Fragestellungen an das neue Unternehmen abdecken sollte. Diese Story-
line musste folgende Fragen beantworten:
• Wettbewerbsumfeld. Welche Märkte bedient Styrolution? Was sind die
Treiber und Erfolgsfaktoren in diesen Märkten?
• Vision. Welches übergeordnete Ziel und welche operativen Zielsetzun-
gen verfolgt Styrolution als Unternehmen?
• Mission (Unternehmenszweck). Welches Leistungsversprechen gibt Styrolu-
tion seinen Kunden? Worin genau bestehen die Nutzen (Benefits) aus
diesem Leistungsversprechen für die Kunden, insbesondere im Wett-
bewerbsvergleich?
• Kompetenzen und Ressourcen. Mit welchen Fähigkeiten und Ressourcen
– zum Beispiel Produktionsanlagen, F & E-Einrichtungen, Vertriebs-
strukturen – wird das Leistungsversprechen erfüllt? Was begründet
hier den Vorsprung von Styrolution im Wettbewerbsvergleich?
• Strategie. Mit welcher Strategie und welchen Maßnahmen setzt Styro-
lution die Vision um und erfüllt das Leistungsversprechen?
• Werte. Wie müssen sich Führungskräfte und Mitarbeiter verhalten, um
die Vision und das Leistungsversprechen im Tagesgeschäft zu verwirk-
lichen?
Die vorgeschaltete umfassende Analyse des Markt- und Wettbewerbs-
umfelds – insbesondere der Kundenanforderungen – stellte die hohe
Kundennutzen-Orientierung der Corporate Story und der Botschaften-
Sets für die Stakeholder von Styrolution sicher. Die Storyline wurde vom
künftigen Management des Unternehmens selbst erarbeitet. Diese Ar-
beit diente gleichzeitig als erster Schritt auf dem Weg zur Formation des
Management-Teams.