Ride the Storm: Navigating Through Unstable Periods / Katerina Rudko (Belka G...
Essay "Künstlerisch zu wertvoll?"
1. Künstlerisch zu wertvoll?
Ein kurzes Drama über Kultur, Mainstream und deren Preis
Hamlet, dritter Akt, die Tragödie strebt auf ihren Höhepunkt zu: Der alte König ist tot,
vergiftet. Um den Mord an dem Vater zu sühnen, sinnt Prinz Hamlet auf Rache. Ein Stück
soll am Hof gespielt werden. Es wird den Königsmord nachstellen, im Publikum wird sich
daraufhin der wahre Täter an seiner Reaktion verraten und sich ab da das Geflecht aus
Ränken, Tod und Verderben unaufhaltsam bis zum Zerbersten verdichten…
Wenn das Stück nicht abgesagt worden wäre.
Mal ehrlich, eine Aufführung für so ein kleines Publikum rechnet sich doch nicht, auch nicht
auf Schloss Elsinore. Denken Sie nur mal an die Saalmiete, die Werbekosten und die
Ausstattung. Ohne Sponsor? Ein Ding der Unmöglichkeit. Kultur kostet. Und genau das
macht sie vielerorts anscheinend unbezahlbar. So soll das Nürnberger Kulturzentrum Z-Bau
seine Pforten Ende August ein für alle mal schließen. Grund ist der schnöde Mammon. Denn
um das ehemalige Kasernengebäude in Stand zu halten, müssten allein dieses Jahr rund 4,8
Millionen Euro aus dem Säckel der Stadt investiert werden. Und auch das Erlanger
Figurentheaterfestival entging im Frühjahr nur knapp seinem Aus indem die Firma Siemens
die noch ausstehenden Kosten von 20 000 Euro übernahm.
Kultur braucht Mäzene, das ist nicht neu. Schon im alten Rom konnten sich Dichter wie
Horaz, Vergil und Properz ihre Arbeit nur Dank der finanziellen Unterstützung eines
großzügigen Herren im Hintergrund leisten: Gaius Cilnius Maecenas, dem Namenspaten des
Mäzenatentums. Wohl noch bekannter wurde im 15. Jahrhundert die Familie Medici, die als
Gönner die Florenzer Kunstszene florieren ließ. Die Grenzen zwischen aufopfernder
Kulturförderung, gezielter Beeinflussung und Eigen-PR waren dabei von Anfang an fließend.
Um zu überleben, ist Kunst nun einmal auf finanzielle Streicheleinheiten einer
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wohlwollenden Hand über ihr angewiesen. Aber zahlt sich der Kampf um die Kultur
überhaupt noch aus?
Es war einmal ein Land der Dichter und Denker. Mehr noch: Man nannte sich eine
Kulturnation. Kulturbesitz, Kulturschatz, Kulturgut – das gemeinsame kulturelle Erbe hielt
man im 19. Jahrhundert für so reich, dass der Namen viele herangezogen wurden, um den
Stolz über den künstlerischen Verdienst auszudrücken. Doch die Jahre zogen ins Land und die
Bewunderer blieben aus. Der Pöbel verrohte zu Banausen. Nur mehr wenige schwuren mit
Theaterabo und Museumsmitgliedschaft ihrer lokalen Kulturszene die Treue. Also begab es
sich Anno 2009, dass das Ifak Institut eine Statistik über das musische Interesse der
Bundesbürger herausbrachte. Über 80 Prozent der Befragten gaben dabei an, nie oder nur sehr
selten in ihrer Freizeit Theaterinszenierungen, Opern oder klassischen Konzerten
beizuwohnen. Dasselbe galt für den Besuch von Museen, Ausstellungen oder Galerien: Stell
dir vor, es ist Kultur und keiner geht hin. L’art pour l’art pour rien?
Was war geschehen? Welch böser Zauber ließ die lokale Kulturszene veröden, blendete das
Volk und machte ihm die Kunst im Kleinen fad? Der Kulturabsolutismus hatte seinen
Siegeszug angetreten. Er errichtete Prunkbauten im In- und Ausland, kultivierte die Kultur
zum Kult. Ende Januar dieses Jahres wurde mit dem Folkwang in Essen „Das schönste
Museum der Welt“ wiedereröffnet. Mehr als 55 Millionen Euro hatte der Neubau nach einem
Entwurf des Star-Architekten David Chipperfield gekostet. Was so teuer ist, ist uns lieb,
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dachten sich die Massen und strömten zu dem Hort künstlerischer Superlative herbei. Ebenso
bombastisch die Wiedereröffnung des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel im
Oktober 2009. Auch hier stammte der Umbau aus der Feder von Chipperfield, die
Renovierung war mit rund 295 Millionen Euro ein Großprojekt. Und als das New Yorker
Museum of Modern Art vor sechs Jahren in Berlin gastierte ließen sich pro Tag
durchschnittlich 6500 Besucher das Spektakel nicht entgehen, sodass nach sieben Monaten
etwa 1,2 Millionen Menschen die Ausstellung besucht hatten.
Heute ist Kultur größer, absoluter und teurer als jemals zuvor. Nach Schätzungen von
Kennern der Filmbranche dürfte der Blockbuster Avatar rund 300 Millionen Euro gekostet
haben. Doch die Rechnung zahlte sich für die Macher aus: Bis Mitte April brachte der
Streifen 2,721 Milliarden US-Dollar ein und verdrängte damit Titanic mit 1,8 Milliarden von
seinem Posten als finanziell erfolgreichster Film. Anscheinend funktioniert Kultur nur noch in
großen Dimensionen, als ein Mainstream, der mit wenigen aber dafür umso gigantischeren
Projekten die Massen erreicht.
Die Preise steigen dabei ins Unermessliche. Kann sich die aufgeklärte Gesellschaft so einen
Hofstaat aus Kunstadel, Dichterfürsten, Kulturattachés und Meistern ihres Fachs noch lange
leisten? Anfang Mai wurde im Auktionshaus Christie’s das Picasso-Gemälde „Nu au plateau
de sculpteur“ für 106,5 Millionen Dollar versteigert. Teurer kam einem Kunstsammler bisher
nur Jackson Pollocks Bild „No.5“, welches im Jahr 2006 und damit noch vor der Bankenkrise
für 140 Millionen Dollar den Besitzer wechselte. Einen Rekordpreis erzielte im Februar auch
Alberto Giacomettis „L’homme qui marche“. Mit 104,3 Millionen Dollar Verkaufspreis gilt
das Werk derzeit als die teuerste Skulptur der Welt.
„Jeder Mensch ist ein Künstler“, hat Joseph Beuys einmal gesagt. Und vielleicht liegt darin
das Versöhnliche oder, in unserem Fall, das Happy End im Drama um die Kultur. Die leitet
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sich nämlich vom lateinischen Verb „colere“ ab, was so viel wie „pflegen“ bedeutet. „Colere“
wiederum ist auf das indogermanische „kuel-“ zurückzuführen, das sich mit „emsig
beschäftigt sein“ übersetzen lässt. Solange Kultur also gepflegt wird, wir uns damit
auseinandersetzen, über die Schließung lokaler Kunstprojekte sprechen, von riesigen Events
fasziniert sind oder uns ganz im Gegenteil darüber aufregen, bleibt sie ein wichtiger Teil
unserer Gesellschaft, ganz gleich in welcher Form sie sich ausdrückt und was wir darunter
verstehen. Der Rest ist Schweigen.
Fiona Pröll