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Selbst unter lrlands fiihrenden Tanzklinstlern war sie noch bis vor Kurzem
so gut wie unbekannt: die deutsch-irische Pionierin des modernen Tanzes in
den wirren des Zweiten weltkriegs. An sie erinnert Deirdre Mulrooney
58-,rreo'eru
ivan li5ka-
Wir schenken lhnen die Biografie des Miinchner Ballettdirektors - Auf DVD:
<Orpheus> von Montalvo und Hervieu - Auf CD: <Der goldene Schliissel> - Was
Tdnzer wirklich verdienen - Und: Das bisher beste Buch zu Anita Berber
&CI-rnrEN: TAhtz utp PottrtK
offnet euch !-.--
Mlonika Grfrtters, Br.rndesbeauftragte filr Kultur und Medien, hat etwa* iihrig
filr den Tanz. Ganz pers6nlich, aber nicht finanziell" Warurn das so ist, und was
sie von der Szene erwartet, erklart sie irn GesprSch mit der Redaktion
66-pnoxs
tanz dich frei-
Aufatmen und die seele fliegen lassen, auch wenn die Krise noch so groB ist:
Zwei tanztherapeutische Projekte holen Menschen aus ihrer lsolation.
Von Nicole Strecker
Serie: Master-Macher - Michel Gascard, Ecole Rudra-B6jart, Lausanne
Die Lehrerin: Opay L. Goldberg
Auditions, Ausschreibungen, Wettbewerbe, Summerschools und Workshops
80-,rpREssuM
_Der direkte weg zu tanz - Vorschau auf kommende Ausgaben
* The English texts are available in the tanz-app and at www.kultiversum.de/tanz
aPRil 20T 5-ta.:
TRADITIONEN
Erina Brady mit ihrem Hund Scamp in der
Schweiz Foto: Walter Kuhn
)rina brady
lbst unter lrlands fuhrenden Tanzkunstlern war sie noch bis vor Kurzem
gut wie unbekannt: die deutsch-irische Pionierin des modernen Tanzes in
rn Wirren des Zweiten Weltkriegs. An sie erinnert
Deirdre Mulrooney
;e Frau war ihrer Zeit weit voraus. Sie hat
Weg frir die gegenwiirtig blrihende Tanz-
lschaft lrlands geebnet - und wurde doch
lessen. Wer war Erina Brady?
trend lrland, vom Brirgerkrieg der Jahre
? bis 1921 gezeichnet, um nationale Ei-
st6ndigkeit ringt, beginnt auf dem Konti-
t die Tanzmoderne. Erina Brady, 1891 in
Homburg vor der Hdhe als Tochter eines
hen Vaters und einer deutschen Mutter
oren, tummelt sich in der Szene. ln Dres-
kommt sie mit Jaques-Dalcrozes Euryth-
und Rudolf von Labans raum-rhyth-
:her Bewegungslehre in Beriihrung, dann
t sie um das Jahr 1920 Mary Wigmans
druckstanz kennen. Zuvor hat die junge
mopolitin als Schreibkraft frir die neue
he Regierung beim soeben gegriindeten
lerbund in Genf gearbeitet und in der
ueizer Presse frir die irische Selbstbestim-
rg geworben. Dass Brady, die den Namen
rds (Eire) im Vornamen tr6gt, auch mit der
;chen Sprache vertraut ist, verdankt sich
ifellos dem Einfluss ihres patriotischen
rrs Terence.
ly wird rasch zur glrihenden Wigman-
ingerin. Sie fasst den Entschluss, die mo-
derne Bewegungsphilosophie des Aus-
druckstanzes nach lrland zu exportieren.
Aber das ist nur ein Grund, warum es Erina in
die Heimat des Vaters zieht. Sie will auch ihre
dortige Verwandtschaft besuchen. die
Terence Brady zur persona non grata erklSrt
und aus dem Familienstammbaum getilgt
hat.
Jim Brady, ein Verwandter Erinas, erinnert
sich daran, wie er erstmals von seiner <deut-
schen> Cousine Kenntnis erlangte: <Nach
dem Tod meiner Mutter l6sten wir den Haus-
halt auf. und da fiel mir eine alte Keksdose in
die Hiinde. Ein Glticksfall, denn sie enthielt
unter anderem auch Traueranzeigen und aus-
geschnittene Zeitungsartikel.> Einer dieser
Artikel stammte von 1941 und berichtete von
einer modernen Tdnzerin namens Erina Bra-
dy. Jim Brady hatte bis dahin noch nie von
dieser Verwandten gehort, ebenso wenig wie
von ihrem Vater Terence, der in einer anderen
Llberlieferten Notiz als <Dozent fiir Griechisch
und Latein> aufgefLihrt wurde. lnzwischen
weiB man, dass Terence 1888 aus der Pries-
terschaft ausgetreten war, um eine junge
Deutsche - Elisabeth Wendland - zu heiraten.
Kennengelernt hatte er sie auf einer Reise in
die USA, deren Zweck darin bestand, Gelder
filr die heimische St. Patrick's Boys' School
einzutreiben - jener lnstitution, der er als De-
kan und Schatzmeister vorstand. <Ein abtrrin-
niger Priester>, meint Jim Brady, <das war
damals, in den 1940er-Jahren, nattlrlich nicht
leicht zu verdauen. Umso mehr muss es ein
Schock filr die Familie gewesen sein, als
plotzlich diese junge Frau aus Deutschland
auftauchte und sich als leibhaftige Tochter
dieses Priesters vorstellte!>
Von ihrem lrland-Besuch kurz vor Ausbruch
des Zweiten Weltkriegs erhofft sich Erina
Auss6hnung mit der Familie, der sie aller-
dings auch die Mitteilung machen muss, dass
der Vater inzwischen verstorben ist. Diese
Mission verl6uft nicht durchweg erfolgreich,
doch personliche Ri.lckschlSge halten Erina
nicht davon ab, in der Dubliner Harcourt
Street 39 die <lrish School of Dance> zu eroff-
nen. Sie unterrichtet zunichst Kinder, denen
sie - egal ob katholischer oder protestan-
tischer Konfession - die freie Kcirperaus-
druckskunst nahebringen will. Elizabeth
Moore, eine ihrer damaligen Elevinnen, erin-
nert sich lebhaft: <lch sehe das Studio noch
heute vor mir. Man trat ins Gebiude, zog sich
in der kleinen Garderobe um und erreichte
durch einen Gang die Trir zu dem groBen,
+.^7 Et
TRADITIONEN
lichtdurchfluteten Studio - in dem Erina of-
fensichtlich auch wohnte, denn in einer Ni-
sche stand ein Bett.>
Erina Brady ist nur eine von vielen internatio-
nalen Fl0chtlingen, die im neutralen Dublin,
wo trotz Ausnahmezustand ein reges KUnst-
lermilieu gedeiht, dem Krieg zu entrinnen
suchen. lhr deutscher Hintergrund, ihr extra-
yagantes AuBeres und ihre Verschwiegenheit
erregen jedoch bald die Aufmerksamkeit des
Verteidigungsministeriums, das auf die
irische Unabhdngigkeit bedacht ist. Zumal
sich die Einwanderin in der Harcourt Street
39 unter ihresgleichen bewegt: Sie wird auf
das W5rmste von irischen Kr.lnstlern willkoin-
men geheiBen, etwa von Hugh Barden, der
fur ihre Vorfrihrungen die Brihnenbilder kre-
iert und ein lebenslanger Freund bleiben
wird. Ein anderer <Hausgenosse> ist der Fil-
memacher und Mitbegrr.inder der lrish Film
Society, Liam O'Leary (Liam O'Laoghaire), auf
den die exotisch anmutende Frau aus
Deutschland, die noch dazu des Gilischen
mdchtig ist, einen tiefen Eindruck macht' Er
dreht sogar einen Werbefilm riber ihre Schu-
le, der nebenbei das Portrdt einer ziemlich
unkonventionellen Frau inmitten eines eben-
so unkonventionellen Zeitalters liefert. Sunni-
va O'Flynn, Kuratorin des lrish Film lnstitute,
Portret 1941, Fotos von Erina Brady
als TSnzerin scheint es keine zu
geben
meint riber O'Learys <Dance School>, der
Film fLlhre <ein krasses Gegenbild zu unseren
bisherigen Vorstellungen vom Dubliner Le-
ben Anfang der Vierzigerjahre vor Augen.>
Unter Verdacht
Erina Brady weiB sich mit einer geheimnis-
vollen Aura zu umgeben. So bleibt sie auch
fLir Detective James McGuire, der vom iri-
schen Geheimdienst mit ihrer Observierung
beauftragt wird, ein Ritsel. Sie spLirt instink-
tiv, dass es dem Gedeihen ihrer Schule kaum
zutriiglich sein dr-lrfte, wenn herauskdme,
dass ihr Vater einst Priester war. Der Geheim-
dienstmann freilich deutet ihre Verschlossen-
heit auf seine Weise, wie sein erster Eintrag
in Bradys Akte vom 16. April 1941 bezeugt:
<lch habe eine Broschr-lre erhalten, die ftir die
lrish School of Dance in der Harcourt Street
39 wirbt. Als Schulleiterin ist Erina Brady an-
gegeben. Brady bauscht darin ihre Ausbll-
dung und berufliche Erfahrung auf und ver-
langt dementsprechend 60 Guineen jdhrlich
ftir eine dreijdhrige Ausbildung.>
Anfdnglich hSlt das Verteidigungsministerium
Erina Brady fdlschlicherweise frir eine ein-
schliigig bekannte Spionin, die Korrespon-
denzen weiterleitet. Ein Verdacht, der sich
noch zu erhdrten scheint, als McGuire im Mai
eine Postkarte Erinas abfdngt, mit der sie
Eduard Hempel, den deutschen Botschafter
in lrland. samt seiner Gattin zum Tee in ihr
Studio einl6dt. Zu Erinas Unghick fdllt das Ab-
fangen der Postkarte mit der Bombardie-
rung von Dublins North Strand durch die
deutsche Luftwaffe zusammen, die zahlreiche
Bewohner totet: fLlr die ermittelnden Behor-
den ein weiterer Grund. Erina Bradys Tanz-
schule frlr einen Hort feindlicher Konspiration
zu halten.
Dazu mag auch ihre spezifische ktlnstlerische
Ausrichtung beitragen. Diesen Schluss lSsst
eine Notiz McGuires vom 23. Juni 1941 zu:
<Meiner Ansicht nach ist sie eine Abenteure-
rin, weswegen die Vermutung durchaus nahe
liegt, dass ihr Unternehmen voR Kr6ften un-
terstLitzt wird mit dem Ziel, sie in den Stand
zu versetzen, Agententiitigkeiten zu entfal-
ten.> Sie scheine, so berichtet McGuire wei-
ter, <riber die erhobenen Schulgebr-ihren hi-
naus Llber substanzielle Geldbetrdge zu ver-
frigen. Mir liegen Hinweise vor. dass sie
gelegentlich als r.iberaus freiz0gige Gastge-
berin sogenannte <Bottle and Pyjama>-Partys
in ihrer Wohnung veranstaltet.rr
Erina Bradys kr-lnstlerisches Umfeld ist pazifis-
tisch gesonnen und besteht aus zahlreichen
Briten, die vor dem Kriegsgeschehen nach
lrland geflo.hen sind - was die Regierung, ei-
ne Machtribernahme Londons beftlrchtend,
mit Misstrauen erfLlllt. Nebenbei hat sich
Dublin zu einem Zentrum der Avantgarde
entwickelt, und Erina Brady befindet sich mit-
tendrin, eng befreundet mit Mltgliedern der
White Stag Art Group. Gegrtindet von den
Malern Basil Rakoczi und Kenneth Hall, hat
sich das Kollektiv einer <Neuen Subjektivitdt>
verschrieben und damit mehr und mehr
irische Ktinstler in seinen Bannkreis gezogen.
Gemeinsam mit Rakoczi ruft Erina die Dub-
liner <Society for Creative Psychology> ins
Leben.
Das Unterrichten alleine lastet sie offenbar
nicht aus, schon 1941 entwirft sie zwolf Soli
frir die Brihne. Der <lrish lndependent> kom-
mentiert die Premiere im Mansion House
wohlwollend, betont die exquisiten Kostrime
und die exzellente Klavierbegleitung durch
Jacqueline Robinson - Pianistin aus Paris,
Brady-Sch0lerin und fortan eine ihrer engsten
Wegbegleiterinnen. Die eindrLlcklichsten
Schilderungen des Abends stammen indes
Freunden wie Liam O'Leary: <Als Erina
Cy vor Kurzem zu ihrer ersten offentlichen
stellung im Mansion House eintraf, hatte
r das GefLlhl, dass sie sich auf iiuBerst ge-
'liches Terrain begab. Doch schon in ihrem
:en Solo legte sie eine Selbstsicherheit
technische Reife an den Tag, dass man
Eindruck gewann, es mit einer der besten
zerinnen zu tun zu haben, die hier seit
ren aufgetreten waren. lhr Gefilhl fLir die
rne ist bemerkenswert, ihr musikalisches
;pur ebenfalls, der Gesamteindruck der
:r makellosen Beherrschung ihrer Kunst.>
rtre GSste
Februar 1942 gibt Erina ihr mit Spannung
rartetes Debrit im Abbey Theatre: als Cho-
grafin frir das in Gdlisch aufgefijhrte <Dr6-
Mor5lta, O C5ch>, eine Version des mit-
rlterlichen Mysterienspiels <Jedermann>,
uie ftlr das Strick <Gloine an lmpire> von
olach 6 Raithbhearthaigh. Erinas Reper-
'e reicht krinftig von mittelalterlichen Mys-
enspielen bis zu Musicals wie etwa <Rose
rie>, das im Galety Theatre zur Auffuhrung
nmt. Sie erarbeitet dafLlr die Choreografie
I ilbernimmt zudem selbst die Rolle der
raw Wanda. lm <lrish lndependent> heiBt
am 16. Dezember 1942 dazu: <ln den ge-
rwdrtigen Kriegszeiten gibt es immerhin
en Hoffnungsschimmer am Horizont, ndm-
r fr-lr den krinstlerischen Nachwuchs lr-
ds. Das jedenfalls war der vorherrschende
druck, den ich nach der begeistert gefei-
en Premiere von <Rose Marie> mit nach
use nahm. Allen voran gliinzte die unge-
rin versierte Ktinstlerin Erina Brady, eine
r auch sie. Sie trat bereits im Pariser Th65-
Mogador auf, mit dem sie bis nach Tunis
d Algier tourte, und ist eine talentierte
'ri.ilerin der besten europiiischen Schulen
Fdem Gebiet der Tanzkunst' Wie das groB-
ige Stiick <Riot of the Totem Poler zeigte,
sie noch dazu eine herausragende Ballett-
hrerin.>
lche Elogen belegen, dass Erina solide Vor-
reit fur ihr Traumziel geleistet hat: die
0ndung eines eigenen Ensembles, der
na Brady Dance Company. Daftir veranstal-
: sie <dance demonstrations> riberall in lr-
rd, stets begleitet von Jacqueline Robin-
n. Bald stoBt sie auf die 17-jdhrige June
1er, eine Ausnahmebegabung, die sie unter
'e Fittiche nimmt und zur ersten modernen
nzerin lrlands ausbildet.
Unsere Kenntnisse von dieser FrLihphase des
modernen Tanzes in Dublin verdanken wir vor
allem Jacqueline Robinson, die kurz vor ihrem
Tod im Jahr 1999 Erina Bradys nahezu verges-
sene Unterrichtsmethoden festgehalten hat.
ln ihren Memoiren <Modern Dance in 1940s
lreland? Yes, There was!> schreibt Robinson:
<Das professionelle Training. iihnelte der Aus-
bildung, die Mary Wigman in ihren deutschen
Wlrkungsstdtten praktizierte. ln der intimen
Atmosphiire ihres Studios erlebten wir Erina
als fordernd und unnahbar, rr.icksichtsvoll und
z6rtlich, krlhl und leidenschaftlich, stets von
dem Wunsch beseelt, kompromisslos immer
weiter, immer tiefer in die Wahrhaftigkeit der
Tanzkunst vorzudringen, der sie sich ver-
schrieben hatte. Wir schauten ihren Bewe-
gungen zu und betraten eine andere Welt.
Wir horten ihr zu und versuchten das umzu-
setzen, was sie von uns verlangte, immer in
dem Bewusstsein, dass wir uns auf einen lan-
gen und ertragreichen Weg begaben. Sie
hielt uns dazu an, andere Kunstformen ken-
nenzulernen und zu schStzen - Musik, Male-
rei, Architektur -, gleichsam immer neue Tii-
ren offnend, neue Landschaften enthiillend.
Wir wussten um die Reichhaltigkeit ihrer Le-
benserfahrungen, auch wenn sie nur wenig
Details preisgab. lm Studio wehte der Geist
unserer groBen Vorbilder Rudolf von Laban
und Mary Wigman, mit denen sie gearbeitet
hatte, deren Fotografien an den Wiinden hin-
Die von Deirdre Mulrooney entdeckte
Geheimakte
links: Brady mit dem Maler Basil Rakoczi
in Dublin
gen und auf deren Kunst und Lehrmethoden
sie hdufig Bezug nahm.>
Erste B[]hnenpraxis sammeln June Fryer und
Jacqueline Robinson als Performerinnen bei
den erwiihnten <Bottle and Pyjama Partys>
vor Erina Bradys illustren Gdsten. Ohne Zwei-
fel ein interessantes Milieu fiir die beiden
jungen Frauen, insbesondere filr June, die
behritet im Dubliner Siiden aufgewachsen ist.
lm Kloster
Kurz nach dem Ende des Krieges bricht in lr-
land eine Tuberkulose-Epidemie aus, die Bra-
dys moderner Kunst zu offizieller Anerken-
nung verhilft. Am 28. Mai 1945 eroffnen
Worte des Premierministers ihre Tanz-Fanta-
sie <A Propaganda Ballet Against Tuberculo-
sis>, das im Rahmen einer Veranstaltung des
Roten Kreuzes gegeben wird. Auch sonst tun
sich neue Horizonte auf, denn dank des kleri-
kalen Hintergrunds ihres Vaters hat Erina Bra-
dy einen guten Draht zur katholischen Kirche
und kann ihre Mission, den modernen Tanz in
lrland zu verbreiten, nun auch auf Kloster-
schulen ausdehnen. Was nicht ganz problem-
los l6uft, wie Robinsons Erinnerungen verra-
ten. Bradys Schrilerin, nunmehr im letzten
Ausbildungsjahr, soll pidagogische Erfah-
rung in einem Ordenshaus sammeln: <Zur
ersten Stunde trug ich ein langes flieBendes
Gewand, damals eine durchaus Libliche Tanz-
APRIL 2015-tanz 55
TRADITIONEN
Olnen Fou6r5 als Erina Brady bei den Dreharbeiten
ann Dokumentarfilm <Dance Emergency, Modern
hxa in l9tl0s lrelandn unserer Autorin Deirdre
hloon€y. Die Tanzszenen choreogra{ierte Jessica
l(emedy vom Junk Ensemble in Dublin
Fotos: Dragana Jurisic
bekleidung- Unter den Augen einer der
Schwestern verlief der Unterricht sehr gut,
doch anschlieBend wurde ich zur Mutter
Oberin zitiert: <Miss Robinson, mir ist zu Oh-
ren gekommen, dass Sie lhren Rock angeho-
ben und ihre Beine gezeigt haben, noch dazu
in einem weiten Ausfallschritt!r (Wir hatten
Pli6s in der zweiten Position gerlbt.) <So etwas
kommt hier unter keinen Umstdnden infrage!r
Was sollte ich nun aber in der niichsten Wo-
che tragen? Um meinen Rock nicht extra an-
heben zu m[issen, erschien ich in einer Art
kurzer Tunika. Ob das wohl als schicklich
durchgehen wrlrde? Vor Unterrichtsbeginn
musste ich bei den Schwestern vorstellig wer-
den, die mich schockiert ansahen und ver-
fiIgten, dass unter keinen Umstdnden ent-
bl6Bte Beine gezeigt werden durften. Was
sollte ich tun? rTragen Sie beim Unterricht
beides, lhr langes Gewand und den Rockb,
ordnete die Mutter Oberln an. Das tat ich
dann auch. und doch verktindete der Bischof,
nachdem der Kurs abgelau{en war, dass kei-
nerlei derartige Tanzklassen mehr im Kloster
stattfinden solltenl))
qlch finde es SuBerst interessant>, so der
Schriftsteller Declan Kiberd iiber den Vorfall,
cdass die Nonnen tiberhaupt dazu bereit wa-
ren, Brady als Tanzlehrerin zu engagieren.
Das deutet darauf hin, dass ihnen durchaus
bewusst war, dass die jungen Mddchen in ih-
rer Obhut eine derartige korperliche Betiiti-
gung dringend notig hatten.> Kiberd meint,
dass das Engagement unter Ordensschwes-
tern wie Eltern heftig diskutiert wurde: uDie
Liberalen unter ihnen befrlrworteten das Un-
terfangen und wollten es ausweiten, wdhrend
die zur Zensur neigenden Konservativen Be-
schwerde einreichten. Die Nonnen hatten
ribrigens groBes Verstdndnis filr das dama-
lige Konzept der <New Woman> - also das,
was wir heute Feminismus nennen.>
Der Fortschritt ist freilich nur eine Episode,
denn nach Kriegsende platzt die kreative Bla-
se, die sich in der Phase der irischen Neutra-
litdt herausgebildet hat. Die Ktinstler zer-
streuen sich in alle Winde. lrland steuert di-
rekt in die repressiven Ftinfzigerjahre hinein,
in denen Erina Bradys moderne ldeale keiner-
lei Chance haben. Die Kilnstlerin beschlieBt
deshalb, ihre Arbeiten in London zu zeigen.
Mit der Erina Brady Dance Group und dem
StLlck (The Voyage of Maeldune> debLltiert
sie im Frrihjahr 1948 in der dortigen Rudolf
Stelner Hall. Es wird die letzte gemeinsame
Performance mit June und Jacqueline wer-
den, denn die beiden haben anderes vor, sehr
zur Enttduschung ihrer Mentorin. June will
die Ausbildung bei Sigurd Leeder fortsetzen
und an der Oxford Theatre School lehren,
Jacqueline geht zundchst nach Nottingham
und schlieBlich nach Paris, wo sie eine eigene
Schule eroffnet und spiiter von der franzo-
sischen Regierung sogar mit dem Orden Che-
valier des Arts et des Lettres ausgezeichnet
wird. Das bewdhrte Dreiergespann hat end-
gtiltig getrennte Wege eingeschlagen.
Derweil brechen schwere Zeiten an fLir Erina
Bradys Dubliner Tanzschule, wie sich die
schon einmal zitierte Zeitzeugin Elizabeth
Moore erinnert: <Es war um das Jahr 1948, als
die Klassen irgendwie zu schrumpfen began-
nen. Eines Tages traf ich im Studio ein und
sollte die Einzige bleiben. lch sorgte mich ein
wenig um Erina. die sich hinsetzte und ein-
fach nur mit mir redete.> Obendrein eroffnet
bald ein groBes Konkurrenz-lnstitut, an dem
Ballett, Stepptanz und Gesellschaftstanz un-
terrichtet werden. Die Grrlnderin Evelyn
Burchall stattet Erina Brady einen Besuch ab
und teilt ihr mit, dass sie kLinftig um jeden
Schtller kdmpfen wird. Elizabeth Moore bilan-
ziert: <Burchall sollte diesen Kampf gewin-
nen, denn schon sehr bald machte Erina Bra-
dy ihre Schule dicht und kehrte lrland den
Rricken.>
Erlna beendet ihr irisches Abenteuer und
geht in die Schweiz, nach Brione, wo ihre al-
ternde Mutter lebt. Sie hdlt sich fortan riber
ihr Privatleben ebenso bedeckt wie r.iber ihre
Familiengeschichte. Dann und wann kommt
ihr guter Freund Hugh Barden zu Besuch, und
als sie gesundheitlich schwiichelt, zieht eine
ihrer ehemaligen Pianistinnen zu ihr.
Was bleibt? Erina Brady hat vielen Anlass zu
Spekulationen gegeben. Einige hielten sie fLir
lesbisch. Andere fur eine Spionin. Sicher ist,
dass sie sich zeitlebens darauf verstanden
hat, Geheimnisse zu wahren. Deshalb umgibt
sie die Aura des Mysteriums, und das noch
posthum. Sie starb im Alter von 70 Jahren in
der Schweiz. Aber in lrland gibt es heute min-
destens 15 zeitgenossische Tanzkompanien.
Sie alle sind: Erina Bradys Erben.
Aus dem Englischen von lklarq Staudacher
Deirdre Mulrooney lebt als freie Journalistin in
lrland und ist Autorin eines Buches iiber Pina
Bausch sowie der Tanzgeschichte <lrish Moves>.
deirdremu lrooney.com

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  • 2. 52-rmDIrloNEN eri na brady-Ea*Em&t ls!f, Selbst unter lrlands fiihrenden Tanzklinstlern war sie noch bis vor Kurzem so gut wie unbekannt: die deutsch-irische Pionierin des modernen Tanzes in den wirren des Zweiten weltkriegs. An sie erinnert Deirdre Mulrooney 58-,rreo'eru ivan li5ka- Wir schenken lhnen die Biografie des Miinchner Ballettdirektors - Auf DVD: <Orpheus> von Montalvo und Hervieu - Auf CD: <Der goldene Schliissel> - Was Tdnzer wirklich verdienen - Und: Das bisher beste Buch zu Anita Berber &CI-rnrEN: TAhtz utp PottrtK offnet euch !-.-- Mlonika Grfrtters, Br.rndesbeauftragte filr Kultur und Medien, hat etwa* iihrig filr den Tanz. Ganz pers6nlich, aber nicht finanziell" Warurn das so ist, und was sie von der Szene erwartet, erklart sie irn GesprSch mit der Redaktion 66-pnoxs tanz dich frei- Aufatmen und die seele fliegen lassen, auch wenn die Krise noch so groB ist: Zwei tanztherapeutische Projekte holen Menschen aus ihrer lsolation. Von Nicole Strecker Serie: Master-Macher - Michel Gascard, Ecole Rudra-B6jart, Lausanne Die Lehrerin: Opay L. Goldberg Auditions, Ausschreibungen, Wettbewerbe, Summerschools und Workshops 80-,rpREssuM _Der direkte weg zu tanz - Vorschau auf kommende Ausgaben * The English texts are available in the tanz-app and at www.kultiversum.de/tanz aPRil 20T 5-ta.:
  • 3. TRADITIONEN Erina Brady mit ihrem Hund Scamp in der Schweiz Foto: Walter Kuhn
  • 4. )rina brady lbst unter lrlands fuhrenden Tanzkunstlern war sie noch bis vor Kurzem gut wie unbekannt: die deutsch-irische Pionierin des modernen Tanzes in rn Wirren des Zweiten Weltkriegs. An sie erinnert Deirdre Mulrooney ;e Frau war ihrer Zeit weit voraus. Sie hat Weg frir die gegenwiirtig blrihende Tanz- lschaft lrlands geebnet - und wurde doch lessen. Wer war Erina Brady? trend lrland, vom Brirgerkrieg der Jahre ? bis 1921 gezeichnet, um nationale Ei- st6ndigkeit ringt, beginnt auf dem Konti- t die Tanzmoderne. Erina Brady, 1891 in Homburg vor der Hdhe als Tochter eines hen Vaters und einer deutschen Mutter oren, tummelt sich in der Szene. ln Dres- kommt sie mit Jaques-Dalcrozes Euryth- und Rudolf von Labans raum-rhyth- :her Bewegungslehre in Beriihrung, dann t sie um das Jahr 1920 Mary Wigmans druckstanz kennen. Zuvor hat die junge mopolitin als Schreibkraft frir die neue he Regierung beim soeben gegriindeten lerbund in Genf gearbeitet und in der ueizer Presse frir die irische Selbstbestim- rg geworben. Dass Brady, die den Namen rds (Eire) im Vornamen tr6gt, auch mit der ;chen Sprache vertraut ist, verdankt sich ifellos dem Einfluss ihres patriotischen rrs Terence. ly wird rasch zur glrihenden Wigman- ingerin. Sie fasst den Entschluss, die mo- derne Bewegungsphilosophie des Aus- druckstanzes nach lrland zu exportieren. Aber das ist nur ein Grund, warum es Erina in die Heimat des Vaters zieht. Sie will auch ihre dortige Verwandtschaft besuchen. die Terence Brady zur persona non grata erklSrt und aus dem Familienstammbaum getilgt hat. Jim Brady, ein Verwandter Erinas, erinnert sich daran, wie er erstmals von seiner <deut- schen> Cousine Kenntnis erlangte: <Nach dem Tod meiner Mutter l6sten wir den Haus- halt auf. und da fiel mir eine alte Keksdose in die Hiinde. Ein Glticksfall, denn sie enthielt unter anderem auch Traueranzeigen und aus- geschnittene Zeitungsartikel.> Einer dieser Artikel stammte von 1941 und berichtete von einer modernen Tdnzerin namens Erina Bra- dy. Jim Brady hatte bis dahin noch nie von dieser Verwandten gehort, ebenso wenig wie von ihrem Vater Terence, der in einer anderen Llberlieferten Notiz als <Dozent fiir Griechisch und Latein> aufgefLihrt wurde. lnzwischen weiB man, dass Terence 1888 aus der Pries- terschaft ausgetreten war, um eine junge Deutsche - Elisabeth Wendland - zu heiraten. Kennengelernt hatte er sie auf einer Reise in die USA, deren Zweck darin bestand, Gelder filr die heimische St. Patrick's Boys' School einzutreiben - jener lnstitution, der er als De- kan und Schatzmeister vorstand. <Ein abtrrin- niger Priester>, meint Jim Brady, <das war damals, in den 1940er-Jahren, nattlrlich nicht leicht zu verdauen. Umso mehr muss es ein Schock filr die Familie gewesen sein, als plotzlich diese junge Frau aus Deutschland auftauchte und sich als leibhaftige Tochter dieses Priesters vorstellte!> Von ihrem lrland-Besuch kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erhofft sich Erina Auss6hnung mit der Familie, der sie aller- dings auch die Mitteilung machen muss, dass der Vater inzwischen verstorben ist. Diese Mission verl6uft nicht durchweg erfolgreich, doch personliche Ri.lckschlSge halten Erina nicht davon ab, in der Dubliner Harcourt Street 39 die <lrish School of Dance> zu eroff- nen. Sie unterrichtet zunichst Kinder, denen sie - egal ob katholischer oder protestan- tischer Konfession - die freie Kcirperaus- druckskunst nahebringen will. Elizabeth Moore, eine ihrer damaligen Elevinnen, erin- nert sich lebhaft: <lch sehe das Studio noch heute vor mir. Man trat ins Gebiude, zog sich in der kleinen Garderobe um und erreichte durch einen Gang die Trir zu dem groBen, +.^7 Et
  • 5. TRADITIONEN lichtdurchfluteten Studio - in dem Erina of- fensichtlich auch wohnte, denn in einer Ni- sche stand ein Bett.> Erina Brady ist nur eine von vielen internatio- nalen Fl0chtlingen, die im neutralen Dublin, wo trotz Ausnahmezustand ein reges KUnst- lermilieu gedeiht, dem Krieg zu entrinnen suchen. lhr deutscher Hintergrund, ihr extra- yagantes AuBeres und ihre Verschwiegenheit erregen jedoch bald die Aufmerksamkeit des Verteidigungsministeriums, das auf die irische Unabhdngigkeit bedacht ist. Zumal sich die Einwanderin in der Harcourt Street 39 unter ihresgleichen bewegt: Sie wird auf das W5rmste von irischen Kr.lnstlern willkoin- men geheiBen, etwa von Hugh Barden, der fur ihre Vorfrihrungen die Brihnenbilder kre- iert und ein lebenslanger Freund bleiben wird. Ein anderer <Hausgenosse> ist der Fil- memacher und Mitbegrr.inder der lrish Film Society, Liam O'Leary (Liam O'Laoghaire), auf den die exotisch anmutende Frau aus Deutschland, die noch dazu des Gilischen mdchtig ist, einen tiefen Eindruck macht' Er dreht sogar einen Werbefilm riber ihre Schu- le, der nebenbei das Portrdt einer ziemlich unkonventionellen Frau inmitten eines eben- so unkonventionellen Zeitalters liefert. Sunni- va O'Flynn, Kuratorin des lrish Film lnstitute, Portret 1941, Fotos von Erina Brady als TSnzerin scheint es keine zu geben meint riber O'Learys <Dance School>, der Film fLlhre <ein krasses Gegenbild zu unseren bisherigen Vorstellungen vom Dubliner Le- ben Anfang der Vierzigerjahre vor Augen.> Unter Verdacht Erina Brady weiB sich mit einer geheimnis- vollen Aura zu umgeben. So bleibt sie auch fLir Detective James McGuire, der vom iri- schen Geheimdienst mit ihrer Observierung beauftragt wird, ein Ritsel. Sie spLirt instink- tiv, dass es dem Gedeihen ihrer Schule kaum zutriiglich sein dr-lrfte, wenn herauskdme, dass ihr Vater einst Priester war. Der Geheim- dienstmann freilich deutet ihre Verschlossen- heit auf seine Weise, wie sein erster Eintrag in Bradys Akte vom 16. April 1941 bezeugt: <lch habe eine Broschr-lre erhalten, die ftir die lrish School of Dance in der Harcourt Street 39 wirbt. Als Schulleiterin ist Erina Brady an- gegeben. Brady bauscht darin ihre Ausbll- dung und berufliche Erfahrung auf und ver- langt dementsprechend 60 Guineen jdhrlich ftir eine dreijdhrige Ausbildung.> Anfdnglich hSlt das Verteidigungsministerium Erina Brady fdlschlicherweise frir eine ein- schliigig bekannte Spionin, die Korrespon- denzen weiterleitet. Ein Verdacht, der sich noch zu erhdrten scheint, als McGuire im Mai eine Postkarte Erinas abfdngt, mit der sie Eduard Hempel, den deutschen Botschafter in lrland. samt seiner Gattin zum Tee in ihr Studio einl6dt. Zu Erinas Unghick fdllt das Ab- fangen der Postkarte mit der Bombardie- rung von Dublins North Strand durch die deutsche Luftwaffe zusammen, die zahlreiche Bewohner totet: fLlr die ermittelnden Behor- den ein weiterer Grund. Erina Bradys Tanz- schule frlr einen Hort feindlicher Konspiration zu halten. Dazu mag auch ihre spezifische ktlnstlerische Ausrichtung beitragen. Diesen Schluss lSsst eine Notiz McGuires vom 23. Juni 1941 zu: <Meiner Ansicht nach ist sie eine Abenteure- rin, weswegen die Vermutung durchaus nahe liegt, dass ihr Unternehmen voR Kr6ften un- terstLitzt wird mit dem Ziel, sie in den Stand zu versetzen, Agententiitigkeiten zu entfal- ten.> Sie scheine, so berichtet McGuire wei- ter, <riber die erhobenen Schulgebr-ihren hi- naus Llber substanzielle Geldbetrdge zu ver- frigen. Mir liegen Hinweise vor. dass sie gelegentlich als r.iberaus freiz0gige Gastge- berin sogenannte <Bottle and Pyjama>-Partys in ihrer Wohnung veranstaltet.rr Erina Bradys kr-lnstlerisches Umfeld ist pazifis- tisch gesonnen und besteht aus zahlreichen Briten, die vor dem Kriegsgeschehen nach lrland geflo.hen sind - was die Regierung, ei- ne Machtribernahme Londons beftlrchtend, mit Misstrauen erfLlllt. Nebenbei hat sich Dublin zu einem Zentrum der Avantgarde entwickelt, und Erina Brady befindet sich mit- tendrin, eng befreundet mit Mltgliedern der White Stag Art Group. Gegrtindet von den Malern Basil Rakoczi und Kenneth Hall, hat sich das Kollektiv einer <Neuen Subjektivitdt> verschrieben und damit mehr und mehr irische Ktinstler in seinen Bannkreis gezogen. Gemeinsam mit Rakoczi ruft Erina die Dub- liner <Society for Creative Psychology> ins Leben. Das Unterrichten alleine lastet sie offenbar nicht aus, schon 1941 entwirft sie zwolf Soli frir die Brihne. Der <lrish lndependent> kom- mentiert die Premiere im Mansion House wohlwollend, betont die exquisiten Kostrime und die exzellente Klavierbegleitung durch Jacqueline Robinson - Pianistin aus Paris, Brady-Sch0lerin und fortan eine ihrer engsten Wegbegleiterinnen. Die eindrLlcklichsten Schilderungen des Abends stammen indes
  • 6. Freunden wie Liam O'Leary: <Als Erina Cy vor Kurzem zu ihrer ersten offentlichen stellung im Mansion House eintraf, hatte r das GefLlhl, dass sie sich auf iiuBerst ge- 'liches Terrain begab. Doch schon in ihrem :en Solo legte sie eine Selbstsicherheit technische Reife an den Tag, dass man Eindruck gewann, es mit einer der besten zerinnen zu tun zu haben, die hier seit ren aufgetreten waren. lhr Gefilhl fLir die rne ist bemerkenswert, ihr musikalisches ;pur ebenfalls, der Gesamteindruck der :r makellosen Beherrschung ihrer Kunst.> rtre GSste Februar 1942 gibt Erina ihr mit Spannung rartetes Debrit im Abbey Theatre: als Cho- grafin frir das in Gdlisch aufgefijhrte <Dr6- Mor5lta, O C5ch>, eine Version des mit- rlterlichen Mysterienspiels <Jedermann>, uie ftlr das Strick <Gloine an lmpire> von olach 6 Raithbhearthaigh. Erinas Reper- 'e reicht krinftig von mittelalterlichen Mys- enspielen bis zu Musicals wie etwa <Rose rie>, das im Galety Theatre zur Auffuhrung nmt. Sie erarbeitet dafLlr die Choreografie I ilbernimmt zudem selbst die Rolle der raw Wanda. lm <lrish lndependent> heiBt am 16. Dezember 1942 dazu: <ln den ge- rwdrtigen Kriegszeiten gibt es immerhin en Hoffnungsschimmer am Horizont, ndm- r fr-lr den krinstlerischen Nachwuchs lr- ds. Das jedenfalls war der vorherrschende druck, den ich nach der begeistert gefei- en Premiere von <Rose Marie> mit nach use nahm. Allen voran gliinzte die unge- rin versierte Ktinstlerin Erina Brady, eine r auch sie. Sie trat bereits im Pariser Th65- Mogador auf, mit dem sie bis nach Tunis d Algier tourte, und ist eine talentierte 'ri.ilerin der besten europiiischen Schulen Fdem Gebiet der Tanzkunst' Wie das groB- ige Stiick <Riot of the Totem Poler zeigte, sie noch dazu eine herausragende Ballett- hrerin.> lche Elogen belegen, dass Erina solide Vor- reit fur ihr Traumziel geleistet hat: die 0ndung eines eigenen Ensembles, der na Brady Dance Company. Daftir veranstal- : sie <dance demonstrations> riberall in lr- rd, stets begleitet von Jacqueline Robin- n. Bald stoBt sie auf die 17-jdhrige June 1er, eine Ausnahmebegabung, die sie unter 'e Fittiche nimmt und zur ersten modernen nzerin lrlands ausbildet. Unsere Kenntnisse von dieser FrLihphase des modernen Tanzes in Dublin verdanken wir vor allem Jacqueline Robinson, die kurz vor ihrem Tod im Jahr 1999 Erina Bradys nahezu verges- sene Unterrichtsmethoden festgehalten hat. ln ihren Memoiren <Modern Dance in 1940s lreland? Yes, There was!> schreibt Robinson: <Das professionelle Training. iihnelte der Aus- bildung, die Mary Wigman in ihren deutschen Wlrkungsstdtten praktizierte. ln der intimen Atmosphiire ihres Studios erlebten wir Erina als fordernd und unnahbar, rr.icksichtsvoll und z6rtlich, krlhl und leidenschaftlich, stets von dem Wunsch beseelt, kompromisslos immer weiter, immer tiefer in die Wahrhaftigkeit der Tanzkunst vorzudringen, der sie sich ver- schrieben hatte. Wir schauten ihren Bewe- gungen zu und betraten eine andere Welt. Wir horten ihr zu und versuchten das umzu- setzen, was sie von uns verlangte, immer in dem Bewusstsein, dass wir uns auf einen lan- gen und ertragreichen Weg begaben. Sie hielt uns dazu an, andere Kunstformen ken- nenzulernen und zu schStzen - Musik, Male- rei, Architektur -, gleichsam immer neue Tii- ren offnend, neue Landschaften enthiillend. Wir wussten um die Reichhaltigkeit ihrer Le- benserfahrungen, auch wenn sie nur wenig Details preisgab. lm Studio wehte der Geist unserer groBen Vorbilder Rudolf von Laban und Mary Wigman, mit denen sie gearbeitet hatte, deren Fotografien an den Wiinden hin- Die von Deirdre Mulrooney entdeckte Geheimakte links: Brady mit dem Maler Basil Rakoczi in Dublin gen und auf deren Kunst und Lehrmethoden sie hdufig Bezug nahm.> Erste B[]hnenpraxis sammeln June Fryer und Jacqueline Robinson als Performerinnen bei den erwiihnten <Bottle and Pyjama Partys> vor Erina Bradys illustren Gdsten. Ohne Zwei- fel ein interessantes Milieu fiir die beiden jungen Frauen, insbesondere filr June, die behritet im Dubliner Siiden aufgewachsen ist. lm Kloster Kurz nach dem Ende des Krieges bricht in lr- land eine Tuberkulose-Epidemie aus, die Bra- dys moderner Kunst zu offizieller Anerken- nung verhilft. Am 28. Mai 1945 eroffnen Worte des Premierministers ihre Tanz-Fanta- sie <A Propaganda Ballet Against Tuberculo- sis>, das im Rahmen einer Veranstaltung des Roten Kreuzes gegeben wird. Auch sonst tun sich neue Horizonte auf, denn dank des kleri- kalen Hintergrunds ihres Vaters hat Erina Bra- dy einen guten Draht zur katholischen Kirche und kann ihre Mission, den modernen Tanz in lrland zu verbreiten, nun auch auf Kloster- schulen ausdehnen. Was nicht ganz problem- los l6uft, wie Robinsons Erinnerungen verra- ten. Bradys Schrilerin, nunmehr im letzten Ausbildungsjahr, soll pidagogische Erfah- rung in einem Ordenshaus sammeln: <Zur ersten Stunde trug ich ein langes flieBendes Gewand, damals eine durchaus Libliche Tanz- APRIL 2015-tanz 55
  • 7. TRADITIONEN Olnen Fou6r5 als Erina Brady bei den Dreharbeiten ann Dokumentarfilm <Dance Emergency, Modern hxa in l9tl0s lrelandn unserer Autorin Deirdre hloon€y. Die Tanzszenen choreogra{ierte Jessica l(emedy vom Junk Ensemble in Dublin Fotos: Dragana Jurisic bekleidung- Unter den Augen einer der Schwestern verlief der Unterricht sehr gut, doch anschlieBend wurde ich zur Mutter Oberin zitiert: <Miss Robinson, mir ist zu Oh- ren gekommen, dass Sie lhren Rock angeho- ben und ihre Beine gezeigt haben, noch dazu in einem weiten Ausfallschritt!r (Wir hatten Pli6s in der zweiten Position gerlbt.) <So etwas kommt hier unter keinen Umstdnden infrage!r Was sollte ich nun aber in der niichsten Wo- che tragen? Um meinen Rock nicht extra an- heben zu m[issen, erschien ich in einer Art kurzer Tunika. Ob das wohl als schicklich durchgehen wrlrde? Vor Unterrichtsbeginn musste ich bei den Schwestern vorstellig wer- den, die mich schockiert ansahen und ver- fiIgten, dass unter keinen Umstdnden ent- bl6Bte Beine gezeigt werden durften. Was sollte ich tun? rTragen Sie beim Unterricht beides, lhr langes Gewand und den Rockb, ordnete die Mutter Oberln an. Das tat ich dann auch. und doch verktindete der Bischof, nachdem der Kurs abgelau{en war, dass kei- nerlei derartige Tanzklassen mehr im Kloster stattfinden solltenl)) qlch finde es SuBerst interessant>, so der Schriftsteller Declan Kiberd iiber den Vorfall, cdass die Nonnen tiberhaupt dazu bereit wa- ren, Brady als Tanzlehrerin zu engagieren. Das deutet darauf hin, dass ihnen durchaus bewusst war, dass die jungen Mddchen in ih- rer Obhut eine derartige korperliche Betiiti- gung dringend notig hatten.> Kiberd meint, dass das Engagement unter Ordensschwes- tern wie Eltern heftig diskutiert wurde: uDie Liberalen unter ihnen befrlrworteten das Un- terfangen und wollten es ausweiten, wdhrend die zur Zensur neigenden Konservativen Be- schwerde einreichten. Die Nonnen hatten ribrigens groBes Verstdndnis filr das dama- lige Konzept der <New Woman> - also das, was wir heute Feminismus nennen.> Der Fortschritt ist freilich nur eine Episode, denn nach Kriegsende platzt die kreative Bla- se, die sich in der Phase der irischen Neutra- litdt herausgebildet hat. Die Ktinstler zer- streuen sich in alle Winde. lrland steuert di- rekt in die repressiven Ftinfzigerjahre hinein, in denen Erina Bradys moderne ldeale keiner- lei Chance haben. Die Kilnstlerin beschlieBt deshalb, ihre Arbeiten in London zu zeigen. Mit der Erina Brady Dance Group und dem StLlck (The Voyage of Maeldune> debLltiert sie im Frrihjahr 1948 in der dortigen Rudolf Stelner Hall. Es wird die letzte gemeinsame Performance mit June und Jacqueline wer- den, denn die beiden haben anderes vor, sehr zur Enttduschung ihrer Mentorin. June will die Ausbildung bei Sigurd Leeder fortsetzen und an der Oxford Theatre School lehren, Jacqueline geht zundchst nach Nottingham und schlieBlich nach Paris, wo sie eine eigene Schule eroffnet und spiiter von der franzo- sischen Regierung sogar mit dem Orden Che- valier des Arts et des Lettres ausgezeichnet wird. Das bewdhrte Dreiergespann hat end- gtiltig getrennte Wege eingeschlagen. Derweil brechen schwere Zeiten an fLir Erina Bradys Dubliner Tanzschule, wie sich die schon einmal zitierte Zeitzeugin Elizabeth Moore erinnert: <Es war um das Jahr 1948, als die Klassen irgendwie zu schrumpfen began- nen. Eines Tages traf ich im Studio ein und sollte die Einzige bleiben. lch sorgte mich ein wenig um Erina. die sich hinsetzte und ein- fach nur mit mir redete.> Obendrein eroffnet bald ein groBes Konkurrenz-lnstitut, an dem Ballett, Stepptanz und Gesellschaftstanz un- terrichtet werden. Die Grrlnderin Evelyn Burchall stattet Erina Brady einen Besuch ab und teilt ihr mit, dass sie kLinftig um jeden Schtller kdmpfen wird. Elizabeth Moore bilan- ziert: <Burchall sollte diesen Kampf gewin- nen, denn schon sehr bald machte Erina Bra- dy ihre Schule dicht und kehrte lrland den Rricken.> Erlna beendet ihr irisches Abenteuer und geht in die Schweiz, nach Brione, wo ihre al- ternde Mutter lebt. Sie hdlt sich fortan riber ihr Privatleben ebenso bedeckt wie r.iber ihre Familiengeschichte. Dann und wann kommt ihr guter Freund Hugh Barden zu Besuch, und als sie gesundheitlich schwiichelt, zieht eine ihrer ehemaligen Pianistinnen zu ihr. Was bleibt? Erina Brady hat vielen Anlass zu Spekulationen gegeben. Einige hielten sie fLir lesbisch. Andere fur eine Spionin. Sicher ist, dass sie sich zeitlebens darauf verstanden hat, Geheimnisse zu wahren. Deshalb umgibt sie die Aura des Mysteriums, und das noch posthum. Sie starb im Alter von 70 Jahren in der Schweiz. Aber in lrland gibt es heute min- destens 15 zeitgenossische Tanzkompanien. Sie alle sind: Erina Bradys Erben. Aus dem Englischen von lklarq Staudacher Deirdre Mulrooney lebt als freie Journalistin in lrland und ist Autorin eines Buches iiber Pina Bausch sowie der Tanzgeschichte <lrish Moves>. deirdremu lrooney.com