Insolvenzrechtsreform_in_Frankreich_2014
- 1. Insolvenzrechtsreform in Frankreich (2014) © Taylor Wessing
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Insolvenzrechtsreform in Frankreich (2014)
Dr. Alfred Fink
Rechtsanwalt und Avocat à la Cour
Mit dem Gesetz Nr. 2014-1 vom 2. Januar 2014 wurde die französische Regierung
ermächtigt, im Erlasswege die gesetzlichen Bestimmungen für Gesellschaften zur
Fortführung ihrer gewerblichen Aktivität zu vereinfachen. Artikel 2 bezog sich dabei
ausdrücklich auf das Insolvenzrecht. Der Gesetzgeber hat mit dem Erlass Nr. 2014-326
vom 12. März 2014 von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und einige wesentliche
Gesetzesänderungen vorgenommen. Diese Änderungen finden auf Verfahren Anwendung,
die am 1. Juli 2014 oder aber nach diesem Datum eröffnet werden.
1. Präventivverfahren:
Mandat ad hoc und conciliation
Das französische Handelsgesetzbuch sieht
neben den gerichtlichen Insolvenzverfahren1
mehrere Präventivverfahren2
vor, die vom
Schuldner beantragt werden können,
solange er nicht zahlungsunfähig ist. Nach
der Zahlungsunfähigkeit können grund-
sätzlich nur noch die gerichtlichen
Insolvenzverfahren beantragt werden. Es
handelt sich dabei um vertrauliche
Verfahren, deren Eröffnung nicht bekannt
gemacht wird und damit nicht in der
Öffentlichkeit stattfinden.
Daneben kann der Wirtschaftsprüfer der
Gesellschaft und die Vertreter der
Arbeitnehmer (Betriebsrat) die Geschäfts-
führung auffordern, Auskunft über die
finanzielle Situation der Gesellschaft zu
geben, wenn sie der Auffassung sind, dass
die Fortführung des Unternehmens
zweifelhaft ist (procédure d’alerte). Diese
Verfahren werden häufig eingeleitet, bevor
ein Präventivverfahren vom Schuldner
beantragt wird.
1
Bei den gerichtlichen Insolvenzverfahren handelt
es sich um den redressement judiciaire und um
die liquidation judiciaire.
2
Bei den Präventivverfahren handelt es sich um
den mandat ad hoc, die concilliation, die
sauvegarde (financière) accélérée und um die
procédure de sauvegarde, wobei das letztere
Verfahren aufgrund seiner Ausgestaltung wohl als
gerichtliches Präventivverfahren angesehen
werden muss.
1.1. Die Reform hat das Konkurrenz-
verhältnis zwischen der procédure d’alerte
und den Präventivverfahren nicht geklärt.
Der Gerichtsbeschluss zur Bestellung eines
mandataire ad hoc wird dem Wirtschafts-
prüfer der (notleidenden) Gesellschaft
zugestellt, gleichwohl führt die Zustellung
nicht automatisch zur Beendigung einer vom
Wirtschaftsprüfer eingeleiteten procédure
d’alerte. Es werden mithin zwei Verfahren
durchgeführt, obwohl der mandataire ad hoc
Vorrang haben sollte. Die parallele
Durchführung von zwei Verfahren kann
darüber hinaus, die Vertraulichkeit des
Präventivverfahrens gefährden, was die
Verhandlungen mit den Gläubigern und
weiterhin die Fortführung des Unternehmens
in Krisenzeiten belasten kann. Wir sind der
Auffassung, dass die procédure d’alerte mit
dem Bestellungsbeschluss des mandataire
ad hoc beendet sein sollte, denn der
Schuldner hat eine Maßnahme ergriffen, um
aktiv die Sanierung des Unternehmens zu
betreiben, was wesentlich über die Warn-
und Sensibilisierungswirkung der procédure
d’alerte hinausgeht.
1.2. Wenn der conciliateur (Schlichter)
alle Gläubiger des notleidenden
Unternehmens über die Eröffnung der
conciliation benachrichtigt hat, kann der
Schuldner den Schlichter bitten, den Verkauf
eines Teils des Unternehmens oder aber
des Unternehmens im Ganzen zu
organisieren. Ein Verkauf kann allerdings
nicht in der conciliation erfolgen, sondern
bedarf eines gerichtlichen Insolvenz-
verfahrens. Der Schlichter kann aber einen
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2Verkauf durch Sondierungsgespräche und
den Entwurf eines Verkaufsvertrages
vorbereiten. Er wird anschließend bei
Gericht seinen Bericht mit dem
Verkaufsvorschlag abgeben und die
Eröffnung eines gerichtlichen Insolvenz-
verfahrens zur Durchführung des Verkaufs
beantragen. Das Gesetz verpflichtet den
Insolvenzrichter, die vom Schlichter
erbrachten Vorarbeiten bei seiner
Entscheidung zu berücksichtigen. Der
Gesetzgeber hat somit die gesetzliche
Grundlage für die Durchführung eines pre-
packaged sale in Frankreich eingeführt.
1.3. Bislang genossen nur Geldgebern
von new money nach Abschluss eines
Moratoriums in der conciliation das Privileg
einer bevorzugten Befriedigung. Mit der
Reform steht das Privileg auch den
Geldgebern zu, die bereits während der
Verhandlung des Moratoriums new money
zur Verfügung stellen (und damit das
Moratorium erst tragfähig machen). Es muss
mithin nicht mehr auf die Entscheidung des
Insolvenzgerichts gewartet werden. Des
Weiteren wird klargestellt, dass das
Insolvenzgericht im Falle eines späteren
Reorganisationsplans dem Geldgeber seine
Rechtsposition als bevorrechtigter Gläubiger
nicht streitig machen kann.
1.4. Wenn die Bestimmungen eines
Vertrages mit Bezug auf die Bestellung
eines mandataire ad hoc oder aber auf der
Eröffnung einer conciliation vorsehen, dass
der Vertrag nur noch unter veränderten
Bedingungen durchgeführt wird (z.B.:
Verschärfung der Vertragspflichten zu
Lasten der notleidenden Vertragspartei oder
(teilweise) Verlust ihrer vertraglichen Rechte
oder Übernahme der Beraterkosten des
Gläubigers), so sind diese unwirksam. Diese
gesetzliche Bestimmung legt es nahe,
entsprechende Vertragsbestimmungen in
Kreditverträgen oder sonstigen Rechts-
geschäften sorgfältig zu hinterfragen.
1.5. Die Vergütung eines mandataire ad
hoc oder eines Schlichters soll nicht mehr
auf der Grundlage der erreichten
Zugeständnisse der Gläubiger noch
aufgrund eines Fixums bei Verfahrens-
eröffnung berechnet werden. Damit können
die Schuldner davon ausgehen, dass der
mandataire ad hoc und der Schlichter keine
eigenen Interessen bei den Verhandlungen
im Hinterkopf haben – dass es zu keinem
Interessenkonflikt kommt.
1.6. Abschließend ist festgelegt worden,
dass nach Abschluss eines Moratoriums auf
die anfallenden Zinsen keine Zinseszinsen
mehr erhoben werden können.
2. Sauvegarde accélérée
In 20103
hat der Gesetzgeber die
sauvegarde financière accélérée eingeführt.
Sie sollte es ermöglichen, das verhandelte
Moratorium – welches nicht von allen
Kreditinstituten (und gleichgestellten
Personen) sowie Anleihegläubigern in der
conciliation angenommen wurde – im
Rahmen der procédure de sauvegarde
durch die entsprechenden Gläubiger-
ausschüsse mit einer zwei Drittel-Mehrheit
annehmen zu lassen (d.h. wenn der
Beschluss mit zwei Drittel-Mehrheit gefasst
wird, wirkt das Moratorium auch gegenüber
den Gläubigern, die im Ausschuss gegen
das Moratorium gestimmt haben). Das
Verfahren konnte jedoch nur von Schuldnern
in Anspruch genommen werden, die
bestimmte Schwellenwerte überschritten
(mehr als 150 Mitarbeiter und Umsatz von
mehr als 20 Millionen Euro im letzten
Wirtschaftsjahr) und nur gegenüber
Kreditinstitute (und diesen gleichgestellte
Personen) sowie Inhabern von
Schuldverschreibungen.
Die neue sauvegarde accélérée kann von
Schuldner gegenüber allen Gläubigern
benützt werden, wobei die Schwellenwerte
im Vergleich zur sauvegarde financière
accélérée niedriger sind.
Die sauvegarde accélérée kann nur vom
Schuldnern beantragt werden, wenn dieser
sich bereits in der conciliation befindet, das
verhandelte Moratorium von den Gläubigern
nicht angenommen wurde und die
begründete Aussicht besteht, dass das
verhandelte Moratorium innerhalb einer Frist
von 1 bis 3 Monaten durch die Gläubiger-
ausschüsse angenommen wird. Die
Zahlungseinstellung des Schuldners
verhindert grundsätzlich nicht die Eröffnung
der sauvegarde accélérée, wenn der Antrag
3
Gesetz Nr. 2010-1249 vom 22. Oktober 2010.
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3auf Eröffnung der conciliation innerhalb von
45 Tagen nach Zahlungseinstellung der
Gesellschaft gestellt wurde.
Die beiden Verfahren stehen neben-
einander. Die sauvegarde financière
accélérée hat ihre eigenen Schwellenwerte,
findet nur auf Kreditinstitute (und diesen
gleichgestellte Personen) sowie Anleihe-
gläubiger Anwendung und muss innerhalb
von einem Monat (mit einer einmaligen
Verlängerungsmöglichkeit um einen Monat)
beendet sein4
, während die sauvegarde
accélérée auf alle Gläubiger Anwendung
findet und innerhalb einer Frist von 1 bis 3
Monaten beendet sein muss.
3. Stärkung der Gläubigerrechte
Der Gesetzgeber hat mit der Reform die
Rechtstellung der Gläubiger im Verfahren
gestärkt:
3.1. Nach bisherigem Recht konnte nur
der Schuldner einen Reorganisationsplan für
sein Unternehmen entwerfen und den
Gläubigerausschüssen zur Entscheidung
vorlegen. Es oblag, dann alleine dem
Schuldner die Kritik oder die Anregungen der
Gläubiger in seinem Plan aufzunehmen. Die
Gesetzreform erlaubt es nunmehr den
Gläubigern, einen eigenen Reorganisations-
plan zu entwerfen und in das Verfahren
einzuführen. Das Insolvenzgericht wird
anschließend zwischen den konkurrierenden
Reorganisationsplänen entscheiden müssen.
3.2. Jeder Gläubiger ist nunmehr
verpflichtet den Insolvenzverwalter über das
Bestehen von einer convention de
subordination (Nachrang-/Vorrang-
vereinbarung sowie Stimmrechtsbindung) zu
informieren, die zu einer teilweisen oder
vollständigen Zahlung eines Anspruchs
führen kann. Der Insolvenzverwalter wird
jedem Gläubiger auf der Grundlage der
convention de subordination seine
4
In der Praxis muss das Insolvenzgericht über das
Moratorium innerhalb eines Monats nach dem
Datum des Eröffnungsbeschlusses entschieden
haben, so dass es nicht verwundert, dass der
Insolvenzrichter (juge commissaire) die
gesetzliche Frist zur Beschlussfassung des
Gläubigerausschusses auf 8 Tage reduzieren
kann.
Berechnung zur Festlegung seiner
Stimmrechte mitteilen. Sollte es zu einem
Streit über die Verteilung der Stimmrechte
kommen, so kann der Gläubiger oder aber
der Insolvenzverwalter den Streit dem
Gerichtspräsidenten vorlegen, damit dieser
in einem summarischen Verfahren den Streit
entscheidet. Der Gesetzgeber hatte bereits
in 2010 eine gesetzliche Bestimmung
eingeführt, gemäß derer bei der Erstellung
eines Reorganisationsplanes die
Bestimmungen einer vor Eröffnung des
Verfahrens vereinbarten convention de
subordination zu berücksichtigen sind. Es
scheint uns augenfällig, dass die neue
Regelung zukünftig wohl zu Streitigkeiten
Anlass geben wird.
3.3. Die Möglichkeit einen
Gesellschafter/Aktionär im Rahmen eines
Insolvenzverfahrens auszuschließen wurde
lange erörtert. In einer procédure de
sauvegarde sieht das Gesetz diese
Möglichkeit nicht vor und in einem
gerichtlichen Insolvenzverfahren kann von
dieser Möglichkeit nur Gebrauch gemacht
werden, wenn es sich um die
Wiederherstellung des gezeichneten
Kapitals – also um eine Kapitalerhöhung
handelt. Der Insolvenzverwalter kann in
diesem Fall bei Gericht die Bestellung eines
unabhängigen Dritten beantragen, dessen
Aufgabe es sein wird, die Gesellschafter-
/Hauptversammlung einzuberufen und
anstelle des Gesellschafters/Aktionärs das
Stimmrecht bei der Abstimmung über die
Kapitalerhöhung auszuüben.
Die Einschränkung der Gesellschafter-
/Aktionärsrechte ist jedoch unzureichend
und der Gesetzgeber arbeitet bereits an
einem neuen Gesetzesvorhaben, das den
Ausschluss eines Gesellschafters/ Aktionärs
möglich machen soll. Es ist allerdings noch
nicht geklärt, in welcher rechtlichen Form
dies geschehen soll. Es ist anzunehmen,
dass der Gesellschafter/Aktionär nur dann
ausgeschlossen und durch einen neuen
Gesellschafter/Aktionär ersetz werden soll,
wenn dies zur Durchführung des
Reorganisationsplanes notwendig ist und
der neue Aktionär sich verpflichtet, die
Bestimmungen des Reorganisationsplans
einzuhalten und die entsprechenden Anteile
(Gesellschaftsanteile oder Aktien) mehrere
Jahre zu halten.
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43.4. Darüber hinaus kann das Gericht im
Beschluss zur Annahme des
Reorganisationsplans den Insolvenz-
verwalter bevollmächtigen, eine
(außerordentliche) Gesellschafter-/Haupt-
versammlung einzuberufen, um die
planmäßige Satzungsänderungen oder
Änderungen des Gesellschaftsvertrages zu
beschließen. Der Beschluss kann darüber
hinaus von der gesetzlich vorgesehenen
qualifizierten Mehrheit zur Annahme des
Beschlusses abweichen und die wirksame
Annahme durch einfache Mehrheit
vorsehen. Das heißt, dass die
Beschlussfassung erfolgt nicht mit zwei
Drittel der anwesenden oder vertretenen
Gesellschafter/Aktionäre, sondern mit einer
einfachen Mehrheit von mehr als 50% der
Stimmen.
4. Verschiedenes
4.1. Das Verfahren zur Anmeldung von
Forderungen im Insolvenzverfahren ist
vereinfacht worden. Wenn der Schuldner
dem Vertreter der Gläubigerinteressen
Ansprüche seiner Gläubiger angezeigt hat,
wird unterstellt, dass er die Anzeige im
Namen des Gläubigers vorgenommen hat.
Der Anspruch gilt dann als angemeldet. Es
ist dem Gläubiger jedoch unbenommen,
Unterlagen zum Nachweis seines Anspruchs
einzureichen, was insbesondere dann von
Nöten ist, wenn er mit der Höhe des
angezeigten Anspruchs und/oder der
angezeigten Sicherheit zur Durchsetzung
seines Anspruchs nicht einverstanden ist.
4.2. Die Staatsanwaltschaft ist im
französischen Insolvenzverfahren der
Vertreter des allgemeinen (öffentlichen)
Interesses (intérêt général) und hat eine
Reihe von Einflussmöglichkeiten. Seine Rolle
wird durch die Reform noch verstärkt. Die
Vergütungsvereinbarung des conciliateur
wird beispielsweise erst nach Konsultation
der Staatsanwaltschaft festgelegt.
4.3. Bislang konnte nur der Schuldner die
Überführung einer procédure de sauvegarde
in ein gerichtliches Insolvenzverfahren
(redressement judiciaire oder liquidiation
judiciaire) beantragen, wenn innerhalb der
gesetzlichen Frist kein Reorganisationsplan
von den Gläubigerausschüssen
angenommen wurde. Mit der Reform steht
jetzt dem Insolvenzverwalter, dem Vertreter
der Gläubigerinteressen und der
Staatsanwaltschaft ebenfalls ein Antrags-
recht zu.
4.4. Gemäß Artikel L. 622-13 des
französischen Handelsgesetzbuches
betreffend laufender Verträge muss der
Schuldner während der procédure de
sauvegarde seine Zulieferer nicht mehr in
bar bezahlen, wenn der Vertrag fortgesetzt
wird; dies gilt allerdings nur für die procédure
de sauvegarde.
Wenn in einem (Entwurf eines)
Reorganisationsplans eine Modifikation des
gezeichneten Kapitals vorgesehen ist, sind
die Genehmigungsklauseln als ungültig
anzusehen.
Der französische Gesetzgeber hat das
Insolvenzrecht in den letzten Jahren5
erheblich reformiert, um die Fortführung
notleidender Unternehmen möglich zu
machen. Dieser Reformprozess hat und
hatte insbesondere die praktischen Aspekte
der verschiedenen Verfahren im Auge und
hat dabei Anleihen in der anglo-
amerikanischen Rechtsordnung gemacht
(cram-down, pre-packed deal, etc.). Dieser
Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen,
denn es gibt noch einige
gesellschaftsrechtliche Bestimmungen aus
insolvenzrechtlicher Sicht zu korrigieren
(Ausschluss von Alt-Gesellschaftern/-
Aktionären und Aufnahme von neuen
Gesellschaftern und Aktionären), die
sicherlich Gegenstand der nächsten Reform
sein wird.
5
Gesetz Nr. 2005-845 vom 26. Juli 2005, Erlass
Nr. 2008-1345 vom 18. Dezember 2008, Gesetz
Nr. 2010-1249 vom 22. Oktober 2010, Gesetz
Nr. 2012-346 vom 12. März 2012 und Gesetz
Nr. 2012-387 vom 22. März 2012.
Dr. Alfred Fink
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