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18                       S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g



Friedemann Hesse

«Saftley Benefit Medisystem»
Sichere Medikamentenabgabe in der Wohnheim-Versorgung
der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SBBL

Zusammfassung
Trotz des starken Mangels an Fachkräften bedingt durch die steigenden Anforderungen, braucht es effiziente Abläu-
fe bei gleichbleibend hohem Qualitätsstandard für die stetig zunehmende Anzahl betreuungsbedürftiger Menschen.
Das Wohnheim Titlis, ein Wohnheim für erwachsene Menschen mit schwerer geistig und körperlich mehrfacher Be-
hinderung, hat für die Medikamentenabgabe an die Bewohnerinnen und Bewohner ein System entwickelt, das die Si-
cherheit erhöht.

Résumé
Le système en réseau pour l’octroi de médicaments permet une réduction du taux d’erreurs ainsi qu’une économie
detemps, dont les pensionnaires de l’institution peuvent alors bénéficier.
Le centre résidentiel Titlis, une institution pour adultes atteints de handicaps intellectuels sévères et sujets à des han-
dicaps physiques lourds, a développé un système d’octroi des médicaments qui augmente la sécurité.



                         Rahmenbedingungen zum Schutze                                handlung bedürfen. In diesem Bereich wer-
                         der Bewohnerinnen und Bewohner                               den durch die hohe Anzahl an Verschrei-
                         und der Institution                                          bungen die Fehlereintrittswahrscheinlichkeit
                         Das Thema der Medikamentensicherheit in                      noch ausgeprägter.
                         Institutionen steht in einem übergeordne-
                         ten gesundheitspolitischen Interesse und                     Menschen leben im Verantwortungsbereich
                         entspricht der Qualitätsstrategie des Bun-                   von Institutionen und bedürfen dort oft der
                         des. Der Bereich der medikamentösen Ver-                     Unterstützung von Medikamenten:
                         sorgung der Bevölkerung spielt dabei in zu-                  •	 In Privathaushalten leben im Alter zwi-
                         nehmendem Masse eine wichtige Rolle. Die                        schen 16 und 64 Jahren ca. 14  bzw.
                                                                                                                          %
                         Entwicklungen des demographischen Wan-                          730 000 Personen mit leichter Behinde-
                         dels und die Zunahme in der Versorgungs-                        rung und 4 % bzw. 200 000 Personen mit
                         komplexität führen dazu, dass Personen mit                      starker Einschränkung.
                         Unterstützungsbedarf zukünftig noch mehr                     •	 In Institutionen für Menschen mit Behin-
                         Leistungen beanspruchen werden. Darum                           derung gibt es extern betreut 22     038
                         sollten Systeme zur Verfügung stehen, die                       Plätze und intern 22 624 Beherbergungs-
                         eine optimale und kostengünstige Grund-                         plätze.
                         versorgung sicherstellen können. Es wäre                     •	 In Institutionen für Suchtkranke und Ins-
                         noch anzufügen, dass in den verschiedenen                       titutionen für Personen mit psychosozia-
                         zuweisenden Institutionen Menschen be-                          len Problemen liegt die Gesamtzahl für
                         treut werden, welche in ihrem Leben oft ei-                     intern und extern betreueten Plätzen bei
                         ner chronisch bedingten Medikamentenbe-                         6740.

                                                                                    Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g   19



•	 In Altersheimen und Pflegeheimen liegt                        Qualifikation über eine Herstellerbewilli-
   die Anzahl heute bei 91 781 Betten.                           gung verfügen.»

Quellen: Angabe des Schweizerischen Bun­                         Quelle: Regeln der Guten Abgabepraxis für
desamt für Statistik (BfS) 2012                                  Heilmittel der Kantonsapothekervereinigung
                                                                 Schweiz 14. September 2009

Momentan fehlt es immer noch den Institu-
tionen an Mut über Fehler zu sprechen. För-                      Generell ist bei der Umsetzung eines Medi-
derlich wäre es, wenn die Teilnehmerinnen                        kamentenmanagements zu überlegen, was
und Teilnehmer sowie Fachpersonen des                            entsprechend dem HMG und der GAP an
Gesundheitswesen und der Institutionen,                          Auflagen zu erfüllen sind und wer diese
gemeinsam nach innovativen und konkre-                           Aufgaben idealerweise für die Institutionen
ten Lösungsansätzen suchen und diese                             übernehmen kann. Konkret benötigt es ei-
auch in der Praxis konkret umsetzen.                             ne Bewilligung, wenn die zu pflegende Per-
                                                                 son auf eine übertragene Hilfestellung an-
Langzeitplätze Kurzzeitplätze                                    gewiesen ist und die Institution eine Aus-
Bezüglich der medikamentösen Grundver-                           führungsdienstleistung anbietet und somit
sorgung in unseren Institutionen sind die                        Verantwortung übernimmt.
übergeordneten Rahmenbedingungen im                              	    In der Praxis können Institutionen hier-
Bundesgesetz über Arzneimittel und Medi-                         für zwischen zwei fachtechnisch verant-
zinprodukte (HMG) vordefiniert. Deren Voll-                      wortlichen Personen wählen, welche die
zug zur sicheren Abgabe / Anwendung von                          mit der Bewilligung verbundenen Aufgaben
Heilmitteln obliegt wiederum dem Aufga-                          betreuen. Dafür schliesst die Institution mit
benbereich der Kantone. Hierfür wurden die                       der jeweiligen fachtechnisch verantwortli-
Regeln der guten Abgabepraxis für Heilmit-                       chen Person (Arzt oder Apotheker) einen
tel (GAP) von der Kantonsapothekervereini-                       Zusammenarbeitsvertrag ab, welcher die
gung (KAV) Schweiz im Jahr 2009 gemäss                           Verantwortung für die Beratung, Anleitung,
der aktuellen Gesetzgebung und der Inter-                        Haftung und Aufsichtspflicht zur richtigen
pretation des gesetzlich vorgegebenen ak-                        Umsetzung der Medikamentenabgabe und
tuellen Stands der medizinischen und phar-                       der ökonomischen Verantwortung in der je-
mazeutischen Wissenschaft beschlossen.                           weiligen Institution regelt.
Die GAP hat zwar keinen Rechtscharakter.                         	    Im Tarifvertrag zwischen dem Verband
Sie ist aber für die Umsetzung der Ausfüh-                       der schweizerischen Krankenversicherer (KV)
rungsbestimmung des HMG, die Vollzugs-                           (Santésuisse) und dem schweizerischen Apo-
hilfe bei der Bewilligungspflicht von Betrie-                    thekerverband (pharmaSuisse) sind hierfür
ben im Gesundheits- und Sozialdeparte-                           die Abgeltungen festgelegt. Die darin be-
ment des Kantons Luzern zuständig.                               schriebene leistungsorientierte Abgeltung
                                                                 (LOA IV) hat u. a. zum Ziel, die Qualität und
«Richten von Medikamenten bei Entnahme                           Sicherheit des Medikationsprozesses zur Ver-
aus der Primärverpackung über 24 Stunden                         besserung der Compliance sicher zustellen.
z.  im Wochendispenser unterliegt dem
  B.                                                             Ebenfalls werden die Leistungen der KV, als
Gesetz zur Herstellung. Eine fachtechnische                      wichtigster Träger des Gesundheitssystems,
Verantwortliche muss mit entsprechender                          transparent normiert. Sie ermöglicht die Ent-

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
20             S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g



               kopplung des Einkommens vom Produkte-                        Behinderung an 365 Tagen im Jahr, oft ein
               preis der Medikamente durch eine vereinbar-                  Leben lang, betreut. Gehen wir beispiels-
               te tarifliche Abgeltung der Dienstleistungen.                weise von 29 Bewohnern aus, welche 8,31
               Leider kann diese nicht für Pflegeheime, Spi-                Medikamente pro Tag über einen Zeitraum
               tex und Spitäler angewendet werden, wo-                      von durchschnittlich 65 Lebensjahren ein-
               durch eine Kosten- oder Leistungsumwäl-                      nehmen, ergibt sich die beeindruckende
               zung erfolgt. Mit einer einheitlichen Umset-                 Zahl 5  488 Einheiten. Diese Menge
                                                                                    717 
               zung könnten diese Kosten, welche heute                      muss nach dem alten System durch die Pfle-
               über die Margeverrechnung für rezeptpflich-                  gefachpersonen kontrolliert, gelagert, or-
               tige Medikamente und Spezialitäten entste-                   ganisiert, konfektioniert, etikettiert und
               hen, gemindert und gesteuert werden.                         verpackt werden. Dabei ist besondere Vor-
                                                                            sicht geboten, da es im Alltag fast automa-
               Ausgangslage im Wohnheim Titlis                              tisch zu den bekannten Fehleranfälligkeiten
               Laut der Jahresauswertung, die vom Sep-                      und Fehlerquoten kommen kann.
               tember 2009 bis September 2010 durchge-
               führt wurde, erhielten die Bewohnerinnen                     Vor der Einführung des neuen Systems gin-
               und Bewohner des Wohnheims Titlis der SS-                    gen in der gesamten Stiftung bis zu 75 Pro-
               BL rund 87 950 verschiedene vom Arzt ver-                    zent der freiwillig gemeldeten CIRS-Fehler
               ordnete Medikamentenportionen. Dabei                         auf das Konto des Medikamentenmanage-
               benötigt nicht jeder Bewohner täglich Me-                    ments. Das CIRS Instrument erfasst dabei
               dikamente, dennoch sind es im Durch-                         systematisch die gemeldeten sicherheitsre-
               schnitt pro Tag und Bewohner rund 8,3 re-                    levanten und risikobehafteten Ereignisse
               zeptpflichtige Medikamenteneinheiten,                        aus dem Arbeitsalltag der Mitarbeitenden.
               aufgeteilt in drei bis vier Portionen (mor-                  Diese werden dann in der Folge analysiert
               gens, mittags, abends, nachts). Für jede                     und entsprechende Massnahmestrategien
               dieser Einheiten ist rechtlich gesehen der                   abgeleitet. Trotz institutionalisiertem Qua-
               Ablauf von der Verordnung, Bestellung, Lie-                  litätsmanagementsystem, darauf basieren-
               ferung, Lagerung, Kennzeichnung, Doku-                       der Evaluation der Fehlerquellen und Ver-
                                                                            besserung der Abläufe, liess sich die Fehler-
Die Bewohnerinnen und Bewohner                                              quote in der Vergangenheit nicht merklich
                                                                            reduzieren. Die Geschäftsleitung beschloss
des Wohnheims Titlis der SSBL erhielten
                                                                            deshalb, das Medikamentenmanagement
rund 87 950 verschiedene vom Arzt                                           grundlegend zu überarbeiten. Um sicherzu-
verordnete Medikamentenportionen.                                           stellen, dass die gesetzlichen Rahmenbe-
                                                                            dingungen eingehalten werden, wurde der
               mentation, Überwachung bis zur Anwen-                        Luzerner Kantonsapotheker aktiv in das
               dung durch eine Fachkraft sicher zustellen.                  Projekt mit eingebunden.
               Dieser enorme Aufwand bindet wertvolle,
               personelle Ressourcen.                                       Zuerst wurde eine öffentliche Apotheke als
               	    Durch ein einfaches Rechenbeispiel soll                 Fachstelle für die Bewirtschaftung von Me-
               die Gesamtdimension verdeutlicht werden.                     dikamenten gesucht, die zudem bereit war,
               In unseren Institutionen werden Menschen                     als Schnittstelle zwischen Heim, Ärzten und
               mit einer schweren geistig- und mehrfachen                   Herstellerin der Medikamentenblister mit-

                                                                          Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
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zuarbeiten. In einem Zusammenarbeitsver-
trag wurden sowohl die rechtlichen Anfor-
derungen als auch die Dienstleistungen fest-
gehalten. Weiter galt es, die behandelnden
Ärzte für das neue System und die vorhan-
denen Fehlerquellen im Medikamentenab-
gabebereich des Wohnheimalltags zu sensi-
bilisieren. Da einige unserer Ärzte gewohnt
sind, weitgehend eigenständig zu handeln
und die Medikamente direkt aus der Praxis
an die Bewohner abzugeben oder ins Heim
zu liefern, bedeutet das Veränderung. Die
wichtige und gute Zusammenarbeit zwi-
schen Heim und Arzt zeigte, dass man durch
einen rationelleren Ablauf eine Optimierung
für die Behandlung der Bewohnerinnen und                                                                                                               Abbildung 1:
Bewohner im Heim erzielen kann.                                  Das System bietet dabei in erster Linie eine                                          Perlenkette
	     Heute stammen alle Medikamente aus                         hohe Sicherheit und Vereinfachung der                                                 der Verantwort­
                                                                                                                                                       lichkeit
einer Quelle und laufen über die See-Apo-                        komplizierten Alltagsabläufe und unsere
theke in Luzern, die als fachtechnische Ver-                     Fachpersonen können sich optimal auf das
antwortliche die Prozessabläufe begleitet                        Kerngeschäft konzentrieren. Die Grafik
und die Qualitätssicherheit prüft.                               (Abb. 2) zeigt, dass im Durchschnitt pro
	 Die festen Medikamente (Tabletten,                             Wohngruppe und Monat 6 Arbeitsstunden
Kapseln, Dragées etc.) werden von einer                          eingespart werden. Das entspricht einer
                                                                                                                                                       Abbildung 2:
spezialisierten Pharmyafirma zu einem «Me-                       Ressourcenoptimierung und Zeitreduktion
                                                                                                                                                       Vergleich
difilm» verblistert (vgl. Kasten). Dabei hat                     von 60  zu Gunsten des Kernauftrages,
                                                                        %                                                                              der Optimierung
sich das Wohnheim Titlis für einen wöchent-                      der Begleitung und Betreuung unserer Be-                                              der Arbeits­
lichen Lieferrhythmus entschieden. Dieser                                                                                                              zeitressourcen
kann jedoch jederzeit individuell angepasst
werden. Bei Bedarf sind Lieferungen inner-                                             Vergleich der Arbeitsstunden vor (2009) und nach (2010)
                                                                                       Medikamentenmanagements «Modell Titlis»
halb 24 Stunden möglich, jedoch kommt dies
im stationären Betreuungsalltag kaum vor.                                        WG1




Das Pilotprojekt «Modell Titlis»                                                 WG2

Der Medikamentenprozess mit seinen insti-
                                                                   Wohngruppen




tutionellen Parametern wurde ganz bewusst                                        WG3


zusammengestellt und quasi wie eine Per-
lenkette aufgefädelt. Dazu zählen Arbeitsab-                                     WG4



läufe, Strukturen, Ablauforganisation, räum-
                                                                                 WG5
liche, personelle und materielle Ressourcen,
die Einbindung der therapeutisch-medika-                                               0             2              4              6               8       10      12
                                                                                                                        Arbeitsstunden pro Monat
mentösen Behandlungsabläufe und die Zu-
                                                                                           Arbeitsstunden in 2009        Arbeitsstunden in 2010
sammenarbeit zwischen den Beteiligten.

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
22                                                S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g



                                                  wohnerschaft. Diese Zeitersparnis wirkt                      Raum bei Logistik- und Administrationsauf-
                                                  sich positiv und direkt auf die Arbeitsbelas-                gaben aufhalten zu müssen, können die
                                                  tung aus.                                                    dringend benötigten Fachpersonen nun ih-
                                                  	    Pro Wohngruppe und Monat reduziert                      re Zeit dort einsetzen, wo sie am wertvolls-
                                                  sich die Arbeitszeit für Bereitstellung, Lage-               ten ist, nämlich mit der Bewohnerschaft.
                                                  rung, Kontrolle und Dokumentation der                        Kommt hinzu, dass in einem Wohnheim für
                                                  Medikamente um sechs Stunden.                                geistig behinderte Menschen das Betreuer-
                                                                                                               team sehr heterogen ist. Zwar gibt es für je-
                                                                                                               de Wohngruppe eine Pflegefachperson, die
     Vergleich des Gesamtlagerbestands vor (2009) und nach (2010)
                                                                                                               für die Medikamente verantwortlich ist.
     Einführung des neuen Medikamentenmanagementssystems
     «Modell Titlis»                                                                                           Doch kann diese nicht an 365 Tagen rund
                                                                                                               um die Uhr anwesend sein. Es ist daher im
                                                            800
                                                                                                               Alltag unerlässlich, dass auch andere Team-
                                                            700
                                                                                                               mitglieder die Medikamentenversorgung si-
                                     Anzahl der Einheiten




                                                            600

                                                            500
                                                                                                               cherstellen können.
                                                            400

                                                            300                                                Mehr Sicherheit
                                                            200
                                                                                                               durch klare Kommunikation
                                                            100

      Anwendungen und Produkte                               0
                                                                                                               Alle Abläufe sind dokumentiert und werden
      nicht rezeptpflichtige Medikamente                          vor 2009
                                                                             Jahr
                                                                                    nach 2010
                                                                                                               gemäss den vorgegebenen, gesetzlichen
      rezeptpflichtige Medikamente
                                                                                                               Rahmenbedingungen des Bundesgesetzes
Abbildung 3:                                                                                                   über Arzneimittel und Medizinprodukte
Vergleich der Re­                                 Durch die beeindruckende Reduktion der                       (HMG) und den Regeln der Guten Abgabe-
duktion der Lager­                                Lagermenge um 56 % wird die Abgabe der                       praxis (GAP) von verschiedenen Fachperso-
bestände
                                                  Medikamente wesentlich übersichtlicher                       nen kontrolliert. Der Arzt trägt seine Verord-
                                                  und die Verwaltung konnte um 60 Prozent                      nung direkt in das neu entwickelte Medika-
                                                  verringert werden. Die «rezeptpflichtigen                    mentenrezeptblatt der jeweiligen Bewohne-
                                                  Medikamente» sanken von 358 auf 83 Ein-                      rinnen und Bewohner ein. Dies beinhaltet
                                                  heiten (77 %) und «nicht rezeptpflichtigen                   alle Daten, die für die aktuelle Situation und
                                                  Medikamente» von 121 auf 73 Einheiten                        die Weiterbehandlung relevant sind. Somit
                                                  (40 %). Die «Anwendungen und Produkte»                       ist sichergestellt, dass auch bei einem Arzt-
                                                  (Bepanthen plus creme, Schnellverbände                       oder Therapeutenwechsel, dieser immer
                                                  etc.) von 294 auf 183 Einheiten (38 %).                      über die aktuelle medikamentöse Behand-
                                                  	 Das Fazit nach inzwischen rund zwei                        lung der Bewohnerinnen und Bewohner in-
                                                  Jahren Erfahrung ist äusserst positiv. Im                    formiert ist. Zudem lassen sich alle Verläufe
                                                  Haus befinden sich nur noch die wöchent-                     nachvollziehen und auch die Behandlungs-
                                                  lich tatsächlich gebrauchten Medikamente.                    folge der zum Teil verschiedenen behan-
                                                  Die aufwändigen Kontrollen der Verfallda-                    delnden Ärzte ableiten. Somit ist auch die
                                                  ten sind nicht mehr nötig und bei einer The-                 Gesamtverantwortung bezüglich aller an-
                                                  rapieänderung bleiben keine angebrauch-                      gewendeten Präparate sicher gestellt.
                                                  ten Packungen zurück. Die Abrechnung er-
                                                  folgt entsprechend dem Verbrauch. Statt                      Auf diesem wichtigen neuen Formular wer-
                                                  sich stundenlang in einem abgetrennten                       den die für den Abgabeprozess wichtigen

                                                                                                             Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g   23



Bewohnerinformationen ganzheitlich doku-                         jeder Wohngruppe ein Selbstevaluations-
mentiert und auf einer Kommunikations-                           Fachaudit durchzuführen und dieses mit ei-
oberfläche abgebildet. Es enthält Notfall-                       nem Bericht und geeigneten Verbesse-
und Arzneimittel-Reserven und umfasst die                        rungsmassnahmen abzuschliessen. In Zu-
Angaben zum Einnahmetag, Konzentration,                          sammenarbeit mit den Pflegefachpersonen
Galenik, Anwendung / Menge / Zeit, Hinweis                       bietet die Vertragsapotheke zudem spezifi-
zur Anwendung, Maximumdosierung/Zeit-                            sche Wohngruppen-Mitarbeiterschulungen
punkt, Lagerort und die Indikation, sowie                        an, die sich auf die Bewohnerschaft und de-
eine Riskoeinschätzung betreffend Medika-                        ren aktuelle Therapie beziehen. Gemäss
menten-Allergien oder Antikoagulation.                           dem «Sechs * Vier-Augen-Prinzip» sind nun
Dieses Formular wird vom behandelnden                            alle beteiligten Medikamentenspezialisten
Arzt als anerkanntes Rezept, unter der Be-                       optimal involviert (*  echs Augen bei der
                                                                                        s
rücksichtigung aller schon gesetzten Thera-                      Kontrolle durch Arzt, Apotheker und Pflege-
pien, verordnet und durch den Apotheker                          fachperson bei der Verordnung und Diagno-
vor jeder Bestellung geprüft. Somit sind für                     sestellung; vier Augen bei der Anwendung
die Pflegefachkräfte im Wohnheim alle                            vor Ort durch zwei Mitarbeitende, die eine
wichtigen Anforderungen erfüllt.                                 weitere Kontrolle vornehmen).
	     Anschliessend wird das ärztlich bestä-
tigte Verordnungsblatt als Rezept an den                         Der Stellenwert unserer Fachmitar-
Vertragsapotheker übermittelt. Dieser kon-                       beiter und deren Verantwortung
trolliert die Dosierungen, überprüft die Ver-                    Die Pflegefachkräfte sind das wichtigste
ordnung auf Interaktionen und mögliche                           Bindeglied in der Kommunikation, Schulung
Unverträglichkeiten und macht gegebenen-                         und Sensibilisierung der Mitarbeitenden in
falls Vorschläge zu einer kostengünstigeren                      den Institutionen. Die hohe Verantwortung
Therapie zu Handen des behandelnden Arz-                         der Pflegefachkräfte wird durch das Projekt
tes. Bei Fragen nimmt die Apotheke Rück-                         auf das Thema der Abgabe ausgerichtet.
sprache mit dem behandelnden Arzt oder                           Durch die Entlastung über das Modell Titlis
der zuständigen Pflegeperson im Wohn-                            können sich die Pflegefachkräfte mit den
heim. Der Apotheker übermittelt die berei-                       neu gewonnenen Zeitressourcen auf diesen
nigten Verordnungen an die Firma Medi-                           wichtigen Teil konzentrieren und somit ei-
film, welche die Blister gemäss der aktuel-                      nen Beitrag zum «letzten Meter» im Bereich
len Rezepte noch einmal zur Sicherheit prüft                     der sicheren Medikamentenabgabe leisten.
und für jeden Bewohnerin und jeden Be-                           Pflegefachkräfte sind keine Lageristen und
wohner die individuelle Medifilmbox her-                         sollten die knapp vorhandene Zeit lieber im
stellt. Die direkte Lieferung an die entspre-                    Kerngeschäft mit der Bewohnerschaft und
chende Wohngruppe erfolgt durch die Apo-                         Mitarbeiterschulungen einsetzen. Wie bei
theke. Die verantwortliche Pflegefachper-                        jeder Änderung, musste auch die Leitung
son überprüft den Wareneingang. Damit ist                        des Wohnheims Titlis am Anfang Überzeu-
im Rahmen der gesetzlichen Auflagen si-                          gungsarbeit leisten. Wenn seit Jahren «be-
chergestellt, dass der Prozess und die Doku-                     währte» Abläufe hinterfragt werden, löst
mentation der Verordnungen jederzeit                             dies skeptische Fragen aus. Andererseits
nachvollziehbar sind. In der Verantwortung                       war allen Beteiligten klar, dass eine so hohe
der Apotheke liegt es auch, regelmässig in                       Fehlerquote bei einer so grossen Menge an

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
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               Medikamenten nicht hingenommen wer-                          lerhaften Handlungen, können helfen, die
               den kann und auf der Basis des alten Sys-                    Defizite gemeinsam zu erfassen und die Ar-
               tems offensichtlich keine messbare Verbes-                   beitsorganisation entsprechend zu verbes-
               serung zu erreichen war. Die grösste Um-                     sern. Durch eine optimale Zusammenarbeit
               stellung im Alltag für die Mitarbeitenden in                 der Beteiligten, in gut aufgegleisten Kom-
               den Wohngruppen bedeutete das Blister-                       munikationsprozessen wird gewährleistet,
               system in Kombination mit der Einführung                     dass auch an komplexen Schnittstellen eine
               der neuen «6-R-plus-Regel».                                  Reduktion der Fehler möglich ist.
                                                                            	    Neben der Prozessoptimierung sind vor
               Sie mussten sich nicht nur an geänderte Ab-                  allem Mitarbeiterschulungen, die Sensibili-
               läufe gewöhnen, sondern die Fehlerkultur                     sierung für das Thema und eine gute Fehler-
               erhielt auch eine neue, zentrale Bedeutung.                  kultur auf allen Hierarchiestufen, wichtig.
               Noch immer gestehen sich in vielen sozialen                  Dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass
               Institutionen Mitarbeitende Fehler nicht ein                 heute wissenschaftlich belegt ist, dass ein
               aus Angst, als Schuldige gebrandmarkt und                    Grossteil der Fehler im Bereich der Medika-
               zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das                      mentenabgabe auftreten und diese vorwie-
               neue Medikamentenmanagement macht                            gend auf dem sogenannten «letzten Me-
               die gesamte Prozesskette transparent. Feh-                   ter», also bei der Abgabe an die Patientin-
               ler werden während der mehrfachen Kont-                      nen und Patienten, stattfinden. Hier ein Op-
               rollen bis hin zur Abgabe unweigerlich auf-                  timum an Sicherheit anzustreben, ist zum
               gedeckt. Dabei sind die erfolgten Fehler oft                 Wohle der betreuten Personen unerlässlich.
               auf mehrere Ursachen zurück zu führen und                    	 Man darf aber nicht vergessen, dass
               stehen ganz eng in Bezug zu der Begrenzung                   Fehler auch auf die Mitarbeitenden negati-
                                                                            ve Auswirkungen haben können. Sie wollen
                                                                            keine Fehler machen, die den ihnen anver-
Das System mit den Blistern und
                                                                            trauten Bewohnerinnen und Bewohnern
den kontrollierten Abläufen hat uns
                                                                            schaden könnten und fühlen sich darum oft
die Arbeit enorm erleichtert.                                               mit Scham, Frustration und dem Gefühl der
                                                                            Unzulänglichkeit belastet. Unbestritten ist,
               der menschlichen Leistungsfähigkeit. Im Be-                  dass die Mitarbeitenden das Beste für die
               treuungsalltag sind es nebst den strukturel-                 Bewohnerinnen und Bewohner wollen, in
               len oft die rein menschlichen Fehlerthemen                   der Praxis aber die fehlerauslösenden Fak-
               z.  Wahrnehmungstrübung, Ermüdung,
                 B.                                                         toren zu wenig beachtet werden. Das Ziel
               Merkfähigkeit, welche oft durch die Fakto-                   einer offenen Fehlerkultur liegt darin, diese
               ren Stress, Zeitdruck und Ausbildungskom-                    zu kommunizieren, damit alle Beteiligten
               petenz die Fehlerhäufigkeit erhöhen.                         daraus lernen können. Es geht nicht darum,
               	    Durch den Mix an strukturellen Einflüs-                 eine schuldige Person zu brandmarken,
               sen und «menschlichen Faktoren» sollten                      sondern darum, Sicherheitslücken im Pro-
               die Prozesse auf der Grundlage einer ge-                     zess des Medikamentenmanagements zu
               meinsamen Fehlerkultur und dem vorhan-                       schliessen. Dazu soll die Schulung der Mit-
               denen fachlichen Wissen bearbeitet wer-                      arbeitenden zur praktischen Umsetzung der
               den. Ein systematisches Anpassen der Pro-                    6 R Plus Regel (vgl. Abb. 5) in Zusammenar-
               zesse und der Fokus auf die menschlich feh-                  beit mit der Apotheke genutzt werden.

                                                                          Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
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       Neu: Das Modell der 6 R Plus Regel



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                                                                                  2. Richtiges Medikament und Lagerort
                                                                                  3. Richtige Dosierung und Zubereitung
                                                                                  4. Richtige Applikation und Anwendung
                                                                                  5. Richtiger Zeitpunkt und Besonderheiten
                                                                                  6. Richtige Dokumentation und Kommunikation




                                                                                                                            Abbildung 5:
Das Wohnheim Titlis hat im Medikamenten-                         ten und jeder der Teilnehmenden in seinem                  Das neue Modell
management die bekannte 5-R-Regel über-                          eigenen Verantwortungsbereich der Ver-                     der 6R Plus Regel

arbeitet und wendet im Alltag die neue 6 R                       sorgungskette spezialisiert und fokussiert
Plus Regel an. Sie dient den Mitarbeitenden                      ist. Wir haben die gröbsten Systemfehler im
als eine Art Leitfaden um alle Kontrollkrite-                    Bereich der Medikamentensicherheit und
rien sicher zu beachten.                                         der kompetenten medikamentösen Versor-
                                                                 gung, sowie auch der Abgabe verbessert
Wichtig ist die richtige Zusammenarbeit mit                      und tragen dadurch zu einer Reduktion der
den professionellen Partnern des Gesund-                         Folgekosten im Schweizer Gesundheitssys-
heitswesens (Arzt und Vertragsapotheke                           tem bei. Durch die gut aufgegleisten und
sowie Mitarbeitende und Pflegefachkräfte).                       aufeinander abgestimmten Behandlungs-
Diese arbeiten innerhalb der gesetzlichen                        pfade werden neben den Effizienzeffekten
Rahmenbedingungen und einem klar fest-                           primär systembedingte Fehlerquellen stark
gelegten Medikamentenmanagement, auf                             reduziert. Die Qualität nimmt sprunghaft
der neu eingerichteten Kommunikations-                           zu, da die Leistungserbringer interdiszipli-
plattform in den optimierten Prozessen zu-                       när miteinander arbeiten. Hierdurch ergibt
sammen.                                                          sich eine Versorgungskette, welche alle
                                                                 Schnittstellen und deren Ansprüche auch
Als zentrale Erkenntnis gilt, dass der einzi-                    gegenseitig klärt und transparent die not-
ge Problemlöser unsere eigenen Mitarbei-                         wendigen, zu erbringenden Leistungen
tenden sind, welche mutig und eigenver-                          ausweist. In der Vereinbarung des Leis-
antwortlich über ihre Fehler sprechen.                           tungskatalogs der Krankenkassen sind
                                                                 heute die Abrechnungen aber auch die ver-
Vorteile des neuen Medikamenten-                                 traglichen Kostenstabilisierungsbeiträge
managementsystems                                                von 2.3 % auf allen abgerechneten Positio-
Unsere Bewohnerinnen und Bewohner                                nen an die Krankenkassen verankert. Neu
werden durch das System besser und mit                           kann ab Januar 2012 die See-Apotheke Lu-
höherer Sicherheit versorgt, da die beteilig-                    zern aufgrund des optimalen Organisati-
ten Ins­ itutionen optimal zusammenarbei-
       t                                                         onsgrads des Modells Titlis den Kranken-

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                                                                                     teren zusätzlichen Prozent anbieten. Die
                                                                                     See-Apotheke leistet damit den wesentli-
                                                                                     chen Beitrag von mehr als zehn Prozent ih-
                       Pascale Yamamoto ist Pflegefachfrau
                       und Verantwortliche für die Medikamen­                        Die Arbeit ist insgesamt
                       te im Wohnheim Titlis und seit Beginn
                                                                                     leichter geworden, und die
                       des Pilotprojekts dabei. Sie fasst ihre Er­
                       fahrungen so zusammen:
                                                                                     Statistik zeigt, dass weniger
                                                                                     Fehler passieren.
«Das System mit den Blistern und den kontrollierten Abläufen hat
uns die Arbeit enorm erleichtert. Bei der Verordnung und Bereit-
stellung der Medikamente passieren praktisch keine Fehler mehr,                      rer Marge zur Kostensenkung im Gesund-
da überall doppelte oder dreifache Kontrollen eingebaut sind. Am                     heitssystem. Das Modell Titlis löste daher
anfälligsten für Fehler ist, nach wie vor, die Abgabe an die Bewoh-                  Rückmeldungen und ein positives Echo
nerinnen und Bewohner. Doch auch hier konnten wir die Fehler-                        aus.
quote markant senken, denn durch das durchgehende Kontroll-
system ist bei allen Teammitgliedern das Bewusstsein für die Be-                     Menschen unterliegen während ihrer Auf-
deutung der Medikamente stark gestiegen. Die Bestellungen sind
                                                                                     enthaltsdauer in den Institutionen oft dem
sehr viel einfacher geworden, da vieles automatisch abläuft und
                                                                                     Einflusszeit von Medikamenten:
alle Medikamente aus einer Quelle kommen. Sehr praktisch ist der
fahrbare Medikamentenwagen. Wenn wir für eine Arbeit Ruhe                            •	 Die mittlere Verweildauer in Alters und
brauchen, können wir ihn in ein ruhiges Büro schieben, und bei                          Pflegeheimen liegt bei 3,5 Jahren oder
der Medikamentenabgabe ist er ebenfalls in der Nähe. Die Fehler-                        1235 Tagen.
quote in unserem Haus ist deutlich gesunken.»                                        •	 In einem Krankenhaus liegt die durch-
                                                                                        schnittliche Aufenthaltsdauer bei 9,4 Ta-
                                                                                        gen.
                                                                                     •	 Die Lebenserwartung und Sterblichkeit
                                                                                        der Durchschnittsbevölkerung beträgt
                       Antoinette Brunner ist Sozialpädagogin                           82.5 Jahre. Bei Menschen mit Behinde-
                       im Wohnheim Titlis und ebenfalls                                 rung sind keine Daten bekannt.
                       mit der Medikamentenabgabe betraut.                           •	 Menschen mit einer Behinderung ver-
                       Ihre Erfahrungen mit dem Blistersystem                           bringen oft den grösseren Teil ihres Le-
                       lauten zusammengefasst:                                          bens in Institutionen und bedürfen somit
                                                                                        dem höchstmöglichen Schutz und einer
«Die Arbeit ist insgesamt leichter geworden, und die Statistik
                                                                                        gesicherten Grundversorgung.
zeigt, dass weniger Fehler passieren. Ich habe jahrelang mit dem
herkömmlichen System gearbeitet und die Umstellung war am
                                                                                     Quellen: Angabe des Schweizerischen Bun­
Anfang schon gegeben und nötig. Die Medifilmblister sind gut be-
                                                                                     desamt für Statistik (BfS) diverse Jahrgänge
zeichnet, es steht alles drauf, was man als Mitarbeitende wissen
muss. Ich gehe abends ruhiger nach Hause als früher. Kurz vor der
Umstellung, noch mit dem alten System, habe ich an einem hek-                        Sinnvoll wäre es zudem, die wirtschaftlich
tischen Tag zwei Medikamente verwechselt. Das hat mich sehr be-                      positiven Auswirkungen des Pilotprojektes
schäftigt und mir bewusst gemacht, wie wichtig kontrollierte Ab-
                                                                                     in einer medizinisch- und gesundheitsöko-
läufe bei der Medikamentenabgabe sind.»
                                                                                     nomischen Untersuchung noch genauer zu
                                                                                     beleuchten. Hier sollten die Kassenträger

                                                                                   Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g   27



und Verbände einen kohärenten und kont-                          Die Mitarbeitenden des Wohnheims Titlis
rollierten Umsetzungsleitfaden erstellen,                        sind überzeugt von ihrem neuen Medika-
welcher es Institutionen ermöglicht, Fehler                      mentenmanagement und den damit ver-
effektiver zu reduzieren und die knapp vor-                      bundenen neu eingeführten Qualitätssys-
handenen Ressourcen entsprechend dem                             temstandards. Die Mitarbeitenden haben
gesellschaftlichen Auftrag sinnvoll einzuset-                    nicht nur mehr Zeit für ihre eigentlichen
zen. Da alle Teilnehmerinnen und Teilneh-                        Aufgaben gewonnen, sondern sind vor al-
mer des Schweizer Gesundheitssystems ei-                         lem stolz, dass sie die Fehlerquote im Medi-
ne grosse Verantwortung tragen, liegt hier                       kamentenmanagement aktiv und deutlich
in mehrfacher Hinsicht Potenzial: Wir sollten                    verringern.
die Chance von neuen Systemen nutzen und
in allen Institutionen mit Ärzten und Ärzten,
Apothekerinnen und Apothekern gemein-
sam die Prozesse optimieren, Systemfehler
reduzieren und die Kosten senken.




                                    «Wir müssen das Rad nicht
                                     neu erfinden, sondern es
                                     nur zum laufen bringen.»

                                      Friedemann Hesse, Institutionsleitung
                                                   Wohnheim Titlis der Stiftung
                                           für Schwerbehinderte Luzern SSBL




Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013

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  • 1. 18 S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g Friedemann Hesse «Saftley Benefit Medisystem» Sichere Medikamentenabgabe in der Wohnheim-Versorgung der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SBBL Zusammfassung Trotz des starken Mangels an Fachkräften bedingt durch die steigenden Anforderungen, braucht es effiziente Abläu- fe bei gleichbleibend hohem Qualitätsstandard für die stetig zunehmende Anzahl betreuungsbedürftiger Menschen. Das Wohnheim Titlis, ein Wohnheim für erwachsene Menschen mit schwerer geistig und körperlich mehrfacher Be- hinderung, hat für die Medikamentenabgabe an die Bewohnerinnen und Bewohner ein System entwickelt, das die Si- cherheit erhöht. Résumé Le système en réseau pour l’octroi de médicaments permet une réduction du taux d’erreurs ainsi qu’une économie detemps, dont les pensionnaires de l’institution peuvent alors bénéficier. Le centre résidentiel Titlis, une institution pour adultes atteints de handicaps intellectuels sévères et sujets à des han- dicaps physiques lourds, a développé un système d’octroi des médicaments qui augmente la sécurité. Rahmenbedingungen zum Schutze handlung bedürfen. In diesem Bereich wer- der Bewohnerinnen und Bewohner den durch die hohe Anzahl an Verschrei- und der Institution bungen die Fehlereintrittswahrscheinlichkeit Das Thema der Medikamentensicherheit in noch ausgeprägter. Institutionen steht in einem übergeordne- ten gesundheitspolitischen Interesse und Menschen leben im Verantwortungsbereich entspricht der Qualitätsstrategie des Bun- von Institutionen und bedürfen dort oft der des. Der Bereich der medikamentösen Ver- Unterstützung von Medikamenten: sorgung der Bevölkerung spielt dabei in zu- • In Privathaushalten leben im Alter zwi- nehmendem Masse eine wichtige Rolle. Die schen 16 und 64 Jahren ca. 14  bzw. % Entwicklungen des demographischen Wan- 730 000 Personen mit leichter Behinde- dels und die Zunahme in der Versorgungs- rung und 4 % bzw. 200 000 Personen mit komplexität führen dazu, dass Personen mit starker Einschränkung. Unterstützungsbedarf zukünftig noch mehr • In Institutionen für Menschen mit Behin- Leistungen beanspruchen werden. Darum derung gibt es extern betreut 22  038 sollten Systeme zur Verfügung stehen, die Plätze und intern 22 624 Beherbergungs- eine optimale und kostengünstige Grund- plätze. versorgung sicherstellen können. Es wäre • In Institutionen für Suchtkranke und Ins- noch anzufügen, dass in den verschiedenen titutionen für Personen mit psychosozia- zuweisenden Institutionen Menschen be- len Problemen liegt die Gesamtzahl für treut werden, welche in ihrem Leben oft ei- intern und extern betreueten Plätzen bei ner chronisch bedingten Medikamentenbe- 6740. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
  • 2. S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g 19 • In Altersheimen und Pflegeheimen liegt Qualifikation über eine Herstellerbewilli- die Anzahl heute bei 91 781 Betten. gung verfügen.» Quellen: Angabe des Schweizerischen Bun­ Quelle: Regeln der Guten Abgabepraxis für desamt für Statistik (BfS) 2012 Heilmittel der Kantonsapothekervereinigung Schweiz 14. September 2009 Momentan fehlt es immer noch den Institu- tionen an Mut über Fehler zu sprechen. För- Generell ist bei der Umsetzung eines Medi- derlich wäre es, wenn die Teilnehmerinnen kamentenmanagements zu überlegen, was und Teilnehmer sowie Fachpersonen des entsprechend dem HMG und der GAP an Gesundheitswesen und der Institutionen, Auflagen zu erfüllen sind und wer diese gemeinsam nach innovativen und konkre- Aufgaben idealerweise für die Institutionen ten Lösungsansätzen suchen und diese übernehmen kann. Konkret benötigt es ei- auch in der Praxis konkret umsetzen. ne Bewilligung, wenn die zu pflegende Per- son auf eine übertragene Hilfestellung an- Langzeitplätze Kurzzeitplätze gewiesen ist und die Institution eine Aus- Bezüglich der medikamentösen Grundver- führungsdienstleistung anbietet und somit sorgung in unseren Institutionen sind die Verantwortung übernimmt. übergeordneten Rahmenbedingungen im In der Praxis können Institutionen hier- Bundesgesetz über Arzneimittel und Medi- für zwischen zwei fachtechnisch verant- zinprodukte (HMG) vordefiniert. Deren Voll- wortlichen Personen wählen, welche die zug zur sicheren Abgabe / Anwendung von mit der Bewilligung verbundenen Aufgaben Heilmitteln obliegt wiederum dem Aufga- betreuen. Dafür schliesst die Institution mit benbereich der Kantone. Hierfür wurden die der jeweiligen fachtechnisch verantwortli- Regeln der guten Abgabepraxis für Heilmit- chen Person (Arzt oder Apotheker) einen tel (GAP) von der Kantonsapothekervereini- Zusammenarbeitsvertrag ab, welcher die gung (KAV) Schweiz im Jahr 2009 gemäss Verantwortung für die Beratung, Anleitung, der aktuellen Gesetzgebung und der Inter- Haftung und Aufsichtspflicht zur richtigen pretation des gesetzlich vorgegebenen ak- Umsetzung der Medikamentenabgabe und tuellen Stands der medizinischen und phar- der ökonomischen Verantwortung in der je- mazeutischen Wissenschaft beschlossen. weiligen Institution regelt. Die GAP hat zwar keinen Rechtscharakter. Im Tarifvertrag zwischen dem Verband Sie ist aber für die Umsetzung der Ausfüh- der schweizerischen Krankenversicherer (KV) rungsbestimmung des HMG, die Vollzugs- (Santésuisse) und dem schweizerischen Apo- hilfe bei der Bewilligungspflicht von Betrie- thekerverband (pharmaSuisse) sind hierfür ben im Gesundheits- und Sozialdeparte- die Abgeltungen festgelegt. Die darin be- ment des Kantons Luzern zuständig. schriebene leistungsorientierte Abgeltung (LOA IV) hat u. a. zum Ziel, die Qualität und «Richten von Medikamenten bei Entnahme Sicherheit des Medikationsprozesses zur Ver- aus der Primärverpackung über 24 Stunden besserung der Compliance sicher zustellen. z.  im Wochendispenser unterliegt dem B. Ebenfalls werden die Leistungen der KV, als Gesetz zur Herstellung. Eine fachtechnische wichtigster Träger des Gesundheitssystems, Verantwortliche muss mit entsprechender transparent normiert. Sie ermöglicht die Ent- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
  • 3. 20 S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g kopplung des Einkommens vom Produkte- Behinderung an 365 Tagen im Jahr, oft ein preis der Medikamente durch eine vereinbar- Leben lang, betreut. Gehen wir beispiels- te tarifliche Abgeltung der Dienstleistungen. weise von 29 Bewohnern aus, welche 8,31 Leider kann diese nicht für Pflegeheime, Spi- Medikamente pro Tag über einen Zeitraum tex und Spitäler angewendet werden, wo- von durchschnittlich 65 Lebensjahren ein- durch eine Kosten- oder Leistungsumwäl- nehmen, ergibt sich die beeindruckende zung erfolgt. Mit einer einheitlichen Umset- Zahl 5  488 Einheiten. Diese Menge 717  zung könnten diese Kosten, welche heute muss nach dem alten System durch die Pfle- über die Margeverrechnung für rezeptpflich- gefachpersonen kontrolliert, gelagert, or- tige Medikamente und Spezialitäten entste- ganisiert, konfektioniert, etikettiert und hen, gemindert und gesteuert werden. verpackt werden. Dabei ist besondere Vor- sicht geboten, da es im Alltag fast automa- Ausgangslage im Wohnheim Titlis tisch zu den bekannten Fehleranfälligkeiten Laut der Jahresauswertung, die vom Sep- und Fehlerquoten kommen kann. tember 2009 bis September 2010 durchge- führt wurde, erhielten die Bewohnerinnen Vor der Einführung des neuen Systems gin- und Bewohner des Wohnheims Titlis der SS- gen in der gesamten Stiftung bis zu 75 Pro- BL rund 87 950 verschiedene vom Arzt ver- zent der freiwillig gemeldeten CIRS-Fehler ordnete Medikamentenportionen. Dabei auf das Konto des Medikamentenmanage- benötigt nicht jeder Bewohner täglich Me- ments. Das CIRS Instrument erfasst dabei dikamente, dennoch sind es im Durch- systematisch die gemeldeten sicherheitsre- schnitt pro Tag und Bewohner rund 8,3 re- levanten und risikobehafteten Ereignisse zeptpflichtige Medikamenteneinheiten, aus dem Arbeitsalltag der Mitarbeitenden. aufgeteilt in drei bis vier Portionen (mor- Diese werden dann in der Folge analysiert gens, mittags, abends, nachts). Für jede und entsprechende Massnahmestrategien dieser Einheiten ist rechtlich gesehen der abgeleitet. Trotz institutionalisiertem Qua- Ablauf von der Verordnung, Bestellung, Lie- litätsmanagementsystem, darauf basieren- ferung, Lagerung, Kennzeichnung, Doku- der Evaluation der Fehlerquellen und Ver- besserung der Abläufe, liess sich die Fehler- Die Bewohnerinnen und Bewohner quote in der Vergangenheit nicht merklich reduzieren. Die Geschäftsleitung beschloss des Wohnheims Titlis der SSBL erhielten deshalb, das Medikamentenmanagement rund 87 950 verschiedene vom Arzt grundlegend zu überarbeiten. Um sicherzu- verordnete Medikamentenportionen. stellen, dass die gesetzlichen Rahmenbe- dingungen eingehalten werden, wurde der mentation, Überwachung bis zur Anwen- Luzerner Kantonsapotheker aktiv in das dung durch eine Fachkraft sicher zustellen. Projekt mit eingebunden. Dieser enorme Aufwand bindet wertvolle, personelle Ressourcen. Zuerst wurde eine öffentliche Apotheke als Durch ein einfaches Rechenbeispiel soll Fachstelle für die Bewirtschaftung von Me- die Gesamtdimension verdeutlicht werden. dikamenten gesucht, die zudem bereit war, In unseren Institutionen werden Menschen als Schnittstelle zwischen Heim, Ärzten und mit einer schweren geistig- und mehrfachen Herstellerin der Medikamentenblister mit- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
  • 4. S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g 21 zuarbeiten. In einem Zusammenarbeitsver- trag wurden sowohl die rechtlichen Anfor- derungen als auch die Dienstleistungen fest- gehalten. Weiter galt es, die behandelnden Ärzte für das neue System und die vorhan- denen Fehlerquellen im Medikamentenab- gabebereich des Wohnheimalltags zu sensi- bilisieren. Da einige unserer Ärzte gewohnt sind, weitgehend eigenständig zu handeln und die Medikamente direkt aus der Praxis an die Bewohner abzugeben oder ins Heim zu liefern, bedeutet das Veränderung. Die wichtige und gute Zusammenarbeit zwi- schen Heim und Arzt zeigte, dass man durch einen rationelleren Ablauf eine Optimierung für die Behandlung der Bewohnerinnen und Abbildung 1: Bewohner im Heim erzielen kann. Das System bietet dabei in erster Linie eine Perlenkette Heute stammen alle Medikamente aus hohe Sicherheit und Vereinfachung der der Verantwort­ lichkeit einer Quelle und laufen über die See-Apo- komplizierten Alltagsabläufe und unsere theke in Luzern, die als fachtechnische Ver- Fachpersonen können sich optimal auf das antwortliche die Prozessabläufe begleitet Kerngeschäft konzentrieren. Die Grafik und die Qualitätssicherheit prüft. (Abb. 2) zeigt, dass im Durchschnitt pro Die festen Medikamente (Tabletten, Wohngruppe und Monat 6 Arbeitsstunden Kapseln, Dragées etc.) werden von einer eingespart werden. Das entspricht einer Abbildung 2: spezialisierten Pharmyafirma zu einem «Me- Ressourcenoptimierung und Zeitreduktion Vergleich difilm» verblistert (vgl. Kasten). Dabei hat von 60  zu Gunsten des Kernauftrages, % der Optimierung sich das Wohnheim Titlis für einen wöchent- der Begleitung und Betreuung unserer Be- der Arbeits­ lichen Lieferrhythmus entschieden. Dieser zeitressourcen kann jedoch jederzeit individuell angepasst werden. Bei Bedarf sind Lieferungen inner- Vergleich der Arbeitsstunden vor (2009) und nach (2010) Medikamentenmanagements «Modell Titlis» halb 24 Stunden möglich, jedoch kommt dies im stationären Betreuungsalltag kaum vor. WG1 Das Pilotprojekt «Modell Titlis» WG2 Der Medikamentenprozess mit seinen insti- Wohngruppen tutionellen Parametern wurde ganz bewusst WG3 zusammengestellt und quasi wie eine Per- lenkette aufgefädelt. Dazu zählen Arbeitsab- WG4 läufe, Strukturen, Ablauforganisation, räum- WG5 liche, personelle und materielle Ressourcen, die Einbindung der therapeutisch-medika- 0 2 4 6 8 10 12 Arbeitsstunden pro Monat mentösen Behandlungsabläufe und die Zu- Arbeitsstunden in 2009 Arbeitsstunden in 2010 sammenarbeit zwischen den Beteiligten. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
  • 5. 22 S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g wohnerschaft. Diese Zeitersparnis wirkt Raum bei Logistik- und Administrationsauf- sich positiv und direkt auf die Arbeitsbelas- gaben aufhalten zu müssen, können die tung aus. dringend benötigten Fachpersonen nun ih- Pro Wohngruppe und Monat reduziert re Zeit dort einsetzen, wo sie am wertvolls- sich die Arbeitszeit für Bereitstellung, Lage- ten ist, nämlich mit der Bewohnerschaft. rung, Kontrolle und Dokumentation der Kommt hinzu, dass in einem Wohnheim für Medikamente um sechs Stunden. geistig behinderte Menschen das Betreuer- team sehr heterogen ist. Zwar gibt es für je- de Wohngruppe eine Pflegefachperson, die Vergleich des Gesamtlagerbestands vor (2009) und nach (2010) für die Medikamente verantwortlich ist. Einführung des neuen Medikamentenmanagementssystems «Modell Titlis» Doch kann diese nicht an 365 Tagen rund um die Uhr anwesend sein. Es ist daher im 800 Alltag unerlässlich, dass auch andere Team- 700 mitglieder die Medikamentenversorgung si- Anzahl der Einheiten 600 500 cherstellen können. 400 300 Mehr Sicherheit 200 durch klare Kommunikation 100 Anwendungen und Produkte 0 Alle Abläufe sind dokumentiert und werden nicht rezeptpflichtige Medikamente vor 2009 Jahr nach 2010 gemäss den vorgegebenen, gesetzlichen rezeptpflichtige Medikamente Rahmenbedingungen des Bundesgesetzes Abbildung 3: über Arzneimittel und Medizinprodukte Vergleich der Re­ Durch die beeindruckende Reduktion der (HMG) und den Regeln der Guten Abgabe- duktion der Lager­ Lagermenge um 56 % wird die Abgabe der praxis (GAP) von verschiedenen Fachperso- bestände Medikamente wesentlich übersichtlicher nen kontrolliert. Der Arzt trägt seine Verord- und die Verwaltung konnte um 60 Prozent nung direkt in das neu entwickelte Medika- verringert werden. Die «rezeptpflichtigen mentenrezeptblatt der jeweiligen Bewohne- Medikamente» sanken von 358 auf 83 Ein- rinnen und Bewohner ein. Dies beinhaltet heiten (77 %) und «nicht rezeptpflichtigen alle Daten, die für die aktuelle Situation und Medikamente» von 121 auf 73 Einheiten die Weiterbehandlung relevant sind. Somit (40 %). Die «Anwendungen und Produkte» ist sichergestellt, dass auch bei einem Arzt- (Bepanthen plus creme, Schnellverbände oder Therapeutenwechsel, dieser immer etc.) von 294 auf 183 Einheiten (38 %). über die aktuelle medikamentöse Behand- Das Fazit nach inzwischen rund zwei lung der Bewohnerinnen und Bewohner in- Jahren Erfahrung ist äusserst positiv. Im formiert ist. Zudem lassen sich alle Verläufe Haus befinden sich nur noch die wöchent- nachvollziehen und auch die Behandlungs- lich tatsächlich gebrauchten Medikamente. folge der zum Teil verschiedenen behan- Die aufwändigen Kontrollen der Verfallda- delnden Ärzte ableiten. Somit ist auch die ten sind nicht mehr nötig und bei einer The- Gesamtverantwortung bezüglich aller an- rapieänderung bleiben keine angebrauch- gewendeten Präparate sicher gestellt. ten Packungen zurück. Die Abrechnung er- folgt entsprechend dem Verbrauch. Statt Auf diesem wichtigen neuen Formular wer- sich stundenlang in einem abgetrennten den die für den Abgabeprozess wichtigen Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
  • 6. S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g 23 Bewohnerinformationen ganzheitlich doku- jeder Wohngruppe ein Selbstevaluations- mentiert und auf einer Kommunikations- Fachaudit durchzuführen und dieses mit ei- oberfläche abgebildet. Es enthält Notfall- nem Bericht und geeigneten Verbesse- und Arzneimittel-Reserven und umfasst die rungsmassnahmen abzuschliessen. In Zu- Angaben zum Einnahmetag, Konzentration, sammenarbeit mit den Pflegefachpersonen Galenik, Anwendung / Menge / Zeit, Hinweis bietet die Vertragsapotheke zudem spezifi- zur Anwendung, Maximumdosierung/Zeit- sche Wohngruppen-Mitarbeiterschulungen punkt, Lagerort und die Indikation, sowie an, die sich auf die Bewohnerschaft und de- eine Riskoeinschätzung betreffend Medika- ren aktuelle Therapie beziehen. Gemäss menten-Allergien oder Antikoagulation. dem «Sechs * Vier-Augen-Prinzip» sind nun Dieses Formular wird vom behandelnden alle beteiligten Medikamentenspezialisten Arzt als anerkanntes Rezept, unter der Be- optimal involviert (*  echs Augen bei der s rücksichtigung aller schon gesetzten Thera- Kontrolle durch Arzt, Apotheker und Pflege- pien, verordnet und durch den Apotheker fachperson bei der Verordnung und Diagno- vor jeder Bestellung geprüft. Somit sind für sestellung; vier Augen bei der Anwendung die Pflegefachkräfte im Wohnheim alle vor Ort durch zwei Mitarbeitende, die eine wichtigen Anforderungen erfüllt. weitere Kontrolle vornehmen). Anschliessend wird das ärztlich bestä- tigte Verordnungsblatt als Rezept an den Der Stellenwert unserer Fachmitar- Vertragsapotheker übermittelt. Dieser kon- beiter und deren Verantwortung trolliert die Dosierungen, überprüft die Ver- Die Pflegefachkräfte sind das wichtigste ordnung auf Interaktionen und mögliche Bindeglied in der Kommunikation, Schulung Unverträglichkeiten und macht gegebenen- und Sensibilisierung der Mitarbeitenden in falls Vorschläge zu einer kostengünstigeren den Institutionen. Die hohe Verantwortung Therapie zu Handen des behandelnden Arz- der Pflegefachkräfte wird durch das Projekt tes. Bei Fragen nimmt die Apotheke Rück- auf das Thema der Abgabe ausgerichtet. sprache mit dem behandelnden Arzt oder Durch die Entlastung über das Modell Titlis der zuständigen Pflegeperson im Wohn- können sich die Pflegefachkräfte mit den heim. Der Apotheker übermittelt die berei- neu gewonnenen Zeitressourcen auf diesen nigten Verordnungen an die Firma Medi- wichtigen Teil konzentrieren und somit ei- film, welche die Blister gemäss der aktuel- nen Beitrag zum «letzten Meter» im Bereich len Rezepte noch einmal zur Sicherheit prüft der sicheren Medikamentenabgabe leisten. und für jeden Bewohnerin und jeden Be- Pflegefachkräfte sind keine Lageristen und wohner die individuelle Medifilmbox her- sollten die knapp vorhandene Zeit lieber im stellt. Die direkte Lieferung an die entspre- Kerngeschäft mit der Bewohnerschaft und chende Wohngruppe erfolgt durch die Apo- Mitarbeiterschulungen einsetzen. Wie bei theke. Die verantwortliche Pflegefachper- jeder Änderung, musste auch die Leitung son überprüft den Wareneingang. Damit ist des Wohnheims Titlis am Anfang Überzeu- im Rahmen der gesetzlichen Auflagen si- gungsarbeit leisten. Wenn seit Jahren «be- chergestellt, dass der Prozess und die Doku- währte» Abläufe hinterfragt werden, löst mentation der Verordnungen jederzeit dies skeptische Fragen aus. Andererseits nachvollziehbar sind. In der Verantwortung war allen Beteiligten klar, dass eine so hohe der Apotheke liegt es auch, regelmässig in Fehlerquote bei einer so grossen Menge an Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
  • 7. 24 S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g Medikamenten nicht hingenommen wer- lerhaften Handlungen, können helfen, die den kann und auf der Basis des alten Sys- Defizite gemeinsam zu erfassen und die Ar- tems offensichtlich keine messbare Verbes- beitsorganisation entsprechend zu verbes- serung zu erreichen war. Die grösste Um- sern. Durch eine optimale Zusammenarbeit stellung im Alltag für die Mitarbeitenden in der Beteiligten, in gut aufgegleisten Kom- den Wohngruppen bedeutete das Blister- munikationsprozessen wird gewährleistet, system in Kombination mit der Einführung dass auch an komplexen Schnittstellen eine der neuen «6-R-plus-Regel». Reduktion der Fehler möglich ist. Neben der Prozessoptimierung sind vor Sie mussten sich nicht nur an geänderte Ab- allem Mitarbeiterschulungen, die Sensibili- läufe gewöhnen, sondern die Fehlerkultur sierung für das Thema und eine gute Fehler- erhielt auch eine neue, zentrale Bedeutung. kultur auf allen Hierarchiestufen, wichtig. Noch immer gestehen sich in vielen sozialen Dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass Institutionen Mitarbeitende Fehler nicht ein heute wissenschaftlich belegt ist, dass ein aus Angst, als Schuldige gebrandmarkt und Grossteil der Fehler im Bereich der Medika- zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das mentenabgabe auftreten und diese vorwie- neue Medikamentenmanagement macht gend auf dem sogenannten «letzten Me- die gesamte Prozesskette transparent. Feh- ter», also bei der Abgabe an die Patientin- ler werden während der mehrfachen Kont- nen und Patienten, stattfinden. Hier ein Op- rollen bis hin zur Abgabe unweigerlich auf- timum an Sicherheit anzustreben, ist zum gedeckt. Dabei sind die erfolgten Fehler oft Wohle der betreuten Personen unerlässlich. auf mehrere Ursachen zurück zu führen und Man darf aber nicht vergessen, dass stehen ganz eng in Bezug zu der Begrenzung Fehler auch auf die Mitarbeitenden negati- ve Auswirkungen haben können. Sie wollen keine Fehler machen, die den ihnen anver- Das System mit den Blistern und trauten Bewohnerinnen und Bewohnern den kontrollierten Abläufen hat uns schaden könnten und fühlen sich darum oft die Arbeit enorm erleichtert. mit Scham, Frustration und dem Gefühl der Unzulänglichkeit belastet. Unbestritten ist, der menschlichen Leistungsfähigkeit. Im Be- dass die Mitarbeitenden das Beste für die treuungsalltag sind es nebst den strukturel- Bewohnerinnen und Bewohner wollen, in len oft die rein menschlichen Fehlerthemen der Praxis aber die fehlerauslösenden Fak- z.  Wahrnehmungstrübung, Ermüdung, B. toren zu wenig beachtet werden. Das Ziel Merkfähigkeit, welche oft durch die Fakto- einer offenen Fehlerkultur liegt darin, diese ren Stress, Zeitdruck und Ausbildungskom- zu kommunizieren, damit alle Beteiligten petenz die Fehlerhäufigkeit erhöhen. daraus lernen können. Es geht nicht darum, Durch den Mix an strukturellen Einflüs- eine schuldige Person zu brandmarken, sen und «menschlichen Faktoren» sollten sondern darum, Sicherheitslücken im Pro- die Prozesse auf der Grundlage einer ge- zess des Medikamentenmanagements zu meinsamen Fehlerkultur und dem vorhan- schliessen. Dazu soll die Schulung der Mit- denen fachlichen Wissen bearbeitet wer- arbeitenden zur praktischen Umsetzung der den. Ein systematisches Anpassen der Pro- 6 R Plus Regel (vgl. Abb. 5) in Zusammenar- zesse und der Fokus auf die menschlich feh- beit mit der Apotheke genutzt werden. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
  • 8. S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g 25 Neu: Das Modell der 6 R Plus Regel 1. Richtiger Bewohner und Indikation 2. Richtiges Medikament und Lagerort 3. Richtige Dosierung und Zubereitung 4. Richtige Applikation und Anwendung 5. Richtiger Zeitpunkt und Besonderheiten 6. Richtige Dokumentation und Kommunikation Abbildung 5: Das Wohnheim Titlis hat im Medikamenten- ten und jeder der Teilnehmenden in seinem Das neue Modell management die bekannte 5-R-Regel über- eigenen Verantwortungsbereich der Ver- der 6R Plus Regel arbeitet und wendet im Alltag die neue 6 R sorgungskette spezialisiert und fokussiert Plus Regel an. Sie dient den Mitarbeitenden ist. Wir haben die gröbsten Systemfehler im als eine Art Leitfaden um alle Kontrollkrite- Bereich der Medikamentensicherheit und rien sicher zu beachten. der kompetenten medikamentösen Versor- gung, sowie auch der Abgabe verbessert Wichtig ist die richtige Zusammenarbeit mit und tragen dadurch zu einer Reduktion der den professionellen Partnern des Gesund- Folgekosten im Schweizer Gesundheitssys- heitswesens (Arzt und Vertragsapotheke tem bei. Durch die gut aufgegleisten und sowie Mitarbeitende und Pflegefachkräfte). aufeinander abgestimmten Behandlungs- Diese arbeiten innerhalb der gesetzlichen pfade werden neben den Effizienzeffekten Rahmenbedingungen und einem klar fest- primär systembedingte Fehlerquellen stark gelegten Medikamentenmanagement, auf reduziert. Die Qualität nimmt sprunghaft der neu eingerichteten Kommunikations- zu, da die Leistungserbringer interdiszipli- plattform in den optimierten Prozessen zu- när miteinander arbeiten. Hierdurch ergibt sammen. sich eine Versorgungskette, welche alle Schnittstellen und deren Ansprüche auch Als zentrale Erkenntnis gilt, dass der einzi- gegenseitig klärt und transparent die not- ge Problemlöser unsere eigenen Mitarbei- wendigen, zu erbringenden Leistungen tenden sind, welche mutig und eigenver- ausweist. In der Vereinbarung des Leis- antwortlich über ihre Fehler sprechen. tungskatalogs der Krankenkassen sind heute die Abrechnungen aber auch die ver- Vorteile des neuen Medikamenten- traglichen Kostenstabilisierungsbeiträge managementsystems von 2.3 % auf allen abgerechneten Positio- Unsere Bewohnerinnen und Bewohner nen an die Krankenkassen verankert. Neu werden durch das System besser und mit kann ab Januar 2012 die See-Apotheke Lu- höherer Sicherheit versorgt, da die beteilig- zern aufgrund des optimalen Organisati- ten Ins­ itutionen optimal zusammenarbei- t onsgrads des Modells Titlis den Kranken- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
  • 9. 26 S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g kassen eine Rückvergütung von einem wei- teren zusätzlichen Prozent anbieten. Die See-Apotheke leistet damit den wesentli- chen Beitrag von mehr als zehn Prozent ih- Pascale Yamamoto ist Pflegefachfrau und Verantwortliche für die Medikamen­ Die Arbeit ist insgesamt te im Wohnheim Titlis und seit Beginn leichter geworden, und die des Pilotprojekts dabei. Sie fasst ihre Er­ fahrungen so zusammen: Statistik zeigt, dass weniger Fehler passieren. «Das System mit den Blistern und den kontrollierten Abläufen hat uns die Arbeit enorm erleichtert. Bei der Verordnung und Bereit- stellung der Medikamente passieren praktisch keine Fehler mehr, rer Marge zur Kostensenkung im Gesund- da überall doppelte oder dreifache Kontrollen eingebaut sind. Am heitssystem. Das Modell Titlis löste daher anfälligsten für Fehler ist, nach wie vor, die Abgabe an die Bewoh- Rückmeldungen und ein positives Echo nerinnen und Bewohner. Doch auch hier konnten wir die Fehler- aus. quote markant senken, denn durch das durchgehende Kontroll- system ist bei allen Teammitgliedern das Bewusstsein für die Be- Menschen unterliegen während ihrer Auf- deutung der Medikamente stark gestiegen. Die Bestellungen sind enthaltsdauer in den Institutionen oft dem sehr viel einfacher geworden, da vieles automatisch abläuft und Einflusszeit von Medikamenten: alle Medikamente aus einer Quelle kommen. Sehr praktisch ist der fahrbare Medikamentenwagen. Wenn wir für eine Arbeit Ruhe • Die mittlere Verweildauer in Alters und brauchen, können wir ihn in ein ruhiges Büro schieben, und bei Pflegeheimen liegt bei 3,5 Jahren oder der Medikamentenabgabe ist er ebenfalls in der Nähe. Die Fehler- 1235 Tagen. quote in unserem Haus ist deutlich gesunken.» • In einem Krankenhaus liegt die durch- schnittliche Aufenthaltsdauer bei 9,4 Ta- gen. • Die Lebenserwartung und Sterblichkeit der Durchschnittsbevölkerung beträgt Antoinette Brunner ist Sozialpädagogin 82.5 Jahre. Bei Menschen mit Behinde- im Wohnheim Titlis und ebenfalls rung sind keine Daten bekannt. mit der Medikamentenabgabe betraut. • Menschen mit einer Behinderung ver- Ihre Erfahrungen mit dem Blistersystem bringen oft den grösseren Teil ihres Le- lauten zusammengefasst: bens in Institutionen und bedürfen somit dem höchstmöglichen Schutz und einer «Die Arbeit ist insgesamt leichter geworden, und die Statistik gesicherten Grundversorgung. zeigt, dass weniger Fehler passieren. Ich habe jahrelang mit dem herkömmlichen System gearbeitet und die Umstellung war am Quellen: Angabe des Schweizerischen Bun­ Anfang schon gegeben und nötig. Die Medifilmblister sind gut be- desamt für Statistik (BfS) diverse Jahrgänge zeichnet, es steht alles drauf, was man als Mitarbeitende wissen muss. Ich gehe abends ruhiger nach Hause als früher. Kurz vor der Umstellung, noch mit dem alten System, habe ich an einem hek- Sinnvoll wäre es zudem, die wirtschaftlich tischen Tag zwei Medikamente verwechselt. Das hat mich sehr be- positiven Auswirkungen des Pilotprojektes schäftigt und mir bewusst gemacht, wie wichtig kontrollierte Ab- in einer medizinisch- und gesundheitsöko- läufe bei der Medikamentenabgabe sind.» nomischen Untersuchung noch genauer zu beleuchten. Hier sollten die Kassenträger Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013
  • 10. S c h w e r - u n d M e h r fa c h b e h i n d e r u n g 27 und Verbände einen kohärenten und kont- Die Mitarbeitenden des Wohnheims Titlis rollierten Umsetzungsleitfaden erstellen, sind überzeugt von ihrem neuen Medika- welcher es Institutionen ermöglicht, Fehler mentenmanagement und den damit ver- effektiver zu reduzieren und die knapp vor- bundenen neu eingeführten Qualitätssys- handenen Ressourcen entsprechend dem temstandards. Die Mitarbeitenden haben gesellschaftlichen Auftrag sinnvoll einzuset- nicht nur mehr Zeit für ihre eigentlichen zen. Da alle Teilnehmerinnen und Teilneh- Aufgaben gewonnen, sondern sind vor al- mer des Schweizer Gesundheitssystems ei- lem stolz, dass sie die Fehlerquote im Medi- ne grosse Verantwortung tragen, liegt hier kamentenmanagement aktiv und deutlich in mehrfacher Hinsicht Potenzial: Wir sollten verringern. die Chance von neuen Systemen nutzen und in allen Institutionen mit Ärzten und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern gemein- sam die Prozesse optimieren, Systemfehler reduzieren und die Kosten senken. «Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, sondern es nur zum laufen bringen.» Friedemann Hesse, Institutionsleitung Wohnheim Titlis der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 19, 1 / 2013