1. Offener Brief an den CSV-Präsidenten Marc Spautz
Werte CSV, es fröstelt mich!
Dass sich die Christlich-sozialen seit geraumer Zeit verstärkt mit der Frage des Spitzenkandidaten für die
Parlamentswahlen in zwei Jahren beschäftigen, ist Sache der CSV. Ob es dabei auch um die inhaltliche
Positionierung der Partei geht, steht auf einem anderen Blatt. Neben Vize-Präsidentin Martine Hansen
haben auch EU-Abgeordnete Viviane Reding, Fraktionschef Claude Wiseler und Ex-Finanzminister Luc
Frieden Interesse bekundet, die CSV in die Wahlen 2018 zu führen.
Insbesondere der Politikaussteiger Luc Frieden hat am vergangenen Wochenende in der RTL-Sendung
Background noch einmal bekräftigt, dass er in die Politik zurück will und seiner Partei als
Spitzenkandidat zur Verfügung steht, wenn das so gewollt sein sollte. Luxemburg und Europa stünden
vor großen Herausforderungen, so Frieden, der seine Überlegungen über ein Geschäftsmodell für
unseren Kontinent erst vor kurzem in seiner Publikation Europa 5.0 veröffentlich hat.
Frieden wünscht sich eigenen Aussagen zufolge ein starkes Leadership und macht sich Gedanken
darüber, wo das kleine Land im Herzen Europas hinsteuert. „Wir sind gut, was das Kurzfristige angeht,
aber ich habe Angst, dass wir nicht sehen, wo es langfristig hingehen soll.“
Dass Frieden klare Vorstellungen im Hinblick auf Mindestlohn, Renteneintrittsalter und Arbeitsrecht hat,
konnten die RTL-Zuhörer mitverfolgen. Ob die Bürgerinnen und Bürger in Luxemburg das auch so
sehen, bleibt abzuwarten. U.a. hatte Frieden mit Blick auf die Entwicklung in Europa angedeutet, dass
der soziale Mindestlohn gut sei, doch nicht jeder sollte Anrecht darauf haben. Arbeitnehmer mit geringer
Qualifikation müssten erst zeigen, dass sie diesen verdient hätten. Gleichzeitig gab Frieden zu
bedenken, dass der Wohlstand in Europa nicht breit genug verteilt und das Wachstum zu niedrig sei.
Angesichts Millionen Arbeitsloser müssten alle Aspekte berücksichtigt werden. Der Kündigungsschutz sei
zu hoch, moniert Frieden. Die arbeitsrechtlichen Bestimmungen seien zwar gut gemeint, aber
kontraproduktiv, da sie dazu führten, dass weniger neue Arbeitnehmer eingestellt würden. Arbeitnehmer
mit geringer Produktivität könnten nur schwer entlassen und durch andere, fleißigere ersetzt werden,
betont Frieden, der sich einen dynamischeren und durchlässigeren Arbeitsmarkt wünscht. In England sei
es relativ leicht, eine Arbeit zu finden. Dort gebe es eine Vielzahl kleiner Jobs, die es erlaubten, sich
hochzuarbeiten. Auch Friedens Vorschläge zur Rentenabsicherung passen in dieses Bild. Neben der
Heraufsetzung des Renteneintrittsalters plädiert der potenzielle Spitzenkandidat der CSV für ein
Stufenmodell, das neben einer staatlich garantieren Basisrente die betriebliche Altersversorgung und
private Zusatzversicherungen vorsieht.
Luc Frieden scheint in seinem zweijährigen Exil auf der Insel einiges gelernt zu haben. Dass er nun
ausgerechnet den Brexit-Staat Großbritannien als Vorbild bemüht, um die Zukunft Luxemburgs in einem
neu definierten Europa längerfristig abzusichern, kann man sicherlich als Ironie der Geschichte werten.
Ob die CSV im Hinblick auf die Parlamentswahlen 2018 sich auf dieses gefährliche Spiel einlässt,
ihrem neo-liberalen Vordenker Frieden folgt und der Sozialpolitik den Rücken kehrt, bleibt abzuwarten.
Offen bleibt auch, wie sich die anderen potenziellen Spitzenkandidaten der CSV diesbezüglich
positionieren werden.
Anders als die CSV, die eine Neuorientierung anzustreben scheint, bleibt die LSAP ihrer Linie treu:
Sozialpolitik genießt oberste Priorität. Der soziale Mindestlohn, geltendes Arbeitsrecht und das
Luxemburger Rentensystem sind wesentliche Bestandteile unseres Sozialsystems und als solche Garant
für sozialen Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Klar für die LSAP ist in diesem
Zusammenhang auch, dass die Europäische Union nach dem Brexit nur dann eine Chance hat, wenn
2. sie auf die Bürgerinnen und Bürger zugeht, deren Interessen wahrnimmt und die soziale Integration
konsequent vorantreibt.
Vom CSV-Präsidenten erwarte ich, dass er klarstellt, ob die Aussagen eines potenziellen CSV-
Spitzenkandidaten von der Partei geteilt werden oder nicht. Befürwortet die CSV, wie von Frieden
angedeutet, ein späteres Renteneintrittsalter, prekäre Arbeitsbedingungen und ein Mindestlohn, der sich
an der Leistung orientiert?
Herr Spautz, eine eindeutige Antwort tut not!
Claude Haagen
LSAP-Präsident