1. 12 ST/A/R Buch XXX - XXX Nr. 13/2007
SCHöNER VERDAUEN
MIT VIM DELVOyE
xxxxxxx
von Dr. Christian W. Denker
Oberflächengrenzgang erweist sich hierbei als ein Meister in bester
flämischer Tradition. Leicht verdaulich ist
Was haben Bügelbrettwappen, tätowierte dabei nicht alles.
Hausschweine, radiographische
Sexbilder, gothische Skyscraper und
Verdauungsmaschinenaktien gemeinsam? Mensch und Markt
Kürzlich verkaufte der 31-jährige
Musiker Tim Steiner (Siehe: www.
thepassiveresistance.com), seine -von
Delvoye tätowierte- Rückenhaut. Für
150.000 Euro erwarb der Kunstsammler
Rik Reinking das Recht, Tim auszustellen,
zu verkaufen, zu verleihen, zu verschenken
und ihm nach dem Tod die Haut
abzuziehen. Rechtlich gesehen ist das
problematisch, besonders dann, wenn
Die Röntgenaufnahme zeigt es deutlich:
Steiner sich umbesinnen sollte. Das Risiko,
Schweine verdauuen beim Sex
das Kunstwerk wieder zu verlieren, kauft der
Sammler also mit. Das sei vergleichbar mit
anderen vergänglichen Werken auch, erklärt
Bügelbretter der Zwölf Adler (1990)
Stephanie Schleiffer, von der Galerie de
Ethisch erscheint Tim insofern
problematisch, als der Verkauf und die
Schweinereien
Pury & Luxembourg, die Kontakte zwischen Schaustellung von Menschen oder von Interessant daran ist nicht nur die
Wim Delvoye (*1965 in Wervik, Belgien) Künstler, Bildträger und Käufer geknüpft menschlichen Körperteilen Sorgen bereitet. Verschmelzung zwischen Leben, Mensch
bereichert mit ihnen die Kunst, futuristische, hatte. und Kunstwerk, die in Ballet, Performance,
Dass ein Mann seine Haut gegen
surrealistische und popartistische Laut Steiner ist das Werk auf eine Kino und Videoclip zur Tagesordnung
Bezahlung öffentlich zur Schau stellt, ist
Gestaltungsfreude klingt dabei an. Dabei besondere Weise mit ihm verbunden. Wer gehört und die Michel Foucault
-zuminmdest in der abendländischen
geht es weniger um kunstgeschichtliche die Arbeit verstehen wolle, müsse sich philosophisch populär machte, indem er
Kultur - eine gängige Praxis. Auf strukturelle
Bezugnahme als um die Hinterfragung mit ihm konfrontieren. Das ergäbe neue uns die Gestaltung unsers Lebens zum
Ähnlichkeiten zwischen künstlerischer
unseres Glaubens an Erscheinungen, Gedankengänge, beim Publikum und Kunstwerk empfahl.
und sexueller Prostitution wurde
bzw. an die Bedeutung von Oberflächen. auch bei ihm selbst, worüber wiederum er nachdrücklich hingewiesen, man denke Ihr Reichtum für ethisches Denken ergibt
Nach Duchamp, Warhol und Beuys kann priviligierter Auskunftsgeber sei. Dessen an die Performance der Künstlerin Marina sich im Zusammenhang mit anderen
anscheinend alles zur Kunst werden. Aber ungeachtet sei klar zwischen ihm und dem Abramovic, die ihren Platz in der Galerie Arbeiten von Delvoye, insbesondere mit
ist der Anschein nicht trügerisch? Ist denn Kunstwerk zu unterscheiden. einer Prostituierten überließ, um ihren seinen tätowierten Schweinen. Diese
ein Bügelbrett kein Bügelbrett mehr, nur eigenen Körper in einem Schaufenster zum Arbeiten hatten ihrerseits ethische
Seine Haut sei „Bildgrund“, materieller Träger
weil Delvoye es als Wappenschild verkauft? Kauf anzubieten. Debatten zu Tierrechten provoziert.
eines Bildwerks, das sich durch seinen
Die Frage nach der Frage der Kunst (Etwa: Tod zwar verändern könne, aber nicht Delvoye, Vegetarier, behandelt seine
Grund für kontroverse Urteile zu Tim
„Können wir sinnvoll danach fragen ob eine verschwände. Steiner spricht humorvoll von Schweine nach eigener Aussage so gut, dass
gibt der Verkauf nach dem Ableben von
Bestimmung der Kunst gegenwärtig noch einem möglichen „Rahmenwechsel“. manche Menschen darüber neidisch wird.
Steiner. Sollen die Toten nicht ruhen? In
denkbar ist?) bildet den Hintergrund, vor Dennoch protestierten Tierschützer gegen
Das Werk sei das Ergebnis einer Teamarbeit wissenschaftlichen und medizinischen
dem Delvoye ethische Ansprüche auf die seine Arbeit und mit neuen, europäischen
zwischen der Galerie, Delvoye, Reinking Zusammenhängen ist der Handel mit
Klippe moralischer Gemeinplätze gerollt. Er Gesetzen wurde das Tätowieren von
und ihm selbst. Ziel sei eine konzeptuelle menschlichen Organen eine gängige
Schweinen in Flandern illegal. Tier- und
Erweiterung des Kunstansatzes gewesen. Praxis, die unter Berufung auf ein Interesse
Menschenrecht gerieten in eine seltsame
Alle Beteiligten hätten dabei viel aufs Spiel für die Erhaltung und die Verlängerung
Schräglage, insofern ein Tattoo nun zwar
gesetzt, insofern künstlerische Neuerung menschlichen Lebens gerechtfertigt wird.
einem Menschen, nicht aber einem Schwein
enorme Widerstände hervorrufen könne. Der Kunst wird ein solches Interesse oft
zugemutet werden darf. Das Argument,
leichtfertig abgesprochen .
Auf den von Ihm besuchten Ausstellungen ein Tier könne einer Tätowierung ja nicht
(bisher: de Pury & Luxembourg, Zürich Grundlage dieser Leichtfertigkeit ist die zustimmen, ein Mensch allerdings schon,
und Asia Pacific Contemporary Art Fair, begriffliche Reduzierung des Lebens auf behebt diese Schieflage nicht. Manch
Shanghai; derzeit: ZKM, Karlsruhe) hätten biologische, kognitive oder medizinische grausame, oft gar tötliche Behandlung
die Reaktionen zwischen enthusiastischer Aspekte. Vernachlässigt werden qualitativen von Hausschweinen bleibt legal, trotzdem
Unterstützung und schroffer Ablehnung Werte. Für ein gelingendes Leben ist die betroffenen Tiere ihr nicht zustimmen.
geschwankt. Allgemeine Überlegungen aber nicht nur seine bloße Erhaltung Wäre das Tätowieren von Menschen
zur Praktik des Tätowierens gingen über entscheidend, sondern auch die Freude nur auf Grund einer selbstbestimmter
in Diskussionen zu Menschenrechten, desjenigen, der sein Leben erlebt. Kunst für Willensäußerungen zumutbar, könnten
Menschenhandel, Dasein, Gott und die Erhaltung des Lebens insofern wichtig, nicht auch Menschen geschlachtet werden,
Existenz. als sie diese Freude aufzeigen, gestalten wenn sie es denn so wünschten? Die Regeln
und verstärken kann. Tim unterstreicht die für den Umgang mit Personen, Tieren,
Bereichernd für sein eigenes Leben seien Lebenswichtigkeit von Kunst, für kulturelle Pflanzen und Gegenständen sind nicht
besonders die Debatten zur Zukunft aber auch individuelle Entwicklungen. austauschbar.
des Werkes nach seinem Ableben.
Fragen zum Sterben, zum Altern und zur Gemeinsamkeiten gibt es aber doch. So
Veränderlichkeit kämen auf: Was wird ist das Innenleben von Menschen und
passieren, wenn ich das Rentenalter Schweinen durch Haut von der Aussenwelt
erreiche? Wie stabil ist das Werk? Wie abgetrennt. Delvoye unterstreicht das
verändert sich mein Bezug zu meiner mit radiologischen Blicken „unter“ unsere
eigenen Haut mit den Veränderungen Haut, die nicht nur Knochen, Zähne und
meiner Haut? Wie entwickelt sich ihr Zahnfüllungen, sondern -unter Einsatz von
Markwert? Wer wird sie kaufen? Kontrastmitteln- auch Häute, Därme und
Geschlechtsteile zeigen. Eigentümliche
Bilder sexueller Aktivitäten, deren sinnlicher
Aspekt im „Normalfall“ weitgehend an den
Lebenswichtiges Kontakt zwischen Häuten gebunden ist.
Steiners Fragen geben Eindruck von der Knochige Sinnbilder fleischlicher Lust
Beschaffenheit des kunsttheoretischen ohne Fleisch vermitteln eine Ahnung des
Neulands, auf denen Tim Wirklichkeit alltäglichen Sterbens. Hautlosigkeit macht
Tim (2008): Lassen sich Bildträger und wurde. sexuelle Tätigkeit absurd. Kunst führt zur
Kunstwerk trennen? Reißprobe zwischen verwirrter Neugier
Kunst kann Freude am Leben aufzeigen,
gestalten und verstärken.
2. Nr. 13/2007 Buch XX - XXX ST/A/R 13
Das Cloaka-Aktien-Logo: Spitzentechnik im Dienste von Philosophie, Kunst und Verdauung:
Ein Qualitätssiegel für kriesensichere Geldanlage Wim Delvoye und sein Super-Cloaka-Team
und emotionaler Frustration. Humor schafft Gleichzeitig bringt er die wachsende Ein Blick hinter die Oberfläche zeigt es genau:
Auswege. Es geschieht eben mehr unter der Kluft zwischen verschwendungsüchtigen Cloaka passt bequem in einen größeren Lastwagen.
Haut als unsere Schulweisheit sich träumt. Wohlstandstrukturen und lebensbedrohender
Armut gezielt auf den Punkt, indem er seinen
Cloaka-Shit aus Nahrungmitteln gewinnt, mit
Verdauungskunst deren Zubereitung er ausgewählte Küchen
chefs betreut. Wer etwas gewinnen will,
Das bestätigt Delvoye nachdrücklich mit muss auch Opfer bringen können, erklärt der
seinen Arbeiten zur Verdauung. Zwar Künstler dazu und zelebriert Nahrungsopfer
haben die Ausgangs- und Endproduktn der als fröhliches Event: ein bereicherndes
Verdauung, also Nahrung und Kot, viele Miteinander das mehr produziert als nur Kot.
Künstler beschäftigt, doch dem Prozess,der Maschine, Schweine und Menschen verdauuen
Überführung des einen in das andere wurde einträchtig. Es lohnt sich. So erwarb Delvoye in
gewöhnlich wenig Achtung geschenkt. diesem Jahr sein zweites Schloss, als Wohnsitz
Die verschiedenen Versionen der und für sich und andere Kunstbegeisterte. Die
Verdauungsmaschine Cloaka -technische *ST/A/R* Redaktion gratuliert!
Reproduktionen des menschlichen
Verdauungsschlauches- leisten deshalb
Pionierarbeit. Naiver Realismus liegt dabei Ästhetische Ausblicke
fern. Mit der Erscheinung der Därme,
Drüsen und Membranen eines „natürlichen“
Verdauungstrakts haben die Maschinen nur
Die aktuelle Neubewertung der Körperlichkeit
in der Philosophie geht einher mit einer „Kunst gut, Verdauung besser?“,
Umgewichtung des psychologische
wenig gemeinsam. Erfolgreiche Kunst garantiert keine gute Verdauung. Aber wenn ein erfolgreicher Künstler
Interesses an der Sinneserfahrung. Bei
Erneut erscheint die für Delvoye der Bestimmung der Strukturen unserer prächtig verdaut, so hat das sicher seine guten Gründe!
charakteristische Ironie. Cloaka unterstreicht Persönlichkeiten gewinnt die Untersuchung Seit 1909 vertrauen kreative Menschen in aller Welt der befriedigenden Wirkung der
die Komplexität der Verdauungsorgane, die der Funktion unserer Sinneseindrücke Produktlinie ”EUCARBON® aus dem Hause Trenka.
auf vergleichsweise engem Raum komplizierte an Bedeutung. Diesem Zusammenhang
und lebenswichtige Arbeit verrichten, entspringt die Forderung nach Eingliederung Bitte kreuzen Sie an:
Vorraussetzung für die Entwicklung von Kultur „innerer“ Erlebnisse in den Bereich der
und Lebensfreude. Geist braucht Verdauung! Geschmacksurteile.
Das unterstreicht Delvoyes Meister Proper, mit Finanzkrisen kommen und gehen. Was bleibt?
Diese Urteile betriffen mehr als die Schönheit, ( ) Meister Propper?
seinem an Hirnwindungen erinnernden Darm.
die unsere Augen und Ohren in Kunst ( ) Magengeschwüre?
Cloaka gleicht dabei einem Zerrbild der und Natur entdecken. Sie beruhen –Kant
( ) Ein Tattoo?
Verdauung, Sie ist ein Verdauungshumunculus drehe sich im Grabe– auf verschiedensten
mit sauberer Erscheinung, der wohl an einen Empfindungen unserer Haut, besonders die
Darmschlauch erinnert, aber den eigentlichen Geschmacksknospen auf der Haut unserer Kunst bleibt Kunst. Woran liegt’s?
Sinn der Umwandlung von Nahrung in Kot Zunge wurden von der Forschung im Bereich ( ) Guter Geschmack setzt sich durch?
nicht erreicht. der Ästhetik allzu oft vernachlässigt. Ganz ( ) Kot tut Not?
Wie der Versuch, eine Statue aus Marmor zu Schweigen von den Empfindungen ( ) Es kommt immer anders als man denkt?
zum Leben zu erwecken, bleibt der Versuch unserer Magenschleimhaut! Aber kann
einer maschinalisierten Verdauung sinnlos. die Erscheinung eines Apfels auf einem Ihren fehlt etwas zum Glück. Was wohl?
Effizient und witzig führt Cloaka Ansprüche ad Stillleben, auf unserer Netzhaut und an ( ) Eine Röntgenkamera?
unserer Darmwand nicht ähnlich erfreulich
absurdum die von Kunst und Wissenschaft die ( ) Ein Sparschwein?
Nachbilung lebendiger Prozesse einfordern. wirken? Die Unterschiede zwischen taktilen,
visuellen und olfaktiven Sinneserfahrungen ( ) Eine Verdauungsmaschine?
sind zwar erheblich, es darf jedoch bezweifelt
werden, das die kategorische Ausgrenzung
Wirtschaftswerte bestimmter Empfindungen dem Bereich der Bitte senden Sie diesen Abschnitt an:
Wer Kunst aus dem Zusammenhang reißt, in ästhetischen Wahrnehmung damit auf Dauer Fa. Trenka, Goldegggasse 5,
welchen sie das Leben stellt, verliert leicht gerechtfertigt werden kann. Die Kunst von 1040 Wien, Stichwort: Verdauungskunst
den Bezug zur Wirklichkeit. Der Wert eines Delvoye unterstreicht die Notwendigkeit
Kunstwerkes ergibt sich eben nicht aus seinem der Erweiterung des ästhetischen
Wertespektrums.
finanziellen Wert. Das zeigt zum Beispiel der
Kunstmarkterfolg von Exkrementen. Schon
www.eucarbon.com
1962 wog Piero Manzoni seine Merda d‘artista
Wissenswertes zu
mit Gold auf, ihr Wert steigt noch heute. Kunst, Philosophie und Verdauung:
Delvoye baut darauf auf und ironisiert gekonnt
die Strukturen der Kunstspekulation. Mit
seiner Aufforderung zum Ankauf von Cloaca-
Scheiße („Be an investor. Be smart. Buy cloca shit
now!”) und die Ausgabe der Cloaka Convertible
Bonds (EUR 3.000, Laufzeit 3 Jahre) tritt der
Handel mit Kunstkot in eine neue Phase.
3. 14 ST/A/R Buch XXX - XXX Nr. 13/2007
INTERVIEW
MIT WIM DELVOyE
Gent, 24. September 2008
Denker: Warum ist Verdauung so wichtig für Sie?
Delvoye: Ich sehe überall Verdauung. Käse ist Verdauung, Bier ist Verdauung. Alles ist
Verdauung. Alles ist Einverleibung und Ausscheidung. Verdauung gleicht einem binären
System: Angriff und Verteidigung, 1 und 0. Sie ist grundlegend für kreative Prozesse: ein
Ding wird genommen, verdaut und ausgeschieden, ein anderes Ding entsteht dabei. Je
mehr kulturelle Produkte Künstler sehen, verdauen und assimilieren, desto stärker erscheint
ihre eigene Persönlichkeit in ihrer Kunst.
Denker: Verdauung ist doch mehr als ein binärer Prozess. Wenn unser Körper Nahrung in Kot
verwandelt, dann entsteht dabei Energie.
Delvoye: Ich kann Energie auch erzeugen ohne etwas zu verdauen. Ich könnte ein bißchen
Zink und Kupfer in einen frischen Apfel stecken und hätte eine Glühbirne. Eine Maschine
zu bauen, die Energie erzeugt, ist keine große Herausforderung. Selbstverständlich erreicht Beim Tätowieren verursacht jede Linie Schmerzen.
Cloaka nicht die Perfektion des menschlichen Körpers. Sie erinnert eher an Dr. Frankensteins
Monster. Ihre Schönheit liegt in ihrer Imperfektion. Ich wurde gefragt, ob ich die von Cloaka Denker: Wie wählen Sie Ihre Motive?
freigesetzte Energie nicht auffangen wolle. Das ist ein Motiv des ökologischen denkens, Delvoye: Ich bevorzuge Motive, die lange Zeiträume überlebt haben oder weit verbreitet sind.
typisch für den deutschsprachigen Protestantismus. Überlebende der Evolution in Dawins Sinne, Bilder die überleben, weil sie anpassungsfähig
Denker: Sie folgen eher einer katholischen Tradition? sind und sich mit wechselndem Klima weiterentwickeln. Davor habe ich viel Respekt. Die
Polizeiautos hier in Ghent haben ein kleines Wappen auf der Tür. Es stammt vielleicht aus
Delvoye: Aus katholischer Sicht wirkt Abfall interessanter. Kunst ist Abfall, eine dem Mittelalter, aber es gehört auch in die Gegenwart. Die enorme Kraft von Abzeichen
Zeitverschwendung. Die Idee der Verschwendung gefällt mir, sie erscheint in verschiedenen und Logos ist verwunderlich. Wir brauchen sie nicht zu verstehen, um ihre Faszination zu
Religionen, in Form von Opfern, die dem ökologischen Denken fremd bleiben. In der Bibel empfinden.
fordert Gott von Abraham das Opfer seines Sohnes.
Denker: Möchten Sie die Technik des Tätowierens künstlerisch aufwerten?
Denker: Am Ende verzichtet er aber auf das Opfer.
Delvoye: Ich möchte keine besondere Bildwelt gestalten. Tätowieren ist mehr als eine Technik
Delvoye: Sicher, aber er verzichtet nicht auf das Lamm! Viele schöne Tiere wurden seitdem zur Verwendung von Tinte und elektrischer Nadel. Die Bilder, die Menschen auf ihrem Rücken
geopfert. haben wollen, kennzeichnen die Bedeutung des Begriffs „Tätowierung“. Tätowierungen
Denker: Deshalb tätowieren Sie nicht nur schöne Menschen, sondern auch schöne folgen einer besonderen Ikonologie. Ich respektiere das. Tätowierungen auf Schweinen
Schweine? sind an sich schon etwas besonderes, etwas Dauerhaftes auf einem Lebewesen. Aber gibt
es Dauerhaftes auf einem sterblichen Wesen? Was mich interessiert ist der Bruch zwischen
Delvoye: Vor meinen Tätowierungsarbeiten auf Haut habe ich Dinge mit verschiedenen Leben und Tod, Dauer und Vergänglichkeit, der für Tätowierungen kennzeichnend ist.
Schichten überzogen, wie die Butangasflasche oder die Sägeblätter. Ich habe nicht die
Dinge verändert, sondern ihre Oberfläche und damit ihre kulturelle Zugehörigkeit. Die Denker: Was macht den Tod so wichtig für Ihre Arbeit?
surrealistischen Spiele von René Margritte beziehen sich auf zusammengesetzte Sachen, Delvoye: Vielleicht macht der Tod die Kunst künstlerischer? Wenn Sie Tim ansehen, den
zum Beispiel dieses Ding, das halb Karotte, halb Flasche ist {L’explication, (1952)}, Wesen Menschen, dann vergessen Sie das er ein Kunstwerk ist. So ist es auch mit den Schweinen, es
aus zwei Teilen, wie die Zentauren oder die Sirenen der griechischen Mythologie. Mein ist schwierig, sie als Kunstwerke zu betrachten. Sie riechen, sie machen Geräusche, sie sehen
Surrealismus dagegen lässt die Dinge intakt, die Schaufel bleibt eine Schaufel, das Bügelbrett uns an, sie haben Persönlichkeit. Ich würde schon sagen, dass sie Kunstwerke sind, aber vor
ein Bügelbrett, auch wenn es oberflächlich zum Wappenschild wird. Ich füge eine gemalte allem sind sie Schweine. Tim ist vor allem ein menschliches Wesen und in zweiter Linie ein
Schicht hinzu, die das Ding travestiert. In meiner Arbeit mit Haut nehme ich diesen Ansatz Kunstwerk. Ich mache Kunst, die versucht keine Kunst zu sein.
auf.
Denker: Trifft das auch auf Cloaca zu?
Delvoye: Ja, hier wird ein lebendiger Prozess künstlich nachvollzogen und man fragt sich,
was die Kunst dabei zu suchen hat. Hier ist alles in zeitlicher Bewegung. Ich möchte damit
der Idee widersprechen, dass Kunst eine stabile Form braucht.
Denker: In China haben Sie Cloaca kürzlich gemeinsam mit tätowierten Schweinen
ausgestellt. Wie verhalten sich diese Arbeiten zueinander?
Delvoye: Wir mussten die Maschine durch einen Zaun vor den Tieren schützen, um
Beschädigungen zu vermeiden. Ansonsten vertragen sich die Arbeiten gut miteinander. Beide
betreffen den Zusammenhang zwischen Leben und Kunst. Die Schweine und die Maschine
wurden ständig gefüttert. Es wirkte wie eine burleske Party, eine Freß- und Scheißparty. Es
ging auch um das kuratieren von Kunst, im ursprünglichen Sinne des Wortes „curare“: sich
sorgen, pflegen. Wir haben den Boden, die Tiere und die Maschine geputzt. Und wir haben
gekocht –das hat viel Spaß gemacht- und gemeinsam mit den Schweinen und der Maschine
gegessen. Es entstand ein Gefühl gemeinschaftlicher Zeitverschwendung. Es war wie eine
Opfergabe an die Götter.
Denker: Planen Sie solche Ausstellungen auch in Belgien?
Delvoye: Nein, die Gesetzeslage erlaubt es nicht. Die Schweine dürfen China nicht verlassen.
Früher war das kein Problem, denn es gab kein Gesetz gegen das Tätowieren von Schweinen.
Aber die neuen europäischen Gesetze besagen, dass mit einem Schwein überhaupt nichts
gemacht werden darf, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. Es gibt eine Liste mit verschiedenen
furchtbaren Erlaubnissen, im wesentlichen für die Nahrungsmittelindustrie. Von einem
Tag auf den anderen durfte ich keine Schweine mehr tätowieren. Es ist schon erstaunlich:
im „freien“ Europa ist das Tätowieren von Scheinen verboten, im „totalitären“ China ist es
erlaubt.
Denker: Juristische Fragen stellt Ihre Kunst öfter, etwa beim Verkauf von Tims Haut.
Delvoye: Hier greifen drei Kunsthandwerke ineinander: einmal die Galerie, die Tim verkauft
hat. Das ist ja eine Sache für sich, einen Menschen zu verkaufen. Dann ich, der Tätowierer.
Drittens wurde ein kreativer Jurist tätig, ein wahrer Pablo Picasso seiner Kunst!
Denker: Neben kreativer Rechtswissenschaft beschäftigen Sie sich zunehmend mit
Architektur?
Neue Inhalte für das Alt-Bewährte: Muster der flämischen Tradition erhalten im Delvoye: Wir haben verschiedene eigene Projekte, zum Beispiel ein Turm für Dubai, im Stil
Spiel der Verdauungskunst ein aktuelles Flair einer gotischen Kathedrale. Ansonsten wollen wir führende Architekten zur Gestaltung von
Vogelhäusern einzuladen.
Denker: Herr Delvoye, ich habe viel gelernt in diesem Gespräch, herzlichen Dank!
Denker: Wo haben Sie Tätowieren gelernt?
Delvoye: Bei meiner Arbeit. Es ist nicht schwer zu lernen, wie Stricken etwa. Ich musste nur
eine entsprechende Mentalität entwickeln. Die Technik ähnelt dem Zeichnen, mit dem
Unterschied, dass der Verlauf jeder Linie von vornherein bestimmt sein muss. Zeichnen bietet
es mehr Freiheit zum Versuch, man kann hunderte von Skizzen anfertigen wie Giacometti.
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