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Eine Reise nach Theresienstadt/Terezin


Es ist nicht weit. Man fährt mit dem Zug vier Stunden. Von Berlin. An der Elbe entlang, über
Dresden. An der Grenze zu Tschechien müssen wir die Pässe nicht
mehr zeigen. Dann Ankunft in Litomerice, einer barocken Kleinstadt
mit einladendem Marktplatz. Hübsch ist es hier. Sommerliches
Treiben zwischen duftenden Blumenkleidern, Eisverkäufern und
üppiger, zuckriger Auslage beim Bäcker. So kann das Leben sein:
beschaulich, in liebliche Hügellandschaft eingebettet und mit Golfplatz vor der Tür.


Aber deshalb sind wir nicht hier. Wir wollen nach Theresienstadt, nach Terezin. Drei Kilometer
                             entfernt. Zu der Garnisonsstadt, die vor über 200 Jahren Joseph II. für
                             seine Armee bauen ließ, als Bollwerk gegen die Preußen. Er nannte sie
                             seiner Mutter, Kaiserin Maria Theresia zu Ehren, Theresienstadt. Als
                             die Festung nicht mehr militärisch genutzt wurde, zogen tschechische
                             Bürger in die Häuser ein und machten daraus eine normale Stadt mit
belebtem Marktplatz, einer Kirche und knapp 3200 Einwohnern.


Bis, ja bis die deutschen Nationalsozialisten Böhmen und Mähren okkupierten und ab November
1941 Theresienstadt in ein jüdisches Ghetto verwandelten. Die ursprünglichen Einwohner wurden
bis Mitte 1942 zwangsausgesiedelt.


Was damals hier geschah, war grauenvoll, unbeschreiblich. Wir hatten viel darüber gelesen:
Zeitzeugenberichte, Dokumentationen, Biographien. Wir hatten eine
Vorstellung von dem menschenunwürdigen Leben hinter diesen
Festungsmauern. Wir wussten, dass die Nazis Theresienstadt als ein
Durchgangslager nutzten, in das sie bis zum Kriegsende über 140 000
Kinder, Frauen und Männer deportierten, von denen ein Viertel in
Theresienstadt starb; fast 88 000 wurden in die Vernichtungslager - wie Auschwitz II- Birkenau -
transportiert und kamen auf dem Weg oder dort um. Man weiß es und man weiß es nicht. Das
Ausmaß der Leiden, der Ängste übersteigt jede Vorstellungskraft.
Wir gehen von Litomerice durch eine kleine Kastanienallee, blühende Wiesen, akkuraten Rasen,
über den ein klappriges Auto fährt und gelbe Golfbälle einsammelt, und kommen an die roten
backsteinernen Festungsmauern. Vor uns die kleine Garnisonsstadt Terezin. Wieder belebt.
Über tausend Menschen wohnen heute hier, frei. Hinter weißen
Spitzengardinen, Blumen in Balkonkästen, Autos in den Straßen.
Sie kamen nach dem 2. Weltkrieg zurück, in ihre Häuser.
Warum auch nicht? Ein Hund steht im Fensterrahmen. Kann
man hier wohnen? Alles ganz normal.


Wir gehen durch die Straßen, über das bunte Kopfsteinpflaster. Kommen am damaligen jüdischen
Mädchenheim vorbei, das in einem Gebäude der einstigen Militärverwaltung untergebracht war.
                     Hier waren die Mädchen zu Ghetto- Zeiten auf engstem Raum untergebracht.
                     Hier befand sich auch das Zimmer 28. Hier litten sie Hunger, hier waren sie
                     von ihren Eltern getrennt, von ihrer Heimat. Hier hatten sie Angst vor den
                     Transporten, von denen sie nicht wussten, wohin sie einen brachten, hier
                     wurden sie ihrer Kindheit beraubt und nicht selten ihres Lebens.


Wir betreten die Steinstufen, auf denen die Mädchen des Mädchenheims hinauf
und hinuntergeflitzt sind. Speckiger, glänzender Stein. Wenn er erzählen
könnte. Nun umrunden wir die Kasernen, in denen die jüdischen Menschen zu
sechzigst in einem Zimmer gewohnt haben, auf Holzpritschen, über einander,
begleitet von Ungeziefer, Krankheiten und der ständigen Angst.


                   Wir sehen das schiefe Schild mit der Aufschrift „Krematorium“. Wir sehen in
                   vergitterte Kellerräume, Hinterhöfe mit den alten elektrischen Leitungen, an
                   denen vielleicht damals die Lautsprecher angebracht waren, um die Gefangenen
                   zum Appell zu rufen. Wir entdecken an den Häuserfassaden die
                   Blockbeschriftungen.
                   Wir gehen ins Ghetto-Museum. In einem Raum sind die Namen aller nach
                   Theresienstadt deportierten Kinder aufgeführt. Kinderbilder hängen an den
Wänden, es ist kaum erträglich sie zu betrachten und daneben den Namen der jungen Künstler zu
lesen mit ihrem Geburts- und Todesjahr. Wieso durften sie alle nicht weiter leben? Wir sehen ihre
Bilder, lesen ihre Gedicht, ihre Tagebuchaufzeichnungen und spüren, dass trotz all dieser
widrigsten Bedingungen die Erwachsenen, darunter viele bedeutende jüdische Künstler, alles taten,
um die Kinder zu unterrichten, sie zu fördern und mit der Kunst ihren Alltag erträglich zu machen.
Wir beginnen beim Lesen der Tafeln von Neuem zu begreifen, wie überlebensnotwendig die Kunst
für die Gefangenen in Theresienstadt war.


Wir kommen in die Magdeburger Kaserne, auf deren Dachboden die Opernaufführungen, wie
„Brundibár“ unter Lebensgefahr stattgefunden haben. Wir erahnen die
Theater- und Kabarettveranstaltungen mit berühmten Künstlern und
auf höchstem Niveau. Wir sehen in der Ausstellung Kostüme und
Bühnenbilder, hören die gespielte Musik, vertiefen uns in die Texte
und Bilderwelten. Je mehr wir eintauchen, je fassungsloser werden
wir. Auf der einen Seite die Schönheit und Gültigkeit der Kunst, die uns begegnet. Ihre
Unsterblichkeit. Und auf der anderen Seite das vernichtete Leben. Das muss man aushalten.


                   Wir treten wieder hinaus, ins Heute. Auf dem Weg zurück, an den Kasernen
                   entlang. An einer kleinen Gaststädte vorbei, an einem Spielzeugwarenladen,
                   Trödel- und Armeeläden. Ein Spielplatz. Drei Jungs sitzen dort. Still versonnen
                   essen sie Süßigkeiten.




Christine Mellich, Sommer 2010

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  • 1. Eine Reise nach Theresienstadt/Terezin Es ist nicht weit. Man fährt mit dem Zug vier Stunden. Von Berlin. An der Elbe entlang, über Dresden. An der Grenze zu Tschechien müssen wir die Pässe nicht mehr zeigen. Dann Ankunft in Litomerice, einer barocken Kleinstadt mit einladendem Marktplatz. Hübsch ist es hier. Sommerliches Treiben zwischen duftenden Blumenkleidern, Eisverkäufern und üppiger, zuckriger Auslage beim Bäcker. So kann das Leben sein: beschaulich, in liebliche Hügellandschaft eingebettet und mit Golfplatz vor der Tür. Aber deshalb sind wir nicht hier. Wir wollen nach Theresienstadt, nach Terezin. Drei Kilometer entfernt. Zu der Garnisonsstadt, die vor über 200 Jahren Joseph II. für seine Armee bauen ließ, als Bollwerk gegen die Preußen. Er nannte sie seiner Mutter, Kaiserin Maria Theresia zu Ehren, Theresienstadt. Als die Festung nicht mehr militärisch genutzt wurde, zogen tschechische Bürger in die Häuser ein und machten daraus eine normale Stadt mit belebtem Marktplatz, einer Kirche und knapp 3200 Einwohnern. Bis, ja bis die deutschen Nationalsozialisten Böhmen und Mähren okkupierten und ab November 1941 Theresienstadt in ein jüdisches Ghetto verwandelten. Die ursprünglichen Einwohner wurden bis Mitte 1942 zwangsausgesiedelt. Was damals hier geschah, war grauenvoll, unbeschreiblich. Wir hatten viel darüber gelesen: Zeitzeugenberichte, Dokumentationen, Biographien. Wir hatten eine Vorstellung von dem menschenunwürdigen Leben hinter diesen Festungsmauern. Wir wussten, dass die Nazis Theresienstadt als ein Durchgangslager nutzten, in das sie bis zum Kriegsende über 140 000 Kinder, Frauen und Männer deportierten, von denen ein Viertel in Theresienstadt starb; fast 88 000 wurden in die Vernichtungslager - wie Auschwitz II- Birkenau - transportiert und kamen auf dem Weg oder dort um. Man weiß es und man weiß es nicht. Das Ausmaß der Leiden, der Ängste übersteigt jede Vorstellungskraft.
  • 2. Wir gehen von Litomerice durch eine kleine Kastanienallee, blühende Wiesen, akkuraten Rasen, über den ein klappriges Auto fährt und gelbe Golfbälle einsammelt, und kommen an die roten backsteinernen Festungsmauern. Vor uns die kleine Garnisonsstadt Terezin. Wieder belebt. Über tausend Menschen wohnen heute hier, frei. Hinter weißen Spitzengardinen, Blumen in Balkonkästen, Autos in den Straßen. Sie kamen nach dem 2. Weltkrieg zurück, in ihre Häuser. Warum auch nicht? Ein Hund steht im Fensterrahmen. Kann man hier wohnen? Alles ganz normal. Wir gehen durch die Straßen, über das bunte Kopfsteinpflaster. Kommen am damaligen jüdischen Mädchenheim vorbei, das in einem Gebäude der einstigen Militärverwaltung untergebracht war. Hier waren die Mädchen zu Ghetto- Zeiten auf engstem Raum untergebracht. Hier befand sich auch das Zimmer 28. Hier litten sie Hunger, hier waren sie von ihren Eltern getrennt, von ihrer Heimat. Hier hatten sie Angst vor den Transporten, von denen sie nicht wussten, wohin sie einen brachten, hier wurden sie ihrer Kindheit beraubt und nicht selten ihres Lebens. Wir betreten die Steinstufen, auf denen die Mädchen des Mädchenheims hinauf und hinuntergeflitzt sind. Speckiger, glänzender Stein. Wenn er erzählen könnte. Nun umrunden wir die Kasernen, in denen die jüdischen Menschen zu sechzigst in einem Zimmer gewohnt haben, auf Holzpritschen, über einander, begleitet von Ungeziefer, Krankheiten und der ständigen Angst. Wir sehen das schiefe Schild mit der Aufschrift „Krematorium“. Wir sehen in vergitterte Kellerräume, Hinterhöfe mit den alten elektrischen Leitungen, an denen vielleicht damals die Lautsprecher angebracht waren, um die Gefangenen zum Appell zu rufen. Wir entdecken an den Häuserfassaden die Blockbeschriftungen. Wir gehen ins Ghetto-Museum. In einem Raum sind die Namen aller nach Theresienstadt deportierten Kinder aufgeführt. Kinderbilder hängen an den Wänden, es ist kaum erträglich sie zu betrachten und daneben den Namen der jungen Künstler zu lesen mit ihrem Geburts- und Todesjahr. Wieso durften sie alle nicht weiter leben? Wir sehen ihre Bilder, lesen ihre Gedicht, ihre Tagebuchaufzeichnungen und spüren, dass trotz all dieser
  • 3. widrigsten Bedingungen die Erwachsenen, darunter viele bedeutende jüdische Künstler, alles taten, um die Kinder zu unterrichten, sie zu fördern und mit der Kunst ihren Alltag erträglich zu machen. Wir beginnen beim Lesen der Tafeln von Neuem zu begreifen, wie überlebensnotwendig die Kunst für die Gefangenen in Theresienstadt war. Wir kommen in die Magdeburger Kaserne, auf deren Dachboden die Opernaufführungen, wie „Brundibár“ unter Lebensgefahr stattgefunden haben. Wir erahnen die Theater- und Kabarettveranstaltungen mit berühmten Künstlern und auf höchstem Niveau. Wir sehen in der Ausstellung Kostüme und Bühnenbilder, hören die gespielte Musik, vertiefen uns in die Texte und Bilderwelten. Je mehr wir eintauchen, je fassungsloser werden wir. Auf der einen Seite die Schönheit und Gültigkeit der Kunst, die uns begegnet. Ihre Unsterblichkeit. Und auf der anderen Seite das vernichtete Leben. Das muss man aushalten. Wir treten wieder hinaus, ins Heute. Auf dem Weg zurück, an den Kasernen entlang. An einer kleinen Gaststädte vorbei, an einem Spielzeugwarenladen, Trödel- und Armeeläden. Ein Spielplatz. Drei Jungs sitzen dort. Still versonnen essen sie Süßigkeiten. Christine Mellich, Sommer 2010